Montag, 26. Mai 2008

Abenteuerliche Genrewechsel - Das Geheimnis der Trilogie-Erweiterungen

Achtung! Es folgen Spoiler für Pirates of the Caribbean und Indiana Jones!


Mit Indiana Jones und das Königreich der Kristallschädel drehte Spielberg nicht nur den Abenteuerfilm dieses Jahres, sondern löste auch eine Diskussionswelle aus, die mit Sicherheit noch den restlichen Kinosommer - und vielleicht sogar noch länger - andauern wird.

Ob die Aliens in Indiana Jones 4 nötig waren oder nicht entzweit das Kinopublikum. Den Großteil des Films über konnte ich mit ihnen leben, aber als man im Finale des Films nicht mehr nur die sterblichen Überreste der Außerirdischen zu Gesicht bekam, sondern ein lebendes Exemplar an Bord einer großen, fliegenden Untertasse, war es für mich vorbei.

Den Film an sich konnte diese Wende vom 30er-Jahre-B-Movie-Style-Film mit 50er-Jahre-Setting zum 50er-Jahre-B-Movie nicht sonderlich runterziehen, aber das Ende wurde für mich dadurch verdorben.
Und auch "That Guy with the Glasses" (you remember?) lässt in Gestalt von Chester A. Bum kein gutes Haar an den Aliens, wie dieses Video zeigt.

Aber nicht alle sind so unglücklich über die Aliens. So mancher Fan sieht in ihnen eine logische Weiterentwicklung: In den 30er-Jahre-B-Movies spielten mysteriöse Artefakte eine Rolle und da Indiana Jones' Abenteuer in dieser Zeit spielten, waren Geister und Flüche in der Handlung fest verankert und plausibel.

Indys neues Abenteuer spielt aber in den 50er Jahren, als sich die Pulp-Autoren immer mehr auf Roswell, fliegende Untertassen und allmächtige Aliens stürzten. Deshalb sei ein Indy-Film mit Aliens, der in den 50er Jahren spielt ebenso plausibel und dem Film-Universum gerecht wie alles, was es in den ersten drei Teilen zu sehen gab.

Zwar ist diese Argumentation keinesfalls dumm, aber ich selbst kann mich nicht völlig mit dieser Logik anfreunden - denn sie krankt an einer Stelle.

Indiana Jones 1 - 3 nahmen sich, wie bereits gesagt, den 30er-B-Movies (vornehmlich den Adventure-Serials) an, das Setting, der Zeitraum, die Art der Bösewichter, die Geschichte und auch der MacGuffin - das handlungsantreibende Artefakt.
Und, nicht zu letzt, auch Indiana selbst. Indiana Jones ist der toughe Typ, der kernige Archäologe, wie er in den 30er-Serials auftaucht. Es ist der Hauch Ironie, der die Indiana Jones-Filme von den 30er Serials abhebte (und die Inszenierung eines Spielbergs).

Als dann in den letzten 10 bis 15 Minuten des neuen Indys urplötzlich auf die 50er-Schiene gedroschen wurde -und das auch noch ironiefrei und im Gegensatz zum restlichen Film ohne eine eher mystischere, erdigere Herangehensweise wie in einem 30er-Serial - wirkte die Geschichte nicht mehr homogen. Es passte einfach nicht (wobei Spielberg es noch erträglich hielt, man hätte es noch viel unpassender machen können).

Jetzt werden treue Leser vielleicht einwerfen und laut "Aber haaaaaaaalt" rufen. Wenn ich doch so sehr gegen den Genrewechsel (was nicht wirklich das richtige Wort ist... Stilwechsel... Inspirationswechsel... die würden es besser treffen) bei Indiana Jones 4 bin, wieso propagandiere ich seit knapp einem Jahr das augenscheinlich selbe für die Pirates of the Caribbean-Saga?

Denn seit das Gerücht aufkam, dass man mit dem vierten Teil (die Parallele zu Indiana Jones ist deutlich sichtbar) eventuell die Seefahrer-Mythen aufgibt und stattdessen Steampunk in den Handlungsmix wirft mache ich mich lauthals für diese Idee stark.

Da stimmt doch was nicht, mag man sich nun denken.

Ja, ich gebe zu, dass es im ersten Moment ziemlich inkonsequent klingt, wenn ich mich über (für das Franchise neue) Sci-Fi-Einflüsse in Indiana Jones 4 beschwere, aber gleichzeitig (für das Franchise neue) Steampunk-Einflüsse in Pirates of the Caribbean 4 propagandiere.

