Samstag, 31. Oktober 2015

Disney's D-TV Monster Hits


Micky Maus, Donald Duck, Pluto und viele kleine Teufelchen tanzen zu dezent schauriger Popmusik: Zu Halloween kommt sicher der eine oder andere Disney-Liebhaber auf die Idee, einen Fan-Edit zu erstellen, der dies ermöglicht. Dabei ist das gar nicht nötig. Denn dank Disney's D-TV Monster Hits gibt es bereits eine sehr interessante Ansammlung an Disney-Musikvideos, die sich perfekt für diesen schaurig-schönen Tag im Oktober eignen.

Bei Disney's D-TV Monster Hits handelt es sich um ein Fernsehspecial, das in den USA 1987 erstmals bei NBC ausgestrahlt wurde. Es war das dritte und letzte Special, das unter der Marke D-TV beim US-amerikanischen Network zu sehen war, zuvor gingen im Februar 1986 und Februar 1987 bereits Valentinstags-Sondersendungen über den Äther. Erfunden wurde das Label D-TV aber bereits 1984: Auf der Erfolgswelle von MTV entschloss Walt Disney Productions, klassische Cartoons aus seinem Archiv sowie Ausschnitte aus den abendfüllenden Trickfilmen zu nehmen, und daraus Musikvideos zu großen Hits aus den Bereichen Rock, Pop sowie Rhythm & Blues zusammen zu stellen. Diese Videos liefen als Füllmaterial im Disney Channel und waren beliebt genug, um mehrere VHS-Compilations zu erhalten. Sowie, wie bereits erwähnt, drei Specials beim größeren Sender NBC.

Das Halloween-Special wird vom sprechenden Zauberspiegel aus Schneewittchen und die sieben Zwerge (gesprochen von einem herrlich düsteren Jeffrey Jones), sowie der Hexe Hazel (gesprochen von Voice-Actor-Queen June Foray), aus dem Donald-Duck-Cartoon Trick or Treat "moderiert" und umfasst eine bunte, interessante Auswahl an gruselthematischen Liedern. Neben spaßigen Nummern wie Ray Parker juniors Ghostbusters, der mit überraschender Akkuratesse unter den Cartoon-Klassiker Lonesome Ghosts mit Micky, Donald und Goofy gelegt wurde, oder Monster Mash, gibt es auch etwas gewagtere Nummern wie Evil Woman vom Electric Light Orchestra oder You Better Run zu bestaunen. Auch der Eurythmics-Dauerbrenner Sweet Dreams bekommt ein unerwartet effektives Video verpasst.



Wir Disney-Fans sind ja bekanntlich sehr pingelig, wenn es um Neuverwertungen der Classic Cartoons geht. Die have a laugh!-Kurzversionen der Cartoons etwa werden, zu recht, nahezu einvernehmlich als unnütz bezeichnet, und die mit Soundeffekten um sich schmeißenden blam!-Fassungen sogar als Sakrileg betrachtet. Die D-TV-Nummern dagegen finde ich kess und sympathisch: Sie graben nicht am Vermächtnis Walt Disneys herum, sondern mischen altes Material gewieft neu zusammen, um es in neuem Kontext einem anderen Publikum zu präsentieren und so anzufixen. Und im Fall der Monster Hits kam so sogar eines der besten Disney-Halloweenspecials zustande!

Freitag, 30. Oktober 2015

Tales of Halloween


Horror-Episodenfilme sind seit Jahren groß im Kommen. Ob V/H/S, ABCs of Death oder Chillerama: Diese Ansammlungen an kleinen Schauergeschichten geben zahlreichen passionierten, mal mehr, mal weniger talentierten Horror-Filmemachern die Gelegenheit, sich auszutoben. Und Ideen umzusetzen, die keinen eigenen, abendfüllenden Film tragen. Die Qualität dieser Episodenfilme schwankt zwar stark, ebenso wie die Qualität der jeweiligen Episoden innerhalb dieser Gruselsammlungen, jedoch ist das auch Teil des Spaßes: Sie zu gucken, gleicht dem Plündern der Süßigkeitentüte am Morgen nach Halloween. Köstlichkeiten, überraschende Neuentdeckungen und ein paar Grausamkeiten reihen sich aneinander, und man weiß nie, was als nächstes ansteht.

Daher haben an Halloween spielende Episodenfilme allein schon auf der Metaebene einen kleinen Pluspunkt: Sie zielen es darauf ab, an diesem inoffiziellen Feiertag konsumiert zu werden, und fügen sich somit nahtlos in die Stimmung, die das Schauerfest bei einigen Gruselfreunden eh schon auslöst. Die von Epic Pictures finanzierte Tüte Gemischtes namens Tales of Halloween ist dabei jedoch eine durchwachsene Ausbeute. Diesen Episodenfilm zu gucken, ist, wie eine große Portion Colorado oder anderer Süßigkeitenmischungen vor sich zu haben, bei denen einfach alles mit drin ist. Allein muss man sich zwischenzeitlich durchquälen, sofern man kein Naschkram- respektive Horror-Allesfresser ist. In der richtigen Stimmung fällt es in großer Gruppe dafür umso leichter: Jeder findet was, das ihm gefällt, und dank kollektivem Zucker- beziehungsweise Genrespaßüberfluss kracht die Stimmung nicht mehr so schnell ein.

Eine Gemeinsamkeit haben die zehn Tales of Halloween-Storys, die innerhalb von rund 90 Minuten durchgekaut werden, aber: Sie verfolgen grob einen verwandten Tonfall. Die meisten wollen nicht etwa primär ängstigen, sondern mit übernatürlichen, gemeinen oder blutigen Ereignissen auf makabere, schwarzhumorige Weise unterhalten. Wenn dann eben doch ein paar Schrecksekunden das Publikum auffahren lassen, wird das dezent schmunzelnd hingenommen. Insofern erinnert Tales of Halloween an einige der EC-Comics oder an eine härtere Version von Gänsehaut: Zu grafisch, um familientauglich zu sein, zu "cheesy", um zu ängstigen. Aber es ist eine festliche Halloween-Stimmung, die hier aufkommt, wann immer eine Episode zündet.

Los geht es auf solidem Niveau, mit dem von Dave Parker inszenierten Sweet Tooth, der in feinster Urban-Legend-Manier von einer mörderischen Sage erzählt, die letztlich die handelnden Figuren noch heimsucht. Stereotyp, aber mit erfrischendem "Spaß an der Freude" umgesetzt und feschen Gewaltspitzen. Mit The Night Billy Raised Hell legt dann Darren Lynn Bousman die Messlatte um ein gutes Stück höher. Der Regisseur zeigt sich im mit cartoonigen Soundeffekten, leichtgängig erzählten Kurzfilm eher von seiner Repo!- als von seiner Saw-Seite und lässt Barry Bostwick als teuflischen alten Mann einen kleinen Buben vom rechten Weg abkommen. Mit eskalierenden Halloween-Streichen, betont alberner, doch nicht nerviger Musikuntermalung und einem kecken Schlusstusch punktet diese Episode, bevor Adam Gieraschs Trick das qualitative Niveau wieder runterzieht. Die einzige strikte Horror-/Slasher-Episode basiert auf einer lahmen Grundidee (was, wenn die Trick-or-Treat-Kinder wirklich brutal werden?) und ist zu kondensiert, um Atmosphäre aufkommen zu lassen. Da die Kameraarbeit und Lichtsetzung zu den besten in Tales of Halloween gehört, lässt sich dieses schale Bonbon aber recht locker weggucken.

Die vierte Runde, Paul Solets The Weak and the Wicked, geht wieder gen Richtung "Urban Legend" respektive "jugendliche Rachefantasie". Die Dramaturgie ist laff, und die Schlusswende wird nicht genügend ausgekostet, aber mit ihrem eisigen Blick und einer lockeren Rocker-Girl-Attitüde ist Teen Beach Movie-Aktrice Grace Phipps die für mich am meisten Eindruck hinterlassende Darstellerin der gesamten Kurzfilmsammlung! Grim Grinning Ghost von Axelle Carolyn, der Schirmherrin dieses Projekts, schließt mit einer laschen "Junge Frau in Nöten"-Erzählung ohne Höhepunkte an, und auch Lucky McKees Ding Dong lässt den nötigen Kick missen. Während Carolyns Beitrag aber nicht einmal seine kurze Laufzeit tragen kann, liegt es bei McKees Episode eher daran, dass sie zu kurz ist: Die Geschichte eines jungen Paares, dessen Kinderwunsch unerfüllt bleibt, woraufhin sich die Frau in eine garstige Hexe mit Hunger auf Kinder verwandelt, könnte vielleicht einen ganzen Film tragen. Auf jeden Fall ist sie aber ideales Futter für eine 20- bis 30-minütige Episode, wie sie in Chillerama hätte unterkommen können. Das grundlegende Konzept bringt eine bittersüße Note mit und könnte eine solide Parabel stützen, und McKees cartoonig-wilder Stil sowie die aufgedrehte Performance von Pollyanna McIntosh macht Spaß. Dieser Mix holpert und stolpert sich jedoch durch seine wenigen Filmminuten, so dass nur ein kurioser Nachgeschmack bleibt. Interessant, jedoch unbefriedigend.

Die siebte Episode kommt musikalisch daher: Die Regisseure Andrew Kasch und John Skipp zeigen, von treibenden Klängen untermalt, einen blutigen Nachbarschaftsstreit darüber, wer die bessere Halloween-Festivitäten abhält. Kurz, mit guten Schmunzlern und gelungen inszeniert. Das passt! Auch Friday the 31st weiß zu gefallen: Big Ass Spider-Macher Mike Mendez beginnt seine Episode als Jason-Voorhees-Hommage, ehe sein Segment eine knuffig-witzige Wende nimmt und dann als Splatterfest endet.

Ryan Schifrin schließt mit dem ebenfalls launigen The Ransom of Rusty Rex an, einer in feinster Lagerfeuer-Weise erzählten Geschichte über eine misslungene Entführung. Die Darsteller sind gut drauf, inklusive Cameo von Blues Brothers-Regisseur John Landis, und was hier aus dem Konzept gemacht wurde, ist sympathisch makaber. Zum Abschluss wird es noch mit Neil Marshalls Bad Seed gewollt trashig: Ein genetisch modifizierter Halloween-Kürbis geht auf Menschenjagd. Mit genügend Seitenhieben auf unfähige Filmpolizisten und zügigem Tempo reizt der The Descent-Macher seine Idee komplett aus. Vorzeigbare Effekte und ein schwarzhumoriger Tonfall machen Bad Seed zu einem guten Schlussakt, wenngleich die letzte Pointe zwar auf einer guten Idee basiert, aber ohne den nötigen "Wumms!" umgesetzt wird.

Insgesamt ist Tales of Halloween zwar zu unstet, um als echter Horror-Geheimtipp zu dienen, doch als weniger geerdete, etwas buntere Alternative zum rundum sehenswerten Halloween-Episodenfilm Trick 'r Treat könnte es für Fans des Genres eine nette Festtagsnascherei darstellen.

