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Sonntag, 22. September 2013

Die Ducks in Deutschland


Während das Lustige Taschenbuch nicht bloß blüht und gedeiht, sondern zudem eine Ablegerreihe nach der anderen sprießen lässt, kämpft das Micky Maus Magazin seit Jahren mit einer schwindenden Leserschaft. Im Spätsommer/Frühherbst 2012 verließ sich der Ehapa-Verlag im Kampf gegen die sinkenden Verkaufszahlen nicht bloß auf das übliche Plastikspielzeug, das dem Heft als Extra beiliegt, sondern setzte auf Comicinhalte: Eine Deutschland umspannende Schatzsuche ließ die Ducks ihre weiß befederten Schädel zermartern und sollte im Gegenzug erwachsene Leser neugierig machen. Der Plan ging, rein wirtschaftlich und kurzfristig gesehen, auf: Diverse lokale Medien berichteten davon, wenn die watschelnde Familie Station in der Heimat ihrer Kunden machte, und auch das abscheuliche Boulevardblatt BILD verfolgte die gesamte Reise. Obendrein wurde mehrfach davon berichtet, dass am Handlungsort des aktuellen Teils der acht Kapitel umfassenden Reihe das Micky Maus Magazin rasch ausverkauft war, weshalb Ehapa weitere Hefte nachschicken musste, um die Nachfrage zu befriedigen.

So ein Comicevent lässt Ehapa nicht einfach so an sich vorüberziehen, ohne noch mehr Kapital aus der Sache zu schlagen. Und so veröffentlichte der Verlag die Deutschlandodyssee der Ducks einige Monate später als Albennachdruck, der Konsumenten ansprechen soll, die das Event versäumten oder sich zu fein waren, Woche für Woche das Micky Maus Magazin zu kaufen. Bei allem Staub, den Die Ducks in Deutschland also aufwirbelte, ist es umso enttäuschender, dass diese Eventgeschichte einen denkbar miesen Repräsentanten der kultigen Abenteuer von Donald, Dagobert und Tick, Trick & Track darstellt.

Die Grundidee hinter der achtteilige Geschichte ist durchaus ein typisches Beispiel für die Erlebnisse der Ducks: Als sein Rivale Klaas Klever zum "Schatzsucher des Jahres" ernannt werden soll, platzt Dagobert Duck der Kragen. Der darauf folgende, unvermeidliche Tumult im "Club der Milliardäre" kann erst durch den Ehrenpräsident beendet werden, indem dieser den Titel "Schatzsucher des Jahrtausends" ausschreibt. Die Streithammel Klaas Klever und Dagobert müssen, um den Titel zu erhaschen, den als unauffindbar geltenden Schatz der Gräfin Tusnelda von Tarn und Tuxis heben, der irgendwo in Deutschland verborgen sein soll. Der einzige Hinweis ist ein blumiger Reim, der der Sage nach verraten soll, wo sich das wertvolle Gut versteckt. Die Schnitzeljagd beginnt ...

... und ist selbstredend ein ideales Format für eine Sehenswürdigkeiten-Tournee in Comicform. Wie gut dies funktioniert, bewies unter anderem die Europareise in Die Jagd auf Karte Nr. 1 aus der Feder des italienischen Disney-Veteranen Romano Scarpa (nachzulesen in Lustiges Taschenbuch Nr. 177 und Lustiges Taschenbuch Spezial Nr. 50). Von diesem Highlight ist Die Ducks in Deutschland allerdings meilenweit entfernt, inhaltlich wie optisch.

Eine Schatzsucher-Schnitzeljagd benötigt etwa unter anderem reizvolle Rätsel, und auch, wenn von einem neuen Comic aus dem Micky Maus Magazin keine komplexen Rätsel im Stil eines Dan Brown oder der wild mit Fakten und Übertreibungen um sich schmeißende Spaß eines Vermächtnis der Tempelritter zu erwarten stehen, so darf es gern pfiffiger sein als bei diesem Comic. Die von Misa und Jan Gulbransson erdachten Hinweise, die Team Klever und Team Duck quer durch die Bundesrepublik schicken, sind geografisch zu spezifisch, als dass Kinder (oder geografisch unbedarfte Erwachsene) miträtseln könnten, die Lösungen aber sind zu eintönig und flach (es endet immer bei "gehe zu Gebäude X und suche dort weiter"), als dass wirklich Spannung aufkommen könnte. Eine weitere Konsequenz dessen ist, dass die acht besuchten Gegenden (Berlin, Hamburg, das Ruhrgebiet, München, Frankfurt, Köln, Stuttgart, Dresden) bloß Kulissen bleiben und der Handlungsort nur selten einen tiefer gehenden Einfluss auf das zu lösende Rätsel hat. Stattdessen beschränkt sich das Lokalkolorit auf Dialekt-Kauderwelsch und die Schatzsuche behindernden, nicht sonderlich hellen Passanten. Die einzelnen Plots der jeweiligen Kapitel sind bunt zusammengewürfelt (im Ruhrgebiet begegnen die Ducks den aus Barks- & Rosa-Comics sowie den DuckTales bekannten Kullern, in München schneit Gundel Gaukeley vorbei, in Köln mischen die Panzerknacker mit, in Stuttgart kommt es zu einer Zeitreise!) und fügen sich weder zu einem Gesamtbild zusammen, noch scheinen sie zur Stadt passend gewählt.

Das alles ließe sich auf die leichte Schulter nehmen, säße der Humor dieser Deutschlandreise. Doch die haltlos chaotischen, episodenhaften und viel zu viel auf Zufälle bauenden Plots der acht Kapitel strapazieren schnell die Geduld. Besonders lästig ist, dass die Figuren sich nie wie sich selbst anfühlen, sondern eher wie Abziehbilder ihrer selbst handeln. Nebenplots wie Donalds Jagd nach Snacks in Berlin & Hamburg oder Dagoberts unerklärlicher Verlust seines Gold-Geruchssinns wirken wie verzweifelte Versuche, die dröge Spurensuche zu beleben, sind in Wahrheit aber nur witzlos. Größtes Problem der Odyssee ist aber, dass die Schatzsucher einfach überall übertriebene Unordnung hinterlassen, was angesichts der unkonventionellen Panelanordnung alsbald ermüdend wird.

Womit wir bei der grafischen Umsetzung angelangt wären. Der deutsche Duck-Künstler Gulbransson gestand kurz vor der Erstveröffentlichung, dass die Zeichnungen unter enormen Zeitdruck entstanden, und dies spürt man dem Comic Panel um Panel an. Die Figuren sind grobschlächtig mit schwacher Feder gezeichnet, mit stets schwankenden Proportionen und gerne auch mit schielenden Augen. Die "Gastauftritte" von disneyfizierten deutschen Prominenten sind selten zu identifizieren (von Dortmunds bärtigem Grinse-Trainer Jürgen Klopp und Angela "Dreiecksgeste" Merkel mal abgesehen) und Klaas Klever weicht deutlich von seinem gewohnten Look ab. Die Farbgestaltung ist trist, während die Hintergründe seelenlos und voller perspektivischer Fehler sind. Vereinzelte Sehenswürdigkeiten, gerne die, die im ersten Panel einer Geschichte zu sehen sind, traf Gulbransson perfekt, viele sind dafür schwer wieder zu erkennen, wie etwa das CentrO in Oberhausen, der Hamburger Hauptbahnhof oder die Dresdner Frauenkirche.

Vorm desaströsen Fazit sei dennoch ein kleiner Kapitelüberblick gestattet, mit den Höhe- und Tiefpunkten jeder einzelnen Station ...

  • Berlin Pro: Nettes Rätsel zu Beginn. Contra: Menschenleere Plätze, lieblos skizzierte Grünflächen, dummer Subplot mit Donald
  • Hamburg Pro: Großartiger Seitenhieb auf die Leistungen der Deutschen Bahn, halbwegs schlüssige Darstellung des Lokalkolorits Contra: Erneut eine dämliche Darstellung Donalds, Kernfigur der Beatles-Parodie sieht aus wie dahergelaufener Punker, mieser Schlussgag
  • Ruhrgebiet Pro: Donald verabscheut Mäuse, was ein hübscher Randgag ist Contra: Besonders chaotisches Design, forcierter Gastauftritt der Kuller, absurdes Finale ohne Sinn und Verstand, extrem lieblose Farbgestaltung
  • München Pro: Starkes Eröffnungspanel, nette Randgags darüber, welch Touristenhochburg München ist, treffende Parodie des Lokalpatriotismus Contra: Wirres Hin und Her auf dem Oktoberfest, witzloser Einsatz von Gundel Gaukeley, Handlung plätschert daher
  • Frankfurt Pro: Treffende Pointen über die Wirtschaftslage Contra: Grauenvolles Nebenfiguren-Design, extrem lächerliche Story 
  • Köln Pro: Relativ viele gelungene visuelle Gags, solider Dialogwitz Contra: Panzerknacker sind Off-Model
  • Stuttgart Pro: Nichts Contra: Alles
  • Dresden Pro: Amüsanter Abstecher in die Oper Contra: Stadt wird einfach so abgehakt und somit stiefmütterlich behandelt, hanebüchener Schlusstwist

Fazit: Die Grundidee mag attraktiv sein, die Umsetzung ist dagegen abschreckend. Dümmlich erzählt und ohne Charme gezeichnet ist Die Ducks in Deutschland ein als Prestigeprojekt beworbener Schandfleck in der Duck-Historie.

