Freitag, 6. Mai 2011

Winnie Puuh - Bedeutsame Rückbesinnung oder nichtsnutzige Beschäftigungstherapie für Trickzeichner?

Nach dem studiohistorischen, kommerziellen und künstlerischen Meilenstein Rapunzel ließen es die Walt Disney Animation Studios etwas ruhiger angehen. Und schon bei der Ankündigung des 51. Eintrages in den disney'schen Meisterwerkekanon war ich ziemlich misstrauisch: Nach dem fast ein Jahrzehnt von Disneyfans herbeigesehnten Märchenmusical mit hart erarbeiteter, bahnbrechender Optik soll ein Winnie-Puuh-Film folgen? Welch gewaltiger Rückschritt, eine potentielle Bedrohung des nach und nach erkämpften neuen Disney-Images...

Nun läuft Winnie Puuh seit einiger Zeit in vielen Ländern in den Kinos, und der befürchtete Rückschlag schien auszubleiben. Das liegt wohl zum Teil auch daran, dass Winnie Puuh generell keine hohen Wellen schlägt. Bereits das Marketing war längst nicht so aggressiv wie für Rapunzel oder Küss den Frosch, und vergleichbar kleiner fallen auch die Kinoeinnahmen aus. Stellt sich die Frage, wie wichtig oder unnütz Winnie Puuh für die Disney-Studios ist. Rund ein Jahrzehnt kämpfte man um wertvolle Anteile am Animationsmarkt, auf dem Disney neben dem konzerninternen Pixar Studio und der stattlichen Konkurrenz Dreamworks eine immer kleinere Rolle spielte, und nach drei sich in ihrer Intensität steigernden Angriffen auf den Kinomarkt soll das laue Lüftchen Winnie Puuh plötzlich ganz akzeptabel sein? Hmm, Charisma hat der Film ja...


Der Stein des Anstoßes, der dazu führte, dass Winnie Puuh zum 51. Disney-Meisterwerk und zum zweiten Zeichentrickfilm des Kanons wurde, seit Die Kühe sind los! die traditionelle Ära zu einem katatsrophalen Ende führte, ist gleichsam künstlerisch integer, wie konzernwirtschaftlich gerissen: Seit der Übernahme Pixars und der darauffolgenden Neuorientierung der Disney-Trickstudios ist man redlich bemüht, den durch billige DVD-Produktionen abgewerteten Markennamen Disneys wieder reinzuwaschen... Jedenfalls im Trickbereich und abseits der Degradierung von Micky, Donald, Goofy und Co. zu Vorschullehrern. Ähm... Wie dem auch sei, die ganze Fortsetzerei alter Trickfilme hat aufgehört, und das ist bereits viel wert. Mit den Figuren aus dem Hundert-Morgen-Wald blieb aber auch eine weitere Disney-Truppe lange in der Kindergartenfalle stecken. Als John Lasseter jedoch ein neuer, am klassischen Stil orientierter Film mit Winnie Puuh vorgeschlagen wurde (ursprünglich als DVD-Projekt), gab er der Idee sofort grünes Licht und beförderte sie zur Kino-Kategorie. Die Begründung: Wenn Winnie Puuh qualitativ befördert wird, dann darf dieses Vorhaben nicht einfach im Heimkino-Sektor absaufen. Recht hat er, wenn man schon Imagepflege betreibt, dann bitte im größeren Stil. Zudem lässt sich für eine Kinoproduktion gleichmal viel mehr Merchandising losschlagen - und Puuh ist ja bereits eine Goldgrube für Disney.

