Posts mit dem Label Keira Knightley werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Keira Knightley werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Mittwoch, 23. Oktober 2024

Mediatheken-Tipps (20. Oktober 2024)

Die Rüden (Drama, 2020) Connie Walthers kopfgesteuertes Drama über männliche Straftäter, die von einer markigen Trainerin angeleitet werden, aggressive Hunde zu zügeln, mag provokant verkürzen. Ist aber auch stilsicher inszeniert, atmosphärisch und regt in seiner Metaphorik zur weiteren Reflexion an. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 28. Oktober 2024

Stolz und Vorurteil (Romantisches Drama, 2005) Joe Wrights betörend schöne, ebenso durchdacht verdichtete wie in ihrer Bildsprache erfreulich leichte Jane-Austen-Adaption. Dario Marianellis Musik ist toll, die Kostüme erstklassig, Roman Osins Kameraarbeit verzaubert. Und das Ensemble ist famos, ganz vorne natürlich Keira Knightley! ARD-Mediathek, abrufbar bis zum 9. November 2024, um 18 Uhr

Ida (Drama, 2013) Paweł Pawlikowskis hervorragend fotografiertes Schwarz-Weiß-Roadmovie über Schuld und Schmerz, das in einer denkwürdigen Grauzone zwischen schön und unheilvoll schwebt, glänzt mit einer Atmosphäre, die man schneiden könnte, und starken Performances von Agata Trzebuchowska und Agata Kulesza. ARD-Mediathek, abrufbar bis zum 17. November 2024 um 8 Uhr

Der Breitengrad der Liebe: Cold War (Drama, 2018) Nochmal Paweł Pawlikowski, wieder Schwarz-Weiß: Über eineinhalb Jahrzehnte hinweg begleiten wir die Liebesgeschichte zwischen einer Sängerin und einem Pianisten, während sich das Nachkriegspolen unaufhaltsam wandelt. Melancholisch, sinnlich, traurig und tröstlich zugleich, mit einem Hauch polnisch-kühler Varianz des italienischen Neorealismus! ARD-Mediathek, abrufbar bis zum 17. November 2024, um 8 Uhr

Die letzten Venezianer (Reportage, 2021) Wie lebt es sich eigentlich in einer Stadt, die eine einzige Touristenattraktion ist? Diese Reportage wagt den Versuch einer Antwort, indem sie sich an die Fersen der verbliebenen "echten" Menschen aus Venedig haftet und das "Dorf" in der Stadt sucht, abseits der großen Sehenswürdigkeiten. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 31. Dezember 2025

Evanescence Synthesis Live (Symphonic-Metal-Konzertdoku, 2017) Evanescence tourte 2017/2018 anlässlich des Albums Synthesis und interpretierte seine Songs mit einem neuen orchestralen Arrangement. ZDF-Mediathek, abrufbar bis zum 31. August 2025

Samstag, 18. Mai 2024

Mediatheken-Tipps (18. Mai 2024)

Drive My Car (Drama, 2021) Ryūsuke Hamaguchi verschmilzt in seinem berührenden, mit elegischem Tempo erzählten und trotzdem fesselnden Drama die Kurzgeschichte Scheherazade von Haruki Murakami und Versatzstücke des legendären Tschechow-Stücks Onkel Wanja zu einer gleichermaßen nachdenklichen wie gefühlvollen Auseinandersetzung mit Trauer, Zuneigung und Selbstakzeptanz. Bildschön illustriert und berührend gespielt! arte-Mediathek, abrufbar 31. Mai 2024

France (Mediensatirische Tragikomödie, 2021) "Léa Seydoux spielt in französischsprachigen Stoffen einfach in einer höheren Liga als in ihren englischsprachigen Auftritten", Beweisstück Ichweißnichtwieviel: In Bruno Dumonts France sehen wir Seydoux als berühmte und angesehene TV-Moderatorin und Kriegsreporterin, deren Leben durch einen unaufmerksamen Augenblick aus den Fugen gerät. Es folgt ein bissiges, leicht distanziert erzähltes Chaos über journalistische Objektivität, den gesellschaftlichen Umgang mit Prominenz, Erfolgsgier und den Versuch, ein entgleistes Leben wieder in Bahn zu lenken. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 5. Juni 2024

Official Secrets (Politisches Thrillerdrama, 2019) Basierend auf wahren Ereignissen: Die Übersetzerin Katharine Gun gelangt an Informationen, die nahelegen, dass George W. Bushs Regierung durch illegale Methoden im UN-Sicherheitsrat eine größere Unterstützung für den Irak-Krieg zu sichern versucht. So gerät Gun in ein Dilemma zwischen ihrer vertraglichen Verschwiegenheitspflicht und dem, was illegal, aber moralisch richtig ist... Regisseur Gavin Hood fängt die politische Stimmung anno 2003 erstaunlich gut ein und erschafft ein ruhig erzähltes Thrillerdrama mit klarer Haltung und emotionaler Kraft. ZDF-Mediathek, abrufbar bis zum 12. Juni 2024

Filibus - The Mysterious Air Pirate (Retrofuturistischer Luftpiraten-Abenteuerfilm, 1915) Mögt ihr Steampunk, Käpt'n Balu und seine tollkühne Crew, Verwechslungskomödien und/oder abenteuerlichen Spaß rund um meisterlich durchgeführte Halunkereien? Dann ist Filibus - The Mysterious Air Pirate wie für euch gemacht: Das italienische Stummfilm-Spektakel dreht sich um die geheimnisvolle Meisterdiebin und Verkleidungskünstlerin Filibus, die mit ihrem Luftschiff die Reichen bestiehlt, um die Armen zu bereichern. Stets ist ihr der Detektiv Kutt Hendry auf den Fersen, doch ihre Tarnung als ehrbare Baronin Troixmond ist zu gerissen! Sie ist sozusagen Fantômas, Arsène Lupin, Robin Hood und Don Kanaille in einem - und zündet ein Feuerwerk an Steampunk-Action, Diebstahl-Komödie und Travestie-Verwechslung, das nicht nur dank seines Erzähltempos und Designs zum Zungeschnalzen ist, sondern auch aufgrund der queeren und feministischen Untertöne, die zuweilen so selbstbewusst sind, dass sie gar keine Untertöne mehr sind. Es war halt längst nicht alles so piefig im damaligen Kino, wie man gerne eingeredet bekommt! arte-Mediathek, abrufbar bis zum 28. Juli 2024

Warum Mediatheken-Tipps? Die Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender sind ein unablässig sprudelnder Quell an sehenswerten Produktionen. Ob Spielfilm, Dokumentarfilm, Reportage, Konzertfilm, Serie, oder oder oder. Doch nicht nur, dass man da leicht den Überblick verlieren kann: Ich kenne einige Menschen, die den Mediatheken kaum oder gar keine Beachtung schenken. Mit dieser Artikelreihe möchte ich Orientierung bieten, ebenso wie Anreiz, sich vermehrt mit den Mediatheken zu befassen. Dazu gebe ich wöchentlich sechs Anschautipps.

Wieso vier Tipps? Ich hatte diese Woche einfach zu wenig Zeit, euch mehr rauszusuchen. Ab nächste Woche sind es wieder sechs Stück. Ich möchte, dass diese Artikelreihe händelbar bleibt. Für mich, damit ich sie neben meinen anderweitigen Verpflichtungen verfassen kann. Und für euch: Ich will euch nicht mit Anschautipps erschlagen. Sechs Tipps halte ich indes für umsetzbar: Selbst, wer alle Tipps ansprechend findet, kann sich täglich einen davon angucken, und hat dennoch bis zur nächsten Ausgabe der Reihe auch einen Tag "mediathekenfrei". 

Die Mediatheken-Tipps erheben selbstredend keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Es gibt viel mehr zu sehen, als ich hier Woche für Woche nennen könnte.

Samstag, 16. März 2024

Mediatheken-Tipps (16. März 2024)

Dickhäuter (Dramatischer Animationskurzfilm, 2022) Für alle, die noch etwas Oscar-Nachbereitung betreiben wollen - oder einfach ein Faible für Animation haben: Die französische Illustratorin Stéphanie Clément berichtet in ihrem subtil-beklemmenden Kurzfilm Dickhäuter von einer jungen Frau, die auf ihre Kindheit zurückblickt - konkret auf ihre ungeliebten Besuche bei ihren Großeltern. Was im trocken-bedrückten Tonfall wie eine anti-nostalgische "Es war einfach nicht schön da"-Erinnerung beginnt, wird durch eine Vielzahl an impliziten, im Zusammenspiel aber ein erschütterndes Gesamtbild ergebenden Hinweisen zum schmerzhaften, an die Nieren gehenden Bericht einer Erzählerin, die aufgrund ihrer Kindheit psychische Bewältigungsstrategien wie Dissoziation und Repression verfolgt. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 31. März 2024

Brief an ein Schwein (Dramatischer Animationskurzfilm, 2022) Für alle, die noch etwas Oscar-Nachbereitung betreiben wollen - oder einfach ein Faible für Animation haben: In ihrem Kurzfilm Brief an ein Schwein erzählt Tal Kantor von einer Schulstunde, wie es sie wohl häufiger gibt - ein Holocaust-Überlebender erzählt einer Klasse vom Grauen, das er miterlebt hat, stößt aber auf verschlossene Ohren und pubertierende Unruhestifter, die sich über seine Geschichte lustig machen. Eine Schülerin trifft er aber - und die verliert sich in eine bittere Fantasie. Emotional verzahnt, visuell eine Mischung aus (mich nicht durchweg überzeugender) Rotoskopie und eindringlicher Animation im krakeligen Malkreide-Look. Das Ergebnis ist eine nachdenklich stimmende, keine einfachen Antworten bietende Auseinandersetzung mit (generationellem) Trauma. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 31. März 2024

Die Misswahl – Der Beginn einer Revolution (Dramödie, 2020) Unscheinbare, aber starke Dramödie nach wahren Begebenheiten anno 1969/1970: Keira Knightley spielt eine junge Mutter, die nach langem, harten Kampf endlich an einen Studienplatz gelangt. Trotz ihrer ruhigen, analytischen Art freundet sie sich mit jungen, aktivistischen Frauen an, die planen, gegen den Miss-World-Wettbewerb zu protestieren. Parallel dazu gewinnen wir Einblicke in die Hoffnungen der Miss-World-Kandidatinnen: Während manche mitmachen, um vom Durchschnittsheteromann für ihr Aussehen gefeiert zu werden, sehen andere den Wettbewerb als ihre beste oder gar einzige Chance, um ihre Lebenssituation zu verbessern. Mit einem locker-flockigen Dialogbuch, aber einer ausdifferenzierten Narrative formt Regisseurin Philippa Lowthorpe (Call the Midwife) nach einem Skript von Gaby Chiappe & Rebecca Frayn einen zugänglichen, anspornenden Film, der trotzdem was auf dem Kasten hat: Ebenso beiläufig wie treffend werden verschiedene Gründe für und Formen des Protests beleuchtet - und überzeugend dafür eingestanden, dass zum selben Ziel sehr wohl unterschiedliche Wege führen, und sie sich nicht ausschließen. Für ein Miteinander der Ansätze, wider dem Zerfleischen untereinander! ARD-Mediathek, abrufbar bis zum 3. April 2024

Passagiere der Nacht (Drama, 2022) Einer der schönsten Filme des Jahres 2023 (nach deutschem Kinostart gehend): Mikhaël Hers blickt in einer elliptischen Erzählung vom Schicksal einer Familie - angeführt von Elisabeth (Charlotte Gainsbourg). Die frisch geschiedene Mutter zweier Kinder hat erst kürzlich ihren Brustkrebs besiegt und wird im Paris des Jahres 1981 Telefonistin bei einer Radiosendung. In der atmosphärisch plätschernden, von Nachteulen-Energie und zarten zwischenmenschlichen Beziehungen geprägten Geschichte geht es daraufhin um kleine und größere Lebensveränderungen, Melancholie, bittersüße Hoffnungen und unerwartete Bekanntschaften. Wirkt glatt wie der wiederentdeckte Auftakt einer Rohmer-Trilogie über Tageszeiten. Einfach hübsch! arte-Mediathek, abrufbar bis zum 11. April 2024

Songs of Gastarbeiter: Liebe, D-Mark und Tod (Sozial- und Kultur-Dokumentation, 2023) Frisch mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet und nach kurzer Zeit offline wieder zurück in der Mediathek! In seiner hervorragenden Dokumentation widmet sich Cem Kaya der in den Nachkriegsjahren begonnenen Welle an Migration aus der Türkei nach Deutschland und ihren Folgen - primär gefiltert durch das Thema der Musik: Welche Songs nahmen die "Gastarbeiter" mit, welche wurden daraufhin gezielt für sie produziert, und wie hängt dies mit heutigem Rap zusammen? Die Antworten, und wie sie präsentiert werden, ist menschlich, passioniert, schürt Wut über Dekaden an herzloser Politik, und sind trotzdem dank einer Vielzahl an Charakterköpfen oft auch erstaunlich witzig. Und so blicken wir mit Staunen auf eine im deutschen Mainstream geflissentlich übersehene Subkultur voller Facetten. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 14. April 2024

In den Gängen (Sozialdrama, 2018) Thomas Stubers In den Gängen versammelt mit Sandra Hüller und Franz Rogowski sogleich zwei deutsche Schauspielgrößen, die Beweise dafür sind, dass der internationale Filmdiskurs leichter gewillt ist, unsere Talente gebührend zu feiern, als große Teile des hiesigen. Der trist-kummervolle Film  zeigt stellvertretend die lähmende Banalität des Berufsalltags in Großmärkten, legt den Finger in die Wunde namens Einkommensschere, zeigt Wendeverlierer und erschafft mit naturalistisch-wortkargen Performances (neben Hüller und Rogowski stark: Peter Kurth) komplexe Figuren. Und er macht aus einem spendierten Automatenkakao eine unvergesslich-gütige Geste. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 2. September 2024

Warum Mediatheken-Tipps? Die Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender sind ein unablässig sprudelnder Quell an sehenswerten Produktionen. Ob Spielfilm, Dokumentarfilm, Reportage, Konzertfilm, Serie, oder oder oder. Doch nicht nur, dass man da leicht den Überblick verlieren kann: Ich kenne einige Menschen, die den Mediatheken kaum oder gar keine Beachtung schenken. Mit dieser Artikelreihe möchte ich Orientierung bieten, ebenso wie Anreiz, sich vermehrt mit den Mediatheken zu befassen. Dazu gebe ich wöchentlich sechs Anschautipps.