Samstag, 21. September 2013

Die Quellen der Disneyfilme: Die Schöne und das Biest

 
Von Legenden zu historischen Ereignissen, von Märchen bis zu klassischer Literatur - die Zauberkünstler von Disney haben sich der vielfältigsten Quellen bedient, um Stoff für ihre Filme zu finden. Gemein haben sie jedoch alle, dass das Ursprungsmaterial nicht ohne Veränderung in den Disney-Kanon eingeflossen ist.

 

Diese Reihe von Im Schatten der Maus befasst sich mit dem Entstehungsprozess einiger dieser Meisterwerke:
Die Quellen der Disneyfilme

Das Motiv von Schöne und Biest hat eine lange, weitverzweigte Historie. Eine der ältesten Ausprägungen der Geschichte findet sich schon in der Legende von Amor und Psyche, und auch in der neuzeitlichen Märchenkultur taucht das Thema immer wieder auf, wie im Grimm‘schen Froschkönig oder dem norwegischen Östlich von der Sonne und westlich vom Mond. Doch trotz all dieser Vorgänger hat sich das französische Märchen Die Schöne und das Biest heute als quasi definitive Bearbeitung etabliert - zum einen wohl dank des sehr direkten, offensichtlichen Titels, aber wie ich denke auch, da die heute gängige Erzählweise alle wichtigen Motive in sich vereinigt. Der Kontrast zwischen inneren und äußeren Werten wird stärker aufgezeigt als beispielsweise bei Amor und Psyche, die Moral der Geschichte ist sehr viel eingängiger und stimmiger als im Froschkönig. Dabei existiert von dem Märchen nicht einmal eine definitive Fassung, sondern es gibt zwei Versionen, die dieselbe Geschichte auf erstaunlich unterschiedliche Art erzählen, nämlich das Buch von Gabrielle-Suzanne de Villeneuve und das kürzere Märchen von Jeanne-Marie Leprince de Beaumont.

Villeneuve veröffentlichte 1740 in einem Sammelband Die Schöne und das Biest in einer sehr ausführlichen Romanversion, die der Geschichte den nötigen Raum lässt, sich aber gerade in der zweiten Hälfte leider stark in Expositionen und unnötigen Hintergrunderzählungen verzettelt.
Die Protagonistin, die ihrer Schönheit wegen allgemein nur Schöne genannt ist, ist die jüngste Tochter eines verarmten Kaufmanns, der außer ihr noch elf Kinder hat, darunter fünf neidische und missgünstige Schwestern. Als der Kaufmann auf Reisen geht, fragt er nach Aschenputtel-Manier seine Töchter nach ihren Wünschen, und während die anderen Mädchen Schmuck und Kleider bestellen, bittet Schöne den Vater nur um eine Rose. Die Reise bleibt erfolglos, der Kaufmann verirrt sich im Schnee und findet dort ein verzaubertes Schloss, in dem ihm Zuflucht geboten wird. Erst als er sich an einer der Rosen im Garten vergreifen will, erscheint der Schlossherr in Gestalt eines wütenden Biests. Es will die Dreistigkeit anfangs mit dem Tode bestrafen, doch dann bietet es an, dass sich eine der Töchter des Kaufmannes anstelle ihres Vaters freiwillig ausliefern kann. Gegen seinen Willen gehorcht der Mann und bringt Schöne zum Schloss, um sie in der Obhut des Biestes zurückzulassen.
Schöne bekommt in ihrem neuen Zuhause alles, was sie sich wünschen kann; auf dem Weg durch das Schloss findet sie unter anderem eine Bibliothek und ein Spiegelkabinett, das es ihr ermöglicht, weit entfernte Orte zu beobachten, außerdem leisten ihr eine Reihe wundersamer Tiere Gesellschaft und immer wieder betrachtet sie das Bild eines wunderschönen Jünglings, das in einem der entlegeneren Zimmer hängt. Ebendieser junge Mann erscheint ihr auch in ihren Träumen (wo sie ihn mit Amor vergleicht - siehe Amor und Psyche) und er bittet sie immer wieder, ihm zu helfen, und sich nicht von Äußerlichkeiten täuschen zu lassen. Natürlich erkennt Schöne keinen Zusammenhang zwischen dieser Traumgestalt und dem abscheulichen Biest, das ihr jeden Abend Gesellschaft leistet, einige Sätze mit ihr wechselt und sie regelmäßig vergeblich um ihre Hand bittet. Dabei ist für Schöne neben dem Äußeren des Biests vor allem auch seine offensichtliche Dummheit zu abstoßend, als dass sie seine Bitte näher überdenken könnte. Doch als der Jüngling aus ihren Träumen sie schließlich auffordert, das Biest zu töten, stellt sie eindeutig fest, dass sie ihrem Gastgeber gegenüber zu viel Respekt und Dankbarkeit empfindet, um zuzulassen, dass ihm etwas geschähe.
Nachdem viele Monate vergangen sind, bittet Schöne das Biest, für einige Zeit zu ihrem Vater zurückkehren zu dürfen und er erfüllt ihr die Bitte. Nachdem die gewährten zwei Monate zuhause verstrichen sind, sieht sie im Traum das Biest, das am Sterben ist, weil es nicht mehr an ihre Rückkehr glaubt. Sofort eilt Schöne zurück, und während sie das todkranke Biest gerade noch retten kann, werden ihr ihre eigentlichen Gefühle klar. An diesem Abend antwortet sie auf seinen Heiratsantrag mit Ja, sie legt sich schlafen und wacht am nächsten Morgen mit dem zurückverwandelten schönen und sprachgewandten Prinzen an ihrer Seite auf.

Bis hier nimmt die Villeneuve-Version des Märchens einen wunderschönen, wenn auch zeitweise ein wenig altmodischen Verlauf - doch nun (nach gerade einmal der Hälfte der Seiten) wird die ganze Sache erstaunlich absurd und überzogen.
Am nächsten Morgen kommen die Mutter des Prinzen und eine gute Fee zu Schöne, und nachdem die Königin sich wiederholt weigert, ihrem Sohn die Hochzeit mit einer Kaufmannstochter zu erlauben, eröffnet ihr die Fee, dass es sich bei Schöne in Wirklichkeit um eine Prinzessin und eine Feenabstämmige handle; um die Kusine des Prinzen väterlicher- und um die Nichte der Fee selbst mütterlicherseits. Es folgt eine langwierige Vorgeschichte des Prinzen, die etwas an Dornröschen erinnert: Er hat einst den Zorn einer alten Fee auf sich gezogen, als er sich weigerte, sie zu heiraten, und zur Strafe legte sie den Fluch von Hässlichkeit und scheinbarer Dummheit auf ihn. Die gute Fee tat alles, den Fluch zu erleichtern, indem sie das Hofvolk in Statuen verwandelte, das Schloss des Prinzen in einem Zaubernebel versteckte und ihm auch sonst jede Annehmlichkeit gewährte, bis Schöne ihn schließlich erlösen konnte.
Es wird noch seltsamer, als der eigentliche Vater von Schöne, der Onkel des Prinzen und selbst ein König, auftaucht und auch dessen Vorgeschichte aufgedeckt wird, inklusive der alten bösen Fee, einer verschwundenen Mutter und einer weiteren Reihe von konstruierten Zufällen, die endlich in einer glücklichen Familienzusammenführung münden.
Es handelt sich zweifellos um eine viel zu lange, konstruierte Exposition, die die Wirkung des Märchens beinahe zerstört, da am Ende die gesamte Entwicklung als vorgeplant entlarvt wird. Aber wie gesagt, liest man nur die erste Hälfte der Geschichte, so ist es eine wunderbare Erzählung.


Gerade das dachte sich wohl auch Beaumont, als sie 1757 die Kurzversion von Die Schöne und das Biest aufschrieb, die heute wohl die bekannteste notierte Fassung sein dürfte. Diese Version ist durch und durch ein „normales“ Märchen; kurz, prägnant, und auf das Wichtigste konzentriert, wenn auch wohl nicht so reizvoll wie Villeneuves ausführlichere Geschichte.
Inhaltlich gibt es zwischen den beiden Fassungen nur geringfügige Änderungen, wie die, dass Beaumont die Menge von Kindern auf drei Söhne und drei Töchter reduziert hat. Sowohl Bibliothek als auch Zauberspiegel werden auch hier erwähnt, wobei eine noch stärkere Betonung auf Schönes Intelligenz und Bücherliebe gelegt wird. Beaumont beschreibt das Biest auch als sehr zuvorkommend und nicht dumm, sondern nur nicht besonders geistvoll.
Die Geschichte folgt dem gleichen Prinzip; Schöne erkennt schnell die gute Natur des Biestes, doch erst als sie für einige Zeit zu ihrem Vater geht und bei ihrer Rückkehr auf das sterbende Biest trifft, wird ihr das Ausmaß ihrer Gefühle wirklich bewusst. Sie gesteht ihre Liebe und mit einem großen Feuerwerk verwandelt sich das Biest zurück in den schönen, geistreichen Prinzen.
Was die Fee betrifft, so wird in dieser Fassung kein Grund für den ursprünglichen Fluch genannt und der Prinz redet nur von der „bösen Fee“. Doch da die Fee am Ende erscheint und Schönes Schwestern als Strafe für ihr missgünstiges Handeln in Statuen verwandelt, kann man zumindest annehmen, dass sie auch für ihre andere Verfluchung einen entsprechenden Grund hatte.



