Freitag, 9. Dezember 2011

Sinbad - Der Herr der sieben Meere


Mit dem letzten gezeichneten DreamWorks-Film erreichen wir nicht nur das Ende einer Ära bei Disneys hartknäckigsten Konkurrenten, sondern auch das Ende der Ära, als Zeichentrick noch das Standardmedium des Animationsfilms war. Damals war Computeranimation noch das Novum und Zeichentrick der Platzhirsch, aber eine Reihe von Flops im Zeichentrickbereich sowie die enormen Erfolge Pixars und der Shrek-Filme führten zu einem Grundsatzwechsel. Nunmehr ist Zeichentrick (zumindest in der westlichen Filmwelt) die Ausnahme und Computeranimation der kaum mehr übersehbare Alltag. Dass zu Beginn des letzten Jahrzehnts mit DreamWorks und Disney gleich zwei einst erfolgreiche Trickstudios dem traditionellen Trickmedium absagten, ist der ruhmlose Verdienst gleich zweier abenteuerlicher Seefahrts-Trickfilme: Disneys Der Schatzplanet und DreamWorks' Sinbad. Der Flop von Der Schatzplanet tut mir bekanntlich ungeheuerlich leid, und mittlerweile hat der Film seine Fangemeinde und Respekt innerhalb der Branche gefunden.

DreamWorks' geschätzt 60 Millionen Dollar teures Trickspektakel wiederum ... Oh, Leute, es ist vollauf verständlich, weshalb er die Kinokassen nicht vor lauter Nachfrage in Brand setzen konnte, aber er hat es keineswegs verdient, so ein enttäuschender Film zu sein. Denn eine Handvoll Probleme zerrt hier ein auf dem Papier überzeugendes Seefahrtsabenteuer in die Unterdurchschnittlichkeit.

Eine Geschichte, die die Götter reizt
Eris, die Göttin des Chaos und der Zwietracht, betrachtet in neckischer Laune das Erdenrund und entdeckt ein Ereignis, dass sich geradezu vorzüglich für ihr Einschreiten eignet: Der räuberische Seefahrer Sinbad (ja, DreamWorks hat in der dt. Fassung das bei uns übliche "d" nach der ersten Silbe fallen lassen) ist im Inbegriff, das Buch des Friedens zu stehlen. Dieses befindet sich an Deck eines königlichen Schiffes, wo es von Proteus, einem alten Weggefährten Sinbads, überwacht wird. Eris entsendet eines ihrer Ungeheuer auf die Erde, um das Schiff anzugreifen. Aufgrund dessen misslingt es Sinbad, das legendäre Buch des Friedens zu stehlen, durch sein heldenhaftes Einschreiten in den Kampf gegen das Seeungeheuer knüpft er allerdings neue Bande mit Proteus.

Nach der Schlacht mit Eris' Ungetüm wird Sinbad unter Wasser gezogen, wo ihm die listreiche Göttin erscheint und ein Angebot macht: Sie sei ihm einen Gefallen schuldig, sollte er ihr das Buch des Friedens überreichen. Sinbad willigt ein, bricht das Unterfangen jedoch ab, als er Proteus und seiner Verlobten Marina in deren Heimat begegnet, wo das Buch des Friedens in einem Tempel aufbewahrt wird. Eris gibt sich nimmt daraufhin die Gestalt Sinbads an und entwendet das Buch eigenhändig. Der als Täter beschuldigte Sinbad wird zum Tode verurteilt, doch Königssohn Proteus erbittet bei seinem Vater einen Austausch: Sinbad habe zehn Tage, seine Unschuld zu beweisen und mit dem Buch zurückzukehren. Anderweitig wird Proteus an Sinbads Stelle geköpft.

Somit beginnt eine abenteuerliche Reise für Sinbad, seine Crew und die abenteuerlustige Marina, auf der sie Sirenen sowie Eisungeheuern begegnen und über den Rand der Welt ins Reich des Chaos segeln müssen ...