Wieso sechs Tipps? Ich möchte, dass diese Artikelreihe händelbar bleibt. Für mich, damit ich sie neben meinen anderweitigen Verpflichtungen verfassen kann. Und für euch: Ich will euch nicht mit Anschautipps erschlagen. Sechs Tipps halte ich indes für umsetzbar: Selbst, wer alle Tipps ansprechend findet, kann sich täglich einen davon angucken, und hat dennoch bis zur nächsten Ausgabe der Reihe auch einen Tag "mediathekenfrei". 

Die Mediatheken-Tipps erheben selbstredend keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Es gibt viel mehr zu sehen, als ich hier Woche für Woche nennen könnte.

Freitag, 25. Juni 2021

Freitag der Karibik #74

Was bisher geschah: Ich bin wieder voll im Piratenfieber. Daher widme ich mich nun den weniger bekannten Deleted Scenes aus Gore Verbinskis Pirates of the Caribbean-Fortsetzungen. Also den komplett gekippten oder gestutzten Filmpassagen, die erst in späteren, internationalen Sammeleditionen al Bonusmaterial zu finden waren. Die entsprechenden Szenen zu Teil zwei behandelte ich bereits hier.


Und nun weitere Deleted Scenes, inszeniert von Gore Verbinski!

Die Postproduktion von Pirates of the Caribbean – Am Ende der Welt war legendär-stressig. Der Drehschluss des großen Finales von Gore Verbinskis Piratentrilogie verschob sich aufgrund zahlreicher Komplikationen (von einem Hurrikan zerstörte Sets! Szenen, die komplett neu gedreht werden mussten, um bessere Effekte zu ermöglichen!) wiederholt nach hinten. Die kreativen Verantwortlichen beknieten daher Disney, den Starttermin von Pirates of the Caribbean – Am Ende der Welt ebenfalls zu verschieben. Doch sie lehnten ab. Und so mussten die sich stapelnden Erledigungen in deutlich weniger Zeit abgearbeitet werden, als geplant. Der Legende nach erhielt Gore Verbinski vom Studio während der Postproduktion Fahrverbot, weil es Angst hatte, dass der unzählige Überstunden schiebende Mann am Steuer einschlafen und so einen schweren Unfall bauen könnte.

Und dennoch kam am Ende ein wahrhaftiges Meisterwerk heraus (wenn man mich fragt, und da ihr auf meinem Blog seid, tut ihr das ja offenbar!), wenngleich ein Meisterwerk, um das die hitzigsten Diskussionen entstanden. Hätte mehr Material auf dem Boden des Schneideraums landen müssen? Weniger? Warum bitte landeten manche Dinge auf dem Boden des Schneideraums? Es ist an der Zeit, sich die Tonnen an Deleted Scenes näher anzuschauen und Gore Verbinski höchstpersönlich zu lauschen, während er erklärt, was er sich dabei gedacht hat ... 

(Titellos)

In der einzigen Aufnahme, die für den verworfenen Anfang von Am Ende der Welt gemacht wurde, sehen wir Barbossa nachdenklich an einem Tisch sitzen, mit einer Acht-Realis-Münze in der Hand. 

Gores Kommentar: Ursprünglich sollte Am Ende der Welt damit beginnen, wie jeder der Piratenfürsten eine solche Münze erhält, was als Einladung Barbossas zum Rat der Bruderschaft gelten sollte.

Mein Urteil: Hau weg den Dreck, keine Alternative kommt an den Hoist the Colors-Prolog ran!

The Canaries

Nachdem Barbossa und Elizabeth in das Badehaus Sao Fengs eingetreten sind, sehen wir bereits Tia Dalma (die in der endgültigen Filmfassung erst etwas später wiedereingeführt wird). Sie und Jack, der Affe nutzen die Drehorgel, um die Feilgeräusche zu übertönen, die Gibbs und Co. verursachen. Als die Wachen der East India Trading Company sie verjagen wollen, verrät Tia Dalma einem der Wachmänner etwas aus seiner Kindheit (er warf stets Laken in den Brunnen) sowie eine ihn tiefer treffende Wahrheit (dass seine Mutter ihn durchschaute, aber ihm verzieh). 

Gores Kommentar: "Es ist eine Art Verweis auf Obi-Wan in Star Wars ... 'Das sind nicht die Droiden, die ihr sucht'. Ich glaube, die Autoren Ted & Terry waren als Kinder große Fans von diesem Film. Aber letztlich wollten wir zügiger zum Treffen mit Sao Feng kommen, also musste diese Szene weichen."

Mein Urteil: Keine Szene, bei der ich denke "Hach, wäre sie doch nur drin geblieben!", gestört hätte sie mich aber auch nicht. Doch ich will nicht wissen, wie ungeduldig das Publikum damals, im Mai 2007, während des Triple Features mit Mitternachtsvorpremiere geworden wäre, hätte es noch länger gedauert, bis wir zu Jack Sparrows Auftritt kommen. Also, ja, im Sinne des Publikums: Gut entschieden. Und auch ohne die Meute im Kino im Blick ist ja nichts wertvolles verschollen gegangen.

A Pox on Us All

Sao Feng kritisiert etwas länger den Gedanken einer Fürsten-Zusammenkunft, woraufhin Barbossa den Hohen Rat mit Nachdruck und romantisiertem Tonfall verteidigt.

Gores Kommentar: Er merkt an, dass das Treffen mit Sao Feng insgesamt viel ausführlicher war, doch letztlich beschloss er, es auf das Wesentliche zu reduzieren. Er vermisst jedoch die kurzen Zeilen, in denen Barbossa Sao Feng verdeutlicht, was der Hohe Rat der Bruderschaft den Piraten alles ermöglichte. Gore ist sich dessen bewusst, dass diese Informationen weiterhin im Film stecken, jedoch mag er es, wie Barbossa sie hier mittels seiner Gravitas als Verhandlungsmittel einsetzt.

Mein Urteil: Rush spielt wirklich klasse, aber die Szene wäre schon redundant ... 

You're a Pirate

Pintel begegnet während der Singapur-Kampfszene zwischen den Piraten und der East India Trading Company dem Verräter mit dem zerlaufenen Tattoo (der später auch als Leiche zu sehen ist, die die Wasserstelle vergiftet, die die Crew der Black Pearl nach der Up is Down-Szene nutzen möchte).

Gores Kommentar: Diese zweite von planmäßig eigentlich drei Szenen rund um die Verräterfigur sollte dafür sorgen, dass ihre dritte Szene (die als Leiche im Wasserloch) stärker nachhallt. Aber zu wenige Leute erkannten den Verräter in dieser zweiten Szene wieder, so dass sie auch direkt für etwas mehr Tempo fliegen konnte,

Mein Urteil: Kein Verlust, der Am Ende der Welt irgendwie mindern würde. Aber die kurze zusätzliche Action-, Humor- und Storyeinlage ist gut gefilmt und gespielt. Ich finde, sie hätte bleiben dürfen.

You Weren't Supposed to Get Caught

Während der Wegfahrt von Singapur auf dem von Sao Feng geliehenen Schiff: Barbossa ermahnt Will, dass er sich nicht hat erwischen lassen sollen. Wills kühle Antwort suggeriert, dass alles nach seinem Plan verlief, er sich also hat erwischen lassen, um bei der Unterredung mit Sao Feng dabei zu sein und verhandeln zu können.

Gores Kommentar: Er nennt keinen Grund, weshalb die Szene gekürzt wurde, merkt nur an, dass sie sehr früh aufgegeben wurde.

Mein Urteil: Der Szenenübergang von Singapur zu Davy Jones ist im fertigen Film so stark, ich glaube glatt, dass dieser zusätzliche Beat an Will-Ambivalenz (die ja dennoch in Am Ende der Welt spürbar ist) daher fliegen musste.

It's a Two-Part Plan

Murtogg und Mullroys Wiedereinführung fällt etwas länger aus, mit Gescherze über den Zustand der Flying Dutchman. Anschließend sehen wir, wie sich Gouverneur Swann in das Egomessen Lord Becketts und Davy Jones' einmischt und Jones anfährt, weil er den Piratenschiffen nicht ausreichend Möglichkeit gibt, sich zu ergeben. Jones behauptet daraufhin Swann gegenüber, dass Elizabeth tot sei und Beckett davon wüsste.

Gores Kommentar: Gore sagt, dass diese Szene für viele, eifrige Diskussionen sorgte und für Meinungsverschiedenheiten, ob sie Sinn ergeben würde. Daher habe sie weitere Handlungsfäden, vor allem die restlichen Szenen rund um Gouverneur Swann, in Mitleidenschaft gezogen. Daher hat er sie umgeschnitten.

Mein Urteil: Der zusätzliche Comedy-Beat mit Murtogg und Mullroy ist zurecht geschnitten worden: Ich mag die beiläufige Reintegration der Figuren, das Understatement passt zur Stimmung, die Am Ende der Welt im ersten Akt hat, und sie schürt die Vorfreude auf späteren Unfug mit den Beiden. Das Gespräch zwischen Jones, Beckett und Swann ist aber echt gut gespielt, und daher ist es schon schade, dass der fertige Film ohne die Szene auskommen musste. Aber ich verstehe Gores Bedenken und, hey, es gibt ja die Blu-ray mit der Sequenz in den Extras!

Swann Song

Emotional aufgrund der obigen Szene aufgelöst, rennt Gouverneur Swann zur Truhe des Todes und versucht, Davy Jones' Herz zu durchstechen. Norrington kann ihn davon abhalten. Ein in Tränen zerfließender Swann erzählt Norrington, dass Elizabeth tot sei, woraufhin Norrington mit brechender Stimme, aber strengem Auftreten den um ihn stehenden Soldaten befiehlt, den Raum zu verlassen. Jones betritt die Szene, wird sofort von Norrington mit einer gezückten Pistole bedroht, während er weiter Swann zu trösten versucht. Dieser erklärt Swann mit diabolischer Freude den Fluch, den er auf sein Herz gelegt hat. Mercer und Beckett stoßen dazu. Mercer klärt auf, dass Elizabeth noch lebt, und Beckett merkt schelmisch an, dass er dieses Wissen willentlich zu unterschlagen versucht hat. Swann verlässt entgeistert den Raum, Beckett schnaubt Jones an. Sobald Mercer und Beckett allein sind, spricht Mercer den Gedanken an, dass Swann und Norrington sterben müssen, weil sie zu viel wüssten. Beckett erklärt, dass er Norrington achtet und weiter gebrauchen kann, Swann dagegen ... 

Gores Kommentar: Durch die Kürzung der obigen Szene, musste zwangsweise auch diese weichen. Gore erklärt, dass man sich während der stressigen Produktion von PotC 2 & 3 an dieser Stelle in eine Ecke manövriert habe. Der Handlungsstrang rund um Gouverneur Swann war verfahren: Diese so emotional aufgeladene Szene verpuffe für das Publikum, weil es mehr weiß als der wütend-traurige Swann und der ihn mit Geheimnissen über seine Vergangenheit triezende Davy Jones. Dass Jones an dieser Stelle die Regeln des Fluchs vertiefe, würde zudem dafür sorgen, dass die Enthüllung von Swanns Tod an emotionaler Kraft verliert:

Wenn er als Geist gezeigt wird und Elizabeth die Regeln über Jones' Herz erklärt, drohe es laut Gore aufgrund dieser Szene, dröge zu werden, weil Swann etwas wiederkaut, das ohne diese Szene neu für uns wäre. In Gores Augen ist Swanns Tod bedeutsamer, wenn mit ihm auch Erkenntnisgewinn für Publikum und die Figuren einhergeht. Also wurde diese Szene gestrichen und ein verkürzter Ersatz geschrieben, um Mercers und Becketts Absicht, Swann zu töten, dennoch im Film zu haben. Am meisten trauert Gore um Jones' triezenden Monolog über seinen Fluch, der letztlich sein eigenes Ende begründet. Doch die Szene, die zu diesem Moment führt, habe zu große Kosten, um den Genuss an ihm zu rechtfertigen.