Der Disneyfilm basiert offiziell nicht auf einer speziellen Version des Märchens, und da beide Fassungen in den entscheidenden Punkten stark übereinstimmen, ist so eine Unterscheidung auch schwer zu treffen. Die Grundgeschichte ist von beiden Fassungen gleich frei übernommen, und gerade die spezielleren Motive, die aus dem Märchen herausgepickt wurden, um im Film eine besondere Betonung zu erhalten, finden sich großteils in beiden Aufschrieben: die Bibliothek, die Schöne im Schloss findet, der Zauberspiegel, der ihr Bilder von draußen zeigt, die in einem Feuerwerk aufgehende Entzauberung, und natürlich vor allem die Rose. Von all diesen Elementen, die im Film in einen größeren Bedeutungshintergrund eingebettet wurden, ist nur das Bildnis des Jünglings, das Schöne in einem versteckten Raum findet, auf Villeneuves Version beschränkt.
Zu erwähnen ist vielleicht noch, dass der Prinz in beiden Versionen keinen Namen hat, ebenso wenig wie irgendeine andere Figur. Da sich der Disneyfilm aber auch bei den anderen Figuren in keiner Weise um diese Namenlosigkeit schert, bleibt die Frage, weshalb gerade eine der beiden Hauptfiguren hier namenlos bleiben muss ...


Aber von Anfang an: Dass das heimische Umfeld von Belle für den Film geändert wurde, liegt im zu erwartenden Bereich einer Disney-Adaption. Aus dem namenlosen Kaufmann wurde der zerstreute Erfinder, doch abgesehen davon, dass Maurice etwas mehr Charakter abbekommt, hat sich nichts Prinzipielles geändert. Die Rolle von Schönes Schwestern wird im Film von ihrem gesamten Dorf übernommen, all den Dorfbewohnern, die neidisch auf Belle sind, ohne ihre Güte und Intelligenz verstehen zu können. Aber die größte Neuerung ist natürlich Gaston, der Dorfheld und aufdringliche Verehrer von Belle.
Die Disneyfassung hat einiges von Cocteaus berühmter Verfilmung übernommen - und der eine Punkt, der sich quasi von selbst anbietet, ist eben diese spezielle Verehrer-Gestalt. Ein äußerlich attraktiver, aber charakterschwacher Gegenpol zum Biest ist ideal geeignet, um Belles Wahl zwischen innerer und äußerer Schönheit zu verdeutlichen und den Kontrast der beiden Optionen aufzuzeigen.
Dieser Punkt kam an sich schon bei Villeneuve vor, wo es Schönes Träume waren, die ihr das Bild eines perfekten Geliebten zeigten. Natürlich handelte es sich dabei um das Biest (oder den Prinzen) selber, doch die Funktion war die gleiche. Außerdem verändert sich die Traumgestalt im Verlauf der Geschichte so sehr ins Antagonistische, dass am Ende wirklich die gleiche Wahl zwischen Innerem und Äußerem übrigzubleiben scheint.
In Cocteaus Film füllt Avenant diese Rolle direkt aus; er wird sogar von demselben Schauspieler gespielt wie das Biest und später der Prinz, auch wenn diese Ähnlichkeit hier wenig Sinn ergibt. Gaston hat bei Disney dagegen noch etwas mehr Charakter und Eigenleben. Er wirkt zu Beginn des Films beinahe wie ein typischer klassischer Held, und erst nach einer durchaus begründeten Entwicklung wird er zum vollwertigen Bösewicht. Andererseits ist seine Rolle aber von Anfang an so komisch und überzogen ausgelegt, dass er für Belle nie eine wirklich Alternative darstellt.


Gastons Figur ist nicht das Einzige, was der Disneyfilm aus dem alten Film übernommen hat. Um die Geschichte zu verfilmen, musste man bei Disney das Problem lösen, wie die Zeit, die Belle im Schloss verbringt, interessant dargestellt werden kann. In der Geschichte gibt es verschiedene Tiere und Geister, die ihr Gesellschaft leisten, doch selbst so wird der Tagesablauf bald eintönig. Disney hat nun diese Gestalten genommen, sie mit den beseelten Möbelstücken aus Cocteaus Film gemischt und ihnen Charakter verliehen - und das Ergebnis ist eine ganze Riege an Nebenfiguren, die den Film maßgeblich tragen helfen.
Lumière, von Unruh, Madame Pottine und Tassilo bringen nicht nur mehr Spaß in die Geschichte, sie sorgen auch für eine emotionale Bindung, die den Zuschauer noch weit gespannter auf die Auflösung des Fluchs hoffen lässt. Doch der wichtigste Zweck der Figuren ist noch ein anderer: Sie dienen den beiden Hauptfiguren als neutrale Ansprechpartner. Belle hat so Gelegenheit, ihre Gefühle zu verbalisieren, und dem Biest können seine Diener dabei helfen, langsam aber sicher auf die richtige Spur zu finden. So wird auch von Anfang an klar, dass sich mehr hinter der harten Fassade des Biestes verbirgt, und dass er nur den richtigen Schubs braucht, um sich zu öffnen. Die Rolle der Schlossbewohner besteht kurz gesagt vor allem darin, die Charaktere der beiden Hauptpersonen besser herauszubringen - und diese Aufgabe meistern sie mit Bravour.


Man kann wohl sagen, dass Belle die so ziemlich am besten charakterisierte Disneyprinzessin überhaupt darstellt. Ein Punkt, der dabei geholfen haben mag, ist wohl, dass sie schon in Villeneuves Erzählung einiges an Charakter besaß; auch wenn sie ihren Namen ihrem Äußeren verdankt, so ist es doch Intelligenz und Güte, die immer wieder betont werden. Doch trotz allem ist sie keine reine Mary-Sue. Sie verliebt sich in das Biest, doch das so langsam und zögerlich, dass es ihr selbst erst bewusst wird, als es beinahe zu spät ist. Dabei hat Schöne es im Original wohl noch schwerer, wenn ihr ihre Träume eine durch und durch perfekte Alternative zu der unvollkommenen Realität bieten. Bei Disney gibt es für Belle nur Gaston, sie kann also ihren Charakter beweisen, ohne dass sie beziehungstechnisch eine wirkliche Alternative hätte.
Aber ein noch wichtigerer Unterschied liegt in der Frage, was es genau ist, in das sich Belle schließlich verliebt - schließlich sind „innere Werte“ ein recht weitläufiges Gebiet. Im Märchen muss sich das Biest durch den Fluch dumm, oder zumindest geistlos geben und es ist nur seine gute Natur, die ihm schließlich Schönes Zuneigung gewinnt. Im Film dagegen wäre eine solche Geistlosigkeit für Belle kaum akzeptabel, wie schon Gaston als Negativbeispiel zeigt. Aber auch hier beginnt das Biest nicht sofort, sie mit seinem Charme zu verzaubern, im Gegenteil. Gerade weil das Innere des Biests durch den Fluch unverändert bleibt, ist er anfangs launisch, unleidlich und ungebildet, und es ist erst Belle, die Stück für Stück hilft, das Beste aus ihm herauszuholen.
So ist die Figur, die in Märchen und Film am unterschiedlichsten dargestellt wird, das Biest selber. Er bekommt erst hier wirklich Charakter und Tiefe verliehen, eben gerade weil er sich selbst verändern muss, um der Erlösung wirklich würdig zu sein. Anders als das Märchen beginnt der ganze Film ja schon mit dem Fluch, wie um zu unterstreichen, dass hier eine andere Betonung vorliegt als bisher. In dieser Version ist der Fluch nämlich berechtigt, und es ist vor allem am Biest selbst, mit Belles Hilfe eine Lektion zu lernen. Das Biest zeigt anfangs den unausstehlichen Charakter eines verzogenen Jungen, zornig und impulsiv, und erst Stück für Stück wird sein Inneres durch Belle aufgedeckt und herausgebracht.
Im Märchen ist die Geistlosigkeit des Biests auch Teil der Strafe; er muss damit leben, innerlich wie äußerlich entstellt zu sein und wenn ihn Schöne schließlich verändert, dann nur durch den befreienden Akt der Fluchauflösung. Im Film dagegen ist es wirklich an Belle, im Biest Geist und Gefühl zu erwecken und es ist die Aufgabe des Biests, sie diese Eigenschaften herausbringen zu lassen. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass sich die beiden am Ende wirklich gegenseitig würdig sind.