Aber im Falle von Steampunk und PotC wäre dieser "Genrewechsel" (eine Änderung der Thematik... nennt es, wie ihr es wollt) tatsächlich so plausibel, wie man es bei Indiana Jones gern gehabt hätte.
Es bestehen nämlich in dieser Hinsicht wirklich entscheidende Unterschiede zwischen den beiden Abenteuer-Sagen, und der wohl entscheidenste ist in der Hauptfigur der jeweiligen Kinoreihen zu suchen.

Johnny Depps Paraderolle des Captain Jack Sparrow ist sozusagen der Schlüssel zur Zukunft von Pirates of the Caribbean.
Wäre er nämlich ein vehältnismäßig konventionell gestalteter Charakter, so könnte die Pirates-Saga nur schwerlich weitergehen, ohne sich inhaltlich selbst zu verraten.

Aber um das zu erklären, muss ich etwas weiter ausholen:

Im dritten Teil von Pirates of the Caribbean erreicht die Piraterie ihren Zenit: Eine ähnlich große Zusammenkunft an Piraten wird es zu Jack Sparrows Lebzeiten kaum noch einmal geben. Wie Barbossa im Film erwähnt, ist die Zusammenkunft der Bruderschaft (zu der es im Film ja kommt) ein bedeutungsvolles, aber auch seltenes Ereignis, welches nur in Zeiten höchster Bedrängnis stattfindet.
Eine so große Bedrohung für alle Piraten, wie die an Davy Jones' Macht gelangte East India Trading Company, wird es nicht geben - dies war der dramaturgische Höhepunkt der Seeräuber-Ära.
Ein besonders wichtiger Punkt folgt aber noch: Hinzu kommt nämlich, dass in Am Ende der Welt die heidnische Göttin Calypso aus ihrem körperlichen Gefängnis befreit wurde und nun mit Will Turner ein wahrlich pflichtbewusster Kerl das Kommando über die Flying Dutchman hat.

Dies hat zu bedeuten, dass die Zeit der übernatürlichen Seemannsgarn-Geschichten ein Ende hat. Das Überleben auf hoher See, ja, sogar die Herrschaft über die See, ist nur noch von dem Schweiße auf den Rücken tapferer Männer (und - wie die Trilogie zeigt - auch Frauen) abhängig, und nicht mehr von mystischen Kreaturen.

So sagt es uns zumindest der Abschluss der PotC-Trilogie. Ein vierter Teil kann also, wenn überhaupt, nur noch im geringen Maße mit übernatürlichen Ereignissen kokketieren.

Doch da eben jenes übernatürliches Element ein wichtiger Bestandteil der Filme ist (was wäre schon Fluch der Karibik ohne den Azteken-Fluch?), steht es um eine Fortsetzung ohne Neudefinierung des Franchises eher schlecht.
Zum einen könnte es sein, dass nun doch ein weiteres Geisterschiff oder ein todbringender Fluch auftauchen (und man somit sämtliche Bedeutung des letzten Teils über Bord wirft und somit die von Fans so geliebte Komplexität der Reihe attackiert), oder man verzichtet auf das Übernatürliche.

In diesem Falle müsste ein Ersatz her. Denn auch wenn nach dem Kinostart von Am Ende der Welt einige Stimmen zu vernehmen waren, die sich für einen eventuellen Teil 4 einen Film wünschten, in dem einfach nur Jack und Barbossa um die Pearl streiten, so kann das noch nicht alles sein. Ein Film von dieser Bandbreite muss mehr sein als eine schräge Screwball-Komödie über zwei verrückte Käuze auf hoher See.


Die "simpelste" Idee wäre es hier, weiterhin auf Sagen zu setzen, allerdings auf kleinerem Level als bisher. Weiterhin von Flüchen belegte Piraten, Monster und Voodoo kann es nicht mehr geben - aber die Piraten der Karibik können durchaus nach Relikten aus der Zeit suchen, als es im Filmuniversum von PotC noch übernatürlich von statten ging.
Der Jungbrunnen wäre zum Beispiel ein guter Aufhänger - erschaffen (oder entdeckt), wurde er zu einer Zeit, als die Piratenwelt noch anders aussah, noch vor Beginn von Am Ende der Welt.
Dass sich nun Barbossa und Jack Sparrow nach ihm auf die Suche machen wäre keineswegs ein Verstoß gegen die innere Logik der Filmwelt. Es war also ein enorm kluger Schachzug der Autoren Ted Elliott und Terry Rossio gerade auf diese Weise die Tür für eine Fortsetzung offen zu halten.