Winnie Puuh geht für sein Franchise den umgekehrten Weg, den die TinkerBell-Filme einschlugen: Während die TinkerBell-Reihe vor der Pixar-Übernahme als Kickstart einer neuen Gelddruckmaschine angedacht wurde und deren erster Film durch intensives Einmischen John Lasseters eine Seele fand, nach dem überraschend liebevollen Anfang kontinuierlich schwächer und kindischer wurde, verlor das Winnie-Puuh-Franchise noch während der Pixar-Ära an ehrlichem Charisma. Ein Teilgrund dafür dürfte wohl sein, dass es bei der Übernahme Pixars durch Disney (und der darauf folgenden Beförderung John Lasseters) in einer der vielen Klauseln stand, dass Lasseter bei den Eigenmarken Disneys, die intensiver Teil der Merchandising-Abteilung Disney Consumer Products sind, kein Recht hat, wild Projekte einzustampfen. So konnte er zwar Himmel und Huhn 2, Aristocats 2 und Co. stoppen, nicht aber die letzten Prinzessinnen-Fortsetzungen Cinderella 3 und Arielle 3, oder halt die TinkerBell-Saga. Der Goldbär Winnie Puuh gehört mit seinen DVD-Premieren und den TV-Serien sicherlich ebenfalls dazu. Aber dadurch, dass der Kinofilm Winnie Puuh zu einer Produktion der Walt Disney Animation Studios befördert wurde, fiel er wieder in Lassters Zuständigkeitsbereich. Und, tatsächlich, man merkt Winnie Puuh an, dass viel mehr Herzblut, Sorgfalt und Liebe in ihn gesteckt wurde, als in die zahlreichen Puuh-Produktionen, die schlichtweg einzig und allein gemacht wurden, um diese Moneten-Druckmaschine am laufen zu halten.


Zu diesem qualitativen Reboot, von dem man sich auch eine Zielgruppenexpansion weg von der bloßen Kinderunterhaltung erhoffte, gehörte es vor allem, dass man aufhörte, die Plüschtiere neu zu erfinden, und wieder zur Ursprungsquelle zurückging. Winnie Puuh basiert nämlich auf zwei von Disney bislang unadaptierte Geschichten aus A. A. Milnes Büchern (anfänglich war es sogar vorgesehen, fünf Geschichten zu adaptieren). Somit war die Schrittrichtung klar: Winnie Puuh sollte nicht einfach ein neuer Film werden, der im Hundert-Morgen-Wald spielt, sondern eine direkte Weiterführung der bislang besten Puuh-Filme... jenen Kurzproduktionen, die als Die vielen Abenteuer von Winnie Puuh 1977 zurück ins Kino und in den Meisterwerke-Kanon fanden.

Diese Orientierung an Die vielen Abenteuer von Winnie Puuh spürt man dem Film auch ab dem ersten Augenblick an: Wie im liebenswürdigen Disney-Klassiker beginnt die heimelige Erzählstunde mit einem Blick in ein Kinderzimmer, wo uns Bücher, Spielzeug und Plüschversionen der tierischen Helden auf uns warten. Das Winnie Puuh-Buch öffnet sich, das gute, alte Winnie, der Puuh-Lied der Sherman Brüder ertönt und ein Erzähler mit warmer Märchenonkel-Stimme führt junge wie junggebliebene Zuschauer in den seeligen, simplen Traumwald ein.
Die Handlung ist naturgemäß simpel gestrickt und eigentlich nur Sprungbrett für eine Kindheitsgeist versprühende Stunde (und neun Minuten), die wir mit den amüsanten Aktionen und Charakterzügen von Puuh mitsamt Freunden verbringen. Winnie Puuhs Honigvorrat ging mal wieder zu neige, weshalb er Nachschub sucht. Da ist es fast schon ein glücklicher Zufall, dass I-Ah gerade seinen Schwanz vermisst und Christopher Robin einen Preis ausschreibt: Wer für I-Ah einen passenden neuen Schwanz findet, bekommt einen leckeren Topf Honig. Einige Zeit später scheint Christopher Robin vermisst - und seine Nachricht, er seie "Bald zurück" stiftet aufgrund der mangelhaften Lesekenntnisse seiner Freunde sehr viel Chaos...

