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Sonntag, 8. Januar 2023

Meine liebsten Musical-Einlagen 2022

Ich liebe Musicals, und ich habe oftmals diebischen Spaß daran, wenn sich Non-Musicals kurzzeitig in die kinetische Welt des Gesangs und Tanzes stürzen. Daher möchte ich die lange, lange Wartezeit zwischen meiner Flopliste 2022 und meinen noch ausstehenden Tops überbrücken, indem ich hier meine liebsten Musik-und-Tanz-Sequenzen 2022 zelebriere. 

Bevor ich zu den Top 10 komme, erst einmal in beliebiger Reihenfolge ein paar artverwandte Szenen, die es mir ebenfalls angetan haben. In Baz Luhrmanns rauschhaftem Biopic Elvis stechen vor allem die Performance von Trouble, die Elvis' rebellisches Naturell unterstreicht, Suspicious Minds, das er in Las Vegas in einer Szene singt, während seine Missachtung für seinen Manager wächst, und die Gänsehaut-Darbietung von Unchained Melody heraus. Jedoch sind es streng genommen keine Musical-Einlagen, sondern schlicht und ergreifend Bühnenauftritte in einem Film über einen Musiker. 

Tonal und inszenatorisch ganz anders, allerdings aus demselben Grund kein Musical, ist die Netflix-Komödie Metal Lords, die für mich eine der freudigsten Überraschungen des Jahres war: Inszeniert von Peter Sollett (Nick und Norah – Soundtrack einer Nacht) und geschrieben von D. B. Weiss (Game of Thrones) dreht sich der Film um eine Außenseitertruppe, die durch ihre Liebe (oder neu gefundene Begeisterung) zum Metal zusammengeschweißt wird. Die Komödie hat Charme und Witz, mutet ein bisschen so an, als hätte man einen Disney-Teenie-Film oder einen School of Rock-Trittbrettfahrer genommen und mit ein paar Kanten und sexuellen Anspielungen gewürzt, ohne dabei unnötig zu übertreiben. Emma.-Nebendarstellerin Isis Hainsworth kann hier gehörig auftrumpfen und die Performances der Band, inklusive des Originalsongs Machinery Of Torment, können sich echt hören lassen!

Auch im Kino gab es eine fiktive Band zu sehen, die fetzt: Die Dramödie Alle für Ella mit Lina Larissa Strahl über drei Freundinnen, deren Beziehung zueinander durch sich unterscheidende Karrierebestrebungen bedroht wird, hat sogleich mehrere stimmige Originalsongs zu bieten. Der beste ist der auch in der Promo zum Film viel verwendete, bittersüße Meine Fehler, der Dickköpfigkeit, die Lust, aufzubrechen, und einen Hauch Reue vereint.

Um aber endlich zu Musicaleinlagen zu kommen: Das märchenhafte Abenteuer Der gestiefelte Kater: Der letzte Wunsch sieht nicht bloß atemberaubend aus, sondern beginnt auch mit einer peppigen, etwas monotonen, aber dadurch auch irgendwie verwunderlich-humorvollen, selbstbeweihräuchernden Musicaleinlage darüber, wie toll, beliebt und furchtlos der Titelheld doch ist. Die Szene macht Spaß, ging mir dann für einen Zeitraum von vielleicht 15 Sekunden zu lang und danach dachte ich nur noch "Oh, das kann noch stundenlang so weitergehen". Es ist kein Song, den ich mir vom Film losgelöst häufig anhören würde, aber ich denke gern an die Szene zurück (und an den grandiosen Film insgesamt sowieso).

Und Verwünscht nochmal hat mich zwar mit seiner laschen Gagdichte, ernüchternden Charakterzeichnung und steifen Inszenierung ziemlich enttäuscht (lang erwartete, direkt auf Disney+ geparkte Sequels hatten 2022 ein Murks-Jahr). Aber: Das musikalische "Ich bin besser darin, böse zu sein, als du"-Duell zwischen Amy Adams und Maya Rudolph hat mich kurzzeitig davon träumen lassen, dass eine gelungenere Version des Films möglich war.

Tja, und wenn ich aktuell Apple TV+ hätte, könnte ich auch sagen, ob eine Szene aus Spirited in meinem Ranking wäre. Aber da dem nicht so ist, geht's nun halt endlich mit meinen Top 10 los. Und in Anlehnung an meine früheren Filmsongs-Rankings hier im Blog (und um keinen Überdruss an Songs aus einem einzigen Film zu haben), gilt: In die Top 10 darf nur eine Musicaleinlage pro Film! Doch ich lasse euch hie und da wissen, welche anderen Songs ich mochte, wenn es sich denn anbietet...

Platz 10: Big Time aus Bühne frei für Nate

Disney hat leider vorerst seinen King of Camp an Netflix verloren. Aber nimmt man Disney einen Kenny Ortega weg, und gibt ihm bei der Konkurrenz einen Exklusivvertrag, dann wachsen zwei Camp-Kronprinzen nach: Paul Hoen schickt sich mit seiner Z-O-M-B-I-E-S-Saga an, die quirlig-stolze, bunt-schräge Seite Ortegas im Maus der Haus aufrecht zu halten. Cocktailbuchautor Tim Federle wiederum führt nicht nur mit High School Musical: Das Musical: Die Serie Ortegas inhaltliches Erbe fort, sondern inszenierte mit der Disney+-Adaption seines eigenen Bühnenstücks Bühne frei für Nate die Art Film, die Ortega sicher schon längst für Disney gemacht hätte, wäre die Zeit früher reif gewesen: Ein musicalbegeisterter Junge dampft abrupt ab nach New York, um bei einem Broadwaymusical vorzusprechen. Was daraus entsteht, hat die "Kind in der großen Stadt"-Energie früherer Disney Channel Original Movies, gefilmt mit der Größe einer 2000er-Jahre-Disney-Familienomödien-Kinoproduktion. Doch: Halt!

Titelheld Nate und seine beste Freundin haben keinen romantischen Subplot, sondern eine "Sie glaubt, wenn man so eng miteinander ist, müsste da vielleicht Interesse füreinander bestehen, weil, so läuft das doch...(?) während er sich einen Ruck gibt und ein Regenbogenglücksarmband kauft"-Randgeschichte. Ein kurzweiliger Disney-Film, der seine Begeisterung für Bühnenmusicals verinnerlicht hat, aber ähnlich verstohlen-impulsiv zeigt wie Nate zum Verkaufsstand stürmt, um sich sein Armband zu holen: Die meisten Musikeinlagen sind eher kontemporär-social-media-tauglich, was Federle authentisch ins Geschehen einbindet, statt anbiedernd. Dennoch schlägt mein Herz am lautesten, wenn es altmodisch in einer "I Want It All aus High School Musical 3: Senior Year"-esken Traumsequenz auf die Bretter geht, die die Welt bedeuten.