Ein besonderer Punkt, der dem Märchen (in welcher Ausprägung auch immer) gerne vorgeworfen wird, bezieht sich auf die Frage des Stockholm-Syndroms, oder die Theorie, nach der ein Entführungsopfer als Kompensationsmechanismus dazu neigt, eine enge Bindung zu seinem Entführer aufzubauen. Doch wirft man nur einen zweiten Blick auf das Märchen, so wird klar, dass dieser Vorwurf keinerlei Sinn ergibt. Im Original wie auch in der Disneyversion werden Belle ihre Gefühle ja erst in den Moment klar, als sie längere Zeit vom Biest getrennt ist.
Generell ist zu bemerken, dass Die Schöne und das Biest eine für ein Märchen beeindruckend realistische und nachvollziehbare Liebesgeschichte erzählt. Die beiden Hauptfiguren nähern sich einander langsam an, und völlig ohne es zu bemerken beginnt Schöne mit der Zeit, wirkliche Gefühle für das Biest zu fassen. Diese Entwicklung ist im Märchen vielleicht noch etwas platter als im Film - wenn das Biest allabendlich um Schönes Hand anhält, kommt sie nicht darum herum, ihre Gefühle immer wieder aktiv zu hinterfragen - aber dennoch ist es erst die Trennung und die Angst vor dem Verlust, die sie ihre Liebe gewahr werden lässt.
Bei Disney wurde diese an sich schon vielschichtige Beziehungsentwicklung genommen und weiter perfektioniert. Es ist eine durchgehende, langsame Entwicklung auf beiden Seiten, die schließlich in der großen Ballsaal-Szene mündet. Doch selbst dieser romantische Höhepunkt reicht nicht aus, um den Fluch zu brechen; auch hier ist es erst die Entfernung und die Gefahr für das Biest, die Belle dazu bringt, ihre Gefühle endlich offen zu bekennen. Es ist gerade dieser Augenblick, in dem ihr klar wird, dass sie sich wahrhaftig verliebt hat, der ausreicht, das Leben des Biests zu retten und den Zauber zu heben.


Die Schöne und das Biest ist ein wunderschönes Märchen, und die Disneyversion ist als Liebesfilm wahrhaft beeindruckend. Sie verändert das Ursprungsmaterial, teilweise massiv, aber gleichzeitig so gekonnt, dass es sich um eine reine Verbesserung und Perfektionierung handelt.
Wenn der Film während vieler vergeblicher Versuche lange auf seine Realisierung warten musste, so hat sich dieses Warten auf jeden Fall gelohnt. Sicher wäre es auch früher auf irgendeine Art möglich gewesen, die Geschichte zu verfilmen, nach dem Stil der früheren Disney-Märchen, die eine kurze Geschichte mit bunten Extras auffüllen. Doch so wie Die Schöne und das Biest schließlich auf die Leinwand kam, war es wohl nur zu dieser Zeit möglich: frei interpretiert, genau dort verändert, wo es möglich und nötig war, das Ursprungsmaterial emotional und charakterlich zu vergrößern. Für mich wird dieser Film immer den großartigen Höhepunkt von Disneys Meisterwerken darstellen
.


Mehr von mir gibt es auf www.AnankeRo.com.

Freitag, 20. September 2013

James Bond – In tödlicher Mission


Ich kann der James Bond-Reihe vieles vorwerfen. Sie ist reine Popcorn-Unterhaltung, die sich selten weitreichendere Ambitionen macht. Ihr Frauenbild ist mitunter fragwürdig. Obwohl Bond-Filme selten über zwei Stunden dauern, sind sie ebenfalls nur in raren Fällen knackig erzählt, sondern all zu gern verschnörkelt. Und fast schon mit verlässlicher Regelmäßigkeit rutscht 007 nach einigen gelungenen Filmen in eine "Ich verlasse mich auf meine bewährte Formel und mehr muss ich ja wohl nicht machen"-Phase ab. Doch eines muss ich den Produzenten lassen: Wann immer sie sich einen völligen Ausrutscher erlauben, raufen sie sich beim nächsten Film wieder zusammen. Auf Man lebt nur zweimal folgte Im Geheimdienst Ihrer Majestät, auf Der Mann mit dem goldenen Colt folgte Der Spion, der mich liebte und nach dem abgehobenen Moonraker fand 007 mit In tödlicher Mission wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.

Dieser Richtungswechsel kommt umso überraschender, nachdem Moonraker der bis dahin erfolgreichste Bond-Film aller Zeiten wurde und zumindest seinerzeit noch vom durchschnittlichen Kinogänger auch relativ warm aufgenommen wurde. Die übliche Produzentenreaktion wäre, noch weiter zu gehen und noch abgedrehtere Bond-Abenteuer zu spinnen. Aber so sehr das Bond-Franchise auch reinen Eskapismus darstellt, einen gewissen Selbstanspruch scheinen die Produzenten dieser Reihe dann doch zu haben. Wobei die Bond-Sekundärliteratur suggeriert, dass der Wille zum Richtungswechsel vor allem durch Michael G. Wilson aufkam. Dieser begleitete die Bond-Reihe schon länger und stieg bei Moonraker zum ausführenden Produzenten auf, woraufhin er zu Broccolis neuem Vertrauten in allen 007-Fragen wurde. Wilson nutzte seine neue Stimmgewalt, um ein Umdenken in Bewegung zu setzen. Er fand, dass Bond seine Überdrehtheit ausgereizt habe, noch ausladender könne es nicht mehr werden. Daher sollte sich die Filmreihe auf ihre Wurzeln und den Tonfall der Werke Ian Flemmings zurückbesinnen, zugleich wäre dies die Gelegenheit, Bond wieder zu einem eigenständigere Helden aufzubauen, statt ihn weiterhin von Gadgets abhängig zu machen.

Hinzu kam, dass Roger Moore der Rolle überdrüssig wurde und mit einem Ausstieg liebäugelte, wodurch sich ein Wechsel des Tonfalls noch mehr anbot. Timothy Dalton, mit dem frühe Gespräche geführt wurden, hatte Interesse an einem kernigeren Bond, der sich mit der Rachethematik auseinandersetzte. Damit lag er auf einer Wellenlänge mit Bond-Veteran Richard Maibaum, der gemeinsam mit Wilson ein Drehbuch entwickelte, das sich von den verspielteren Storys Christopher Woods distanzierte. In der Prologsequenz knüpften die Autoren zudem Rückgriffe auf frühere Bond-Elemente, um so dem neuen Darsteller eine rasche Verbindung mit dem 007-Mythos zu ermöglichen. Da Moore schlussendlich doch noch zusagte, weiterhin den Spitzenagenten zu verkörpern, hat der Prolog eine leicht andere Wirkung, er bleibt aber ein aussagekräftiger Start eines guten Agentenfilms.

Bond besucht das Grab seiner Ehefrau Tracy, als er zu einem dringenden Einsatz gerufen wird. Dieser stellt sich als Falle seines lang verschwundenen Erzfeinds Blofeld heraus, der Bond mittels eines ferngesteuerten Hubschraubers zu töten gedenkt. 007 kann den Spieß jedoch umdrehen und sich ein für alle Mal des (wieder) glatzköpfigen Schurkengenies entledigen. Der Tonfall dieser Sequenz ist eine konstante Mischung aus ernsthaftem Spektakel mit großem Schauwert und einer emotionalen Fallhöhe für Bond und leichtfüßiger Übertreibung. Blofelds Plan ist abstrus und seine Versuche, Bond davon abzuhalten, ihn kalt zu machen, sind mit spitzer Feder geschrieben. Doch anders als bei Moonraker, wo sich die verschiedenen Tonarten gegenseitig behinderte, präsentiert sich hier dieser atmosphärische Balanceakt als wohlchoreographiert, zudem dient sie als (vorläufiger) Abschied vom "Größer, schneller, weiter, irrsinniger"-Bond sowie gleichzeitig auch als Etablierung der im Kernplot relevanten Rachethematik.

Die eigentliche Filmhandlung beginnt kurz nachdem Schiff der britischen Marine im Ionischen Meer versunken ist. Das auf dem Schiff befindliche Steuersystem ATAC konnte nicht aufgefunden werden, weswegen der Geheimdienst vermutet, dass es politische Gegner auf das Gerät abgesehen haben. Bond bekommt den Auftrag, ATAC wiederzubeschaffen und hängt sich daher an den Killer Gonzalez, der kürzlich de Archäologen Havelock ermordete, welcher ebenfalls auf der Suche nach dem ATAC-System war. Noch ehe Bond sich dem Schurken nähern kann, wird dieser jedoch durch die Bogenschützin Melina (Carole Bouquet) , Havelocks Tochter, liquidiert. So bleibt es Bond nur, mittels der Personenerkennungssoftware von Q einen der Geschäftspartner Gonzalez' zu identifizieren und diesen zu suchen. Zunächst führt die Spur nach Italien, wo Bond dem zwielichtigen Reeder Kritatos begegnet. Dieser gibt Bond den Tipp, dass der bekannte Schmuggler Columbo in die Sache verwickelt sei. Eine vertrackte Jagd nach dem ATAC beginnt, die Bond zwingt, ein Netz aus falschen Fährten zu durchschauen. Zudem muss er sich nicht nur die blutjunge Eistänzerin Bibi vom Hals halten, während er Melina abzuhalten versucht, ihm mit ihrem Rachekomplott die Suche nach ATAC weiter zu erschweren ...