Über die zwei lose miteinander verbundenen Geschichten muss man nicht viel sagen: Sie sind leicht verständlich und holen das meiste aus den so simplen, grundlegenden Problemen heraus. Hier trennt sich aber die Puuh-Spreu vom Puuh-Weizen, denn während solche TV-Produktionen wie Winnie Puuhs Bilderbuch mit ihren trivialen Handlungsgegenständen den Intellekt beleidigten, zeigt das in diesem Fall von Burny Mattinson geleitete Storyteam der Disney-Trickstudios das wertvolle Talent, die kleinen Ereignisse im Hundert-Morgen-Wald auf magische Weise auch für den geneigten reiferen Zuschauer ansprechend zu verpacken. Dass Puuh Hunger hat oder I-Ah seinen Schwanz verlor, wird nicht schal überdramatisiert, sondern herzensehrlich so angepackt, wie es einfacher gestrickte Charaktere, wie halt die Bewohner des besagten Waldes, halt angehen würden. Zwischen kindlicher Verblödung und knuffiger Einfachheit liegt ein schmaler Grat, und umso schöner ist es, wenn ein Film wie Winnie Puuh im richtigen Gebiet wildert.

Leider muss ich einwenden, dass Winnie Puuh mir schon um einiges gezielter kinderorientiert als Die vielen Abenteuer von Winnie Puuh vorkam, was der Kernzielgruppe natürlich schnuppe sein wird. Bedauerlich finde ich es trotzdem. Möglicherweise ist es schlicht ein Testament des Filmzeitalters, in dem wir leben. Marktforschung und Gewinnmaximierung spielen eine viel größere Rolle, als es bereits in den 60er/70er Jahren der Fall war. Man wird's wohl nie erfahren, doch ich bin überzeugt, dass die ursprünglichen Disney-Kurzfilme über Winnie Puuh schlicht so gestaltet wurden, wie es die Disneykünstler für richtig hielten. Jetzt waren sie sich der Publikumsrezeption und der Erwartungshaltung viel bewusster - gut möglich, dass sich der Film "von allein" auf einem etwas leichterem Niveau einpendelte, die Geschichten unnötig sachte eingeführt wurden. Dabei bestünde nie Gefahr, dass die Handlung über die Kinderköpfe hinwegfegt... Die vielen Abenteuer von Winnie Puuh hatte in der Gestaltung seiner Geschichten, oder wohl besser gesagt in der Figurencharakterisierung, für mein Empfinden mehr von diesem subtilen, feinen Intellekt, der vielen modernen Kindergeschichten abgehenden. Dennoch muss ich zugeben, dass dies meckern auf recht hohem Niveau ist, denn auch Winnie Puuh hat einiges davon. Chapeau, selbst wenn mehr drin gewesen wäre!


Im Witz hingegen steht Winnie Puuh seinem Vorbild in nichts nach. Mit seinen zahlreichen Wortspielen, den aus Die vielen Abenteuer von Winnie Puuh bekannten und wohlgeliebten Spielereien mit der Fiktionalität der Geschichten (seien es Interaktionen mit dem Erzähler oder zeichnerische Einfälle mit den Buchseiten des Puuh-Buchs) und dem fantastischen Zusammenspiel der einzelnen Figuren bietet Winnie Puuh gut gesinnten, zeitlosen Humor für Kinder und Ältere gleichermaßen. Das 51. Walt-Disney-Meisterwerk ist schneller darin, einen humorvollen Einfall nach dem anderen rauszuschlagen, dafür hatte das Original von 1977 eine zielgenauere Trefferquote, was sich insgesamt wieder ausgleicht, zumal beide Filme den selben Charme versprühen. Wie auch in Die vielen Abenteuer von Winnie Puuh kam der Witz für mich seltener vom dummen, alten Bären her, der mir nur mit seiner Begriffstutzigkeit ein paar Schmunzler entlockte, als von seinen Freunden. Wenn der stürmische Tigger, das neurotitsche Ferkel, die neunmalkluge Eule und das hibbelige Kanninchen aufeinandertreffen, kann nur belustigendes Chaos entstehen. Tigger drängt sich, anders als in vielen jüngeren Puuh-Produktionen, nicht mehr so stark in den Vordergrund, dafür gibt es noch mehr von jedermanns Lieblingspessimisten I-Ah, der mit staubtrockenen Kommentaren und ständig grummelig-trauriger Laune zum großen Star von Winnie Puuh wird.