Platz 9: One Way or Another aus Hocus Pocus 2

Habe ich schon gesagt, dass ich Kenny Ortega vermisse? Hocus Pocus 2 führt nahezu konstant vor, dass der Choreograf und Regisseur eine prägendere Handschrift hat, als man ihm gemeinhin zumuten würde. Aber wenigstens der obligatorische Versuch, die I Put a Spell on You-Sequenz aus dem Original zu kopieren, macht was her. Die Magie konnte nicht wiederholt werden, aber hier ist wenigstens ein Funken munter-spritziger Zauber versteckt, der dem restlichen Sequel praktisch durchweg fehlt.

Platz 8: Rip up the Recipe aus Lyle - Mein Freund, das Krokodil

Ein super-knuffiges Krokodil, das singen und tanzen kann, freundet sich mit einer etwas chaotischen Familie an: Fertig ist Lyle - Mein Freund, das Krokodil, ein Wohlfühl-Familienmusicalspaß mit Songs aus der Feder der Greatest Showman-Songwriter Benj Pasek & Justin Paul, unter Mitwirkung von Sänger (und Lyle-Originalstimme) Shawn Mendes. Ein harmloser, angenehmer Film, dessen Songs mir jedoch zumeist zu selbstständig-poppig sind. Als wären die potentiellen Spotify-Abrufzahlen wichtiger gewesen als ihre Integration in die Storyline. Rip up the Recipe ist die güldene Ausnahme (und im Film noch länger und pfiffiger als der obige Clip): Lyle bricht das Eis zur verschreckten Mutter des Hauses, indem er sie anregt, ihre Liebe zur Koch- und Backkunst wiederzufinden und abseits der Küche frohen, munteren Hobbys nachzugehen. Ein Sonnenstrahl von einer Szene!

Platz 7: Allein Allein aus Träume sind wie wilde Tiger

Nach Einsamkeit und Sex und Mitleid geht Lars Montag rüber ins Familienkino und inszeniert eine bunte Musicalkomödie voller Songs des Bibi & Tina-Teams Peter Plate & Ulf Leo Sommer. Der Ohrwurm Das Leben ist wie Mathematik, die Musiksehnsuchtsnummer Wenn ich sing und der Titelsong Träume sind wie wilde Tiger blieben mir in Erinnerung. Doch Allein Allein ist die für mich beste Kombination aus Lied und dazugehöriger Szene (die im Film auch wieder länger geht als der obige Clip). Mit Michel-Gondry-Touch sehen wir unsere Hauptfigur Ranji beim Musikvideodreh. Kreativ, verspielt, einfach hübsch: Noch ein Sonnenstrahl von einer Szene!

Platz 6: Clown Café aus Terrifier 2

Apropos froh und munter: Terrifier 2! Der absurde 139 Minuten lange, in feister Mitternachts-Sonderschiene-Logik operierende Slasher pausiert das Morden und Quälen für eine Traumsequenz, die zugleich mehrere Funktionen erfüllt. Sie diente zumindest mir als Irreführung, weil ich überzeugt war, dass sie jeden weiteren Kill des Films bitter-ironisch vorbereitet, was nicht in der von mir erwarteten Weise erfolgte. Sie bereitete aber sehr wohl spätere narrative Entwicklungen vor. Und sie gibt Regisseur Damien Leone ein Sprungbrett, um in diesem XXL-Schundkinoexzess sein Publikum minutenlang zu trollen. Naja, nicht sein komplettes Publikum, denn so Dödel wie ich sitzen fröhlich wippend vor der Kinder-TV-Gesang-Hommage und grinsen sich wund, statt sich zu wundern, geschweige denn zu langweilen. Für mich eine der Top-3-Szenen in diesem Film, der schon ganz allein ein knackiges Grindhouse-Double-Feature ergibt.

Platz 5: Someone to Say aus Cyrano

Wunderschöne Kostüme, bildhübsche Schauplätze und betörend-schmachtende Figuren: Joe Wrights Cyrano ist eine liebevolle Adaption des oft kopierten, adaptierten und neu interpretierten Cyrano de Bergerac-Stücks. Leider, leider, leider zündet bei mir nur selten die Musik, was in einem Musical nicht gerade ideal ist. Mit seinem verträumten Tanz durch Unmengen an Statist:innen und Drehorten, die UNESCO-Welterbe sind, ist Someone to Say trotzdem eine fabelhafte Szene. So fabelhaft, dass ich zwischendrin glatt vergesse, wie wenig mich der Song beeindruckt, und einfach nur mitschwärme.

Platz 4: Naatu Naatu aus RRR

Die zumindest in meinen filmaffinen Sphären am meisten hochgejubelte Musikeinlage des Filmjahres ist ein kräftiger Endorphinstoß mit einer einprägsamen Choreografie. Die drei Rs des Films, die Hauptdarsteller Rama Rao und Ram Charan sowie Regisseur S. S. Rajamouli, toben sich hier munter aus. Und daher gönne ich Naatu Naatu seinen Jubel. Aber er lässt mich auch etwas verwundert zurück, denn es ist für mich einfach "nur" eine echt gute Musik-und-Tanz-Einlage (lasst euch von meinem Begleittext zu Rang 5 nicht in die Irre führen, diese Top 10 lässt mein Filmherz höher schlagen, da ist Platz vier kein Trostpreis). Es ist für mich nicht, wie gemeinhin getan wird, ein positiver WTF?!-Moment, ein cineastischer Triumph oder gar die beste Filmsequenz des Jahrtausends. Naja, lieber verwunderlich viel Liebe, als dass onlinefilmdiskurstypisch alles übertrieben verrissen wird. Schmeißt das Genörgel über Bord und let's dance!

Platz 3: Anders ist gut aus Bibi & Tina: Einfach anders

Es gibt sie, diese Sequenzen, in denen ein nicht für den Film geschriebenes Lied durch geschickten Einsatz einen Film aufwertet und so sehr mit ihm verschmilzt, dass man schwören könnte, der Song sei für ihn geschrieben worden. Singin' in the Rain etwa wurde nicht für Singin' in the Rain verfasst, dennoch ist es der Einsatz in dieser Regiearbeit von Gene Kelly und Stanley Donen, der aus dem Musicallied einen Evergreen gemacht und den Film entscheidend mitgeprägt hat.

Nun mag es vermessen klingen, Anders ist gut respektive Bibi & Tina: Einfach anders mit Singin' in the Rain zu vergleichen, dennoch greifen ähnliche Argumente, selbst wenn in einer anderen Güteklasse: Das Lied Anders ist gut von Ulf Leo Sommer und Peter Plate wurde zuerst von Schlagersängerin Michelle veröffentlicht, ist in dieser Fassung aber diplomatisch gesagt nicht mein Fall. Die vom Bibi & Tina: Einfach anders-Cast eingesungene Version wiederum rundet (in einem Film voller Originalkompositionen) das kunterbunte, lebensfrohe Familienmusical nicht bloß thematisch ab. Sie klingt auch wenigerschmalzig, überzeugt mehr als ehrlich-munteres Lied über Selbstbewusstsein, Individualität und Zusammenhalt, und pusht somit den Film insgesamt noch einmal kurz vor Schluss. Simpel, aber effektiv.

