Sonntag, 24. Februar 2008

Sweeney Todd - Der teuflische Barbier aus der Fleet Street


I want you, bleeders!

Prolog
: Wow, was für ein Kinobesuch! Eine solch geniale Trailer-Kombination hatte ich das letzte Mal als sich 2003 ein gewisser Film namens Fluch der Karibik anschickte mein damaliger Lieblingsfilm zu werden. Damals liefen in exakt dieser Reihenfolge die Trailer zu Bad Boys 2 ("Hey, lass uns doch direkt Mal Werbung für den nächsten Jerry-Bruckheimer-Streifen buchen! Das Zielpublikum haben wir ja schon da!"), Der Fluch von Darkness Falls (Nennen wir das den stylischen Grindhouse-Faktor: Dieser Film kam rund fünf Monate vorher in die Kinos! Was hat der Trailer hier zu suchen?! - Naja, der Trailer war ganz stylisch...), Matrix Revolutions (Gott, allein der Trailer versprühte den Charme eines computeranimierten Kühlergrills, aber die Reaktionen der Matrix-Fans im Saal waren klasse), Findet Nemo (Pixars zweiter Film auf anbetungswürdigem Niveau) und Kill Bill, Vol.1 (Genialer Trailer, perfekt zur Musik geschnitten, einfach großartig!). Die Trailer hatten in dieser Reihenfolge eine sogartige Wirkung und ließen mich vor Vorfreude platzenden Kerl in die richtige Stimmung kommen.
Sweeney Todd bewies nun, dass es tatsächlich möglich ist, eine weitere Trailerkombi zusammenzustellen, die mich mit offenem Mund dasitzen ließ, meine Vorfreude auf den Film weiter in die Höhe schraubt und zugleich nach weiteren Trailern hoffen lässt. Eine Trailerkombi halt, die man noch länger im Gedächtnis behält.

  • 8 Blickwinkel: Ein vielversprechender Action-Thriller über ein Attentat auf den US-Präsidenten. Acht verschiedene Augenzeugen tätigen teils widersprüchliche Aussagen und es liegt am Geheimdienst das Rätsel zu lösen. Einziger Trübsinn am toll geschnittenen Trailer: Matthew "Jack, die egozentrische Insel-Heulsuse mit dämlichen Flashbacks" Fox sieht 1:1 so aus wie in "Lost" und nimmt mir etwas Vorfreude am Film.
  • Get Smart: Steve Carell als versagender Neu-Geheimagent mit der hübschen und intelligenten Partnerin Anne Hathaway. Verspricht ein völlig sinnfreier, aber auch fremdschämfreier Klamauk mit guter Action zu werden.
  • 21: Von dem Film habe ich bislang nichts mehr gehört, aber der Trailer sah extrem gut aus und somit ist der Kinobesuch gebongt. Kevin Spacey fährt mit mehreren außerordentlich begabten Studenten nach Las Vegas um ein Casino nach dem anderen abzuzocken. Bunt, atmosphärisch, dynamisch, witzig, spannend und dramatisch - das verspricht der sexy geschnittene Trailer. Sozusagen Casino Royal ohne Bond, dafür bunt. Und mit Black Jack statt Texas Hold'em. Außerdem basiert dieser Film auf einer wahren Begebenheit. Menno... ich will auch einen Prof, der mir nen Flug nach Vegas spendiert...
  • Wall•E: Wow, da fiel mir vor lauter Freude die Kinnlade runter und meine Augen wurden größer. Der nigel-nagel-neue internationale Trailer zum Film des Jahres! Einfach so, vor Sweeney Todd! Großartig animiert, supersüß, kleiner Einblick in die Story und viel, viel Charme. Hier ist nicht nur die Kinokarte am Premierentag schon gesichert, nein, ich weiß jetzt schon, dass ich mindestens zweimal reingehen werde.
  • Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels: Der Trailer selbst ist mehr Teaser denn Trailer und meiner Meinung nach auch was behäbig, aber trotzdem steht der Kinobesuch fest.
  • 10.000, B.C.: Der Film überrascht mich jetzt schon. Denn von dem neuen Emmerich hat man bislang kaum etwas gehört - obwohl er schon lange angekündigt ist, hält sich der Medienrummel in extrem engen Grenzen. Man sollte doch denken, dass der Verleih alles dransetzt solch eine Big-Budget-Produktion ins Gespräch zu bringen... Sieht jedenfalls nach 300 trifft Der 13. Krieger trifft Apocalypta aus... Mal sehen...
  • Speed Racer: Gott... bunt... laut... schrill... F-Zero- Der Film? Nein... Realfilmadaption einer japanischen Trickserie.... Naja... ohne mich...
  • The Dark Knight: Klasse. Ich bin dabei.