Da der Witz in Winnie Puuh vor allem von den Figuren ausgeht, sind die zeichnerischen Leistungen natürlich enorm wichtig. Und da Winnie Puuh eh als kleine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Disneys Zeichentrickabteilung zwischen Küss den Frosch und dem nächsten größeren Projekt anzusehen ist, gilt es umso mehr, einen genaueren Blick auf die zeichnerischen Qualitäten dieses Films zu blicken. Für mich waren vor allem Tigger, I-Ah und Rabbit bemerkenswert, da sie ganz den Geist ihrer Inkarnationen aus Die vielen Abenteuer von Winnie Puuh (und vlt. noch aus Puuhs erster Disney-Zeichentrickserie) trafen, und trotzdem frisch wirkten. Tigger wurde, wie Disney recht medienwirksam bekannt machte, von der aus Deutschland stammenden Zeichnerlegende Andreas Deja animiert. Ich muss euch sicherlich nicht aufzählen, wen er bereits zuvor alles gezeichnet hat, und auch wenn Dejas Tigger wohl nie neben dem Der König der Löwen-Schurken Scar, Aladdins Dschafar oder auch der darstellerisch herausfordernderen Lilo aus Lilo & Stitch stehen wird, ist es eine erneute, makellose Leistung. Wenn Deja bereits etablierte Figuren wie Micky oder nun Tigger zeichnet, merkt man regelrecht, wie intensiv Deja frühere Eckpunkte in der Karriere dieser Figuren studiert, die Skizzen früherer Meister analysiert, um dann die von ihnen in die Figur gelegte Seele wiederzubeleben, dabei jedoch noch etwas von sich selbst hineinlegt. Unter Dejas Figuren erinnert mich sein Tigger ein wenig an Madame Odie aus Küss den Frosch, sie beide haben eine sehr federndes, hüpfendes Naturell - wobei das bei Odie natürlich noch stärker als ungeahnter Dreh in der Kategorie gedacht war, und es bei Tigger schlichtweg dazugehört. Wichtig ist aber, dass Deja es mit dem Rumgehüpfe nicht übertreibt oder Tigger zu steif aussehen lässt. Die CGI-Versionen von Tigger haben das leider nie geschafft.

Während Deja einhelliges Lob erhielt, löste Eric Goldbergs Rabbit in Disney-Fanforen schon etwas zwiespältigere Reaktionen aus. Der Pocahontas-Regisseur, der bei Disneys letztem Zeichentrickfilm für eine der besten Sequenzen des Films verantwortlich war und dem die Trickgeschichte den magischen blauen Wirbelwind Dschinni zu verdanken hat, lässt das gelbe Kanninchen aus dem Hundert-Morgen-Wald in Winnie Puuh sehr wild und schnell herumgestikulieren. Das schmeckt manchen Fans offenbar überhaupt nicht, so dass Goldberg sogar bezichtigt wurde, die Figur ruiniert zu haben. Mir selbst fiel zwar auf, dass Rabbit in Winnie Puuh weitere, größere Gesten an den Tag legte, als gewohnt, fand es aber eine stimmige Neuerfindung der Figur, die für mich einige gesunde Lacher erzeugte.

Neben all diesen Größen ist I-Ahs Chefzeichner vergleichsweise unerfahren: Randy Haycock ist zwar seit Aladdin bei den Walt Disney Animation Studios tätig, allerdings übernahm er erst in Tarzan die Rolle des leitenden Zeichners einer größeren Figur (dem Schurken Clayton). Kurz darauf war er der Chefzeichner von Kida aus Atlantis - Das Geheimnis der verlorenen Stadt, womit er eine legitime Disney-Prinzessin schuf, die vom Konzern gepflegt ignoriert wird. Erst in Küss den Frosch übernahm Haycock wieder die Leitung einer Figur, dieses Mal die von Prinz Naveen. Nach dieser vitalen Figur nun also ein mürrischer Esel - ein harter Übergang, der Wunder wirkte, denn I-Ah hat nicht allein die besten Zeilen, sondern auch zeichnerisch das beste komödiantische Timing im ganzen Film.