Notiz am Rand: Auch die Originalsongs aus Einfach anders haben es mir nahezu durchweg angetan. Hallo Hallo ist ein absoluter Ohrwurm und die dazugehörige Szene buckscher Zuckerschock der Extraklasse (und war nach meinem ersten Anschauen des Films mein Favorit unter den Originalsongs), Bisschen kuscheln selbstironisch-und-dennoch-nicht-selbstdementierend harmonisch, Nein Danke ein wundervoller Unfug-Protestsong (und nach Runde zwei mein Liebling), Baby eine pfiffige Parodie selbstzentrischer Prahlsongs (wie sie nunmehr gerne bei der Teenie-Zielgruppe viral gehen), Lass es Kartoffeln regnen spricht wohl für sich, Liebe muss fliegen wirkt als Szene etwas gedrosselt (da wäre in Teil eins bis drei sicher mehr bei rausgesprungen), ist aber als Lied ein weiterer Ohrwurm, und V. Arscher ist im Moment mein Favorit unter den Originalsongs.

Platz 2: Alien Invasion aus Z-O-M-B-I-E-S 3

Das Finale der Disney-Musical-Trilogie Z-O-M-B-I-E-S ist wohl meine filmische Enttäuschung des Jahres: Gemessen an meinen Hoffnungen und Erwartungen hat mich die neuste Geschichte von Cheerleader-Mädchen Meg und Zombie-Quarterback Zed sehr ernüchtert zurückgelassen. Z-O-M-B-I-E-S 3 ist in meinen Augen keine Graupe, jedoch verzettelt er sich wiederholt und teilt sich seine Energien hinsichtlich Dramatik, Hibbeligkeit und Humor sehr ungleichmäßig ein. 

Doch der Filmbeginn ist mir prägnant in Erinnerung geblieben, inklusive des den Plot in Gang setzenden Songs Alien Invasion. Während dieser Nummer wurden bei mir Hoffnungen wach, Disney ließe Regisseur Paul Hoen von der Leine und gestatte ihm, quasi ein Disney-Repo! The Genetic Opera raushauen: Laut, schrill, sozusagen poppig-opernhaft beginnt Z-O-M-B-I-E-S 3 als EDM-Disney-Pop-Familienmusical, das sich mit beiden Händen an der Ikonografie von Genre-Comics, 50er-Sci-Fi und 30er/40er-Gruselfilmen bedient, gefiltert durch kinderfreundliche Kaugummiverpackung-Grafik, angereichert mit Selbstironie und mindestens einen Dreiviertelliter Energy Drink. Vielleicht traut sich Disney eines Tages, einen Film zu machen, der durchweg die Power dieser Musicaleinlage aufrecht erhält. Ich wäre Fan, ach was, Überfan!

Die weiteren Songs des Films sind stellenweise Mitgrund, weshalb Z-O-M-B-I-E-S 3 als Film nicht höher in meiner Gunst steht, aber Ain't No Doubt About It ist als Song und Szene schön-neckischer Disney-Teenie-Camp

Platz 1: Revolting Children aus Roald Dahls Matilda - Das Musical

Pride-Regisseur Matthew Warchus inszenierte am Londoner West End eine ungeheuerlich erfolgreiche und vielfach prämierte Bühnen-Musicalfassung von Matilda, dieses Jahr brachte er das Theaterstück auf die Leinwand (etwa in Großbritannien), respektive direkt zu Netflix (etwa in Deutschland). Dabei herausgekommen ist ein kreativer Film, der seine Vorlage und dessen Vorlage respektiert, sich jedoch nicht zwanghaft an ihnen klammert, sondern wiederholt eigene Wege geht, um sich seinem Medium anzupassen. Zwar finde ich Warchus' Roald Dahls Matilda - Das Musical ein wenig überdehnt, trotzdem ist es ein einfalls- und energiereicher Film mit starkem Cast und zahlreichen denkwürdigen Nummern

Die Szene des Films schlechthin ist für mich die vorletzte Gesangs- und Tanzeinlage, das befreiende und kraftvolle Revolting Children, in dem die unterjochten Schüler:innen geschlossen aufbegehren und singend, tanzend, revoltierend für ihr Recht einstehen, jung, wild und experimentierfreudig zu sein.

Warchus warf den gesamten Film über die Bühnenchoreografie aus dem Fenster, um die Lieder aus dem Bühnenstück reif für die Kamera zu machen, und für die Revolting Children-Sequenz hatte seine Choreografin Ellen Kane zwei Wünsche. Erstens: Der mit 300 (!) Tänzer:innen gedrehte Aufstand der Kinder sollte gleichberechtigt von einem Jungen und einem Mädchen angeführt werden. Zweitens: Die ganze Szene sollte sich so anfühlen, als würde ein Staudamm brechen und daraufhin eine Flut die Schule überrollen. Warchus folgte Kanes Wunsch und so schufen sie die beste Musicalszene des Jahres, mit großem Abstand! 

Die Tanzschritte und akrobatischen Einlagen sind atemberaubend, die Kamera hält mit den losgelösten Kindern Schritt, gleichzeitig sorgt ein vergleichsweise gezügelter Schnitt dafür, dass wir das Spektakel auf uns wirken lassen können, es uns förmlich wegspült, statt dass es ein Schnittgewitter davon ablenkt. Der temporeiche, beschwingte und ebenso gewitzte wie triumphal-aufstachelnd Song entwickelt daher förmlich Signalwirkung, ist die Krönung des vorangegangenen Films und führt einen Großteil der Geschichte zu einem emotional höchst befriedigenden Abschluss.

Und ja, die Sequenz hat Meesha Garbett zur TikTok-Ikone gemacht, aber im Gegensatz zu gewissen anderen TikTok-Ereignissen 2022 mit Filmbezug lässt mich das nicht ratlos zurück. Im Gegenteil: Garbett haut hier eine wuchtige Performance raus und gibt der Sequenz einen zusätzlichen Pepp. Dass sie via TikTok Millionen von (oft jungen) Menschen ordentlich einheizt, sei ihr vergönnt und bestätigt die Wirkung dieser Szene. Revolting Children - das Highlight des Films, ein Highlight des Filmjahres 2022 und ich wage die Prognose: Ein filmischer Höhepunkt, der noch lange nachwirken wird!

Montag, 11. Juli 2022

Z-O-M-B-I-E-S 3


2018 strahlte der Disney Channel mit der Musicalkomödie Z-O-M-B-I-E-S einen Film aus, der mein Herz im Sturm erobert hat. In einem Farbschema irgendwo zwischen Pastell-Postkartenmotiv und Kaugummi-Verpackung gehalten und mit einer inszenatorischen Energie versehen, die einem Zucker-und-Koffeinschock gleicht, erzählt der Disney Channel Original Movie von der unmöglichen, gesellschaftlich verpönten Liebe zwischen einem menschlichen Cheerleader-Mädchen und einem von einer Football-Karriere träumenden Zombie-Jungen. Absurd, schrill, energiegeladen und superdeutlich in seiner Botschaft ist Z-O-M-B-I-E-S das uneheliche Kind zwischen der campigen Unschuld der High School Musical-Trilogie und dem feistem Fantasy-Camp der Descendants-Reihe. Herrlich.

