Es ist wieder "Hinterher werden alle Gewinner:innen sowas von offensichtlich sein"-Zeit!
Bester Animationsfilm
Guillermo del Toro's Pinocchio
Das Seeungeheuer
Marcell the Shell with Shoes On
Der gestiefelte Kater: Der letzte Wunsch
Rot
Auch wenn Der gestiefelte Kater: Der letzte Wunsch seit Ende Dezember kontinuierlich neue Fans gewinnt und beispielsweise der Held des filmaffinen Internets ist (zweitbestbewerteter Film des Jahres 2022 bei Letterboxd): Ich denke, dass es hier keinen Weg gibt, der an Pinocchio vorbeiführt. Dafür ist sein Ansehen in der Filmbranche zu gut, sind seine Besprechungen in der Breite zu positiv, ist del Toros Anziehungskraft innerhalb der Academy zu groß.
Und auch wenn mein Herz etwas lauter für den Kater schlägt: Es wäre ein verdienter Sieger.
Bestes adaptiertes Drehbuch
Im Westen nichts Neues, Edward Berger, Lesley Paterson & Ian Stokell
Top Gun: Maverick, Peter Craig, Ehren Kruger, Justin Marks, Eric Warren Singer & Christopher McQuarrie
Living, Kazuo Ishiguro
Glass Onion, Rian Johnson
Die Aussprache, Sarah Polley
Ich glaube, das Rennen wird sich zwischen Im Westen nichts Neues, der seit Wochen im englischsprachigen Raum ordentlich an Zugkraft zulegt, und Sarah Polleys wenig gesehene, aber viel bewunderte Romanadaption Die Aussprache entscheiden. Knapp sehe ich Polley vorne: Es ist die Kategorie, um dem Film etwas Liebe zukommen zu lassen, und vereint die Votingfraktion "Starke Dialoge" mit diejenigen, die eine starke Erzählstruktur würdigen.
Bestes Original-Drehbuch
Triangle of Sadness, Ruben Östlund
The Banshees of Inisherin, Martin McDonagh
Everything Everywhere All at Once, Daniel Kwan & Daniel Scheinert
Die Fabelmans, Steven Spielberg & Tony Kushner
Tár, Todd Field
Selbst in einem Jahr, in dem sich das Klima innerhalb der Filmindustrie nicht für die schräge Art von Everything Everywhere All at Once geöffnet hätte, wäre der Film hier ein Topkandidat. Dieses Jahr und nach den zahlreichen Auszeichnungen erst recht.
Beste Kamera
Im Westen nichts Neues, James Friend
Elvis, Mandy Walker
Empire of Light, Roger Deakins
Tár, Florian Hoffmeister
Bardo, die erfundene Chronik einer Handvoll Wahrheiten, Darius Khondji
Ich denke, das machen Im Westen nichts Neues, Elvis und Tár unter sich aus. Und tippe mal auf die hypnotische Sogkraft von Elvis.
Beste Kostüme
Babylon, Mary Zophres
Black Panther: Wakanda Forever, Ruth E. Carter
Elvis, Catherine Martin
Mrs. Harris und ein Kleid von Dior, Jenny Beavan
Everything Everywhere All at Once, Shirley Kurata
Der "Wow, das und das und das ikonische Outfit haben die aber sehr gut getroffen"-Effekt könnte Elvis zum Sieg bringen.
Bester Schnitt
The Banshees of Inisherin, Mikkel E.G. Nielsen
Tár, Monika Willi
Elvis, Jonathan Redmond & Matt Villa
Everything Everywhere All at Once, Paul Rogers
Top Gun: Maverick, Chris Lebenzon & Eddie Hamilton
Noch bevor sich abgezeichnet hat, dass Everything Everywhere All at Once von den großen Filmpreisen akzeptiert wird, meinte ich: Dieser Film müsste den Oscar für den besten Schnitt gewinnen. Ich werde diese Haltung jetzt nicht verraten, indem ich einen anderen als Sieger vorhersage.
Bestes Produktionsdesign
Avatar: The Way of Water, Dylan Cole, Ben Procter & Vanessa Cole
Babylon, Florencia Martin & Anthony Carlino
Elvis, Catherine Martin & Karen Murphy
Die Fabelmans, Rick Carter & Karen O'Hara
Im Westen nichts Neues, Christian M. Goldbreck, Ernestine Hipper
So viele detailreich ausstaffierte Sets in Babylon, kann das die generell spaltende Art des Films übertrumpfen?
Bester Dokumentarfilm
All that Breathes
All the Beauty and the Bloodshed
Fire of Love
A House Made of Splinters
Navalny
Die Doku-Sparte bringt mich regelmäßig zur Verzweiflung: Sage ich den vermeintlich sicheren Gewinnerfilm vorher, gewinnt eine Überraschung. Und umgekehrt. Für mich entscheidet es sich dieses Jahr zwischen Fire of Love (hervorragende Kritiken, wird für seine Bildgewalt und seine Emotionalität gefeiert, ist dank Disney+ leicht zugänglich und hatte somit viel Zeit, Buzz zu gewinnen) und All the Beauty and the Bloodshed (thematisch schwerer, aufwühlender und "wichtiger", spricht über die Relevanz von Medien). Ich gehe dieses Jahr auf "Relevanz" statt "Gefühl".
Bester Doku-Kurzfilm
Die Elefantenflüsterer
Haulout
How Do You Measure a Year?
The Martha Mitchell Effect
Stranger at the Gate
Meine Prognose: Die Horden an Walrössern ziehen die Aufmerksamkeit der Oscar-Stimmberechtigten auf sich.
Bester internationaler Film
Argentina, 1985, Argentinien
Im Westen nichts Neues, Deutschland
Close, Belgien
The Quiet Girl, Irland
EO, Polen
Pans Labyrinth verlor einst in dieser Kategorie gegen Das Leben der Anderen, obwohl del Toros Film auch in weiteren Sparten nominiert war. Es wäre also ausgleichende Gerechtigkeit, wenn dieses Mal ein vielfach nominierter deutscher Film den vermeintlich sicheren Oscar versäumt. Doch es wäre auch eine statistisch unweise Prognose. Müsste ich raten, wer in einer Wiederholung des 20 Jahre zurückliegenden Ereignisses dem Antikriegsfilm ein Schnippchen schlägt: Mein Gefühl sagt The Quiet Girl.
Bestes Makeup & Hairstyling
Im Westen nichts Neues
The Batman
Black Panther: Wakanda Forever
Elvis
The Whale
Die tollen Frisuren in Elvis (plus die zusätzlichen Pfunde an Austin Butler gen Ende) gegen die zusätzlichen Kilos on The Whale und Colin Farrell Verwandlung in The Batman. Oder zieht Im Westen nichts Neues mit seinem rundum großen Buzz davon? Nur das Marvel-Sequel erscheint mir hier trotz guter Arbeit eine unwahrscheinliche Wahl, und sage: Elvis hat einfach mehr Razzle Dazzle und gewinnt daher.
Beste Filmmusik
Babylon, Justin Hurwitz
The Banshees of Inisherin, Carter Burwell
Die Fabelmans, John Williams
Im Westen nichts Neues, Volker Bertelmann
Everything Everywhere All at Once, Son Lux
Eines Tages wird die Filmgeschichtsschreibung kollektiv den Kopf schütteln, weshalb Babylon bei den Oscars nicht mehr abgeräumt hat. Aber Justin Hurwitz' Ohrwürmer sind zu mitreißend, als dass sie ignoriert werden könnten.
Bester Song
Lift Me Up aus Black Panther: Wakanda Forever
This is a Life aus Everything Everywhere All at Once
Naatu Naatu aus RRR
Applause aus Tell It Like A Woman
Hold My Hand aus Top Gun: Maverick
Ich halte den Sieg von Naatu Naatu nicht für derart sicher, wie manche Kolleg:innen. Schließlich kommen zwar die Nominierungen aus der Musiksparte der Academy, während die gesamte Academy über den Sieg entscheidet. Und da rechne ich mit einigen, die RRR nicht gesehen haben und lieber diese Kategorie nutzen, um hier für einen favorisierten Film abzustimmen. Sollte sich hier also beispielsweise Top Gun: Maverick durchsetzen: Ich werde keine verwirrten Fragezeichen über dem Kopf haben. Dennoch: Mein Tipp geht gen Indien, weil sich die großen, ernst(er)en (Abspann-)Nummern gegenseitig auf den Füßen rumtreten.
Bester Animations-Kurzfilm
The Boy, the Mole, the Fox and the Horse
The Flying Sailor
My Year of Dicks
Ice Merchants
An Ostrich Told Me the World Is Fake and I Think I Believe It
Hoffentlich verleiht Riz Ahmed den Preis in dieser Kategorie, damit er diese Titel noch einmal vorlesen kann. Und obwohl die Trick-Kurzfilmkategorie seit vielen Jahren sehr mainstreamig ist und oft der niedlichste Nominierte gewinnt: Die stilistisch vielseitige, intim-ehrliche Coming-of-Sexual-Age-Geschichte My Year of Dicks wird gewinnen, so mein Gespür.
Bester Kurzfilm
An Irish Goodbye
Le Pupille
Nattrikken
The Red Suitcase
Ivalu
Indikatorpreise und "Es liegt Irland in der Luft" ergeben zusammen diese Prognose.
Bester Ton
Im Westen nichts Neues
Avatar: The Way of Water
The Batman
Elvis
Top Gun: Maverick
Top Gun: Maverick brachte die Kinos zum Beben und damit die Kassen zum Klingeln, nun ist es an der Zeit, dafür einen Oscar einzusacken.
Beste Effekte
Avatar: The Way of Water
Black Panther: Wakanda Forever
The Batman
Im Westen nichts Neues
Top Gun: Maverick
Es gewinnt nicht jedes Mal der teuerste Film, wie Ex_Machina bewiesen hat. Und nachdem monatelang fehlberichtet wurde, dass Top Gun: Maverick ja komplett praktisch gedreht wurde, könnte die Erkenntnis, wie viel hier top getrickst wurde, den Film an James Camerons Epos vorbeitragen.
Bester Nebendarsteller
Brendan Gleeson, The Banshees of Inisherin
Barry Keoghan, The Banshees of Inisherin
Ke Huy Quan, Everything Everywhere All at Once
Brian Tyree Henry, Causeway
Judd Hirsch, Die Fabelmans
Ke Huy Quan hat praktisch alles gewonnen, wofür er in den vergangenen Monaten nominiert wurde. Sehe diese Siegesserie nicht mehr abreißen.