Ein wenig enttäuscht war ich von Bruce W. Smith. Nicht etwa, weil der Schöpfer von Die Prouds uninspirierte Arbeit abgeliefert hätte, sondern weil er mit den Figuren von Känga, Ruh und Ferkel wenig Gelegenheit erhielt, besonders aufzufallen. Mit dem formidablen Dr. Facilier in Küss den Frosch schaffte Smith den Sprung in die Liste jener Trickzeichner, von denen ich mir in Zukunft noch wahrlich großes verspreche - aber die Känguru-Randrollen und das mehr von seinem nervös gestammelten Text lebende Ferkel bieten ihm einfach keine Plattform.

Die womöglich größte Talentplattform in Winnie Puuh erhielt dafür Mark Henn, der die leitende Position für Winnie Puuh sowie Christopher Robin innenahm. Eine interessante sowie auf einer Meta-Ebene vielsagende Entscheidung, das muss man dem Studio lassen. Dass ein Junge und sein Lieblings-Plüschtier vom selben Zeichner zum Leben erweckt werden, ist originell und sorgte im Abspann (vorher bekam ich diese Entscheidung nicht mit, irgendwie wurden fast nur Featurettes mit Deja ins Web entlassen) für ein erheitertes Grinsen bei mir. Bloß ist dieser Clou leider schon das stärkste an der Besetzung Henns. Mark Henn ist ein alter Disney-Hase und war zusammen mit Glen Keane für Arielle verantwortlich, später zeichnete er mit Belle, Jasmin und Tiana (aus Küss den Frosch) drei weitere Prinzessinnen. Außerdem war er für Mulan und Pocahontas (mit-)verantwortlich. Ich würde sagen, dass Winnie Puuh klar zu seinen schwächsten Arbeiten gehört. Den dummen, alten Bären hat er noch gut getroffen, in den meisten Szenen hatte ich an ihm nichts auszusetzen. Aber die Animation seines grummelnden Magens war mir bereits einen Tick übertrieben (so müssen andere wohl über Goldbergs Rabbit denken) und in manchen kürzeren Einstellungen fand ich auch Puuhs Gang "iiiiirgendwiiiiiie... nicht... richtig". Bei Christopher Robin hingegen, so übertrieben das klingen mag, traf mich der Schlag. Auf einer handwerklichen Ebene gibt es weiterhin wenig zu beklagen, Henn ist nunmal ein erfahrener Zeichner und fegt die ganze Simpsons- und Family Guy-Meute sowie viele aus den DisneyToon-Studios mit links weg. Es gibt keine zeichnerischen Patzer oder solchiges. Doch das neue Design von Christopher Robin (vor allem die Augen-Partie) irritierte mich unentwegt, auch die Emotionen (von denen es ja nun wahrlich kein riesiges Spektrum zu erleben gab) kamen bei mir einfach nicht an. Christopher Robin war in jeder seiner Szenen ein Fremdkörper, ich war richtig froh, wenn er wieder aus dem Bild latschte.

Mit der Musik erging es mir ähnlich. Zooey Dechanel (im Original) beziehungsweise Barbara Schöneberger (in der deutschen Fassung) passen von ihrer Klangfarbe her wunderbar in die Welt von Winnie Puuh, sind wahre Idealbesetzungen. Woran es, für meinen Geschmack, so stark hakte, waren die neuen Lieder an sich. Ich bin ja bereits den Sherman-Kompositionen für den Hundert-Morgen-Wald nicht all zu treu ergeben, doch sie hatten Charisma, ein sonniges Herz und tolle Melodien. Ihre Nachfolger, Robert Lopez und Kristen Anderson-Lopez, weisen diese Genialität in der Einfachheit nicht auf, die die Shermans ausmachte. Die Sherman-Brüder konnten die einfachsten Lieder schreiben, trotzdem wurden es tolle Stücke. Ja, sogar it's a small world ist wunderbar, wenn man es nicht zu lange hört. Bei den neuen Liedern in Winnie Puuh habe ich diesen besonderen Funken vermisst, es blieben einfache, handzahme, runtergezupfte Kinderliedchen.