Nicht nur der bodenständigere Tonfall von In tödlicher Mission und der unerwartete Rückgriff auf Motive und Inhalte früherer Bond-Filme hebt den zwölften offiziellen 007-Streifen von seinem direkten Vorgänger ab. Auch musikalisch geht er in neue Richtungen. Rückblickend mag es kurios sein, dass In tödlicher Mission und nicht der Vorgänger Moonraker verstärkt elektronische Elemente in den Score einfließen lässt, dennoch erweist sich Bill Conti als erfrischender Vertreter für John Barry. Contis Score ist vom Tempo und Rhythmus sowie auch den Arrangements her an Disco und Funk orientiert, allerdings bedient er sich nicht derart stark an diesen Genres wie Marvin Hamlisch in Der Spion, der mich liebte. Cues, die mir besonders zusagen, sind die umarrangierte "Gunbarrel"-Sequenz sowie die elegant treibenden Klänge während der aufwändigen, packend inszenierten und herausragend geschnittenen Ski- und Bob-Verfolgungsjagd, bei der sich Willy Bogner selbst übertraf und sogar seine dramatischere, aber insgesamt weniger Energie aufweisende Ski-Sequenz aus Im Geheimdienst Ihrer Majestät in den Schatten stellte

Noch vor der Skisequenz kommt es aber zu einer ähnlich starken Auto-Verfolgungsjagd durch Spaniens saftig grünem Gebirge, in der Stuntfahrer-Legende Rémy Julienne (später der kreative Kopf hinter der Stuntshow im Walt Disney Studios Park) aus einer gelben Ente (gemeint ist natürlich der Wagen, nicht das Tierchen!) ein erstaunlich agiles Agentengefährt macht. Diese Sequenz ist ein Testament, wie zielsicher John Glen (Cutter mehrerer Bond-Filme und Regisseur der Prologsequenzen von Der Spion, der mich liebte und Moonraker) bei seinem Regiedebüt den Humor der Moore-Filme mit dem ursprünglichen Bond-Spannungselement ausbalanciert. Unter Lewis Gilbert wäre Bonds Flucht in diesem ulkigen Gefährt sicherlich zu einer übertriebenen Farce im Stil der Venedig-Gondelsequenz Moonraker geworden. Glen hingegen nimmt das humorige Flair, 007 in einer brenzligen Situation in ein ihm vermeintlich unwürdiges Gefährt zu setzen, und lässt dann die Autostunts und den flotten, Thrill erzeugenden Schnitt dagegen ankämpfen.

Da sich die Action wieder realer und (selbstredend an einem Popcorn-Niveau gemessen) ernsthafter anfühlt, kippt dieser Bond-Film auch nicht um, wenn Moores Bond mit Q in überaus comcihaftes Geplänkel ausbricht. Dank der kumpelhaften Chemie zwischen Moore und Desmond Llewelyn sowie der wie ich finde äußerst kreativen Idee mit dem Identigraphen, mittels dessen Bond Gonzalez' Auftraggeber ausfindig macht, sind diese Comedy-Momente nun wieder erfrischend und spaßig, während sie in Monraker eher lästig waren. Auch das Geplänkel mit Moneypenny sitzt wieder. Generell finde ich die weiblichen Figuren in diesem Film gut eingesetzt. Bibi Dahl, eine eher verhasste Figur im Bond-Fandom, empfinde ich als kurzweiligen Comic Relief, goldig von Lynn-Holly Johnson gespielt, und Carole Bouquets Melina ist eine der raren, überzeugenden toughen Frauen im Bond-Pantheon.

Zu den Schwächen von In tödlicher Film würde ich dafür das dramaturgisch ausgereifte Skript zählen. Dafür, dass dies wieder ein kleinerer Agentenactioner ist, der sich handlungstechnisch auf der zu entwirrenden Tätersuche verlässt, gerät der eigentliche Plot zu oft in den Hintergrund oder ist wahlweise einfach zu ausgedehnt. So gut die Actionszenen sein mögen, sackt der Film dafür zwischen ihnen zu oft ein. Auch wird Bonds Doppelmoral in Sachen Rache (er belehrt Melina, dass Rache nichts wert sei, bringt anfangs aber Blofeld um) nicht kommentiert, was einem "smarteren" Bond-Film nicht passieren sollte.

Dennoch ist In tödlicher Mission, dessen Titelsong angenehm, aber unspektakulär ist, ein sehr vergnüglicher und spannender Eintrag in die unsterbliche Kinoreihe. Das Gesamtbild ist so umwerfend nicht, dafür wirkt er einfach nicht rund genug, doch die Einzelteile des Films wissen sehr gut zu unterhalten.

Donnerstag, 19. September 2013

Hape Kerkeling leiht Disneys neustem Sidekick seine Stimme





Im Teaser zu Die Eiskönigin - Völlig unverfroren geht er mir noch gewaltig auf die Nerven, aber nun bekommt der Schneemann Olaf immerhin eine sympathische deutsche Stimme: Moderator und Comedian Hape Kerkeling stürzt sich in Disneys eisige Wunderwelt und spricht in der losen Adaption des Märchenklassikers von Hans Christian Andersen einen humorigen Schneemann, der Probleme hat, sich beisammen zu halten und sich den Sommer herbeiwünscht.

Auch wenn das knubbelige Kerlchen Olaf im Teaser die zentrale Rolle spielt, ist er im eigentlichen Film nur der Wegbegleiter der eigentlichen Helden, nämlich der Königstochter Anna, dem Naturburschen Kristoff und seinem Rentier Sven, die gemeinsam das verzauberte Königreich Arendelle zu retten versuchen.

Da Olaf in dem computeranimierten Musical von Chris Buck (Tarzan, Könige der Wellen) und Jennifer Lee (Drehbuchautorin Ralph reicht's) eine große Gesangsnummer aus der Feder der Tony-Gewinner Robert Lopez (Avenue Q) und Kristen Anderson-Lopez (In Transit) zum Besten gibt, hätte es wohl weniger treffende Promi-Sprecher geben können als Kerkeling. Was denkt ihr: Ist es in Ordnung, dass der Kung Fu Panda namens Po und ein Disney-Schneemann hierzulande ein und dieselbe Stimme haben?

Montag, 16. September 2013

DisneyWar – Teil 6: Eisners einsamer Feuerwehrmann

Im Rahmen der Blogreihe „Im Schatten der Maus“ schaut DisneyWar mit einem Lesetagebuch zum gleichnamigen Sachbuch hinter die Kulissen des Disney-Konzerns. Beim letzten Mal wurde geschildert, wie CEO Michael Eisner nach dem Tod von Präsident Frank Wells versuchte, das Unternehmen auf Kurs zu halten. Nach Wells‘ Tod und der Flucht von Jeffrey Katzenberg hatte Eisner die Macht von eigentlich drei Führungskräften auf sich vereint, und er tat sich schwer damit, diese Macht wieder abzugeben. Letztlich wollte Eisner seinen engen Vertrauten Michael Ovitz, der zuvor noch nie in einer hohen Position bei einem Entertainment-Konzern gearbeitet hatte, zum neuen Disney-Präsidenten ernennen – im Glauben, ihn völlig kontrollieren zu können.  

Im neunten Kapitel von „DisneyWar“ wird nun deutlich, wie sehr Eisner von diesem eigenen Machterhalt besessen war, und dass er dafür über Leichen ging – oder in diesem Fall: über Freundschaften, hier mit Michael Ovitz. Noch vor dessen Ernennung zum Präsidenten rebellierten zwei Führungskräfte, die eigentlich Ovitz unterstellt sein sollten: Steve Bollenbach, Leiter der Finanzabteilung, und Sandy Litvack, Leiter der Rechtsabteilung. Beide Bereiche waren bisher den Präsidenten (also Wells) unterstellt gewesen, nun wollten sie allerdings Eisner unterstellt sein – und drückten dies gegenüber Ovitz deutlich aus: „Ich will Ihnen nur sagen, dass ich niemals für Sie arbeiten werde“, wird Bollenbach gegenüber Ovitz zitiert (S. 327).  

