Montag, 7. Dezember 2009

Rammstein - Liebe ist für alle da

Zärtliches Vorspiel

Lange habe ich nachgegrübelt, wie ich Ursula von der Leyens Wechsel vom Familien- ins Arbeitsministeriums hier im Blog am besten zelebrieren könnte. Eine öffentliche Festschrift? Ein satirischer Blick in die Zukunft unter Arbeitsministerin von der Leyen?

Am Ende entschloss ich mich für etwas weniger spezielles. Stattdessen möchte ich hier an dieser Stelle - sozusagen als demonstrativ stillen Protest - eine schlichte Rezension des aktuellen Rammstein-Albums Liebe ist für alle da, welches in der ungekürzten Fassung indiziert wurde (mehr dazu). Albenrezensionen sind hier im Blog ja eher eine Rarität und ursprünglich sah ich auch für dieses Album keine ausführliche Rezension vor, aber angesichts dieses politischen Ereignisses wollte ich eine Ausnahme machen. Also überredete ich mich selbst dazu, Liebe ist für alle da aus dem Kritikerblickwinkel zu betrachten, um daraufhin in die Tasten zu hauen.

Die harte Nummer

Das Album eröffnet mit einem an Kirchenchoräle erinnernden Till Lindemann, der dem Zuhörer verkündet, dass derjenige der mit Besonnenheit wartet zur rechten Zeit belohnt wird. Dieses Intro zum wuchtigen Rammlied, bestehend aus einem hämmernd-energetischem Refrain und melodischeren, in ihrer Eingängigkeit beschwörerischen Strophen (mit sich wiederholender Eröffnungszeile). Das Rammlied ist eine hervorragende Einstimmung auf das restliche Album: Es fällt zwar aus dem sonst recht konsequent durchgezogenem Leitmotiv des Albums (Liebe - betrachtet durch die zynisch-derbe Rammstein-Brille) heraus, lässt sich dafür leicht als selbstrefferentieller (und absichtlich selbstüberschätzender) Prolog deuten, der die Wartezeit auf Liebe ist für alle da und die Rückkehr der Band ("Bist du einsam und allein, wir sind hier, schalte ein!").

Direkt im Anschluss folgt der Indizierungsgrund für die ungeschnittene Fassung des Albums, nämlich die mitsingbare S/M-Hymne Ich tu dir weh, welche mit 5:01 Minuten zusammen mit dem minimal längerem Rammlied den ausführlichsten Song des Albums darstellt.
Weshalb gerade Ich tu dir weh der Bundesprüfstelle für jugendgefährdenden Medien negativ auffällt, leuchtet mir kein Stückchen ein. Ganz davon abgesehen, dass das melodisch-harte Lied Ich tu dir weh keineswegs Ernst genommen werden möchte (wenn Lindemann staubtrocken Texte wie Stacheldraht im Harnkanal und Wünsch' dir was, ich sag' nicht nein, und führ' dir Nagetiere ein vorträgt und kurz danach der durch markante E-Gitarre und wummerndes Schlagzeug aufgepeppte Refrain im Pop-Rhythmus daherkommt, dann kann man das unmöglich nicht als Ironie erkennen), es enthält nichtmal irgendwelche missverständlichen Botschaften, die minderjährige zu sexuellen Gewalttaten verleiten könnten. Die besungene S/M-Beziehung baut zweifelsfrei auf beidseitigem Einverständnis auf, und völlig gleich, was man selbst davon hält, so sollte es niemanden stören, wenn sich zwei gefunden haben, die gemeinsam ihre Freude daran haben. Es bleibt unklar, ob Rammstein mit diesem Lied Sadomaso-Praktiken oder die öffentliche Vor- bzw. Darstellung eben solcher durch den Kakao zieht, die Indizierung von Ich tu dir weh macht dagegen unmissverständlich klar, was die BPjM von dieser sexuellen Spielweise hält.
Von der Indizierung abgesehen ist Ich tu dir weh allein von der Notenfolge her ein sehr poppiges Stück, das in bester Rammstein-Manier durch Text und Gesang massenuntauglich gemacht wird. Eine gute Nummer, aber etwas rauer hätte es für meinen Geschmack schon zugehen können.

Diesen Wunsch erfüllt mir Rammstein direkt im Nachfolgetitel auf dem Album, Waidmanns Heil.
Jagdhörner blasen zu Beginn des Tracks zur abgehetzten Jagd zurück zu Rammsteins Wurzeln, lange vor dem frostig-dunkelromantischen Album Rosenrot. Die Instrumente werden geschunden, laut wird das "Heil!" im Jägergruß gebrüllt und noch deftiger wird der Tod der gejagten Kreatur gefordert. Waidmanns Heil donnert, scheppert, trasht und beinhaltet eine clevere, harmonischer arrangierte Bridge im Midtempo, die das hektische Waidmanns Heil zu einer Wonne für metalhörende Fleischfresser (obgleich man Waidmanns Heil angeblich auch als den "Jagdgesang" auf Frischfleisch ganz anderer Natur auslegen können soll).

