Samstag, 30. Juli 2016

El Clan


Argentinien in den frühen Achtzigern: Die Militärdiktatur, die das Land seit 1976 geknechtet hat, liegt in ihren letzten Zügen. Der Silberstreif namens Demokratie ist am Horizont bereits zu erkennen. In dieser Übergangszeit sorgt ein Patriarch allerdings weiterhin für Angst und Schrecken: Arquímedes Puccio (Guillermo Francella), ein willfähriger Handlanger des Militärs, der seine Erfahrung als Erpresser nunmehr dazu nutzt, um sich durch die Entführung von Mitgliedern wohlhabender Familien ein Zubrot verdient. Seinen ältesten Sohn Alejandro (Peter Lanzani) drängelt Arquímedes dazu, als Lockvogel dienlich zu sein. Die große Rugby-Hoffnung des Landes findet daran jedoch keinen Gefallen – gleichwohl mangelt es Alejandro am nötigen Mumm, seinem Vater Paroli zu bieten …

Die El Clan betitelte Mischung aus Familiendrama und Kriminalthriller stützt ihre Geschichte auf wahren Ereignissen, die sich in Argentinien in einigen seiner dunkelsten Jahre zugetragen haben. Der in seinem Heimatland Kultstatus genießende Regisseur Pablo Trapero hat den Mumm, dieses bis heute nicht ganz überwundene Kapitel der Nationalgeschichte mit Süffisanz zu erzählen: Zwar hat El Clan durchaus Gewaltspitzen, die eine FSK-Freigabe ab 16 Jahren rechtfertigen, allerdings hält er im Regelfall nicht auf die brutalen Taten des Puccio-Clans drauf, sondern setzt auf tiefschwarzem Humor.

So konterkariert er die gerissenen Entführungen und die ruchlosen Exekutionen der Puccio-Opfer und -Feinde mit vergnüglicher Rockmusik. In der einprägsamsten Szene des von Alejandro Carrillo und Penovi Pablo Trapero geschnittenen Films zeigt eine Parallelmontage, wie Arquímedes einen Mord nach dem nächsten anordnet, während sein Sohn Alejandro seine zukünftige Frau Monica (Stefanía Koessl) besser kennenlernt und letztlich erstmals mit ihr Sex hat. Das Luststöhnen des Paares verschmilzt mit den Hilfeschreien der Puccio-Gefangenen, beides vermengt sich mit „Sunny Afternoon“ der Kinks und steigert sich zu einem musikalischen und visuellen Klimax. Diese stilistisch irgendwo zwischen Martin Scorsese und Quentin Tarantino angesiedelte Montage versinnbildlicht, wie abgeschmackt und emotional zerreißend es wohl sein muss, als mitwissender Spross eines brutalen Ganoven privat langsam aufzublühen. Der Schneid dieser Sequenz zieht sich aber leider nicht durch den gesamten Film.

Die filmische Geschichtsverarbeitung, die 2015 in Argentinien Besucherrekorde aufgestellt hat, verliert sich nämlich in dramaturgische Spielereien, statt den inneren Konflikt seines Protagonisten auszuloten. Peter Lanzani gibt als Alejandro, genannt Alex, zwar eine solide Performance ab, das Dialogbuch gibt ihm jedoch wenig Gelegenheit, die innere Zerrissenheit des Rugby-Nationalspielers und Gangster-Sohnes zur Schau zu stellen. Das Unwohlsein Alejandros macht der TV-Star und Sänger deutlich, das emotionale Aufbegehren gegen seinen übermächtigen Vater kommt hingegen nur in wenigen Sequenzen zur Geltung – und in diesen liegt der inszenatorische Fokus auf Arquímedes.