Mit 21, Pixars neuem, Indy und dem nächsten Batman gleich vier Granatentrailer! So, genug Vorgeplänkel. Auf zum eigentlichen Review:

Der Hauptfilm:


Tim Burton und Johnny Depp - das ist eine der genialsten Kombinationen aus Regisseur und Darsteller, die das Kino zustande gebracht hat. Depp schafft es hervorragend, exzentrische, gebrochene Außenseiter darzustellen, ihrem verrückten Wesen eine normale, verletzliche Seele und so viel Glaubwürdigkeit zu verleihen. Burton wiederum kreiert mit Vorliebe schräge Filmwelten, bizarr-groteske Schauermärchen mit Gute-Nacht-Charakter. Verschroben aber ernstzunehmend - detailliert und zugleich einem einfachen Gesamtkonzept folgend.

Zusammen bilden sie ein kreatives Hollywood-Traumpaar. Und nachdem Johnny Depp vorerst Urlaub vom Piratenleben nahm, wurde es auch wieder Zeit für eine düstere Rolle. Bei anderen Darstellern würde man vielleicht befürchten, dass sie nach einem so erfolgreichen Ausflug in die erfolgreiche Actionfilmwelt ein neues Dasein annähmen. So nicht bei Depp - es ist alles wie gehabt. Und das ist ein Grund zur Freude.

Um ganz ehrlich zu sein, hat sich jedoch durchaus was verändert: In der Karibik trällerte Depp, nun singt er sogar. Nicht nur ein, zwei Lieder, nein, fast einen gesamten Film durch. Denn Depps neue Rolle ist nicht nur eine weitere verlorene Seele in einem burton'schen Schauermärchen voller Ironie, grotesker Situationen und düsterer Atmosphäre voller Verspieltheit. Nein, sie ist auch die Titelfigur einer Bühnenmusical-Adaption.

Trotz Depps Vergangenheit in einer kleinen Rockband mag man nun zweifeln, ob der Film sich mit dem Rückgriff auf Burtons Stammbesetzung nicht vielleicht selbst ins Aus schoss.
Doch Depp weiß zu brillieren. Direkt zu Beginn des Films beschimpft Depps Figur in schnellem, melodiösem Sprechgesang den Schauplatz der Geschichte, eine gruselige Version des grauen Dickens-Londons.
Und auch die anderen Darsteller beweisen ihre Sangeskünste. Beeindruckende Darbietungen bleiben zwar aus, aber dennoch bildet die Qualität des Gesangs mit den schauspielerischen Leistungen, der Atmosphäre des Films und seiner Geschichte ein harmonisches Ganzes.


Die Geschichte handelt vom Barbier Benjamin Barker, der vom ungerechten Richter Turpin (Alan Rickman) unschuldig in Verbannung geschickt wird, damit Turpin sich problemlos an dessen wunderhübscher Frau vergehen kann. Fünfzehn Jahre später ist Barker von Racheglüsten verfressen wieder in London zurückgekehrt. All die Jahre voller Gram machten aus ihm einen anderen Mann. Als Sweeney Todd sinnt er auf gnadenlose Rache an Turpin, der mittlerweile Barkers Tochter in seinem großen Herrenhaus einsperrte und sie nun zu seiner Frau nehmen möchte.
Todd trifft im schaurigen Drecksloch namens London auf die Bäckerin Mrs. Lovett. Diese führt nun unter Todds altem Barbiersalon ein sehr schlecht laufendes Fleischpasteten-Geschäft und erzählt Todd von den Ereignissen nach dessen Inhaftierung. Gemeinsam planen sie, wie sie an Richter Turpin gelangen können, damit Todd sich an ihm rächen kann. Der junge Seefahrer Anthony Hope, der gemeinsam mit Todd nach London segelte, entdeckt derweil Todds hübsche Tochter Johanna, womit er jedoch Turpins Zorn auf sich zieht.