2020 wurde der Film fortgeführt. Noch lauter. Noch bunter. Noch durchgedrehter. Und erstmals in der Geschichte des Disney Channels mit anamorphem Objektiv im kinoreifen Bildformat 2.39:1 gedreht. Z-O-M-B-I-E-S 2 wurde, wie schon sein Vorgänger, zu einem meiner liebsten Filme seines Jahrgangs. Meine Erwartungen auf Teil drei waren entsprechend hoch.

Hinsichtlich der Ambitionen zielt Z-O-M-B-I-E-S 3 nach oben. Es ist der Film mit dem höchsten Budget innerhalb der Reihe, mit gerüchteweise 20 Millionen Dollar im Rücken, und das sieht man ihm auch zu großen Teilen an. Weiträumigere Schauplätze. Mehr Schauplätze. Die Figuren machen viel mehr Make-up-Veränderungen und Kostümwechsel durch. Es gibt viel mehr Figuren, Punkt. Und Mensch, haut Regisseur Paul Hoen mit (gewollt) knallig-quietschigen Special Effects um sich!

Kein Wunder, dass Z-O-M-B-I-E-S 3 einen auf High School Musical 3: Senior Year macht und die Filmreihe in ein anderes Medium transportiert: Nach jeweils zwei TV-Premieren geht es dieses Mal nicht rüber ins Kino, sondern zu Disney+ (selbst wenn Z-O-M-B-I-E-S 3 weiterhin als Disney Channel Original Movie gelistet wird). Doch qualitativ geht Z-O-M-B-I-E-S 3 für mich leider nicht diesen Weg der Steigerung...

Alien-Invasion
Für Addison (Meg Donnelly) und Zed (Milo Manheim) stehen große Änderungen bevor: Ihr letztes Schuljahr endet bald, und sollte Zed das heiß ersehnte Sport-Stipendium erhalten, so kann er seiner Freundin auf's College folgen — und für alle Nicht-Menschen die Türen zur höheren Bildung aufsprengen. Doch der erhoffte, geordnete Abschied aus Seabrook gestaltet sich für das Grenzen überschreitende Traumpaar plötzlich viel chaotischer als gedacht. Denn die Ankunft von blauhaarigen Aliens stürzt das Städtchen in eine neuen Welle der Intoleranz: Menschen, Zombies und Werwölfe reiben sich gleichermaßen an der Ankunft dieser Neulinge. Nur die weiterhin ihre Identität hinterfragende Addison reagiert offenherzig...

Seabrook lernt einfach nicht dazu. Erst stören sich die Menschen an Zombies, die aus dem Ghetto rauswollen, dann ärgern sich Menschen und Zombies gleichermaßen über die Ankunft von Werwölfen, die in Wahrheit zuerst dieses Land besiedelt haben, dann jedoch von den Menschen in Reservate gescheucht wurden. Und jetzt raufen sich Menschen, Zombies und Werwölfe die Haare, weil Aliens in Seabrook aufschlagen. Das ist wenig originell, hat aber eine löbliche Methode, denn nicht nur Seabrook muss andauernd dazulernen...

Doch in der Umsetzung holpert diese Methode. Die Drehbuchautoren David Light & Joseph Raso predigen mit den Aliens erneut Toleranz, Verständnis und den Willen, sich in die Schuhe seines Gegenübers zu versetzen. Aber der Irrsinn ist futsch, dass Seabrook zugleich mit Hingabe und Irreverenz endlich die Augen über ein realweltlich überdeutlich gemeintes Pendant geöffnet bekommt. Es ist dieses Mal ein "Ja, hier, deutet es, wie ihr wollt, passt schon"-Rundumschlag. 

Vor allem aber gerät der "Wir führen schon wieder neue Figuren ein!"-Ansatz ins Holpern, weil sich die Filmschaffenden in der Umsetzung dabei übernehmen, all ihren Figuren gerecht zu werden.

Zu viel des Guten, zu wenig des Irren
Die Aliens platzen förmlich in Zeds und Addisons Vorstellungen dessen, wie ihr Schulabgang verlaufen wird, woraufhin sämtliche Storyentwicklungen massiv ausgebremst werden. Obwohl bereits zahlreiche Wege eingeschlagen wurden, hechten Light und Raso erst im letzten Drittel eilig durch die Charakterentwicklungen und Handlungsbögen.

Das bedeutet: Bei Z-O-M-B-I-E-S 3 drehen die Reifen auf der Stelle, bis es qualmt, und dann knallt der Film im Abschlussakt durch Konflikte, Herzschmerz, Freude, Enthüllungen und Irrwitz, um irgendwie die Story abzurunden. Ganz ohne Gefühl dafür, die ehrlichen Momente so atmen zu lassen, dass es den Figuren emotional gerecht wird, und nur mit einem Bruchteil der Spaßigkeit, die diese Reihe als Camp-Fest so genüsslich macht. Eine Reduzierung der Figuren, oder eine längere Laufzeit, hätte dem Film gut getan. Oder schlicht eine bessere Verteilung der großen Storymomente, denn während sich in der ersten Hälfte kaum etwas tut, aber der Dialogwitz, die Situationskomik und die herrlich-stolze Absurdität der Vorgänger wenigstens ansatzweise erreicht werden, überstürzen sich in der zweiten Hälfte zunehmend die Ereignisse, doch der Entertainment-Faktor bleibt auf der Strecke.

Dessen ungeachtet gelingt es Light & Raso durchaus, ihre Welt und ihre Figuren konsequent weiterzuspinnen und dabei eine hübsche Balance aus unerwarteten Wendungen und "Es kommt, wie es kommen musste" zu finden. Die Ideen sind da, aber sie hätten nochmal schön durchgeknetet werden müssen, bevor der Teig im Ofen landete. Oder so in der Art, wer wäre ich, in einer Kritik zu Z-O-M-B-I-E-S 3 meine Metaphern konsequent durchzudenken?

Hoen kann seine inszenatorische Irreverenz trotz Höher-schneller-weiter-Mentalität und Alien-Zusatz nicht erneut steigern, kreiert aber ein paar hübsch-quirlige Randmomente — Seabrook-High-Maskottchen Shrimpy ist ein echter Szenendieb! Und wenn Zed und Addison mit jugendlichem "Uns gehört die Welt"-Leichtsinn froh durch zig Gefahrensituationen tänzeln, komme ich nicht umher, hoch amüsiert und mit anerkennendem Grinsen im Gesicht mit der Zunge zu schnalzen.

Trotzdem wird der Film gen Schluss inszenatorisch bleiern. Wirklich paradox: Erst dreht der Film bildlich und klanglich frei, aber es passiert wenig. Dann überschlägt sich der Inhalt, aber der audiovisuellen Komponente geht die Puste aus. Das große, feierliche Finale mit Rückgriffen auf frühere Highlightszenen wirkt sogar absonderlich beengt in Szene gesetzt. Schade, denn die Szene hätte bei mir als Fan der Vorgänger allein schon aufgrund ihres Konzepts voll einschlagen müssen, statt mir nur ein sanftes Strahlen abzuringen.

