Dienstag, 14. Juni 2011

Source Code

Source Code ist der zweite Kino-Langfilm von Duncan Jones, geboren Zowie Bowie. Der Sohn des Rockstars und Teilzeitschauspielers David Bowie machte durch den Science-Fiction-Film Moon im Independentbereich auf sich aufmerksam und legt nun mit Source Code einen größeren, publikumsträchtigeren Film nach. Diese Gelegenheit hat er seinem Hauptdarsteller Jake Gyllenhaal zu verdanken, der schon vor Jones für Source Code verpflichtet werden konnte und als Fan von Moon ihn für den Regieposten vorschlug.

Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich Moonzwar auf DVD besitze, ich bisher allerdings nicht dazu kam, ihn von seinem bedauerlichen Dasein auf meinem "Noch zu gucken"-Stapel zu befreien. Deshalb ist Source Code meine erste Begegnung mit dem bereits als nächste große Kinohoffnung umjubelten Briten. Mit großen Erwartungen bin ich aber nicht an den Thriller herangegangen, denn der Trailer versprach neben einem interessanten Plot auch allerhand Parallelen zur frustrierend unterschätzten Jerry-Bruckheimer-Produktion Déjà Vu. Man ersetze die Fähre durch einen Zug, fertig ist der neue FIlm - so schien es mir nach Sichtung des Trailers.

Tatsächlich erinnert die Handlung von Source Code anfangs eher an 12 Monkeys, auch wenn die Stimmung längst nicht so rau geriet. Dahingehend lehnt sich Source Code eher an Tony Scotts Déjà Vu an, auch wenn beide Parallelen recht bald in den Hintergrund treten und Source Code eine mehr oder weniger eigene Idee verfolgt: Ein junger Mann wacht völlig verwirrt in einem Zug auf, wo er gegenüber einer Frau namens Christina (Michelle Monaghan) aufwacht, die offenbar mit ihm gemeinsam die Zugreise anbrach. Sie spricht ihn als Sean Fentress (Jake Gyllenhaal) an, aber er kennt weder sie, noch irgendjemand anderem im Zug. Er meint, er hieße Colter Stevens und müsse eigentlich als Soldat in Afghanistan stationiert sein, statt mit einem Zug durch Chicago zu fahren. Acht Minuten später jagt eine Bombe den Zug in die Luft und Sean/Colter wacht in einer kleinen Kapsel auf, wo ihn eine Computerstimme dazu auffordert, kleine Gedächtnistests zu bestehen. Daraufhin wird er von Capt. Colleen Goodwin (Vera Farmiga) recht kryptisch instruiert: Er habe die Chance, ein großes Attentat aufzuhalten und müsse deshalb mittels des Source Codes in die letzten Minuten vor dem Zugunglück reisen und herausfinden, wer der Attentäter ist.

Drehbuchautor Ben Ripley, dessen bisherige Vita mit den Billigfortsetzungen Species III & IV sowie dem Fernsehhorror The Watch nicht gerade vertrauenserweckend ist, gibt dem Zuschauer zu Beginn von Source Code keine Gelegenheit, sich auf die sich entfaltene Handlung vorzubereiten. Er stößt sie unmittelbar ins kalte Wasser, und exakt dies erweist sich als die effektivste Vorgehensweise. Man ist ähnlich ratlos wie Sean/Colter und kann sich deswegen hürdenlos in seine Verwirrung, seine Ängste und seinen Frust einfühlen. Durch die (zumindest anfänglich) ausgesparte Exposition ist Source Code von der ersten Minute an hochspannend, weiß zu erstaunen und lässt das Publikum fiebrig miträtseln. Die von manchen Medienvertretern getätigten Vergleiche mit Christopher Nolans Geniestreich Memento halte ich dennoch für unangebracht, da in Nolans Thriller Inhalt und Form die gesamte Laufzeit über eine perfekte Symbiose eingehen, während der Zuschauer in Source Code nach und nach einen gehörigen Wissensvorsprung gewinnt. Vor allem aber wird Source Code während des zweiten Akts mit nachgeschobener Exposition überfrachtet, die zwar dank gut geschriebener Dialoge weiterhin packend präsentiert wird, dem Film allerdings zu früh zu viel von seiner Rätselhaftigkeit raubt.