Besonders schwerwiegend fand ich dies in der "Balzrück-Sequenz (bzw. Backson-Sequenz). Dieser geistige Nachfolger von Heffalumps und Wusels erfolgt, nachdem Eule eine Nachricht von Christopher Robin als bedrohliches Lebenszeichen des schrecklichen Monsters Balzrück dechiffiert. Das Ergebnis ist eine mit visuellem Einfallsreichtum überbordende Sequenz im Malkreide-Look, mit hervorragendem Tempo und liebenswürdigem Design. Man kann nur davon träumen, welch beschwingtes, unterdrückt schauriges Lied solche begnadeten Komponisten wie die Shermans für diesen Filmmoment geschaffen hätten. Das tatsächliche Balzrück-Lied hingegen bleibt zwar lange im Ohr, fährt aber mit angegzogener Handbremse. Es ist zu langsam, zu sachte arrangiert, als hätten die Komponisten Angst davor, ihr Kinderpublikum zu überreizen. Der Musik geht der Wahnsinn des Leinwandgeschehens ab, weder den Humor der Bilder, noch die beängstigenden Hirngespinste der Hundert-Morgen-Wald-Bewohner kann sie einfangen, um sie pfiffig in Notenform wiederzugeben. Ich erwarte kein Meisterstück wie Rosa Elefanten, wenn sich aber die Sequenz problemlos mit ihrem Vorgänger Heffalumps und Wusels messen kann, dann ist es wohl nicht zu viel verlangt, wenn ich mir auch vom dazugehörigen Lied eine ähnliche Klasse erhoffe.

Diesen Kritikpunkten zum Trotz ist Winnie Puuh das beste, was dem stets hungrigen Plüschbären in den letzten 28 Jahren passiert ist (vielleicht abgesehen von der Themenparkattraktion Pooh's Hunny Hunt, die kann ich nicht beurteilen). Die vielen Abenteuer von Winnie Puuh hat Musik, die mir besser gefällt, und erschien mir etwas selbstbewusster im Umgang mit seinem jüngeren Publikum, weshalb er weiterhin der beste Puuh-Film bleibt, doch Winnie Puuh ist ein wirklich wertvoller Schritt für dieses Franchise und deswegen sollten ihn Disney-Fans und Familien mit jüngeren Kindern wirklich nicht missen. Anders als bei Ferkels großes Abenteuer und Co. müssen die Eltern nichtmal nach der Trailer-Rolle aus dem Kino flüchten - sitzen bleiben lohnt sich wirklich, wenn man aufgeschlossen genug ist.

Was für den Namen Winnie Puuh gut ist, muss jedoch nicht für den Namen Disney gut sein - so ja meine anfängliche Befürchtung. Ein guter Puuh-Film kann noch immer einen kindischen Disney-Film bedeuten, und das wäre nach all dem künstlerischen Lob für Pixar oder der hohen Akzeptanz Jugendlicher für Pirates of the Caribbean eher kontraproduktiv. Also, packen wir den Honigtopf endlich auf den Tisch: Wie sieht sie aus, die Antwort auf meine eingangs gestellten, so provokativen Fragen?

