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Samstag, 3. Februar 2024

Mediatheken-Tipps (3. Februar 2024)

Swimming Pool (Psychothriller, 2002) Was Europäer so alles über Schwimmbecken zu erzählen haben... Zwischen Jacques Derays Der Swimmingpool und Luca Guadagninos A Bigger Splash kam François Ozons Swimming Pool: Ein delikat-voyeuristischer Psychothriller mit Charlotte Rampling, Ludivine Sagnier und Charles Dance in einem sinnlich-eleganten Spiel von Lug, Trug, mehreren Handlungsebenen und Mord. ARD-Mediathek, abrufbar bis zum 8. Februar 2024

Die Spur des Fremden (Film noir, 1946) In diesem Film noir von Orson Welles und mit Orson Welles, Edward G. Robinson, Loretta Young, Richard Long sowie haufenweise Uhren-Symbolik macht ein Ermittler Jagd auf einen ranghohen Nazi. Dieser war federführend in der Erschaffung der KZ und ist nach dem Krieg in den USA untergetaucht, wo er ein unauffälliges Berufs- und Liebesleben führt. Für Welles ein Film mit vergleichsweise zurückhaltendem Stilwillen, aber noch immer von markantem Schattenwurf und visuell wiederholt unterstrichenem Subtext geprägt. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 10. Februar 2024

Vom Lokführer, der die Liebe suchte (Pittoreskes Drama, 2018) Nicht vom Titel abschrecken lassen, hier gibt es keine Schmonzette der Marke Rosamunde Pilcher: In einem Vorort Bakus rattert die Dampflok direkt an den Häusern der armen Bevölkerung vorbei. Als eines Tages ein Lokführer die Wäsche einer Unbekannten mitreißt, und ihm so ein BH entgegen geschleudert wird, beschließt er, das teure Kleidungsstück der rechtmäßigen Besitzerin zurückgeben. Nur wer ist es? Die dialogfreie, deutsch-aserbaidschanische Produktion erstrahlt in einer verspielten Farbwelt - etwas ausgebleicht, aber auch kontrastreich. Die Figuren agieren ebenfalls kindlich-überspitzt, womit Regisseur Veit Helmer dem potentiell schmierigen Stoff eine naive Unschuld gibt. Als wäre Emir Kusturica an einem milden Tag auf die Idee gekommen, den Stil von Aki Kaurismäki mit Versatzstücken von Jean-Pierre Jeunet einzufangen und in Aserbaidschan einen Film zu drehen, wie er in den frühen 1990ern sonderbarerweise im ARD-Kinderprogramm gelaufen wäre. Klingt spezieller, als es in all seinem kauzig-freundlichen Charme ist! ARD-Mediathek, abrufbar bis zum 15. April 2024

aspekte: Analoge Medien neu entdeckt - Die Renaissance des Sinnlichen (Kulturmagazin-Reportage, 2023) Das Kulturmagazin aspekte ist oftmals viel kreativer und bietet tiefere thematische Einblicke als die deutlich reichweitenstärkere, im direkten Programmvorfeld laufende Satiresendung, in der nahezu wöchentlich über aspekte hergezogen wird. In letzter Zeit imponierte mir diese Ausgabe ganz besonders - was angesichts meiner Faibles wenig überraschend ist: In dieser Ausgabe wird über das kulturelle Comeback der haptischen Kunst und Kommunikation gesprochen. Mit bemerkenswerten Anekdoten über Postkarten, analogen Filmschnitt, Videosammlungen mit aufregenden (und erregenden) Fundstücken und der Im Westen nichts Neues-Filmmusik. ZDF-Mediathek, abrufbar bis zum 10. Januar 2025

Worakls: Passengers (Konzert, 2024) Der französische DJ und Elektro-Tanzmusik-Produzent Worakls bringt mit Streich- und Blechblasinstrumenten sowie Synthesizern Klangstilistiken aus der Vergangenheit und Gegenwart zusammen. Das Ergebnis ist ein wuchtiger, dynamisch-mitreißender Sound, der so auch in einem klanglich ambitionierten Big-Budget-Spektakel funktionieren könnte. Gefilmt wurde in der Vasarely-Stiftung in Aix-en-Provence, der "Stadt des Glücks". Und somit wird auch optisch Nostalgie, Futurismus und Retro-Futurismus zu einem stimmigen Ganzen vermengt. Schönes Gesamterlebnis. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 20. Januar 2026

Angriff der Terror-Zombies (B-Movie-Hommage, 2014) Journalist, Autor und Musiknerd Veit König lässt sein Filmgeek-Herzen ganz laut pochen: In seinem schräg-spaßigen Hörspiel (Regie: Thomas Leutzbach) verneigt er sich mit Witz, Verve und Liebe zum Absurden vor Schundfilmern sowie Schundfilmen. Das Ergebnis ist knapp eine Stunde Hörvergnügen zwischen Ed Wood, Planet Terror-eskem Grindhouse-Tribut und Ed Wood. Besonderes Schmankerl: Die Stimmbesetzung mit Andreas Fröhlich (Bob Andrews, John Cusack, Edward Norton), Frank Glaubrecht (Pierce Brosnan), Tobias Meister (Brad Pitt, Jack Black, Robert Downey Jr.), Cathlen Gawlich (Elizabeth Banks, Melanie Lynskey) und Helmut Krauss (Nachbar Paschulke, James Earl Jones, Samuel L. Jackson in Pulp Fiction und Kill Bill Vol.2)! ARD-Audiothek, abrufbar bis zum 30. Dezember 2099

Warum Mediatheken-Tipps? Die Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender sind ein unablässig sprudelnder Quell an sehenswerten Produktionen. Ob Spielfilm, Dokumentarfilm, Reportage, Konzertfilm, Serie, oder oder oder. Doch nicht nur, dass man da leicht den Überblick verlieren kann: Ich kenne einige Menschen, die den Mediatheken kaum oder gar keine Beachtung schenken. Mit dieser Artikelreihe möchte ich Orientierung bieten, ebenso wie Anreiz, sich vermehrt mit den Mediatheken zu befassen. Dazu gebe ich wöchentlich sechs Anschautipps.

Wieso sechs Tipps? Ich möchte, dass diese Artikelreihe händelbar bleibt. Für mich, damit ich sie neben meinen anderweitigen Verpflichtungen verfassen kann. Und für euch: Ich will euch nicht mit Anschautipps erschlagen. Sechs Tipps halte ich indes für umsetzbar: Selbst, wer alle Tipps ansprechend findet, kann sich täglich einen davon angucken, und hat dennoch bis zur nächsten Ausgabe der Reihe auch einen Tag "mediathekenfrei". 

Die Mediatheken-Tipps erheben selbstredend keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Es gibt viel mehr zu sehen, als ich hier Woche für Woche nennen könnte.

Mittwoch, 29. Juni 2022

Die Erlösung der Fanny Lye

©Alamode Film

Was lange währt, hat endlich Beachtung verdient: „Die Erlösung der Fanny Lye“ feierte seine Weltpremiere im Oktober 2019 und lief im Herbst 2020 in Deutschlad auf dem Fantasy Filmfest. Im Frühjahr 2021, wurd dem britischen Film, der Spätwestern-Erzählweise, enorme Gewaltspitzen und Historiendrama vereint, endlich eine reguläre deutsche Heimkino-Auswertung gegönnt. Und jetzt erhält er eine weitere Chance auf Aufmerksamkeit

arte zeigt das Historien-Thrillerdrama mit Freddie Fox (Paul W.S. Andersons Die drei Musketiere), Sex Education-Starlet Tanya Reynolds, Die Entdeckung der Unendlichkeit-Nebendarstellerin Maxine Peake und Game of Thrones-Veteran Charles Dance heute ab 23.10 Uhr, außerdem wird es in der Mediathek zu finden sein. Weshalb „Die Erlösung der Fanny Lye“ sehenswert ist, und weshalb ich fürchtn, dass dieses Kleinod dennoch viele Filmfans enttäuschen könnte, verraten ich euch in den folgenden Zeilen…

Risse im Puritanismus

Wir schreiben das Jahr 1657: Der dritte englische Bürgerkrieg liegt nun schon einige Jahre zurück. Das kurze Aufbegehren der frühdemokratischen Bewegung der Levellers ist weitestgehend ein Ding der Vergangenheit. Jene, die weiterhin für eine demokratische, freie Gesellschaft, eine Öffnung der Religion und diee Gleichstellung der Stände und Gender vor dem Gesetz kämpfen, werden gemeinhin als gefährliche Verführer und verabscheuungswürdige Sünder betrachtet… Eines Tages schlagen der charismatische Thomas (Freddie Fox) und seine Begleiterin Rebecca (Tanya Reynolds) auf dem Bauernhof des früheren Soldaten John (Charles Dance) auf. Da John, sein Sohn Arthur (Zak Adams) und seine Gattin Fanny Lye (Maxine Peake) in puritanischer Strenge leben, sind sie höchst misstrauisch gegenüber den zwei Fremden, die unbekleidet angekommen sind. Sie erklären, dass sie überfallen wurden und dringend Hilfe und Unterschlupf benötigten. Während John grantig bleibt und die Fremden mit Argusaugen beobachtet, wird das Weltbild Fanny Lyes auf den Kopf gestellt: 

Thomas betrachtet Rebecca als ihm gleichgestellte Person, statt als seine Untergebene. Und Rebecca vertraut Fanny Lye an, dass sie gar nicht verheiratet sind, und dennoch miteinander schlafen. Fanny Lye ist erschüttert – aber auch fasziniert, weshalb sie zu den Fremden hält. John wiederum erahnt, dass mit ihnen etwas nicht stimmt – schließlich macht Thomas solchen ungeheuerlichen Blödsinn wie Arthur zum Spielen anzustiften ..!

Spürbare Genreeinflüsse

Es steht zu befürchten, dass Die Erlösung der Fanny Lye es schwer haben wird, sein Publikum zu finden. Das britische Poster weckt mit seiner Bildkomposition und der orangefarbenen Tönung deutliche Western-Konnotationen. Das deutsche Heimkinocover wiederum gibt Horrorkino-Vibes ab – und die FSK-Freigabe ab 18 Jahren sowie die Präsenz des Films auf dem Fantasy Filmfest dürfte diese Assoziation nur untermauern. Doch wer John-Ford-Western-Stimmung oder knallharte, schaurige Unterhaltung erwartet, wird bei Die Erlösung der Fanny Lye enttäuscht über eine ganz andere Tonalität stolpern.

Gewiss: Regisseur und Autor Thomas Clay übernimmt einige Lektionen aus dem Lehrbuch US-amerikanischer Spätwestern und des von Sergio Leone geprägten Italo-Westernkinos, also den Winkeln des Western-Genres, die sich mit drastischen Gewaltspitzen und immenser, erzählerischer Ruhe und Sorgfalt kritisch mit dem Erbe ihrer Vorgänger auseinandersetzen. Komplexe, listige Figuren, sich mit still anschwellender Spannung steigernde Konflikte und eine atmosphärische, spröde Bildsprache – das ist das filmische Erbe, an dem sich Clay bedient.
Trotzdem lässt sich Die Erlösung der Fanny Lye angesichts der Themen und des Settings nur schwerlich als Western vermarkten, und so prägnant und grafisch die Gewaltspitzen im Film sein mögen, so sind sie rare, bewusst drastische Markierungen der entstandenen Gefahr – nicht etwa das definierende Element des Films. In allererster Linie ist Die Erlösung der Fanny Lye ein feministisches Stück Historienkino, das mit seinen hervorragenden Dialogen und einer soghaften, komplizierten Figurendynamik besticht.