Sollte man sich jedoch gegen eine Pirates of the Caribbean-Trilogie entscheiden, die man als "Relict Hunter of a Mysterious Past" beschreiben könnte - und sei es auch nur, weil im Kino ja schon genug Schatzsucher umherwandern - so bliebe ja noch die Steampunk-Idee.

Und somit kommen wir zurück auf Captain Jack Sparrow: Wäre er nicht mehr als ein leicht modernisierter Errol Flynn, so wäre ein Steampunk-Film mit ihm völlig unmöglich.
Genau genommen wäre sogar die bisherige Pirates-Saga schwer machbar gewesen. Bereits Fluch der Karibik entfernte sich enorm von klassischen Piratenfilmen. Doch da der Film nicht auf klassischen Piratenfilmen basierte, flott und originell inszeniert wurde und mit Johnny Depps genialem Jack Sparrow eine so passende Hauptfigur hatte, beschwerte sich die Kinowelt nicht, dass gerade ein filmgewordener Freval an den alten Piratenfilmen zu sehen war.

Ob dies mit einer traditionelleren Figur geklappt hätte ist schwer zu sagen - ohne "unseren" Jack Sparrow wäre der Erfolg definitv kleiner ausgefallen, aber vielleicht wäre der Film dennoch keine Katastrophe geworden: Das übernatürliche Element wurde zuvor zwar nie in Piratenfilmen berücksichtigt, ist aber dank altem Seemannsgarn dennoch in den Köpfen der Menschen gewesen.
Trotzdem merkt ihr vielleicht schon, wie unangenehm diese Vorstellung klingt.

Und nun stellt euch vor, eine etwas modernere Version von Errol Flynn (frechere Sprüche, mehr Kämpfe) würde mit einer todernsten Crew aus 30er-Jahre-Filmpiraten durch ein gigantisches Steampunk-Abenteuer stapfen...

Jaaaa, das wäre so sehr an den Haaren herbeigezogen, dass man schon Teile des Kleinhirns mit rauszieht.

Aber unser Captain Jack Sparrow ist ganz anders: Er ist eine verschrobene, geniale, komplexe und eigenartige moderne Filmlegende, einzigartig und vielschichtig in der Wirkung auf die Zuschauer. Eben dieser Jack Sparrow brillierte nun in drei Filmen, deren Inspiration weit gefächert ist, von antiker Mythologie bis zur jüngsten Kinogeschichte.
Dieser mannigfaltigen Inspiration verdanken wir die moderne und zugleich zeitlose Dynamik der Pirates of the Caribbean-Filme.

Sie - und vor allem Jack Sparrow - lehnen sich zwar an manche Filmtraditionen an (z.B. an Disneys Abenteuerfilme der 50er oder die Bruckheimer-Blockbuster der 90er), sind aber in keiner fest verwurzelt. Deshalb wäre es möglich Jack Sparrow auf einem dampfbetriebenen, abgefahrenen Kriegs-Luftschiff herumturnen zu sehen - und wenn diese auch noch hervorragend eingeführt werden und man sich bei der filminternen Erklärung für diese Erfindung viel Mühe gibt wäre es sogar schlichtweg genial.

Indiana Jones dagegen ist in bestimmten Abenteuer-Movies und deren Traditionen verwurzelt. Damit möchte ich die Indy-Filme auch keinesfalls degradieren, schließlich gewinnen sie gerade daraus auch jede Menge Charme. Aber genauso sehr, wie die Filme aus diesen Wurzeln Charme gewinnt, setzt sie sich somit auch Grenzen, die zum Wohle der Serie eingehalten werden sollten.