Nun, um nicht zu sehr ins Lamentieren zu geraten (ihr habt heute ja sicherlich alle noch was vor): Schlecht für Disney ist Winnie Puuh wirklich nicht. Selbst wenn man den zu erwartenden Schub der Puuh-Verkaufszahlen außer acht lässt. Es ist ein kleiner Film, als solcher wurde er auch vermarktet. Disney weiß, dass er nicht so eine Massen-Attraktivität wie Rapunzel hat, und so verzichtete man auf eine gigantische Werbekampagne, die sich bemühte, auch den letzten Teenager zu erreichen. Die hätte sicher einige abwertende Kommentare erhalten, und ob das momentan so konzernwirtschaftlich klug gewesen wäre?
Dennoch stellt sich die Frage nach dem Timing: Disney ist momentan in der Verfolgerposition auf dem Animationsmarkt, und nun legt man praktisch eine Pause ein. Noch dazu im Jahr, in dem Pixar einen auf Actionkomödie macht (...Cars 2...). Einerseits ist es lobenswert, dass nicht dauernd die Maxime "Größer, schneller, massentauglicher" verfolgt wird, andererseits hätte ich nach Rapunzel und Küss den Frosch sehr gerne einen wirklich ungewöhnlichen Disney-Trickfilm gehabt. King of the Elves etwa - nur wollte der Produktionsverlauf einfach nicht so, wie ich wollte. Winnie Puuh lag auf dem Tisch, es war ein kleines, schnelles Projekt. Geldsparend, nicht sehr zeitkonsumierend. Ein bisschen wie Dumbo seinerzeit. Es passte in den Zeitplan des Studios, hielt das Kernteam bei der Stange. Besser, als wenn sich Größen wie Eric Goldberg und Andreas Deja mit zweitklassigen Produktionen wie Bambi 2 und Cap & Capper 2 über Wasser halten müssen. Dass Winnie Puuh zu einem suboptimalen Zeitpunkt erscheint, liegt also nicht daran, dass irgendwer dieser Produktion ungerechtfertigten Vorrang gab, sondern daran, dass im Disney-Studio momentan die Ruhe vor dem Sturm herrscht. Wenigstens bekamen wir einen liebenswerten Lückenbüßer.

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4 Kommentare:

Dietrich Reisler hat gesagt…

Ich denke, dass es grundsätzlich nicht böse gemeint und auch nicht schlimm ist, wenn sich ein Film eher an Kinder wendet. Ist ein "Kinderfilm" denn nicht mehr für Erwachsene geeignet? Wenn einen schon etwas als Kind begeistern konnte, warum nicht auch als Erwachsener? Weil man aus dem Alter heraus gewachsen ist? Nein, ich glaube nicht daran.

Die Augen von Christopher Robin sind mir auch gleich am Anfang aufgefallen. Aber ich finde, dass man sich ziemlich schnell daran gewöhnt hat. Ich bin auch der Meinung, dass Christopher Robin derartige Augen eher mehr Lebendigkeit verleihen. Dagegen kommen bei Winnie Puuh und seinen Tierfreunden derartige Knopfaugen besser an - sie verleihen ihm teils so einen Plüschtiercharakter, den er eigentlich auch hat. Es sind laut der Anfangssequenz Plüschtiere im Zimmer von Christopher Robin. Ich verstehe nur nicht, wieso Rabbit und I-Ah keine Knopfaugen haben. Aber nun ja so eine optische Differenz bzw. Gegensatz innerhalb der Gruppe wirkt auch nicht schlecht.

Eine Sache konnte ich bislang noch nicht heraus finden: Wieso ist der US-Start für den 15.07.2011 angesetzt und bei uns in Europa mehrere Monate früher? Hängt das irgendwie mit den anderen derzeitigen US-Releases zusammen, sodass man den Film nicht zur falschen Zeit am falschen Ort veröffentlichen will... hast du eine Ahnung, woran es liegt?

Sir Donnerbold hat gesagt…

Was die Kinder-Sache angeht, fühle ich mich sehr missverstanden.

Es ist ja nicht falsch, an diese Zielgruppe zu denken, ich finde es allerdings katatsrophal, wenn Kinder wie grenzdebile Idioten behandelt werden. Solchen Kram wie die oft herbeizitierten "Teletubbies" kann ich künstlerisch und erzieherisch nicht erdulden, und wenn Disney sowas wie "Micky Maus Clubhaus" oder die letzten Puuh-Serien macht, kommt mir die Galle hoch. Den Geist der Kinder muss gefördert und gefordert werden, dieses "Runtergerede" ist da nicht sehr hilfreich - und ja, ich erwarte deswegen von Kinderserien, -filmen usw. auch, dass sie auch dem erwachsenen Publikum was bieten. Denn dann werden sie auch automatisch nicht so dumm.