Donnerstag, 29. Oktober 2015

Regression


Der chilenisch-spanische Regisseur Alejandro Amenábar hat ein Händchen für Filme, die dezent mit Horrorelementen spielen, aber eigentlich einem anderen Genre zugehören: Da kommt die Gewaltstudie Tesis – Der Snuff Film in den Sinn, der geheimnisreiche Thriller Virtual Nightmare, der mit Vanilla Sky ein Remake erhielt, oder das übernatürliche Mysterydrama The Others. Mit dem Psychothriller Regression wandelt der 43-Jährige einmal mehr auf diesen Pfaden: Der von ihm verfasste Film erzählt die Geschichte eines satanischen Kultes - und schwankt dabei wiederholt zwischen schalen Schreckversuchen, halbherziger Dramatik und fadenscheiniger Substanz. Kurzum: Das Spiel mit den Genrekonventionen, das Amenábar üblicherweise beherrscht, wird in Regression bloß auf dem Niveau eines lustlosen Partytricks abgehandelt.

Der amerikanische Nordwesten in den frühen 90er-Jahren: Der Polizist Bruce Kenner (Ethan Hawke) ist auf seinem Revier der absolute Überflieger. Doch der ehrgeizige, smarte Ermittler stößt in seinem jüngsten Fall an seine Grenzen: Die schwer traumatisierte 17-jährige Angela Gray (Emma Watson) beschuldigt ihren Vater John (David Dencik), dass er sie gemeinsam mit den Mitgliedern einer satanischen Sekte mehrfach vergewaltigt und gequält hat. Der frühere Alkoholiker beteuert, unschuldig zu sein - oder zumindest sich an nichts derartiges zu erinnern. Mit der sogenannten Regressionstherapie dringt jedoch der kürzlich hinzugezogene Psychologe Professor Kenneth Raines (David Thewlis) in die Erinnerungen des Automechanikers ein. Er glaubt, John überführt zu haben, doch Bruce lässt den mysteriösen Fall nicht darauf beruhen. Er gräbt tiefer und tiefer, verhaftet bald sogar seinen Polizeikollegen Nesbitt (Aaron Ashmore), da er offensichtlich Mitglied der Sekte ist, die in ihren finstersten Stunden auch Babys rituell geopfert haben soll. Bruce wird daraufhin von schaurigen Ereignissen geplagt ...

High School Musical 3-Kameramann Daniel Aranyó hüllt das Geschehen in verschiedensten Grauschattierungen, die nur selten von kühlem Blau oder dem rauen Grün einer ungepflegten Wiese aufgebrochen werden. Zusammen mit der Inszenierung Amenábars, der den Fokus seiner Szenen immer wieder in schleichenden Zooms auf scheinbar unbedeutende, daher beunruhigende Details legt, hat Regression eine solide Grundlage, um eine garstige Atmosphäre aufzubauen. Und partiell mag diese Rechnung sogar aufzugehen. Etwa wenn der von seinem Fall besessene Bruce einer Verhöraufzeichnung lauschend durch eine vergammelte Scheune wandert und sich vorstellt, welche Taten dort zuvor wohl begannen wurden. Die unheilvoll durch den Schauplatz schwebende Kamera und Ethan Hawkes überarbeitetes, Unsicherheit ausdrückendes Gesicht sowie der punktgenaue Schnitt zwischen Jetzt und vorgestellter Vergangenheit vermögen es, für wenige Minuten zu fesseln.

Dass dieser und einige wenige, ähnlich geartete Momente in Regression jedoch die absolute Minderheit darstellen, liegt vor allem am unentschlossenen Drehbuch - sowie daran, dass es Aranyó eingangs so sehr mit dem visuellen Symbolismus übertreibt, dass sich die falschen Fährten geradezu aufdrängen. Denn Regression will zu Vieles sein, fühlt sich all seinen Aspekten jedoch nur ungenügend verpflichtet. Im ersten Drittel scheppert der Soundmix immer wieder, um in ruhigen Szenen sowie bei Szenenübergängen verzweifelt Jump Scares zu erzeugen, und wiederholt suggeriert die Bildsprache, dass hinter den Ermittlungen in Sachen Satanismus mehr sein könnte als gedacht. Wer aber nur halbwegs aufmerksam hinschaut oder genügend mitdenkt, wird erkennen, dass die Erlöse uns von dem Bösen-artige Wende ins Übernatürliche ausbleiben wird, so dass diese halbherzigen Versuche, Thrill zu erzeugen, bereits im Keim erstickt werden. Daraufhin verlässt sich die Erzählung eine Zeit lang darauf, dass die mögliche Bedrohung durch eine Sekte wie ein Selbstläufer funktioniert und die allmähliche Überarbeitung der Hauptfigur zusätzlich Öl ins Feuer gießt. Da Hawkes Figur trotz guter Performance aber aufgrund des laschen Drehbuchs keine konstante, verlässliche Entwicklung durchmacht, sondern sich stets den Anforderungen der jeweiligen Szene anpasst, packt auch ihr Schicksal nicht.

Bleibt als treibende Kraft des Thrillers allein die Frage nach dem alles auslösenden Verbrechen. Und auch das Potential dieses Plotfadens verhaut Regression: Erst im letzen Drittel kommt es nach all dem vorhergegangenen Hokuspokus zu nennenswerter Ermittlungsarbeit, weshalb das Crime-Element arg abgehetzt wirkt. Angesichts dessen, dass Regression dann noch etwas über Massenpanik, sowie die Zuverlässligkeit von Erinnerungen aussagen möchte, und dabei die Tiefe eines Kinderschwimmbeckens beweist, ist dieser Schluss trotz interessanter Ansätze immens enttäuschend. Da Emma Watson obendrein sehr aufgesetzt spielt und gleich zwei Mal einen soliden Schlusstusch versäumt, um Regression lustlos ausplätschern zu lassen, darf man diesen Psychothriller getrost vergessen.

Mittwoch, 28. Oktober 2015

Crimson Peak


Seit Jahren warte ich, genauso wie unzählige weitere Disney-Fans, darauf, dass Guillermo del Toro seine Ankündigung wahr macht und endlich einen Film über ein Geisterhaus dreht. Nicht über irgendein Geisterhaus, wohlgemerkt, sondern über ein ganz bestimmtes: Über die Haunted Mansion. Die Disney-Kultattraktion wurde zwar bereits 2003 verfilmt, jedoch ist die mit Eddie Murphy in der Hauptrolle aufwartende Komödie Die Geistervilla ein sehr müder, mitunter sehr nerviger Versuch, den Mix aus Humor und Schauer zu rekreieren, der die Disney-Geisterbahn ausmacht. Del Toro, seines Zeichens großer Liebhaber der Haunted Mansion, hegt daher seit Jahren den Traum, eine neue, bessere Adaption des Fahrgeschäfts auf die Beine zu stellen. Disney zeigt daran zwar Interesse, allerdings steckt das Projekt aufgrund allerlei Kleinigkeiten noch immer in der Development Hell fest.

Insofern ist Crimson Peak sowohl für del Toro als auch für sein Publikum so etwas wie ein Zeitvertreib: Es ist ein Film, der in einem schaurigen, großen Anwesen angesiedelt ist. Er erzählt eine Geschichte, in der Geister eine Rolle spielen. Und ... das war es eigentlich schon mit den Parallelen. Dennoch überbrückt es die Wartezeit auf Haunted Mansion und gibt dem Zuschauer einen Vorgeschmack darauf, was del Toro alles mit einem solchen Setting anzustellen vermag. Auf die exakt gleiche Kernzielgrupe haben es die beiden Projekte wohlgemerkt nicht abgesehen: Während Haunted Mansion nahezu garantiert maximal mit einem PG-13 daherkommen wird, erhielt Crimson Peak in den USA das härtere R-Rating, was sich in der Thematisierung von Sexualität sowie in sehr grafischen Gewaltspitzen äußert. Dessen ungeachtet ist der von Guillermo del Toro und Matthew Robbins verfasste, 55 Millionen Dollar teure Film kein konventioneller Geisterschocker. Denn weder dreht sich die Handlung zentral um die übernatürlichen Wesen, noch ist sie primär auf Thrills und Schreckmomente angelegt. Stattdessen ist Crimson Peak ein wohlfeiner Rücksturz in die Zeit dunkelromantischer, melancholischer Gothic-Erzählungen, die von Tragik, Schicksalsschlägen und einer gezielt unwohlen Atmosphäre durchzogen sind.

Im Mittelpunkt der im 19. Jahrhundert angesiedelten Ereignisse steht die nach einer Autorenkarriere strebende Edith Cushing (Mia Wasikowska). In ihrer frühen Kindheit wurde sie von einer Geisterbraut heimgesucht, die ihr eine Warnung entgegen krächzte: Edith solle sich vor Crimson Peak hüten. Mit diesen Worten konnte Edith wenig anfangen, doch als den vorwärts denkenden Adligen Sir Thomas Sharpe (Tom Hiddleston) kennen lernt, gewinnen sie doch noch an Bedeutung. Allerdings hat Edith andere Sorgen. Etwa, dass Thomas' Schwester Lucille (Jessica Chastain) ihr gegenüber beängstigend unterkühlt auftritt. Und auch Ediths Jugendfreund Dr. Alan McMichael (Charlie Hunnam) misstraut den Sharpes ...

Die Geschichte wird von del Toro und Robbins unerwartet geradlinig erzählt: Edith, von Wasikowska zierlich und dennoch kämpferisch dargeboten, verliebt sich in den weltmännischen, aber auch zurückhaltenden Thomas Sharpe. Diese Einigung wird von Ediths Vater (Jim Beaver) nicht wohl geheißen, sie kommt trotzdem zustande, und dann wird Edith von Zweifeln erfüllt. Es gibt keine nennenswerten Subplot (Alans eigene Ermittlungen in Sachen Sharpes nehmen kaum Raum ein), und die Geister sind eher ein thematisches, die Atmosphäre verdichtendes Element als ein zentraler Handlungspunkt. Je nach Erwartungshaltung droht Crimson Peak daher zu enttäuschen, jedoch sorgt diese Erzählweise auch für eine durchgehend einheitliche schwarzromantisch-bittersüße Stimmung. Edith ist endlich wieder eine Horrorprotagonistin, deren Schicksal nicht gleichgültig bleibt, und die Beziehung zwischen ihr und einem engagierten, wenngleich klar in seinem Rollenschema verharrendem Tom Hiddleston hat bemerkenswerten Charme. Die Enthüllungen, die Edith gegen Ende des Films über ihn macht, sind zwar vorhersehbar, doch dies trübt den Sehgenuss nur in geringem Maße: Del Toro setzt diese Twists nicht so in Szene, als sei ihr Überraschungsfaktor das Entscheidende. Allein, dass die leise vorbereitete Wende tatsächlich eintritt, hat aufrund der Konsequenzen für Edith ausreichend Wirkung.

Zudem trägt eh Jessica Chastain die zweite Hälfte von Crimson Peak, als wäre es ihre leichteste Übung: Die Oscar-nominierte Darstellerin spielt die Rolle der garstigen Schwester mit beeindruckender Inbrunst und fast schon minütlich steigernder Intensität. Völlig blass bleibt indes Fifty Shades of Grey-Beinahefrontmann Charlie Hunnam, der sich etwas steif durch seine Szenen manövriert. Die ärgste Schwäche des Films stellt er daher wohlgemerkt noch nicht da. Dabei handelt es sich um die raren, aber stets übel aufstoßenden Computeranimationen: Diese sind zwar detailreich gestaltet, allerdings ist das Shading so schlecht, dass sie aus dem Retro-Design von Crimson Peak herausstechen. Weshalb del Toro, der ja in Hellboy und Pans Labyrinth seine Liebe für praktische Effekte bewiesen hat, hier nicht auf Effektschminke, Puppen und Stop-Motion gesetzt hat, bleibt ein Rätsel. Die Szenenübergänge sind mit ihren Auf- und Abblenden ja auch herrlich altmodisch geraten, was der Stimmung der Story zuträglich ist und zudem zu den verlebten, detailreichen Kostümen und den herausragenden Requisiten passt. Der vergammelte, staubige, vergangenen Glanz vermittelnde Schauplatz von Crimson Peak ist für jeden Gothic-Horrorfreund ein gewaltiger Augenschmaus - und der eindringlichste Aspekt des Films.