Mein Urteil: Als ich die Szene erstmals sah, dachte ich: "Wow! Wieso wurde die geschnitten?!" Jonathan Pryce, Jack Davenport, Bill Nighy und Tom Hollander spielen großartig auf, vor allem Pryce und Davenport lassen einen an ihrem Sturm der Emotionen teilhaben. Und David Schofield ist als Mercer einmal mehr herrlich fies. Die Szene ist, für sich stehend, einfach klasse anzuschauen. Und dann habe ich Gores Kommentar gehört und ... Ja, ich verstehe ihn. Die Szene ist an sich grandios, aber wenn ich mir vorstelle, sie wäre im Film, dann würde im Mittelteil bei einem wichtigen Wendepunkt Emotion fehlen. Der Schock wegen Swanns Tod wäre kleiner, der unmittelbare Gefühlsbogen rüber zur Anspannung, was wir mit der Information über Jones' Fluch anfangen soll und was Jack damit anfangen wird, wäre nicht mehr da, somit fiele der emotionale Wellengang aus, der uns quasi auf den Schwung von Up is Down raubt ... Es ist ein Jammer, dass man keine Möglichkeit fand, eine Version dieser Szene zu entwerfen, die im Gesamtwerk funktioniert. Denn, liebe, innige PotC-Fans: Wenn ihr diese Sequenz noch nicht kennt, besorgt euch umgehend ein Blu-ray-Set, in dem sie enthalten ist. Es lohnt sich, wenn ihr mich fragt!

This Was Your Idea

Pintel und Ragetti necken sich länger, während sie kopfüber am Mast der Black Pearl hängen.

Gores Kommentar: Gore ist kurz davor, das Entfernen dieser Szene zu bereuen, nennt sie eine der größten Verluste. Aber letztlich war sie unnötig und musste daher raus, damit der Kern der Geschichte stärker rausgearbeitet ist.

Mein Urteil: Gore ist voller Überraschungen. Das hier ist für ihn eine der Szenen, die er am ehesten/meisten vermisst? Verrückt.

Kraken Slayers, Pt.1

Pintel und Ragetti blödeln länger neben, um und auf der Leiche des Kraken herum

Gores Kommentar: Gore liebt alles, was Pintel und Ragetti am Strand treiben, während wir den Krakenleichnam sehen. Es sei absurd und passe zur Thematik des Films, denn letztlich würden Pintel und Ragetti ja die Kommerzialisierung von Mythen ausdiskutieren, unwissentlich, dass sie somit ideologisch mit Lord Beckett verbrüdert sind, obwohl er ihren Untergang bedeutet. Er vergleicht Pintel und Ragetti mit den sprichwörtlichen Leichenfledderern aus The Wild Bunch, die nicht erkennen, dass sie sich dem Ende ihrer Ära nähern.

Mein Urteil: Wow ... Also, wenn ich einer anderen Person Gore Verbinskis visuellen Stil erklären muss, so ist mein Paradebeispiel bislang die Szene am Steg im Hafen von Tortuga in Pirates of the Caribbean - Die Truhe des Todes. (Ja, ich weigere mich mal wieder, den richtigen deutschen Titel zu nehmen, ja, das ist kindisch von mir. Ignoriert es einfach.) Ted & Terry haben es ja in ihrem Audiokommentar genauso getan. Gore nimmt eine lange Dialogszene, in der viel Information übermittelt wird, und macht aus ihr eine Passage, die sich zügig bewegt, in der ein Gag nach dem nächsten zündet, und die jede Menge kinetische Ebenen hat (Statisten, die keinerlei Ruhe finden, Figuren, die in Bewegung bleiben, schaukelnde Schiffe) ... und eine Ziege.

Aber müsste ich demnächst wieder erklären, wie Gore Verbinski als Regisseur tickt, wenn es darum geht, wie er geistig an seine Filme herantritt ... Ich glaube, ich würde künftig womöglich diese Deleted Scene zeigen, zweimal nacheinander. Einmal pur, danach mit Audiokommentar. Im fertigen Film ist Pintels und Ragettis Geblödel kurz, knackig, es entspricht ihren Persönlichkeiten, es schafft eine Fallhöhe für Jacks und Barbossas unerwartet ernstes und sentimentales Gespräch. Als ich diese Deleted Scene das erste Mal sah, dachte ich nur: "Ja. Okay. Mehr Comedy." Und dann habe ich Gores Kommentar gehört, der damit beginnt,  wie enorm er diesen geschnittenen Passagen hinterher trauert, und ich war bereit, zu denken: "Gore! Was?! Warum?!"

Und dann enthüllt er, wie sehr er es liebt, dass diese Szene völlige Absurdität mit thematischer, ernster Konsistenz mit dem restlichen Film vereint, als dass sie zwei sympathietragende Dummbeutel als Leute zeichnet, die lachend in ihren Untergang schippern und sich unwillentlich ideologisch an die Seite der imperialistischen Macht stellen, die sie leiden und verenden sehen will ... Wow. Und es ist kein hochtrabendes Gerede, Gore hat völlig recht, die Szene drückt genau das aus, und es ist verblüffend, wie nahtlos das ineinander übergeht. Im fertigen Film kommt dieser Gedanke weiterhin rüber, und seit ich Gores Kommentar gehört habe, liebe ich die Szene rund um den toten Kraken mehr denn je, und ... Ja, wie kann man Gore Verbinski besser erklären, als "Das ist der Mann, der zwei tölpelige Nebenfiguren liebend gern Unfug reden lässt, und somit die schwere Thematik seines Films unterstreicht"? Das ist fast schon die Essenz dieses Mannes!

Kraken Slayers, Pt.2

Pintel und Ragetti scherzen nach Jacks und Barbossas schwermütigem Gespräch im Angesichts des toten Kraken weiter. 

Gores Kommentar: Gore liebt auch diese Stelle. Pintel und Ragetti sind, anders als Jack und Barbossa, bereit, ahnungslos und glücklich unterzugehen.

Mein Urteil: Siehe oben.

It's Just Good Business

Die deutlich verlängerte Verhandlung zwischen Käpt'n Jack Sparrow und Lord Cutler Beckett, die mehr ihrer gemeinsamen Vorgeschichte enthüllt (inklusive der durch den Roman The Price of Freedom wieder kanonisierte "People aren't cargo, mate"-Zeile Jacks, die erklärt, dass er zum Pirat wurde, weil er sich weigerte, für Beckett Sklaven zu verschiffen). Anschließend bedrohen und verwirren sich Jack und Beckett, schüchtern ein, versuchen einander durch Wortgeflechte in die Ecke zu drängen. Beckett legt seine Ideologie klipp und klar offen: Die Gesellschaft verlangt Waren "und solange alles pünktlich und ausreichend geliefert wird, sind Menschen damit einverstanden, bloß Zahlen in einem Kontobuch zu sein". Jacks Erdnuss-Running-Gag wird stärker herausgestellt, Beide bemühen sich, den jeweils Anderen dazu zu bringen, unwillentlich die ihm entgegengesetzten Ziele zu verfolgen. 

Gores Kommentar: Gore erklärt, dass die Szene ursprünglich als Einzelstück gedacht war, das so im Film abläuft, wie hier gezeigt, also ohne Parallelschnitt zu den weiteren Verhandlungen zu diesem Handlungszeitpunkt (Will und Sao Feng, Sao Feng und Barbossa, Sao Feng und Mercer, Barbossas Verhandlung via Blicke mit Tia Dalma, etc.). Gore wünschte sich eingangs nämlich eine substanzielle, gehaltvolle und schwere Szene, weil hier erstmals die Kontrahenten Beckett und Jack aufeinander treffen, die sich in der Vorgeschichte der Trilogie einander schufen. Doch im Schnitt bemerkte er, dass dieses philosophisch gefühlte Wettrüsten der Egos, während dem impliziert wird, wie sehr Beckett Jack für seine Freiheit beneidet und dass es "viel Unausgesprochenes" zwischen ihnen gibt, zu behäbig geraten sei. Daher habe er es gestutzt und in die Parallelmontage gepackt. Der Erdnuss-Gag ist für Gore mehr als ein Gag, nämlich auch eine dramatische Erinnerung an das fatale Schicksal, das Jack droht, sollte er scheitern.

Dass Jack Becketts Drinks stiehlt (was auch im fertigen Film zu sehen ist), versteht Gore als pointierte Vordeutung, dass Jack letztlich Beckett alles nehmen wird. Die Sequenz sei bewusst so geplant, dass erst Beckett die Oberhand gewinnt, mit Einschüchterungstaktik und kapitalistischer Überzeugungskraft, ehe Jack gewieft und teuflisch-widerlich das Sagen zurückgewinnt und für Freiheit einsteht, selbst wenn bei ihm die Angst im Raum steht, dass er für seine Freiheit alle anderen verraten wird. Doch so gelingt es ihm immerhin, Beckett dazu zu bringen, ihn zur Dutchman zu führen, weil Beckett denkt, dass Jack dies vermeiden will. 

Mein Urteil: Ich verstehe Gores Gedanken, dass die Szene gestrafft werden muss. Aber dass "People aren't cargo, mate" und Becketts Zitat über die Gleichgültigkeit der Gesellschaft gegenüber den verheerenden Folgen des Turbokapitalismus, solange sie ihre gewünschten Güter zügig und reichlich geliefert bekommen, gewichen sind, ist einfach schade. Die hätten doch drin bleiben können? Und vor allem Becketts Äußerungen würden in den Zeiten eines immer mächtiger werdenden Onlinehändlers Am Ende der Welt rückwirkend noch prophetischer dastehen lassen. Wirklich ein Jammer.

Ted & Terry erklärten mal, dass sie bei Diskussionen über Teil zwei und drei zumeist geschlossen hinter der Position "weniger erklären, mehr visuell andeuten und ambivalent lassen" standen. Also kann ich mir vorstellen, dass sie für "weniger konkrete Bestätigung der Jack-Hintergrundgeschichte" einstanden. Gore ist in Interviews ja sehr offen, wenn es darum geht, über Studio-Einmischerei zu sprechen, und er sagte nie, dass Disney die Filme zu kommerzkritisch waren - daher würde ich der These "vielleicht ließ Disney die Beckett-Zitate streichen" erstmal Wind aus den Segeln nehmen. Vielleicht war es Gore zu unsubtil? Oder die Zeilen waren ein weiteres Opfer von "Die Szene drum herum war mir zu träge, und durch die nötigen Kürzungen schwebten die starken Zeilen zusammenhanglos im Raum"Kill-your-Darlings-Problemen ... So oder so: Sollte es je eine Jubiläums-Extended-Cut-Veröffentlichung von Am Ende der Welt geben, würde ich diese Passage reintegriert sehen wollen!

Legendary

Barbossas Trickserei, Sao Fengs These, Elizabeth sei Calypso, zu verstärken und sie an ihn zu verhandeln, wird ausführlicher dargestellt. Außerdem hält er eine Rede über den Einfluss Calypsos, die letztlich an anderer Stelle im Film wiederaufgenommen wird (nachdem diese Fassung gekürzt wurde).

Gores Kommentar: Gore nennt dies die unsubtile Fassung dessen, was letztlich im Film steckt.

Mein Urteil: Jepp.

The Thing You Want Most

Jack und Beckett verhandeln weiter, nun darüber, wer wen ausgehändigt bekommt. So deutet Jack an, er wolle Elizabeth für sich, um Beckett bezüglich seiner wahren Intentionen in die Irre zu führen. Das Element mit Beckett, der Jacks Kompass hält, der wiederum auf Jack zeigt, wird etwas länger ausgespielt.

Gores Kommentar: Gore erklärt, dass das Jack-Will-Elizabeth-Liebesdreieck-Thema in Teil zwei ausgeschöpft wurde, und er eine Rückkehr zu dem Thema vermeiden wollte. Auch die "Beckett will Jacks Tod, aber auch wie Jack sein"-Dualität habe nicht in den Film gepasst.

Mein Urteil: Sehe es wie Gore.

Grammatically Incorrect

Sao Feng unterhält sich länger mit Elizabeth, die er für Calypso hält, und sie versucht, sich mit ihm argumentativ zu messen, doch nach etwas Zeit, in der sie die Überhand, deutet sich an, dass Sao Feng ihr in diesem Spiel über ist

Gores Kommentar: Gore befand, dass die Mitte von Am Ende der Welt drohte, überfüllt zu sein. Daher musste etwas von der Wortklauberei zwischen Sao Feng und Elizabeth weichen

Mein Urteil: Weiß nicht, wie das den Film hätte bereichern sollen.

Choices

Jack und Will diskutieren darüber, welche Entscheidungen sie treffen müssen und/oder nicht treffen können, um zum Ziel zu gelangen. Es ist eine längere Version ihres Gesprächs, bevor Jack Will über Bord jagt, damit er Beckett eine Botschaft überbringt.

Gores Kommentar: Gore nennt diese Szene ein Echo des Moralgesprächs in Teil eins ("Was ein Mann kann, und was er nicht kann") und somit eine Verdeutlichung eines zentralen Elements der Trilogie: Jacks Wissen darum, wie sehr wir durch unsere Entscheidungen definiert werden. Er nennt die PotC-Trilogie eine Reihe über Figuren, die Entscheidungen treffen, die ihren Gefühlen widersprechen, um das zu erreichen, das sie logisch als korrekt erachten. 

Mein Urteil: Schönes, längeres Gespräch zwischen Jack und Will, die deutlicheren Rückverweise auf Fluch der Karibik gefallen mir. Hätte drin bleiben können.

The Coming Storm

Barbossa und Calypso diskutieren länger miteinander, bevor die Pearl zur Schiffbruch Bay fährt. 

Gores Kommentar: Die Szene wurde aus logistischen Gründen sehr früh während der Dreharbeiten zu Teil zwei gedreht. Bei der Fertigstellung von Am Ende der Welt wurde deutlich, dass Teile des Gesprächs aufgrund Drehbuchanpassungen des Drehbuchfinales redundant wurden und daher gekürzt werden konnten.