Dessen ungeachtet bleibt Source Code spannend und, was dringend hervorgehoben werden muss, auch emotional involvierend. Die unvermeidliche, schon im Trailer unübersehbare, Liebesgeschichte nimmt nicht den in ihren ersten Minuten befürchteten Raum ein, sondern wird unaufdringlich vorbereitet und spielt generell eine zwar inhaltlich relevante Rolle, fuscht jedoch nicht in die beklemmende Atmosphäre des Filmanfangs hinein. Sie ist nachvollziehbar und unterstützt die Menschlichkeit von Source Code, die vor allem aus Jake Gyllenhaals darstellerischer Leistung erwächst. Das Herzstück dieses Thrillers ist nämlich Seans/Colters verzweifelte Wahrheitsfindung - sowohl in Bezug auf das Bombenattentat, als auch hinsichtlich seiner eigenen Situation. Er ist in einer, ja, gewissermaßen sogar in zwei Situationen gefangen, an deren Anfang er sich nicht zurückerinnern kann und aus denen es augenscheinlich keinen Ausweg gibt. Gerade seine Diskussionen mit seiner einzigen Verbindung zur Außenwelt, Capt. Goodwin, sind emotional komplex und intellektuell ansprechend. Gyllenhaal läuft nahezu zu Höchstform auf und gibt seiner Figur sehr viel versteckte Tiefe und Vera Farmigas Rolle mag sich nach anfänglicher Mystifizierung immer mehr in ein Genre-Klischee verwandeln, trotzdem gefiel sie mir dank des feinsinnigen, natürlichen Spiels besser als in ihrer Oscar-nominierten Rolle aus Up in the Air. Michelle Monaghan kommt die undankbare Rolle der unwissenden Love Interest zu, ist aber sympatisch und nett anzuschauen. Das mag nicht das höchste Lob sein, doch sehen wir es mal so: Sie lässt ihre Rolle nicht überflüssig oder störend dastehen, sondern macht sie zu einem elementaren Teil des Films. Viele Darstellerinnen hätten in dieser Rolle den Kitschfaktor überdreht oder sonstwie genervt. Im Zusammenspiel mit Gyllenhaal und mittels der stets im Detail variierenden Abläufe während der Zugfahrt macht sie wirklich das beste aus der Sache.

Die Effekte sind, bestenfalls, so lala und die Musik von Chris P. Bacon (Gnomeo & Julia) schwankt zwischen unauffällig und nervig, bloß sind das leider die geringsten Probleme, die ich mit Source Code habe. Die schwerwiegenden Probleme zu erläutern, ohne dabei zu spoilern, ist eine kleine Herausforderung, doch ich nehme sie gerne an: Die ersten zwei Drittel von Source Code sind fantastisch, ich dachte mir "Wow, ein intelligenter und berührender Zeitreisethriller - zwar mit geborgten Ansätzen... allerdings sind die schnell vergessen! Den muss ich dringend weiterempfehlen!"... Tja, und dann bewegt sich Source Code seinem Ende entgegen.

Was mich etwas störte, war dass der Thriller zum Ende hin seine sentimentale Ader zu sehr rauskehrte, was meines Erachtens nach einige der anfänglichen "Versprechen" verriet. Das wäre nicht weiter schlimm gewesen, denn Source Code fand das perfekte, mich damit versöhnende Schlussbild. Wer mich ein bisschen kennt oder gut im Raten ist, wird bei der Sichtung von Source Code gewiss erahnen, welche Stelle ich meine. Bloß ist dieses perfekte Schlussbild nicht das Schlussbild - und danach geht es nur noch bergab.