Beste Nebendarstellerin
Kerry Condon, The Banshees of Inisherin
Jamie Lee Curtis, Everything Everywhere All at Once
Stephanie Hsu, Everything Everywhere All at Once
Hong Chau, The Whale
Angela Bassett, Black Panther: Wakanda Forever
Ich kann mir noch immer nicht vorstellen, dass Bassett für "Ein bisschen streng und traurig gucken in einem Marvel-Film" einen Oscar gewinnt, und tippe daher auf "Oh, eine Ikone in einem vielfach beachteten Film"-Gewinnerin Curtis.
Beste Hauptdarstellerin
Ana de Armas, Blonde
Michelle Yeoh, Everything Everywhere All at Once
Cate Blanchett, Tár
Michelle Williams, Die Fabelmans
Andrea Riseborough, To Leslie
Es entscheidet sich zwischen Yeoh und Blanchett, in beiden Fällen habe ich jetzt schon die Schnauze voll von den reißerischen Essays und Tweets am Folgetag, in beiden Fällen gewinnt eine starke Schauspielerin in einer großartigen Rolle. Aber ich sage hier Blanchett vorher, die einfach noch eine Spur magnetischer ist in ihrem Film (so jedenfalls meine Meinung) und weil dies die Kategorie ist, wo Academy-Mitglieder, die Tár mögen, am ehesten ihre Begeisterung kanalisieren werden.
Bester Hauptdarsteller
Paul Mescal, Aftersun
Colin Farrell, The Banshees of Inisherin
Austin Butler, Elvis
Bill Nighy, Living
Brendan Fraser, The Whale
Es ist fatal, auf die "Willkommen zurück"-Narrative reinzufallen, schließlich hat Mickey Rourke auch keinen Oscar für The Wrestler bekommen. Aber da alle Zeichen darauf deuten, dass beim Nebendarsteller sehr wohl diese Karte gespielt wird, tippe ich hier ebenfalls darauf, dass sich die Academy in einer sentimentalen Stimmung befindet.
Beste Regie
Ruben Östlund, Triangle of Sadness
Martin McDonagh, The Banshees of Inisherin
Daniel Kwan & Daniel Scheinert, Everything Everywhere All at Once
Steven Spielberg, Die Fabelmans
Todd Field, Tár
Wenn die Daniels diesen Oscar nicht gewinnen, wird "Bester Film" nochmal richtig spannend.
Bester Film
Im Westen nichts Neues
Avatar: The Way of Water
The Banshees of Inisherin
Elvis
Everything Everywhere All at Once
Die Fabelmans
Tár
Top Gun: Maverick
Die Aussprache
Triangle of Sadness
Wären die vielen Indikatorpreise nicht gewesen, ich würde denken, dass der Film "zu seltsam" für Branchenpreise ist, aber so langsam zieht das Argument nicht. Aber wenn ein Film Everything Everywhere All at Once ausstechen könnte, dann The Banshees of Inisherin.
Die Academy Awards bleiben auch in der Saison 2022/2023 ein undurchsichtiger Mischmasch aus offensichtlichen Antworten und Unberechenbarkeiten. Nach zwei stark von der Pandemie beeinflussten Jahren ist dieses Mal vor allem ein Element für meine Verwirrung zuständig: Zwiegespaltener Diskurs!
Babylon etwa hat zwar viele negative Kritiken und ein desaströses US-Einspielergebnis, doch diejenigen, die ihn lieben, lieben ihn. Sind genug Leute von diesem Schlag in der Academy, um ihm Nominierungen zu sichern? Top Gun: Maverick ist ein sehr gut gemachter, aber inhaltlich total normaler Action-Blockbuster - reicht das dieses Jahr aus, um die Academy in einen ähnlichen Taumel der Begeisterung zu versetzen wie die US-Presse, große Teile der internationalen Presse und das zahlende Publikum?
Everything Everywhere All at Once würde in jedem anderen Jahr als "zu schräg für die Academy" abgetan, aber reichte das monatelange Dauerfeuer an Hype seitens Filmfans und der Presse aus, um im Zusammenspiel mit der Verjüngung der Academy doch mehrere Nominierungen herbeizuwillen?
Egal, wie es kommt: Am Ende wird es heißen "war doch klar!" Babylon, Top Gun: Maverick und Everything Everywhere All at Once sind drin? "Klar, deren Fans sind doch so vehement!" Sie werden aus dem Rennen ausgeschlossen? "War doch klar: Zu kontrovers, zu tumb, zu schräg!"
Und was ist mit Die Fabelmans, einem Film, den viele als sichere Bank sahen, der in seinen ersten Schüben der Veröffentlichung auch viel und positiv diskutiert wurde, dann an den US-Kinokassen unterging und in der Industrie wenig besprochen wurde, bevor er gegen Ende der Nominierungs-Votingphase wieder an Fahrt zulegte, etwa durch die auf einmal wieder beachteten Golden Globes?
Ich bin sehr gespannt, was uns am Dienstag erwartet. Meine Vermutungen besagen, dass es folgendes Feld sein wird:
Bester Animationsfilm
Guillermo del Toro's Pinocchio
Der kleine Nick
Marcell the Shell with Shoes On
Der gestiefelte Kater: Der letzte Wunsch
Rot
Bestes adaptiertes Drehbuch
Im Westen nichts Neues, Edward Berger, Lesley Paterson & Ian Stokell
Glass Onion, Rian Johnson
Living, Kazuo Ishiguro
The Whale, Samuel D. Hunter
Die Aussprache, Sarah Polley
Bestes Original-Drehbuch
Aftersun, Charlotte Wells
The Banshees of Inisherin, Martin McDonagh
Everything Everywhere All at Once, Daniel Kwan & Daniel Scheinert
Die Fabelmans, Steven Spielberg & Tony Kushner
Tár, Todd Field
Beste Kamera
Im Westen nichts Neues, James Friend
Elvis, Mandy Walker
Empire of Light, Roger Deakins
Nope, Hoyte Van Hoytema
Top Gun: Maverick, Claudio Miranda
Beste Kostüme
Babylon, Mary Zophres
Black Panther: Wakanda Forever, Ruth E. Carter
Elvis, Catherine Martin
Mrs. Harris und ein Kleid von Dior, Jenny Beavan
The Woman King, Gersha Phillips
Bester Schnitt
Avatar: The Way of Water, David Brenner, James Cameron, John Refoua & Stephen E. Rivkin
Babylon, Tom Cross
Elvis, Jonathan Redmond & Matt Villa
Everything Everywhere All at Once, Paul Rogers
Top Gun: Maverick, Chris Lebenzon & Eddie Hamilton
Bestes Produktionsdesign
Avatar: The Way of Water, Dylan Cole, Ben Procter & Vanessa Cole
Babylon, Florencia Martin & Anthony Carlino
Elvis, Catherine Martin & Karen Murphy
Die Fabelmans, Rick Carter & Karen O'Hara
Glass Onion, Rick Heinrichs
Bester Dokumentarfilm
All that Breathes
All the Beauty and the Bloodshed
Fire of Love
Moonage Daydream
Navalny
Bester Doku-Kurzfilm
The Elephant Whisperers
The Flagmakers
Holding Moses
How Do You Measure a Year?
38 at the Garden
Bester internationaler Film
Argentina, 1985, Argentinien
Im Westen nichts Neues, Deutschland
Close, Belgien
Die Frau im Nebel, Südkorea
EO, Polen
Bestes Makeup & Hairstyling
Babylon
The Batman
Black Panther: Wakanda Forever
Elvis
The Whale
Beste Filmmusik
Babylon, Justin Hurwitz
The Banshees of Inisherin, Carter Burwell
Die Fabelmans, John Williams
Guillermo del Toro’s Pinocchio, Alexandre Desplat
Die Aussprache, Carter Burwell
Bester Song
Lift Me Up aus Black Panther: Wakanda Forever
Til You're Home aus Ein Mann namens Otto
Naatu Naatu aus RRR
Applause aus Tell It Like A Woman
Hold My Hand aus Top Gun: Maverick
Bester Animations-Kurzfilm
The Boy, the Mole, the Fox and the Horse
The Flying Sailor
My Year of Dicks
New Moon
An Ostrich Told Me the World Is Fake and I Think I Believe It
Bester Kurzfilm
An Irish Goodbye
Le Pupille
Nakam
The Red Suitcase
Warsha
Bester Ton
Im Westen nichts Neues
Avatar: The Way of Water
Babylon
Elvis
Top Gun: Maverick
Beste Effekte
Avatar: The Way of Water
The Batman
Doctor Strange in the Multiverse of Madness
Nope
Top Gun: Maverick
Bester Nebendarsteller
Brendan Gleeson, The Banshees of Inisherin
Barry Keoghan, The Banshees of Inisherin
Ke Huy Quan, Everything Everywhere All at Once
Paul Dano, Die Fabelmans
Eddie Redmayne, The Good Nurse
Beste Nebendarstellerin
Kerry Condon, The Banshees of Inisherin
Jamie Lee Curtis, Everything Everywhere All at Once
Stephanie Hsu, Everything Everywhere All at Once
Hong Chau, The Whale
Jessie Buckley, Die Aussprache
Spätestens durch ihren Globe-Gewinn und ihre Nominierung bei den SAG Awards nehmen immer mehr Oscar-Expert:innen Angela Bassett mit in ihre Prognose auf. Doch ich kann mir nicht helfen: Weder Black Panther noch Avengers || Endgame haben es geschafft, eine erste MCU-Schauspiel-Nominierung zu bewerkstelligen.
Also lässt sich sagen, dass die Academy in Sachen Schauspielwürdigung nicht an das MCU denkt, und ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Film, dessen Blockbusterbuzz von Avatar: The Way of Water weggewalzt wurde, da groß was ändern wird. Zumal die Academy-Mitglieder, die etwas außerhalb des Rahmens denken schon ihr Stimmgewicht hinter Everything Everywhere All at Once werfen müssen...
Beste Hauptdarstellerin
Ana de Armas, Blonde
Michelle Yeoh, Everything Everywhere All at Once
Cate Blanchett, Tár
Danielle Deadwyler, Till
Viola Davis, The Woman King
Die vernünftige Prognose wäre, Michelle Williams für Die Fabelmans anstelle von Ana de Armas vorherzusagen: Die Academy liebt gut zusprechende Mutterfiguren, Steven Spielberg und Michelle Williams! Aber: Williams wurde nicht für den SAG Award nominiert, also den Preis der Schauspielgilde! Und selbst wenn SAG und die Academy Awards in dieser Kategorie nicht immer deckungsgleich sind, gehe ich dieses Jahr einfach diesen Weg.
Die jüngere, internationalere Zusammensetzung der Academy lässt sich, so meine Vermutung, eher auf den umstrittenen Blonde ein. Wir werden es sehen...