Mein Urteil: Ja, das hier ist letztlich unnötig.

The Devil's Throat

Die Pearl durchfährt eine enge Schlucht, um zum Ort Schiffbruch zu gelangen.

Gores Kommentar: Durch den engen Zugang zum Ort sollte die Gefährlichkeit von Jacks Plan unterstrichen werden, was sich aber als unnötiger Schnörkel erwies

Mein Urteil: Hätte drin bleiben können, ich vermisse es aber auch nicht.

Honest Streak

Gibbs merkt zum Abschluss des Hohen Rats der Bruderschaft (deutlicher als im fertigen Film) an, dass er Jack nicht mehr vollauf wiedererkennt. 

Gores Kommentar: Gore findet, dass das Publikum das innere Ringen Jacks auch ohne Gibbs' Anmerkung begreift: Er ist noch ehrlicher, noch bemühter um das Vermeiden von Opfern, als zuvor, nun, da er aus Davy Jones' Reich zurückkehrte. Er ist weniger Pirat als die anderen Piratenfürsten und wünscht sich, er könnte seine ehrliche Seite runterschlucken - aber es ist ihm nicht möglich

Mein Urteil: Ja, es ist zu überdeutlich.

"Her"

Beckett deutet während der Parlay-Szene an, dass er denkt, Jack handle aus seinem Interesse an Elizabeth und dem Versuch, Will los zu werden.

Gores Kommentar: Wie schon weiter oben erwähnt, wollte Gore das Liebesdreieck größtenteils aus Am Ende der Welt entfernen: Die Folgen sollen drin bleiben, es selbst aber nicht weiter aufrecht erhalten. Dass Jack Beckett gegenüber so tut, als sei er weiter an Elizabeth interessiert, um mit diesem Trick einen anderen Trick durchzuziehen, um sein Ziel zu erreichen, war ihm zu viel der Komplikationen

Mein Urteil: Ja, ist gut, dass es raus ist.

Poppycock

Jack, seine "regulären" Doppelgänger und der verkrustete Jack reden noch mehr Unsinn.

Gores Kommentar: Jacks Herleitung, wie er aus der Brig entkommt, sollte ausführlicher sein: Er sollte Kopfweh haben, Kopfschmerzen erinnern ihn an Will, Will erinnert ihn an die Gefängnisflucht in Teil eins ... Gore erklärt, dass die Szene zu umständlich war, als dass sie im Handlungsfluss hätte funktionieren können.

Mein Urteil: Ja, ein Comedy-Beat zu viel.

The World We Know Ends Today

Vor der Befreiung Calypsos aus dem engen Körper Tia Dalmas hält Barbossa noch eine Rede

Gores Kommentar: Gore liebt die Reden, die Ted & Terry für Barbossa geschrieben haben, und wie Rush sie spielt, aber "es wurde inflationär, also musste diese weichen"

Mein Urteil: Du sagst es, Gore.

I Miss Him Already

Noch mehr Jack-Doppelgänger-Unsinn, nun mit der Rückkehr des Hühner-Jacks

Gores Kommentar: Für sich stehend liebt er die Absurdität der Szene, und generell bereitet es ihm riesige Freude, einen Film in den tonalen Extremen bis an seine Grenzen zu bringen ... aber dieser Gag ist kurz vor dem großen Endkampf deplatziert, weil er die Gravitas des Moments zerstört. Also musste er weg. 

Mein Urteil: Ja, wieder ein Comedy-Beat zu viel.

Ring Around the Capstan

Jack wirbelt Davy Jones während des Kampfes auf der Flying Dutchman länger umher

Gores Kommentar: Ein schöner Moment, den er nicht überreizen wollte, also stutzte er ihn

Mein Urteil: Ja, schon wieder ein Comedy-Beat zu viel.


Und das waren sie. Die selten gesehenen Deleted Scenes aus Am Ende der Welt. Welche hättet ihr drin behalten?!

Freitag, 9. April 2021

Freitag der Karibik #73

Ich bin wieder voll im Piratenfieber, und daher habe ich beschlossen, mich hier im Blog mit den weniger bekannten Deleted Scenes aus Gore Verbinskis Pirates of the Caribbean-Fortsetzungen zu befassen. Denn zusätzlich zu den Szenen, die schon bei den DVD-Erstveröffentlichungen dabei waren, gibt es noch einen ganzen Haufen an komplett gekippten oder gestutzten Filmpassagen, die erst in späteren, internationalen Sammeleditionen zu finden waren.

Ich werde hier im Blog diese Szenen mit einer kurzen Inhaltsbeschreibung durchgehen, festhalten, was Gore Verbinskis Erklärung im Audiokommentar ist, weshalb die Szenen geschnitten wurden, und meine eigene Einschätzung abgeben, ob es diese Szenen in den Film hätten schaffen sollen oder nicht. In diesem Teil gehe ich auf die geschnittenen Szenen aus Teil zwei ein.


(Titellos)

Jack Sparrow flieht vor den Pelegosto (in zusätzlichen Kameraeinstellungen).

Gores Kommentar: Er sagt nichts spezifisch über diese Szene, sondern begrüßt uns zu seinem Audiokommentar der Deleted Scenes.

Mein Urteil: Es sind einfach nur ein paar alternative Perspektiven auf Jacks Flucht. Sie wieder reinzupacken würde nicht wirklich schaden, aber den Film auch nicht bereichern.


Steady As She Goes

Verlängerte Version davon, wie Jack Sparrow früh im Film aus der Kapitänskajüte torkelt, um sich Rum zu besorgen, was darin mündet, wie er Stiefelriemen Bill begegnet. Wir sehen mehr vom neuen Crewmitglied Leech (gespielt von San Shella), von der Pearl, Käpt'n Jack scherzt mit den Tieren an Bord (bezeichnet Schafe als "Ladys" und bedroht ein Huhn) und klopft gegen ein (vermeintlich?) leeres Rumfass, aus dem Klopfzeichen zurück kommen.

Gores Kommentar: Gore merkt an, wie aufwändig der reale Bau der Pearl war, und wie die verlängerte Szene mehr Gefühl für diesen Setbau gestattet. Darüber hinaus lobt er die von Johnny Depp improvisierten Sprüche in der Szene. Er kommt zum Entschluss, dass diese Passage aufs im fertigen Film gezeigte Maß eingedampft wurde, weil er dachte, dass das Kinopublikum bereit für das große Abenteuer ist, und wir daher schneller zu Stiefelriemen Bill kommen mussten, der Jacks Plot erst in Gang bringt.

Mein Urteil: Ich verstehe total, weshalb Gore Verbinski 2006 beschlossen hat, diese Szene durch das Auslassen einiger Kamerafahrten und allerhand Jack-Sparrow-Getorkel zu beschleunigen. Wir erinnern uns: Zwar generierte Die Truhe des Todes (ja, ich habe noch immer meine Probleme, den letztlich gewählten deutschen Untertitel zu verwenden) über eine Milliarde Dollar an den Kinokassen, gleichwohl gab es so manche Publikumsklage, er würde zu viel Drumherum ums Spektakel bieten. Ich glaube, damals hätte dieses Mehr die Euphorie der Leute nur gedrosselt.

Allerdings würde mich im Jahr 2021 durchaus ein Extended Cut reizen, der zum Beispiel diese Passage wieder in den Film packt. Denn wer sich von diesem Film die verlängerte Fassung anschaut, kennt den Plot schon, ist also gar nicht in der "Okay, wo bleibt Jacks Konflikt?!"-Verfassung. Und in dieser Verfassung wäre dieses kleine Extra an Black-Pearl-Flair durchaus reizvoll. Naja. Jedenfalls für mich.


East of India

Beckett erklärt Will ausführlicher die Absichten der East India Trading Company: "Wenn Güter keine Grenzen übertreten, tun es Armeen."

Gores Kommentar: Diese Szene sollte verdeutlichen, dass Beckett eine Manifestierung dessen ist, wie Fortschritt die Ära des Erkundens und der Piraterie beendete. Dass durch Profitgier alles gerechtfertigt werden kann und schlussendlich das Gesetzwidrige zum Gesetz wird. Damit sollte diese Szene die thematische Intention der Autoren Ted Elliott & Terry Rossio und von Gore selbst klarifizieren. Einen konkreten Grund, weshalb diese Szene gestutzt wurde, nennt Gore nicht.

Mein Urteil: Die Szene ist für sich betrachtet super: Die verbalen Seitenhiebe zwischen Will und Beckett, Becketts oben erwähntes Zitat ... Aber im Erzählfluss des Films ist sie eher Ballast, zumal die Grundaussage der Trilogie auch so deutlich wird. Naja. Jedenfalls meiner Ansicht nach. Die zeitgenössische Kritik sah es ja anders.


Don't Eat Me

Ein paar zusätzliche Takte auf der Insel der Pelegosto: Wenn Will Cottons Papagei begegnet, lässt er ihn nicht nach einem verdutzten "Ich werde dich nicht essen!" stehen, sondern beginnt ein längeres Gespräch mit ihm.

Gores Kommentar: Gore Verbinski betont, wie wichtig es ihm die gesamte Trilogie über gewesen sei, Will Turner eine Aura von D'Artagnan zu verleihen. Mit einer freundlichen Unbeholfenheit sollte er ein Gegengewicht zur piratigen Zynik anderer Figuren bieten. Dieser putzige Austausch zwischen Papagei und Welpe sollte einen weiteren Beitrag dazu leisten. Doch letztlich befand Gore, dass die Szene zu einem Zeitpunkt kommt, zu dem das Publikum gespannt wartet, was auf der Insel lauert. Und daher musste die Szene deutlich gekürzt werden, um den Flow des Films aufrecht zu erhalten.

Mein Urteil: Ähnlich wie bei "Steady As She Goes" muss ich sagen: Ich verstehe den "Mach vorwärts!"-Gedanken. Aber Orlando Bloom ist so gut in der längeren Fassung der Szene, dass ich mir glatt wünsche, die Szene hätte es in voller Länge in den Film geschafft. Sie hätte Will Turner etwas mehr Raum gegeben, dem Film auch seinen eigenen Stempel aufzudrücken, und als jemand, der Die Truhe des Todes schon 2006 nicht zu lang fand, denke ich mir: Es hätte im richtigen Moment etwas "Mit Will lachen" mitgegeben, bevor wir erst "Mit Jack lachen", dann mitfiebern und dann "Über Jack lachen", bevor es wieder spannend wird.


Lizzy Gets Her Gun

Ein kurzer Dialogschnipsel mehr zwischen Elizabeth Swann und ihrem Vater, während er sie aus dem Gefängnis zur Kutsche begleitet. Er betont, zu denken, er sei einflussreich und respektiert genug, um Beckett nicht führen zu müssen, und wir sehen, dass er es ist, der Elizabeth die Waffe gibt, die sie kurz danach auf Beckett richtet

Gores Kommentar: Sinngemäß: "War unnötig"
Mein Urteil: Ja, war es.


What of You and Jack?

Elizabeth und Beckett unterhalten sich etwas länger, als sie ihn nachts in seinem Büro bedroht. Er horcht expliziter aus, ob sie Interesse an Jack hat. Am Ende der Szene wird enthüllt, dass vor Becketts Büro ein Wachmann postiert ist, der jedoch schläft.

Gores Kommentar: Der Film sollte an Tempo gewinnen. Er wollte das Liebesdreieck Jack-Elizabeth-Will nicht überreizen. Und er wollte die East India Trading Company nicht geschwächt darstellen. Also musste das alles raus.

Mein Urteil: Sehe es exakt so wie Gore.


Never Mind

Käpt'n Jack fragt einen Pelegosto aus, weshalb er keine Kleinkinder auf der Insel sieht ("Sie schmecken am besten, oder?"), außerdem unterhalten sich Will und Gibbs noch etwas länger in den Knochenkäfigen. Unter anderem sehen wir explizit, wie Will Gibbs seinen Flachmann überreicht.

Gores Kommentar: Er liebt es, wenn in seinen Filmen zu sehen ist, wie Gegenstände weitergereicht werden und so ihre eigene Geschichte entwickeln, doch letztlich war all das zu unbedeutend, als dass er dafür den Film ausbremsen wollen würde.

Mein Urteil: Jupp, Gore weiß, was Sache ist.


Six Became Five

Eine langsamere Variante dessen, wie der Knochenkäfig der Black-Pearl-Crew zerstört wird, sich die Crew in einer Schlucht kurz sammelt und dann von den Pelegosto angegriffen wird. Wir sehen, wie ein Statist aus Wills und Gibbs' Knochenkäfig von einem Pfeil getötet wird.

Gores Kommentar: Es schmerzt ihn, den Filmtod des sechsten Piraten aus dem Knochenkäfig zu kürzen. Doch die Szene machte die Vefolgunggsjagd weniger mitreißend. Nun geht der Mann halt im Off verloren, was als Kontinuitätsfehler verstanden könnte. Doch der Erzählfluss war letztlich wichtiger.

Mein Urteil: Ich habe Die Truhe des Todes Dutzende Male gesehen, und nie bemerkt, dass zwischen Knochenkäfig und Ankunft an der Pearl ein Statist verloren geht. Und selbst wenn, so würde ich einfach denken, dass er zurückgelassen würde. Also: Kein Problem, aber durch den größeren Schwung der Sequenz ein Gewinn für den Film. Anders gesagt: Echt gut gestutzt, das Ganze!