Da Regisseur und Autor Pablo Trapero mit Rückblenden und Vorausblicken arbeitet, sorgt er zusätzlich für eine emotionale Distanzierung von seinen Figuren. Mit Alex mitzufiebern fällt daher vergleichsweise schwer, was den Zuschauer zu einem entrückten Betrachter der Familienzwistigkeiten macht. Des Weiteren dürfte es einem über argentinische Geschichte nicht informierten Publikum bei den vielen Zeitsprüngen nicht leicht fallen, der im Hintergrund ablaufenden Chronik der politischen Entwicklung Argentiniens durchweg zu folgen. Dennoch vermag es Guillermo Francella, in seiner Heimat vornehmlich als Comedian bekannt, mit eiskalten, strengen und starren Augen eine einschüchternde, fesselnde Leinwandpersönlichkeit aufzubauen. Die Intensität Francellas ist es auch, die gemeinsam mit der erwähnten Montagesequenz sowie kleineren Plansequenzen, in denen der Regisseur erschreckende Entwicklungen sehr stylisch einfängt, für eine dichte Atmosphäre sorgt.

Mit etwas mehr als 100 Minuten Laufzeit ist El Clan zwar etwas zu kurz, um seine zentralen Figuren mit Tiefe zu versehen, oder alternativ etwas zu lang, um als raue, flotte Gangsterposse zu fungieren. Für ein interessiertes Publikum ist El Clan dennoch ein sehr reizvoller, tonal faszinierender Einblick in die Geschichte und Filmkunst Argentiniens. Und einen denkwürdigeren Filmschluss hat es im Thrillerdrama-Bereich schon lange nicht mehr gegeben!

Donnerstag, 28. Juli 2016

Trumbo


Hollywood: Traumfabrik und Sündenpfuhl zugleich. So sehr das Filmmekka Jahr für Jahr mehrere Millionen von Menschen mit seinen Produktionen unterhält – hinter den Kulissen geht es in der Kinobranche ganz und gar nicht sauber zu. Nachdem erst kürzlich mit Hail, Caesar! eine ebenso liebevoll-komische, wie satirisch-neckische Verneigung vor den dubiosen Machenschaften Hollywoods anlief, steht eine weitere Produktion an, die Leichtfüßigkeit mit kritischen Tönen vermengt: Das Biopic Trumbo handelt vom gefeierten Drehbuchautor Dalton Trumbo und ist vornehmlich während einer Zeit angesiedelt, in der die Welt des Glamours von einer pechschwarzen Wolke verachtenswerter Politik bedeckt wurde. Und trotzdem findet die Regiearbeit von Jay Roach (Austin Powers-Trilogie) einen Weg, diesem grimmen Kapitel in der Hollywood-Historie mit einem Schalk im Nacken zu entgegnen …

Das von John McNamara (Aquarius) verfasste, humorvolle Drama nimmt zu einem Zeitpunkt seinen Anfang, an dem sich Trumbo (Bryan Cranston) zur Elite Hollywoods zählen darf: Weil er mit zügigem Tempo ausgefeilte, hochwertige Drehbücher abliefert, erhält er ein Gehalt, das für einen Autoren außergewöhnlich hoch ist. Aber nicht jeder gönnt dem Familienvater seinen Erfolg: Weil er Mitglied der Kommunistischen Partei ist, wird Trumbo in den Anfangsjahren des Kalten Krieges von antisowjetischen Branchenkollegen kritisch beäugt. Zu den lautesten Stimmen, die gegen Trumbo und seine ideologisch gleich tickenden Freunde hetzen, zählen die Klatschkolumnistin Hedda Hopper (Helen Mirren) und der erzkonservative Schauspieler John Wayne (David James Elliott). Anfangs suchen Trumbo und Weggefährten wie Mime Edward G. Robinson (Michael Stuhlbarg) noch selbstbewusst die direkte Konfrontation, doch schon bald nimmt die Kommunistenhatz unangenehme Züge an. Das House Committee on Un-American Activities (HUAC) schickt politische Feinde ins Gefängnis und die Motion Picture Alliance for the Preservation of American Ideas (MPAPAI) verhängt jenen, die nicht (oder nicht mehr) einsitzen ein Arbeitsverbot. Trumbo allerdings lässt sich seinen geliebten Beruf nicht einfach so wegnehmen. Alsbald füttert er seine Familie durch, indem er mittels Pseudonymen und Strohmännern Skripts wie am Fließband produziert …