Eine Seefahrt, die ist gezeichnet, ja, eine Seefahrt, die ist digi-taaal ...
Nun gut, das mit dem Singen in den Überschriften muss ich vielleicht noch lernen. An dieser Stelle ist es aber nicht so entscheidend, denn in Sinbad verzichten die DreamWorks-Studios gänzlich auf Gesang. Weder stimmen die Figuren ein Liedelein an, noch schmettert ein Pop- oder Rockstar aus dem Off eine potentielle Hit-Single. Damit setzt sich der Schwanengesang des DreamWorks-Zeichentricks von Disneys von Hand gezeichneten Abschiedsära ab, welche zwar ebenfalls der Musicalformel abschwor, allerdings von Atlantis abgesehen nicht völlig auf Liedgut verzichten wollte. Selbst Der Schatzplanet, der indirekte Konkurrenzfilm von Sinbad, wartete immerhin mit John Rzezniks I'm still here auf, welches aus dem Off eine Monatgesequenz kommentierte.

Disneys kostspieliger Flop über Seefahrer in gezeichneten Welten voller digitaler Wunder ...

Ansonsten kann der geneigte Zuschauer wieder einmal fröhlich Parallelen zwischen Disney und DreamWorks ziehen: Sowohl Der Schatzplanet, als auch Sinbad waren für ihre jeweiligen Studios überaus kostspielig (wobei DreamWorks mit vermeintlichen 60 Millionen gegenüber Disneys Ausgaben jenseits der 140 Millionen klar günstiger wegkam), sprachen gezielt das Jungs-Publikum an, welches mittlerweile sehr gut von Shrek bedient wurde und legten besonderes Augenmerk auf Abenteuer-Action inklusive erstaunlicher Trick-Effektarbeit. Letzteres sollte durch eine nahtlose Verschmelzung von Computeranimation und Zeichentrick erreicht werden. Schelmische Kinogänger wittern erneut ein wildes, geistiges Geklaue zwischen zwei erbitterten Konkurrenzstudios, doch in Wahrheit sind diese Filme auf der Handlungsebene und in ihrer Gesamtstimmung sehr unterschiedlich. Es besteht, zumindest meiner Ansicht nach, kein Grund zur Vermutung, dass in feinster "Das große Krabbeln vs. Antz"-Manier ein künstlerischer Kleinkrieg stattfand. Viel eher spiegeln sie den zur Jahrtausendwende vorherrschenden Zeitgeist im Trickfilm-Business wider: Der Markt für Märchen-Trickmusicals galt als übersättigt, und verbissen versuchten die Studios, das sich etwas ernster nehmende, gezeichnete Abenteuerepos als ebenso erfolgsversprechendes Genre zu etablieren.Hinzu kommt der sanft aufglimmende Pioniergeist jener Tage, als man noch dachte, den Computer ebenso effektiv als Stütze für den Zeichentrick zu verwenden, wie er auch als Standsäule eines eigenen Mediums funktionierte. Schon erklären sich einige der Parallelen zwischen diesen Filmen.