Bester Hauptdarsteller
Paul Mescal, Aftersun
Colin Farrell, The Banshees of Inisherin
Austin Butler, Elvis
Bill Nighy, Living
Brendan Fraser, The Whale
Beste Regie
James Cameron, Avatar: The Way of Water
Martin McDonagh, The Banshees of Inisherin
Daniel Kwan & Daniel Scheinert, Everything Everywhere All at Once
Steven Spielberg, Die Fabelmans
Todd Field, Tár
Bester Film
Im Westen nichts Neues
Avatar: The Way of Water
Babylon
The Banshees of Inisherin
Elvis
Everything Everywhere All at Once
Die Fabelmans
Tár
Top Gun: Maverick
The Whale
Kürzlich sicherte sich Im Westen nichts Neues satte 14 Nominierungen bei den BAFTAs - und da beide Akademien einige Überschneidungen in der Zusammensetzung haben, halte ich es also für sehr wahrscheinlich, dass Deutschland einen Film im "Bester Film"-Oscar-Rennen stellen wird. Kurios, dass aus dem Land des ständig selbstgeißelnden "Wir können keine guten Filme!"-Aufrufs bislang so wenig Begeisterung über das Awards-Abschneiden, ach, über den Film generell zu vernehmen war.
The Whale hat zwar abseits Brandan Frasers Performance eher für zwiegespaltene Reaktionen gesorgt, aber ab und zu ist der Academy sowas egal. Und: Filme mit einer lautstark zelebrierten männlichen Performance rutschen üblicherweise auch ins Rennen um diese Kategorie.
Dass Top Gun: Maverick letztlich nicht nominiert wird, halte ich für wahrscheinlicher als wohl viele Oscar-Tippspielende. Doch dieses Oscar-Rennen ist so kurios, ich möchte keinen als sicher geltenden Tipp für ein törichtes Wagnis abgeben, also behalte ich den Mega-Blockbuster in meiner Vorhersage. Aber sollte er oder ein anderer Titel rausfliegen und dafür Glass Onion reinkommen, ich wäre nicht erstaunt.
Ich liebe Musicals, und ich habe oftmals diebischen Spaß daran, wenn sich Non-Musicals kurzzeitig in die kinetische Welt des Gesangs und Tanzes stürzen. Daher möchte ich die lange, lange Wartezeit zwischen meiner Flopliste 2022 und meinen noch ausstehenden Tops überbrücken, indem ich hier meine liebsten Musik-und-Tanz-Sequenzen 2022 zelebriere.
Bevor ich zu den Top 10 komme, erst einmal in beliebiger Reihenfolge ein paar artverwandte Szenen, die es mir ebenfalls angetan haben. In Baz Luhrmanns rauschhaftem Biopic Elvis stechen vor allem die Performance von Trouble, die Elvis' rebellisches Naturell unterstreicht, Suspicious Minds, das er in Las Vegas in einer Szene singt, während seine Missachtung für seinen Manager wächst, und die Gänsehaut-Darbietung von Unchained Melody heraus. Jedoch sind es streng genommen keine Musical-Einlagen, sondern schlicht und ergreifend Bühnenauftritte in einem Film über einen Musiker.
Tonal und inszenatorisch ganz anders, allerdings aus demselben Grund kein Musical, ist die Netflix-Komödie Metal Lords, die für mich eine der freudigsten Überraschungen des Jahres war: Inszeniert von Peter Sollett (Nick und Norah – Soundtrack einer Nacht) und geschrieben von D. B. Weiss (Game of Thrones) dreht sich der Film um eine Außenseitertruppe, die durch ihre Liebe (oder neu gefundene Begeisterung) zum Metal zusammengeschweißt wird. Die Komödie hat Charme und Witz, mutet ein bisschen so an, als hätte man einen Disney-Teenie-Film oder einen School of Rock-Trittbrettfahrer genommen und mit ein paar Kanten und sexuellen Anspielungen gewürzt, ohne dabei unnötig zu übertreiben. Emma.-Nebendarstellerin Isis Hainsworth kann hier gehörig auftrumpfen und die Performances der Band, inklusive des Originalsongs Machinery Of Torment, können sich echt hören lassen!
Auch im Kino gab es eine fiktive Band zu sehen, die fetzt: Die Dramödie Alle für Ella mit Lina Larissa Strahl über drei Freundinnen, deren Beziehung zueinander durch sich unterscheidende Karrierebestrebungen bedroht wird, hat sogleich mehrere stimmige Originalsongs zu bieten. Der beste ist der auch in der Promo zum Film viel verwendete, bittersüße Meine Fehler, der Dickköpfigkeit, die Lust, aufzubrechen, und einen Hauch Reue vereint.
Um aber endlich zu Musicaleinlagen zu kommen: Das märchenhafte Abenteuer Der gestiefelte Kater: Der letzte Wunsch sieht nicht bloß atemberaubend aus, sondern beginnt auch mit einer peppigen, etwas monotonen, aber dadurch auch irgendwie verwunderlich-humorvollen, selbstbeweihräuchernden Musicaleinlage darüber, wie toll, beliebt und furchtlos der Titelheld doch ist. Die Szene macht Spaß, ging mir dann für einen Zeitraum von vielleicht 15 Sekunden zu lang und danach dachte ich nur noch "Oh, das kann noch stundenlang so weitergehen". Es ist kein Song, den ich mir vom Film losgelöst häufig anhören würde, aber ich denke gern an die Szene zurück (und an den grandiosen Film insgesamt sowieso).
Und Verwünscht nochmal hat mich zwar mit seiner laschen Gagdichte, ernüchternden Charakterzeichnung und steifen Inszenierung ziemlich enttäuscht (lang erwartete, direkt auf Disney+ geparkte Sequels hatten 2022 ein Murks-Jahr). Aber: Das musikalische "Ich bin besser darin, böse zu sein, als du"-Duell zwischen Amy Adams und Maya Rudolph hat mich kurzzeitig davon träumen lassen, dass eine gelungenere Version des Films möglich war.
Tja, und wenn ich aktuell Apple TV+ hätte, könnte ich auch sagen, ob eine Szene aus Spirited in meinem Ranking wäre. Aber da dem nicht so ist, geht's nun halt endlich mit meinen Top 10 los. Und in Anlehnung an meine früheren Filmsongs-Rankings hier im Blog (und um keinen Überdruss an Songs aus einem einzigen Film zu haben), gilt: In die Top 10 darf nur eine Musicaleinlage pro Film! Doch ich lasse euch hie und da wissen, welche anderen Songs ich mochte, wenn es sich denn anbietet...
Platz 10: Big Time aus Bühne frei für Nate
Disney hat leider vorerst seinen King of Camp an Netflix verloren. Aber nimmt man Disney einen Kenny Ortega weg, und gibt ihm bei der Konkurrenz einen Exklusivvertrag, dann wachsen zwei Camp-Kronprinzen nach: Paul Hoen schickt sich mit seiner Z-O-M-B-I-E-S-Saga an, die quirlig-stolze, bunt-schräge Seite Ortegas im Maus der Haus aufrecht zu halten. Cocktailbuchautor Tim Federle wiederum führt nicht nur mit High School Musical: Das Musical: Die Serie Ortegas inhaltliches Erbe fort, sondern inszenierte mit der Disney+-Adaption seines eigenen Bühnenstücks Bühne frei für Nate die Art Film, die Ortega sicher schon längst für Disney gemacht hätte, wäre die Zeit früher reif gewesen: Ein musicalbegeisterter Junge dampft abrupt ab nach New York, um bei einem Broadwaymusical vorzusprechen. Was daraus entsteht, hat die "Kind in der großen Stadt"-Energie früherer Disney Channel Original Movies, gefilmt mit der Größe einer 2000er-Jahre-Disney-Familienomödien-Kinoproduktion. Doch: Halt!
Titelheld Nate und seine beste Freundin haben keinen romantischen Subplot, sondern eine "Sie glaubt, wenn man so eng miteinander ist, müsste da vielleicht Interesse füreinander bestehen, weil, so läuft das doch...(?) während er sich einen Ruck gibt und ein Regenbogenglücksarmband kauft"-Randgeschichte. Ein kurzweiliger Disney-Film, der seine Begeisterung für Bühnenmusicals verinnerlicht hat, aber ähnlich verstohlen-impulsiv zeigt wie Nate zum Verkaufsstand stürmt, um sich sein Armband zu holen: Die meisten Musikeinlagen sind eher kontemporär-social-media-tauglich, was Federle authentisch ins Geschehen einbindet, statt anbiedernd. Dennoch schlägt mein Herz am lautesten, wenn es altmodisch in einer "I Want It All aus High School Musical 3: Senior Year"-esken Traumsequenz auf die Bretter geht, die die Welt bedeuten.
Habe ich schon gesagt, dass ich Kenny Ortega vermisse? Hocus Pocus 2 führt nahezu konstant vor, dass der Choreograf und Regisseur eine prägendere Handschrift hat, als man ihm gemeinhin zumuten würde. Aber wenigstens der obligatorische Versuch, die I Put a Spell on You-Sequenz aus dem Original zu kopieren, macht was her. Die Magie konnte nicht wiederholt werden, aber hier ist wenigstens ein Funken munter-spritziger Zauber versteckt, der dem restlichen Sequel praktisch durchweg fehlt.
Ein super-knuffiges Krokodil, das singen und tanzen kann, freundet sich mit einer etwas chaotischen Familie an: Fertig ist Lyle - Mein Freund, das Krokodil, ein Wohlfühl-Familienmusicalspaß mit Songs aus der Feder der Greatest Showman-Songwriter Benj Pasek & Justin Paul, unter Mitwirkung von Sänger (und Lyle-Originalstimme) Shawn Mendes. Ein harmloser, angenehmer Film, dessen Songs mir jedoch zumeist zu selbstständig-poppig sind. Als wären die potentiellen Spotify-Abrufzahlen wichtiger gewesen als ihre Integration in die Storyline. Rip up the Recipe ist die güldene Ausnahme (und im Film noch länger und pfiffiger als der obige Clip): Lyle bricht das Eis zur verschreckten Mutter des Hauses, indem er sie anregt, ihre Liebe zur Koch- und Backkunst wiederzufinden und abseits der Küche frohen, munteren Hobbys nachzugehen. Ein Sonnenstrahl von einer Szene!