Musik, Vielfalt und ein Fazit
An den einmal mehr eingängigen, positiv-verrückten Songs (mit immer größer werdenden Elektro-Einflüssen) können meine Kritikpunkte aber nicht rütteln. Ebenso wenig am Cast: Meg Donnelly und Milo Manheim sind geradezu mit ihren Figuren verschmolzen und glühen vor Spielfreude und Charisma, insbesondere, wenn sie die absurden tonalen Turnübungen meistern dürfen, die dieser Film von ihnen abverlangt. In Sekundenschnelle switchen sie zwischen ironischer Distanz, kindlicher Naivität, Campiness-Gravitas und herzlich-ehrlicher Amüsiertheit, und dennoch wirken ihre Figuren kohärent, nicht etwa wie Fähnchen im Wind.

Auch der altbewährte Neben-Cast scheint sich, dem Mangel an prägnanten Momenten, weiterhin wohl in seinen Rollen zu fühlen und hilft dabei, Z-O-M-B-I-E-S 3 durchweg in seiner eigenen, wirr-irren Welt zu verankern, Pacing-Probleme hin oder her. Unter den Alien-Neuzugängen wiederum bekommt High School Musical: Das Musical: Die Serie-Alumni Matt Cornett fast gar nichts von Belang zu tun, obwohl er einen beachtlichen Anteil der Laufzeit einnimmt, womit wir wieder beim "Zu viele Figuren, die irgendwie da sein müssen, aber nicht zur Geltung kommen"-Problem wären. 

Kyra Tantao als A-Li, die auf der Erde ihre aufbrausende und ungeduldige Seite an sich entdeckt, und Terry Hu als A-Spen, die erste nicht-binäre Figur in einem Disney Channel Original Movie, dürfen dem Film derweil etwas stärker ihre Stempel aufdrücken. Wie bei A-Spen Begeisterungsfähigkeit und Begriffsstutzigkeit gewaltig aufeinanderprallen, und Hu dabei ein stets zuvorkommendes, fast schon entschuldigendes Lächeln aufsetzt, hat bei mir für die größten Lacher abseits Shrimpy, Zed und Addison gesorgt.

Somit kommen wir zu meinem ernüchterten, dennoch versöhnlichen Fazit: Z-O-M-B-I-E-S 3 ist weder der Film, den ich wollte, noch der, den ich erhofft habe. Und selbst wenn er mit seinem Glitzer, seinen grellen Effekten und seiner schieren, fast aus den Nähten eines Disney Channel Original Movie platzenden Größe definitiv für viel Razzle Dazzle sorgt. So sorge ich mich, dass der Film aufgrund seiner Struktur, dem gedrosselten Witz und dem überhasteten Jonglieren mit all seinen vielen Figuren, schneller verblassen wird als seine Vorgänger. 

Und doch ist es ein lauter, schriller, stolzer, lieber, gesund-beknackter Film, der sich redlich abrackert, seine Vorgänger mit einem großen Finale zu feiern. Kurzweil ist gegeben, und ich kann Light, Raso und Hoen einfach nicht böse für diesen tolldreisten Versuch sein, sich zu übertreffen. Ein Mundwinkel hängt betrübt runter, weil die Drei sich übernehmen. Aber der andere schmunzelt.

Z-O-M-B-I-E-S 3 ist ab dem 15. Juli 2022 auf Disney+ zu sehen.

Freitag, 12. März 2021

Meine Lieblingsfilme 2020 (Teil IV)

was bisher geschah ...

Ich setze mir ja bei meiner notorisch lang gereiften Jahresbestenliste seit einiger Zeit das Ziel, stets schneller zu sein als die Academy Awards. Und, wow, dieses Mal ist mir das auf voller Linie gelungen: Die kompletten Charts gingen hier im Blog online, noch bevor die Oscar-Nominierungen öffentlich wurden. Na, wenn das kein Grund zur Feier ist! Etwa mit den finalen Ehrennennungen meiner Favoritenliste 2020! Der Netflix-Psychothriller Horse Girl lässt Alison Brie eine zermürbte Frau in einem verwirrenden Plot über Wahrnehmung spielen. The Babysitter: Killer Queen führt McGs mit Abstand beste Regiearbeit gekonnt fort. Der Anfang ist etwas unfokussiert, aber später fängt sich die blutige Sause. Vergiftete Wahrheit ist ein stark gespieltes Justizdrama mit einem engagierten Mark Ruffalo als Anwalt, der einen Chemieskandal aufdeckt, dem der Film wohl dokumentarisch eher gerecht werden würde, doch auch in dieser Form spannend angepackt wurde.

Greenland ist ein umfassend erzähltes, charakterlich stark fokussiertes Katastrophendrama, das einfach rund ist! Kim Possible – Der Film ist campiger Bonbonspaß. Und Bruderherz ist ein sehr schön erzähltes Disney-Sportdrama, das zudem von Verantwortung, ungleicher Chancenverteilung und Familiensinn erzählt. Aber genug des Vorgeschmacks. Ab in die Top Ten!

Platz 10: Little Women (Regie: Greta Gerwig)

Welch atemberaubend schöne Adaption eines Literaturklassikers: Durch Greta Gerwigs unchronologische, sich an den emotionalen Wendepunkten der Geschichte orientierte, Neuaufreihung der Szenen gewinnt dieses Schwesterndrama enorm an Gefühlsgewalt. Der Cast ist fantastisch (insbesondere Florence Pugh und Saoirse Ronan), und Gerwigs Inszenierung ebenso filigran wie fesselnd. Die so unterschiedliche Frauwerdung eines Geschwisterquartetts ist in Gerwigs Händen gewieft, dramatisch und zudem mit einem waschechten Gänsehautfinale versehen, das mir den Atem geraubt hat. Einfach bezaubernd!

Platz 9: Trolls: World Tour (Regie: Walt Dohrn)

Ein 3D-Spektakel der Farben und Klänge: So bescheiden der erste Trolls-Teil ist, so sensationell ist die Fortsetzung. Oberflächlich eine nimmermüde Musikparty voller irrer Gags, schräger Figuren und durchgeknallten Anblicken. Unter der Oberfläche wartet eine schrill umgesetzte Geschichte über Geschichtsrevision, das Ausnutzen der Macht, die damit einhergeht, in der gesellschaftlich dominanten Position zu sein, Vertrauen unter Freunden, kulturelle Aneignung sowie den Wert der Vielfalt und des Anerkennens von Unterschieden, inklusive der teils damit einhergehenden historisch gewachsenen (und anzugleichenden) Bevor- und Benachteiligungen. Hmmm? Was, gerade keine Lust auf eine rührend-gewitzte Auseinandersetzung mit dieser Themengewalt? Egal, guck mal hier, plüschig-flauschig-glitzernde Dinge, die sich rauschhaft durch verschiedene Musikrichtungen ackern, und unvorhersehbare Humorausbrüche! WUHU!

Platz 8: Mandibules (Regie: Quentin Dupieux)

Zwei putzig-verpeilte Versager und Kleinganoven entdecken eine Fliege in der Größe eines Kleinhundes und nehmen sich vor, sie zu dressieren, um mit ihr Geld zu verdienen. Es folgt: Ein Ringelpietz der Situationskomik, Running Gags, Unannehmlichkeiten und Absurditäten. Dupieux entfacht ein Feuerwerk der Lachsalven und Juxraketen. Spitzenlaune garantiert.