Bevor ich auf den Inhalt gehe, sei an dieser Stelle kurz etwas über die Qualität des Trickhandwerks in Sinbad erwähnt. Und da bin ich zwiegespaltener Meinung: Das CGI-Wasser etwa ist deutlich besser als in den anderen DreamWorks-Filmen und an die computergenerierten Schiffe kann man sich gewöhnen - auffällig sind sie dennoch. Am besten sind Effekte ja, wenn man sie nicht als solche wahrnimmt, misslingt dies, ist es aber tröstlich, wenn sie immerhin schön sind. Die Monsterparade in Sinbad ist eine Achterbahnfahrt: Das zu Beginn des Films auftauchende Monster mit Tentakelmaul gelang für das Jahr 2003 sehr gut, der später vorkommende Eisvogel Roch hingegen ist zwar ganz putzig gestaltet (dass der Konzeptkünstler Jahre später an Drachenzähmen leicht gemacht beteiligt war, ist überdeutlich), durch das Shading, die "digitale Beleuchtung", und seine detailarme Oberfläche wirkt er jedoch wie aus einem schnell zusammengeschusterten Pokémon-Werbespot entfleucht. Schlecht ist die Effektarbeit zu keinem Zeitpunkt, dennoch ist sie von einem eher unsteten Niveau. Für sich betrachtet sind die CGI-Ungetümer und andere Schauwerte wirklich ansehnlich, allerdings erreichen sie niemals solch eine Verschmelzung mit den traditionellen Elementen, wie es im meilenweit davonsegelnden Der Schatzplanet der Fall ist. Absolut "rund" sind nur die Sirenen (welche jedoch für meinen Geschmack zu durchsichtig geraten sind), der computeranimierte Schnee sowie die Kamerafahrten durch die Eislandschaft. Den wandelnden Effekt Eris lasse ich an dieser Stelle bewusst aus, da ich weiter unten noch auf sie zu sprechen komme. Denn während die Effektanimation eigentlich recht gelungen ist, hapert es an grundlegenderen Dingen ...

... und DreamWorks' kostspieliger Flop über Seefahrer in gezeichneten Welten voller digitaler Wunder

Trotzdem lässt es sich einfach nicht ausblenden, dass Sinbad stellvertretend für die letzten Atemzüge des einstigen Zeichentrick-Aufschwungs steht. Und, wer weiß, in einem parallelen Universum würde er nun vielleicht als einer der großen Trendsetter gefeiert. In der Riege von Der Schatzplanet und Sinbad lässt sich zudem problemlos Don Bluths Titan A. E.aufnehmen, der ebenfalls einen jugendlichen, männlichen Helden durch ein musikarmes Abenteuer voller Animationstechniken vereinender Effekte rennen lässt. Letzterem fehlt allerdings ein Element, welches Sinbad und Der Schatzplanet gemein haben: Ted Elliott & Terry Rossio.

Skriptänderungen, die die Autoren reizen
Elliott und Rossio, die Disney zu Aladdin verhalfen, von dessen Regisseuren John Clements & John Musker daraufhin um Hilfe beim Skript zu Der Schatzplanet gebeten wurden und zudem beim Konkurrenten DreamWorks eine Arbeitsstätte fanden, wo sie für Shrek eine Oscar-Nominierung erhielten, werden im Abspann von Sinbad nicht als Autoren genannt. Trotzdem war das Duo, welches kurz nach dem Megaflop gleich zweier Seefahrtsabenteuer mit Fluch der Karibik endlich wieder die Kasse klingeln ließ, ein essentieller Bestandteil der Entstehungsgeschichte dieses Trickepos.

In der frühen Anfangsphase des Projekts war Sinbad nicht einmal als eine Geschichte über den legendären Helden Sinbad geplant. Ted Elliott und Terry Rossio, die in Hollywood jahrzehntelang mit verschiedenen Entwürfen zu Seefahrtsabenteuern hausieren gingen, planten eine Adaption der antiken griechischen Erzählung von Damon und Phintias. Diese sollte eine romantische Abenteuer-Geschichte mit einem tragischen Liebes-Dreieck werden. Als sie Jeffrey Katzenberg die Grundstruktur ihrer Filmidee vorstellten, schlug dieser vor, daraus eine Sinbad-Story zu machen. Rossio und Elliott, die bereits Mitte der 90er eine Sinbad-Verfilmung planten (zwischenzeitlich landete dieser Entwurf in den Disney-Trickstudios) passten ihre Grundidee an und verwendeten dabei auch Versatzstücke aus ihrem ursprünglichen (damals noch sehr komödiantischen) Sinbad-Entwurf, und schufen daraus ein romantisch-dramatisches Abenteuer:

Die Götter Eris und Janus debattieren über die Natur des Menschen. Eris ist überzeugt, dass der Mensch in seinen Grundzügen boshaft ist, während Janus vom Gegenteil überzeugt ist. Eris schlägt einen Test vor, dessen Mittelpunkt der Tunichtgut Sinbad darstellt. Dieser wuchs in der majestätischen Hafenstadt Syracuse auf. Während Sinbads bester Freund Proteus zum Oberhaupt der königlichen Garde aufstieg, ist Sinbad ein fauler Kerl, der andauernd in Ärger gerät. Der König von Syracuse liegt im Sterben, weshalb die bildhübsche Roxanne, Diplomatin und Trägerin des Buchs des Schicksals, die Stadt besucht. Das magische Buch soll den Namen des bestmöglichen Thronfolgers offenbaren und so einen drohenden Krieg abwenden.
Die Bürger Syracuses sind sich bereits sicher, dass der ehrliche und mutige Proteus diese Position erhalten wird ... Proteus verliebt sich in Roxanne, ist jedoch nicht wortgewandt genug und zu schüchtern, um sich ihr anzunähern. Nur durch die Hilfe Sinbads verlieben sich die beiden ineinander. Währenddessen raubt Eris in Gestalt Sinbads das Buch des Schicksals, weshalb dieser zum Tode verurteilt wird. Proteus schlägt einen gesetzesmäßigen Austausch vor (das kennen wir ja auch aus der endgültigen Fassung des Films).

Roxanne misstraut jedoch Sinbad und fürchtet um Proteus, an dessen Seite sie in Zukunft über Syracuse regieren möchte. Deswegen schleicht sie sich an Bord von Sinbads Schiff, um sicherzustellen, dass er das Buch des Schicksals rechtzeitig zurückbringt (im Gegensatz zu Marina im endgültigen Film, die hauptsächlich ihre Abenteuerlust stillen möchte). Die Göttin Eris lässt Sirenen, einen Monsterkraken und einen Roch die Wege Sinbads kreuzen und schickt ihn sogar über den Rand der Welt hinaus, um ihn dazu zu bringen, sein Versprechen gegenüber Roxanne und Proteus zu brechen. Im Laufe dieser Mission lernen sich Roxanne und Sinbad besser kennen, respektieren ... und letztlich lieben. Selbst wenn sie sich diese Gefühle niemals eingestehen würden. Schließlich wäre es für beide ein Betrug an Proteus.

Als Sinbad und Roxanne im Gottresreich Tatarus ankommen, stellt Eris Sinbad vor eine Prüfung: Sie überreicht ihm das Buch nur, wenn er ihre Fragen allesamt wahrheitsgemäß beantwortet. Die ersten Fragen beantwortet er korrekt, doch dann fragt ihn Eris, ob er sich in Roxanne verliebt hat. Sinbad gerät in einen inneren Konflikt und beschließt, mit "Nein" zu antworten, da es die Antwort ist, von der er sich wünscht, sie wäre wahr. Ein Höllenfeuer bricht aus und schmeißt das Abenteurer-Duo aus Tautarus.

Sinbad und Roxanne kehren nach Syracus zurück, gerade noch rechtzeitig, um die Exekution Proteus' zu verhindern. Die Wiedersehensfreude ist jedoch von kurzer Dauer, da Sinbad seinem Freund gestehen muss, dass seine Mission scheiterte. Sinbad beugt sich dem Henker. "Urplötzlich, in einem deus ex machina Ende, das einer griechischen Legende würdig ist" (so Terry Rossio über sein Konzept), erscheint der Gott Janus. Eris habe ihre Wette verloren, da Sinbad unstreitbar bewiesen habe, ein guter Mensch zu sein. Janus verlangt von Eris, dass sie ihre Wettschuld in Form des Buch des Schicksals bezahlt. Dies offenbart, dass wider Erwarten nicht Proteus, sondern Roxanne die Thronfolge des Königs von Syracuse einnehmen soll.