Cutlery

Wir sehen, dass Käpt'n Jack versucht, mit einem Messer das Seil durchzuschneiden, mit dem er an einen Stock gefesselt ist, und wie Jack nach seinem Sturz durch eine Schlucht auf der Insel der Pelegosto nach dem Messer greift.

Gores Kommentar: Früh im Drehprozess war Jacks Flucht noch etwas anders geplant, doch Gore beschloss, die zwei Zusatzbeats rund um das Messer aufzugeben. 

Mein Urteil: Es wären keine besonders guten Gags gewesen, wieso also den Film für sie ausbremsen?


Where's My Profit?

Nach der Flucht von der Insel der Pelegosto unterrichtet Will Jack darüber, dass er einen Kaperbrief erhalten würde, sollte er mit Will kooperieren.

Gores Kommentar: Ursprünglich war geplant, dass Jack in zwei Etappen vom Kaperbrief erfährt. Erst durch Will, der ihm das Angebot überhaupt erst gibt, und dann durch Elizabeth, wer genau den Kaperbrief ausgestellt hat (nämlich Lord Cutler Beckett). Schlussendlich befand Gore, dass es das Publikum ermüde würde, so oft die Kaperbriefe erklärt zu bekommen, und dass es frustrierend wäre, derart explizit seinen eigenen Wissensvorsprung gegenüber Jack zu erfahren. Daher wurde diese Passage gekürzt, so dass die Kaperbriefe innerhalb Jacks Handlungsfaden erst dann zur Sprache kommen, wenn sie für ihn (und den ihn abhörenden Norrington) von Belang sind.

Mein Urteil: Ich bin regelrecht sprachlos, dass diese Szene überhaupt geschrieben und gedreht wurde. Sie ist völlig überflüssig und wurde aus guten Gründen geschnitten.


Tortuuuuga

Elizabeth fuchtelt noch etwas länger mit ihrem Kleid herum, um die Besatzung der Edinburgh Trader glauben zu lassen, ein Geist wolle ihnen den Hinweis geben, sie müssten auf Tortuga Halt machen. Die Crew macht einige dumme Sprüche, was sie denken, was gerade vorfallen würde, und Lizzie ruft letztlich in einer Geisterstimme: "Tortuuuuga!"

Gores Kommentar: Wir mussten vorwärts kommen.

Mein Urteil: Hält man im Hinterkopf, wie sehr die Autoren Ted Elliott und Terry Rossio im DVD-Audiokommentar betonen, ihnen hätte diese Szene gruseliger und ominöser vorgeschwebt, frage ich mich: Was zum Henker haben die erwartet? Die Dialoge sind sehr komödiantisch, und die Filmversion ist schon deutlich eher atmosphärisch als die Sequenz es wäre, wären diese Extrateile mit drin.


If You Believe Such Things

Gibbs' Monolog an Will, während die Black-Pearl-Besatzung unter Jacks Kommando zu Tia Dalma paddelt, ging ursprünglich noch etwas länger: Bevor Gibbs vom Kraken erzählt, berichtet er Will von der Sage von Davy Jones' Reich und was einen dort erwartet. (Oder ist dies eine alternative Szene, die statt Gibbs' Kraken-Monolog genutzt worden wäre? Das wird im Bonusmaterial nicht ganz klar.)

Gores Kommentar: Er hat letztlich beschlossen, Die Truhe des Todes und Am Ende der Welt ein Stück weit unabhängiger zu machen und diesen Jacks Schicksal in Am Ende der Welt vorausdeutenden und voraberklärenden Monolog zu tilgen, um sich an dieser Stelle stärker auf das zu konzentrieren, was in diesem Film von Belang ist.

Mein Urteil: Eine Änderung mit großer Auswirkung. Stellt euch vor, in der ersten Hälfte von Die Truhe des Todes wird in einem minutenlangen Monolog ausgebreitet, dass Jack Sparrow, sollte er vom Kraken verschluckt werden, eine Art Fegefeuer erwartet. Es würde die Wahrnehmung der Kraken-Actionsequenzen völlig verschieben und ebenso die Emotionalität des Filmendes. Es wäre nicht mehr folgende Abfolge von Gedanken: "Oh nein, eine nach aller weltlicher Logik ausweglose Situation, was, Tia Dalma glaubt, es gäbe einen Weg? Wie das? Huch, dramatische Wende, oh nein, Ende!" Es wäre: "Oh, Gibbs hatte Recht, joah, dann bekommen wir das in Teil drei sicher zu sehen." Die Filmfassung ist viel, viel besser, da sie Die Truhe des Todes gestattet, am Schluss stärker im Moment zu leben, und Am Ende der Welt den Platz lässt, trotz seines Status als Fortführung auf tonaler Ebene mehr eigene Identität zu entwickeln, weil sich dieses andersweltliche Element in dieser Deutlichkeit erst dort entfaltet.


Begins to Forget

Stiefelriemen Bills Vergesslichkeit, die in der Filmfassung nur sporadisch durchschimmert und sich erst in Am Ende der Welt drastisch ausbreitet, wird hier schon früher in den Fokus genommen. Im Gespräch mit Will wird klar, dass Stiefelriemen Bill nun schon den ersten Fluch vergaß, der auf ihm lag, sowie das ganze Kapitel in seinem Leben rund um Barbossa.

Gores Kommentar: Die Intention war, Stiefelriemen Bill mehr Aufmerksamkeit zu schenken und so seine Fallhöhe im ganzen Gewusel um die Truhe und Davy Jones' Herz zu vergrößern. Letztlich sei man aber zur Erkenntnis gekommen, dass mehr Stiefelriemen-Bill-Dramatik dem Film weniger Mehrwert gegeben hätte, als sich einfach während des Abschnitts auf Davy Jones' Schiff um Wills Dilemma zu kümmern und ihn konkreter zu fokussieren.

Mein Urteil: Bevor ich mir Gores Audiokommentar angehört habe, war mein Verdacht eher, dass man durch ein Verschieben, wann uns im Publikum Stiefelriemen Bills Erinnerungsverlust klar wird, die Wendepunkte in der Charakterzeichnung anders takten wollte. Zu Beginn von Die Truhe des Todes erinnert sich Stiefelriemen noch, dann muss er mitansehen wie (so weit er glaubt) Will durch den Kraken getötet wird, dann ist er in Am Ende der Welt nur noch ein Schatten seiner selbst. Wäre die geschnittene Szene noch im Film, wäre der Zerfall von Stiefelriemens Verfassung kontinuierlicher, und somit nicht derart aufwühlend (und implizit weniger davon abhängig, was er erlebt hat) - und das hätte in meinen Augen weniger Wirkung. Aber Gores Argumente sind auch überzeugend.


Manual Labor

Eine längere Diskussion über die Kaperbriefe an Bord der Black Pearl.

Gores Kommentar: Durch das Entfernen der Will-Kaperbrief-Szene wurde auch die verlängerte Version der Elizabeth-gibt-Jack-den-Kaperbrief-Szene unnötig. Beide Kürzungen bringen das Publikum näher an Jacks Erfahrungsstand, was den Film weniger umständlich macht.

Mein Urteil: Kann ich nicht besser ausdrücken.


Married to the Ship

Eine deutlich verlängerte Szene der Pirate's-Dice-Sequenz: Vor der Partie, die wir im fertigen Film sehen, spielt Will Turner im Duell gegen Davy Jones und setzt Stiefelriemen Bills Schuld als Wetteinsatz. Will gewinnt gegen Davy Jones und befreit somit seinen Vater (der diese Freiheit wieder in der uns bekannten Szene verliert). 

Gores Kommentar: Diese Szene zu kürzen gehört zu Gores liebsten Deleted Scenes, da sie atmosphärisch dicht ist: Das Schauspiel von Orlando Bloom und Bill Nighy, die herausragenden Trickeffekte von Industrial Light & Magic, die innere Dramaturgie der Sequenz, in der sich zwei Männer während eines Würfelspiels mit ihrem Wissen voneinander gegeneinander ausspielen. "Die Details sind hypnotisierend." Zudem befindet Gore, dass Wills Opfer in der Kinofassung (in der sich sein Vater einmischt) größer wird, wenn man zuvor sieht, wie er auf den eigenen Beinen stehend obsiegt. Letztlich entschied sich Gore jedoch, die Szene zu schneiden, weil sie mit ihrem Fokus auf Will und seinen Vater zu viel Laufzeit von Die Truhe des Todes einer Dynamik widmete, die erst im dritten Teil aufgelöst wird. Und er habe letztlich erkannt, dass es dem Film zugute käme, etwas mehr Anteil den Dingen zurückzugeben, die schon in Teil zwei aufgelöst werden.

Mein Urteil: Auch wenn wir ja beide zum Schluss kommen, dass die Szene weichen musste, so habe ich ganz andere Gründe dafür, weshalb ich die erste Runde des Piraten-Würfelspiels nicht in Die Truhe des Todes inkludiert hätte. Dadurch, dass Will erstmal in aller Seelenruhe, ungestört gegen Davy Jones spielt (und gewinnt!) wird die Charakterisierung von sogleich zwei Figuren verwässert: Einerseits Stiefelriemen Bill, der wenige Filmminuten zuvor noch einwilligte, seinen Sohn auszupeitschen, weil es ihm selbst zwar das Herz zerreißen würde, er so aber Will körperliche Schmerzen erspart, die ihm durch den kräftigeren Bootsmann zugefügt würden. Und jetzt, wo Will seine Freiheit aufs Spiel setzt, schaut er einfach nur zu? Das kaufe ich ihm nicht ab, die Filmfassung, in der er zügig mit einsteigt, um Will zu beschützen, finde ich schlüssiger.

Und dann ist da der Faktor Davy Jones: In einer Die Truhe des Todes-Version mit dem kompletten Würfelspiel verliert der alle einschüchternde, monströse, gerissene Teufel des Meeres in einem Spiel, das nicht nur Glück, sondern auch Taktik und Voraussicht erfordert. Das hemmt die Intensität, mit der wir ihn als unheimliche, nicht abwendbare Bedrohung wahrnehmen. In der Kinofassung bleibt derweil nur übrig, wie Jones kurz davor steht, zu verlieren, dann aber den aufopferungsvollen Stiefelriemen zum Verlierer machen kann. Das schadet seinem Status weniger als die ursprünglich geplante Version.


Not So Fortunate

Etwas längere Variante des unmittelbaren Vorspiels der Kraken-Attacke auf die Edinburgh Trader: Davy Jones schüchtert Stiefelriemen Bill deutlicher ein und betont, dass das, was nun folgt, nicht als Strafe für Will Turner gedacht ist, sondern als Strafe für ihn.

Gores Kommentar: Einzelne Shots dieser Deleted Scene gehörten zum Test, ob Davy Jones bei Tageslicht gut aussieht. Gründe für's Schneiden nennt Gore nicht.

Mein Urteil: Ich find die Szene einfach überflüssig, die kürzere Kinofassung macht alles genauso gut klar.


Every Man for Himself

Nach der Krakenattacke treibt Will auf einem Stück Holz, als ein Rettungsboot vorbei kommt. Die Männer weigern sich, ihn mit ins Boot zu nehmen, direkt danach wird es von einem Krakententakel zerschmettert.

Gores Kommentar: Gore fand es reizvoll, Will erneut als einzigen Überlebenden auf einem Stück Holz treibend zu sehen, genauso wie in Teil eins und später in Teil drei. Aber letztlich entschied er, dass es das Publikum ermüdend wird, noch einen Kraken-Attacken-Beat zu sehen.

Mein Urteil: Kein weiterer Kommentar nötig.


Salvation (& For Whom the Bell Tolls)

Pintel und Ragetti plänkeln länger über die korrekte Aussprache von "Kraken". Elizabeth und Norrington unterhalten sich anschließend sich über die Sage von Isla Cruces: Ein Gerücht (das sich später durch einen kurzen Kameraschwenk bewahrheitet), laut dem einst ein Priester auf diese Insel zog und sie missionierte - und kurz darauf tödliche Krankheiten alles Leben auf ihr auslöschten, bevor sich der Priester selbst das Leben nahm. Norrington kommentiert dies mit "Lieber verrückt wie der Rest der Welt als bei Sinnen und allein", was als Vordeutung seines kommenden Handelns intendiert ist.

Gores Kommentar: Gore bezeichnet diese Anekdote als wahres Kleinod, das nicht nur dem Schauplatz Bedeutung verleiht, sondern auch das thematische Element der Trilogie untermauert. Einen Grund für's Kürzen nennt er nicht. 

Mein Urteil: Eindeutig der größte Verlust unter allen Deleted Scenes für Gore Verbinskis Pirates of the Caribbean-Filme! Keira Knightley und Jack Davenport sind herausragend in der Szene, und die Hintergrundgeschichte über Isla Cruces verleiht der furiosen Abfolge von Actionsequenzen, die im letzten Drittel des Films auf uns wartet, atmosphärische Textur. Darüber hinaus vertieft die Geschichte eines Geistlichen, der missionierend auf eine Insel kommt, die kurz danach von Kummer, Tragik und Tod heimgesucht wird, die zentrale Thematik der von Gore verantworteten Fluch der Karibik-Sequels. Und Ted & Terry schreiben einfach so schöne, sprachrhythmisch wohlklingende Monologe, die die Mythologie der Filme vergrößern, und gleichzeitig dadurch, wer wie was erzählt, die Figurenzeichnung bereichern. Ein echter Jammer, dass diese Passage fehlt, denn bei aller Bereicherung, die sie meiner Ansicht nach darstellt, hätte sie andererseits dem Film nicht geschadet: Sie kommt genau in einer Zäsur, kurz bevor die Action explodiert, und die paar Takte mehr hätten die Erzähldynamik meiner Ansicht nach nicht ausgebremst. (Und der kurze Kameraschwenk, der danach die Story als wahr enthüllt, sowieso nicht.)