Fazit: Crimson Peak ist nicht der Horrorschocker, den das Marketing aus ihm machen will, sondern ein wunderbar altmodisches, makaberes Grusel-Romantikstück mit guten Darstellern und einem hervorragenden Look.

Dienstag, 27. Oktober 2015

Frenzy


Das mit Hitchcock und dem Hays Code ist ja schon ein zweischneidiges Schwert. Dass Hitchcocks Schaffen zu weiten Teilen unter den auch als Production Code bekannten, gestrengen Richtlinien des Dachverbands der US-amerikanischen Filmproduktionsfirmen entstanden ist, hatte ohne jeden Zweifel enormen Einfluss auf die Filmsprache des Briten. Geschadet hat es ihm bekanntlich nicht. Und dass ein Regisseur dank hervorragender, durchdachter Inszenierung und starker Skripts auch unter Einhaltung starrer moralischer und ethischer Vorgaben zum 'Maestro des Suspense' heranwachsen kann, sollte vielen heutigen Thrillerschaffenden eine Lehre sein. Und mitunter waren es ja auch Hitchcocks findigen, subtilen Attacken auf die Vorstellungen der Moralhüter, die seinen Regiearbeiten den letzten Schliff verliehen haben.

Trotzdem fällt es als Filmliebhaber schwer, nicht darüber nachzudenken, welche Möglichkeiten sich der Regielegende geboten hätte, wären ihr keine solch engen Fesseln angelegt worden. Ein Film regt mit besonderem Nachhall das Gedankenspiel an, welche Art von Thrillern wir genießen könnten, hätte Hitchcock zu einer späteren Zeit das Licht der Welt erblickt, um dann 55 Jahre lang aktiv Filme zu drehen: Frenzy. Hitchcocks zweitletztes Werk nutzt es mit Eifer aus, dass der Regisseur im Jahre 1972, noch dazu in seinem heimischen England, nur noch deutlich lockerere moralische Rahmenbedingungen einzuhalten hatte. Das Ergebnis ist eine, erst recht für Hitchcock und damalige Verhältnisse, harsche und vulgäre Kriminalgeschichte, die genauso überwältigend wie garstig ist:

Von seiner Vergangenheit ist Richard Blaney (Jon Finch) kaum etwas geblieben: Der:ehemalige Pilot und Staffelführer der Royal Air Force ist spätestens seit seiner Scheidung zu einem wankelmütigen Tunichtgut mit Kodderschnauze und überschaubarem Lebensmut verkommen. Zu den wenigen Vertrauten des Bartenders zählen seine Arbeitskollegin Babs Milligan (Anna Massey), mit er er eine ungezwungene Liaison hat, sowie sein bester Freund Bob Rusk (Barry Foster), ein stadtbekannter und erfolgreicher Obsthändler. Der Lebemann hilft Richard gelegentlich mit Anlagetipps aus und er bietet seinem Freund auch an, ihm mit Finanzspritzen zur Seite zu stehen, was er aus falschem Stolz allerdings ablehnt. Selbst Richards Ex-Frau Brenda (Barbara Leigh-Hunt), bei der er in unregelmäßigen Abständen vorbei schaut, hat Mitleid mit ihm. Zumindest, wenn er ihr nicht gerade in ihrer Partnervermittlung eine Szene macht. Parallel zu Richards Suche nach finanziellem Halt, befindet sich die Londoner Polizei verzweifelt auf der Suche nach einem ruchlosen Sexualstraftäter, der seine Opfer vergewaltigt und stets mit einer Krawatte erwürgt. Und nicht wenige Indizien deuten darauf hin, dass der emotional instabile Richard Schuld ist ...

Wer noch nie in den Genuss von Frenzy gekommen ist, aber den Stil kennt, den Hitchcock in den vom Hays Code besonders geplagten Jahren an den Tag legt, dürfte aufgrund der Schroffheit dieses Thrillers wiederholt überrascht werden. Erstmals werden beim Maestro nackte Körper gezeigt, das Vokabular der Figuren ist völlig ungehobelt und die Gewaltdarstellung ist frenetischer, unbarmherziger als schon in Psycho, der für seine Zeit ja bereits sehr gewagt war. Der zunehmende Gewaltgrad in Filmen der 70er ist eine der bekanntesten und am stärksten analysierten Entwicklungen der Kinogeschichte, aber Frenzy wird als Vorhut dessen nicht ausreichend ins Licht gerückt. Erst recht, da Frenzy nicht allein durch seine Rohheit besticht, wie es im weniger hoch budgetierten Thrillergenre der 70er später an Alltäglichkeit gewann: Selbst wenn dieser Der-Jäger-und-der-Gejagte-Plot grob und derb ist, macht er er sich obendrein noch immer die Virtuosität und inszenatorische Eleganz zu Eigen, die die größten Meisterwerke Hitchocks eint. Daher ist Frenzy für Hitchcock-Neulinge ein aufregendes Amuse-Gueule und für -Jünger ein faszinierender, fesselnder Mix aus erfrischender Härte und gewohnter Genialität.

Ein sehr gekonnt angewandter Kniff in Frenzy ist beispielsweise, dass das von Anthony Shaffer Drehbuch wiederholt den Fokus ändert, so dass dem Publikum wertvolle Informationen vorenthalten werden oder drängende Fragen aufkommen. Und Hitchcocks Inszenierung stärkt diesen Gedanken: Der Prolog zeigt von oben herab ein öffentliches Ereignis, ohne einen einzelnen Menschen als zentrale Figur herauszupicken. Als eine nackte Frauenleiche ans Ufer der Themse angespült wird, legt der verwirrte Kommentar eines Politikers die Aufmerksamkeit auf die Krawatte, mit welcher die Frau wohl erdrosselt wurde: "Das ist doch nicht meine Club-Krawatte", fragt er, und verdeutlicht somit, dass dieses Krawattenmuster von besonderer Bedeutung sein könnte. Schnitt auf unseren Protagonisten Richard Blaney, wie er sich eine Krawatte mit genau diesem Muster bindet. Von da an heftet sich die Erzählung für eine längere Dauer an die Fersen einer Figur, nur um in entscheidenden Momenten von ihr zu weichen. So wird unklar im mittleren Teil des Thrillers, was der unter Druck geratene Blaney einem alten Bekannten ins Ohr flüstert. Ein Mord wird zu beengender Stille degradiert, während die Kamera in beunruhigender Geradlinigkeit den Tatort verlässt. Und die Flucht des Täters wird auf einem Wendepunkt links liegen gelassen, um zu zeigen, wie Alec McCowen als Chief Inspector mit angewiderter Miene das Abendessen seiner Frau (Vivien Merchant) zu verspeisen, während er beiläufig im Gespräch mit ihr den Fall durchgeht.

Intensiviert wird die Wirkung dieser Erzählung durch die hypnotische Kameraarbeit von Gilbert Taylor und Leonard J. South, die mit gezieltem Blick die Atmosphäre intensiviert, kleine, aggressive Macken der Figuren unterstreicht und dann wiederum plötzlich ein eigenes Leben entwickelt und uns mit unserer Vorstellungskraft allein lässt. Die Musik von Ron Goodwin kommt dagegen längst nicht so schwermütig daher, sondern dient als spannende, doch auch vorantreibende Klammer. Der ursprünglich für den Score engagierte Henry Mancini steuerte deutlich beklemmendere Kompositionen daher, was Hitchock allerdings zu viel des Guten war, weshalb er die Musik ablehnte. Und ein weiterer Aspekt des Films musste erst noch angepasst werden: Die Darsteller empfanden die im Drehbuch niedergeschriebenen Dialoge als "nicht britisch genug", weshalb der Regiemaestro am Set Änderungen zuließ. Geschadet hat dies wahrlich nicht: Visuell wie sprachlich spielt Frenzy in einer "verlebten" Welt, und die zentralen Darsteller versinken völlig in ihren Rollen. Jon Finch eckt als der abgewrackte Anti-Held dieses Thrillers unentwegt an, er kann zuweilen völlig abstoßend sein, doch er agiert mit genügend leise-versöhnlichen Qualitäten, dass man Richard Blaneys Schicksal komplett verfolgen will. Barry Foster, dem Hitchock beim Dreh viele Freiheiten einräumte, ist als unbeherrschter bester Freund Richards eine wahre Naturgewalt und auch Anna Massey sowie Barbara Leigh-Hunt wachsen trotz begrenztem Handlungsraum über Archetypen hinaus.

Vivien Merchant sowie Alec McCowen dagegen sorgen in ihrem Subplot mit staubtrockenem, britischen Witz für eine reizvoll-zynische, humorvolle Note, die erfrischend ist, ohne den Tonfall zum Kippen zu bringen. Und so gelingt Frenzy endgültig der Sprung in die oberste Riege der Hitchcock-Regiearbeiten: Frenetisch, garstig und dennoch große, starke Unterhaltung. Ein Film, der einem den Atem raubt!

Montag, 26. Oktober 2015

Jonathan Freeman: Disney-Schurken-Medley

Jonathan Freeman, die Originalstimme von Dschafar und aktuell auch auf dem Broadway als der finstere Großwesir aus Aladdin zu erleben, eröffnet hier im Blog die große Halloween-Woche. Und zwar mit einem schmissigen Schurkenmedley!

Freitag, 23. Oktober 2015

Freitag der Karibik #23

Weil es letzte Woche so schön war, geht es diese Woche mit zwei weiteren Blicken hinter die Effektkulissen des dritten Pirates-Abenteuers weiter ...



"Star Wars: Das Erwachen der Macht" trifft klassische Disney-Helden

Jemand war so findig, und hat dem neusten Star Wars: Das Erwachen der Macht-Trailer ein ganz besonderes Reaktionsvideo verpasst: Einige klassische Disney- und Pixar-Figuren schauen ihn sich nun an und reagieren mit entsprechendem Enthusiasmus. Schaut euch das Video bis zum Schluss an, denn den letzten Gag wollt ihr nicht verpassen! Denn wenn alles gut geht, werden wir nach dem Kinostart des Films genauso reagieren ...


Disney Characters React To The Official Star... von worldwideinterweb

Und wer nochmal den berühmten zweiten Teaser in einer disneyfizierten Fassung sehen will, wird hier fündig:

Montag, 19. Oktober 2015

Ant-Man


Er ist die wandelnde Gegenthese zum 'Marvel Cinematic Universe': Während das Besondere am immens einträglichen Superhelden-Kinofranchise ist, dass es unentwegt wächst, zeichnet sich Ant-Man durch seine Fähigkeit zum Schrumpfen aus. In den Comics ist er eines der Gründungsmitglieder der Avengers, während er in der Marvel-Filmwelt erst zum muntern Abschluss der sogenannten zweiten Phase des Studio-Masterplans endlich in Aktion tritt. Mit der Solo-Herkunftsgeschichte Ant-Man sorgen die Marvel Studios zudem wieder für ein originäres Flair in ihrer Filmreihe. Schließlich wurde diese nun vier Jahre lang von Teamabenteuern und Fortsetzungsgeschichten dominiert. Eine Erzählung darüber, wie ein einzelner Niemand zum Helden wird, hat die Produktionsschmiede dagegen seit Captain America – The First Avenger nicht mehr zum Besten gegeben. Und während Joe Johnstons Comicadaption von 2011 ein buntes, bewusst überzeichnetes Soldatenabenteuer im Stile von Schundheftchen und spaßigen Retro-Blockbustern ist, leiht sich Ant-Man nun einige Seiten aus dem Lehrbuch für Heist Movies.