Eine umfassende Chronik der Schrecken, die die sogenannte Schwarze Liste politischer Gegner in den USA verursachte, ist Trumbo nicht geworden. Autor McNamara vereinfacht das Geschehen extrem. Etwa, indem er mehrere reale Leidensgenossen Trumbos zu fiktiven Figuren zusammenfasst, vor allem aber dadurch, dass er die menschlichen Dramen in der zweiten Filmhälfte nur gelegentlich durchschimmern lässt. Sobald Trumbo erst einmal seine Skriptfabrik aufgebaut hat, erinnern nur häusliche Streitigkeiten und vereinzelte, kurz angerissene Tragödien im Umfeld des genialen Autoren an die schwerwiegenden Folgen der Antikommunistenpolitik. Erst im Abspann verdeutlichen Texttafeln, dass das unnachgiebige Bekämpfen vermeintlich „unamerikanischer Tätigkeiten“ zahlreiche Leben zerstört hat.

Der Fokus von Trumbo liegt viel mehr auf dem Findungsreichtum des Protagonisten und auf einer „Ha, den Irren da oben zeigen wir’s aber!“-Mentalität. Und diesem Anspruch wird der rund zweistündige Film gerecht: Wie Trumbo das politisch intolerante Hollywoodsystem an der Nase herumführte, wird mit Esprit und reich an Pointen nacherzählt. Trumbos Triumphe während seines Arbeitsverbots werden nicht etwa als rührselige Etappen einer bewegten Vita markiert, sondern als Punchlines: Der Mann, der untätig sein sollte, feiert verdeckt seine größten Karrieresprünge. Ha, nimm das, MPAPAI! Neben der hohen Dichte an Dialogwitz in der zweiten Filmhälfte, die Cranston charakterstark und mit perfektem Timing über die Bühne bringt, sorgen zudem exzentrische Nebenfiguren aus dem Filmbetrieb für Unterhaltung.

So besticht Dean O'Gorman als Spartacus-Hauptdarsteller Kirk Douglas: Optisch ist die Illusion perfekt, und darstellerisch gelingt O’Gorman ein faszinierender Spagat zwischen launiger Karikatur und respektvoller Imitation. Gleiches gilt für Christian Berkel als Exodus-Regisseur Otto Preminger, der hier als schräger, einschüchternder, aber moralisch integrer Deutschlandexport skizziert wird, sowie für John Goodman als schmieriger, impulsiver und gutherziger Schundfilm-Studioboss Frank King.

Angesichts dessen, wie leichtfüßig Trumbo in der zweiten Hälfte weitestgehend daherkommt, fällt die erste Hälfte etwas zäh aus: Die dramatische Grundlage für die später folgenden Eskapaden wird zwar nicht ganz ohne Dialogwitz erzählt (vor allem Louis C.K. punktet in den frühen Szenen mit Sarkasmus), jedoch verheddert sich die Erzählung mitunter in Details, die im weiteren Verlauf kaum Beachtung finden. Cranstons nuancierte Darbietung und die an Forrest Gump erinnernde, geschickte Verschmelzung aus Archivmaterial und nachgestellten Szenen lassen der holprigen Dramaturgie zum Trotz den ersten Trumbo-Part als solide Hollywood-Geschichte dastehen. In Kombination mit Theodore Shapiros effektiven, teils jazzigen Score schiebt sich Trumbo zwar noch immer nicht in die oberste Riege an Filmen übers Filmemachen, wohl aber mühelos am tonal vergleichbaren Hitchcock mit Anthony Hopkins vorbei.

Fazit: Überzeugende Darsteller und viel Witz machen aus dem Biopic Trumbo eine raffinierte Auseinandersetzung mit einer in Wahrheit sehr dramatischen Ära der Hollywood-Geschichte.