Packende Wortgefechte

Thomas Clay lässt nahezu den gesamten Film auf einer kleinen Farm im matschigen, abgeschiedenen Shropshire abspielen. Er und Kameramann Giorgos Arvanitis (Die letzte Mätresse) fangen diese spärlich eingerichtete Heimat der Titelfigur und ihres strengen Gatten in vernebelt-glanzlosen, kalten, doch aufgrund der Bildkomposition trotzdem sehr atmosphärischen Bildern ein – und verharren auf dem famos aufspielenden Cast, der sich in wortgewandten Dialogen misst. Charles Dance gibt eine eindringliche Darbietung als Mann seiner Zeit, der eine ultrastrenge Erziehung verfolgt, seine Frau als Dienerin betrachtet und ein harsches, strafendes Bild von Gott hat.
John ist eine kühle, grantige Präsenz, doch Dance findet nuancierte Wege, dieser antagonistischen Person Leben einzuhauchen: Er genießt sichtbar seine männlichen Privilegien, doch in religiösen Fragen schimmert in seinem Blick auch eine Verletzbarkeit auf, und die mitleidende Sorge, dass die zwei jungen Fremden (basierend auf allem, was ihm sein Leben lang gepredigt wurde) mit ihren radikalen, neuen Ideen wirklich mit dem Feuer spielen.

Tanya Reynolds wiederum begeistert als stille, doch mit großen, glänzenden Augen für die Lehren ihres Begleiters brennende Frau, die durch ihre sensible Art auch deutlich besser zu Fanny Lye durchdringt als der charmante, eloquente, aber auch ungeduldige und forsche Thomas. Dem verleiht Freddie Fox so viele charakterliche Widerhaken, dass zwangsweise Spannung aufkommt: Durch ihn wird Thomas zu einem listigen Propheten der Gleichberechtigung und religiösen Toleranz, der jedoch durch sein lüsternes Selbstbewusstsein und den diebischen Genuss, den er daran hat, Leute um den Finger zu wickeln, so wirkt, als ginge es ihm nicht allein um die Sache.

©Alamode Film

Tolle Leistung von Maxine Peake

Es ist jedoch konsequent Maxine Peake, die den restlichen Cast überschattet: Ihre Darbietung als treue, verschüchterte Hausfrau und Mutter, die unter der Fuchtel ihres Gatten steht und die Werte der Gesellschaft nicht hinterfragt, ist filigran, herzlich und mitreißend. Peake lässt Fanny Lye leise und intensiv mit den neuen Ideen ringen, die Thomas und Rebecca mitbringen – und es geht geradezu unter die Haut, wie diese Frau sich teils zu neuen Horizonten verführen lässt, teils intellektuell überzeugt wird, und sich auch ihre eigenen Gedanken macht.

Das führt zwangsweise zu Konflikten mit ihrem Gatten, aber auch mit Thomas und Rebecca – und dann schwebt über dem Ganzen auch noch das Damoklesschwert der doppelzüngigen, erzkonservativen Rechtsprechung zu jener Zeit … Untermalt wird das Geschehen mit einer von Thomas Clay selbst geschriebenen Musik – weil durch die von Wetterschäden geplagten Produktion kein Geld für einen anderen Komponisten über war. Clay entschied sich für einen Score frei von Subtilität: Jede dramatische Wende wird mit trötenden Hörnern angekündigt und zuweilen artet die Klangfarbe ins Folkrockige aus.

Das mag anachronistisch sein, dass sich aber akustisch mit voller Wucht frischere und feschere Elemente in Die Erlösung der Fanny Lye drängen, passt aber zum Film, in dem Fanny Lye durch Thomas' Worte in ein neues Zeitalter geleitet wird. Und da noch immer nicht sämtliche Probleme, die Fanny Lye durchleidet, aus der Welt geschafft wurden, kann eine klangliche Übertragung des Films ins Heute sowieso nicht schaden…

 

Fazit: Die Erlösung der Fanny Lye ist Historien-Spannungskino, das mit kühler Stimmung und langsam anschwellender Suspense vom quälend-schleichenden Prozess der Aufklärung handelt.

Montag, 3. Mai 2021

Red Screening – Blutige Vorstellung

 
Ich vermisse das Kino. Ich vermisse es in seiner Gesamtheit. Der Duft von frischem Popcorn. Der Geschmack von frischem Popcorn. Der Anblick eines Kinofoyers. Ich vermisse es, an Postern vorbeizugehen, und zu denken: "Boah, war der schlecht. Der war super! Auf den freue ich mich! Was ist das denn bitte für ein Poster?!" Ich vermisse es, mich in einen Kinosessel zu schmeißen, in den Saal hineinzublicken, abzuchecken wie voll es ist, und was für ein Publikum sich um mich herum versammelt. Das Warten darauf, dass sich das Licht dimmt und die Werbung beginnt. Das Freuen über angenehme Spots und Trailer, das Ärgern über dämliche Clips, und die riesige Freude darauf, dass der Hauptfilm beginnt. Das Wahrnehmen dessen, wie die Anderen den Film finden. Und das Loslösen aus der Filmwelt, um vom halbdunklen Kinosaal aus wieder Schritt für Schritt in die alltägliche Welt zu finden. 

In dieser melancholischen Stimmung der Kinosehnsucht kam Red Screening genau richtig: Dieser Slasher (mit ästhetischen Giallo-Anleihen) aus Uruguay trieft geradezu vor ehrlicher Lichtspielhausliebe. Lichtspielhausliebe für alles, was die Kinoerfahrung ausmacht. Von den Vorzügen des Filmtempels bis hin zu den ärgerlichen Kleinigkeiten, die aber einfach dazugehören, wie ein ab und zu nervendes Publikum. In dieses Schwelgen in Kinostimmung werfen Drehbuchautor Manuel Facal und Drehbuchautor/Regisseur/Produzent Maximiliano Contenti einen zielstrebigen Killer, der für geradlinige, handgemachte Slasher-Metzeleffekte sorgt – noch etwas, das ich vermisse, denn einen neuen, ironiefreien, stringenten Slasher gibt es derzeit ja auch selten zu erleben ... 

Eine stürmische Nacht in Montevideo im Jahr 1993: Direkt nach einer Familienvorstellung läuft im Kino "Cine Opera" ein Horrorfilm. Ana, die Tochter des Filmvorführers, hat ausnahmsweise die Nachtschicht für ihren sich ständig überarbeitenden Vater übernommen. Eigentlich kein Job, der besonders aufregend ist ... Das hat aber auch seinen Vorteil: Immerhin kann Ana somit während der Arbeit für eine bald anstehende, wichtige Prüfung büffeln. Doch denkste! Denn in dieser Nacht kann von Ruhe, gediegener Langeweile und ausreichend Zeit zum Lernen nicht die Rede sein: Ein erbarmungsloser Killer hat für die Vorstellung ein Ticket gelöst und lässt seinem Blutdurst im Schutze der Dunkelheit freien Lauf. Nun muss Ana nicht nur um ihr Überleben kämpfen, sondern auch versuchen, möglichst vielen Filmfans vor Ort einen grausamen Tod zu ersparen ... 

Ein Kino, wie man es sich kaum besser zusammenträumen könnte: Neonröhrenreklame, eine meterhohe, ikonische Frontfassade, ein großer Saal mit Stadium Seating, aber auch mit einer abgenutzten Holzvertäfelung, staubigen Sitzen mit leicht schimmerndem roten Bezug und (angesichts des zeitlichen Settings ganz alternativlos:) analogem Projektorsystem. Das Kino in Red Screening ist fantastisch ausgewählt und formidabel zurechtgemacht, so dass es ein nostalgisches, liebevolles Aufeinandertreffen von Programmkino-, Arthouse-Lichtspielhaus- und Massenfilmtempel-Ästhetik bietet und quasi zu einem prototypischen Kino wird, so dass wohl nahezu allen Kinobegeisterten durch das eine oder andere Detail das Herz in die Höhe hüpfen dürfte.

Um ein Klischee aus der Filmkritik abzuwandeln: Das Kino ist quasi ein heimlicher Protagonist in Red Screening. Seine Aufmachung, gepaart mit der Kameraarbeit von Benjamin Silva, der Red Screening eine leicht verwaschene, kontrastarme, aber farbenreiche Bildsprache verleiht, so als würden wir uns eine schlecht gepflegte 35mm-Kopie eines klein budgetierten, visuell ambitionierten Horrorfilms anschauen, verleiht dieser kleinen Genreproduktion eine immense, dichte Atmosphäre. 

Hinzu kommt die vortreffliche Auswahl an Figuren, die zwar allesamt kaum mehr sind als Archetypen, aber auch nicht mehr sein müssen, weil das Kinofeeling, die Größe des Casts und die Grundstimmung sowie die Genremechanismen ausreichen, um die nicht einmal 90 Minuten Laufzeit zu füllen: Da ist die Gang räudiger Teenager, die lärmend in den Saal stolpern, nachdem der Film begonnen hat. Der kleine Junge, der sich in den Film geschlichen hat (böse!), weil er zu jung ist und gerne einen Horrorfilm sehen will (na gut, das gibt dir Sympathiepunkte, Kleiner!) – und der in den brutalen Szenen hin- und hergerissen ist zwischen "Hände vor die Augen halten" und "Hinschauen wollen und mitfiebern" (wie goldig!). Da ist ein schüchtener Typ, der mit seinem Date einfach irgendeinen Film schauen will, und sich völlig uninformiert vom Programm überraschen lassen möchte. Und sein Date, das die Augen rollt, weil er nichts über den Film weiß, und sowieso ganz andere, fleischlichere Erwartungen an den Abend hegt. Dann ist da noch die junge Frau, die allein ins Kino geht und daher verlacht wird. Und der grantige, alte Typ, der mehr Ruhe im Saal will.

Es ist eine bunte Mischung aus sympathietragenden Figuren und willkommenem Kanonenfutter, die gestattet, dass wir in Red Screening sowohl gebannt mitfiebern, dass manche Figuren fliehen können, als auch diebisches Vergnügen an bösen Kills haben. Die sind übrigens nicht gerade aufwändig, wohl aber geradeheraus, haptisch umgesetzt und in ihrer Simplizität schön schmerzhaft, statt zynische Spektakel. Der Killer lässt sich Zeit, bevor er auftaucht, wird nicht übermäßig mit Hintergrundgeschichte versehen, und agiert zügig, kräftig, aber auch nicht makellos, so dass im großen Finale Raum für Anspannung bleibt: Wird er straucheln, daneben schlagen oder sich übertölpeln lassen? Oder behält er den Fokus und kommt mit noch einem und noch einem Mord davon? Das gestattet ein schnörkelloses, herbes Slashererlebnis, das Schaulust und Spannung gesund vereint – und nicht eine Minute zu lang oder zu kurz ist.

Red Screening ist also (im besten Sinne!) ein schlichter Film, der Slasher-Genrefans ein geradliniges, spannendes Sehvergnügen bietet, das dank des liebevoll eingefangenen und gestalteten Settings das Kinoherz höher schlagen lässt. Wenn ihr nach diesen Zeilen Lust bekommen habt, dann dürft ihr Red Screening als klare Sehempfehlung abspeichern!