Wie schon einige Gangsterpossen rund um Diebstahl und listige Coups nimmt auch diese Story (vom das Marvel-Universum ausarbeitenden Prolog abgesehen) ihren Anfang, als unser Protagonist aus dem Gefängnis entlassen wird. Scott Lang (Paul Rudd) musste mehrere Jahre für Einbruch und Diebstahl sitzen und verlor durch seine Gesetzeskonflikte alles, was ihm lieb ist. Seine Frau (Judy Greer) ließ sich scheiden und ist nun mit einem Polizisten (Bobby Cannavale) verlobt, der eifrig versucht, Scotts Tochter vor ihrem Halunkenvater fern zu halten. Und gute Referenzen hin oder her: Einen ansehnlichen neuen Job kann sich Scott angesichts seiner früheren Taten in die Haare schmieren. Einzig sein früherer Gefängniskumpel Luis (Michael Peña) hält ihm die Treue und holt ihn für einen neuen Feldzug mit ins Team. Derweil plagen den smarten, einzelgängerischen Erfinder und Firmenboss Hank Pym (Michael Douglas) ganz andere Sorgen: Sein früherer, emotional instabiler Protégé Darren Cross (Corey Stoll) steht kurz davor, die gefährliche Ant-Man-Technologie zu rekreieren, die Pym seit über zwei Jahrzehnten vor der Welt geheimzuhalten versucht. Da sich Hank und seine von ihm distanzierende Tochter Hope van Dyne (Evangeline Lilly) nicht einig werden, wie sie Darren aufhalten sollen, muss ein Plan B her. Klar, dass sich über kurz oder lang Hanks und Scotts Wege kreuzen werden …

Wer die Produktionsgeschichten der Marvel-Filme genau verfolgt, dürfte zwangsweise davon Wind bekommen haben: Nachdem Edgar Wright (Hot Fuzz) rund eine Dekade lang gemeinsam mit Schreibpartner Joe Cornish am Drehbuch zu Ant-Man werkelte, verließ er nur wenige Wochen vor dem geplanten Drehstart die Produktion. Als Grund wurden die stets gern zitierten kreativen Differenzen zwischen Regisseur und Studio angegeben. Daraufhin heuerte Marvel eilig Anchorman-Macher Adam McKay und Hauptdarsteller Paul Rudd an, um das Drehbuch zu überarbeiten, für den Regieposten konnte letztlich Peyton Reed (Der Ja-Sager) gewonnen werden. Wie sehr sich das ins Kino entlassene Endergebnis nun von Wrights ursprünglicher Vision unterscheidet, können wohl nur Beteiligte sagen. Doch ganz gleich, ob es nun an den turbulenten Wochen vor Drehstart liegt oder womöglich schon das Skript von Wright und Cornish Schuld hat: Die am flüssigsten erzählte Marvel-Mission ist Ant-Man wahrlich nicht. Hier und da reißen Halbsätze Storylines an, die sich nie voll entfalten (Stichwort: Beeinflussung der Hirnwellen). Und auch wenn der eigentliche Plot recht zügig und ohne jegliche Verschnörkelung vonstattengeht, werden vor einzelnen Actionpassagen sehr wohl einige Erklärungen nachgeschoben. Ob sie nun die Figuren mit einem Schlag ausdifferenzieren oder den Ant-Man-Anzug näher erläutern – Marvel bewies in Vergangenheit durchaus, solche Expositionen beiläufiger und eleganter vermitteln zu können. Ohne wie bei Ant-Man die Dynamik der Geschichte ein klein wenig aus dem Takt zu bringen.

Ein weiteres, wenngleich vernachlässigbares, Drehbuchproblem betrifft die ruhigeren Aspekte der 130-Millionen-Dollar-Produktion. So plausibel Scotts Sorgen auch sind, dass seine Tochter ihn nie als den Mann ansehen wird, der er in seinem tiefsten Inneren ist: Rührung mag wegen der Zurückhaltung dieser Szenen nur in sehr geringen Dosen aufkommen. Da erwiesen sich etwa die ersten beiden Spider-Man-Filme von Sam Raimi in der Umsetzung der charaktergetragenen Emotionalität in Mitten der Action- und Comedy-Einlagen eine Spur effektiver. Trotzdem wissen die Familiengeschichten Scotts und Hanks, Ant-Man nach all den (teils im wahrsten Sinne des Wortes) andersweltlichen Marvel-Produktionen eine etwas bodenständigere, alltäglichere Motivation für seinen Titelhelden zu präsentieren. Wohl auch daher versprüht Peyton Reeds Regiearbeit öfters die Atmosphäre jener Superheldenfilme, wie sie Anfang der 2000er in die Kinos gelangten, ehe Iron Man (und The Dark Knight) alles veränderte(n).

Wobei Ant-Man allem zum Trotz sehr deutlich die Attitüde eines Edgar Wright anzumerken ist – und da ist nicht wichtig, ob es sich dabei um Überbleibsel seines Drehbuchentwurfs handelt oder um Ideen, die McKay & Rudd in seinem Stil verfasst haben. Besonders auffällig ist der Wright-Geist in den äußerst kreativ-gewitzten Actionszenen. Dass der Träger des Ant-Man-Anzugs auf Knopfdruck winzig klein werden kann, dabei aber zugleich die Schlagkraft eines Geschosses erhält, wird auf vielfältige Weise in Szene gesetzt – und bleibt dabei stets humorvoll. Die Filmemacher wissen, wie albern die Fähigkeiten Ant-Mans sind (wobei das Schrumpfen im Vergleich zu seinem Können, mit Ameisen zu kommunizieren, noch alltäglich scheint), und nutzen dies zu ihrem Vorteil. Wiederholt werden die Unterschiede aufgezeigt, wie wild, rasend und chaotisch Kämpfe aus der Ameisenperspektive aussehen, während sie für Beobachter in Menschengröße unscheinbar sind. Und spätestens wenn Scott mit einer Horde von Ameisen eine hoch gesicherte Anlage infiltriert und Reed dies in haarsträubend-verrückten Bildern illustriert, dürfte kein Auge trocken bleiben. Aber auch die Dialogpassagen machen großen Spaß. Insbesondere die verschwurbelten Erzählungen von Peñas Kleinganoven Luis sowie eben dessen naiven Einfälle sorgen für gut sitzende Lacher. Wenig überraschend ist ebenso der perfekt gecastete Paul Rudd mit seinem trockenem Witz ein wichtiger Grundpfeiler dieser schmissigen Marvel-Komödie. Auch Michael Douglas, der die Mentorrolle mit Charme und Würde gibt, kann sich einige feine Pointen sichern, während Evangeline Lilly in Sachen Humor leider etwas kürzer treten muss – dafür gelingt es der Lost-Frontfrau, ihrer Standardrolle willkommene kantige Facetten zu verleihen.

House of Cards-Nebendarsteller Corey Stoll indes kann als verbissener Forscher nicht ganz im Alleingang Marvels Schurkenproblem lösen. Wie viele Fieslinge vor ihm, hat auch Darren Cross keine Vielzahl an intensiv ausgearbeiteten Szenen zu bieten, die sein Handeln vollauf nachvollziehbar und unvergleichlich machen. Dennoch zählt Cross zu den unterhaltsameren Widersachern innerhalb des 'Marvel Cinematic Universe', was unmissverständlich der Verdienst Stolls ist. Mit unbändiger Energie, unverschämtem Genuss an Fatalismus und rauem Charisma kann der Mime die skripttechnischen Schwächen seiner Figur zwar nicht vergessen machen, sie aber sehr wohl vehement übertönen. Hinzu kommt, dass er sehr einschüchternd aufzutreten weiß, was ebenfalls nur wenige Marvel-Schurken vor ihm erreichten. Dass sein Superanzug ein markantes, düsteres Design hat, das allein mittels Computeranimation verwirklicht werden konnte, kommt der Ausstrahlung seiner Figur da nur zugute – und dass dieser rein digitale Anzug neben dem praktischen (und saucoolen) Ant-Man-Outfit nicht als Effekt zu erkennen ist, zeigt auf, wie ausgefeilt die CG-Tricks in Ant-Man sind. Die Verschmelzung aus realem Filmmaterial und Computereffekten sowie Trickaufnahmen ist es auch, dank denen die Schrumpfszenen durchweg so gut funktionieren. Die knalligen Ideen von Reed und den Drehbuch-Autoren werden ausnahmslos in überzeugender Optik umgesetzt, die obendrein dank wohlüberlegter Kameraplatzierung sowie wirkungsvoller Weitwinkelaufnahmen in der empfehlenswerten 3D-Version noch beeindruckender gerät.

Wenn Ant-Man im Menschenmaßstab abläuft, ist die Optik des Films derweil austauschbar. Russell Carpenter (Titanic) zwängt dieses Abenteuer zwar in das für Marvel ungewohnt schmale Bildformat 1.85:1, trotzdem ist der 'große' Teil des Films nur solide gefilmt, ohne eigenen Charakter. Umso besser ist dafür der Schnitt: Dan Lebental und Colby Parker, Jr. bewerben sich förmlich dafür, den nächsten Edgar-Wright-Film zu schneiden und holen nicht nur aus praktisch jeder humorvollen Einlage das Optimum, sondern sorgen zudem für zügige Action, die trotz ständiger Eskalation nie ermüdet oder durch die regelmäßigen Maßstabwechsel verwirrt. Dafür enttäuscht Ant-Man auf musikalischer Ebene: Die Eiskönigin – Völlig unverfroren-Komponist Christophe Beck liefert den womöglich schwächsten Score des 'Marvel Cinematic Universe' ab, mit schalen Verschränkungen aus Orchester- und Elektroklängen sowie handzahmen, schnell vergessenen Melodien, die eher zu einer Fernsehkomödie passen als zu einem feschen Marvel-Kinofilm. Wenigstens weiß Peyton Reeds Gespür für pointierten Einsatz von Archivmusik von Becks magerer Instrumentalmusik abzulenken.

Alles in allem ist Ant-Man weit, weit davon entfernt, die Schlappe darzustellen, die einige Fans angesichts der tumultartigen Produktionsgeschichte befürchteten. Das Geschehen dürfte zwar stellenweise flüssiger ablaufen, die emotionalen Intermezzi könnten gern authentischer sein. Allerdings lassen sich die Schwächen dank der hohen Gagrate und der löblichen Trefferquote sowie dem gebotenen Action-Einfallsreichtum weitestgehend verzeihen. Ant-Man ist nicht ganz so verrückt wie Guardians of the Galaxy, nicht ganz so fesselnd wie The Return of the First Avenger, aber er ist deutlich spritziger als Thor – The Dark Kingdom. Hinzu kommen unaufdringliche, spaßige Verknüpfungen mit dem restlichen Marvel-Universum, und fertig ist einer der größten Heist Movies aller Zeiten. Beziehungsweise einer der kleinsten Marvel-Filme. Und wie Ant-Man so schön lehrt: Größe ist nicht alles, denn die Kleinen sind mitunter findiger als ihre monumentalen Kollegen.