Platz 7: Berlin Alexanderplatz (Regie: Burhan Qurbani)

Burhan Qurbani nimmt zusammen mit seinem Schreibpartner Martin Behnke die legendäre Romanvorlage von Alfred Döblin und verlegt sie ins Heute. Nun zur Geschichte über einen Geflüchteten umgewandelt, der ein Guter sein will, doch in einem Land ankam, das ihn mit Füßen tritt (wenn es nicht gerade die schlechtesten Aspekte seiner Persönlichkeit anfeuert), ist Berlin Alexanderplatz fesselndes Charakterdrama, hypnotische Ganoventragödie und stilsicher zugespitzter Gesellschaftskommentar zugleich. Welket Bunguê, Jella Haase, Albrecht Schuch und Joachim Król spielen grandios, die Regieführung ebenso famos wie die Lichtsetzung und das Sounddesign. Und genauso unwichtig wie mich begeisternd: Es kommt eine Wildcats-Jacke vor. Welches Team?!

Platz 6: Der Unsichtbare (Regie: Leigh Whannell)

Nach dem genüsslichen Sci-Fi-Actioner Upgrade legt Leigh Whannell nochmal ein paar Schippen extra drauf: Er nimmt sich dem unterschätzten, großartigen sowie klassischen Universal-Horror-Franchise rund um den Unsichtbaren an und macht ihn nun vom faszinierenden Fiesling (das Original) oder vom Sympathie haltenden Anti-Helden (Teil zwei) zur steten, unsichtbaren Bedrohung. In dieser Der Unsichtbare-Variante ist die Titelfigur ein übergriffiger, manipulativer Bastard, der enorm davon profitiert, wie wenig Frauen Glauben geschenkt wird, wenn sie von einer Bedrohung spricht, die andere aber nicht zu Gesicht bekommen. Elisabeth Moss' Spiel geht unter die Haut, die Regieführung ist punktgenau und Benjamin Wallfischs Score ist einer der besten des Jahres. Hammer.

Platz 5: Knives Out (Regie: Rian Johnson)

Agatha Christie nach Art von Rian Johnson: In einem grotesk eingerichteten Herrenhaus ist der Patriarch einer geschäftigen, gut betuchten Familie gestorben. War es Selbstmord, wie die Polizei vermutet, oder doch ein Mord aus Rache, Gier nach dem Krimiroman-Imperium des Opfers oder aus dem Motiv heraus, ihn und seine Geheimnisse unter die Erde zu bringen? Der daueramüsierte, Rätsel liebende Südstaatenschnüffler Benoit Blanc nimmt sich dem Mysterium an. Daniel Craig ist eine Gute-Laune-Wucht als Blanc, der Starauflauf an Verdächtigen ist spitze besetzt (Chris Evans als schwarzes Schaf der Familie, das riesigen Spaß daran hat, dass der Rest des Clans nun auch mal Antipathie abbekommt, sticht besonders heraus) und Ana de Armas, die ich zuvor meistens schwach fand, entpuppt sich hier als überaus talentiert: Sie spielt überaus differenziert und komplex die Pflegerin des Toten, die als Migrantentochter zum Streitthema der Familie wird. Die einen halten mit ihrer Geringschätzung gar nicht hinter dem Berg, die anderen sind so lange aufgeschlossen, bis sie das Gefühl haben, sie würden ihre Privilegien verlieren. Knives Out ist gerissen strukturiert, spitze gefilmt und voller markanter Figuren.

Platz 4: I'm Thinking of Ending Things (Regie: Charlie Kaufman)

Die Wartezeit war viel zu lang, doch dieses Jahr gab es endlich einen neuen Film von Charlie Kaufman: Diese surreale Tragödie mit viel schwarzem Humor und einem hypnotischen Look glänzt mit einer wundervollen Jessie Buckley und einem nicht minder denkwürdigen Jesse Plemons in den Hauptrollen. Bestechenden Dialogen. Und mit einer Story, die immer wieder in einem neuen Licht erstrahlt.

Platz 3: Die obskuren Geschichten eines Zugreisenden (Regie: Aritz Moreno)

Eine Geschichte über eine Geschichte, die sich im Rahmen einer Anekdote aufdrängt, die eine Anekdote beinhaltet ... Aritz Morenos Die obskuren Geschichten eines Zugreisenden ist ein verwegener Genremischmasch aus Krimi, Komödie, Beziehungshorror, zynischem Melodrama und ein paar weiteren Genrekrümeln, in dem der Akt des Geschichtenerzählens der wahre Star ist. Wobei Morenos galant-unangenehme Regieführung ebenfalls großen Beitrag leistet: Immer wieder werden durch kleine visuelle Schnörkel, musikalische Entscheidungen und erzählrhythmische Ungenauigkeiten die Tonalitäten verwischt. Das Ergebnis ist nicht unbedingt einzigartig, aber durchaus unvergleichlich.

Platz 2: 1917 (Regie: Sam Mendes)

Zwei Soldaten werden im Ersten Weltkrieg aus ihrer Pause gerüttelt und mit der Aufgabe betreut, einen anderen Stützpunkt darüber zu informieren, dass seine Männer in eine Falle laufen werden, sollte man den geplanten Angriff auf die Deutschen nicht abblasen. Was folgt, ist ein sich dehnendes und wieder zusammenschnappendes Band der als Selbstverständlichkeit präsentierten Widersprüchlichkeiten. 1917 wirkt wie in Echtzeit erzählt, rafft aber eine Mission zusammen, die deutlich länger dauern würde als die Laufzeit dieses Films. Mendes erzählt von einem spezifischen Einsatz, der doch alltäglich ist und für unzählige andere stehen kann. Es ist eine in den Details realistische Darstellung dieses Geschichtskapitels, und doch ist die Gesamtheit des Films ein naturalistisches Essay, in dem die Landschaften und die poetisch-dringliche Klangtapete die Vergänglichkeit der Menschen und die Sinnlosigkeit ihrer Kriegshandlungen kommentiert. Denn egal, wie viel sie zerstören mögen, die Natur kann sich, im Gegensatz zu den menschlichen Opfern, unbeirrt regenerieren. 

Platz 1: Soul (Regie: Pete Docter & Kemp Powers)

Der beste Pixar-Film seit Alles steht Kopf: In Soul drängen sich Fragen auf wie "Was, wenn wir einem unerreichbaren Ziel nachjagen?", "Was, wenn die Leidenschaft zur Besessenheit wird?", "Was braucht es, um die Freude zu erkennen, die ständig direkt unter deiner Nase wartete?" und "Wie zeigt man auf, dass das Leben trotz Enttäuschungen lebenswert ist?" Wunderschön animiert (das herbstliche New York ist beinahe so einladend wie das Ratatouille-Paris), ebenso humorvoll wie gefühlvoll geschrieben und voller Kreativität, ist Soul ganz klar mein Lieblingsfilm des Jahres 2020. 