Track 4 des Albums, Haifisch, ist eine durchaus poetische, elektrischere, mit genial fiepsendem Keyboard unterlegte Midtempo-Nummer, in der Rammstein Die Moritat von Mackie Messer paraphrasiert. "Und der Haifisch, der hat Tränen / und die laufen vom Gesicht / doch der Haifisch lebt im Wasser / so die Tränen sieht man nicht" singt Lindemann beschwingt mit unterschwelligem Herzschmerz der betrübt-männlichen Kategorie. Ein rundum gelungener Song mit toller, mittelschwerer, gezügelter Power-Metal-Instrumierung, der direkt ins Ohr geht und zum rhythmischen Kopfwackeln einlädt.

Mit B******** rammt die Band wieder härter in Richtung Trommelfell und lässt schwere, langsam-kurze Notenfolgen erklingen, während Lindemann über das verbotene, womöglich gefährliche Objekt seiner Begieder spricht/herumbrüllt. Dieses "Bückstabü" kann für alles stehen, was man halt meint unbedingt zu benötigen, aber nicht haben darf; vor allem ist es aber ein so kurioses Wort, dass man fast an die Verrückten von Knorkator denken muss, nur dass ihr B******** sicherlich noch mehr begröhlt werden würde.

Mit Frühling in Paris folgt die erste von zwei Balladen des Albums, die für mich den größten Schwachpunkt von Liebe ist für alle da darstellt. Rammstein-Balladen sind generell weniger mein Fall - vom kraftvollen und epischen Ohne dich abgesehen - und trotz der schicken Anspielung an Édith Piafs Non, je ne regrette rien bildet Frühling in Paris keine Ausnahme. Behäbig schleppt sich dieser Alternative-Rock-Chanson voran ohne Spannung oder Gefühl aufzubauen. Die Ballade über Entjungferung durch eine ältere Französin (und dann auch noch auf "französisch") ist für mich wirklich verzichtbar und nicht sonderlich denkwürdig.

Mit Wiener Blut verewigt Rammstein, wie schon mit Mein Teil, eine weitere Schandtat, die nicht aus den Schlagzeilen wegzudenken war. Aus der Sicht des Täters wird der Inzestfall aus Amstetten verarbeitet, bei dem ein Vater seine Tochter jahrelang im Keller einsperrte und mit ihr mehrere Kinder zeugte. Wiener Blut ist deshalb schon allein inhaltlich das härteste Stück des ganzen Albums, und nach dem Anhören dieses Liedes wirkt die Indizierung von Ich tu dir weh gleichmal um ein vielfaches verwunderlicher. Denn dank der für Rammstein typischen Energie des Liedes und der übersprühenden Sangesfreude, die unterschwellig in Lindemanns Stimme mitschwingt hat Wiener Blut eine mitreißende Wirkung - das Lied verherrlicht die Tat keinesfalls, aber da man beim Anhören dieses Songs gewaltigen, rockenden Spaß haben kann (und es nicht etwa strikt darauf ausgelegt ist abzuschrecken), hätte ich der BPjM eine Indizierung zugetraut.
Was an Wiener Blut auffällt, ist die musikalische und textliche Schizophrenie. Das Lied wechselt zwischen sehr minimalistischen, sachten Momenten, in denen Lindemann mit der beängstigenden, leisen Stimme eines Wahnsinnigen spricht, wie bessessen jedes Wort vorsichtig über seine Lippen fließen lässt, in der Hoffnung so jemanden anlocken zu können, und sehr lauten, aggressiven Momenten, in denen der Sänger bedrohlich brüllt und die Instrumente förmlich auf einen eindreschen. Diese Stimmungswechsel sind ein genialer Kunstgriff, der Wiener Blut auf künstlerischer Ebene zum Höhepunkt des Albums machen, und bringen zugleich eine Dynamik in den Song, dank der man zu Wiener Blut ordentlich abgehen kann. Die leisen Parts, in denen eingespieltes Kindergewimmer zu vernehmen ist, wirken wie ein Spannungsaufbau, der sich mit gealtigem Donner in den harten Parts entlädt.

Auf Track 8 versteckt sich die erste Singleauskopplung des Albums, die höchstironischen Sextourismusparodie Pussy. Mit Pussy hatte ich zunächst einige Probleme (wehe, irgendwer reißt diesen Satz aus dem kontext und zitiert ihn irgendwo), da es hörbar stark als Singleauskopplung ausgelegt wurde. Außerdem ist es (oberflächlich betrachtet) ein musikalischer Stilbruch für Rammstein. Pussy klingt weniger nach Rammstein, und mehr nach Elektropop-Disco mit sehr sachten Industrialanleihen. Anfangs missfiel mir auch das absichtlich grauselige, sperrige Deutsch/Englisch-Gewurschtel, mittlerweile habe ich Pussy allerdings mehrmals gehört und der Song hat sich erfolgreich in meinem Gehörgang festgesetzt. Durchaus zu meiner Freude, denn Pussy ist ein feucht-fröhlicher, kurzweiliger Song mit willkommen-überdrehten Klischeelyrics (von der "Bratwurst in dein Sauerkraut" bis hin zum "Blitzkrieg mit dem Fleischgewehr", der gerne als Albumtitel hätte herhalten dürfen), den man gerne mitsingt, wenn man sich erstmal an ihn gewöhnt hat. Anders gesagt: In Pussy muss man sich einarbeiten, um sein Vergnügen damit zu haben (erneutes Zitatverbot!).