Samstag, 31. Oktober 2020

Relic

Wann immer Leute rummaulen, Popcorn-Kassenschlager wie Avengers || Endgame würden das Kino zerstören, kriege ich einen inneren Schreikrampf. Denn diese Statements zeigen sich vollkommen ignorant gegenüber der Realität des Standorts Kino: In einer Ära, in der sich Millionen und Abermillionen von Menschen einreden, Filme seien umsonst, wenn sie als Teil einer monatlichen Flatrate angeboten werden, wurde der "Dafür gehe ich ins Kino"-Impuls zahlreicher Personen nun einmal kleiner. Das ist eine Entwicklung, die schon vor dem Aufkommen des Marvel Cinematic Universe begonnen hat. Man schaue sich bloß einmal die sinkende Erfolgskurve von Dramen und Komödien mittleren Budgets in den USA an, wo Kabelfernsehen und Netflix deutlich früher und stärker Einfluss auf das Kinokonsumverhalten hatten als in Westeuropa. 


Filme wie Avengers || Endgame sind nicht der Untergang des Kinos, sondern deren Notnagel, den es benötigt, solange Otto und Anna Durchschnittskonsum denken "Ach, ich hab keine Lust, Geld auszugeben und vor die Tür zu gehen, ich schau was auf Netflix". Und ein Umdenken wird angesichts der Nachrichtenlage 2020 so rasch nicht eintreten. Aber es gibt noch einen Grund, weshalb das MCU nicht den Untergang des Kinos bedeutet: Zahlreiche "Verbrecher" nehmen die Gage für ihren "Verrat an der Kunst", um Filme zu finanzieren, die sonst nicht gemacht worden wären oder zumindest weniger Verbreitung gefunden hätten. So haben die Brüder Joe & Anthony Russo ihre satten Marvel-Gehälter genommen, um AGBO zu gründen, ein Label, das seither unter anderem die großartige Gesellschaftssatire Assassination Nation vertrieben hat und (gemeinsam mit Jake Gyllenhaal) Relic mitfinanzierte, das feinfühlige, gefühlvoll-schaurige Regie- und Drehbuch-Langfilmdebüt von Natalie Erika James.


Und als sensible Grusel-Auseinandersetzung mit Mutter-Tochter/Enkelin-Mutter-Großmutter-Dynamiken, in denen Verständnis und Einfühlungsvermögen bedeutendere Komponenten sind als Terror, Twists, Schrecken und blutige Konflikte ist Relic kein Stoff, der mal eben finanziell gestemmt, umgesetzt und der Masse zugänglich gemacht wird, noch dazu auf diesem Niveau. 


Als Kay (Emily Mortimer) von den Nachbarn ihrer Mutter Edna (Robyn Nevin) besorgniserregende Nachrichten erhält, fährt sie prompt mit ihrer Tochter Sam (Bella Heathcote) in ihr altes Elternhaus: Edna sei nicht mehr ganz sie selbst. Nachdem sie vor wenigen Monaten beinahe einen fatalen Haushaltsunfall hatte, sei es kürzlich zudem zu einem weiteren schrägen Vorfall gekommen. Und nun ist sie auch noch spurlos verschwunden. Kay und Sam gehen schon vom Schlimmsten aus, als sie im Haus mitten im Wald ankommen. Tatsächlich finden sie es leer vor, Wände und Lebensmittel sind bereits von Schimmel befallen. Überall sind Notizzettel, teils mit simplen Alltagserinnerungen, teils mit ominösen Anweisungen. Als Edna plötzlich wieder auftaucht, voller blauer Flecken, von denen sie selber nichts zu wissen behauptet, überkommen Kay und Sam große Sorgen: Geht hier mehr vor als Demenz? Sie wissen nur eines: Edna braucht ihre Familie. Und zwar jetzt! Aber kann Edna das akzeptieren ..?


Wer bei Relic den Psychoterror von Hereditary erwartet oder geisterhaften Grusel, der nebenher auch das Thema Demenz behandelt, ist bei Relic an der falschen Stelle. Natalie Erika James verzichtet vollkommen auf Jumpscares, nennenswerte Gewaltausbrüche oder eine verschachtelte Mythologie. Es gilt keinen Fluch zu entschlüsseln, einen übernatürlichen Schurken zu bezwingen oder durch literweise Ekeleffekte zu waten. James stellt ihr Publikum nicht einmal vor ein verschachteltes Rätsel, sondern legt schon früh im Film inszenatorisch die Karten auf den Tisch: Ihr Film ist eine einzige, große (genreesk überspitzte) Analogie auf das Gefühl, seine (Groß-)Eltern beim Älterwerden zu erleben, und auf alle Gedanken und Gefühle, die damit einhergehen. 


Dadurch, dass James sämtlichen Plotmechanismen, die mit einer verkopften Verarbeitung dieses Themenkomplexes einhergehen würden, gar nicht erst anpackt, sondern früh und zielstrebig den Pfad einschlägt, assoziativ ihre Emotionen in bewegte Bilde zu kanalisieren, gibt es keine Nüsse zu knacken. Keine Ebenen kaputt zu analysieren, um Relic erst einmal auf den Grund zu gehen. So deutlich, wie Ednas Kondition ist, ist auch die Frage, worauf Relic hinausläuft. Und das ist hier durch und durch positiv gemeint. Es bahnt den Weg für eine herzlichere Geschichte. Und tiefer verborgene, existenziellere Befürchtungen.


James kreiert mit Relic eine sehr kunstvolle, berührende filmische Konfrontation mit dem Gespenst namens Altern, und die nachtschwarz-melancholische Weise, wie sie damit verbundene Ängste in Filmbilder und unerklärliche Geschehnisse überträgt, bohrt tiefere Löcher in die Seele als es die meisten Fließband-Geisterschocker tun. Zumal James die unmissverständliche Parabel, die sie erzählt, damit ausschmückt, dass sie den Grusel emotional nuanciert verankert.


Kay und Sam durchlaufen sowohl Ängste um Edna ("Was, wenn ihr was passiert?"), als auch Ängste vor Edna ("Was macht sie da nur?") und um/vor sich selbst ("Was, wenn ich auch so werde ... oder schon bin?"), die Emily Mortimer und Bella Heathcote gleichermaßen genregemäß (was diesem einfühlsamen Horrorfilm weiterhin eine beklemmende Grundstimmung verleiht) wie berührend-feingliedrig zur Schau stellen. James derweil beweist in Sachen Bildgestaltung, Kameraführung und (vor allem im Finale) zusammen mit ihrem Editing-Duo Denise Haratzis & Sean Lahiff im Schnitt schon bei ihrem Langfilmdebüt großes atmosphärisches Verständnis des Mediums, indem sie ein "irrationale Wahrheiten" visualisiert, also das Innenleben unmittelbar nach außen kehrende Bilder schafft.


Fazit: Relic ist waschechter Old-School-Grusel nach Schule des frühen, dunkelemotionalen Schauerkinos. Nichts für Fans des schnellen Schocks - und zugleich einer der betrüblich-schönsten Filme des Jahres.

Sonntag, 29. September 2019

Mein Blind Date mit dem Leben


Es wirkt an der Oberfläche zunächst einmal wie ein schlechter Witz: Ein quasi erblindeter Jugendlicher macht eine Ausbildung. Ausgerechnet zur Servicekraft. Und dann auch noch in einem Luxushotel! Da, wo ein scharfes Auge, ein sicheres Auftreten und absolute Stolperfreiheit unerlässlich sind! Das kann ja nur in beschämende Slapstick-Kapriolen münden … Mein Blind Date mit dem Leben ist jedoch keinesfalls ein unsensibles, zweistündiges „Ein junger Mister Magoo versucht sich als Kellner“-Lachfest. Sondern die inspirierende filmische Adaption einer erstaunlichen wahren Geschichte – gewitzt-feinfühlig von Groupies bleiben nicht zum Frühstück-Regisseur Marc Rothemund umgesetzt und mit bestechendem Charme von Kostja Ullmann in der Hauptrolle gespielt.

Die rund zweistündige Dramödie Mein Blind Date mit dem Leben erzählt lose die Geschichte des Motivationsredners und Autoren Saliya Kahawatte. Der Deutsch-Singhalese verlor im Teenageralter annähernd 95 Prozent seines Sehvermögens, weigerte sich anschließend allerdings, sein Leben von diesem Handicap diktieren zu lassen. Also beschloss er, weiter seinen Wunsch zu verfolgen, in einem Luxushotel zu arbeiten. Da Bewerbungen mit ehrlichen Angaben bezüglich seiner Sehbehinderung allesamt abgelehnt werden, verschweigt er sie letztlich – und kriegt anschließend den begehrten Ausbildungsplatz. Was sich in Wirklichkeit in einem Hamburger Hotel abgespielt hat, verlegt Rothemund in seinem Film in den leinwandfüllenden, altmodisch-prunkvollen Bayerischen Hof in München.

Dort lernt Saliya den lockeren Lebemann Max (herrlich: Jacob Matschenz) kennen, der schon kurz nach diesem Treffen bemerkt, welche Scharade sein Mitauszubildender spielt. Aus dem verbissen jegliche Hürden nehmenden Saliya und dem sorgenfreien Max wird ein eingespieltes Team – trotzdem stellen sich dem nahezu blinden Träumer immer neue Herausforderungen, die zunehmend an seinem Nervenkostüm nagen …

Das Skript von Oliver Ziegenbalg (Friendship!) und Ruth Toma (Kebab Connection) ist in Stimmungszyklen aufgebaut: Eingangs wird ganz zügig und effizient Saliyas Leben vor dem Eintreten seiner dramatischen Sehprobleme skizziert. Danach führt Mein Blind Date mit dem Leben nüchtern, aber mit kleinen emotionalen Ausrutschern, vor, wie sich der Abiturient ans Leben mit seinem Handicap herantastet: Ullmann spielt glaubwürdig, wie Saliya zwar von seiner Sehbehinderung zermürbt wird, aber stur daran arbeitet, irgendwie weiter zu machen und neuen Mut findet. Dies hat einen eher dramatischen Unterton, allerdings sind die munteren Gespräche zwischen Saliya und seiner Schwester Sheela (perfektes Timing: Nilam Farooq) kleine muntere Momente, die sehr gut die nächste Phase des Films vorbereiten.

Saliyas erste Wochen am Bayerischen Hof inszeniert Rothemund als launige „Betrugsgeschichte“: Max und Saliya verheimlichen mit verschwörerischem Grinsen untereinander den Vorgesetzten Saliyas Handicap – und mit beschwingter Musik sowie glanzvoller Bildästhetik lädt der Regisseur sein Publikum dazu ein, sich mit den Beiden über jeden neuen Kniff zu freuen. Rothemund legt es unaufdringlich nahe, nicht über Saliya zu lachen, sondern mit ihm. Schleichend kehrt mit Johann von Bülows arrogantem Ausbilder Kleinschmidt, der daran einen Narren gefressen hat, Saliya zu piesacken, jedoch auch wieder größere Dramatik in die Handlung ein. Und auch die Liebelei mit der Gemüselieferantin Laura (Anna Maria Mühe) steht auf wackligen Beinen ...

Wenn die Stimmung danach völlig ins Dramatische kippt und Rothemund skizziert, wie Saliya an der Mühe, nicht als Blinder unter Sehenden aufzufallen, zu zerbrechen droht, tut sich der Oscar-nominierte Regisseur etwas schwerer als zuvor: Zwar gerät dieses Tief plausibel und Ullmanns Performance rutscht stimmig vom charismatischen Strahlemann zu jemandem Selbstdestruktiven. Spürbare Nachwirkungen hat diese Phase aber kaum, so dass der letzte Akt vergleichsweise simplifiziert daherkommt.