Sinbad vereinbart mit Roxanne ein geheimes Treffen, zu dem sie allerdings nicht erscheint. Stattdessen trifft Proteus ein, um sich von seinem Freund zu verabschieden. Roxanne kann die würdevolle Position einnehmen, von der sie Zeit ihres Lebens träumte, Hand in Hand mit Proteus, und Sinbad segelt "hinein in den Sonnenuntergang, um noch mindestens sechs weitere Abenteuer zu erleben".

Ich muss Terry Rossio zustimmen: Das ist eine verflucht geile Geschichte. Der aufmerksame Leser wird bemerken, dass das große Bild weiterhin zahlreiche Ähnlichkeiten zum finalen Film aufweist. Der Teufel liegt aber wieder einmal im Detail. So vermeintlich klein die Unterschiede zur endgültigen Geschichte (oder viel mehr zu den endgültigen Figuren) sein mögen, so gravierend sind ihre Auswirkungen.

Sinbad ist im finalen Film ein viel zu großes Arschloch, weshalb es schwer fällt, auf seiner Seite zu sein. Da Proteus ein durch und durch guter Kerl ist, jedoch in der Filmversion dieser Geschichte keinen Anlass hat, Sinbad zu vertrauen (sie gingen all zu lang getrennte Wege, und selbst sein Einschreiten bei der Seeungeheuer-Attacke kam mehr aus dem Affekt heraus), hält man ihn obendrein für saubdumm, dass er sein Leben in Sinbads Hände legt. Die in Marina umbenannte, nun nach Abenteuer gierende Roxanne letzten Endes ist emotional völlig unverständlich. Ihre Beziehung zu ihrem Verlobten Proteus ist unterkühlt, und was sie an Sinbad findet (der sie bei jeder Gelegenheit runterbuttert), bleibt ein Rätsel. Man gönnt es keiner der möglichen Beziehungen in diesem Film, am Ende aufzugehen.

Das Liebes-Dreieck in Sinbad - Der Herr der sieben Meere hinkt also von hinten bis vorne. Aus dem genialen Entwurf machten die Regisseure, die Produzenten und der neu dazugezogene Autor John Logan durch minimale Änderungen eine wesentlich lafferes Abenteuer. Somit verlor auch der "Subplot" um den "MacGuffin", das Buch des Schicksals, an Dramatik. Das sah auch das Produktionsteam ein. Während Ted Elliott und Terry Rossio hofften, dass das Skript nun in seinen Ursprungszustand zurückversetzt wird, änderte man stattdessen auch diesen Aspekt des Films. Proteus wurde zum Prinzen und gesetzten Thronfolger, das Buch des Schicksals zum ominösen Buch des Friedens und Eris finale Prüfung gekürzt. Da die Liebe zwischen Sinbad und Marina nicht weiter verboten ist (sie und ihr Verlobter können sich eh nicht leiden), musste eine andere Frage her.

Wie Terry Rossio in seiner Kolumne über fatale Drehbuch-Entscheidungen ausführt, schickte er ein ausführliches Memo an DreamWorks, in dem er erläuterte, weshalb die Geschichte von Sinbad in dieser Form nicht funktioniert. Dieses fand kein Gehör, weshalb er ein zweites, kürzeres verfasste. Jeffrey Katzenberg antwortete darauf, indem er Rossios Ansichten als "provokant" bezeichnete. Daraufhin wurden Rossio & Elliott nicht weiter in die Entwicklung des Films eingebunden.