Michael Ovitz
Für Ovitz sei damals das Schlimmste gewesen, dass Eisner ihn gegen diese Rebellion nicht unterstützt habe: Für ihn sei seine Management-Autorität bereits vor dem ersten Arbeitstag untergraben worden, was sich später noch als folgenreich herausstellen sollte: Auch Peter Schneider und seine Trickfilmabteilung wollten bald nicht mehr für Ovitz arbeiten (dies beschloss Roy Disney), außerdem berichteten Führungskräfte permanent über die vermeintlichen Fehler von Ovitz. Dieser wusste noch vor seiner Wahl zum Präsidenten, „dass ihn sein bester Freund [Eisner] verraten hatte“ (S. 328), indem dieser nicht voll hinter seinem neuen Partner stand. Ohnehin hatte Eisner informell ausgehandelt, dass Ovitz kein gleichberechtigter Partner neben ihm sein würde, sondern nur die offizielle Nummer 2. Doch schnell stellte sich heraus, dass er nicht einmal dies war: Abgesehen davon, dass ihm mehrere Abteilungen – anders als ursprünglich vereinbart – gar nicht unterstellt waren, kämpfte Ovitz jeden Tag um seinen Rang. Die Tatsache, dass er nur im fünften Stock des Disney-Hauptgebäudes in einem kleinen Büro untergebracht wurde, und damit einen Stock niedriger als Studioboss Joe Roth und Eisner, verdeutlichte seine Stellung sinnbildlich. Eine Diskussion über eine verbindende Treppe zwischen den Stockwerken zwecks besserer Kommunikation verneinte Eisner, er habe „das Gebäude absichtlich so gestaltet, dass man an sein Büro nicht so leicht herankam.“ (S. 331). Diese Stelle liest sich fast kafkaesk, so skurril und realitätsfremd wirkt sie.  

Auch wenn im Buch davon nicht die Rede ist: Ovitz wirkt nicht nur wie eine Marionette – so hatte es Eisner ja ursprünglich beabsichtigt –, sondern in der Anfangszeit wie eine Marionette ohne Fäden. Eisner brauchte ihn zunächst nicht, und Wochen nach Ovitz‘ Ernennung als Präsident im September 1995 schreibt auch James Stewart in „DisneyWar“: „Es war immer noch unklar, wofür Ovitz genau zuständig war […].“ (S. 342). Als Marionette ohne Fäden war es Ovitz in keinster Weise möglich, eigene Ideen einzubringen oder Geschäfte abzuwickeln. Als Vermittler und Netzwerkler war Ovitz brillant darin, höchst profitable Deals für seine Klienten abzuwickeln, dafür wurde er einst als „mächtigster Mann Hollywoods“ bezeichnet. Bis zum Antritt bei Disney hatte er eine Abschlussquote von 100 Prozent bei seinen Deals – nun sank sie gen Null: Es wurde eine Partnerschaft mit Brad Grey verweigert, der über 150 Künstler repräsentierte, darunter Brad Pitt und Jennifer Aniston; eine Party mit zahlreichen Kreativen der Branche (darunter Steven Spielberg und Tom Hanks), um Beziehungen aufzubauen, machte Eisner wütend; die Übernahme des Verlags Putnam (u.a. Tom Clancy, John Grisham, Michael Crichton) verweigerte Eisner ebenso wie einen Deal mit der damals erfolgreichsten Sängerin der Welt, Janet Jackson. Bei den meisten solcher gescheiterten Geschäfte stellte sich später heraus, dass Ovitz einen hervorragenden Preis ausgehandelt hatte: Janet Jackson beispielsweise hätte bei Disney 75 Millionen US-Dollar für sieben Alben bekommen, nach dem geplatzten Deal unterschrieb sie bei Virgin einen Vertrag über 80 Millionen, aber nur für vier Alben.  

Weitere gescheiterte Geschäfte in dieser Zeit betrafen eine Fusion des Disney-Musiklabels mit Sony, den Aufbau eines Downtown Disney mitten in Los Angeles, den Verkauf des defizitären Zeitungsbereichs und den Kauf der Plattenfirma EMI. Möglich, dass einige dieser Punkte nicht sinnvoll gewesen sein mögen – dass aber kein einziges von Ovitz initiiertes Projekt zum Abschluss gebracht wurde, weil Eisner und andere ständig ein Veto einlegten, verdeutlicht die Machtlosigkeit dieses neuen Präsidenten. Eisner wusste dessen kaum zu schätzen und warnte Ovitz: „Der Deal ist bei Disney nicht das Wesentliche. […] Der Betrieb an sich ist wichtig.“ (S. 340).  

Eisner und Ovitz
Irgendwelche Aufgaben aber musste Eisners neuer Untergebener haben: Bald waren es die, die dem Disney-Boss selbst zu unangenehm waren. Von der Marionette wandelte sich Michael Ovitz zum Feuerwehrmann, der Eisners Brände löschen musste. Er sollte die Trickfilm-Abteilung auf Trab halten, da Jeffrey Katzenbergs neues Studio Dreamworks viele Talente anheuern wollte – durch Ovitz, der unter anderem Vernissagen für die Zeichner veranstaltete, blieben viele Köpfe bei Disney, auch dank gestiegener Bezüge. Unter anderem schaffte es Katzenberg nicht, Andreas Deja, Glen Keane sowie das Duo Ron Clements und John Musker abzuwerben. Auch bei Tim Allen bewies Ovitz Geschick: Nachdem er wutentbrannt das Set von "Hör mal, wer da hämmert" verlassen hatte, ließ er Allen ein teures Geschenk zukommen – die Arbeit am Set verlief von da an ruhig. 

Die Methoden von Ovitz mögen unkonventionell gewesen sein – Sandy Litvack beschwerte sich sogar darüber, dass Ovitz nicht wisse, wie man in einer Aktiengesellschaft arbeitet. Aber zweifelsohne konnte der Präsident die meisten Brände löschen, die im Unternehmen loderten. Aber nicht alle: Noch immer schwelte der Streit über Katzenbergs Bezüge, die er nach Verlassen des Unternehmens nicht bekommen hatte und die ihm angeblich zustünden. Ein Zeitungsartikel, in dem Katzenbergs Anwalt einige Dinge nach außen trag, goss zudem Öl ins Feuer. Ovitz glaubte den Streit mit seinem Verhandlungsgeschick lösen zu können – doch abermals stellte sich Eisner quer. Nachdem Ovitz unter Eisners Zustimmung eine (seiner Meinung nach günstige) gütliche Einigung über die Zahlung von 90 Millionen US-Dollar ausgehandelt hatte, änderte der CEO seine Meinung und erklärte, dass Katzenberg gar nichts zustehe. Ovitz sagte, dass sie später vermutlich deutlich mehr zahlen müssten, wenn sie jetzt nicht auf den Deal eingehen, doch Eisner und Finanzchef Litvack blieben stumm. (Ovitz sollte Recht behalten).

Bob Iger
Eine weitere Aufgabe, die Eisner Ovitz übergab, war jene des Austauschs einiger Führungskräfte. Unter anderem wollte Eisner den Studiochef Joe Roth ersetzen – und, wie bereits zuvor angeklungen war, Bob Iger. Dieser führte damals die übernommene TV-Sparte um ABC erfolgreich; einen triftigen Grund, Iger hinauszuwerfen, gab es nach wie vor nicht. Auch Iger selbst merkte, dass er kurz vor dem Rauswurf stand und überlegte, selbst zu kündigen. Und Ovitz war in diesem Herbst 1995 derjenige, der Iger dazu bewegen konnte, zu bleiben: Ovitz überzeugte nicht nur ihn, sondern auch Eisner, der Iger eigentlich „nicht für den richtigen Geschäftsführer [hielt]“ (S. 349). Aus heutiger Sicht ist wohl das der größte Verdients in der sehr kurzen Amtszeit von Michael Ovitz: dass er den heutigen CEO Bob Iger damals im Unternehmen halten konnte, trotz deutlicher Unstimmigkeiten zwischen Iger und Eisner, und trotz des Bestreben Eisners, ihm hinauszuwerfen.

Zusammenfassend lässt sich erkennen, dass das große Problem von Michael Ovitz die Unterstützung war: Ihm fehlte sie nicht nur von Michael Eisner, sondern auch von anderen angeblich Ovitz unterstellten Abteilungen. Der Präsident war von Anfang an im Unternehmen isoliert und wirkte wie eine Art Repräsentant von Disney, der schlichten und beschwichtigen sollte. Als starker Manager hätte er – seinen guten Referenzen und seinen interessanten Ideen zufolge – Eisner wirklich helfen können, aber auch hier zeichnet „DisneyWar“ wieder das egozentrische, destruktive Bild eines Disney-Chefs, der kaum Kompetenzen abgeben will und das Unternehmen als sein eigenes Imperium betrachtet – oder, wie die Washington Post später schrieb: Er ist der Machiavelli im Magic Kingdom.
 
Im nächsten Teil des Lesetagebuchs geht es um das spektakuläre Zerwürfnis zwischen Eisner und Ovitz, das große mediale Aufmerksamkeit erlangen sollte und  den Konzern angeschlagen zurückließ.