Inspirierend bleibt die Story dennoch: Ein gut gelauntes Inklusionsplädoyer, das humorvoll erklärt, welche Hürden Blinde im Alltag zu nehmen haben – und das die altbekannte Moral „Lebe deinen Traum“ auf unverbrauchte Weise neu aufzäumt. In Form der afghanischen Küchenkraft Hamid (Kida Khodr Ramadan) treibt Rothemund obendrein den Gedanken, Grenzzäune im Kopf des Publikums einzureißen, ganz charmant auch bei den Nebenfiguren fort: Solche sympathischen, nicht aber anbiedernden Nebenrollen braucht das deutsche Massenkino viel häufiger.

]Fazit: Ein einfühlsam erzählter Gute-Laune-Film, der zu berühren weiß: Mein Blind Date mit dem Leben packt sein Thema ebenso sensibel wie gewitzt an und punktet mit einer tollen Darbietung von Kostja Ullmann.

Dienstag, 23. Juli 2019

Passengers


Guardians of the Galaxy-Star Chris Pratt. Die Tribute von Panem-Hauptdarstellerin Jennifer Lawrence. Ein elegant gestaltetes, mittels zumeist sehr ansehnlicher Effekte verwirklichtes Raumschiff als Setting. Und ein schnell begriffenes Konzept, das in allerlei Genres funktionieren würde – von Horrorfilm oder Psychodrama bis hin zu Hochglanzblockbuster: Was, wenn man bei einer mehr als ein Jahrhundert überdauernden Weltraumreise viel zu früh aus seinem künstlichen Schlaf geweckt wird?

Passengers ist ein (oberflächlich betrachtet) überaus attraktiver Hollywood-Film. Einer, der bei sehr flüchtiger Betrachtung hält, was er verspricht: The Imitation Game-Regisseur Morten Tyldum erschafft eine vor Rückverweisen strotzende, ästhetische Science-Fiction-Welt. Das Drehbuch von Jon Spaihts (Prometheus) ist dynamisch strukturiert: Mit ruhigem Prolog, einem zunächst sehr lustigen ersten Akt, der ins Dramatische kippt. Einem romantisch aufgezogenen zweiten Akt, der in unter die Haut gehende Suspense kippt. Ehe der sukzessive vorbereitete, laute und effektlastige, mit Action bepackte finale Akt folgt.

Jennifer Lawrence und Chris Pratt spielen ihr leinwandtaugliches Charisma aus. Pratt verinnerlicht ein Großteil der vielen, verworrenen Emotionen seiner Rolle. Lawrence indes spult zwar die Videobotschaften ihrer Figur routiniert runter (und somit die Szenen, die ihr eine runde Hintergrundgeschichte geben sollen), erweckt sonst jedoch einen engagierten Eindruck.

Doch die Oberfläche von Passengers ist rasch weggekratzt. Es fängt schon beim Produktionsdesign an. Dass sich die Kulissen an Filmklassikern anlehnen, ist noch problemlos. Dass die als Zufluchtsort und Hort komödiantischer Szenen dienende Bar an die aus Shining angelehnt ist, ist aber, je nach Blickwinkel: A) Ein recht wahlloser Verweis. Oder B): Beweis dafür, dass das Gesamtwerk deutlich leichtgängiger und gedankenloser geraten ist, als es wohl einst sein sollte.

Die Instrumentalmusik von Komponist Thomas Newmans wiederum ist einprägsam, betörend schön und komplex arrangiert – sowie ein dreister Eigenklau aus seinen Arbeiten für die Pixar-Filme Findet Nemo, WALL·E und Findet Dorie. Die Technologie des als Schauplatz dienenden Raumschiffs operiert nur auf Hollywood-Logik, mit Makeln, die sich nach der Storydramaturgie richten. Nicht nach einer inneren, kohärenten Logik.

Und all dies sind noch immer (etwas tiefer gehende) Schönheitsfehler. Die wirklich argen Probleme an Passengers, die einen anhaltend bitteren Nachgeschmack hinterlassen, werden im Film erst nach rund der Hälfte der Laufzeit bemerkbar. Doch sie nehmen sukzessive zu. Und da Tyldum im haarsträubende Züge annehmenden Finale jegliche rettende Option links liegen lässt, gerät Passengers vom Blockbuster mit unglücklichen Implikationen zum möglichen Diskussionsanreger und schlussendlich zu einem frustrierend-problematischen Stück Popkultur.

Spoilerfrei lässt sich dies nicht näher artikulieren – Sci-Fi-Liebhaber und Gelegenheitskinogänger, die nicht zu viel wissen wollen, sollten anhand der obigen Zeilen abschätzen, wie sehr sie Passengers denn nun reizt. Alle anderen können sich gerne vorab auf ein mehr als bloß fragwürdiges Ende gefasst machen …

Ab hier SPOILER!
Entgegen dem, was die Trailer und TV-Spots behaupten, handelt Passengers nicht davon, dass ein Mann und eine Frau 90 Jahre vor Ankunft an ihrem Ziel auf einem Raumschiff aufwachen, während der Rest der Passagiere noch seinen das Altern ausbremsenden Schlaf hält. Stattdessen dreht sich der Beginn des Films um einen einzelnen Mann, dem diese Misere widerfährt. Chris Pratt spielt dies mit Galgenhumor, der in „Das Beste aus der Sache machen“-Spritzigkeit übergeht und dann Schritt für Schritt zu wahnhafter Einsamkeit wird.

Als nach etwa einem Jahr dieses Wrack von einem Mann kurz davor steht, Selbstmord zu begehen, spielt er mit dem Gedanken, einen weiteren Passagier aufzuwecken – und ihm somit die vermeintlich sichere Zukunft auf einem noch 89 Reisejahre entfernten Planeten zu nehmen. Er hadert mit sich, was Pratt mit verletzten Hundeaugen und verlorenem Gesichtsausdruck darbietet, gibt letztlich aber nach, und reißt eine Journalistin aus ihrem künstlichen Schlummer – ohne ihr davon zu erzählen.

Dass sich daraufhin zwischen den beiden Figuren eine neckische Dynamik entwickelt, ist vertretbar. Lawrence und Pratt holen mit ihrem komödiantischen Timing und dem im Mittelteil süffisant-zynisch-doppelbödigen Humor viel aus dieser Prämisse heraus. Und dass sich nach dieser in gewisser Weise einem Mord (auf Zeit) gleichkommenden Tat Passengers nicht auf Anhieb zum Psychothriller wandelt, kann wohlwollend als strukturelle Überraschung gesehen werden. Ähnlich eines Slasherfilms, der vor dem brutalen Finale durch Humor seine Figuren menschlicher macht.

Dennoch muss diese den Film überschattende Tat auf langer Sicht Konsequenzen nach sich ziehen – und in der Skizzierung dieser wird Passengers endgültig vom glattgebügelten, aber kurzweiligen Blockbuster mit potentieller Sci-Fi-Psychokammerspiel-Prämisse zum Problemwerk. Nach allerlei süßlich-verspielten Liebesalbereien kommt das dunkle Geheimnis ans Licht. Von einer kurzen Montage abgesehen, in der Lawrence mit voller Inbrunst die Gefühle darbietet, die ihre Figur erfüllen, von Horror und Wut hin zu Abscheu, macht Tyldum ein RomCom-Missverständnis aus der Sache. Unsere füreinander bestimmten Helden liegen sich in den Haaren, aber eine freundliche Bildsprache, quirlige Hintergrundmusik und gewitzte Dialoge sowie gemeinsam überwundene Actionsequenzen führen sie nach dem Zoff schrittweise wieder zusammen!

In den letzten Filmminuten entwirft Tyldum mehrere Szenarien, in denen das Karma wieder ausgeglichen werden könnte. Aber die zwar leicht erklärte, dennoch gravierende und grauenvolle Verzweiflungstat bleibt ungesühnt. Viel schlimmer: Sie wird als die einzig richtige Entscheidung geschildert, eine mit fruchtbaren, aus inniger Liebe entsprungenen Nachwirkungen.

Es ist völlig akzeptabel, wenn Blockbuster-Figuren moralisch fragwürdig handeln und Plots ethische Fragen aufwerfen. Etwa: „Wie würdest du handeln, wenn du dein Leben retten und verbessern könntest, indem du die Pläne einer anderen Person zerstörst?“ Es müssen auch nicht einmal sämtliche unentschuldbaren Entscheidungen bestraft werden – Krimis, in denen der Mörder entkommt und Horrorfilme, in denen das Böse nur gehemmt, nicht aber bezwingt wird, sind nicht grundlos beliebt.

Passengers gehört aber nicht zu diesen fies-grimmen Geschichten. Sondern ist die fröhlich dahingesäuselte, ohne jeglichen Funken der Subversion versehene Geschichte eines Mannes, der zum Selbstschutz und zur Bespaßung das Leben einer Frau zum Entgleisen bringt. Sie verlieben sich. Sie kommt hinter den Ursprung dieser Romanze, woraufhin die Frau nach kurzem Wutanfall erkennt, dass er den richtigen Riecher hatte und sich ihm willig hingibt. Munter-romantische Streicherklänge, Happy End für alle! Das wird Teilen des Publikums zurecht den Magen verdrehen – und andere naiv-ahnungslos ein Weltverständnis in den Kopf setzen, das es zu bekämpfen, statt zu bestätigen gilt.

Sonntag, 21. Juli 2019

Manchester by the Sea


Hausmeister Lee Chandler (Casey Affleck) ist ein wortkarger Eigenbrötler, der stur seinen Weg geht. Eines Tages erhält Lee einen Anruf von einem Bekannten: Lees Bruder Joe (Kyle Chandler) erlitt einen Herzinfarkt. Noch bevor Lee im Krankenhaus ankommt, stirbt Joe an den Folgen seiner Herzattacke. Kurz darauf erfährt Lee, dass ihm die Aufgabe in die Hände fällt, die Vormundschaft für seinen Neffen Patrick (Lucas Hedges) zu übernehmen.

Der 16-Jährige bemüht sich, im Angesicht der Tragödie Haltung zu bewahren, trotzdem lassen die ersten Zwists mit seinem Onkel nicht lange auf sich warten – selbst wenn Patrick Lee durchaus mag und eh mehr Zeit mit seinen zwei Freundinnen (Kara Hayward und Anna Baryshnikov) verbringt. Und dennoch: Es scheint so, als würde alles, zumindest den Umständen entsprechend, annehmbar laufen. Aber die Rückkehr in seine frühere Heimat, ein beschauliches Küstenstädtchen, nagt an Lees Nerven …

Zwischenzeitlich plante Hollywood-Star Matt Damon, mit Manchester by the Sea sein Regiedebüt zu feiern. Schlussendlich übernahm dann jedoch Drehbuchautor Kenneth Lonergan die Regiepflichten, der schon 2000 mit You Can Count On Me eine stille, herzzerreißende Familiengeschichte inszenierte. Wie schon diese zweifach für den Oscar nominierte Geschichte, besticht auch Manchester by the Sea insbesondere mit den authentisch-komplexen Gefühlswelten der zentralen Figuren, die Lonergan sehr beiläufig und effizient einfängt.

Lee hat dank der ersten Filmminuten schnell die Sympathien auf seiner Seite, obgleich er als schwierige Type gezeigt wird: Wie er augenrollend die seltsamen Forderungen und Fragen der Hausbewohner erduldet, hat bei aller Tristesse, die durch die grau-nassen Bilder und die plätschernde Erzählweise vermittelt wird, durchaus spröden Witz an sich. Genauso provoziert Afflecks stoische Einsamer-Wolf-Masche in ihrer eingangs unbeirrbaren Penetranz immer wieder aufmunternde Schmunzler.