Mittwoch, 17. Februar 2021

Meine Lieblingsfilme 2020 (Teil I)

Endlich konnte ich das Filmjahr 2020 sacken lassen und mir gebührend Gedanken darüber machen, welche Projekte aus diesem Jahr mein Filmherz am meisten erfreuten. Aufgrund von Festivalstarts, die manchmal lange vor dem regulären Start stattfinden, ist die Unterscheidung "Was ist ein 2020-Film?" nicht gerade leicht. Ich mache es daher mittlerweile so: Wenn ein Festivalfilm zum Zeitpunkt, zu dem ich diese Liste begonnen habe, keinen regulären Deutschlandstart anstehen hat, gilt sein Festivaljahr. Ansonsten haben reguläre Starts Vorrang in der Einteilung.

Außerdem gilt hier, wie eh und je: Das sind nicht zwingend die Filme, die ich für einen allgemeingültigen Filmkanon 2020 einreichen würde. Ich votiere hier nicht kopflastig mit einer Intention für andere, sondern herzfokussiert für mich allein. Alles klar soweit?! Na dann, los:

Platz 40: The Hunt (Regie: Craig Zobel)

Bei The Hunt sehe ich es genauso wie meine werte Kollegin Antje Wessels: Das ist eine blutige, maßlos überzogene Komödie. Und ich habe einen Heidenspaß an ihr! Regisseur Craig Zobel und Drehbuchautor Damon Lindelof schlagen unentwegt Haken, um wen es geht, worum es geht und wie wir dazu stehen sollen. Munter werden Klischees und klischierte Reaktionen auf Klischees überspitzt, zelebriert und in die Luft gesprengt, und der Cast hat eine ansteckende Freude daran. Und so albern und chaotisch der Film auch sein mag, steckt er voller kleiner, gemeiner, treffgenauer Beobachtungen. Meine Lieblingsszene ist daher keine der pointenhaft inszenierten Gewaltspitzen, sondern der Moment, wo sich ein als Konservativer ausgebender Linker selbst verrät, indem er sich stammelnd dagegen ausspricht, ohne nähere Infos gegen das Opfer einer Gewalttat zu hetzen. Daraufhin kickt ihn die von Betty Gilpin gespielte Person, die somit von ihm in Schutz genommen wurde, achtkantig aus einem fahrenden Auto. Keine Erklärungen, der Film geht davon aus, dass wir die Punkte zu verbinden wissen. Es ist herrlich-witzig inszeniert, es ist ein tolldreister Kommentar auf die Aggressivität, mit der auf dem konservativen Spektrum Leuten stets die Schuld an ihrem Schicksal zugeschrieben wird, und es ist so konstruiert, dass wir für die Verweildauer dieses Momentes gegen die empathische Person fiebern müssen, damit es auf Handlungsebene spannender wird. Joah, also ich hab Spaß dran!

Platz 39: Bombshell (Regie: Jay Roach)

Jay Roach macht einen auf "Adam McKay light" und erzählt in gemäßigter Form dessen, wie The Big Short und Vice operierten, vom großen Skandal bei FOX News, in dessen Rahmen offenkundig wurde, wie die Senderspitze sexuell übergriffig gegenüber weiblichen Moderatorinnen wurde. Zwei Abbildungen realer Vorkommnisse (die Storylines rund um die von Charlize Theron und Nicole Kidman verkörperten Moderatorinnen) treffen hier auf eine fiktionalisierte Zusammenfassung weiterer Geschehnisse bei dem Hetzsender, der als Nachrichtensender verkauft wird (Margot Robbie). Roach erzählt dies ebenso dramatisch wie beißend-gewitzt und gibt seinen Darstellerinnen viel Raum, die inneren und äußeren Zwistigkeiten der Ziele sexueller Übergriffe greifbar zu machen. Hinzu kommen Kate McKinnon als Liberale, die in einer beruflichen FOX-News-Abhängigkeit gefangen ist, und zahlreiche, Zorn weckende Einblicke in die manipulative Berichterstattung dieses Scheißsenders. 

Platz 38: Ruben Brandt, Collector (Regie: Milorad Krstic)

In diesem ungarischen Animationsfilm über einen kunstliebenden Psychotherapeuten und eine diebische Halunkentruppe geht es in allererster Linie um eine reine Referenzenparty ohne jede Zurückhaltung. Dutzende an Kunstwerken, darunter Gemälde, Musikstücke, Filme und Skulpturen, werden verarbeitet, außerdem werden gesellschaftliche und kulturellen Denkströmungen wie Freuds Traumanalyse in diesen Flickenteppich gewoben. Es ist quasi das Bildungsbürgertum-Ready Player One, bloß längst nicht so ätzend, unter anderem, weil Milorad Kristic den Reiz der von ihm referenzierten Werke versteht und die Handlung keine Verästelungen beinhaltet, die arrogant zum Ausdruck bringen, man sei weniger wert, sollte man sich mit dem Metier des Films nicht all zu sehr auskennen. Schon absurd, dass die "Boah! Die Popkultur der 80er war so megageil! Und alles andere, was ununterbrochen wieder hochgekaut wird, auch!"-Referenzenparty auf einem höheren Ross sitzt ... 

Hinzu kommt, dass Ruben Brandt, Collector erzählerisch einen Mehrwert hat und einen Sinn darin findet, so viele Anspielungen zu beinhalten: Allerspätestens gegen Schluss finden in diesem Kleinod die Fäden zusammen und es wird klar, dass dies ein filmisches Sinnieren über die Wechselwirkung zwischen Kunstbewunderung, dem Klauen bei großen Vorbildern, und Kunsterschaffen ist. Das ist mir tausendmal lieber als der "Nur, wer bei einem Trivia-Wettbewerb gewinnt, ist ein echter Fan"-Müll in Ready Player One.

Platz 37: Why Don't You Just Die? (Regie: Kirill Sokolov)

Auf dem Fantasy Filmfest 2019 war es eines der vergnüglichsten Kinoerlebnisse, Anfang 2020 wurde dieser russische Filmspaß auch Nicht-Festivalleuten zugänglich gemacht: Kirill Sokolov lässt den dynamischen Schnitt eines Edgar Wright mit der um Gewaltspitzen bereicherten, non-linearen Erzählform eines Quentin Tarantino zusammenkrachen und zündet ein immer weiter eskalierendes Slapstick-Qualfeuerwerk ab. Schläge, Tritte, Schüsse, brechende Knochen und literweise Blut sowie eine peppige Erzählform. Besonders empfehlenswert für einen geselligen Filmabend mit ähnlich tickenden Filmfans (natürlich erst in ein paar Monaten).