Freitag, 13. September 2013

Freitag der Karibik #11


Mein unbestrittener Lieblingsfilm innerhalb der Pirates of the Caribbean-Saga ist, und das habe ich hier im Blog bereits mehrfach thematisiert, der epochale dritte Teil: Am Ende der Welt. Dessen ungeachtet zähle ich mich nicht zu den streitlustigen Naturen, die üblicherweise innerhalb eines Fandoms ihren liebsten Part verteidigen. Die ewigen Zankereien zwischen Das Imperium schlägt zurück- und Eine neue Hoffnung-Fans, Freunden von Der Pate II und dem Original und Liebhabern der einzelnen Indiana Jones-Filmen sind von ewiger Brisanz, und auch innerhalb von Pirates of the Caribbean-Fankreisen wird mitunter bitter debattiert, welcher Eintrag in dieses Franchise der beste ist.

Doch da mir jeder Teil der Reihe gefiel, freue ich mich über jede "Film X ist der beste Teil!"-Meinung. Fluch der Karibik wird ja gemeinhin als der stärkste Piratenfilm gefeiert, aber ich kenne auch Leute, die den zweiten, dritten oder vierten Teil am meisten mögen. Und da das "Teil 2 ist der stärkste Teil!"-Camp bislang am überschaubarsten ist, freue ich mich tatsächlich nicht am meisten, wenn mir ein neuer Am Ende der Welt-Fan begegnet, sondern ein neuer Die Truhe des Todes-Verteidiger.

Ich liebe diesen Film, sein direkter Nachfolger packt mich zwar noch mehr, aber das bedeutet nicht, dass ich ihm eine so abgeschlagene Betrachtungsweise in meinem Umfeld gönnen würde. Und daher bin ich jedes Mal begeistert, wenn Teil 2 von jemanden mehr gefeiert wird als die anderen Filme. Wieso auch nicht? Mit der dynamischen Strecke ab der Krakenattacke auf das Hndelsschiff, einem zauseligen Norrington und einer starken, elaborierten, rockigen Hintergrundmusik hat Die Truhe des Todes viele Elemente, die ihn zu einem würdigen persönlichen Favoriten machen.

Mittwoch, 11. September 2013

Robert Zemeckis und Charlie Kaufman ... passt das?


Being John Malkovich, Adaption, Confessions of a Dangerous Mind, Vergiss mein nichtSynecdoche, New York und auch der gern vergessene Human Nature: Kaum ein Drehbuchautor bewies eine derart hohe qualitative Trefferquote wie Charlie Kaufman. Dieser soll Lionsgate dabei helfen, aus der Jugendbuchreihe Chaos Walking ein erfolgreiches Kino-Franchise zu machen und verfasste bereits das Drehbuch zum ersten Film in der eventuell dreiteiligen Filmreihe. Schon allein das liest sich etwas seltsam, da Kaufman bislang zwar bekannte, nicht aber sonderlich multiplexfreundliche Filme verantwortete. Aber vielleicht ist Lionsgate ja mutig und plant mit einem sehr kunstvollen Franchise. Oder aber Kaufman will sich dringend eine neue Villa kaufen und schraubt daher seine künstlerische Integrität zurück.

Nun aber wird es noch interessanter: Kaufmans Drehbücher wurden bisher allein von Michel Gondry, Spike Jonze, George Clooney und ihm selbst verfilmt, die allesamt mit Kaufmans Skripts ihr Spielfilmdebüt feierten und in den ersten beiden Fällen noch eine zweite Kaufman-Inszenierung hinterherschoben. Kino-Regieveteranen gab es nicht in Verbindung mit dem verschrobenen, intellektuellen und einfallsreichen Autoren zu goutieren. Bislang! Denn laut The Wrap führt Lionsgate derzeit Verhandlungen mit Robert Zemeckis, um ihn für die Regie bei Chaos Walking zu gewinnen, und offenbar schreiten diese sehr gut voran.

Nachdem Zemeckis rund eine Dekade seines Schaffens für fragwürdige Motion-Capturing-Filme verschwendete, kehrte er mit Flight wieder zu dramatisch-herzlichen Stoffen wie Cast Away oder Forrest Gump zurück. Chaos Walking, die Geschichte eines Jungen und seines Hundes, die in einer futuristischen, allein von Männern bevölkerten Welt, in der die Gedanken aller Menschen zu hören sind, das einzige Mädchen des Planeten entdecken und rausfinden, dass ihre Gedanken unhörbar sind, könnte Zemeckis im Normalfall zu seinem Zurück in die Zukunft- und Auf der Jagd nach dem grünen Diamanten-Stil führen. Aber mit einem Kaufman-Skript kann ich mir dies nicht vorstellen.

Generell ist die Kombi aus Mini-Spielberg Zemeckis und dem intellektuellen Kaufman nichts, was ich jemals erwartet hätte und ich wüsste nicht, wie beide Formen des Geschichtenerzählens unter einen Hut gebracht werden können. Da Zemeckis sich im Laufe seines Schaffens aber halbwegs flexibel zeigte und Falsches Spiel mit Roger Rabbit schon relativ "Kaufman goes Disney" war, drücke ich ab sofort die Daumen, dass der Oscar-Preisträger sein Können einsetzt, um eine düster-intellektuelle, verrückte Filmreihe mit Blockbuster-Look durchzudrücken. Wär doch was; was?

Dienstag, 10. September 2013

James Bond – Moonraker


Mit Moonraker ging das James Bond-Franchise einen Schritt in die richtige und eineinhalb bis zwei Schritte in die falsche Richtung. Statt des ursprünglich geplanten For Your Eyes Only (bzw. In tödlicher Mission) wurde von den Produzenten nach dem massiven Kinoerfolg von Star Wars und Die unheimliche Begegnung der dritten Art rasch ein James Bond-Weltallabenteuer in Auftrag gegeben, um auf der Sci-Fi-Erfolgswelle mitschwimmen zu können. Tom Mankiewicz, Drehbuchautor einiger der vorhergegangenen Bond-Filme, verfasste ein Treatment zu Moonraker, erbat sich aber, nicht im Abspann genannt zu werden, da er eine eigenständige, 007-lose Karriere anstrebte. Mankiewicz' Skript wurde jedoch eh nur als grober Bauplan für den Film genutzt, den Christopher Wood weit ausschmückte. Regisseur Lewis Gilbert nahm ebenfalls Einfluss auf den Inhalt von Moonraker und kämpfte beispielsweise für die Rückkehr von Jaws aka Beißer sowie dessen humoristischen Nebenplot, den er in Reaktion auf Fanpost jüngerer Bond-Fans einbaute.

Und so entstand ein Bond-Film, der einige Stärken seines Vorgängers ausbaute, sich zugleich aber lachhaft bemüht an den Sci-Fi-Trend klemmt und nicht so recht weiß, ob er nun Kindern oder Erwachsenen ihren Eskapismus bieten möchte. Das Ergebnis ist ein interessanter, doch auch sehr kurioser Agententrip rund um die Welt und hinaus ins All:

Nachdem unbekannte Schurken den Raumgleiter "Moonraker" entwendet haben, beauftragt M seinen Spitzenagenten James Bond (der derzeit von Beißer  - aka Jaws - verfolgt wird) damit, den Produktionsweg des Space Shuttles zurückzuverfolgen und etwaige, verdächtige Vorkommnisse aufzuklären. So will der MI-6 dem Verbrechen auf den Grund kommen. Kaum betritt Bond die vom snobistischen Hugo Drax (Michael Lonsdale) geleitete Produktionsfirma des Raumgefährts, verfällt er der unterkühlten Wissenschaftlerin Dr. Holly Goodhead (Louis Chiles), darüber hinaus tappt er in eine Falle von Drax' dubioser rechten Hand Chang (Toshiro Suga). Bond kann jedoch entkommen und findet eine Spur, die ihn nach Venedig führt, wo er allerdings ein weiteres Mal ins Visier seiner Widersacher gerät. Dessen ungeachtet bringt 007 in Erfahrung, dass in Venedig für Drax ein Gas hergestellt wird, dessen Bestimmungsort sich in Rio de Janeiro befindet. Dort nimmt ihn erneut der kaum bezwingbare Beißer in die Zange, doch dessen Angriff ist nur ein müder Vorgeschmack auf das, was Bond bald darauf erwartet: Drax heckt nämlich einen diabolischen Plan aus, der eine Reise ins All umfasst und das Schicksal der Menschheit radikal verändern könnte. Also ist es an Bond und Goodhead, mit Verstand, ruhiger Zielhand und Laserwaffen für den Erhalt der Weltordnung zu kämpfen ...