In Science-Fiction-Thrillern wie diesem muss man selbstverständlich seinen Unglauben zu Gunsten des Films verbiegen. Damit habe ich kein Problem. Womit ich Probleme habe, ist es, wenn solche Geschichten ihre eigenen, stillschweigend geäußerten Versprechen zu Liebe billiger Twists brechen. Und dieses Verbrechens macht sich Source Code schuldig - die innere Logik wird gegen die Wand gefahren, um sich von hinten an den Zuschauer anzuschleichen, ihm in den Rücken zu springen und mit verstellter Stimme "ÜBERRASCHUNG!" entgegenzubrüllen. Für eine sich zuvor so ausgereift gebende Geschichte wie Source Code ist dies sogar ein doppelt schwerer Fehler, denn wenn man vor diesem Twist den Zuschauer zum Denken anregt, dann überdenkt dieser auch den Twist sowie seine Folgen. Und, sofern ich in den letzten fünfzehn Minuten nicht vor lauter Frust und Ärger völlig auf Durchzug gestellt habe, dann nimmt Source Code eine Wendung von ausgetüftelter Plausibilität zu miesester, auf Schall, Rauch und ablenkende Lichteffekte setzender Hollywood-Logik. Selbst wenn ich irgendwelche (vermeintlich?) logischen Ausflüchte versäumt habe... die letzte Viertelstunde von Source Code hat es sozusagen mit mir verscherzt. Man kann mir nun die schlüssigsten Erklärungen bieten, im Kern bleibt immer noch eine Wende zur Inkonsequenz, die weit von dem entfernt liegt, was ich gern gesehen hätte.

Ob ich Source Code dennoch empfehlen kann? Jein. Der Löwenanteil des Films ist atmosphärisch dicht, hochspannend und bietet einen wundervoll agierenden Jake Gyllenhaal - das zu versäumen wäre für (Sci-Fi-)Thriller-Fans und Freunde von Zeitreisegeschichten sehr schade. Das Ende ist aber wohl eine klare "Lieb' es oder hass es!"-Kiste. Ich denke, wenn man sich nicht schon während des Films zu viele Gedanken über den Ausgang macht, wird man ihm gegenüber aufgeschlossener sein, als ich es beispielsweise war. Aber selbst dann muss man es dringend als gegeben hinnehmen, statt mit seinen Überlegungen zu weit abzuwandern, denn das Ende ist vielleicht ganz raffiniert - nur nicht als Abschluss dessen, was zuvor rund 80 Minuten lang vorbereitet wird.

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5 Kommentare:

Klaus hat gesagt…

Ich bin mir sicher, dass ich weiß, welches Bild (im Wortsinn) Du als perfektes Schlussbild meinst. Ja, das wäre auf jeden Fall das passende, stärkere Ende gewesen. Ein paar Sitze weiter ist bei dem Bild jemand spontan ein entsetztes "Nein" herausgerutscht.

Mir persönlich gefällt auch das tatsächliche Ende, weil ich diese Art Schluss mag ;-)

Anonym hat gesagt…

ich hab den Film grade gesehen und möchte jetzt wissen, wann dein perfektes Ende gesesen wäre (ich kenn dich offensichtlich nicht gut genug), oder ist es etwa das kurze Standbil am Ende der letzten acht Minuten?

Sir Donnerbold hat gesagt…

Vielleicht kennst du mich nicht gut genug, aber du scheinst nicht all zu schlecht im Raten zu sein. Tatsächlich hat es mir das Standbild mit all seinen schönen und weniger schönen Implikationen angetan.

Anonym hat gesagt…

Ich hätte es als Ende ganz einfach auch besser gefunden^^

Anonym hat gesagt…

Komme gerade aus dem Film und muss dir (leider) völlig Recht geben. Das Ende ist großer Mist, wirkt so als ob der Produzent dem Regisseur ins Handwerk gepfuscht hat, damit das Ende mehr "hollywoodlike" wird. Schade, richtig gute Filme haben ein gutes Ende, hier ruiniert es den an sich guten Film.

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