Fazit: Erzählerisch nicht ganz rund, aber extrem witzig und in Sachen Action mal was Neues: Mit Ant-Man ist es den Marvel Studios auf unterhaltsame Weise gelungen, einen Helden auf die Leinwand zu holen, dem zuvor nur wenige Fans Kinotauglichkeit zugesprochen haben.  

Sonntag, 18. Oktober 2015

Fünf Gedanken zum "Star Wars: Das Erwachen der Macht"-Poster



  1. Poster mit Farbkontrasten werden ja mittlerweile so inflationär gebraucht, dass es öde wurde. Aber da Türkis/Orange der überreizte Standard ist und sich hier Rot/Blau gegenüberstehen, sind es direkt wieder um ein Vielfaches frischer und cooler aus.
  2. Die Teilung des Bildes in der oberen Hälfte ist brillant: Daisy Ridleys aka Reys Kampfstab direkt an das viel diskutierte Lichtschwert von Adam Driver aka Kylo Ren zu koppeln, hat mich kurz denken lassen, sie würde ein Darth-Maul-Doppelschwert schwingen. Finde ich einen feschen Trick in dieser Illustration ...
  3. Dass die Figuren in der mittleren "Figurenpyramide" nicht streng nach Allianz aufgeteilt sind, dürfte manche stören, aber da dies ein Poster ist und gut aussehen soll, kann ich mit Chewbacca, C-3PO und BB-8 auf der rötlichen, "bösen" Seite sehr gut leben. So bleiben auch noch Geheimnisse offen. Ist das uns noch fremde Alien neben ihnen ebenfalls gut und einfach nur aufgrund seiner Farbe auf der linken Bildhälfte, oder ist es ein kleiner Schurke? Wir erfahren es, hoffentlich, erst im Kino ...
  4. Der Stil passt sehr gut zu dem, den die Prequel-Poster aufgewiesen haben, und fügt sich somit in die Optik, die uns für Star Wars-Poster am frischesten in Erinnerung geblieben ist. Gleichwohl wirft es den kitschigen Postkarten-Beigeschmack dieser Poster über Bord, den die weichen Zeichnungen, der Aufbau dieser Poster und die Lichtbrechungen mit sich gebracht haben. Dieses Martialische des Das Erwachen der Macht-Posters lässt Erinnerungen an die Originale wach werden und sagt somit aus: Das wird kein Kindergarten-Sternenkrieg!
  5. Leia hat eine neue Frisur, aber wohl noch immer denselben exzentrischen Friseur!


Star Wars: Das Erwachen der Macht startet in Deutschland am 17. Dezember 2015 in den deutschen Kinos und somit einen Tag, bevor er in den Vereinigten Staaten anläuft.

Vidocq


Bevor Videokünstler Pitof mit seinem Hollywood-Debüt Catwoman einen cineastischen Unfall verursachte, der im modernen Superheldenkino seinesgleichen sucht, machte er sich mit dem französischen Mysteryfilm Vidocqeinen Namen. Die hyperstylische Produktion aus dem Jahr 2001 erarbeitete sich ihrerzeit eine kleine Fangemeinde und verdiente sich unter technologievernarrten Filmfreunden große Achtung dadurch, dass sie zu den ersten Kinoprojekten gehört, die mit der Sony HDW-F900 HDTV-Kamera gedreht wurden.

Die damals teuerste Kamera Welt ist es auch, die Vidocq zusammen mit dem ausgefallenen Kostüm- sowie Produktionsdesign und der ungewöhnlichen Spezialeffekte zu einem besonderen Film machen. Wohlgemerkt nicht zwingend zu einem guten, aber durchaus zu einem besonderen, der es nicht verdient hat, in den Horror-Aktionsregalen diverser Elektronikmärkte zu versauern. Einerseits, weil er gar nicht wirklich dem Horrorgenre angehört, und andererseits, weil er wenigstens auf visueller Ebene originell genug ist, als dass er es verdient hätte, bis zur untersten Riege durchgereicht zu werden. Wobei mir gleichzeitig der gute Ruf, denVidocq bei vielen Filmfans genießt, zu wohlgesonnen vorkommt. Aber der Reihe nach …

Paris in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts: In den Armenvierteln der Seine-Metropole treibt ein gesichtsloses, mörderisches Phantom sein Unwesen, das von allen nur "Der Alchemist" genannt wird. Dieses hat es insbesondere auf Jungfrauen abgesehen, die nach einer Begegnung mit ihm spurlos verschwinden. Als aber auch zwei gut betuchte Herren auf bizarre Weise ums Leben kommen, fühlt sich der Detektiv Vidocq auf den Plan gerufen. Dieser ist ein geläuteter Verbrecher und brillanter Wissenschaftler, und fühlt sich als einziger fähig, das raffinierte Monstrum zu bezwingen. Weit gefehlt: Vidocq segnet im Kampf gegen den Alchemisten das Zeitliche. Vidocqs Biograf nimmt sich daraufhin vor, die letzten Wochen des genialen Detektivs zu rekonstruieren ...

Die Autoren Pitof und Jean-Christophe Grangé nehmen eine im Kino all zu selten gesehene, visuell interessante Epoche und die real existierende Person des Kriminalisten Eugène François Vidocq, um mit allerlei kreativem Wahnwitz eine durch und durch fiktive Story zu erzählen. Und gerade das Setting weiß, schon in den ersten Filmminuten zu packen: Vidocq, verkörpert durch das französische Schauspielschwergewicht Gérard Depardieu, kämpft im Untergrund des gothischen Paris gegen ein maskiertes, im schnittigen Mantel gehülltes Phantom. Die Kamera schwebt frei durch die verflixt coole Kulisse, wann immer das Phantom hastige Bewegungen macht, erhallt ein metallisch schneidendes Geräusch und knallig-stilsichere Effekte sorgen für einen einzigartigen Look. Obwohl dies eine digital gedrehte Produktion ist, wurde für die Effektaufnahmen eine besondere Deinterlacing-Methode verwendet, die für Bewegungsunschärfe sorgt, wie man sie vom konventionellen, analogen Film kennt. Die Diskrepanz zu den normalen, effektfreien Szenen im kühlen Digitallook ist so klein, dass sie die einzelnen Sequenzen auseinander reißt, aber so groß, dass sie unterbewusst die Wirkung von Vidocq beeinflusst: Die "realistischen" und somit historisch plausiblen Szenen wirken modern und schnittig, die übernatürlichen Elemente filmisch-klassisch. So verwischen die Grenzen, was dem lahmen Plot eine dringend nötige Stütze verleiht.

Denn sobald die Titelfigur verschwindet, entfleucht auch der einzige Akteur aus dem Film, der Gravitas mitbringt. Fortan ist Depardieu nur noch in Rückblenden zu sehen, während ein blutarm agierender Guillaume Canet als Vidocqs Biograf die Hauptrolle übernimmt. Dieser kann die verschachtelt erzählte Kriminalgeschichte aber nicht schultern, zumal diese nach dem energigschen Opening so entschleunigt voran schreitet, dass es zuweilen ermüdet. Nur, wenn Pitof wieder seine wahnwitzige Art ausleben darf, und er Orgien, seltsame Ausstellungen oder übernatürliche Ereignisse inszeniert, nimmt Vidocq erneut Fahrt auf. Verzerrte Aufnahmen, kräftige Farben vor verwaschenem Hintergrund und exzentrisches Produktions- und Kostümdesign stellen daher die rettenden Inseln in einem zähen Plot dar, bevor im großen Finale stylische Action dem Ganzen neues Leben einhaucht.

Somit ist Vidocq für Freunde ungewöhnlich inszenierter Filme mit historischem Setting ein sehenswerter, wenn auch inhaltlich enttäuschender Geheimtipp. Und ein weiterer Baustein im erschreckend hohen Turm, der die Frage stellt: "Wieso sind so viele stilistisch spannende Filme von einem mageren Drehbuch geplagt?"

Samstag, 17. Oktober 2015

Descendants – Die Nachkommen


Die Idee hinter der kunterbunten Familienkomödie Descendants – Die Nachkommen hat das Zeug dazu, passionierten Disney-Fans einen höllischen Schrecken einzujagen: Die Disney-Channel-Eigenproduktion geht nämlich davon aus, dass einige der größten Schurken der Disney-Zeichentrickfilmgeschichte Nachkommen in die Welt gesetzt haben. Eben jene leben gemeinsam mit ihren Eltern auf einer abgeschiedenen Insel, auf der keinerlei Magie mehr existiert und die Schurkensprösslinge ihre frechen Ader ausleben. Als aber Ben, der Sohn von Belle und dem Biest, im Königreich Auradon ein Pilotprojekt zur Resozialisierung von Bösewicht-Kindern lostritt, werden vier Teenager auserkoren, um ins Magie kennende Märchenland zu ziehen.

Die Wahl fällt auf Mal (Tochter der bösen Fee Maleficent aus Dornröschen), Evie (Tochter der bösen Königin aus Schneewittchen), Carlos (Sohn der Dalmatiner jagenden Cruella de Vil) und Jay (Sohn des Aladdin-Großwesirs Dschafar). In Auradon sollen sie auf der High School lernen, gut zu sein, aber wie es sich für Jugendliche gehört, manövrieren sie sich in Liebesturbulenzen und Persönlichkeitsfindungsprobleme. Vor allem Mal ist hin- und hergerissen zwischen der Möglichkeit, eine neue Identität aufzubauen, und dem Bosheitsgebot ihrer Mutter …

Auf dem Papier klingt Descendants nicht nur wie ein seelenloses Fließband-Fernsehprojekt, sondern obendrein wie ein gewaltiger Affront gegen das Disney-Erbe. Denn mit der inneren Logik der Disney-Klassiker, auf deren Schultern sich Descendants tragen lässt, hat diese TV-Produktion wenig gemein. Ganz davon abgesehen, dass einige der Oberschurken „ihren“ Animationsfilmklassiker nicht überlebt haben, nun aber munter durch die Gegend laufen, leben sie plötzlich im selben Zeitalter. Und zwar in einer farbenfrohen, durchgeknallten Version der Gegenwart. Zu guter Letzt denken sich die Autoren Josann McGibbon und Sara Parriott für Maleficent und Co. neue Persönlichkeitszüge aus. Obwohl manche Portale diese Musical-Teeniekomödie als Fortsetzung diverser Disney-Klassiker beschrieben, wird daher bereits nach wenigen Augenblicken klar: Nein, dem ist nicht so.

Descendants spielt in seinem ganz eigenen Paralleluniversum, das anderen Gesetzen folgt als die Disney-Meisterwerke. Während sich der künstlerische Totalausfall Maleficent – Die dunkle Fee als „die wahre Geschichte“ von Dornröschen bezeichnet, geht Descendants einen ähnlichen Weg wie die ABC-Studios-Serie Once Upon a Time. Er nimmt ikonografische Elemente von Disney- beziehungsweise Märchengeschichten, um mit den bekannten Aspekten zu kokettieren und im selben Atemzug eine kontemporäre, eigensinnige Crossovergeschichte zu erzählen. Da sich Descendants nach dem Intro in seiner charakterlichen Darstellung der großen Disney-Schurken überdeutlich von den „Originalen“ distanziert, markiert er auch sehr selbstbewusst seinen Non-Kanon-Status. Insofern ist er kein größerer Affront als die Serie Käpt'n Balu und seine tollkühne Crew, in der aus dem Dschungelbuch-Faulenzer Balu ein Frachtpilot in einer von antropomorphen Tieren bevölkerten Variante der 30er-Jahre wird.