Moonraker eröffnet überaus beeindruckend: Auf der einen Seite legen Roger Moore und das ihn umgebende Ensemble sowie auch die Inszenierung durch Lewis Gilbert mit einer frivolen Doppeldeutigkeitenparade los. Diese ist komödiantisch überzogen, weiß sich allerdings selber einzuordnen und kommt längst nicht so chauvinistisch wie etwa in Diamantenfieber rüber, da der Tonfall weniger notgeil und Bonds Eroberungen bewerbend ausfällt. Stattdessen wird viel mit pointierten Umschnitten und augenzwinkernden Dialogen gespielt. Gilbert und Moore zeigen, dass sie sich dessen bewusst sind, wie albern Bonds Wirkung auf Frauen nunmehr erscheinen müsste, und scherzen daher leichtfüßig über diesen Aspekt der Doppelnull. Ohne aber in Selbstparodie abzugleiten - zumindest hinsichtlich des Frauenelements. An anderen Stellen dagegen misslingt der Balanceakt, wie sich zum Abschluss der Prolog-Sequenz andeutet. Nach einem sensationellen, aufwändigen und atemberaubenden Fallschirmstunt, der den zu Beginn von Der Spion, der mich liebte vielleicht sogar in den Schatten stellt, leitet ein dämlicher Zirkusgag in den Vorspann über. Dieser Vorspann ist gelungen wie eh und je, stellt eine ideenreiche Fortführung des Stils des Vorgängers dar und ist somit ein Grundpfeiler dessen, was als der typische Bond-Vorspann ins kollektive Gedächtnis drängen sollte. Auch der Titelsong, der letzte von Shirley Bassey gesungene, gefällt mit seiner ruhigen, aber melodischen und eingängigen Notenführung. Nach dem Vorspann wird Moonraker dann aber zu einer ständigen Berg-und-Tal-Fahrt.


Richtig stark ist etwa Bonds Abstecher in Drax' Raketenzentrum, wo er eine Zentrifuge betritt, die vom Handlanger Chang auf ein nahezu tödliches Tempo beschleunigt wird. Durch die raschen Schnitte, Moores überzeugend panisches Gesicht und die bedrängende Soundarbeit ist dies einer der wenigen Momente in Moores Bond-Ära, in denen der Superagent wirklich in der Klemme steckt und verzweifelt, ja, hilflos erscheint. Es ist eine spannungsreiche Sequenz, die sofort unterwandert wird, indem Chang seinen misslungenen Anschlag auf Bond mit einem betrübten Hundeaugenblick kommentiert. Überhaupt sind solche cartoonigen Einschläge, also sämtliche komödiantischen Elemente abseits von Bonds Einzeilern und sämtlichen Doppeldeutigkeiten, in Moonraker viel zu überdreht und zudem mies getimed. Da sie obendrein in hoher Schlagzahl vorkommen, demontieren sie regelmäßig die Spannung und das Popcorn-Agentenflair, so dass dieser Streifen zwischenzeitlich wie ein mies geschriebener Austin Powers-Teil wirkt. Qualitativer Tiefpunkt sind alle Szenen mit dem Beißer, im Vorgängerfilm noch ein Highlight, nachdem dieser in Rio seine winzigkleine, blonde, Zöpfchen und Nickelbrille tragende Liebe namens Dolly trifft. Allein schon das wie aus einem Looney Tunes entsprungene Kennenlernen der beiden Figuren ist ein gewaltiger Fremdkörper zwischen zwei vergnüglichen, gut inszenierten Agentenabenteuer-Sequenzen, und wie Lewis Gilbert in einer Anbiederung ans Kinderpublikum (für das Bond eigentlich nicht gedacht sein sollte) Beißer danach weiter demontiert, ist fast schon ein Trauerspiel.


Ein weiterer "Was zur Hölle haben die sich nur dabei gedacht?"-Moment ist das Ende der Bootsverfolgung in Venedig, die mit albernen Umschnitten auf umstehende Menschen und Vögel (!) gewürzt wird, die sich ob Bonds Luftkissenbootgondel wundern. Dafür ist Drax ein gelungener Schurke mit staubtrockenem Humor und einschüchternder Ausstrahlung, auch die langsame Enthüllung seines abscheulichen Plans ist gut umgesetzt. Visuell beeindruckt zudem Drax' Raumstation. Für die imposanten Setbauten hätte es gern eine Oscar-Nominierung geben dürfen, zusätzlich zur redlich verdienten Effekt-Nominierung für die noch heute überzeugenden Schwerelosigkeitstricks und auch die starken Lasereffekte, die sich optisch gut in den Film einfügen. Inhaltlich dagegen weniger: Bond ins All zu schicken, um einen Despoten mit absurdem Plan aufzuhalten? In Ordnung. Kunterbunte Laserschießereien und ein mies von Star Wars kopiertes Finale? Das ist dann einfach zu viel, erst recht für einen Bond-Film, der vorher zwar in Sachen Komik cartoonig ist, seine Action aber zunächst noch ernst nimmt (zumindest so ernst, wie man es von einem Moore-Bond erwarten kann). Dass etwa ein atmosphärisch ausgeleuchteter Faustkampf in einem Uhrturm und ein "Bond macht auf Star Wars"-Finale die selbe Filmrolle teilen, ist ein Testament für die Schizophrenie dieses Bond-Films. Gewiss, viele Blockbuster beinhalten ernste und alberne Actionszenen, doch Lewis Gilbert orchestriert diese Gegensätze zu einer erschütternden Kakophonie statt zu einer berauschenden Symphonie. 


Moonraker war seinerzeit der mit Abstand erfolgreichste Bond aller Zeiten. Bombast, Sci-Fi-Fieber und der Qualität des Vorgängers (und der so gesteigerten Vorfreude) sei es gedankt. Der Zahn der Zeit nagte aber intensiv an diesem Film und bescherte ihm das umgekehrte Schicksal zum einst verachteten, nun gefeierten Im Geheimdienst Ihrer Majestät: Für viele Bond-Fans ist dieses Weltraumabenteuer der schlechteste Teil der Reihe. So weit würde ich nicht gehen, denn Moonraker ist zwar saudämlich, aber wenigstens kurzweilig und harmlos, was etwa über den ärgerlichen Diamantenfieber und den anstrengenden zweiten Craig-Bond nicht gesagt werden kann. Nach dem Lehrbuch gehört Moonraker zweifelsohne weit nach unten im Bond-Ranking. Nach Sehspaß geordnet stellt er für mich dank Moores Spiel, dem Tempo und einem Gros der Actionszenen aber einen Bond der Kategorie "Ich will nicht, dass ich mich unterhalten fühle, tu es aber, allen verzweifelten Aufschreien und dem steten Köpfschütteln zum Trotz" dar.

Freitag, 6. September 2013

Freitag der Karibik #10


In der Pirates of the Caribbean-Mythologie vereinen sich die Sage vom Fliegenden Holländer, das Seemansgarn rund um das Schreckgespinst Davy Jones und die altgriechische Legende der Göttin Calypso zu einer dramatischen Handlung. Doch klauben die Autoren Ted Elliott und Terry Rossio nicht einfach irgendwelche Versatzstücke zusammen, sondern erschaffen einen in sich geschlossenen Mythos. Diese Ambition spiegelt sich zum Beispiel darin wieder, dass Calypso in den von Gore Verbinski inszenierten Fluch der Karibik-Fortsetzungen nicht bloß als Göttin des Meeres zeigt, sondern auch ihr Name bedeutungsvoll bleibt.

Die Figur der Calypso bezeichnet sich aufgrund ihrer Macht als die See selbst und damit erfüllt sie die Seefahrer mit Angst und Ehrfurcht, denn auf hoher See gibt es keinerlei Möglichkeit, sich ihrer zu entziehen. Sie will als diejenige geachtet werden, für die sie sich hält, andernfalls zieht man sich nur ihren Zorn auf sich. Davy Jones, der sie einstmals liebte, weil sie auch in Menschenform unzähmbar wie die See ist, bannte sie in ihre Menschengestalt, weil sie ihn mit ihrer Unberechenbarkeit enttäuschte. Aber dadurch, dass er sich von ihrer Unkontrollierbarkeit abwandte, wurde er Opfer eines Fluchs. Er deformierte sich zu einem verrotteten Seeungeheuer. Als Barbossa glaubte, Calypso übervorteilen zu können, enthüllte sie ihm seine Knochengestalt, um ihn daran zu erinnern, dass er ohne sie nichts weiteres als ein verwesender Körper ist. Im alten Griechenland bedeutete „Calypso“ sinngemäß „zu verhüllen, zu verstecken“ - und das ist es, wozu Calypso fähig ist, wenn sie einen wohlgesonnen ist. Und ebenso kann sie ihren Gegnern diese Hülle nehmen.
Ihr Fluch nahm dem alternden Davy Jones die Möglichkeit, sein wahres Ich, das eines Ungetüms der Meere, weiter zu verstecken, aber als er sich ihr in Am Ende der Welt unter Deck der Black Pearl annähert, schenkt sie ihm die Gestalt des Menschen, der er einst war. Barbossa lässt sie lebend erscheinen, so lange sie ihm nützlich ist, doch sie droht ihm, diese Gaukelei zu beenden.

Calypso ist die verkörperte, grausame Wahrheit im Pirates of the Caribbean-Universum, und daher lässt sie am Ende von des dritten Films einen gewaltigen Mahlstrom inklusive Unwetter entstehen: Da sie sich ebenso vom Rat der Bruderschaft als auch von Davy Jones hintergangen fühlt, schafft sie für deren anstehenden Krieg gegeneinander gleiche Bedingungen. Kann sich Davy Jones' Flying Dutchman in unruhigen Gewässern behaupten, ist die Black Pearl mit dem Wind im Vorteil. Calypsos Feinde sollen sich so auf Augenhöhe begegnen und einander richten.