Bereits in den ersten Sekunden macht der Film klar, wie er gesehen werden möchte. Düster, freudlos, bedrückend, mit einem faszinierenden Twist ins seltsame. Mit zunehmender Laufzeit wird die Atmosphäre theatralischer. Die Sets sind beeindruckend, bleiben aber stets grau, kein Augenschmaus in Sicht. Die organischen Sets sind unglaublich wichtig für den Film, stützen die Atmosphäre und geben einen theatralischen Rahmen. Man kann nicht oft genug danken, dass Burton seine ursprüngliche Idee nur Greenscreen zu verwenden verwarf. Die Sets sind ein Teil der Charaktere - mit CGI-Sets hätte man das nicht erreichen können. Die grauen Sets sind einfach unersetzlich.
Dank ihnen wirkt Sweeney Todd fast durchgehend wie ein Schwarz-Weiß-Film. Doch Burtons London ist ein Farbfilm, genüsslich verlieren sich der Regisseur und sein Ausstatter in den verschiedensten Facetten von Grau. Farbtupfer gibt es nur wenige, doch die wirken dafür umso greller. Das Blut spritzt in einem knalligen Rot durch das Bild und in Traum- oder Erinnerungssequenzen wird aus dem düster-schwarz-grauen Tim Burton eines Sleepy Hollow oder Nightmare before Christmas wieder ein knallig-bunter Mars Attacks!- und Charlie-Burton.
Egal ob bunt oder grau, mit steigender Dramatik wird der Film auch zynischer und makabrer. Die wenigen Fäden in eine Normalität gehen fast unter, so wie der kleine Waisenjunge, den Mrs. Lovett aufnimmt, von Todd aber nur beiläufig bemerkt wird. Dem Zuschauer bietet dieser Grundstein einer Realität weiteren Anlass sich in diesen kräftigen Film zu verlieren. Er stellt die Filmwelt nicht weiter in Frage, kann sie als gegeben und möglich ansehen.

Gesungen wird in Sweeney Todd übrigens ungewöhnlich viel, selbst für ein Musical. Fast schon operettenartig halten sich die Dialogsequenzen sehr kurz, überschreiten selten eine Laufzeit von mehr als fünf Minuten.
Nicht nur die Menge der Songs ist ungewöhnlich, auch die Lieder selbst sind anders als alles, was man aus Musicalfilmen gewohnt ist. Die Lieder aus dem Broadwaymusical Sweeney Todd stammen von Stephen Sondheim, der auch am Film beteiligt war, sind von klassischer Horrorfilmmusik inspiriert, größte Inspirationsquellen sind der Soundtrack von Psycho und Scottland Yards seltsamster Fall.

Vornehmlich Sprechgesang mit dunklen, behäbigen Melodien, zahlreichen geschickt eingesetzten Tonwechseln verzichtet Sweeney Todd auf typische Musicalnummern wie den sehnsüchtigen "I want"-Song, die schmalzige Liebesballade oder den fröhlichen Dorf-Song. Stattdessen bilden die Lieder eine große Masse, sie gehen ineinander über und für den Filmzuschauer ist es richtig schwierig zu sagen, wo welches Lied anfängt und wo es wieder aufhört. Es wirkt mehr so, als wäre es eine große Komposition, die sich immer wieder verändert, aber stets einen musikalischen roten Faden verfolgt.
Die Lieder sind dementsprechend auch hauptsächlich der Dialog zwischen den Figuren sowie ihre inneren Monologe. Hier werden keine Dialogsequenzen gestoppt um einen Song unterzubringen, viel eher werden die Lieder ab und an unterbrochen, um ein kurzes Gespräch unterzubringen.
Burton homogenisierte die Songs der Vorlage noch weiter, indem er teilweise den Refrain strich, in anderen Liedern mehrere Strophen. Außerdem wurden sämtliche Chor-Einsätze gestrichen. Es singen nur noch die handelnden Figuren, was zusammen mit Burtons Regieführung eine sogartige Wirkung mit sich zieht. Man möchte gar nicht mehr, dass der Film endet.