Platz 7: Allein Allein aus Träume sind wie wilde Tiger
Nach Einsamkeit und Sex und Mitleid geht Lars Montag rüber ins Familienkino und inszeniert eine bunte Musicalkomödie voller Songs des Bibi & Tina-Teams Peter Plate & Ulf Leo Sommer. Der Ohrwurm Das Leben ist wie Mathematik, die Musiksehnsuchtsnummer Wenn ich sing und der Titelsong Träume sind wie wilde Tiger blieben mir in Erinnerung. Doch Allein Allein ist die für mich beste Kombination aus Lied und dazugehöriger Szene (die im Film auch wieder länger geht als der obige Clip). Mit Michel-Gondry-Touch sehen wir unsere Hauptfigur Ranji beim Musikvideodreh. Kreativ, verspielt, einfach hübsch: Noch ein Sonnenstrahl von einer Szene!
Platz 6: Clown Café aus Terrifier 2
Apropos froh und munter: Terrifier 2! Der absurde 139 Minuten lange, in feister Mitternachts-Sonderschiene-Logik operierende Slasher pausiert das Morden und Quälen für eine Traumsequenz, die zugleich mehrere Funktionen erfüllt. Sie diente zumindest mir als Irreführung, weil ich überzeugt war, dass sie jeden weiteren Kill des Films bitter-ironisch vorbereitet, was nicht in der von mir erwarteten Weise erfolgte. Sie bereitete aber sehr wohl spätere narrative Entwicklungen vor. Und sie gibt Regisseur Damien Leone ein Sprungbrett, um in diesem XXL-Schundkinoexzess sein Publikum minutenlang zu trollen. Naja, nicht sein komplettes Publikum, denn so Dödel wie ich sitzen fröhlich wippend vor der Kinder-TV-Gesang-Hommage und grinsen sich wund, statt sich zu wundern, geschweige denn zu langweilen. Für mich eine der Top-3-Szenen in diesem Film, der schon ganz allein ein knackiges Grindhouse-Double-Feature ergibt.
Wunderschöne Kostüme, bildhübsche Schauplätze und betörend-schmachtende Figuren: Joe Wrights Cyrano ist eine liebevolle Adaption des oft kopierten, adaptierten und neu interpretierten Cyrano de Bergerac-Stücks. Leider, leider, leider zündet bei mir nur selten die Musik, was in einem Musical nicht gerade ideal ist. Mit seinem verträumten Tanz durch Unmengen an Statist:innen und Drehorten, die UNESCO-Welterbe sind, ist Someone to Say trotzdem eine fabelhafte Szene. So fabelhaft, dass ich zwischendrin glatt vergesse, wie wenig mich der Song beeindruckt, und einfach nur mitschwärme.
Platz 4: Naatu Naatu aus RRR
Die zumindest in meinen filmaffinen Sphären am meisten hochgejubelte Musikeinlage des Filmjahres ist ein kräftiger Endorphinstoß mit einer einprägsamen Choreografie. Die drei Rs des Films, die Hauptdarsteller Rama Rao und Ram Charan sowie Regisseur S. S. Rajamouli, toben sich hier munter aus. Und daher gönne ich Naatu Naatu seinen Jubel. Aber er lässt mich auch etwas verwundert zurück, denn es ist für mich einfach "nur" eine echt gute Musik-und-Tanz-Einlage (lasst euch von meinem Begleittext zu Rang 5 nicht in die Irre führen, diese Top 10 lässt mein Filmherz höher schlagen, da ist Platz vier kein Trostpreis). Es ist für mich nicht, wie gemeinhin getan wird, ein positiver WTF?!-Moment, ein cineastischer Triumph oder gar die beste Filmsequenz des Jahrtausends. Naja, lieber verwunderlich viel Liebe, als dass onlinefilmdiskurstypisch alles übertrieben verrissen wird. Schmeißt das Genörgel über Bord und let's dance!
Es gibt sie, diese Sequenzen, in denen ein nicht für den Film geschriebenes Lied durch geschickten Einsatz einen Film aufwertet und so sehr mit ihm verschmilzt, dass man schwören könnte, der Song sei für ihn geschrieben worden. Singin' in the Rain etwa wurde nicht für Singin' in the Rain verfasst, dennoch ist es der Einsatz in dieser Regiearbeit von Gene Kelly und Stanley Donen, der aus dem Musicallied einen Evergreen gemacht und den Film entscheidend mitgeprägt hat.
Nun mag es vermessen klingen, Anders ist gut respektive Bibi & Tina: Einfach anders mit Singin' in the Rain zu vergleichen, dennoch greifen ähnliche Argumente, selbst wenn in einer anderen Güteklasse: Das Lied Anders ist gut von Ulf Leo Sommer und Peter Plate wurde zuerst von Schlagersängerin Michelle veröffentlicht, ist in dieser Fassung aber diplomatisch gesagt nicht mein Fall. Die vom Bibi & Tina: Einfach anders-Cast eingesungene Version wiederum rundet (in einem Film voller Originalkompositionen) das kunterbunte, lebensfrohe Familienmusical nicht bloß thematisch ab. Sie klingt auch wenigerschmalzig, überzeugt mehr als ehrlich-munteres Lied über Selbstbewusstsein, Individualität und Zusammenhalt, und pusht somit den Film insgesamt noch einmal kurz vor Schluss. Simpel, aber effektiv.
Notiz am Rand: Auch die Originalsongs aus Einfach anders haben es mir nahezu durchweg angetan. Hallo Halloist ein absoluter Ohrwurm und die dazugehörige Szene buckscher Zuckerschock der Extraklasse (und war nach meinem ersten Anschauen des Films mein Favorit unter den Originalsongs), Bisschen kuscheln selbstironisch-und-dennoch-nicht-selbstdementierend harmonisch, Nein Danke ein wundervoller Unfug-Protestsong (und nach Runde zwei mein Liebling), Baby eine pfiffige Parodie selbstzentrischer Prahlsongs (wie sie nunmehr gerne bei der Teenie-Zielgruppe viral gehen), Lass es Kartoffeln regnen spricht wohl für sich, Liebe muss fliegen wirkt als Szene etwas gedrosselt (da wäre in Teil eins bis drei sicher mehr bei rausgesprungen), ist aber als Lied ein weiterer Ohrwurm, undV. Arscher ist im Moment mein Favorit unter den Originalsongs.
Das Finale der Disney-Musical-Trilogie Z-O-M-B-I-E-S ist wohl meine filmische Enttäuschung des Jahres: Gemessen an meinen Hoffnungen und Erwartungen hat mich die neuste Geschichte von Cheerleader-Mädchen Meg und Zombie-Quarterback Zed sehr ernüchtert zurückgelassen. Z-O-M-B-I-E-S 3 ist in meinen Augen keine Graupe, jedoch verzettelt er sich wiederholt und teilt sich seine Energien hinsichtlich Dramatik, Hibbeligkeit und Humor sehr ungleichmäßig ein.
Doch der Filmbeginn ist mir prägnant in Erinnerung geblieben, inklusive des den Plot in Gang setzenden Songs Alien Invasion. Während dieser Nummer wurden bei mir Hoffnungen wach, Disney ließe Regisseur Paul Hoen von der Leine und gestatte ihm, quasi ein Disney-Repo! The Genetic Opera raushauen: Laut, schrill, sozusagen poppig-opernhaft beginnt Z-O-M-B-I-E-S 3 als EDM-Disney-Pop-Familienmusical, das sich mit beiden Händen an der Ikonografie von Genre-Comics, 50er-Sci-Fi und 30er/40er-Gruselfilmen bedient, gefiltert durch kinderfreundliche Kaugummiverpackung-Grafik, angereichert mit Selbstironie und mindestens einen Dreiviertelliter Energy Drink. Vielleicht traut sich Disney eines Tages, einen Film zu machen, der durchweg die Power dieser Musicaleinlage aufrecht erhält. Ich wäre Fan, ach was, Überfan!
Die weiteren Songs des Films sind stellenweise Mitgrund, weshalb Z-O-M-B-I-E-S 3 als Film nicht höher in meiner Gunst steht, aber Ain't No Doubt About It ist als Song und Szene schön-neckischer Disney-Teenie-Camp
Pride-Regisseur Matthew Warchus inszenierte am Londoner West End eine ungeheuerlich erfolgreiche und vielfach prämierte Bühnen-Musicalfassung von Matilda, dieses Jahr brachte er das Theaterstück auf die Leinwand (etwa in Großbritannien), respektive direkt zu Netflix (etwa in Deutschland). Dabei herausgekommen ist ein kreativer Film, der seine Vorlage und dessen Vorlage respektiert, sich jedoch nicht zwanghaft an ihnen klammert, sondern wiederholt eigene Wege geht, um sich seinem Medium anzupassen. Zwar finde ichWarchus' Roald Dahls Matilda- Das Musical ein wenig überdehnt, trotzdem ist es ein einfalls- und energiereicher Film mit starkem Cast und zahlreichen denkwürdigen Nummern
Die Szene des Films schlechthin ist für mich die vorletzte Gesangs- und Tanzeinlage, das befreiende und kraftvolle Revolting Children, in dem die unterjochten Schüler:innen geschlossen aufbegehren und singend, tanzend, revoltierend für ihr Recht einstehen, jung, wild und experimentierfreudig zu sein.
Warchus warf den gesamten Film über die Bühnenchoreografie aus dem Fenster, um die Lieder aus dem Bühnenstück reif für die Kamera zu machen, und für die Revolting Children-Sequenz hatte seine Choreografin Ellen Kane zwei Wünsche. Erstens: Der mit 300 (!) Tänzer:innen gedrehte Aufstand der Kinder sollte gleichberechtigt von einem Jungen und einem Mädchen angeführt werden. Zweitens: Die ganze Szene sollte sich so anfühlen, als würde ein Staudamm brechen und daraufhin eine Flut die Schule überrollen. Warchus folgte Kanes Wunsch und so schufen sie die beste Musicalszene des Jahres, mit großem Abstand!
Die Tanzschritte und akrobatischen Einlagen sind atemberaubend, die Kamera hält mit den losgelösten Kindern Schritt, gleichzeitig sorgt ein vergleichsweise gezügelter Schnitt dafür, dass wir das Spektakel auf uns wirken lassen können, es uns förmlich wegspült, statt dass es ein Schnittgewitter davon ablenkt. Der temporeiche, beschwingte und ebenso gewitzte wie triumphal-aufstachelnd Song entwickelt daher förmlich Signalwirkung, ist die Krönung des vorangegangenen Films und führt einen Großteil der Geschichte zu einem emotional höchst befriedigenden Abschluss.
Und ja, die Sequenz hat Meesha Garbett zur TikTok-Ikone gemacht, aber im Gegensatz zu gewissen anderen TikTok-Ereignissen 2022 mit Filmbezug lässt mich das nicht ratlos zurück. Im Gegenteil: Garbett haut hier eine wuchtige Performance raus und gibt der Sequenz einen zusätzlichen Pepp. Dass sie via TikTok Millionen von (oft jungen) Menschen ordentlich einheizt, sei ihr vergönnt und bestätigt die Wirkung dieser Szene. Revolting Children - das Highlight des Films, ein Highlight des Filmjahres 2022 und ich wage die Prognose: Ein filmischer Höhepunkt, der noch lange nachwirken wird!