Im Zusammenspiel zwischen Afflecks dauergeknicktem Lee und dem schwer pubertierenden Möchtegernweiberhelden Patrick, den Lucas Hedges mit facettenreicher Lebendigkeit darbietet, entsteht zusätzliche, unaufdringlich-trockene komödiantische Reibung. Diese dient in Lonergans atmosphärisch küstennebelsprödem Drama als das menschelnde Fundament einer einsichtsreichen, niemals effekthascherischen Charakterskizze: Lee lebt im ständigen Kampf mit seinen niederschmetternden Erinnerungen daran, was einst in seinem Heimatort geschehen ist. Da er sich zumindest oberflächlich in eine funktionale Apathie gerettet hat, bleiben emotionale Ausbrüche und forcierte Streitgespräche aus.

Stattdessen manövriert er sich mit dem beständigen Tuckern eines Kleinbootes durch den Wellengang seiner Gefühle – und Lonergans Film folgt seinem Protagonisten: Ruhiger Alltagswitz, kontrollierte Verzweiflung, streng hinterfragter Optimismus und viel, viel alternativlose Gleichgültigkeit. Dank Afflecks unangestrengtem, aber aussagekräftigem Spiel, kurzen Gänsehautauftritten von Michelle Williams als Lees Ex-Frau und der sich konsequent entfaltenden Erzählung, wie Lee und Patrick mit ihrer Lage umgehen, wird dies nie langweilig. Nur einige wenige der frühen Rückblenden hätte es nicht gebraucht, da sie bereits markant angedeutete Dinge bloß nochmal aufbringen.

Innerhalb von 138 Minuten macht Lonergan sein Publikum somit zu einem mehr und mehr Verständnis aufbringenden, daher immer emotionaler in diese Familienangelegenheit involvierten Betrachter. Am Ende dieser genau beobachteten, filigran erzählten Geschichte wird kaum wer auch nur einen Deut schlauer sein. Manchester by the Sea entwirft weder eine mondäne, noch eine intellektuell anspruchsvolle Geschichte. Was dieses Drama jedoch tut? Es bereichert sein Publikum um ein vielschichtige, glaubwürdig-offene sowie emotionale Erfahrung, die hängen bleibt.

Fazit: Großartige Performances und eine gemächliche, feingliedrige Erzählung: Manchester by the Sea ist ein Drama mit überraschender Humornote und Figuren, deren berührendes Schicksal lange nachhallt.

Dienstag, 18. Juni 2019

Die irre Heldentour des Billy Lynn


Ang Lees gesellschaftskritisches, dezent humoriges Drama Die irre Heldentour des Billy Lynn ist ein kurioser Fall. Im Laufe dieser Geschichte über eine fiktive Footballspiel-Halbzeitshow, in der ein frei erfundener Kriegsheld eines realen militärischen Konflikts zelebriert wird, heißt es, dass Hollywood damit liebäugle, die Heldentaten des wortkargen Soldaten verfilmen zu wollen. Jedoch müsse der in George W. Bushs Irakkrieg dienende junge Erwachsene schnell einen Deal abschließen. Denn das Publikum verfüge nur über ein kurzes Erinnerungsvermögen.

Es ist irgendwo zwischen Poesie und bitterer Ironie zu verordnen, wie sehr sich diese Aussage am Exempel von Die irre Heldentour des Billy Lynn bewahrheitet. Denn stückweise ist die Adaption eines Ben-Fountain-Romans durchaus bemerkenswert. So ist die Struktur des Films einprägsam: Life of Pi-Regisseur Ang Lee und Kameramann John Toll verfolgen in semidokumentarischen, gestochen scharfen Bildern den Titelhelden Billy Lynn auf Schritt und Tritt.

Es ist fast so, als sei man Lynns stummer Kompaniekamerad, der sich ihm unbemerkt an die Fersen heftet, um mitzuerleben, wie Lynn bei seiner Heimkehr von seiner Familie begrüßt wird und wie er gemeinsam mit dem Rest seiner Truppe ohne größere Vorwarnungen in die Halbzeitshow einer wichtigen Footballpartie eingebunden wird. Die nüchternen Beobachtungen, wie Passanten anno 2004 in den Vereinigten Staaten auf ihre Soldaten reagieren und wie sich die auf kurzem Heimurlaub befindlichen Jungs geben, werden durch Rückblenden auf Billy Lynns Zeit im Irak aufgebrochen.

So ergänzen sich Erinnerungen und deren Folgen, gegenwärtiges Handeln und die Taten, die zur jetzigen Situation führten, stimmig zu einem unaufgeregten, detailreichen Gesamtbild. Das von Jean-Christophe Castelli verfasste Drehbuch ist fein beobachtet, konsequenterweise sind die gesellschaftskritischen Aspekte des Films keine reine Plattitüden, sondern ausgewogen. Die irre Heldentour des Billy Lynn lässt keinen Zweifel am Unrecht des Irakkrieges und mahnt entsprechend vor Kriegspropaganda – und auch das Bild der ungestümen Alphamännchen in Uniform wird wiederholt gezeichnet. Gleichwohl zeigt Regisseur Ang Lee große Empathie für seinen Protagonisten und mehrere seiner Kameraden, die sich aus den unterschiedlichsten Gründen zur Armee gemeldet haben – um kleine Fehltaten vergessen zu machen, um ihre Familie zu versorgen, um Leuten zu helfen, ohne vorher zu ahnen, wie sehr Andere diese Hilfe kaputt machen werden. Und Kriegsfilme? Naja, die spülen armen Soldaten, die der Staat gerne vergisst, sobald sie unpraktisch werden, wenigstens etwas Geld zu …

Eine grau-graue Weltsicht mit wenigen tiefschwarzen, schwer zu verurteilenden Randerscheinungen und ebenso wenigen, hell scheinenden Beispielen des tragischen, aber strahlenden Heroismus: Billy Lynns irre Heldentour eröffnet zwar keine neuen Erkenntnisse, macht sie aber dank der originellen Präsentation auf ungewöhnliche Form spürbar. Dabei hilft auch der lakonische Humor – etwa, wenn Lee süffisant die Doppelzüngigkeit vorzeigt, mit der die USA ihren Kriegshelden begegnen oder wenn der Regisseur mit jeder Menge Spektakel vorführt, wie absurd feierliche Events zu Ehren von Militärhelden sind. Obendrein bekommt Tron: Legacy-Hauptdarsteller Garrett Hedlund mehrere Schmunzler zugeschustert: Als Sgt. Dime übernimmt er auf augenzwinkernd-übertriebene Weise den Part des taffen, keinerlei Sentimentalität duldenden Vorgesetzten, der eine eher machohafte Sicht der Dinge hat – wenn er nicht gerade spitzbübisch Zivilisten verschaukelt. Gelegentlich lässt er auch seine einsichtsreiche und nachdenkliche Seite aufblitzen, womit er die rundeste Figur dieses Films ist.

Neben Hedlund fallen sonst vor allem Chris Tucker (humorvoll, aber längst nicht so grell wie in seinen früheren Rollen) und Kristen Stewart als Billy Lynns liberale, desillusionierte, fürsorgliche, etwas direkte Schwester auf. Joe Alwyn hingegen ist solide, aber (was auch dem Drehbuch zuzuschreiben ist) recht blutarm in der Hauptrolle. Was uns allmählich zu den Stolperschwellen dieser Heldentour führt – trotz all dieser Elemente ist Ang Lees Produktion insgesamt betrachtet keinesfalls denkwürdig. So, wie im Film beschrien, droht Billys Story zu einem Nichts zu verpuffen. Es bleibt einfach kaum etwas haften von diesen zwei Stunden in den Schuhen eines Irakkriegsveteranen. Die Rückblenden auf die Zeit im Irak? Blass, lasch, und durch den sich zwar bemühenden, aber fehlbesetzten Vin Diesel als hobbyphilosophischer Sergeant recht klischeehaft. Und auch die eigentliche Handlung lässt einfach Pepp vermissen, ein gewisses Etwas, das aus dem theoretischen Widerhaken der Story („Wird Billy Lynn beantragen, nicht in den Irak zurückkehren zu müssen?") eine spürbare Dringlichkeit macht.

Stattdessen experimentiert Lee halbseiden mit der Vermittlung seiner Filmbilder: Gelegentlich driftet Lee aus der semidokumentarischen Ästhetik ab, hin zum Erzählen aus direkter Egoperspektive. Wenn die Kamera das Kinopublikum jedoch wortwörtlich in Billy Lynns Position versetzt, bricht die Illusion zusammen: Sein Gegenüber ist stets zu nah, zu akkurat drapiert und mit zu hoher Zielstrebigkeit auf ihn fokussiert, als dass es sich nicht echt anfühlt. Es gleicht eher einer Egoshooter-Zwischensequenz – also dem Gegenteil dessen, was dem Tonfall dieser geknickten Heldentour zugutekäme. Obwohl Lee nur eine Handvoll solcher Einstellungen verwendet, zieht ihre Wirkung große Kreise: Diese so glaubhafte, bodenständige, unspektakuläre Erzählung mit ihren plausiblen Kommentaren zum Irakkrieg (und Militärhandlungen sowie -feiern generell) kommt letztlich falsch und gekünstelt daher, so dass sie eher fluffig, denn dramatisch wirkt.

Fazit: Gute Einzelaspekte machen nicht immer einen guten Film: Ang Lees Drama über den Umgang mit und die Gedankenwelt von Kriegsveteranen hat reizvolle Ansätze, verpufft aber ohne denkwürdigen roten Faden. Für Lee-Komplettisten und alle, die das Thema fasziniert, dennoch ein solider Film.

Freitag, 1. Februar 2019

Meine 50 Lieblingsfilme des Jahres 2018 (Teil II)

Heiter geht es weiter mit meiner erstmals 50-teiligen Hitliste der Filme, die mich im Laufe des deutschen Filmstartjahres am meisten erfreut haben. Bevor ich die nächsten Plätze vorstelle, spanne ich euch aber noch ein bisschen auf die Folter und reiße ein paar Ehrennennungen an, also Filme, die es fast in die Favoritenliste geschafft hätten.

Da wären Paul Feigs Nur ein kleiner Gefallen ist unterdessen eine von Blake Lively und Anna Kendrick pointiert gespielte, parodistische Thrillerkomödie mit umwerfend schönen Kostümen und boshaft-gerissenen Dialogen sowie völlig abstrusen Twists. Ant-Man and the Wasp ist feiner Marvel-Spaß mit tollem Tempo, Ghost Stories ist eine doppelbödige Horror-Hommage mit einem genialen Martin Freeman und The Florida Project ist eine grandiose Sozialstudie über Sozialschwache, die in der Nähe von Walt Disney World leben und wäre wohl für einen der vordersten Plätze in meiner Jahreslieblingsliste prädestiniert gewesen - doch leider verzeihe ich dem Film seine grobschlächtigen letzten paar Sekunden nicht. Es ist, rein mit dem Kopf argumentiert, einer der besten, denkwürdigsten Filme des Jahres, aber diese Rangliste wird von meinem Herzen bestimmt.

Da ihr nun vorgeführt bekommt habt, mit wem (und welcher Methodik) ihr es hier zu tun habt, folgt nun der zweite Part meiner Jahreslieblingsliste ...