Pot Kettle Black

Norrington, Jack und Will schüchtern einander weiter ein und verwirren gegenseitig, als der Schwertkampf zwischen ihnen ausbricht.

Gores Kommentar: Sinngemäß "Da war ein schönes Zitat drin, aber eigentlich wiederholt sich das alles nur, überflüssig, weg damit!"

Mein Urteil: Exakt!


Three Swords, One Key

Ein paar zusätzliche Beats für den Drei-Personen-Schwertkampf, unter anderem verheddert sich der Schlüssel zu Davy Jones' Truhe zwischen den Schwertern von Will, Norrington und Jack, woraufhin sich ein kurzer Anstarr-und-Antäusch-Wettbewerb ergibt, wer zuerst reagiert.

Gores Kommentar: Gore Verbinski bezeichnet die geschnittenen Passagen aus dem Drei-Leute-Schwertkampf als Folge dessen, was passiert, wenn man die Dreharbeiten beginnt, bevor sämtliche Drehbuchseiten finalisiert sind. Er und die Stuntcrew hätten sich bemüht, eine spannende, interessant choreografierte Actionszene zu gestalten, doch letztlich wurde im Schnitt klar, er hätte zu viel Material, als dass der Schwertkampf durchweg spannend bliebe. Daher kürzte er den Anfang, bevor das Trio das Wasserrad erreicht. In der langen Fassung sei zu offensichtlich, dass keine Gefahr besteht, weil keiner der Drei den Schneid hätte, die Gegner zu töten. Und generell habe Gore nach Fluch der Karibik die Nase bereits voll von konventionellen Schwertkämpfen und wolle daher so schnell wie möglich zum kreativen Teil.

Mein Urteil: Okay, Gore argumentiert überzeugend. Und dennoch trauere ich den Zusatzbeats etwas nach: Dariusz Wolskis Schwenks über Isla Cruces sind so bildhübsch, dass ich sie nicht missen möchte. Die drei "Ich will mein Ziel erreichen, aber nicht über Leichen gehen, doch auch keine Schwäche zeigen"-Choreografien für Will, Jack und Norrington sind sehenswert, und ich habe das Gefühl: Ein paar Takte länger als in der Kinofassung antäuschen, dass die große Steigerung gegenüber Teil eins lautet "Drei Männer kämpfen am Strand gegeneinander", um dann erst die absurden Geschütze aufzufahren, macht die Überraschung und anschließende Freude der kreativeren Momente auf Isla Cruces nur noch größer.


The Map is Finished

Ein alternatives/längeres Ende für die Norrington/Jones/Beckett-Handlungsfäden: Nachdem Norrington Beckett zeigt, dass er das Herz von Davy Jones ergatterte, schlägt er vor, es auf der Stelle zu durchstoßen, woraufhin Beckett ihn warnt, dass dies das leichtsinnigste ist, was er tun könnte. Beckett gibt Norrington stattdessen sein altes Schwert und seinen früheren Status wieder und empfängt einen (unausgesprochen, magisch) herbeigerufenen Davy Jones, als die Karte in Becketts vervollständigt wird.

Gores Kommentar: Gore befindet, dass diese Szene freier atmen kann und dadurch deutlicher macht, dass man verlorene Unschuld nicht mehr erhalten kann, als es letztlich die Norrington-Szenen in Teil drei zeigen, die geschrieben wurden, um das Entfernen dieser Passage auszugleichen. Er lobt Jack Davenports zerrissenes Schauspiel in dieser Deleted Scene, und er merkt an, wie sehr es ihm weh tat, die Kamerafahrt auf die vollendete Karte zu stutzen. Gore erklärt nicht, weshalb diese Szene entfernt wurde, macht aber klar, dass er die Entscheidung früh fällte: Die Szene wurde nicht einmal vollständig gedreht, sollte also noch länger gehen, als diese Deleted Scene denken lässt.

Mein Urteil: Wieder ein Fall von "Isoliert mag man kaum glauben, weshalb die Szene gekürzt wurde, aber im Gesamtkontext wird es überdeutlich": Stellt euch vor, wie diese Sequenz in den eigentlichen Film gequetscht wird. Auf einmal würde das ganze Finale von Die Truhe des Todes aus dem Takt geraten. Nach dem letzten Krakenangriff hat der Film so einen fantastischen Rhythmus, jede Dialogzeile, jeder Schnitt, alles greift ineinander. Jones bemerkt, dass er das Herz gar nicht zurückerobert hat, Norrington enthüllt, dass er das Herz hat, die Frage wird aufgeworfen, was Beckett damit vor hat, bevor wir uns in diese Frage verbeißen können, werden wir ins emotionale Tief von Will, Elizabeth, Gibbs, Pintel & Ragetti zurückgeworfen, vertiefen uns in Wills und Elizabeths Lage, sind völlig desolat und dann kommt der von Tia Dalma eingeworfene Hoffungsschimmer, gefolgt vom genialen Cliffhanger.

Ein längeres Verweilen bei Beckett und Norrington würde den Erzählfluss stören und die Melancholie und Verwirrung gegen ein deutlicheres "Dies ist das Ende des ersten Teils einer Back-to-Back-Filmproduktion, hier wird die Saat für den nächsten Part gesät, bereitet euch auf eine veränderte Bedrohung durch Jones vor, und nun zurück zu den Helden"-Plotten eintauschen. 


Das waren die weniger bekannten Deleted Scenes aus Teil zwei. Freut euch auf die aus Teil drei, die ich hier demnächst durchgehe.

Mittwoch, 24. Februar 2021

Meine Lieblingsfilme 2020 (Teil II)

 was bisher geschah ... 

Bevor ich euch die Plätze 30 bis 21 meiner Lieblingsfilme aus dem Jahr 2020 präsentiere, möchte ich euch noch ein wenig auf die Folter spannen, indem ich ein par Ehrennennungen tätige. Dies sind ein paar der Filme, die es fast in die Tops geschafft hätten: Das Beziehungsdrama Was wir wollten, in dem Elyas M'Barek und Lavinia Wilson mit Worten und Körpersprache den kinderreichen Urlaub eines kinderlosen Paares gefühlvoll aufbereiten. Togo, ein spannendes Disney+-Original, das Erinnerungen an Disney-Abenteuerdramen wie Iron Will und Wolfsblut erweckt. Die launige Musikkomödie Eurovision Song Contest: The Story of Fire Saga, deren Charme ich erst beim zweiten Mal so richtig zu spüren bekam, und die mit dem großen Partymedley und einer goldigst aufgelegten Rachel McAdams punktet. Das sehr atmosphärische deutsche Drama Der Geburtstag, dessen Kameraarbeit preiswürdig ist! Und der blutige polnische Krimi Plagi Breslau, der zwischendrin leider auf Autopilot schaltet, in seinen extremeren Momenten aber sehr schön tabulos ist.

Und nun, ohne weitere Ausschweifungen, die nächsten Tops!

Platz 30: Der Schacht (Regie: Galder Gaztelu-Urrutia)

Manche bezeichnen Der Schacht als "Snowpiercer, aber vertikal" und meinen das als Beleidigung. Das finde ich unverschämt. Schließlich ist das doch ein ziemliches Qualitätskriterium, zumal Galder Gaztelu-Urrutia ja nicht dreist klaut, sondern schlicht mit einer ähnlichen Mentalität operiert: Einmal Gesellschafts- und Wirtschaftssystemkritik, völlig unsubtil mit dem Vorschlaghammer gekonnt auf uns eingedroschen. Das Konzept dessen, wie Der Schacht die Unsinnigkeit des "Trickle-Down"-Wirtschaftsirrglaubens ins Absurde überführt, und nicht allein das kaputte System, sondern auch diejenigen, die daran festhalten, in Gefangenschaft nimmt, ist mit verständlicher Wut, nachvollziehbarer Angewidertheit und innerhalb der Logik dieser Metapher auch völlig konsequent durchgezogen. Es fehlt etwas von der Tragik und der stolz umgesetzten Schrägheit eines Snowpiercer, daher ist dies im Wettstreit der zwei oft verglichenen Filme der für mich schwächere, dennoch hätte ich Der Schacht mehr Standfestigkeit in der breiten Wahrnehmung gegönnt als den bloßen, kurzen "Erschien früh während der Pandemiemaßnahmen und daher haben ihn viele entdeckt, kurz gehyped und dann vergessen"-Rausch, den er erhalten hat.

Platz 29: Prom (Regie: Ryan Murphy)

Ryan Murphy ist in den Kreisen der Film- und Serienverliebten nicht unumstritten. Das ist für mich insofern nachvollziehbar, als dass die Qualität seiner Projekte massiv schwanken kann. Von solchem Elend wie American Horror Story: Apokalypse bis hin zu solchen unterschätzten Glanzleistungen wie Hollywood kann alles dabei sein. Nach der ernüchternden Einer flog über das Kuckucksnest-Prequelserie Ratched stand es bei neueren Murphy-Produktionen bei mir erstmal 1:1, doch dann konnte sein Musical Prom bei mir die Ryan-Murphy-Statistik 2020 ins Positive kippen: Als hätte jemand Kenny Ortega endlich mal wieder ein sattes Budget gegeben, lässt Prom seine campige Flagge stolz wehen und vermischt aufmunternde Gute-Laune-Coming-Out-Emotionalität mit massiver Selbstironie. Meryl Streeps Song darüber, wie toll sie ist, ist sehr lustig, ihre Chemie mit Keegan-Michael Key ist charmant, Nicole Kidman punktet endlich mal wieder in einem leichteren Stoff, und Jo Ellen Pellman ist wunderbar als das Schulmädchen, das an seiner Schule wegen seiner Orientierung gechasst wird. Kameramann Matthew Libatique kreiert glänzende Farbwelten und James Corden fällt nicht negativ auf.

Platz 28: Giant Little Ones (Regie: Keith Behrman)

Premiere: 2018 auf dem Toronto International Film Festival. US-Kinostart: 2019. In Deutschland im Frühling 2020 als DVD-Start verfügbar gemacht, und Ende 2020 bei Amazon Prime relativ prominent positioniert. Und noch immer weitestgehend unbekannt: Keith Behrmans Drama über einen Jugendlichen, der seine sexuelle Identität entdeckt (oder wenigstens intensiv über sie nachgrübelt), hat noch immer keine hörbare Lobby im Filmdiskurs. Was für ein Jammer! Denn Hauptdarsteller Josh Wiggins spielt den schüchternen Schüler und Schwimmsportler Franky, der sich nicht traut, mit seiner Freundin das erste Mal zu vollziehen, und durch ein volltrunkenes Abenteuer mit seinem besten Freund ins Grübeln gerät, sehr bestechend:


Ruhig, in sich gekehrt, nachdenklich und mit vielen pubertären Widerhaken. Er muckt Klischees raunzend gegen seinen homosexuellen Vater auf, während er selbst unter dem homophoben Mobbing leidet, das sein brutal selbstverleugnende Nun-nicht-mehr-Kumpel anstachelt. Wiggins vereint diese Widersprüche, die Frankys Selbstfindungsprozess begleiten, durch ein filigranes Spiel, und wie Regisseur/Autor Behrman Franky während dieses Prozesses neue Erkenntnisse über sein Umfeld machen lässt, rundet dieses Drama sehr gut ab: Sei es, dass sich Mouse (Niamh Wilson) ihm gegenüber offener zeigt, oder er endlich hinterfragt, wie der Rest seine Schule über Natasha (berührend: Taylor Hickson) denkt, der abfällige Gerüchte nachhängen, obwohl da eine ganz, ganz andere Geschichte hinter steckt ... All dies führt nicht nur Frankys Geschichte voran, sondern gibt Giant Little Ones auch plausible Gründe, andere Selbstentdeckungsstorys zu erzählen.

Platz 27: Monsieur Killerstyle (Regie: Quentin Dupieux)

Manchmal dauert es eben leider länger: Ich habe Deerskin bereits 2019 im Kino sehen dürfen, und zwar im Rahmen des Filmfestival Cologne. 2020 bekam die Quentin-Dupieux-Regiearbeit dann ihre reguläre Auswertung in unseren Breitengraden. Und anders als Die Wache wurde der satirische Fashion-Grusel sogar auf Blu-ray veröffentlicht. Dafür muss man einen dämlichen, neuen Titel schlucken. In Monsieur Killerstyle (*augenroll*) beschafft sich ein frisch getrennter, dusseliger Kerl mit Hang zum spontanen Flunkern (hervorragend: Jean Dujardin) eine altmodische Wildlederjacke. Und findet sich daher saucool. So megasaucool, dass er alle anderen Jacken aus dem Verkehr ziehen will. Weil die Jacke es ihm sagt. Oder er ziemlich fragil ist, entscheidet selbst. Trockener Humor, wissentlich-alberne Auswüchse des Plots und Adèle Haenel als unwissende (?!) Mithelferin des immer weiter den Bezug zur Realität verlierenden Protagonisten, machen dies zu einem vergleichsweise ruhigen, aber auch vergleichsweise bösen Dupieux-Vergnügen. 