Immer mehr Filmschaffende und Mitglieder der Filmpresse lassen kein gutes Haar an Floplisten. Nachvollziehbar, denn seit popkulturelle Diskussionen in den sozialen Netzwerken im Sekundentakt in Geschrei und Gebrüll ausarten, ist der Diskurs über Kunst, Unterhaltung und unterhaltende Kunst verpestet. Dennoch halte ich vorerst an meiner hier Tradition des negativen Jahresrückblicks fest.
Einfach, weil ich es wertvoll finde, als Gegengewicht zu meinen filmverliebten Texten und Rankings in Erinnerung zu rufen, bei welchen Filmen ich ratlos oder gar grantig zurückgeblieben bin. Es braucht ja Schatten, um das Licht zu würdigen; wer nur lobt, dem glaub man's irgendwann nicht; yada yada. Man muss dabei ja nicht übermäßig beleidigend werden. Es geht darum, das Bild zu vervollständigen.
Und vielleicht, aber nur vielleicht, findet ihr in dieser Hitliste sogar Titel, auf die ihr neugierig werdet, weil ihr erahnt, sie mehr zu mögen als ich?
Platz 10: Hocus Pocus 2 (Regie: Anne Fletcher) und Das Versteck (Regie: Pascual Sisto)
Eröffnen möchte ich die Retrospektive der negativen Filmgefühle mit einem ungleichen Doppel: Ich liebe Hocus Pocus und bin mit meinem Kaufverhalten sozusagen Mitschuld daran, dass es einen zweiten Teil gibt. Doch beim Anblick von Hocus Pocus 2 habe ich mich gefühlt, wie ich mir vorstelle, was in denjenigen vorgegangen sein muss, die dem Original damals Verrisse verpasst haben: Ich fand die jugendlichen Figuren weitestgehend egal, das Drehbuch zäh und unlustig und den Look des Sequels schäbig. Es hat zwar eine meiner liebsten Musikeinlagen des Filmjahres, aber sie überschattet den gesamten Rest des Films, dem einfach die Kenny-Ortega-Campiness fehlt.
Bei diesem Sequel bin ich überzeugt: Es ist sein Problem. Ich glaube, dass das zentrale Hexen-Trio engagiert war, in seiner Gesamtheit wirkt die Fortsetzung auf mich aber wie etwas, das mit der Haltung "Disney+ braucht einen neuen Exklusivfilm, hier, hau mal was raus" angegangen wurde. Ich war ein einfaches Ziel für diesen Film, und dennoch hat er meilenweit an mir vorbeigeschossen.
Das Versteck habe ich bereits 2021 unter dem Originaltitel John and the Hole im Rahmen des Fantasy Filmfests auf der großen Leinwand gesehen, und ich habe mich im anschließenden Gespräch mit anderen Besucher*innen wie im falschen Film gefühlt: Ich fand die Geschichte eines Teenagers, der seine Familie in einer Grube im benachbarten Wald gefangen hält, gähnend langweilig, affektiert gespielt und so tiefgreifend wie die Eintrittskarte, die ich für ihn gelöst habe.
Aber alle, mit denen ich sprach, waren begeistert. Und auch mein geschätzter Filmstarts-Kollege Oliver Kube hat eine schön geschriebene Lobesrede auf den Film verfasst, die mich an mir zweifeln lässt. Habe ich denselben Film gesehen? Es muss ein "Ich-Problem" sein, ich bin unfähig, die richtige Wellenlänge für diesen Film zu finden. Trotzdem hat mich dieser metaphorische Thriller so genervt, es wäre verlogen gewesen, ihn aus meiner Flopliste rauszuhalten. Ihr da draußen, derweil: Hört eher auf Oliver als auf mich.
Platz 9: Liebesdings (Regie: Anika Decker)
Ich drücke Anika Decker die Daumen. Ihr Regiedebüt Traumfrauen ist kurzweilig, ihre Verwechslungskomödie High Society hat mir Spaß gemacht und als Drehbuchautorin verhalf sie sowohl Til Schweiger (Keinohrhasen, Zweiohrküken) als auch Detlev Buck (Rubbeldiekatz) und Karoline Herfurth (SMS für Dich) zu gelungenen Erfolgen. Daher erklärte ich mir die unlustigen Trailer für Liebesdings als Auswüchse eines mies geleiteten Marketings. Dann habe ich den Film gesehen und einer meiner ersten Gedanken war: "Oh, das Marketing war ja noch schmeichelhaft."
Es liegt nicht am Ensemble. Lucie Heinze findet in der Rolle einer feministischen Komikerin eine gute Balance aus quirlig und bodenständig. Denis Moschitto, Peri Baumeister und Alexandra Maria Lara werten praktisch jeden Film auf, in dem sie aufkreuzen. Und Elyas M'Barek habe ich die Rolle eines von der Presse genervten Schauspielers ohne jeden Hauch eines Zweifels abgekauft.
Und Liebesdings hat Momente, die zünden. Etwa, wenn der wie ein Blutsauger gekleidete "Reporter" eines hetzerischen Boulevardblattes, das frappierend an ein reales, leider erfolgreiches Schmierenblatt erinnert, in der Kotze eines Stars rumwühlt, um eine Schlagzeile zu forcieren. Aber: Den Großteil von Liebesdings finde ich einfach stumpf.
Die Dialoge hören sich an wie Platzhalter in einem First Draft, die noch durch geschliffenere Umformulierungen ersetzt werden müssen. Monologe über queere, feministische oder anti-rassistische Belange kommen hier den Figuren nicht authentisch, raffiniert oder peppig von den Lippen, sondern klingen so, wie sich Mario Barth oder Dieter Nuhr wohl fälschlicherweise vorstellen, wie das Stand-up in der Die Caroline Kebekus Show sein könnte. Die Liebesgeschichte in diesem Film zündet nicht, die Figurenentwicklung ist irritierend-sprunghaft.
Alles in allem wirkt Liebesdings so, als hätte Bora Dagtekin im Das perfekte Geheimnis-Mindset anonym Reshoots bewerkstelligt und so Decker ihren Film weggenommen. Mich würde brennend ein ehrliches Making of dieser Komödie interessieren, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass sie Deckers ursprüngliche Vision abbildet. Falls doch: Naja, wir alle haben mal ein Formtief. Nächstes Mal sitze ich wieder erwartungsvoll im Kino.
Ich habe Sympathie für Lindsay Lohan übrig und angesichts dessen, wie gut sie spielen kann, wenn sie in der Spur ist und das richtige Projekt gefunden hat, gönne ich ihr ein Comeback. Doch Falling for Christmas ist gleichzeitig ein Schritt nach vorne und ein Schritt zurück: Verkrampft inszeniert, klischee- und sprunghaft geschrieben und von mehreren ihrer Co-Stars mies gespielt, kann Lohan aus diesem Netflix-Weihnachtskitsch unmöglich eine Karrierte-Trumpfkarte formen.
Aber sowohl die Kernzielgruppe dieser Wohlfühl-Sinnlosfilme als auch die für die Memes und ironische Freude am Unfug hereinschauenden Nasen sind wohlwollend genug, um Lohan diesen Film nicht vorzuwerfen. Das macht Falling for Christmas trotzdem nicht besser. Aber irgendwo zwischen den miesen Witzen und übertriebenen Gefühlsschwankungen beweist Lohan charmante Selbstironie. Good for her.
Animationen, die teilweise auf dem Niveau von Samstagmorgen-Computeranimationsserien vergangener Tage liegen, und viel, viel Leerlauf: Der direkt auf Disney+ rausgehauene Ice Age-Nachklapp Die Abenteuer von Buck Wild ist lieblos, träge und kalt kalkuliert. Donkin und sein Team trifft dabei längst nicht der Großteil der Schuld, wurde dieses Projekt doch einst als Serie entwickelt und nach einer entsprechenden Ankündigung unentwegt klein geschrumpft, bis nur noch ein mickriges Team an ihm tüftelte, das viel zu wenig Arbeitskraft hatte, um ein CG-Projekt in Spielfilmlänge zu stemmen, das versucht, visuell an das Ice Age-Erbe anzuknüpfen. In Sachen Budget wird es nicht anders gewesen sein, und wer könnte unter diesen Umständen schon kreativ aus den vollen Schöpfen?
Einen Trost gibt es allerdings: Nach Die Abenteuer von Buck Wild erschien mit der Kurzfilmsammlung Ice Age: Scrats Abenteuer noch ein Ice Age-Projekt auf Disney+. Und die kompakten Geschichten sind nicht nur viel besser animiert, sondern dienten der Belegschaft von Blue Sky Studios als Abschiedsvorstellung. Mit Passion und Witz zeigen sich Studio und Filmreihe darin noch einmal in Top-Form. Ich gebe zu, ich hatte nicht nur viel zu lachen, sondern gen Schluss auch aufgrund dieser außenstehenden Faktoren feuchte Augen. Ich war nie der größte Ice Age-Fan, aber in seinen besten Momenten war das Franchise sehr vergnüglich. Und Blue Sky hatte es nicht verdient, als Opfer der Disney/Fox-Übernahme einfach so gekillt zu werden.
Platz 6: 13 Fanboy (Regie: Deborah Voorhees)
13 Fanboy versucht, ein inoffizielles Wes Craven's New Nightmare für die Freitag, der 13.-Reihe zu sein: In diesem Meta-Slasher, inszeniert von einer früheren Darstellerin des Franchises, die ironischerweise und tatsächlich Deborah Voorhees heißt, jagt ein maskierter Killer frühere Darstellerinnen der Freitag, der 13.-Reihe. Einzelne Sequenzen in dieser Jason-Voorhees-Hommage sind für einen Direct-to-Video-Schlitzer ganz passabel konstruiert, etwa eine tödlich endende Stunt-Probe. Doch diese wenigen "Och, das ging ja"-Momente trösten nicht über diesen ungeheuerlich hässlich ausgeleuchteten, abartig zäh erzählten Rest dieses Slashers hinweg.
Platz 5: Brain Freeze (Regie: Julien Knafo)
Ein neuer Turbodünger vergiftet das Wasser in einem geschlossenen, kanadischen Wohnkomplex und verwandelt alle, die es zu sich nehmen, in blutrünstige, zombieähnliche Unholde. Dieser Low-Budget-Partyhorror will mit abstruser Logik und schrillen Figuren ein Vergnügen für die Mitternachtsschiene oder Bier-und-Nacho-Filmabende sein. Gerne, bin ich für zu haben. Aber ich habe mich durch die 91 Filmminuten gequält und war nach ihnen erstaunt, dass es nur 91 Minuten waren. Es fühlte sich an wie eine gesamte Staffel einer belanglosen, lustig gemeinten, drögen Miniserie.