Rang 40: In den Gängen (Regie: Thomas Stuber)

Thomas Stubers Drama In den Gängen ist trist gefilmt. Es zeigt die lähmende Banalität im Berufsleben jener, die in Großmärkten die Regale einräumen müssen und selber am Hungertuch nagen. Und es ist dennoch mit einer stillen, selbstbewussten Poesie versehen. Sandra Hüller, Franz Rogowski und Peter Kurth geben naturalistische, wortkarge Performances und erwecken ihre Figuren dennoch zu einem komplexen Leben. Ein leiser, kummervoller Film, der trotzdem die kleinen, wirklich sehr kleinen Freuden im Leben zu schätzen weiß, wie einen spendierten Automatenkakao. So geht deutsches Sozialdrama.

Platz 39: The Night Comes for Us (Regie: Timo Tjahjanto)

Während ich zu den wenigen Meckerfritzen gehören, die dem indonesischen Actionspektakel The Raid seinen Kultstatus nicht so wirklich gönnen, oder ihn zumindest überhaupt nicht nachvollziehen können, bin ich ein Fan seiner wesentlich ambitionierteren und kreativeren Fortsetzung The Raid 2. Und so war ich dann auch richtig gespannt auf The Night Comes for Us, das neuste Projekt zahlreicher The Raid/The Raid 2-Veteranen, weshalb es mir ziemlich auf den Keks ging, als diese Schlachtplatte von einem Actionspektakel exklusiv zu Netflix ging. Aber da ließ sich leider nichts machen: Ich musste mir das brutale Niederstrecken von Handlangern, Schurken, Anti-Helden und Opportunisten in einem Club, einer nicht gerade hygienischen Metzgerei, diversen Treppenhäusern und einer Lagerhalle dann halt in den heimischen vier Wänden anschauen. Ein paar Längen im Mittelteil hat der Film bedauerlicherweise, da er zwischendurch von seiner schnurgeraden Methodik abweicht, seinen Plot ganz offen und ehrlich nur als schales Alibi zu behandeln. Aber wenn The Night Comes for Us austeilt, dann teilt The Night Comes for Us aus! Atemberaubende Stunts, wildes Gesplatter und praktische Effekte, die mich wundern lassen: "Wie zum Henker haben die das gemacht, ohne Stuntleute zu töten?" Highlight des Films: Der galant-widerliche Wettkampf dreier erbitterter Kämpferinnen.


Platz 38: Molly's Game (Regie: Aaron Sorkin)

Nenn' sie nicht Pokerprinzessin! Jessica Chastain spielt in diesem flotten Biopic voller Spannung, Glanz, Humor und charakterbezogener Spannung die gewiefte Molly Brown, die den größten illegalen Pokerring der USA oder gar der Welt aufgezogen hat, ohne dabei auf ruchlose Gangstermethoden zurückzugreifen. Chastain gibt eine kraftvolle, smarte, mehrschichtige Performance, Aaron Sorkin inszeniert mit Pepp und Daniel Pemberton untermalt diese launige, trotzdem auch dramatische Ganovinnenposse mit einem verspielten, coolen Score.

Platz 37: Searching (Regie: Aneesh Chaganty)

Eine Jugendliche verschwindet, und ihr besorgter Vater durchstöbert ihren Laptop nach Hinweisen, wo sie nun stecken könnte, woraufhin er feststellen muss, dass er seine Tochter gar nicht richtig gekannt hat. Komplett via Bildschirmaufnahmen erzählt, ist Searching eine immens spannende, aber auch stellenweise sehr gewitzt aufgezogene Geschichte über Elternliebe, digitale Kommunikation und Geheimnisse, die aus ihrem Gimmick ein erfrischendes Stilmittel formt.

Platz 36: Cam (Regie: Daniel Goldhaber)

Ich rege mich ja oft über den Netflix-Original-Content auf, finde beispielsweise die meisten Staffeln der Netflix-Marvel-Serien ermüdend langwierig erzählt und was auf Netflix aus Arrested Development geworden ist, ist einfach erschütternd. Aber eines klappt beim Video-on-Demand-Dienst auf wundersame Weise, und das ist die komplexe, auf respektvolle Augenhöhe erfolgende Auseinandersetzung mit allem, was irgendwie unter den groben Sammelbegriff "Sexarbeit" fällt. Neben Rashida Jones' unabhängig finanzierter, letztlich bei Netflix veröffentlichter Dokumentation Hot Girls Wanted sowie der von Netflix in Auftrag gegebenen und äußerst gelungenen Nachfolge-Dokuserie Hot Girls Wanted: Turned On zählt auch dieser Psychothriller/Mysteryhorror dazu: Aus dem Hause Blumhouse Pictures stammend, handelt Cam von einem kreativen Camgirl, das sich eigene, feste Regeln für ihre Online-Persönlichkeit gesetzt hat. Doch eines Tages sieht sie, wie eine andere Person auf ihrem Channel live streamt, ihr Äußeres perfekt imitiert und diese Regeln bricht ... Madeline Brewer spielt die Haupt(doppel)rolle mit Verve und Charisma, Regisseur Daniel Goldhaber inszeniert das Geschehen mit simplen, doch effektiven Mitteln und vor allem auf sehr selbstredende, statt geifernde Weise und Isa Mazzeis Skript gewährt nicht nur facettenreiche Einblicke in die Arbeitskultur der Camgirls, sondern lässt sich obendrein auf mehreren Ebenen lesen, sei es als reiner Horror, als nachdenkliche Moral über unser aller Onlineverhalten oder als erschreckende Parabel über Persönlichkeitsverlust ...

Platz 35: Reise nach Jerusalem (Regie: Lucia Chiarla)

Langzeitarbeitslose werden in unserer Gesellschaft enorm stigmatisiert. An Stelle von Empathie und Hilfsbereitschaft treten oftmals Unverständnis, Verachtung und Herabwürdigung - und so lange es voyeuristische, die Betroffenen kleinmachende Sozialreportagen im Fernsehen sowie reißerische Schlagzeilen des größten Schundblatts der Nation gibt, wird sich das wohl auch nicht ändern. Regisseurin und Autorin Lucia Chiarla springt da in die Bresche und zeichnet mit ihrer Dramödie Reise nach Jerusalem voller Verständnis ein komplexeres, menschlicheres Bild. Unsere Protagonistin (grandios: Eva Löbau) kommt aus der Warterei nicht heraus, wird unentwegt vertröstet, aus fehlgeleitetem Mitgefühl abgelehnt ("Aber Sie sind für die Stelle doch völlig überqualifiziert") oder für absolut dumm verkauft ("Grün! Grün ist eine schöne Farbe für eine Bewerbungsmappe!", lernt sie am x-ten Tag einer Zwangsschulung), was nachvollziehbar an ihr nagt. Gepaart mit ein paar eigenen Fehlentscheidungen und der ständigen Angst vor gesellschaftlicher Ausgrenzung entsteht so eine Situation, in der ihr Leben zum endlosen Stuhltanz wird ...

Platz 34: Hereditary - Das Vermächtnis (Regie: Ari Aster)

Ari Asters Langfilm-Regiedebüt verfrachtet den Filmemacher aus dem Stand heraus auf meine Liste der Filmschaffenden, bei denen ich völlig unabhängig von Story und Cast auf ihre nächsten Werke gespannt bin. Aster nutzt in Hereditary eine entrückte, detailreiche Bildsprache, mit der er auf die Figuren herabblickt, als seien sie Figürchen in einem Puppentheater. Nicht etwa eines im Wes-Anderson-Zuckerbäckerstil, sondern eine im Sinne von dem, was John Cusacks Rolle in Being John Malkovich so treibt. So distanziert Asters Inszenierung sein mag, gestattet er seinen Figuren mehrschichtige Charakterisierungen, die wir im Laufe des horrenden, dramatischen Storyverlaufes genauer kennenlernen. Toni Collettes Spiel geht unter die Haut, die stillen Schrecken sind minutiös konstruiert (während die grelleren Schocks nach meinem Gefühl dem Familiendrama-Aspekt des Films ein Beinchen stellen), und das Skript ist dicht an dicht mit Vorausdeutungen und Metaphern bestickt. Ein Film, den ich im Kopf stärker achte als im Herzen, wo der gefühlte Eindruck seit meinem Kinobesuch etwas verblasste - dennoch für mich ein Muss in der Jahreslieblingsliste!

Platz 33: Der Nussknacker und die vier Reiche (Regie: Lasse Hallström & Joe Johnston)

Obwohl Der Nussknacker und die vier Reiche im Rest der Welt zumeist scheiterte, traf Disney mit seiner winterlichen, märchenhaften Geschichte in Deutschland den Nerv des Publikums: Hierzulande lockte die ungeplante Zusammenarbeit zwischen Lasse Hallström und Joe Johnston immerhin über eine Millionen Menschen in die Kinos. Und ich freue mich ungeheuerlich, dass das deutsche Kinopublikum in diesem Fall gegen den globalen Konsens schwimmt. Denn ich finde den Film trotz kleiner Schönheitsfehler (wie manchen Randfiguren und ein paar dick auftragenden Dialogzeilen) bezaubernd. Mackenzie Foy gefällt mir sehr in der Hauptrolle einer smarten Jugendlichen, die mit ihrem Kummer nicht umzugehen weiß, Keira Knightley brilliert mit ihrer vergnüglichen "Nachdem Johnny Depp und Orlando Bloom so ihre völlig durchgeknallten Performances abgeben durften, bin ich jetzt endlich am Drücker!"-Darbietung, die Kostüme sind bildhübsch, die animierten Mäuse sind knuffig, das Vergnügungsland ist ein besserer abgegrabbelter Tim-Burton-Albtraum als die letzten paar Kinderalbträume Tim Burtons, die Ballettszenen sind richtig schön, genauso wie James Newton Howards Instrumentalmusik, und das satirisch angehauchte Finale zaubert mir ein Grinsen ins Gesicht. Oh, und: Der Nussknacker und die vier Reiche ist mein Kandidat für das beste Synchron-Dialogbuch 2018, denn während im englischsprachigen Original ein vergleichsweise generisches Vokabular vorherrscht, wird in der von Axel Malzacher verfassten deutschen Synchro ein entzückend-altmodisches Deutsch gesprochen, dass die Atmosphäre des Films intensiviert.

Platz 32: Nach dem Urteil (Regie: Xavier Legrand)

Das französische Drama Nach dem Urteil zeigt in einer semi-dokumentarischen Haltung den tristen Alltag eines ehemaligen Paares, nachdem das Familiengericht die Sorgerechtsfrage geklärt hat. Mittels filigranen Darbietungen ohne Schaueffekte lassen Léa Drucker und Denis Ménochet das ohne Vorgeschichte in das Leben des Paares geworfene Publikum lange im Unklaren: Ist der Vater das cholerische Arschloch, für das er gehalten wird, oder wird er stigmatisiert und so ungerechtfertigt an die Grenzen seiner Nerven gebracht? Nach und nach tröpfeln Hinweise, Warnsignale, aber auch Gegenargumente hinein, bis der Film in ein Ende mündet, bei dem es einem gerne die Sprache verschlagen kann. Xavier Legrand inszeniert punktgenau, die Dialoge sind wie aus dem Leben gegriffen und für den in der exakt richtigen Sekunde einsetzenden Abspann gibt es von mir zusätzliche Respektpunkte!