Der störrische, unympatische Held in einer perspektivisch schwer überschaubaren Welt
Auch unabhängig von der verwüsteten Figurenkonstellation, die mit dem dramaturgischen Überbau keine Einheit eingehen will, leidet Sinbad mehr als wohl jeder andere DreamWorks-Trickfilm an der für dieses Studio symptomatischen Unfähigkeit, einen liebenswerten Helden auf die Leinwände zu bringen. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel (in den letzten Monaten scheinen sich diese Ausnahmen anzuschicken, die Regel sogar außer Kraft zu setzen, aber noch bleibe ich dabei!), allerdings ist dieses Abenteuer ein absolutes Paradebeispiel. Sinbad ist vollkommen seelenlos, egoistisch und obendrein damit erfolgreich - eine Charakterwandlung ist nicht auszumachen, so dass man im Finale vollkommen verdutzt vor dem angeblich geläuterten Titelhelden sitzt und sich fragt, wann genau er eigentlich seine Lektion gelernt hat. Und wie. Und warum. Ihm ging's ja gut mit seiner Arschloch-Masche. Zudem erschweren sowohl Brad Pitts, als auch in der dt. Fassung Benno Fürmanns Sprecherleistung jegliche Zuschauer-Anbändelung mit Sinbad - beide sprechen viel zu trocken und betonen viel zu künstlich

Und wenn ich schon dabei bin: Die Hintergründe in Sinbad sind ja prachtvoll, und die Effekte ja für sich betrachtet auch sehr gut. Das Figurendesign ist auch ganz okay - aber was bei der Animation schief lief, wüsste ich schon gerne. Sinbad, Proteus und Marina bewegen sich ungeheuerlich steif (was gerade beim ersten dafür sorgt, dass er als erschrockener Held sehr unglaubwürdig rüberkommt) und in vielen Sequenzen (vor allem in den ersten fünfzehn bis zwanzig Minuten) scheinen die Figuren aneinander vorbeizureden. Sie schauen sich nie direkt an, sondern immer leicht an ihrem Gegenüber vorüber, was mich beim Filmgenuss völlig irritiert.

Nicht, dass ich nicht oft genug vollkommen verwirrt vor den bunten Bildchen sitzen würde. Denn die Regisseure bewiesen in Sinbad kein wirklich großes Gespür für Perspektive und Kameraeinstellungen. Während die Kamerafahrt während Sinbads und Marina Rutscherei durch eine Eislandschaft superb ist, verliert man beim ersten Ungeheuerangriff durch die missglückte Verschmelzung von CGI und Zeichentrick unentwegt den Überblick. Auch im restlichen Film gibt es immer wieder Einstellungen, in denen das Auge hilflos einen Bezugspunkt sucht. Der Schattenwurf (seit Der Prinz von Ägypten ist DreamWorks ja sehr bemüht, mehr Wind und Schatten als Disney zu bieten) ist auch absolut übertrieben. Die winkligen, vor dem CGI-Hintergrund jedoch überaus flachen Figuren wurden scheinbar planlos an manchen Stellen schattiert - ein stimmiges Bild ergibt sich nur ab und an.

Der kleine, göttliche Faktor
Eine völlige Katatsrophe ist Sinbad dennoch nicht. Ich würde ihn immer noch meilenweit über Spirit ansiedeln. Zu den rettenden Faktoren dieses katatsrophal gescheiterten Trickepos (ein Eröffnungswochenende von 6 Millionen Dollar in den USA spricht wohl für sich) gehört vor allem die Göttin Eris, in deren Animation sämtlicher Schwung und jegliche Dynamik gesteckt wurde, die den restlichen Figuren abhanden kam. Unentwegt ist sie in Bewegung, ihre Haare fließen betörend daher und ihre Mimik ist sehr ausdrucksstark. Im Regiekommentar sagen die Filmemacher, dass Eris Bewegungen, die mit einem Schuss Milch im Kaffee vergleichbar sind, dafür sorgten, dass sie gleichermaßen Figur und Effekt sei. Und diese Herausforderung hat man grandios gemeistert.