Die guten Gags sind rarer gesät als in einem Mario-Barth-Instagram-Live-Rant, Spannung ist non-existent und die Gewaltspitzen sind matschiges Effektchaos, wenn sie denn irgendwann mal passieren. Hier könnte man irgendeinen schnippischen Spruch über Hirnfrost einsetzen, wäre dies eine Flopliste nach alter Schule.
Sechs Wochen vor Drehstart verließ Jason Statham abrupt The Man from Toronto, laut Berichten des Branchenblogs Deadline Hollywood, weil ihm die eingeschlagene Richtung der Verwechslungs-Actionkomödie missfiel. Hastig wurde Woody Harrelson als Ersatz herangekarrt und so gut den Verantwortlichen möglich auf Statham-Look gestylt. All das ist zehntausendfach spannender als der eigentliche Film, der mit plumper Action, einem stumpf um die Gewaltspitzen herumtänzelndem Schnitt und haarsträubend-lustloser Charakterzeichnung langweilt.
Platz 3: 365 Days: Noch ein Tag (Regie: Barbara Białowąs & Tomasz Mandes)
Na, erinnert ihr euch an 365 Days? Einen dieser Filme, über die Netflix zahlreiche Rekordmeldungen rausgehauen hat und die 2020 für ein paar Wochen großer Streitpunkt in den sozialen Netzwerken war? Die Adaption des ersten Teils einer Erotikromanreihe von Blanka Lipińska war nur der Anfang, auch wenn es vergleichsweise einfach war, das zu versäumen, ließ der Buzz doch von Film zu Film nach! Ich bin aus morbider Neugier allerdings am Ball geblieben, und darf berichten: Das große Finale der Filmtrilogie ist extrem langweilig.
Die Figuren sind in einem paradoxen Irgendwas gefangen zwischen "Sie ändern ihre Ansichten total sprunghaft" und "Aber schlussendlich ändert sich eigentlich nie etwas" (die After-Reihe lässt grüßen), die Popmusik-Einlagen klingen wie schlechte Cover von schlecht abgekupferten Nummern aus der Fifty Shades of Grey-Reihe und der Look ist so passionslos gelackt, dass keine prickelnde Reibung entstehen kann. Und der ganze trashige Sex hat sich hier total abgenutzt, nun werden zumeist unmotiviert Körper aneinander gerieben, ohne irgendwelche Grenzen auszuloten, Figuren damit weiterzuerzählen oder Stimmung zu erzeugen.
Aber eines muss ich Barbara Białowąs & Tomasz Mandes lassen: Sie entwickeln auf der Zielgerade ab und zu Selbstironie, etwa mit einer Traumsequenz, in der sich unsere weibliche Hauptfigur einen Dreier mit den beiden um sie buhlenden Herren herbeiwünscht. Der ist mit einer süffisanten "Komm, hier, das passt noch rein"-Attitüde inszeniert, die ausreichte, um ihn vom Silberrang dieses Countdowns fernzuhalten.
Was macht man als Studio, wenn man im Fundus eine Horrorreihe hat, deren Monster zu einer kleinen bis mittelgroßen Ikone des Schreckenskinos der 2000er-Jahre geworden ist, doch mehr und mehr Filmfans erkennen: Oh, diese Jeepers Creepers-Filme wurden von Victor Salva gedreht, der zuvor wegen sexueller Misshandlung eines Minderjährigen im Gefängnis saß. Keine Personalie, die man gerne anfeuert, noch dazu, wenn Salva beispielsweise in Teil drei Szenen einbaut, in denen Figuren mit Sexualstraftätern sympathisieren. Nun, man wirft diesen Mann raus und wagt sich an einem Kann-aber-nicht-muss-Reboot:
In Jeepers Creepers: Reborn werden Handlungspunkte aus den Vorgängern referenziert, allerdings wird auch darüber gesprochen, dass der Creeper eine Filmfigur sei, die auf lokalen Legenden basiert. Da darf sich das Publikum seine eigene Distanz zwischen Teil vier und den vorherigen Filmen herbei interpretieren. Klingt erst einmal nicht nach der allerschlechtesten Idee, und Regisseur Timo Vuorensola hat mit Iron Sky bereits eine schmissige Trash-Hommage verantwortet. Allerdings kam Vuorensola nicht auf Iron Sky-Niveau ans Set, sondern schluderte sich im Iron Sky 2-Stil sonst was zusammen:
Jeepers Creepers: Reborn sieht grässlich aus, der freudlose Score zerstört sämtliche jämmerlichen Reste an Spannung und die Story mäandert konsequenzlos vor sich her. Und der Creeper bekam ein Facelift, das ihm sein Grauen raubt. Einziger Lichtblick in dieser Graupe:
Meine Fast-Namensvetterin Sydney Craven, die in diesem Horrorfilm zwar wiederholt mit übertriebenem Spiel ins Auge sticht. Das halte ich allerdings für ein Versagen ihres schläfrigen Umfelds, denn isoliert betrachtet hat Craven eine spritzig-natürliche Energie, die in einem Projekt, in dem nicht alles um sie herum Murks ist, richtig gut zünden könnte. Ich wünsche ihr eine baldige Gelegenheit, ihren Ruf in bessere Bahnen zu lenken. Und der Creeper hat womöglich einfach ausgedient.
Platz 1: 365 Days: Dieser Tag (Regie: Barbara Białowąs & Tomasz Mandes)
365 Days ist Schrott zum Fremdschämen. 365 Days: Noch ein Tag ist ein langweiliger, motivationsloser Trilogieabschluss mit einem winzigen, winzigen Funken an "Wir haben nun Narrenfreiheit, oder? Es juckt ja niemanden, was hier abgeht?"-Rebellentum. 365 Days: Dieser Tag wiederum ist ein Nichts von einem Film: Die Brücke zwischen dem "Hier, guck mal, wie skandalös wir sind! Shades in fragwürdiger, Hallo, bitte beachtet uns!"-Auftakt und dem weichgespülten Ende hat absolut gar nichts zu sagen, zu erzählen oder zu zeigen.
Szenen beginnen und enden einfach irgendwo, Cliffhanger werden nicht etwa aufgelöst, sondern ignoriert, und die konfusen Twists werden mit einer gähnenden Gleichgültigkeit inszeniert, mit der andere ihre Socken wechseln. 365 Days: Dieser Tag ist das, was wohl dabei herauskäme, würde man den Film drehen, den sich die harschesten Verrisse der Fifty Shades-Sequels zusammenspinnen.
Obwohl wir Ende März haben, und die Oscars somit einmal mehr deutlich später im Kalenderjahr stattfinden als wir es durch die vielen "Februar, allerspätestens Anfang März"-Jahre der jüngeren Vergangenheit gewohnt sind... Ich muss sagen: Mir kam diese Oscar-Saison verflixt kurz vor. Die mitunter unausstehlich hitzig werdenden Oscar-Debatten kochten auf kleinerer Debatte als in der Pre-Pandemie-Ära, und die Indikator-Preise wurden in den einschlägigen Awards-Medien weniger rauf, runter und wieder rauf analysiert als in "normalen" Jahren.
Das ist auf eine Weise angenehm (weniger Galligkeit im Filmdiskurs ist immer eine gute Sache). Aber es nimmt auch Spannung aus der Reise gen Oscar-Nacht. Und... es erschwert die Vorhersage. Aber ich will meine liebgewonnene Oscar-Tradition nicht aufgeben. Also: Hier sind sie, meine ins Blaue geratenen Vorhersagen, wer bei der 94. Vergabe der Academy Awards siegreich hervorgeht.
Bester Kurzfilm
Ala Kachuu – Take and Run
The Long Goodbye - Gewinner
On My Mind
Please Hold
Sukienka
Bester Kurz-Dokumentarfilm
Audible
Lead Me Home
The Queen of Basketball - Gewinner
Three Songs for Benazir
When We Were Bullies
Bester animierter Kurzfilm
Affairs of the Art
Bestia - Gewinner
Boxballet
Robin Robin
The Windshield Wiper
Bester internationaler Film
Drive My Car, Japan
Flee, Dänemark
The Hand of God, Italien
Lunana, Bhutan
Der schlimmste Mensch der Welt, Norwegen - Gewinner
Ich habe die Befürchtung, dass ich mich ärgern werde. Ich habe seit Wochen das Bauchgefühl, dass Der schlimmste Mensch der Welt diesen Preis gewinnen wird, OBWOHL Drive My Car als "Bester Film" nominiert ist. Drive My Car könnte seine Votes splitten, zudem kam es während der Votingphase zu einem neuen Hoch an Lobpreisungen von Triers Romantik-Dramödie, das Der schlimmste Mensch der Welt über die Ziellinie gebracht haben könnte. Aber ist es klug, den ziemlich sicheren Tipp Drive My Car für ein Bauchgefühl zu opfern?! Nein, überhaupt nicht. Mach ich es dennoch? Ja. Ich bin echt der schlimmste Mensch der Welt...
Beste Dokumentation
Ascension
Attica
Flee
Summer of Soul - Gewinner
Writing with Fire
Bester Animationsfilm
Encanto - Gewinner
Flee
Luca
Die Mitchells gegen die Maschinen
Raya und der letzte Drache
Beste Effekte
Dune - Gewinner
Keine Zeit zu sterben
Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings
Spider-Man: No Way Home
Free Guy
Bester Sound
Belfast
Dune - Gewinner
Keine Zeit zu sterben
The Power of the Dog
West Side Story
Bester Originalsong
Down to Joy aus Belfast
Dos Oruguitas aus Encanto - Gewinner
Somehow You Do aus Four Good Days
Be Alive aus King Richard
No Time to Die aus Keine Zeit zu sterben
Beste Originalmusik
Nicholas Britell, Don't Look Up
Hans Zimmer, Dune - Gewinner
Germaine Franco, Encanto
Alberto Iglesias, Parallele Mütter
Jonny Greenwood, The Power of the Dog
Bestes Produktionsdesign
Dune
Nightmare Alley - Gewinner
The Power of the Dog
The Tragedy of Macbeth
West Side Story
Bestes Makeup & Hairstyling
Cruella
Dune
Der Prinz aus Zamunda 2
The Eyes of Tammy Faye - Gewinner
House of Gucci
Bester Schnitt
Hank Corwin, Dont' Look Up
Joe Walker, Dune
Pamela Martin, King Richard
Peter Sciberras, The Power of the Dog - Gewinner
Myron Kerstein und Andrew Weisblum, Tick, Tick…Boom!