Enttäuschend an Indy 4 ist ja, dass Spielberg es doch durchaus drauf hat, es nun jedoch nicht hinbekam. Wie man trotz solcher Grenzen überraschen und eine Filmreihe neu definieren kann bewies Indiana Jones und der letzte Kreuzzug nämlich ein paar Jahre zuvor mit Bravur:

Handlung, MacGuffin, Setting, Atmosphäre, so viel war hier, wie in den anderen Teilen der Reihe, fest in den Abenteuer-Serials verwurzelt. Doch der herrliche Humor, die Chemie zwischen Ford und Connery und ein regieführender Spielberg in Bestform heben diesen Film viel stärker von seinen Wurzeln ab, als es bei Indy 1 und 2 noch der Fall war. Diese waren cooler, ironischer und besser inszeniert als ihre Inspriationsquellen, Indy 3 jedoch hatte diese zusätzliche Prise Pfiff und eine außergewöhnliche Charakterinteraktion. Beim letzten Kreuzzug blieb Indy oberflächlich innerhalb der Grenzen, grub aber tiefer und schuf ein tolles Filmerlebnis.

Indiana Jones 4 ist rund 100 Minuten auf bestem Wege es seinem direkten Vorgänger gleich zu tun (weshalb ich ihn trotz des störenden Endes und einer schwachen Cate Blanchett wirklich sehr gut fand): Das Feeling alter 30er-Abenteuer (und alter Indy-Streifen) bleibt erhalten, aber mit dem Mix der 50er-Kulisse ergab sich ein interessanter Filmcocktail. Auch der MacGuffin selbst trägt dazu bei, jedenfalls so lange er ein einfacher MacGuffin bleibt: Der Kristallschädel und die Roswell-Anspielungen geben dem sonst wie Indy 1 und 2 auf die alten Regeln schielenden Film eine neue Würze - vergleichbar mit der endgültig übertriebenen Nazi-Darstellung in Teil 3 oder seinen zahlreichen Bond-Allegorien - ohne sie zu verletzen.

Als dann aber der MacGuffin nicht mehr bloßes Antriebsmittel der Handlung ist, sondern selbst zum Leben erwacht (in jeder Bedeutung des Wortes) verpasst Spielberg dem Film eine Überdosis, versalzt sich selber die Suppe. Anstatt dem Film eine neue Dimension zu verleihen (wie man es mit anderen Elementen in Teil 3 tat), riss man ihn aus seinem Umfeld, und verpflanzte ihn in ein neues. Das mag zwar nur das Finale betreffen, verhindert aber, dass Indy 4 einen Platz direkt neben Teil 3 einnehmen kann und sorgt auch noch für wütende Fans.

Denn Indy hat seine klar definierten Wurzeln. Sie am Ende rauszureißen war ein Fehler, der nur vermeidbar gewesen wäre, wenn der Schädel zwar deutlich auf Aliens hinweist, es aber nicht mit dem Holzhammer bewiesen wird. Hätte man am Ende eine Ruine gefunden, die Indy davon überzeugt, dass es Aliens gibt (was aber ohne Worte hätte geschehen sollen), dann wäre der MacGuffin weiterhin mystisch, und nicht schon Sci-Fi.

Damit wäre man Indy treu geblieben - zwar hätte das übernatürliche Finale gefehlt, aber das wäre der Preis des 50er Settings. Für einen spektakuläten Tod des Bösewichts und jede Mange actionreiches Eye-Candy im Finale hätte was anderes hergemüsst.
Vielleicht hätte die (meiner Meinung nach tolle) Atombomben-Szene an dieser Stelle noch mehr Leute überzeugen können?

Nun, an dem Finale von Indy 4 kann man jetzt nichts mehr ändern. Was sich aber noch ändern kann sind Disneys und Jerry Bruckheimers Pläne mit der Zukunft von Pirates of the Caribbean - denn irgendwie befürchte ich, dass man der Steampunk-Idee den Gnadenschuss geben könnte, sollten die Klagen über "Aliens in Indiana Jones" zu laut werden. Sollten die Kinozuschauer den gesamten Kristallschädel-Plot in den kommenden Wochen zerreißen, könnte es doch möglich sein, dass man bei Disney davon Wind bekommt und vorsichtshalber den augenscheinlich vergleichbaren Genrewechsel bei Pirates 4 absägt, da man mit ähnlichen Reaktionen rechnet.

Ich hoffe, dass das nicht geschieht. Denn diese zwei Genrewechsel sind, wie ich mit diesem Beitrag versucht habe zu erklären, nicht zu vergleichen. Indiana Jones ging einen viel heikleren Balanceakt ein (und scheiterte erst auf den letzten Zentimetern), als es Jack Sparrow bei einem Steampunk-Film tun würde. Sicherlich kann man auch da viel in den Sand setzen (besonders, wenn man die falschen Autoren wählt --- nämlich neue), aber die Idee von vornerein abzulehnen wäre wirklich traurig.

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