Ebenso großartig ist Michelle Pfeiffer als Eris' verführerische, durchtriebene Stimme. Während Brad Pitt wohl mit Matt Damon eine Wette laufen hatte, wer sich hinterm Mikro desinteressierter geben kann (Damon hat gewonnen), gibt Michelle Pfeiffer einfach alles. Und in der deutschen Synchro steht Daniela Hoffman der Vorlage von Frau Pfeiffer in Nichts nach.

Überhaupt bündeln sich die Höhepunkte des Films rund um Eris: Harry-Gregson Williams' verspielt-listiges Leitmotiv für die Göttin des Chaos ist spritzig und toll anzuhören. In der ersten Szene würde ich es mir etwas tiefer wünschen, aber im Laufe des Films wird das Arrangement auch schauriger, so dass ich nicht zu viel mäkeln möchte. Die Begleitmusik der Sirenen-Sequenz ist ebenfalls großartig und hat einen leichten Phantom Manor-Vibe.


Ansonsten habe ich wohl alles zu diesem Film gesagt, was ich im Rahmen dieser Kritik sagen möchte. Es ist eine tolle Verpackung, wenn auch anfängerhaft zusammengeklebt, für ein tolles Abenteuerkonzept, das zu Grunde revidiert wurde. Wenn man Sinbad unaufmerksam guckt, ist er so gleich deutlich interessanter, da man die jegliche emotionale Verbindung verhindernde Figurenzeichnung und -konstellation nicht mitbekommt. Und zumindest mich erinnert er bei unkonzentrierter Begutachtung an ein deutlich spannenderes Epos. Dazu zu einem anderen Zeitpunkt mehr ...

Siehe auch:

5 Kommentare:

Zeitzeugin / Wortgezeiten hat gesagt…

Hm, es ist länger her, dass ich diesen Film gesehen habe, doch erinnere ich mich daran, ihn wirklich witzig und gut gefunden zu haben... Ich muss ihn mir nochmal ansehen, definitiv!

Lutz hat gesagt…

Ich finde diesen Film grässlich. Die einzigen guten Faktoren sind ein paar visuelle Umsetzungen (Sirenen) und alles, was mit Eris zu tun hat (Michelle Pfeiffer, Musik, Grafik), der Rest ist Murks, vor allem dieser furchtbare Köter.

Ich finde allerdings auch Ted & Terry's ursprüngliche Story nicht so toll und das liegt vor allem daran, dass es einfach nichts mit Sindbad zu tun hat. Dieses ganze Projekt ist von Anfang an, zumindest seit Katzenbergs Vorschlag mit "Herkules" und "Xena" als Vorbild entwickelt worden. Das Problem dabei ist, dass der Look dieser Serien sich keinen Deut um griechische Mythologie kümmert (zum Inhalt sag ich mal nichts).

Ich habe nichts gegen freie Umsetzungen von Sagen- und Märchenstoffen, aber mir ist wichtig, dass sie zumindest in der Welt spielen, in der sie gehören und dieser Sindbad hat in dieser Welt nunmal einfach nichts verloren. Von daher hatte der Film schon von Anfang an schlechte Karten bei mir. Die paar minimalen Anspielung, z.B. an den Vogel Roch, haben es nicht rausreißen können. Dazu kommt, dass dieser ganze Film, wie du schon ganz richtig sagtest, einfach wirr zusammengestückelt wirkt. Selbst in der Welt, die er erschafft, scheinen die Figuren nicht wirklich zu Hause zu sein.

Stefan Kraft hat gesagt…

"Die Göttin Eris lässt Sirenen, einen Monsterkraken und einen Roch die Wege Sinbads kreuzen und schickt ihn sogar über den Rand der Welt hinaus, um ihn davon abzubringen, sein Versprechen gegenüber Roxanne und Proteus zu brechen."
Du meinst doch eher "sein Versprechen ... zu erfüllen", oder?