Insofern, nein, ich beschwere mich nicht, dass Disney sowas wie "Die vielen Abenteuer von Winnie Puuh" macht oder halt diesen Film. Gute Güte. Ich rege mich über "Winnie Puuhs Bilderbuch", oder den Heffalump-Film auf. Und da bin ich in meiner Meinung auch eingefahren. ;-)

Somit erledigen sich hoffentlich auch deine Fragen "Ist ein "Kinderfilm" denn nicht mehr für Erwachsene geeignet? Wenn einen schon etwas als Kind begeistern konnte, warum nicht auch als Erwachsener? Weil man aus dem Alter heraus gewachsen ist?" - Mir geht es darum, dass man Filme, Serien und Bücher auch so DUMM machen kann, in Angst, Kinder zu überfordern, dass sie eben nicht mehr für Erwachsene zu konsumieren sind. Und, mMn, auch nicht unbedingt von Kindern gesehen werden müssten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es für Kinder schädlich ist, auch mal nachdenken zu müssen - also lieber Grimms Märchen als "Gute Nacht, Mond". Lieber "Sesamstraße" als "Teletubbies". Oder noch besser, direkt von der "Sesamstraße" zu "Die Dinos", also zu etwas, das eigentlich für Erwachsene ist, aber von Kindern mitkonsumiert werden kann. Man könnte sich da auch auf Michael Ende oder Walt Disney beziehen. Ersterer sagte mal (glaube, als er einen Kinderbuchpreis entgegennahm), dass es Schwachsinn sei, Medien nur für Kinder zu gestalten und er diesen Trend verurteile, letzterer wollte, dass seine Filme NICHT nur für Kinder sind. Aber wer mal versucht, einen Tag lang Playhouse Disney zu gucken, der muss eingestehen: Die These, nie für etwas zu alt zu werden, hält nicht. GUTE Kinderunterhaltung bietet auch etwas für Erwachsene. Nur ist halt nicht alles gut. Und dagegen wettere ich.

Ächz, jetzt habe ich doch wieder die ganze Keule rausgeholt... *g*

Ein explizites Statement über den US-Termin habe ich nicht gefunden, glaube aber, dass man halt in den Sommerferien den Familien mit kleineren Familien einen Blockbuster-Gegenpol bieten wollte.

Dietrich Reisler hat gesagt…

Was diese Kinderfilm-Geschichte anbelangt, wollte ich auch nicht dich explizit kritisieren, sondern nur allgemein diesen Aspekt ansprechen. Es gibt eine Menge Leute, die meinen, dass sie für die Serie/Film XY zu alt seien. Meistens wird eh hier in Deutschland gesagt, dass Trickfilme nur für Kinder seien. Aber wenn ich nur von mir ausgehe. In meiner Kindheit habe ich viele Trickserien gesehen... einige mochte ich nicht... aber an anderen hatte ich Spass. Ganz ehrlich, im Bezug auf diese Trickserien, die ich damals sah... Mir fällt es sehr schwer nur eine Serie zu nennen, die ich mir heutzutage nicht mehr ansehen würde. Okay, mit Sicherheit hängt dies auch mit Nostalgie zusammen.
Aber so manche Serien davon konnte ich mir in den letzten Jahren noch ansehen... und bei diesen kann ich auf jeden Fall sagen, ich habe immer noch genau so viel Spass wie damals. Nur weil man selbst älter wird, heißt es noch lange nicht, dass eine Serie (die man früher mochte) schlechter wird. Über die Jahre verändert man sich zwar... so manche Interessen verlagern sich... man ist als Erwachsener nicht immer die selbe Person wie man es als Kind war. Mein Aspekt dabei ist nur: Wenn man sich erinnert, was einem früher Spass gemacht hat, dann kann man auch heutzutage daran Spass haben (und wird nie zu alt für etwas).

Grundsätzlich bin ich aber deiner Meinung. Vor allem, dass gute Kinderunterhaltung auch etwas für Erwachsene bietet.

P.S. Ich habe mal gehört, dass die Teletubbies mehr ein Verbrechen sind als Kinderunterhaltung...

Sir Donnerbold hat gesagt…

Dann war meine Verteidigung ja unnötig, da ich es war, der missverstand. Hupps... :-)

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