Wer als Zuschauer akzeptiert hat, dass sich Descendants gar nicht erst erdreistet, als ernstgemeinte Weitererzählung unvergesslicher Trickfilme zu posieren, dürfte es sogleich deutlich einfacher haben, mit dem Film seinen Frieden zu schließen. Und dies macht sich durchaus bezahlt, denn selbst wenn Descendants längst nicht zur Speerspitze von Disney-Fernsehproduktionen zählt (geschweige denn des Disney-Outputs generell), hat dieser überdrehte Schurkenspaß seine Stärken.

Dies ist zu weiten Teilen dem Regisseur Kenny Ortega zu verdanken, der schon hinter dem High School Musical-Phänomen und dem Halloween-Kultfilm Hocus Pocus stand sowie mit Michael Jackson zusammengearbeitet hat. Ortega bringt nämlich seinen eigenen Sinn für „Camp“ mit, also für selbstsicher in Szene gesetzten, überzogenen und ironischen Kitsch. Wenn etwa die von Broadwaylegende Kristin Chenoweth, Komikerin Weny Raquel Robinson, Komiker Maz Jobrani und Sister Act-Nonne Kathy Najimy gespielten Schurken in knalligen Kostümen und Grimassen schneidend durchs Bild tölpeln, ist das so enthemmt, dass rasch klar wird, was für ein Film das hier ist. Und auch der exzentrische Modegeschmack der Teenie-Hauptdarsteller hat seinen „cheesy charme“, der hier oft wichtiger ist, als profunde Herzlichkeit oder starker Humor mit solidem Fundament. Auf eben dieser Ebene operieren auch die besseren, da freimütigeren Musiksequenzen. Typische Musicalexposition mit Dubstepelementen zu versetzen dürfte Puristen zwar gleich zu Beginn verschrecken, die relativ aufwändige Choreografie und der ohrwurmverdächtige Refrain sollten wagemutigere Musicalfreunde jenseits der Pubertät dennoch vertrösten. Den Kids indes ist solch ein Stilbruch eh egal, so lange die Darsteller mit ansteckender Freude bei der Sache sind – und das ist der Fall.

Zwischendurch bricht aus Ortega aber doch der Traditionalist aus, beispielsweise, wenn er ein ausführliches Duett zwischen Mal und Maleficent ohne größeren Ironie- oder Elektro-Firlefanz umsetzt. Dank der mimischen und gesanglichen Bandbreite von Hauptdarstellerin Dove Cameron und ihrer Filmmutter Chenoweth funktionieren diese „normalen“ Momente – ganz egal, wie sehr sie aus dem sonstigen Tonfall von Descendants herausfallen. Wo Descendants dagegen herb einbüßt, ist in seinen Versuchen, zwischenzeitlich zu allem Überfluss noch als „klassischer“ Teeniefilm aufzugehen. Wenn Mal mit den Tücken der ersten Liebe kämpft, die Kinder der Disney-Prinzessinnen und -Prinzen im reinsten Zickenmodus operieren und sich Jay als Sportler neu entdeckt, gehen dem Drehbuch zügig die Ideen aus. Daher wird vor allem der Mittelteil zum bloßen Abhaken von mal uninspiriert-notwendigen, mal überflüssigen Plotpunkten – ergänzt durch blassen Teeniepop in den Romantik- und Selbstzweifelszenen. Und im Falle von Jay sowie Carlos kommt zudem sehr unruhiger Blödelhumor hinzu, da die Teenie-Buben manchmal ohne ersichtlichen Grund nur noch wie Kindergartenkinder herumtoben. Da haben es Mal und Evie alias Sofia Carson besser erwischt – sie dürfen gelegentlich mit Wortwitz punkten.

Fazit: Das befürchtete Sakrileg ist Descendants längst nicht geworden. Stattdessen ist die knallige Komödie ein verrückter, launiger Mix aus High School Musical, Glee und Once Upon a Time. Die Kleinen wird es bespaßen, die Älteren bekommen neben genussvollem Camp leider auch einige Durststrecken geboten, in denen die Prämisse durch Fließband-Teenieleid verwässert wird.


Descendants – Die Nachkommen ist am 17. Oktober um 20.15 Uhr sowie am 18.Oktober um 13.50 Uhr im Disney Channel zu sehen und bereits als DVD erhältlich.

Guardians of the Galaxy


Das Staffelfinale steht kurz bevor. Doch ehe die Helden aufeinandertreffen, um sich einer neuen, ungeahnt starken Gefahr zu stellen, schlagen die Showrunner eine völlig ungeahnte Richtung ein. Ein anderer Tonfall, ein anderer Look, ja, sogar andere Hauptfiguren. Eine Dosis Abwechslung vor dem großen Knall. Wenn Fernsehserien so vorgehen, kann dies in arge Fanrevolten münden. Oder aber die andersartige, aus dem Nichts geschossene Episode wird vom Publikum mit offenen Armen empfangen und zu einer der besten in der Seriengeschichte ernannt. Ersteres stand 2014 im Kino zu befürchten, doch letztgenannte Option traf tatsächlich ein. Das 'Marvel Cinematic Universe' funktioniert ähnlich wie eine immens kostspielige Serie, statt Jahresstaffeln gibt es sogenannte Phasen. Phase eins handelte von der Entstehung einer heroischen Gruppe und endete mit Marvel's The Avengers, Phase zwei weitet das fiktionale Marvel-Universum aus und findet ihren bombastischen Abschluss mit Avengers: Age of Ultron, ehe Ant-Man als Epilog fungiert. Statt aber das immer näher rückende Finale mit aller Kraft vorzubereiten, widmet sich Phase zwei des 'Marvel Cinematic Universe' in ihrem drittletzten Film einer komplett neuen Truppe von Losern, die heldenhaftes Potential aufweisen.

Nicht allein deswegen galt Guardians of the Galaxy vorab als gewaltiges Risiko für die Marvel Studios. Hinzu kam, dass die Storys um die galaktischen Heroen die bis dahin unbekanntesten Comics darstellten, die als Vorlage für einen Marvel-Kinofilm dienten. Und dann war da noch der Faktor X in Form des Regisseurs James Gunn, der bislang nur durch die Horrortrash-Hommage Slither, die rabenschwarze Selbstjustiz-Komödie Super und das Drehbuch zur sehr freien, sündigen Shakespeare-Adaption Tromeo & Julia auffiel. Bekanntlich zahlte sich die Risikofreudigkeit des Marvel-Filmchefs Kevin Feige aus: Liebenswert obskure Figuren, ein wunderbar eigensinniger Regisseur und eine perfekt abgestimmte Auszeit vom üblichen Avengers-Tonfall mündeten in den USA in ein fantastisches Startwochenende mit einem Gewicht von 94 Millionen Dollar.

Auch im Rest der Welt steuerte Guardians of the Galaxy einen Erfolgskurs an: Unterm Strich standen schlussendlich mehr als 774,17 Millionen Dollar Einspielergebnis. Und dies völlig verdient, denn Exzentriker James Gunn gelang mit diesem Space-Abenteuer ein flotter, spaßiger Superheldenfilm in außergewöhnlicher Optik. Der Frontmann von Marvels Wächtern der skurril gestalteten Galaxis ist Peter Quill, gespielt von einem vor Energie platzenden Chris Pratt. Peter stammt von der Erde, wurde 1988 jedoch von Außerirdischen entführt. Das Leben am anderen Ende des Universums bekam Peter aber recht gut: Er wuchs zu einer gerissenen Kombination aus Indiana-Jones-Abenteuerdrang und Han-Solo-Coolness heran und macht als Artefakte sammelnder Outlaw diverse Winkel des Weltalls unsicher. Als er eines Tages aber seinen launenhaften Ziehvater / Auftraggeber Yondu (spaßig-schroff: Michael Rooker) übervorteilt, setzt dieser ein Kopfgeld auf ihn aus. Derweil macht sich zudem die Kriegsprinzessin Gamora (knallhart: Zoe Saldana) auf die Jagd nach Peter, um das von ihm gestohlene Artefakt an sich zu reißen. Gamoras Attacke auf Peter wird aber jäh von zwei ungleichen Kopfgeldjägern unterbrochen: Dem wandelnden, kräftigen Baum Groot und dem jähzornigen, frechen Waschbär Rocket (im Original gesprochen von Bradley Cooper, im Deutschen von Fahri Yardim).

Wie es der Zufall so will, kann die intergalaktische Polizeiorganisation Nova Corps die vier Gelegenheitshalunken während ihrer Kabbelei dingfest machen. In einem Space-Gefängnis schließt das Quartett zwar nicht gleich Freundschaft, dennoch können es sich angesichts der Macht, die sich hinter Peters jüngstem Diebesgut verbirgt, auf eine Zweckgemeinschaft einigen. Auch der eloquente, alles wortwörtlich nehmende Krieger Drax (erstaunlich humorvoll: Dave Bautista) klinkt sich in die Gruppe ein. Um ihre Haut zu retten und ganz nebenher dem faschistischen Schurken Ronan (kaum wiederzuerkennen und vom Skript im Stich gelassen: Lee Pace) ein Schnippchen zu schlagen, gilt es aber zuallererst, aus diesem vermaledeiten Hochsicherheitsgefängnis auszubrechen …

Bereits ein grober Umriss des Plots dieser 170-Millionen-Dollar-Produktion zeigt auf, dass James Gunn sein Publikum in eine völlig fremde Welt voller neuer Vokabeln und nur dem comicerfahrenen Publikum bekannten Planeten, Zivilisationen und Allianzen stürzt. Im Gegensatz zu vielen neuen Sci-Fi- und Fantasy-Filmen (wie etwa Marvels Thor – The Dark Kingdom) schaltet Guardians of the Galaxy jedoch keinen trägen Prolog vor die eigentliche Handlung. Statt dem Zuschauer haarklein erst alle bedeutsamen Aspekte ihrer fiktiven Welt zu erläutern, schmeißen die Autoren Gunn und Nicole Perlman den Betrachter in bester Manier des originalen Star Wars-Films ins kalte Wasser. Es wird ohne weitere Erläuterungen von der kultischen Alienrasse Kree gesprochen, die mit dem technisierten Planeten Xandar verfeindet sind. Und dann wäre da noch der exzentrische Collector (macht Lust auf mehr: Benicio del Toro) … Wie dies mit den titelgebenden Anti-Helden in Verbindung steht, was die Nova Corps leisten und was der schon in Marvel's The Avengers aufgetretene Thanos (Josh Brolin in einem genüsslichen Miniauftritt) damit zu tun hat, all das und vieles mehr erklärt sich im Laufe des Films oder muss zum Teil aus dem Kontext erschlossen werden.

Somit mag Guardians of the Galaxy das weniger genreaffine Publikum eingangs vielleicht mehrmals verwirren oder gar etwas überfordern. Trotzdem ist es eine sich bezahlt machende narrative Entscheidung, denn dadurch sowie mittels des originellen Produktionsdesigns von Charles Wood baut James Gunn eine einnehmende, in sich geschlossene Filmwelt auf. Die teils absonderlichen, teils verspielten Sets, Kostüme und Requisiten fügen sich zu einem kohärenten Ganzen und machen diese Marvel-Galaxie zu einem der faszinierendsten Sci-Fi-Schauplätze neben George Lucas' umfangreichem Star Wars-Universum und James Camerons Pandora. An das 3D von Avatar reicht die zehnte Marvel-Eigenproduktion zwar nicht heran, Freunde des 3D-Formats bekommen aber genug für ihr Geld geboten.