Liebe ist für alle da, der titelgebende Track des Albums, bringt uns in seinem Refrain wieder in melodiös-rockige Gefilde, die die Sehnsucht des lyrischen Ichs nach einer Frau ausdrücken, während die Strophen, in denen das lyrische Ich verzweifelt baggert, vorsichtig trashen, bis das Trash-Metal-Element des Liedes in der Bridge zum Refrain hin eskaliert. Ein insgesamt sehr gelungener Track mit einem großartig-bösen Twist: Das von Liebe träumende lyrische Ich gibt seiner verärgerten Seite nach und holt sich einfach das, was es möchte. Zunächst in seiner Fantasie, zu letzt in der Realität.

Die letzten zwei Titel des Albums sind wieder etwas schwächer: Da wäre zum einen Mehr, der auf Neue Deutsche Härte-Art mit dem Neokapitalismus abrechnet (auch wenn er laut der Band ursprünglich nicht als solche gedacht war), allerdings sehr uninspiriert daherkommt, und die dunkle Ballade Roter Sand, die als Kuschelmetal-Western über ein verlorenes Pistolenduell um eine Frau daherkommt und für nebenher ganz nett ist, aber mehr auch nicht.

"Und was machen wir jetzt?"

Mit lediglich drei Enttäuschungen (Frühling in Paris, Mehr und Roter Sand) ausgestattet, schneidet Liebe ist für alle da sehr gut ab. Rammstein lässt die grimmig-epischen Musigeschichten liegen, und kehrt im sauber produzierten Album wieder zu alter Form zurück. Dunkle und böse gewitzte Texte und eingängiger, mittelschwerer "Tanz-Metal" vereinen sich zu einem verführerisch-verdorbenen Akt.
Das Album ist voll mit Liedern in dem Stil, den ich schon seit Jahren an Rammstein liebe und wird von mir mit Sicherheit noch lange rauf und runter gehört. Natürlich kann die Band (ungeachtet der schwer nachvollziehbaren Indizierung von Ich tu dir weh) mit ihren Themen nicht mehr so provozieren wie früher, aber das war für mich eh nie der Reiz an Rammstein. Es ist die auf den Punkt getroffene Verbindung aus Frische und Härte. Und da reiht sich das Album Liebe ist für alle da nahtlos an alte, liebgewonnene Stücke ein, zu denen man mit abartigem Grinsen den Kopf wuchtig nicken ließ.

Bis zum nächsten Besuch im "Tanzmetal"-Liebesnest sollten aber bitte nicht erneut vier Jahre ins Land ziehen.

Weitere Musikrezensionen:

3 Kommentare:

Luanalara hat gesagt…

Naja, für Rammstein werde ich mich nie erwärmen können, aber so kann man natürlich von der Leyens Wechsel auch kommentieren. ;)

Das mit den Nagetieren... das klingt verdammt nach einer Szene im Buch "American Psycho" (die sie wohlweislich nicht in den Film übernahmen). Ich hab das Buch zwar noch nicht gelesen, aber eine Freundin, die es für die Uni analysiert hat, hat mir davon erzählt. Würd mich nicht wundern, wenn das bei Rammstein eine entsprechende Anspielung wäre.

Letterman hat gesagt…

Kleine Anmerkung am Rande...
Das Lied Haifisch wurde vorallem aus dem Grund gemacht, weil das letzte Album "Rosenrot" zu 90% reiner Müll war und sich nun Rammstein bei ihren Fans entschuldigt (zB:"wir halten euch de Treue")
Außerdem finde ich es schade, dass du nur über die normale Edition geschrieben hast, denn auf der Specialedition sind nochmal ein paar richtig geile Nummern drauf, zB "Donaukinder", eine Ballade, die ich auf eine Ebene mit "Ohne dich" setzen würde. Zugegebener Maßen steh ich auch auf Rammstein Balladen, so kann ich deine Ansicht bez "Roter Sand" und "Frühling in Paris" nicht teilen;)

...Mein Lieblingstrack auf der LP ist "Waidmanns Heil"

Sir Donnerbold hat gesagt…

Im Moment ist "Waidmanns Heil" auch mein Liebilingstitel des Albums. Könnte sich aber noch ändern.

Die Previews auf die Tracks der 2. Disc hatten mich nicht so umgehauen, deshalb habe ich mir nur die Single geholt.
Man sollte sich anscheinend nicht auf Preview-Tracks verlassen...

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