Beste Kostüme
Jenny Beavan, Cruella - Gewinnerin
Massimo Cantini, Cyrano
Bob Morgan & Jacqueline West, Dune
Luis Sequeira, Nightmare Alley
Paul Tazewell, West Side Story
Beste Kamera
Greig Fraser, Dune
Dan Laustsen, Nightmare Alley
Ari Wegner, The Power of the Dog - Gewinnerin
Bruno Delbonnel, The Tragedy of Macbeth
Janusz Kaminski, West Side Story
Bestes Original-Drehbuch
Paul Thomas Anderson, Licorice Pizza - Gewinner
Zach Baylin, King Richard
Kenneth Branagh, Belfast
Adam McKay, Don't Look Up
Joachim Trier und Eskil Vogt, Der schlimmste Mensch der Welt
Bestes adaptiertes Drehbuch
Jane Campion, The Power of the Dog
Maggie Gyllenhaal, Frau im Dunkeln
Ryusuke Hamaguchi, Drive My Car
Sian Heder, CODA - Gewinnerin
Eric Roth, Jon Spaihts und Denis Villeneuve, Dune
Bester Nebendarsteller
Ciarán Hinds, Belfast
Troy Kotsur, CODA - Gewinner
Jesse Plemons, The Power of the Dog
J.K. Simmons, Being the Ricardos
Kodi Smit-McPhee, The Power of the Dog
Beste Nebendarstellerin
Jessie Buckley, Frau im Dunkeln
Ariana DeBose, West Side Story - Gewinnerin
Judi Dench, Belfast
Kirsten Dunst, The Power of the Dog
Aunjanue Ellis, King Richard
Bester Hauptdarsteller
Javier Bardem, Being the Ricardos
Benedict Cumberbatch, The Power of the Dog
Andrew Garfield, tick, tick... Boom!
Will Smith, King Richard - Gewinner
Denzel Washington, The Tragedy of Macbeth
Beste Hauptdarstellerin
Jessica Chastain, The Eyes of Tammy Faye
Olivia Colman, Frau im Dunkeln
Penelope Cruz, Parallele Mütter
Nicole Kidman, Being the Ricardos
Kristen Stewart, Spencer - Gewinnerin
Beste Regie
Paul Thomas Anderon, Licorice Pizza
Kenneth Branagh, Belfast
Jane Campion, ThePower of the Dog - Gewinnerin
Ryūsuke Hamaguchi, Drive My Car
Steven Spielberg, West Side Story
Bester Film
Belfast
CODA - Gewinner
Don't Look Up
Drive My Car
Dune
King Richard
Licorice Pizza
Nightmare Alley
The Power of the Dog
West Side Story
Die Vernunft sagt The Power of the Dog, das Näschen für die Berichterstattung aus Hollywood und der Blick auf den Preis der Produzentengewerkschaft sagt CODA...
Bevor wir endlich meine Top Ten des Jahres 2021 erreichen, hier rasch ein paar Ehrennennungen für Filme, die es fast in die Liste geschafft hätten. Da wären etwa die amüsante, galant-stilvolle Betrugskomödie Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull von Detlev Buck, der einfallsreiche Zensurhorror Censorder Newcomerin Prano Bailey-Bond und die schräge Nicolas-Cage-Show Willy's Wonderland.
Auch James Wans kreativer Wahnwitz Malignant und die von der Dynamik zwischen Emily Blunt und Dwayne Johnson profitierende Abenteuerkomödie Jungle Cruisehaben mir (trotz mal größerer, mal kleinerer Schwächen) gefallen. Kaiserschmarrndrama gehört zur Speerspitze der Eberhofer-Krimis und wäre daher fast als positives Signal in meiner Liste gelandet. The Night Houselässt Rebecca Hall klasse aufspielen und ist in seinen besten Momenten ein findiger Horror-Thriller über Depressionen, und mit Dinner for Two hätte ich gern einen dritten kulinarischen Film in die Liste gepackt. Doch nach dem sinnlich-spannenden, stylisch gefilmten Auftakt verliert sich der Film zwischendrin. Auch wenn das pfiffige Finale ihn fast wieder in die Charts gekickt hätte... Und Disney+ hatte mit Happier Than Ever: Ein Liebesbrief an Los Angeles, Flora & Ulysses und Summer of Soul drei sehr unterschiedliche, sehenswerte Originalfilme im Portfolio, die es in mein Ranking hätten schaffen können.
Und dann ist da natürlich Ghostbusters: Legacy mit einer grandiosen McKenna Grace, einem witzig-charmanten Paul Rudd und einer routinierten Carrie Coon sowie einem bunten Sortiment an Situationskomik und bewusst-miesen Wortspielen. Eine echte Charmekanone, bei der mich aber die Spielberg-Patina, der ins Nichts führende Subplot um den Bruder (den man einfach hätte raus schreiben können) und der Schluss, der berührend und erfüllend beginnt und dann so lange weitergeht, bis er den neuen Figuren ihren eigenen Film raubt, stutzig gemacht haben. Ich habe den Film sehr, sehr gern und vielleicht rutscht er über die Jahre noch in meine Favoriten von 2021, aber Stand jetzt ruht er auf Rang 51, eifrig in die Top 50 schielend. Was soll ich sagen, 2021 war für mich ein deutlich, deutlich stärkeres Filmjahr als 2020.
Klammheimlich feierte 2021 eine großartige Dokumentation im Programm von arte ihre Deutschlandpremiere: Benjamin Ree erzählt in The Painter and the Thief eine Geschichte, die so nur das Leben schreiben kann. Denn wäre dies ein fiktionaler Film, würde er mich dank seiner emotionalen Twists und seines cleveren, immer wieder zum Staunen einladenden und dank seines die Gedanken durchrüttelnden Schnitts begeistern - doch ich fürchte, viele Leute würden ihn als unglaubwürdig schelten. Malerin Barbora Kysilkova erfährt nach einer Ausstellung, dass eines ihrer wichtigsten Gemälde gestohlen wurde. Sehr zur Verwunderung ihres Lebensgefährten sucht sie Kontakt zu einem der beiden Diebe. Nicht nur, um Informationen über den Diebstahl aus ihm herauszuquetschen, sondern auch, um seine Lage zu verstehen, seine Motivation zu begreifen und um sich einen Eindruck von seinem Leben zu verschaffen. Eine komplizierte Freundschaft entsteht, in der sich Barbora und der Reue zeigende, dennoch weiter unberechenbare Karl-Bertil Nordland gegenseitig ständig herausfordern, sich reiben und zu charakterlichen Wandeln drängen. Überaus berührend, voller fesselnder Einsichten und inspirierend!
Platz 9: Bad Luck Banging or Loony Porn (Regie: Radu Jude)
Das Sexvideo einer Lehrerin wird gegen ihren Willen auf einer Pornoplattform veröffentlicht, woraufhin sich ihr Kollegium und die Eltern ihrer Schüler:in gegen sie stellen und sie mit Eifeseifer ihren Job verteidigen muss. Denn natürlich argumentieren die Eltern minderjähriger Kinder, die auf Pornoseiten herumsurfen, dass es die dort unwillentlich auffindbare Lehrerin ist, die die Moral dieser Kinder verdirbt, und selbstredend hat niemand Mitleid mit dem Opfer einer nicht eingewilligten Veröffentlichung intimer Aufnahmen. Das allein ist schon Stoff, aus dem sich ein scharfzüngiges Gesellschaftsporträt weben ließe, doch Radu Jude versieht diese Grundidee mit einer gigantischen Parade an Troll-Manövern, die Lars von Trier sicherlich Glückstränen ins Gesicht treiben würden, messerscharfen Detailbeobachtungen und wütenden Rundum-Austeil-Attacken, die zwar durch und durch Judes heimisches Rumänien abbilden, aber etwas gröber betrachtet genauso gut für Deutschland sprechen könnten. Hinzu kommen eine starke Performance ohne Scheu von Hauptdarstellerin Katia Pascariu und viele feine Augenblicke des Pandemie-Zeitgeistes.
Vier befreundete Lehrer beklagen sich über ihr langweilig gewordenes Leben. Auf einer Geburtstagsfeier entscheiden sie, ihr Dasein aufzurütteln und fortan mehr zu trinken. Was mit Schalk im Nacken und Grinsen in den Backen als wissenschaftliche Studie entschuldigt wird, ist letztlich doch nur Flucht vor der Verantwortung, Entscheidungen darüber zu treffen, wie sie ihre beruflichen Probleme, ihre Familiensorgen, ihren Liebesfrust oder ihre Einsamkeit überkommen können. Was folgt, ist teils "Mach dir dein kurzes Leben zum Fest, statt dich ständig selbst zu geißeln"-Manifest, teils Mid-Life-Crisis, teils Anklage der gesellschaftlichen Verharmlosung von Alkohol(ismus), teils Freundschafts- und Familiendrama, doch stets wundervoll-paradoxes Kino: In Gedenken an seine kurz nach Produktionsbeginn verstorbene Tochter macht Thomas Vinterberg Der Rausch zum lebensbejahendsten Film, den man über drei ständig saufende Deprimierte und einen Depressiven machen kann, und zugleich zu einem nachdenklichen, bitter-säuerlichen Prickelwasser von einem Film in Feierlaune. Das Ergebnis ist, nicht zuletzt dank eines einmal mehr brillanten Mads Mikkelsen, süffig, jedoch schwer; erfrischend, aber eine Explosion feiner, nuancierter Noten. Skål!
Platz 7: The Green Knight (Regie: David Lowery)
Da wird der in den Mediävistik-Vorlesungen hockende Germanistik-Student in mir wieder wach. Lasst die ganzen anderen verzweifelten Versuche, ein Filmuniversum im Stile des MCU zu bilden sein, gebt mir ein Artussagen-Filmuniversum im Stile von David Lowerys The Green Knight, verdammt noch eins. Eine zum Schneiden dichte, horroresk angehauchte Atmosphäre, erdrückende Bildgewalt, ein glänzender Dev Patel, mit dem Lowery archaische Männlichkeitsbilder kommentiert, und ein die Nackenhaare aufstellendes Klangbild machen The Green Knight zu einer unvergesslichen Erfahrung.