Platz 26: Fried Barry (Regie: Ryan Kruger)

Barry ist ein alkoholsüchtiger Niemand, der seiner Familie nicht ausreichend Liebe zukommen lässt und viel zu oft in seine Stammkneipe flieht. Eines Tages entführen ihn Aliens, zuuuuuufälligerweise kurz nachdem er eine extra harte Droge probiert hat. (Oder: Er ist auf einem so harten Trip, dass er denkt, dass er entführt wurde.) Nun ist Barry nicht mehr in der Lage, richtig zu sprechen. Aber er ist nun auch eine nimmermüde, wenngleich lethargische Partymaschine: Regisseur Ryan Kruger entführt uns in Fried Barry auf einen ellenlangen Trip durch die ranzigsten Slums und leergefegtesten Clubs, bei dem wir ständig an Barrys Fersen haften, der mit durchgekokeltem Verstand jede Situation nimmt, wie sie kommt ... und ab und zu die seltsamsten, witzigsten oder verstörendsten Halluzination erlebt. Und gelegentlich Gutes tut, ohne dass man sich ganz klar sein kann, wie bewusst er sich dessen ist. Ein staubiger, siffiger, schräger Film, der leider wahlweise ein paar Minuten zu lang geht oder ein paar Minuten zu kurz ist, und dessen Rückgriffe auf gallige Schwulen-Stereotypen mir nicht passen (ich denke, es soll Barrys Milieu kritisch darstellen, kommt aber ganz anders rüber). ABER: Für die durchgeknallte Grundidee, die schrillen inszenatorischen Auswüchse zwischendurch, und die atemlose Konsequenz, mit der der Film sein Ding durchzieht, komm ich nicht umhin, ihn in meine Top 30 zu packen! Wie gesagt, ich hätte mir nur ein anderes Ende gewünscht ... Böser oder schräger, nicht aber diesen Kompromiss, den Fried Barry geht.

Platz 25: Ma Rainey's Black Bottom (Regie: George C. Wolfe)

Wenn bei der Aufnahme einer Jazzplatte alle Hemmungen fallen: Dieser Kammerspiel-Streitfilm auf Basis eines Thaterstücks von August Wilson lässt dickköpfige Persönlichkeiten über schwarzen Stolz, die Verpflichtungen sich selbst gegenüber und der Community, künstlerische Integrität und (vertane) Chancen streiten. Wolfe fängt das beengte Setting effizient ein und lässt den Cast glänzen, insbesondere Viola Davis und den viel zu früh verstorbenen Chadwick Boseman. Stark!

Platz 24: Swallow (Regie: Carlo Mirabella-Davis)

Hayley Bennett spielt in Swallow eine junge, verheiratete Frau und werdende Mutter, die unentwegt ihre Würde runterschluckt: Sie lässt sich von ihrem Mann herumkommandieren und kritisieren, ihre Schwiegereltern kommen niemals vom hohen Ross runter und die Freunde ihres Gatten sind alles andere als astrein. Als diese Frau, die obendrein eine äußerst unschöne Familienvorgeschichte hat, in einer Art gläsernen Palast von einem Käfig gelangweilt und eingesperrt vor sich hinlebt, entwickelt sie eine Neurose und schluckt spitze und/oder große, unverdauliche Dinge ... 

Davon ausgehend entwickelt sich Swalllow zu einem klugen, berührenden Drama über eine Frau, die sich freikämpft. Betörend inszeniert und so geschrieben, dass die ungesagten Dinge oft mehr schmerzen als die gesagten: Swallow ist sehr sehenswert und macht große Hoffnungen, dass Bennett öfter solche Rollen annimmt, denn hier ist sie wirklich herausragend.

Platz 23: Black is King (Regie: Beyoncé, Blitz the Ambassador, Ibra Ake, Emmanuel Adjei und Kwasi Fordjour)

"Disney macht auch nur noch Big-Budget-Popcornkino", ist so ein ernüchterndes Statement. Ignorieren Leute, die das behaupten, doch Filme wie Togo. Oder halt so etwas wie Black is King, das völlig ungerechtfertigt total untergegangen ist: Ein 85-minütiger Farbtrip, der auf assoziative Weise (mit Einflüssen aus Mythologien, Sci-Fi und urbaner Musikkultur) sehr frei Der König der Löwen neuinterpretiert und mit berauschender Exzentrik Black Pride und Black Heritage zelebriert? Ohja, der Mainstream und Popcornrumel schlechthin ... Die sporadischen Soundschnipsel aus Jon Favreaus Der König der Löwen-Remake hätte es wahrlich nicht gebraucht, weil sie in unregelmäßigen Abständen die Eigenwilligkeit und Eigenständigkeit von Black is King stören, und leider ist Beyoncé, die den Soundtrack beisteuerte, einfach nicht auf meiner musikalischen Wellenlänge. Daher bleibt Black is King in meiner herzgesteuerten Hitliste ein wenig hinter den Möglichkeiten. In einer kopfgesteuerten, auch expliziter an ein Publikum gerichteten Liste "Welche Filme würde ich in den Kanon 2020 aufnehmen" wäre er aber nochmal deutlich höher. Das nun bei Seite: Auf jeden Fall ist dieses außergewöhnliche Projekt überaus denkwürdig, verdient sehr viel mehr Beachtung und eine regelrecht hypnotische Erfahrung. Unbedingt nachholen!

Platz 22: Die Misswahl (Regie: Philippa Lowthorpe)

Angelehnt an wahre Ereignisse, erzählt Die Misswahl überraschend nuanciert, aufmunternd und anregend von einem Frauenprotest während der Miss-World-Wahl 1970. In dieser Dramödie sehen wir die Historikerin Sally Alexander (Keira Knightley), die Feminismus der Denkschule "Wir müssen uns einen Platz am Tisch erkämpfen, um von dort aus Gleichberechtigung zu erkämpfen" betreibt, wie sie sich angesichts der Miss-World-Wahl-Veranstaltung einer linken Aktivistinnengruppe anschließt, die mehr nach dem Motto "Wir müssen den Männer-Stammtisch abfackeln, sonst erreichen wir nie etwas" handelt. Gemeinsam wollen sie ein Zeichen gegen die Objektifizierung von Frauen und das Kreieren einer beengten Normschönheit setzen. Innerhalb des Miss-World-Teilnehmerinnenfelds wiederum lernen wir Frauen kennen, die diesen Wettbewerb als Chance sehen, um durch Bekanntheit oder gar das Preisgeld endlich aus einer benachteiligten Position auszubrechen und/oder für Repräsentation und somit Inspiration zu sorgen.


In Philippa Lowthorpes Film treffen somit mehrere Ansätze aufeinander, die gegensätzlich sind, obwohl sie dasselbe Ziel (eine bessere Welt für Frauen) verfolgen. All das wird nicht in schwerfälliger Pädagogik formuliert, stattdessen lässt Lowthorpe ihre Figuren ihre Denkschulen und Motivationen ausleben, und durch dieses Tun, sowie durch den pointiert gezeigten Kontext, werden wir im Publikum zum Denken und Abwägen angeregt. Das spornt an, ist dank Lowthorpes leichtgängige, aber nie das Thema klein haltende Inszenierung sehr unterhaltsam, und macht im besten Sinne wütend!

Platz 21: Hamilton (Regie: Thomas Kail)

Lin-Manuel Mirandas Musical-Sensationserfolg, nun auch in Form bewegter Bilder: Drei Hamilton-Vorführungen und eine Handvoll an "Pick-up-Shots" verschmelzen zu einer filmischen Wiedergabe der Broadway-Fassung des popkulturellen Phänomens aus dem Jahr 2015. Kails Regieführung ist effektiv, fällt aber auch etwas zwischen zwei Stühle: Teils sind die inszenatorischen Entscheidungen so zurückhaltend, dass das hier nah an einem simplen "Konzertmitschnitt" erinnert, teils dann doch wieder so filmisch-prägnant, dass es eher ein "Konzertfilm" ist. Daher wohl auch die anhaltende Debatte, ob Hamilton als Film zu betrachten ist oder nicht. Für mich ist es ganz klar ein Film, so wie auch Shine a LightRammstein: Paris oder Hans Zimmer Live Filme sind. Wenngleich Kail hinter den Möglichkeiten, Hamilton zu filmen, gelegentlich zurückbleibt. Dessen ungeachtet: Mirandas Rap-Revisionismus der Alexander-Hamilton-Biografie ist eine mitreißende Geschichte über Passion, Besessenheit und Verbissenheit, sowie ein Umwuchten dessen, wer die US-Geschichte mitschreibt. Aber das wisst ihr alle sicher eh schon.

Fortsetzung folgt ... 

Freitag, 7. Februar 2020

Meine Lieblingsfilme 2019 (Teil IV)

zurück zu Teil III

Ihr wisst, wie es nun abläuft: Bevor ich die nächsten zehn Ränge in meiner Hitliste präsentiere, halte ich euch noch ein wenig hin, um Raum zu schaffen für Ehrennennungen, also für Filme, die es nur ganz knapp nicht in das Ranking geschafft haben. Da wäre die von Seth Rogen produzierte, schmissige Teenie-Komödie Good Boys über minderjährige Freunde, die frisch die Liebe entdecken sowie  das Tabuthema Sex, von dem sie jedoch denkbar wenig Ahnung haben ("Du weißt doch gar nicht, was Nymphomanin bedeutet!" -"Doch! Sie hat Sex an Land und im Wasser!"). Außerdem hatte ich immens große Freude an Dora und die goldene Stadt, eine mit Selbstironie und Metaspäßen befeuerte Abenteuerkomödie, die nur noch einen winzigen Hauch überdrehter hätte sein dürfen. Das Gegenteil der optimistischen und frohen Dora ist die Hauptfigur in Systemsprenger. Das Drama über einen Quälgeist von einem Problemkind ist aufrüttelnd, stark gespielt und intensiv - setzt aber auf einen seichten Prolog, der die Kraft dieses Films verwässert. Sonst würden wir hier wohl von einem Top-Ten-Kandidaten sprechen. Und auch The Hate U Give ist als Film über systematischen Rassismus eine Wucht, die gen Schluss aber aufrüttelnden Zorn gegen etwas Deeskalation eintauscht. Das kann ich angesichts des jungen Zielpublikums verstehen, trotzdem reicht's so "nur" für die Ehrennennung.

Deutlich weniger zu klagen habe ich derweil bei diesen Filmen ...

Platz 20: Der goldene Handschuh (Regie: Fatih Akin)

Ein Serienkiller-Film, vollkommen frei von Glorifizierung und Entschuldigungstaktiken: Fatih Akin zeigt in Der goldene Handschuh das zugequarzte, versiffte Hamburger Kiezmilieu, in dem sich ein alkoholsüchtiger, dauerunzufriedener Typ an Frauen vergeht und sie (oft in Momenten eigener Impotenz) quält sowie anschließend ermordet. Akin deutet die Schreckenstaten visuell nur an, nutzt Geräuschkulissen und visuelle Gegenüberstellungen, um stattdessen ein brutales, niederschmetterndes Kino im Kopf des Publikums zu erzeugen. Jonas Dassler verschwindet völlig in der Figur Fritz Honka und die Nebendarstellerinnen sind unbeschreiblich gut: Manche verkörpern Frauen, die sich aufgegeben haben und deren Seelen scheinbar deren Körper verlassen, damit sie in Schockstarre Honkas Taten leichter überstehen, als würden sie noch voll da sein. In anderen brodelt es, dass es einem unter die Haut geht. Erschreckend detailreiche Nachbildungen der realen Schauplätze und bewusst gesetzte Lücken in Erzählung und Dialogen machen Der goldene Handschuh zu einem Film, der sich ins Gedächtnis brennt. Sehr starke Sache!

Platz 19: Dolemite Is My Name (Regie: Craig Brewer)

Nach "Ein passionierter Stümper dreht Filme und meint es wirklich gut" alias Ed Wood und "Ein völlig weltfremder Kerl mit Illusionen und Ego fabriziert totalen Müll, aber es ist irgendwie faszinierend" alias The Disaster Artist wird die thematische Trilogie an Filmen über reale, planlose Filmschaffende, die Kultwerke erschaffen haben, endlich komplett: Dolemite Is My Name erzählt vom erfolglosen Musikkünstler Rudy Ray Moore, der sich in den 1970ern letztlich als Vulgärkomiker versucht und mit seiner rotzig-ehrlichen Attitüde und seinem "Ein Anfänger, der es wissen will"-Charme zum Star wird. Auf der Höhe seiner Comedykarriere beschließt er, auch Filme zu drehen - obwohl kaum Profis mit ihm zu tun haben wollen und er selber null Ahnung vom Prozess hat. Dafür aber hat er umso mehr Passion und Wissen darüber, was sein Zielpublikum will. Eddie Murphy spielt so packend, charmant und komplex wie seit vielen Jahren nicht mehr, Regisseur Craig Brewer findet eine scheinbar mühelose Balance zwischen Witz, Dramatik und Zeitkolorit (die 70er und die schwarze Subkultur jener Zeit strahlen geradezu aus dem Film heraus) und die Nebenfiguren sind allesamt toll gespielt. Dass Rudy Ray Moore bei aller Derbheit eine deutlich liebenswertere Figur ist als Tommy Wiseau in The Disaster Artist und Dolemite Is My Name ebenso Kritiker einen Seitenhieb verpasst (eine besonders denkwürdige Szene zeigt den Unterschied zwischen annehmbaren und verletzenden Verrissen) als auch Spaß dran hat, Moores Macken wohlwollend vorzuführen, sorgt für weitere Sympathiepunkte.