Zudem hat die Methode „Lieber dreimal das Publikum verwirren als es einmal langweilen“ den bestechenden Vorteil, dass Guardians of the Galaxy innerhalb von gerade einmal zwei Stunden Laufzeit eine überwältigende Anzahl an denkwürdigen, zitierfähigen Momenten unterbringt – dem Mangel an trägem Expositionsmaterial sei dank. Am stärksten sind jene Phasen, in denen Gunn seine fünf Anti-Helden einfach nur interagieren lässt: Der Humor der Figuren ergänzt sich perfekt und egal, ob sie sich gegenseitig auf den Arm nehmen, sie über Widrigkeiten lachen oder aber James Gunn diese unangepassten Charaktere nutzt, um über Blockbusterkonventionen herzuziehen – Guardians of the Galaxy ist ganz klar Marvels bislang humorvollster Film! Aber auch die Kampfsequenzen wissen zu überzeugen, wobei der in Sachen Big-Budget-Action noch unerfahrene Gunn bei den kleineren, unkonventionelleren Szenen eher besticht als bei den wirklich großen Aufeinandertreffen zwischen Gut und Böse.

Während der finale Showdown seine Sache einfach nur adäquat erledigt, zählen Szenen wie der ungeheuerlich lustige Gefängnisausbruch der Guardians zu den unterhaltsamsten Actioneinlagen des Filmjahres 2014. Dies ist auch Mitverdienst des für den Schnitt verantwortlichen Dreigestirns Craig Wood, Fred Raskin und Hughes Winborne, die bei Actionszenen mit beschwingtem Timing zwischen mehreren Kampfschauplätzen hin und her wechseln, ohne dabei zu sehr zu hetzen. Dadurch lassen sich auch die preisverdächtigen Computereffekte besser bestaunen, die sich makellos in die vielen praktischen Sets des Films einfügen.

Trotz des atypischen Looks und des kantigen Gebärdens der Hauptfiguren kann sich aber selbst Guardians of the Galaxy so mancher strikt ausgespielter Blockbuster-Konvention nicht verwehren. So entsteht ein leicht ernüchternder Beigeschmack, dass diese irre Welt und diese kauzigen Figuren nur an der mittellangen Leine gehalten werden, weil die Macher Angst hatten, sonst den Zuschauer zu verschrecken. Nicht zuletzt aufgrund des liebenswerten Groot und seines schroffen, aber auch verletzlichen Gefährten Rocket ist dieses schelmische Spaceabenteuer jedoch so spritzig, dass über diese Schwächen oder den austauschbaren Originalsoundtrack von Komponist Tyler Bates zu großen Teilen hinweg gesehen werden kann. Zu den Klängen treffend ausgewählter Retro-Popsongs rocken Peter Quill und Konsorten eh viel besser!

Freitag, 16. Oktober 2015

Freitag der Karibik #22

Pirates of the Caribbean - Am Ende der Welt ist in meinen Augen ein absolutes Meisterwerk der Spezialeffekthistorie. Echtes und digital bearbeitetes Material greifen in diesem Film nahtlos ineinander. ILM lässt in diesem Video tief in seine Trickkiste blicken, und lässt dabei nicht schlecht staunen ...

Donnerstag, 15. Oktober 2015

Tötet Mrs. Tingle!


Wir schreiben die späten 90er Jahre: Drehbuchautor Kevin Williamson darf sich als neuer König des Teenie-Horrors betrachten. Mit dem von ihm geschriebenen Slasher Scream trat er nicht nur eine neue Filmreihe los, sondern auch eine Welle an jugendorientierten Horrorfilmen. Zudem machte er den Meta-Witz im Genrekino endgültig salonfähig. Mit Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast und The Faculty folgten zwei weitere Teenie-Schauergeschichten, die schwarze Zahlen geschrieben haben. Da war es nur eine Frage der Zeit, bis ihn jemand auch auf dem Regiestuhl Platz nehmen ließ. Dieser Jemand war letztlich das Produzenten-Duo Bob & Harvey Weinstein, die schon hinter den Scream-Filmen und dem von Robert Rodriguez inszenierten Faculty standen. Heraus kam die Dimension-Films-Produktion Tötet Mrs. Tingle!, die für die Titelrolle immerhin Helen Mirren gewinnen konnte - und sonst recht wenig zu bieten hat.

Mit seiner ersten und bislang letzten Regiearbeit versuchte sich Williamson an einem Spagat: Einerseits ist Tötet Mrs. Tingle! als Suspense und Humor mischende Geschichte über High-School-Teenies firm in Williamsons Komfortzone verortet. Andererseits drosselte der Autor deutlich den Gewaltgehalt: In den USA wurde es Williamsons erster Film mit einem PG-13-Rating, in Deutschland reichte es für eine lockere FSK-Freigabe ab 12 Jahren. Der im Kino sonst so sehr auf Blut setzende Williamson kompensierte dies jedoch nicht etwa mit den melodramatischen, ernst behandelten Jugendproblemen, die er im Fernsehen mit Dawson's Creek anpackte. Stattdessen verzapfte er mit Tötet Mrs. Tingle! eine schwarzhumorige Komödie, die sich in dramatische Plattitüden und lasche Thrillerpassagen verirrt.

Die "Heldin" des Films ist Katie Holmes (damals bekannt für ihre Rolle in Dawson's Creek, und noch nicht für ihre kurze Ehe mit Tom Cruise) in der Rolle der bald ihren Abschluss machenden Schülerin Leigh Ann Watson. Die Spitzenschülerin träumt davon, ihren ärmlichen Verhältnissen zu entkommen, indem sie ein Stipendium erhält und auf ein großes College geht. Ihre Chancen auf diesen Studienzuschuss stehen jedoch auf der Kippe. Daher muss eine Eins in Geschichte her, was sich aufgrund der strengen Art der Geschichtslehrerin Mrs. Tingle als nahezu unmöglich erweist. Als Leigh Ann ungewollt in den Besitz der Prüfungsunterlagen gelangt und von der gestrengen Lehrerin erwischt wird, scheinen die Zukunftsaussichten der verzweifelten Schülerin endgültig zerstört. Daher begeben sich Leigh Ann und ihre Freunde Jo Lynn (Marisa Coughlan) und Luke (Barry Watson) abends ins Haus er Lehrerin, um auf sie einzureden. Die Debatte eskaliert und Mrs. Tingle wird verletzt. Voller Panik greifen sich die Teenager ihre Lehrerin und fesseln sie an ihr Bett. Ein reiner Psychokrieg entsteht ...

So, wie Williamsons Film strukturiert ist und seinen Fokus darauf legt, Leigh Ann als Identifikationsfigur aufzubauen, liegt die intendierte Lesart dieses Thrillers auf der Hand: Die Protagonisten sind als Helden zu betrachten, leben einen Teenie-Traum aus, werden von einer garstigen Lehrerin tormentiert und letzten Endes geht es darum, wie das "Biest" bezwungen wird. Jedoch geht diese Rechnung aus diversen Gründen nicht auf. Sobald man als Zuschauer mitdenkt, verschieben sich die Allianzen: Tingle wird als unausstehliches, unbarmherziges Monster dargestellt. Aber davon abgesehen, dass Helen Mirren als einzige Person in diesem Film glaubwürdig und wie ein echter Mensch spielt und sich daher gewaltige Sympathiepunkte verdient, ist sie einfach nur eine normale Lehrerin. Während ihre Schüler aus einer schlechten Teeniekomödie entflohen sind: In ihren Geschichtsreferaten geben sie sich zwar bei der Präsentation Mühe, versäumen es aber, Quellen zu nennen oder bringen wichtige Fakten durcheinander. Dass Tingle schnippische Kommentare abgibt, ist nicht die feine Art, ihre Noten sind aber an realen Maßstäben gemessen sogar gnädig. Daher in ihrem Haus einzudringen und sie niederzustrecken, ist absurd. Und die "Es ist nur ein Film, genieße doch einfach den Ritt"-Herangehensweise an Tötet Mrs. Tingle! scheitert total, da Holmes und ihre gleichaltrigen Kollegen zu blass bleiben, als dass sie einen auf ihre Seite ziehen könnten.

Wenn Tingle die Schüler im Mittelpunkt gegeneinander aufbringt, indem sie vorgibt, ihre persönlichen Geheimnisse zu durchschauen, deutet sich an, Williamson würde die Kurve kriegen und enthüllen, dass Tingle eine Lehrerin vom Schlage eines "Drill Sergeant mit Herz aus Gold" sei: Sie will mit ihrer schroffen Art bloß das Beste aus den Schülern kitzeln. Das wäre zwar klischeehaft, würde der Story aber ein tragfähiges Fundament verleihen. Dann aber wird dies als Finte enthüllt, um ein lachhaftes Finale zu kreieren. Auf dem Weg dorthin gibt es eine Sexszene nach dem Schema F für züchtige, möchtegernpikante Teeniefilme, viel Gekeife und immerhin ein paar nette Sprüche, die Williamsons ans fesche Feder in Scream 1 und 2 erinnert. Diese genügen aber nicht, um Tötet Mrs. Tingle! davor zu bewahren, als qualitativer Totalausfall zu enden.

Fazit: Das ist nur was für leidgeprüfte Helen-Mirren-Komplettisten und Miramax-Nostalgiker, die sich an die mageren Auswüchse der Teenie-Horror-Phase erinnern wollen, die die Weinstein-Brüder durchgemacht haben.

Sonntag, 11. Oktober 2015

Das erwartet uns mit "Zoomania"


Noch rund ein halbes Jahr müssen Disney-Liebhaber und Animationsfilm-Anhänger warten, bis mit Zootopia das nunmehr 55. Meisterwerk der Walt Disney Animation Studios in den Kinos anläuft. Einen ersten Einblick in die hierzulande auf den Titel Zoomania hörende Komödie hat die Traditionsschmiede aber bereits jetzt gewährt: Produzent Clark Spencer schneite diese Woche in Hamburg vorbei und präsentierte der geladenen Presse Konzeptbilder, Ausschnitte aus der Recherchearbeit der Filmcrew sowie erste Szenen. Um eins vorweg zu nehmen: Zoomania wurde von manchen der anwesenden Journalisten zunächst mit Zweifeln begrüßt – doch am Ende der Präsentation lag große Vorfreude in der Luft. Respektive Ungeduld. Denn das gezeigte Material weckte einhellig großen Durst nach Mehr!