Der Gesang wirkt so natürlich und verschmilzt mit der restlichen Darstellung der Schauspieler, dass man spätestens während des dritten Songs völlig drin ist und vom üblichen Musical-Schema loslässt.
Der beeindruckendste ist ganz klar Johnny Depp. Er füllt diese Figur mit Wurzeln in britischen Groschenromanen mit Leben und Seele, macht aus einer potentiellen Abziehfigur mit simplem Rachemotiv eine vielschichtige, verletzte Person, die sich in ihren Rachefantasien verliert. Man leidet mit Todd, man ist erschüttert von ihm. Depp verkörpert ihn voll und ganz und liefert mit jeder Geste, mit jedem Gesichtszug mehrere Informationen über den rabenschwarzen Charakter.
Auch Helena Bonham Carter lebt ihre Figur aus, man kann sich kaum vorstellen, dass sie je was anderes gespielt hätte als diese Rolle.
Wer miese Geschäfte bei diesem Casting vermutet, schließlich ist sie die Lebensgefährtin des Regisseurs, weiß nicht, dass sie dem Komponisten Sondheim zwölf Tapes schickte, die allesamt gut ankamen und dass sie ohne Sondheims Zustimmung die Rolle nicht bekommen hätte. Bester Beweis bleibt aber ihre Performance - sie ist nahezu perfekt für die verschrobene, sympathische aber unheimliche Bäckerin.
Das seltsame Paar beherrscht den Film, doch auch die Nebenrollen wissen zu bezeugen, vor allem Alan Rickman, der dem Richter eine Verletzlichkeit und noch größere Härte verleiht, und Sacha Baron Conan, der erfolgreich gegen sein Image anspielen kann, zugleich für einen humoresken Tupfer sorgen kann.

Man kann den Film nicht genug loben: Von den ersten, schaurigen Momenten zu Orgelmusik bis zum Abspann packt es den Zuschauer. Sweeney Todd kann humorvoll sein, ist großartig inszeniert, liefert Songs die von Mal zu Mal besser werden (im Gegensatz zu anderen Filmen, bei denen man sich irgendwann an den Liedern satt gehört hat), seine Darsteller sind hervorragend und die Geschichte ist dramatisch, schaurig, gefühlvoll, packend. Ein intelligenter Film, der, nicht nur dank des Ruhms des Duos "Depp und Burton", sondern auch aufgrund seiner selbst, noch in vielen Jahren Fans finden wird.

Epilog: Das Kinopublikum war in meinem Fall ganz in Ordnung. Der Saal war gut gefüllt, kein Geschlecht und keine Altersgruppe stach besonders hervor. Einzig und allein zwei, drei Störenfriede verirrten sich in den Saal, die, wie man anhand ihrer Reaktionen bemerken konnte, nicht wussten, dass es sich hierbei um ein untertiteltes Musical handelt. Konnte doch auch keiner ahnen...

1 Kommentare:

Luanalara hat gesagt…

Da muss ich dir jetzt doch mal einen Kommi hinterlassen (mach ich ja so selten) - eine großartig geschrieben Review!

Du sprichst all die Punkte an, die den Film so großartig machen: Schauspieler, die mit ihren guten Gesangsstimmen überraschten (es hätte so peinlich werden können) und dabei den Charakteren echtes Leben einhauchen, die grandiose Optik des Films (jedes Bild für sich könnte man sich einrahmen und an die Wand hängen) die erzeugte Atmosphäre, die straff inszenierte Handlung, bei der die Lieder einfach passen...

Ich habe damals eine Freundin in den Film geschleppt, die für Musicals nicht so wirklich was übrig hat, und genau wie du sagtest: Nach "The worst pies in London" war sie einfach nur noch gefesselt und hat gar nicht mehr wahrgenommen, das die Charaktere grad über Lieder kommunizieren.
Sondheims Musik ist gewöhnungsbedürftig (ich kannte sie vorher zB gar nicht, bzw. hab nie bewusst ein Stück von Sondheim gehört), aber im Film wurde ich einfach gepackt und reingezogen.

Und ja, der Film ist viel zu kurz! Ich ertappe mich immer bei "A little priest", dass ich denke: "Mist, jetzt kommt ja gar nicht mehr viel!" Natürlich dauert der Film dann immer noch 1 Stunde oder so, aber es kommt mir so vor wie 10 Minuten. :)

Zum Epilog: Auch in die Vorstellungen, die ich besucht habe, haben sich - bis auf ein Mal - immer welche verirrt, die anscheinend nichts über den Film wussten außer "ist düster und es spritzt Blut, geil!". Da gab es auch zu Beginn Unruhe, aber: Selbst die waren nachher so gepackt, dass sie ruhig waren. Das hat mich dann doch sehr verblüfft (und gefreut, so konnte ich den Film wenigstens genießen^^).

Ähm ja. Wie gesagt, schöne Review. :)

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