Sir Donnerbold hat gesagt…

Nope, ich meinte das, was nun an jener Stelle steht. Das kommt davon, wenn man Sätze halb fertig schreibt, was anderes macht, und dann mit dem vermeintlich ersten Gedanken weitermacht. Sorry für den Fehler und Danke für den Hinweis!

@ Lutz: Nachvollziehbare Meinung, und wenn ich nicht irre, gab es zum Kinostart doch sogar eine kleine Kontroverse diesbezüglich, oder?

Cooper hat gesagt…

Ich habe Dreamworks Sinbad bisher nicht gesehen, doch dank deines Reviews versuche ich mal, diesen Umstand zu ändern.
Warum?
Wohl aus einigen Gründen, die du so nicht haben wirst.^^
Da wäre zunächst mal, die doch deutlich vorhandene Lücke, bei den fast reinen 2D-Zeichentrickfilmen aus dem Hause Disney oder Dreamworks im neuen Jahrtausend.
Ich werde mir sicherlich niemals freiwillig Filme wie "Die Kühe sind los" oder "Ein Königreich für ein Lama" ansehen - aber bestimmte Filme haben es dann doch verdient.

So wie "Der Schatzplanet" seine Chance bekommen sollte, weil mich dein Review doch für den Film begeistern oder zumindest interessieren konnte, geht es mir im Augenblick mit "Sinbad" von Dreamworks.
Durch weitere Recherche nach Bild/Tonmaterial zu "Sindbad - Der Herr der sieben Meere" habe ich wirklich ein gesteigertes Interesse an Eris und die englische bzw. deutsche Synchronisation v.a. dieser Figur entwickelt - möchte mich aber auch selbst von den Pros und Contras in deinem Filmkommentar überzeugen.

Hielt mich damals bei "Der Schatzplanet" meine Begeisterung für das Buch von R.L. Stevenson sowie der tolle 70er Anime "Takarajima" ab, so war dies bei Dreamworks "Sindbad" maßgeblich der überragende "Aladdin" aus dem Hause Disney mit seinem prächtigen Kinofilm, einem soliden 2. Teil und einem stärkeren 3.DtV-Ableger - daneben aber erneut ein Anime zu der Figur des Sindbad, der seit Ende der 70er Jahre immer wieder im TV lief und mich schon als Kind fesselte.
Nicht zu vergessen ist das Erscheinen der Playstation 2 Spielreihe mit dem für Videospielen geschichtsträchtigen Namen "Prince of Persia", die mich mehr interessierte als die x-te Sindbad Version - zumal ich nahezu alle Realfilme als Kind gesehen hatte.

Nun - es ist bekanntlich nicht immer zu spät sich einer Sache zu widmen, sofern diese noch erreichbar ist.
Sicherlich werde ich den Film von Dreamwork nie so lieben können wie "Der Prinz von Ägypten", aber zumindest für das ein oder möglicherweise mehrmalige Ansehen sollte es nach deinen Infos und dem, was dann an Recherche folgte, reichen.

Dann fehlt mir von den bekannten 2D-Animationsfilmen nur noch "Lilo und Stitch" sowie "Fantasia 2000" von Disney sowie 'kleine & feine' Produktionen - wie "Der Illusionist" u.a.

Es wird zwar auch weiterhin eine Lücke geben bei den "Meisterwerken" (s.o.g. Filme) - aber sie ist dann Kleiner und ich kann immerhin auf eine Komplettierung der Dreamworks Animationsfilme im Spielfilmformat blicken. Da war Disney nach dem Millenium leider nicht gut genug - bei aller Liebe zu den tollen Zeichentrickfilmen, die sie ab 2009 wieder machen konnten.
Was die computeranimierten Filme betrifft, die seit dem Jahr 2000 Teil des Meisterwerke-Kanons sind - nun diese haben es weiterhin schwer bei mir...

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