Für alle, die bislang keinen Wind vom neuen Film des Rapunzel-Regisseurs Byron Howard und des Ralph reicht's-Regisseurs Rich Moore bekommen haben, fasste Spencer zu Beginn der Veranstaltung das grundlegende Konzept zusammen: Zoomania ist eine Detektivgeschichte, die in einer Welt spielt, die von anthropomorphen Tieren bevölkert wird. Genauer gesagt spielt sich der Animationsfilm in einer Megametropole ab, in der alle möglichen Arten von Säugetieren zusammenleben und -arbeiten. Doch der utopische Schein dieses artenübergreifenden Schmelztiegels trügt: Die Gesellschaft ist von Vorurteilen durchzogen. Die junge Häsin Judy Hopps möchte diese als Lüge entlarven und daher als erste Vertreterin ihrer Art eine erfolgreiche, knallharte Polizistin werden. Die größeren, stärkeren Tiere auf dem Revier nehmen sie jedoch nicht ernst und kommandieren sie daher zur Politesse herab. Judy lässt sich dies aber nicht gefallen und fordert ihr Recht darauf ein, ein ernstzunehmendes Verbrechen zu klären. Daher wird sie mit einem Vermisstenfall beauftragt – und der einzige Zeuge in diesem Verbrechen ist ausgerechnet Nick Wilde, ein Fuchs, wie er im Buche steht …



Die vier Disney-Prinzipien
Wie förmlich jeder Disney-Filmemacher, schwört auch Clark Spencer auf die großen Prinzipien des Disney-Vermächtnisses. Wie dieses zu verstehen ist, da scheiden sich bekanntlich die Geister, weshalb es auch unter großen Disney-Fans und belesenen -Historikern zu Streitereien kommt. Für Spencer besteht das Disney-Geheimnis aus vier goldenen Regeln, wie er in Hamburg erläutert:

Erstens: Bei Disney erzählen wir zeitlose Geschichten für ein Publikum von heute. Zweitens: Jeder Disney-Filme sind für Zuschauer jeden Alters gedacht, also für Jüngere und für Ältere. Drittens: Unsere Filme müssen auf irgendeine Weise sowohl die Lachmuskeln als auch das Herzen berühren. Und Viertens: Jede unserer Produktionen soll Walt Disneys Qualitätsansprüchen gerecht werden!

Ob Zoomania dem vierten Ziel gerecht wird, dass sich die Regisseure Howard und Moore sowie Produzent Spencer gesetzt haben, lässt sich selbstredend erst einschätzen, sobald das fertige Produkt vorliegt. Allerdings zeichnet sich schon jetzt ab, welch großer Kinospaß uns da bevorsteht – zumindest, sofern der Rest des Films den vorgeführten Ausschnitten in Nichts nachsteht. Und dass Zoomania die ersten drei Prinzipien einhält, würde ich auf jeden Fall schon jetzt unterzeichnen: Es wird eine zeitlose Geschichte darüber erzählt, dass wir alle unseren Träumen folgen sollten – wenn schon eine Häsin Polizistin werden kann, dann sollten wir uns auch nicht so schnell geschlagen geben. Als Fabel über Vorurteile und Doppelmoral hat diese Trickkomödie zudem bei all ihren Verrücktheiten und genüsslichen Albernheiten auch Hintersinn zu bieten, der leider noch immer hoch aktuell ist.


Da diese Lektion, basierend auf den ersten Ausschnitten, sehr amüsant vermittelt wird, sollte diese Mischung aus Herz und Witz weder zu moralinsauer für die Kids sein, noch zu seicht für das ältere Publikum. Und auch wenn sich eine kleine Fraktion innerhalb der Disney-Fangemeinde jedes Mal aufs Neue mokiert, wenn eine aktuelle Produktion in der Gegenwart spielt, so gibt es „moderne“ Filme schon seit Walt Disneys Zeiten. Dass in der langen Riege an Disney-Cartoontieren nach dem Tageszeitung lesenden Donald Duck und dem Telefonzellen benutzenden Micky Maus nun eine Judy Hopps via Smartphone einen Videochat mit ihren Eltern abhält, sollte streng genommen also keinen Disney-Chronisten erschüttern. Zumal die Modernisierung nicht die Handlung kapert, sondern primär im Detail geschieht – und auf Details wird in Zoomania eh großen Wert gelegt.



Der Look: Von Fellen, Gangarten und artübergreifender Architektur

Als Howard nach Fertigstellung von Rapunzel den Wunsch äußerte, einen Animationsfilm über vermenschlichte Tiere zu verwirklichen, wurde er von John Lasseter, laut Spencer, wie Baby Simba feierlich emporgehoben. Der Hawaiihemdenträger hatte allerdings eine Bedingung: Howards Film sollte sich von allen anderen Trickfilmen über sprechende Tiere unterscheiden. Auf gestalterischer Seite beschlossen Howard und sein Team daher alsbald, bei Zoomania, im Gegensatz zu anderen Produktionen dieser Art, durchgehend die Größenverhältnisse zwischen den Tieren zu beachten. Statt sich also Fantasiemaße auszudenken oder gar alle gleich groß zu machen, sollten die Relationen in diesem Film wirklichkeitsgetreu sein. Ein Gnu hat also ungefähr die Größe, die ein Mensch hätte, würde er im Filmuniversum existieren. Und um auf Augenhöhe mit einem Gnu zu kommen, müssten sich demnach über 20 Mäuse stapeln. Eine Giraffe wiederum ist in Zoomania so groß wie 95 Mäuse.

Dies wiederum provozierte eine große Herausforderung im Design des Handlungsortes: Die Welt von Zoomania muss deswegen auf Bewohner von überaus unterschiedlichen Ausmaßen ausgerichtet sein. Denn das Team hat beschlossen, alle möglichen Säugetiere durch die Metropole stapfen zu lassen, um so den Druck auf Howards Wunschprotagonisten 
(einen Fuchs, weil Howard Robin Hood liebt, sowie eine Häsin, weil er die so gerne zeichnet) zu erhöhen. Aufgrund ihrer vergleichsweise ähnlichen, geringen Größe werden die natürlichen Feinde urplötzlich zu notgedrungenen Partnern, wenn sie sich zwischen Riesen aufhalten müssen.

Um dies zu bewerkstelligen, haben sich die Produktionsdesigner allerhand pfiffige Details einfallen lassen. So umfasst ein Hotelbett in Elefantengröße auch Schubladen, aus denen sich kleinere Betten ziehen lassen. Und damit Nagetiere wie Hamster und Mäuse auf einem Zebrastreifen nicht totgetrampelt werden, gibt es in Zoomania Untergrund-Straßenübergänge speziell in Nagergröße. Diese und viele weitere künstlerische Feinheiten machen Zoomania zu einem sehr detailreichen, verrückten Film, bei dem das Auge amüsiert durchs Bild schweifen darf.

Hier endet die Detailliebe aber noch lange nicht. Denn zu Beginn der Produktionszeit haben sich die Disney-Künstler erst einmal in eine 18-monatige Recherchearbeit zum Thema Tiere gestürzt. Zunächst stand ein ausgedehnter Besuch in Disneys Animal Kingdom an, der es ihnen erlaubte, lange Gespräche mit Experten zu führen und hautnah an exotische Tiere zu gelangen. Darauf folgte ein Trip nach Kenia in ein Wildtierreservat, um auch einen Eindruck davon zu gewinnen, wie sich diverse Arten in ihrem natürlichen Umfeld begeben. Laut Spencer war dies für alle Beteiligten eine "lebensverändernde Reise", und zudem der Stein des Anstoßes für die Animatoren, den faszinierenden Eigenheiten sämtlicher Tiere gerecht zu werden und auch in ihrer vermenschlichten Form ihren jeweiligen Gang einzufangen. In der Computeranimation ist die Simulation eines typischen "Walking Cycles", also einer charakterisierenden Art zu gehen, mit das Erste, was in der Gestaltung einer Figur erfolgt. Und in Zoomania erhält jede der rund 50 Tierspezies ihre eigene Gangart, die sich am Original orientiert. So wackeln beim Kamel selbst in der auf zwei Beinen laufenden Zoomania-Version Hocker und Lippe im Takt mit. Obwohl dies viel Recherche- und Feinarbeit bedeutete, weckte dies die Inspiration der Animatoren, weil sie viele verschiedene Bewegungsmacken karikieren durften. Und sich zudem "endlich wieder mit anthropomorphen Tiere austoben" konnten. Zu welchen Verrücktheiten das führte, belegte Spencer mit einem Animationstest für einen zu Elektro-Dancemucke tanzendem Tiger, den die Disney-Künstler aus Jux erstellt haben.

Wie mittlerweile von Disneys abendfüllenden CG-Abenteuern gewohnt, bringt auch Zoomania zudem die Animationstechnik einen Schritt weiter. Wie Spencer mittels mehrerer Testclips und Filmausschnitte vorführte, lässt sich in Howards und Moores Film nicht nur bei jeder Spezies eine eigene Art zu gehen bestaunen. Die Trickkünstler aus dem Hause Disney haben sich obendrein dazu hinreißen lassen, bei jeder einzelnen Tierart genau das Fell zu untersuchen: Welche Textur hat es, welche Dichte, welche Farbe, und wie wird es vom Wind beeinflusst? Statt Eisbären etwa mit weißem Fell auszustatten, orientieren sie sich in Zoomania an der Natur und verleihen ihnen durchsichtiges Fell, das jedoch so beschaffen ist, dass es durch Lichtreflexionen weiß, leicht vergilbt aussieht. Auch die verschiedenen Rottöne an einem Fuchshaar werden berücksichtigt, und, und, und ... Zu guter Letzt sorgt ein neues Programm namens Keep Alive dafür, dass das Bild stets lebendig ist. Jedes einzelne Blatt in einem Baum wiegt sich nunmehr im Wind, und auch jedes Haar der animierten Tiere wird dadurch beeinflusst. Spencer zeigte als Beleg eine Szene, in der Nick und Judy durch eine Gasse gehen, die vom Schatten eines Baums verdunkelt wird. Der Schatten bewegt sich, windbedingt. "Das ist etwas, das nur wenige Zuschauer sehen, aber alle Zuschauer fühlen es", so der Produzent.




Gut gebrüllt, Löwe?


Die im Netz seit Monaten von einigen Fans gestellte Frage, weshalb es in Zoomania nur Säugetiere zu sehen gibt, beantwortete Spencer in Hamburg übrigens ebenfalls: Laut ihm gibt es zwei Beweggründe. Einerseits mussten Vögel, Insekten, Fische und Reptilien weichen, weil man ein rund 90-minütiger Film nur ein bestimmtes Maß an Erklärungen tragen kann, ehe er zusammenbricht. Neben der Story möglichst nonverbal Weltenbildung zu betreiben, erwies sich schon unter der bloßen Berücksichtigung von Säugetieren als schwer genug. Das Portfolio an Tieren dann noch auszubauen, erwies sich studiointern als nahezu unmöglich. Darüber hinaus begnügte man sich mit Säugetieren, weil man mit ihnen am effektivsten eine reizvolle Geschichte über Jäger und Gejagte erzählen könnte.


Auf die Antwort auf eine weitere Frage dürfen wir uns laut Spencer ebenfalls freuen: Den Komponisten des Films. Diesen möchte Disney noch einige Wochen geheim halten, aber der Produzent bezeichnet ihn als ganz große Nummer sowie als Debütanten im Disney-Meisterwerke-Kanon, der es hervorragend versteht, die multikulturelle Seite der Filmwelt einzufangen.

Doch auch ohne dieses abschließende Rätsel Spencers war es eine sehr gelungene Präsentation, die mich noch heißer auf den Film gemacht hat. Denn ich bin seit jeher ein Freund der sprechenden, vermenschlichten, witzigen Disney-Tiere. Wieder einen Film aus dieser Disney-Ecke zu erhalten, spricht mich eh an. Und selbst wenn ich unsicher bin, ob Zoomania ohne große Actionsequenzen oder alternativ Musicaleinlagen ein derartiger Hit wird wie Baymax und Die Eiskönigin, so ist es ein Film, auf den ich große Stücke halte. Es scheint primär eine Komödie zu werden, aber anders als die meisten Trickkomödien der Non-Disney-Studios eine, die charaktergesteuert ist und eine durchdachte, komplexe Welt vor unseren Augen ausbreitet. Lachen, mit dem gewissen Funken Disney-Magie. Also, ich freu mich drauf!

Zoomania startet am 3. März 2016 in den deutschen Kinos!