Platz 18: 6 Underground (Regie: Michael Bay)

Was passiert, wenn ein Regisseur mit markantem Stil und einer durch zig Interviews bestens dokumentierten Liebe für die große Kinoleinwand von Netflix ein dreistelliges Millionenbudget in die Hand gedrückt bekommt und sich der Video-on-Demand-Dienst weitestgehend aus dem kreativen Prozess heraushält? Nun, offenbar erhält man dann dieses Glanzstück kinetischer Filmenergie: Michael Bays 6 Underground ist eine wuchtige, ruhelose Reise tief in die Bay-Ästhetik. Selbst bei ruhigen, intimen Gesprächen räkeln sich Damen in supermodischer Unterwäsche, als wären sie in einem Dessous-Werbespot. Auch die Herren werden athletisch in Szene gesetzt, als würden sie für Körperpflege werben, obwohl sie gerade einfach nur nachdenken. Die Actionszenen sind turbulent, überbordend, extrem kreativ und wann immer man denkt "Aha, ja, jede Menge Materialschaden, aber sonst nichts" knallt Michael Bay einem eine feierlich zelebrierte Gewaltspitze um die Ohren. Die Wetterumstände in der Filmwelt, der bestehende Schaden an Geräten und Gefährten, die Erzählstruktur, alles beugt sich Michael Bays ästhetischem Empfinden und seiner Adrenalinsucht. Kommt halt eine Rückblende auf eine Actionszene mitten in einer Actionszene! Sieht eine Trauerfeier halt aus wie ein Rumgetränk-Werbespot. Was soll's, es macht Spaß, es ist pure Stilistik, es ist die freie künstlerische Entfaltung eines Regisseurs mit dicker, fetter Handschrift. Und es ist Krachbumm-Action-Destillat voller loser Sprüche und großer Bilder. Arroganz rausoperieren lassen und genießen, Leute!
Platz 17: Beach Bum (Regie: Harmony Korine)

Ein ständig zugedröhnter Lebemann und Liebling seiner Heimatstadt irrt vollgesoffen, zugedröhnt und Party machend durch sein Leben. Es passieren ständig schlimme Dinge, Mann, aber, hey, so ist das Leben und ich hab gehört, da drüben wird heute richtig toll gefeiert, lass mal hingehen ... Harmony Korine verewigt im unter anderem von Hulu (und somit von Disney, oh Schreck!) gestützten Beach Bum das Lebensgefühl dieser Leute, von denen wir alle schon gehört haben oder die wir sogar kennen: Easy going, immer gut drauf, ganz gleich was passiert, hach, schau mal, der Himmel hat heut so schöne Farben und, ach, es gibt Drinks?!

Wenn Matthew McConaughey jemals erfährt, dass er hier mitgespielt hat, er wird sehr stolz auf diesen Film sein!


Platz 16: Dragged Across Concrete (Regie: S. Craig Zahler)

Zwei ungleiche Cops, die sich zwar häufig necken, aber dennoch ein starkes Team ergeben, haben im Dienst mal wieder die Regeln missachtet. Natürlich nur zum Wohle der Sicherheit, schwören sie! Und dennoch will ihr Vorgesetzter nichts davon hören. Also wird das Duo, das ein Lieblings-Diner hat, ein festes Menü und immer ein paar freche Sprüche im Ärmel, suspendiert. Aber was ist schon eine Suspendierung, wenn die Pflicht ruft? Also nehmen unsere Helden das Recht selber in die Hand und jagen Gangstern sowie deren Beute hinterher, selbst wenn dabei so manches zu Bruch geht ...

Was wie der neuste Film klingt, der aus demselben Holz geschnitzt ist wie die Bad Boys-Reihe, die Lethal Weapon-Saga, die Rush Hour-Trilogie oder (in Teilen) die Beverly Hills Cop-Filme, ist in Wahrheit eine ungeheuerlich beobachtungsstarke, kompromisslose sowie stringente Dekonstruktion von Buddy-Cop-Filmen. Praktisch jede Szene in Dragged Across Concrete lässt sich untertiteln mit "Erinnerst du dich an diese typische Sache aus den ganzen Polizeifilmen? Sag mal, hast du das je kritisch hinterfragt? Willst du mal wissen, wie das im echten Leben wäre?": Zwei alte, aggressive, zerknautschte Männer schimpfen im Diner über den Service und die Musik von heute. Cool? Nein, grantig! Zwei Cops machen Verdächtige mit unnötiger Härte dingfest. Geiler Scheiß? Vielleicht in Michael-Bay-Hausen, aber nicht in der echten Welt oder in Dragged Across Concrete. Zwei Cops observieren Verdächtige und mampfen dabei im Auto, während sie sich gegenseitig Sprüche über ihre jeweiligen Gewohnheiten reinwürgen? Zeit, sich bestens amüsiert sein Popcorn reinzuschmeißen? Ähhhh, nein! Dragged Across Concrete ist ein schlauer, gewollt-karger Gegenentwurf zu einem immens beliebten Action-Subgenre und obendrein bespickt mit harten, stark inszenierten Gewaltspitzen und einer sehr leise brodelnden Spannungskurve.

Platz 15: Wir (Regie: Jordan Peele)

Ein Horror-Regisseur legt nach seinem gefeierten Debüt ein ebenfalls sehr ambitioniertes, zweites Horrorprojekt nach, das mir persönlich deutlich mehr zusagt als der Vorgänger - Part III: Get Out mag ein sehr smarter Film sein, der viel auszusagen hat und randvoll mit Referenzen, Seitenhieben und Metaphern ist. Doch aufgrund eines zentralen Storyelements hat er mich auf der Spannungsebene verloren. Ich habe Respekt für Get Out über, aber für Jordan Peeles zweite Regiearbeit habe ich jede Menge Liebe über: Wir ist eine atmosphärisch dichte, vor Ideen nur so trotzende Horror-Analogie, in der eine Familie auf Doppelgänger trifft, womit sich die Schleusentoren für gesellschaftlichen und popkulturellen Kommentar öffnen. Davon ausgehend gibt Lupita Nyong'o eine Performance für die Horrorfilm-Geschichtsbücher, Winston Duke eine herrlich charmante Darbietung als der liebe, etwas peinliche Familienvater und auch ihre Filmkinder sowie ihre Film-Nachbarin Elisabeth Moss hauen tolle Leistungen raus. Peele erschafft eindrucksvolle Bilder, Michael Abels' Score ist bitter-schön und das Storytelling fies-elegant eingefädelt. Spitze!

Platz 14: Unicorn Store (Regie: Brie Larson)

Brie Larsons Unicorn Store ist womöglich so etwas wie Garden State für eine neue Generation an Nicht-ganz-Junggebliebenen-nicht-ganz-Erwachsenen: Diese bezaubernde, mit nachdenklichen und kummervollen Zwischentönen versehene Coming-of-Age/Coming-to-Sense-Dramödie handelt von einer Frau irgendwann in ihren 20ern, die eigentlich Künstlerin werden will. Doch da es mit ihrem Kunststudium nicht so ganz klappt, crasht sie vorübergehend bei ihren Eltern, zu denen sie ein wackliges Verhältnis hat. Einerseits drängen sie die kreative und ungebundene Kit in Richtungen, die nicht zu ihr passen, andererseits sind sie sehr wohlmeinend und unterstützend, was aber völlig an ihr vorbeigeht. Als Kit von einer Zeitarbeitsfirma in einer PR-Agentur geparkt wird, begegnet die naive Kit einem Sexismus und Konkurrenzkampf, der ihr bisher fremd blieb. Als dann ein Einzelhänder Kit Hoffnungen darauf macht, sich einen Kindheitstraum erfüllen zu können und ein Einhorn zu erhalten, muss Kit entscheiden: Wie geht sie mit berechtigtem und unberechtigtem Druck auf sie um?

Brie Larsons Regiedebüt tänzelt einen wunderschönen tonalen Tanz, zwischen magischem Realismus, quirliger Selbstfindung und trocken-treffsicherer Kommentare auf unnötige, tief verwurzelte Fehlstellungen. Sowohl in der Gesellschaft auch in der Mentalität frustrierter Spät-Millennials ... Larson und Samuel L. Jackson spielen super auf und ich kann Larsons nächsten Film nicht abwarten!

Platz 13: Colette (Regie: Wash Westmoreland)

Dieser auf wahren Begebenheiten basierende Mix aus Kostümdrama, Romantik-Dramödie, Kreativen-Porträt und Emanzipations-Kino handelt von Gabrielle-Sidonie Colette, die durch die Hochzeit mit einem Literatur- und Theaterkünstler von der französischen Provinz ins pulsierende Paris des späten 19. Jahrhunderts gelangt. Eingangs als Ghostwriterin für niedrige Aufgaben in der Schreibkunst-Fabrik ihres Gatten tätig, will sich Colette mehr und mehr selber verwirklichen. Teils ist ihr Mann für die Umstände und Konventionen jener Zeit unterstützend, in anderen Situationen ist er aber ein lästiger, rückschrittlicher Miesepeter. Was Regisseur Wash Westmoreland piefig und zurückhaltend inszeniert beginnt, entfaltet sich nach und nach wie die von Keira Knigthley eindrucksvoll gespielte Hauptfigur und wird zum amüsant-inspirierenden, queeren Lustspiel, zur energischen Gesellschaftskritik und zur hoch eloquenten, kecken Dramödie über eine Künstlerin, die vorausdenkt. Bildhübsch ausgestattet und mit punktgenauen Performances von Dominic West, Eleanor Tomlinson, Denise Gough und Aiysha Hart im erweiterten Cast ist Colette Historienkino, das bei mir sehr bleibenden Eindruck hinterlassen hat.

Platz 12: Plötzlich Familie (Regie: Sean Anders)

Die gelungenen Teile von Daddy's Home treffen auf den Mix aus Derbheit und verstecktem Hintersinn der Bad Neighbors-Filme, und dann wird all das mit einer extrem überraschenden, mich völlig um den Finger wickelnden Herzlichkeit versehen: Plötzlich Familie ist womöglich die Überraschung meines Filmjahres 2019. Es war einer der ersten Filme 2019, die ich gesehen habe. Die Pressevorführung fand im Doppel mit Chaos im Netz statt, und nachdem ich höchst zufrieden aus dem Disney-Animationssequel rausgekommen bin, hat mich Plötzlich Familie dann völlig umgehauen. Die von Adoptionserfahrungen des Regisseurs und Co-Autors Sean Anders inspirierte Dramödie hat es geschafft, selbst mich in Sachen "Guck mal, eine glückliche Familie! Na los, sei gerührt!"-Filmstoff eher sarkastisch veranlagten Typen dahinschmelzen zu lassen. Die Höhen, Tiefen und schwer einzuordnenden, halb-guten/halb-schlechten Stationen im abrupten Elternleben von Pete und Ellie Wagner sind rührend, ohne zuckrig zu sein, dramatisch, ohne verkrampft zu wirken, und herrlich-komisch, ohne die verfahrene Situation dieser Chaos-Familie zu vereinfachen. Kauzige Nebenfiguren, Mark Wahlberg, der in komischen Rollen mit strengen Zwischenphasen einfach so viel besser ist als in verbissenen Parts, eine herrliche Rose Byrne, die Witz, Empathie und Selbstmitleid mit Leichtigkeit unter einen Hut bringt, und Isabela "Aus der wird noch was ganz was großes" Moner machen Plötzlich Familie zu einem formidablen Vertreter der Filmgattung "Kuscheldeckenkino". Hach ...

Platz 11: Marriage Story (Regie: Noah Baumbach)

Scarlett Johansson ist in vielen filmischen Bereichen bewandert, doch sie ist eine Meisterin in Sachen Beziehungskummer-Geschichten. Erst spielte Scarlett Johansson in Sofia Coppolas filmgewordener Verarbeitung ihrer zerrütteten Beziehung mit Spike Jonze mit. Zehn Jahre nach Lost in Translation half sie sozusagen der Gegenseite aus und wirkte an Spike Jonzes Her mit, in dem der Regisseur seine in die Brüche gegangene Ehe mit Sofia Coppola verarbeitete. Und 2019 machte Johansson aus ihrer thematischen Dilogie eine Trilogie: In Marriage Story verarbeitet Regisseur und Autor Noah Baumbach (unter anderem) seine Scheidung von Schauspielerin Jennifer Jason Leigh. Und einmal mehr läuft Johansson zu Höchstform auf. Doch auch ihr Film-Partner Adam Driver begeistert mit einer mal verletzlichen, mal widerstandsfähigen, mal vernünftigen, mal naiven Persönlichkeit. Laura Dern fesselt als abgezockte Vollprofi-Scheidungsanwältin und Azhy Robertson ist als gemeinsamer Sohn des sich trennenden Paares mein Anwärter als "Heimlicher Spitzen-Unsympath des Jahres". Aber im guten, den Film bereichernden Sinne! Marriage Story ist überraschend gewitzt, dennoch ungeschönt und eine hervorragend gespielte, minutiös geschriebene und mit scharfem Auge, scheinbar beiläufig inszenierte Trennungsgeschichte, in der es weniger um den Zerfall einer Ehe geht, als um das Bewahren dessen, was zu retten ist. Intensiv, dennoch mit gewinnender Leichtfüßigkeit umgesetzt, und voller einprägsamer Szenen - ich kann es kaum abwarten, dass Scarlett Johansson eines Tages in Jennifer Jason Leighs Antwort auf Marriage Story mitspielt!