Platz 31: Thelma (Regie: Joachim Trier)

2017 unter großem Kritikerjubel in Norwegen gestartet, gelang Thelma 2018 auch in die deutschen Kinos, wo Joachim Triers Genremischmasch aus Drama, Coming-of-Age-Geschichte, Thriller, Mystery und Psychohorror zwar leider an den Kassen scheiterte, wohl aber völlig verdientes, sehr positives Presseecho erntete: Eine junge Studentin vom Land und mit konservativem Elternhaus zieht in die Großstadt und entwickelt nicht nur verwirrende romantische Gefühle, sondern erleidet auch seltsame Anfälle. Trier lässt in seinem kühl inszenierten, eiserne Anspannung erzeugenden Film lange offen, ob wir das Geschehen quasi aus der Perspektive einer jungen Frau verfolgen, die an psychischen Problemen leidet oder ob wir uns in einem übernatürlichen Horrorfilm befinden. Ebenso unklar ist eingangs, wo "in der Filmwelt passiert das wirklich" aufhört und rein metaphorisches Erzählen ohne werkimmanente Gesetze anfängt. Verankert von sehr plausiblen, allen den gebotenen leisen Schrecken zum Trotz außerdem sehr unaufgeregten Darbietungen, ist Thelma ein schön-schaurig-nachdenklich-beklemmend-anspornend-sinnlicher Film voller Wendungen, ohne dass er sich über diese Twists definiert.

Fortsetzung folgt ...

Freitag, 23. November 2018

Hell or High Water


Taylor Sheridan ist ein Name, den sich Filmliebhaber merken sollten. Nach einer TV-Schauspielkarriere, die unter anderem Veronica Mars und Sons of Anarchy umfasst, startete Sheridan als Drehbuchautor durch – und lieferte mit dem nach intensiver Recherche entstandenen Sicario prompt einen Kracher ab. Der von Denis Villeneuve inszenierte Thriller nutzte eine unter die Haut gehende, schleichend intensiver werdende Geschichte über den Kampf gegen die mexikanischen Drogenkartelle, um ein doppelbödiges moralisches Bild zu skizzieren.

Mit Hell or High Water, dem mehrfach für wichtige Filmpreise nominierten, zweiten Film nach einem Sheridan-Skript, erwartet das geneigte Publikum eine Story mit nicht ganz so stark reduzierten Dialogen und subtil brodelnder Suspense. Stattdessen ist dieser Neo-Western-Krimi mit seinem pechschwarzen, staubtrockenen Humor eine Art "No Country for Old Men light". Die von David Mackenzie (Perfect Sense) in Szene gesetzte Story ist nicht ganz so abstrus, nicht ganz so grimmig, nicht ganz so kryptisch wie der Coen-Brüder-Geniestreich aus dem Jahr 2007. Dafür ist Hell or High Water einen Hauch zugänglicher und geradliniger. Nicht zuletzt deshalb, weil die ihn an No Country for Old Men erinnern lassenden Beobachtungen über texanische Eigenheiten, das dort schleichende Eintreffen der Moderne und den Überlebenskampf der alten Garde hier nur als kleine, pointierte Randbemerkungen daherkommen.

Hauptsächlich ist Hell or High Water schlicht die Geschichte zweier Brüder (Chris Pine und Ben Foster), die eine Bank nach der anderen ausrauben, und des gemächlichen Texas-Ranger-Duos (Jeff Bridges & Gil Birmingham), das ihnen nachjagt. Der zentrale Part kommt dabei dem Bankräuber-Brüdergespann zu. Zwar ist es ungeheuerlich ermüdend, wie oft in den Dialogen zwischen ihnen betont wird, dass sie ja Brüder sind (als würden Sheridan und Mackenzie dem Zuschauer nicht zutrauen, das nach der zwölften Erwähnung endlich verinnerlicht zu haben), dennoch ist die Leinwandchemie zwischen Foster und Pine bestechend: Durch Blicke, Gesten und ihre Stimmlage suggerieren sie eine komplexe, emotional widersprüchliche Vergangenheit zwischen ihren Rollen, ohne dass diese explizit ausgesprochen werden muss.

Es wird früh deutlich, dass sie gänzlich unterschiedliche Menschen sind, die daher auch öfters Meinungsdifferenzen gehabt haben müssen, die nun aber aus einem wehmütigen Grund gemeinsam einen Rachefeldzug gegen eine raffgierige Bankengruppe durchziehen. Pine ist dabei der besonnenere Part, während Foster als zuweilen unberechenbarer Adrenalinjunkie mimisch auf die Kacke haut – gerade noch so sehr, dass es in diese sonnengegerbte, staubig-raue Filmwelt passt und nicht in cartoonige Gefilde umkippt. Jeff Bridges wiederum nuschelt sich mit gewaltiger "Mir doch alles scheißegal"-Haltung durch seine Szenen, die in der ersten Hälfte zu den weniger interessanten Aspekten der Handlung zählen.

Als kurz vor der Rente stehender Texas Ranger, der streng nach alter Schule vorgeht und die Ermittlungen behutsam ausbremst, um seinen Ruhestand hinauszuzögern, wirkt Bridges‘ Rolle am Reißbrett entworfen. Das trockene Geplänkel mit seinem Partner und die gewitzt texanisches Lokalkolorit zeigenden Zwischenstationen bei dieser Bankräubersuche machen diese Szenen dennoch amüsant genug, um nicht als Bremsklötze dieses Neo-Westerns daherzukommen. Trotzdem sind es erst spätere Szenen, in denen die dramaturgische Fallhöhe steigt, die diesem Handlungsfaden den nötigen Schuss zu geben, um mit Pine/Foster mitzuhalten.

Von Giles Nuttgens (Dom Hemingway) in routinierten Landschaftspanoramen des weitläufigen US-Bundesstaates eingefangen und mit einem schneidenden, krachenden Soundmix versehen, ist Hell or High Water schlussendlich ein handwerklich bemerkenswerter, dennoch wenig spektakulärer Genrevertreter. Als leicht verdaulicher, jüngerer No County for Old Men-Bruder im Geiste und Wegzehrung bis zur Sicario-Fortsetzung wird die dramatische sowie schwarzhumorige Gangsterposse Genrefans zufriedenstellen – doch Gelegenheitskinogänger sollten der zahlreichen Awards-Nominierungen zum Trotz nicht denken, dass hier ein Ausnahmefilm auf sie wartet.

Dienstag, 30. Oktober 2018

Resident Evil: The Final Chapter


Die umstrittene Resident Evil-Filmreihe meldet sich ein letztes Mal zurück. Und zu gewissem Grade wird sich bei Resident Evil: The Final Chapter kaum etwas ändern: Fans der Videospielreihe wird es aufregen, dass Paul W.S. Anderson (seines Zeichens Regisseur, Autor, Produzent sowie Ehegatte der Hauptdarstellerin) aus einer Survival-Horror-Game-Marke eine Sci-Fi-Actionhorror-Kinosaga formt. Filmliebhaber, die in jedem Genre gehobene Ansprüche an die Narrative und Charakterzeichnung stellen, werden genervt die Augen rollen. Und Freunde von Sci-Fi-Actionhorrorstreifen, ganz gleich ob Underworld oder nun einmal Resident Evil, werden dennoch einen Blick riskieren.

Ähnlich wie bei Underworld: Blood Wars erwartet Genrefans nach einem besonders actiongeladenen Vorgänger beim neusten Part allerdings eine böse Überraschung in Form eines vollauf lahmen Films. War es beim Kampf „Vampire gegen Lykaner“ so, dass schleppende Dialoge jegliche Energie aus dem Film saugen, verliert der sechste Kinoeinsatz der agilen Zombiebekämpferin Alice seinen Drive durch eine nahezu inkompetente Schnittarbeit. Anderson lässt seinen Cutter Doobie White (Gamer) sämtliche Actionszenen in einer so hohen Frequenz ohne jeglichen Rhythmus schneiden, dass sich die Kampfchoreografie nicht einmal mehr erahnen lässt, geschweige denn in aller Fülle genießen. Während Resident Evil: Retribution zumindest in den Actionszenen ein visuelles Fest darstellt, ist Resident Evil: The Last Chapter hektischer als ein Mix aus Ein Quantum Trost und Jason Bourne, der in einen Kessel voll Energy Drink gefallen ist.

Verquickt mit einer ungeheuerlich schattigen Ausleuchtung, dunklen Farbfiltereffekten und der zumeist sehr nah an den Darstellern verorteten Kameraarbeit Glen MacPhersons (Pompeii 3D) verkommt ein Großteil der Kämpfe zu reinen Lärmattacken, während auf der Leinwand respektive auf dem Bildschirm Lichter flackern. Und was die Handlung anbelangt, ist der wenige Wochen nach dem Vorgänger spielende Film gewohnt schlicht gehalten:

Nachdem Alice (souverän: Milla Jovovich) vom Umbrella-Corporation-Firmenchef Wesker (Shawn Roberts) hinters Licht geführt wurde, droht der Menschheit der endgültige Untergang durch die rapide um sich greifende Zombieseuche. Alice kämpft sich zurück nach Racoon City, dem Ort, wo alles begann und wo laut dem Computersystem Red Queen ein Gegenmittel zu finden ist. Die Red Queen war früher jedoch eine Kontrahentin – kann ihr Alice nun also wirklich vertrauen? Zusammen mit neuen Bekannten (darunter eine verschenkte Ruby Rose) und alten Verbündeten (wie etwa eine solide agierende Ali Larter) lässt sie es drauf ankommen …

Tonal ist Resident Evil: The Final Chapter ein Zwischending aus bisherigen Filmen dieses Franchises. Wenn Alice durch eine verlassene Wüstenlandschaft wandert (Resident Evil: Extinction lässt grüßen), erzeugt Anderson eine leichte Endzeithorror-Atmosphäre und setzt auf vereinzelte Jumpscares. Später greift er hingegen Elemente aus Teil vier und fünf erneut auf und liefert vor allem nüchterne Action, in den letzten Minuten kehrt dann sogar etwas Humor zurück – aber nicht genug, um nach der zerschnittenen, somit unfassbar monotonen Action für Wiedergutmachung zu sorgen.

Sonntag, 30. September 2018

Monster Trucks


Die Prämisse hinter Monster Trucks ist schräg: Ein Jugendlicher, der in seiner Freizeit auf dem Schrottplatz eines Bekannten einen Monstertruck baut, lernt ein krakenähnliches Tentakelmonster kennen. Dieses wurde bei den Bohrungen einer ruchlosen Ölfirma aus seinem natürlichen Habitat, einem jahrtausendealten Höhlensee, vertrieben – und ernährt sich hauptsächlich von Öl. Während die Schergen des keinerlei ökologisches Gewissen aufweisenden Konzerns nach dem Wesen suchen, versteckt es der Freizeitautomechaniker in seinem selbstgebauten Monstertruck. Es entsteht eine ungewöhnliche Freundschaft.

Wer nun vor sich hin flüstert: „Das klingt so, als hätte es ein Kleinkind geschrieben“, liegt richtig. Ein hohes Tier bei Paramount wollte dafür sorgen, dass es wieder mehr Originalstoffe für Familien zu sehen gibt. Und fragte seinen vierjährigen Sohn, welchen Film Papis Firma mal drehen sollte. Das allein reicht schon, um einige Filmliebhaber vollauf gegen Monster Trucks aufzubringen. Aber, ganz ehrlich: Diese Verurteilung ist doch bescheuert!