Platz 6: tick, tick... BOOM! (Regie: Lin-Manuel Miranda)
Gibt es in Musicalhausen ein größeres Phänomen mit strenger Generationengrenze als Rent? Ist man eine Spur zu alt, ist die Chance riesig, dass man das Erfolgsphänomen als anstrengend erachtet. Ist man eine Spur zu jung, zählt man es an den zahllosen "Ja, also, mittlerweile würden wir das aber anders anpacken..."-Aufhängern aus, die praktisch allem innewohnen, das zur selben Zeit entstanden ist, und versuchte, in einem älteren Medium progressiv zu agieren. Und eben diese strenge Zielgruppen-Altersgrenze hat sich auch bei der Filmversion von tick, tick... BOOM! bemerkbar gemacht, denn während jene Lin-Manuel Mirandas Ehrerbietung für den Rent-Schöpfer ins Aus geschoben haben, weil es halt Rent-Schöpfer Jonathan Larson feiert, haben sich die Anderen mitreißen lassen. Und was soll ich sagen: Ich habe Verständnis für alle über, die sich nicht von diesem Musical haben abholen lassen können. Aber als jemand, der sich hat abholen lassen konnte, muss ich sagen:
Ich find's auch schade für euch, denn Mirandas Adaption des weniger bekannten Larson-Musicals ist temporeich, gewitzt sowie gefühlvoll inszeniert, großartig von Andrew Garfield gespielt und wie viel Herzblut Mister "I am not throwing away my shot" in diese "Ich kann es nicht erklären, aber ich habe das Gefühl, dass ich jetzt leisten muss und ich habe nichts zu erzählen, nur mein Umfeld, und was soll ich denn jetzt tun?!" in diese Geschichte steckt, ist nahezu beängstigend. Als würde auch Miranda was über seine Zukunft befürchten. Und eben diese Unmittelbarkeit hat genug Nerven bei mir getroffen, dass ich diese passionierte Kreativgeschichte voller Ehrfurcht in meine Top Ten packe.
Die absolute Nummer eins der unnötigen Filmkontroversen 2021 und obendrein ein echt toller Film: In Malcolm & Marie lässt Sam Levinson einen Regisseur (John David Washington) und seine Freundin/Muse (Zendaya) in gegensätzlicher Stimmung nach einer Filmpremiere nach Hause kehren. Was folgt, ist ein sinnlich sowie feurig gespieltes, dramatisches und bitterbös-witziges Streitgespräch über Liebe, Verantwortungsbewusstsein, Prahlerei, Aneignung fremder Geschichten und Kritikunfähigkeit. Und ganz gleich, wie gallig Malcolm und Marie aufeinander reagieren, die dünnhäutigste Partei in dieser Geschichte saß Anfang 2021 vor den Bildschirmen und redete sich ein, dass dieser Film ein einziger Angriff auf sie sei: Teile der Filmpresse. Dabei hat Malcolm & Marie mit seinem Streit zwischen Passion und Vernunft, Analyse und Gefühl, Beobachten und Erleben, und schlichtweg zwischen zwei Liebenden, die eine ätzende Nacht durchmachen, so viel spannenderes und besseres zu erzählen, als sich vollauf auf meinen Berufsstand einzuschießen. Gewiss, in meinen Jahrescharts bekommt Malcolm & Marie noch einen gehörigen Streit-Kammerspiel-Bonus, da ich eine riesige Schwäche für dieses Genre habe und Levinson das Genre mit Genuss bedient, doch selbst wenn ich diesen Bonus abziehe, bleibt ein mit Feuer und Flamme gespielter, mit kühl-versierter Hand inszenierter Film übrig. Mehr Respekt für Malcolm & Marie!
Und noch ein Liebespaar am Rande der Verzweiflung: In The Nest driften Spekulant Jude Law und Pferdehalterin Carrie Coon nach dem neusten Umzug auseinander. Sean Durkin erzählt dieses Liebesdrama gleichzeitig mit Feingefühl, als dass er keine der beiden Hauptfiguren dämonisiert (selbst wenn Laws berufliche Gier und Ignoranz gegenüber der Lage seiner Familie unmissverständlich die Antriebsfeder des Unheils ist), und mit inszenatorischer Wucht. Denn obwohl dies inhaltlich ohne jede Widerrede ein Drama ist, fühlt sich The Nest wie ein Horrorthriller an, in dem sich jeden Moment herausstellen könnte, dass das neue, weitläufige Anwesen dieser Familie verflucht ist und sich gegen sie wendet. Law und Coon spielen herausragend, ihre Filmkinder sind ebenfalls sehr gut, das Setting eindrucksvoll und der Film ist genauso effizient-knackig erzählt, wie thematisch vielschichtig.
In der Sekunde, in der David Priors fiktionales Regiedebüt The Empty Man von US-Kritiker Rob Hunter mit den Arbeiten Gore Verbinskis verglichen wurde, wusste ich: Ich muss diesen Film sehen! Damit war jedoch auch die Fallhöhe enorm - was, wenn The Empty Man nicht hält, was er verspricht? Doch glücklicherweise hält The Empty Man das ein, was ich mir durch Rob Hunters Aussage versprochen habe. Und so, wie sich die titelgebende, tödliche Schreckensgestalt und ihre Botschaft in Priors loser Comicadaption reihenweise herumsprechen, ging auch im realen Leben die Botschaft dieses Films umher.
Hunter fixte mich an, ich habe meine Lieblingskollegin Antje darauf hingewiesen, die verbreitete die Botschaft in ihrem Kollegium, das verbreitete erfreute Hinweise auf den Film, und dann erfolgte urplötzlich und ohne Vorwarnung der deutsche Streamingstart (ganz ohne jegliche Fanfare) und ich durfte bei Filmstarts von The Empty Man schwärmen. Von diesem atmosphärisch dichten Film mit hervorragender Kameraarbeit, der unheilvoll durch mehrere Horrorsubgenres schleicht, von Orientierungslosigkeit, Abhängigkeit, Beeinflussbarkeit und Depression handelt, ein beunruhigendes Sounddesign hat und bei dem nach und nach die innere Logik zerfasert, so, wie auch der Protagonist des Films den Überblick dieser ausufernden Geschichte verliert.
Soghaft, finster, raffiniert, genau meinen Horrorgeschmack treffend und zu spannendem Effekt jegliche Tiefenwahrnehmung aushebelnd, hat sich The Empty Man in meinem Hinterkopf festgesetzt und lässt sich dort nicht mehr verjagen. Ich erwähnte weiter oben, dass (nach deutschen Veröffentlichungsterminen gehend) 2021 für mich ein besseres Filmjahr war als 2020. Das hier sollte doppelt und dreifach unterstreichen, wie viel besser: Würde ich The Empty Man basierend auf seinem US-Kinostart als 2020er-Film werten, müsste er sich die Nummer eins des Jahres 2020 schnappen. Und dennoch ist er in diesem 2021er-Ranking nur auf dem Bronzerang.
Platz 2: Encanto (Regie: Byron Howard, Jared Bush & Charise Castro Smith)
Wie gut fand ich das Filmjahr 2021? So gut, dass ich mit Herzschmerz, aber ohne zu zögern, Encanto nur auf Platz zwei setze. Encanto, den zauberhaften Disney-Animationsfilm, der mich in seiner Emotionalität mehr berührt hat, der mich in seiner Beschwingtheit mehr mitgerissen hat, den ich in seiner visuellen Brillanz - von den kräftigen Farben über die herrlichen Figurendesigns und der grandiosen Lichtsetzung bis hin zur ausdrucksstarken, detailreichen Animation und den fantastischen Tänzen - so sehr feiere wie seit Rapunzel keinen Film der Walt Disney Animation Studios. Encanto trifft bei mir einfach durchweg die genau richtigen Nerven. Das Abschneiden in einer Jahresbestenliste sagt halt nicht nur über den betreffenden Film etwas aus, sondern auch über das Jahr drumherum. Dieses Silber hier ist wertvoller als so manches Gold.
Unbestritten mein Film des Jahres 2021. Einerseits, weil er der 2021ste Film meines Filmjahres ist. Wiederholungen. Sich irgendwie ganz passabel selbst amüsierend durch die Wiederholungen schlagen, wohlwissend, dass die Situation an anderen Nerven nagt. Die Suche nach den kleinen, bislang übersehenen Perfektionen, um sich die Wiederholungen und das Nicht-ausbrechen-können-oder-wollen-oder-sollen schmackhaft zu machen. Andererseits, weil ich mich 2021 in keinen anderen Film derart schockverliebt habe, wie in Sechzehn Stunden Ewigkeit. Diese kuschelige, freundlich-charismatische, betont unaufgeregte Teenager-/Young-Adult-Romantikdramödie hat mich mit ihren Figuren vollkommen bezirzt. Und damit, wie Kyle Allen und Kathryn Newton (hierdurch und durch Freaky wohl so etwas wie die heimliche Schutzpatin meines Filmjahres 2021) diese Freundschaft/Leidensgenossenschaft/potentielle Liebe ausspielen. Damit, wie klein-fein-beiläufig Samuels diese Geschichte umsetzt, ohne den ihr innewohnenden Witz, Zauber und auch Schmerz unter Wert zu verkaufen. Damit, wie Lev Grossmans Drehbuch schleichend den erzählerischen Fokus ver- und die Referenzen auf Genrekollegen hinfortschiebt, seine Geschichte somit allen deutlichen Vorbildern zum Trotz quasi emanzipiert.
Als ich Sechzehn Stunden Ewigkeit in einer zum Tag gewordenen Februarnacht zum ersten Mal sah, musste ich zwischendurch auf Pause drücken, um mir die vor Rührung wässrig gewordenen Augen trockenwischen zu können, ohne etwas vom Film zu verpassen. Es ist so, dass Sechzehn Stunden Ewigkeit bei mir zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Knöpfe gedrückt hat, aber manchmal muss man so ehrlich sein und hyperspezifische "Japp, dieser süße, gut gemachte Film wird dadurch, wie er mich antrifft, in meiner Welt zu dem Film des Jahres"-Situationen als solche erkennen und anerkennen. So, wie es für mich 2004 kein Vorbei an Garden State gab, ist Sechzehn Stunden Ewigkeit das Nonplusultra meines zweiten Pandemiejahres.
Ich fürchte, dass ich durch diese hohe Platzierung bei allen, die das hier lesen und den Film noch nicht gesehen haben, die Erwartungen zu hoch schraube. Aber andererseits freue ich mich über jedes weitere Bisschen Liebe, das der Film erhält, wann immer noch jemand auf ihn neugierig gemacht wird. Denn manchmal sind es die kleinen Dinge, die Nachwirkung haben. Kleine Dinge, wie diese unbedeutende Jahresbestenliste, die im März des Folgejahres erscheint, und vielleicht, hoffentlich Sechzehn Stunden Ewigkeit noch ein paar Fans verschafft. Oder etwas größere, aber immer noch kleine Dinge wie dieser von Amazon beiläufig veröffentlichte Streamingtitel mit jeder Menge genreinterner Konkurrenz, der aber einfach seine Sache richtig hübsch durchzieht.