heute mit: Jugendliche Liebe und der Ausblick auf ein neues Leben vs. Rückblickendes Bedauern aus der Position eines alternden Eingesessenen
"Selbes Thema - andere Herangehensweise" ist die unregelmäßige Rubrik bei Sir Donnerbolds Bagatellen, die uns zeigt, wie man es mit ein bisschen Kreativität schafft, Werke mit dem selben Kernthema völlig anders wirken zu lassen.
Und wieder einmal möchte ich euch an dieser Stelle zwei Lieder vorstellen. Dieses Mal geht es um ein ganz besonderes Paar aus der deutschsprachigen Musikwelt, bei denen die musikalischen Unterschiede trotz verschiedener Zielgruppe und Musikrichtung überraschend gering sind. Umso größer aber die unterschiedliche Wirkung.
Das Thema der Lieder ist die Idee eines urplötzlichen Aufbruchs, die Sehnsucht nach einem neuen Leben, das man sofort beginnt. Die Vergangenheit hinter sich lassen, einfach so.
Die jeweiligen Lieder stammen aus verschiedenen Jahrzehnten: Es sind Udo Jürgens' "Ich war noch niemals in New York" und Karpatenhunds "Zusammen verschwinden".
Im Gegensatz zu den Paaren, die ich euch in den ersten Ausgaben dieser Reihe vorstellte erzählen die beiden Songs jedoch nicht eine ähnliche Geschichte. Ganz im Gegensatz, sie sind ziemlich unterschiedlich. Doch in beiden Geschichten spielt dieses Gefühl eine zentrale Rolle, die Sehnsucht nach Veränderung.
Und wie unterschiedlich - und zugleich auch ähnlich - man über die Sehnsucht nach einem urplötzlichen Tapetenwechsel, dem Aufbruch in ein anderes Land, ein neues Leben, referieren kann, möchte ich nun anhand dieser zwei Lieder aufzeigen:
Das Paar:
Zusammen Verschwinden (von Karpatenhund):
Ich war noch niemals in New York (von Udo Jürgens):
Die Sehnsucht nach Veränderung und dem Aufbruch in ein neues Leben, irgendwo anders:
Obwohl die Lebenssituationen des lyrischen Ichs aus "Zusammen Verschwinden" und der vom singenden Er-Erzählers beschriebenen Person in "Ich war noch niemals in New York" sehr unterschiedlich sind und auch sich auch ihre Beweggründe für das Fernweh unterscheiden, so teilen sich beide Lieder ein ähnliches Grundgefühl:
In beiden Liedern wird der Wunsch nach einem Neuanfang beschrieben, ein Aufbruch in ein neues Leben. In den zwei Liedern wird der Neubeginn mit einem Ortswechsel in die Ferne gleichgesetzt. Sei es die Weltreise, die einen durch verschiedene bekannte Ziele dieser Welt führt, sei es der ziellose Aufbruch irgendwohin.
Wie bereits erwähnt, und für den Musikrezipienten schwer zu überhören, sind die Auslöser und Hintergründe für die Gedankenspielereien mit einem Aufbruch unterschiedlich. Während das vermutlich weibliche lyrische Ich von "Zusammen Verschwinden" offensichtlich noch als Jugendliche oder junge Erwachsene zu beschreiben ist und mit einer Person, die ihr auffiel, einfach vom bislang bekannten Lebensumfeld verschwinden möchte, ist die Hauptfigur des Liedes "Ich war noch niemals in New York" bereits sesshaft geworden und in einem alltäglichen Leben gefangen.
Die Jugendliche geht in ihren Gedanken spontan das Risiko ein, für eine Liebe alles aufzugeben und in trauter Zweisamkeit ""irgendwas geheimnisvolles" zu tun. So lange es geht. Die symbolische Form der Liebe als Reise wird für bare Münze genommen.
Die Sehnsucht nach neuem und der Ferne vom bisherigen Leben teilt sich auch die alternde Hauptperson des deutschen Schlagerklassikers von Udo Jürgens. Allerdings kommt in diesem Falle ein größerer Frust mit dem bisherigen Leben ("Bohnerwachs und Spießigkeit") hinzu.
Der Kontext ist anders, die Gemütslage jedoch identisch. Es ist eine Komposition aus Melancholie, Sehnsucht nach neuem, Frust und dieser flau in der Magengegend liegenden Ungewissheit. Jedoch schwingt auch gewisser Ehrgeiz mit - zu erkennen an den detaillierten Wünschen ("durch San Francisco in zerrissenen Jeans"), die man verwirklichen würde, gäbe man sich den letzten Ruck zur Abreise, beziehungsweise an den Vorsichtsmaßnahmen vor der imaginären Fahrt in die Ferne ("ich möchte dir vertrauen können ohne dass du weißt, dass ich ein Messer bei mir trage in meinem Ärmel jederzeit.").
Letzterer Aspekt ist besonders interessant, da er bei entsprechender Interpretation ein neues Licht auf die emotionale Situation des lyrischen Ichs von "Zusammen Verschwinden" wirft. Die Erwähnung eines Messers im Ärmel könnte leichtfertig als Zugeständnis dafür gelten, dass junge Frauen sich zunehmend selber verteidigen können möchten. Jedoch ließe es sich auch als Indiz dafür deuten, dass das lyrische Ich vornehmlich ein neues Leben beginnen möchte, und zu diesem Zwecke auch auf einen Weggefährten zurückgreifen würde, der nicht einmal vertrauenswürdig genug ist, diese Maßnahme wegfallen zu lassen.
Somit tritt die Liebe in diesem Lied als Auslöser für die Sehnsucht nach der Ferne weiter in den Hintergrund, als man beim ersten Anhören vermuten würde - was die zwei Lieder in der Stimmung ähnlicher werden lässt.
Gemeinsam ist beiden auch, dass die erträumte Reise nicht zustande kommt, was eine zusätzliche Tragik hinzubringt.
Diese lässt sich auch in der Musik allein erkennen: Zwar ist Karpatenhunds Lied generell beschwingter und schneller, so bringen mehrere Elemente, vor allem der instrumentale Abschluss oder auch die Intonierung der Sängerin im letzten Refrain, auch Melancholie ins Lied ein.
Udo Jürgens' Lied ist sozusagen die Negativform: Vornehmlich melancholisch und nachdenklich, so weiß der Takt doch zum beschwingten Schunkeln einzuladen.
Fazit:
Ob melancholische Beschwingtheit wie bei Karpatenhund oder beschwingte Melancholie wie bei Udo Jürgens: In der Musikwelt wird öfters die Faszination der Ferne und der emotional so herbei gewünschte Aufbruch ins Unbekannte behandelt. Trotz gefühlsmäßiger Verwandtschaft ist es dennoch möglich, beide Themen anders zu behandeln. Mal als hoffnungslose und überstürzte, nahezu blauäugige Liebesgeschichte oder auch als der Wunsch im Alter alles nachzuholen, was man bislang im Leben versäumte.
0 Kommentare:
Kommentar veröffentlichen