Kinder der 80er-Jahre wuchsen mit Ninjakampfkünste einsetzenden, pubertierenden Mutationsschildkröten auf, die nach Künstlern der Renaissance benannt sind. Kinder der 90er-Jahre mit einem Buben, der kleine, knuffige Monster einfängt und sie gegen die kleinen, knuffigen Monster anderer Trainer antreten lässt. Kinder der frühen 2000er-Jahre mit Geschichten aus einer ausschließlich von motorisierten Fahrzeugen bevölkerten Welt, in der ein Rennwagen und ein verrosteter Abschleppwagen beste Freunde sind. Und für jede dieser Dekaden gibt es mindestens zwei Dutzend weitere, ähnlich haarsträubende Exempel.

Darum: Liebe Cineasten, liebe ältere Geschwister, liebe Eltern. Liebe Zyniker unter den Kindern: Nehmt die Existenz von Monster Trucks hin, lasst denen ihren Spaß, die die Idee positiv-ulkig finden. Ob nun ein Krakenmonster unter der Motorhaube eines Trucks lebt oder sich Roboteraußerirdische auf der Erde in Autos verwandeln und bekriegen: Gaga-Konzepte haben ihre Daseinsberechtigung. Die Frage ist nicht: „Wie kommt man nur auf solch verquere Ideen?“ Sondern: „Wie gut ist diese Idee denn nun umgesetzt?“

Die angesichts dieser nach „Brainstorming nach Zuckerschock“ klingenden Prämisse überraschende Antwort: Sehr altmodisch. Ice Age-Regisseur Chris Wedge nimmt über weite Strecken des Films das Tempo raus, schaltet zwei oder drei Gänge niedriger als übliche Familienfilme mit quirligen High-Concept-Ideen dieser Zeit. Der Schnitt ist ruhig, die Kameraführung aufgeräumt und frei von den Extremnahaufnahmen aus der Froschperspektive, die seit den 90er-Jahren diese Filmgattung plagt. Komponist Dave Sardys Musik ist zwar vollkommen zahnlos, jedoch harmonisch und leise abgemischt, nie zerstört hochaktuelle Chartmusik die Immersion der Story.

Monster Trucks ist ein im Heute verorteter Familienfilm, wie er in den späten 70ern oder den frühen bis mittleren 80ern hätte entstehen können. Obwohl die „Ein Junge und sein seltsames Wesen“-Masche im Fahrwasser von Spielbergs E.T. – Der Außerirdische vielfach kopiert wurde, wäre es ungerecht, Monster Trucks über denselben Kamm zu scheren. Denn Wedge übt sich nicht im üblichen Spielberg-Mimikry, drückt weder auf die Tränendrüse, noch betont er doppelt und dreifach die Magie, die vom letztlich Creech genannten Monstrum ausgeht. Ohne behutsam eingesetzten Pathos, mit nur holzschnittartigen Figuren und einem Mangel an einprägsam vermittelten Wortwechseln geht Wedges Film allerdings auch ein gutes Stück des Zaubers verloren, den einen echten Familienfilmklassiker dieser Gattung erst unvergesslich macht.

Dank hervorragender Computereffekte, die einen fast glauben lassen, Creech sei nicht etwa ein digitales Wesen sondern der aufwändigste haptische Spezialeffekt der vergangenen Jahre, und den charmanten Hauptdarstellern manövriert sich Monster Trucks dennoch ins gehobene Mittelmaß für Kinderfilme mit verrückten Grundideen. Die goldige Interaktion zwischen Protagonist Lucas Till, der weiblichen Hauptdarstellerin Jane Levy und Creech rundet dies stimmig ab. Gewiss, Till und Levy sind wesentlich älter als ihre Rollen, was im Zusammenspiel mit den altersgemäß besetzten Darstellern der weiteren Kinderrollen für skurrile Anblicke sorgt. Und die Umweltschutz- und Tierschutzmoral des Stoffes ist zwar löblich, von Autor Derek Connolly aber arg schwerfällig umgesetzt.

Als amüsanter, statt brüllend-komischer, und besonnen-abenteuerlicher, statt durchgeknallter und aufregender, Familienfilm positioniert sich Monster Trucks irgendwo in einem Publikumsniemandsland. Den Einen zu albern, den Anderen zu harmlos. Vielen Älteren zu kindlich, wohl vielen Kindern zu altmodisch. Aber als liebenswerte, originäre Familienunterhaltung, die das Heute und das Gestrige versiert vereint, dürfte Monster Trucks wenigstens einige Neugierige in dieses Niemandsland locken. Es ist Elliot, der Drache mit Metall, Motoren und Tentakeln. Das lädt vielleicht zum Naserümpfen ein – dank der souveränen, wenngleich nicht ideenstarken Umsetzung wird es aber auch einige kleine Kinogänger und im Herzen junggebliebene Filmfreunde auf unerwartete Weise verzaubern.

Fazit: Ein unter der Motorhaube eines Trucks lebendes Tentakelmonster und seine menschlichen Freunde: Was nach irrem Familienwahnsinn klingt, ist in Wahrheit ein verspielter, knuffiger Familienspaß nach alter Schule, dem schlicht der glühende Funken Etwas fehlt.

Freitag, 21. September 2018

Jackie


Attribute, wie sie der Königin in einem Märchen zustehen: Großes Stilbewusstsein, eine höchst elegante Erscheinung, ein formidables Gefühl dafür, was das Volk will oder gefälligst zu wollen hat. Ein enormes Kunstverständnis, kultivierte Manierismen und Eindruck schindendes Bücherwissen. Adliges Auftreten, demokratische Werte. Das Äußere einer Debütantin im bildungssprachlichen Sinne, die Kulturkenntnisse einer Geisteswissenschaftlerin.
Widersprüche, die sich formidabel ergänzen: Von Jacqueline Kennedy Onassis' öffentlicher Persona ging eine Faszination aus, die Zeitgenossen kaum in Worte zu fassen wussten. Und die all jene, die zu spät zur Welt kamen, um diese Frau auf dem gesellschaftlichen Parkett erleben zu können, einem Mythos gleichend nacherzählt bekommen.

Don’t let it be forgot, that once there was a spot, for one brief shining moment that was known as Camelot. Wie so manche mystische Erzählung, so hat auch die Legende der Jackie Kennedy einen düsteren Beiklang. Denn ihre womöglich am längsten nachwirkende Handlung entwuchs aus einer Tragödie. Die Tochter eines Stockbrokers und einer Salonlöwin setzte der US-amerikanischen Geschichte erst durch ihre Reaktion auf das tödliche Attentat an ihrem Gatten John F. Kennedy so richtig ihren Stempel auf. Jackie, zuvor für ihr Glamourleben beneidet und mit einem Emmy für ihr sie damenhaft und etwas gespielt-naiv zeigendes Fernsehspecial ausgezeichnet, demonstrierte Würde, stoische Ruhe und eisernen Willen. Ohne dabei kalt zu erscheinen.

Aber dies ist nur ein Steinchen im Mosaik der Jackie Kennedy. In den Tagen nach dem schicksalshaften 22. November 1963 hatte sie sich unentwegt zu wandeln: Öffentlich auf vorbildliche, ja, so makaber es klingen mag, ikonische Weise trauernd. Hinter verschlossenen Türen beharrlich kämpfend. Darum, ihre Würde zu bewahren. Ihr Gesicht bei ihren Vertrauten. Um die Achtung, die ihr andere Politiker entgegenbrachten, als sie noch First Lady war – und nicht Witwe eines früheren Präsidenten. Um ihren Verstand, musste sie doch aus unmittelbarer Nähe den Tod ihres Gatten miterleben. Um ihren Status und den ihres verstorbenen Mannes. Darum, durch einen sagenhaften Abgesang diesem abrupten, brutalen Ende einer Präsidentschaft zum Trotz aus dem Handeln ihres Mannes ein denkwürdiges, würdevolles, imposantes Gesamtkunstwerk zu konstruieren.

Die Märchenkönigin muss zum ein scharfes Schwert schwingenden einsamen Ritter werden, um ihre Grazie zu verteidigen. Hindernisse brutal niederknüppeln, um das Augenmerk auf ihren Verstand zu lenken. Don’t let it be forgot, that once there was a spot, for one brief shining moment that was known as Camelot.

Regisseur Pablo Larraín (El Club, No!) lässt gar nicht erst zu, dass wir diese Transformation der Märchenkönigin zum Ritter, und vom Ritter zur graziösen, wohl aber gerissenen Sagengestalt in Ruhe beobachten. Der Chilene verhindert eine aus sicherer Distanz erfolgte Betrachtung des albtraumhaften Lebensabschnitts der Jackie Kennedy. Er nimmt die Ferngläser seines Publikums, lässt sie durch die dissonante, das Trommelfell mit beunruhigender Präzision penetrierende Instrumentalmusik Mica Levis zerspringen. Trübt, um auf Nummer sicher zu gehen, den Blick mittels grobkörniger, gräulich verschleierter Kameraaufnahmen Stéphane Fontaines.

Larraín fährt näher heran. So nah, dass sich die Sorgenfalten der bildhübschen Jackie wie Kluften auftun. Noch näher. So nah, dass jedes Äderchen in ihren Augen im Flüsterton davon erzählen kann, welch Grauen es sehen musste und wie es dies verarbeitet. So nah, dass die titelgebende Literaturconnaisseuse gewissermaßen zum Schauplatz dieses Films wird. Ihr Verstand formt die Ausgestaltung und Beschaffenheit dieses Films. Er weist den Knochenbau eines biografischen Dramas auf, doch die Gehirnmuskulatur eines Psychogramms, die Muskeln eines sozio- und medienpolitischen Thrillers und das Gewand eines garstigen Horrorfilms.

Don’t let it be forgot, that once there was a spot, for one brief shining moment that was known as Camelot. Elliptisch gestaltet Larraín ein feingliedrig beschreibendes, mit der emotionalen Wucht eines Kopfschusses operierendes Porträt. Sprunghaft. Den viel beweinten, vollauf analysierten, Jackies Leben aus den Fugen bringenden, ihren Charakter zementierenden Tag entschlüsselnd. Ihr Gespräch mit dem 'Life'-Journalisten Theodore H. White nachstellend, nein, romantisierend, nein, demontierend. Zurückschweifend auf Tage wie aus einer eloquent beschriebenen Gute-Nacht-Mär. Aufbrechend, durch Szenen über Jackies Sinn- und Gewissenssuche. Die Form: Selbstkritisch-reflexive Gespräche mit einem Mann des Glaubens. Übergehend in die vorwurfsvollen, verteidigenden, abgebrühten, zurückhaltenden Gespräche mit White. Und zurück.

Cutter Sebastián Sepúlveda verwirrt so lange, bis die Desorientierung erst wirklich die Augen öffnet. Die Augen öffnet, um jede noch so dezente Nuance in Natalie Portmans Darbietung zu sehen. Sticht aus ihren versierten Augen eine verstörte oder verstörende Verbissenheit? Ein verzogener Augenwinkel genügt, so dass Abgeklärtheit abklingt und Aggressionen zu erkennen gibt. Melancholisch mäandernd und wissentlich Weltschmerz davontragend: Diese Darbietung sucht ihresgleichen, ist konstant, jedoch variantenreich; vielschichtig, dennoch klar. Portman, Kennedy: Ein von der Leinwand brennender Mittelpunkt eines psychologischen, intellektuellen Geniestreiches mit wehmütiger Seele. Der Fokus eines unnachahmlichen Denkmals für eine zur Legende gewordenen Frau. Die einen Mythos zu bewahren hatte. Zu erfinden. Zu leben. Don’t let it be forgot, that once there was a spot, for one brief shining moment that was known as Camelot.