Platz 36: Yummy - Grindhouse Cut (Regie: Lars Damoiseaux)

Amüsanter Zombiehorror aus Belgien, bis zum Bersten voll mit eindrucksvollen, handgemachten Splattereffekten und überzeugendem Verletzungs- und Mutations-Make-up. Der Ausbruch einer Zombieplage in einer dubiosen Schönheitsklinik bleibt erzählerisch zwar sehr nah an der Leitplanke für Standard-Zombiefilme. Aber ein paar spitze Späße, unerwartete Feinheiten in der gemeinhin sehr funktionalen Charakterzeichnung, und eine Handvoll von bissigen Kommentaren in Sachen Schönheitsideal und fragiler Männlichkeit haben sich dann doch reingeschlichen. Trotzdem sind es die das Material intuitiv begreifende Hauptdarstellerin Maaike Neuville und insbesondere die schon erwähnten Effekte, die Yummy zu einem Toplistenanwärter machen. Im speziellen "Grindhouse Cut", der in Deutschland exklusiv im Mediabook erhältlich ist, macht Yummy dann sogar den letzten Hüpfer: Das abgeranzte Bild lässt die stylische Lichtsetzung von Daan Nieuwenhuijs, sobald die Kacke erstmal am Dampfen ist, noch prägnanter wirken, und diese abgerockte, siffige Ästhetik wertet die Grundstimmung des Films nochmal deutlich auf

Platz 35: Der wunderbare Mr. Rogers (Regie: Marielle Heller)

Ein gefürchteter Journalist nimmt sich vor, einen Fluff-Artikelauftrag zu nutzen, um einen von der Öffentlichkeit geradezu geheiligten Kinder-TV-Star zu entzaubern ... und lernt, dass nicht überall, wo man sich eine schockierende Story herbeiwünscht, eine wartet ... und dass man stattdessen bei sich selbst und seinem direkten Umfeld um mehr Verständnis und dringend nötiger Aussprache umschauen könnte. Ich bin seit ihrem Debüt The Diary of a Teenage Girl Fan von Regisseurin Marielle Heller, und auch dieses Schauspielvehikel für Matthew Rhys und Tom Hanks hat mich um den Finger gewickelt: Gefühlvoller Flausch, der zugleich völlig harmlos ist (nein, lieber Herr Schockjournalist, Mr. Rogers hat keine Leichen im Keller!) und doch emotional roh (die interfamiliären Konflikte der Hauptfigur werden unverblümt aufgedröselt). Und Hellers Regieführung, die uns stets die schaurige Eskalation erwarten lässt und Erlösung in Form von Glücklichkeit verschafft, ist bemerkenswert!

Platz 34: Sound of Metal (Regie: Darius Marder)

In Darius Marders Drama Sound of Metal erleidet der Heavy-Metal-Drummer Ruben einen plötzlichen, rapiden Gehörverlust. Nicht nur, dass Marder diesen Prozess durch grandioses Sounddesign auf beklemmende Weise nachzeichnet: Rubens Hadern mit seinem nachlassenden Gehör, seine schleppenden Lektionen darin, sich in eine Community von Menschen einzugliedern, denen es ähnlich geht, und sein Einfinden in ein neues Leben, gestatten es Hauptdarsteller Riz Ahmed, eine wahre schauspielerische Tour de Force abzugeben. Nebendarsteller Paul Raci ist als Rubens Mentor nicht minder wundervoll. 

Platz 33: Cortex (Regie: Moritz Bleibtreu)

Was für ein beeindruckendes Regiedebüt: Moritz Bleibtreu gelang mit Cortex ein visuell beeindruckender Psychothriller, in dem die Grenzen zwischen Wirklichkeit, Tagtraum, Halbschlaf, Wahnvorstellung und Traum unentwegt verwischen. Mit prägnanter Bildsprache, kräftig-atmosphärischem Sounddesign und einem fähigen Cast erzählt Bleibtreu zwar nichts, das Genrefans überraschen wird. Aber es spricht für Cortex, dass er nicht vom Überraschungsfaktor lebt, sondern davon, wie konsequent er uns in die sich aufweichende Weltwahrnehmung seiner zentralen Figuren versetzt. Ich hoffe, dass uns diese Seite des Regisseurs Bleibtreu erhalten bleibt, und er nicht den "Na gut, meine nächsten vier Filme werden romantische Dramödien"-Weg beschreitet.

Platz 32: Schwarz Weiß Bunt (Regie: David Moser)

David Mosers Independent-Film Schwarz Weiß Bunt hat leider eine verschwindend geringe Bekanntheit, aber ich hoffe, dass sich das noch ändert: Dieses weitestgehend improvisierte Slice-of-Life-Drama, in dem wir ein entscheidendes Wochenende im Leben einer Kellnerin betrachten, steckt voller Energie, Lebensfreude und herzlichen Momenten, in denen Eloquenz und Esprit Hand in Hand gehen. Es ist ein Coming-out-Film ohne Coming-out-Klischees, ein Coming-of-Age-Film frei vom genretypischen Pathos und dafür voller feiner Beobachtungen und authentischer Performances.

Platz 31: Z-O-M-B-I-E-S 2 (Regie: Paul Hoen)

Schade, schade, schade: Die Disney-Channel-Original-Movie-Saga rund um die Zombie- und Nicht-Zombie-Bevölkerung des in Pastellfarben erstrahlenden (und sowieso völlig verstrahlten) Seabrook geht nicht den Weg, den Descendants gegangen ist. Während Kenny Ortegas Disney-Schurkenkinder-Trilogie ihren Höhepunkt mit Teil zwei erreichte, lässt Paul Hoens Fiebertraum von einem Mischmasch aus Teenie-Komödie, Elektro-Pop-Musical, Horror-Tropoi-Verkindlichung, Das-letzte-Stück-Zurückhaltung-aus-dem-Fenster-schmeiß-Disney-Channel-Konvention-Zuspitzeritis und Intoleranzsatire einen Hauch nach. Z-O-M-B-I-E-S 2 lässt stilistisch hier und da etwas des "Was ... zum ... Donner?!"-Überraschungseffekts des Originals missen, was zum Beispiel daran liegt, dass hier die in dieser Saga bedienten Klangwelten stärker verschwimmen und somit der Clash aus Showtunes, tanzbarem Pop der Gegenwart und disneyfizierter EDM weniger scheppert und daher auch weniger fasziniert.


Dessen ungeachtet ist auch dieses quietschebunte Sequel eines meiner Filmhighlights des Jahres 2020. Zuckerschock trifft auf Energy-Drink-Überdosis-Hibbeligkeit, wenn Menschen(?)-Cheerleaderin Addison und Zombie-Sportler-mit-Schülersprecherambitionen Zed ihre in Teil eins errungene Romanze vor alten (Intoleranz, Vorurteile, Neider) und neuen (potentielle Nebenbuhler! Missverständnisse!) Bedrohungen verteidigen müssen. Als Zed seine heuchlerische Seite entdeckt, indem er die von der menschlichen Kultur an den Rand gedrängten Seabrook-Ureinwohner (Werwölfe!) für sein Versagen verantwortlich macht, während die (wortwörtliche, nicht charakterliche) blasse Addison so begeistert von Werwölfen ist, dass sie versucht, deren Kultur für sich zu übernehmen und so eine neue Identität aufzubauen, ist Ärger vorbereitet! Dass die Menschen darüber hinaus eine der wichtigsten Gedenkstätten der anderen Seabrook-Kulturen plattwalzen wollen, heizt der Grundstimmung im Ort nur weiter ein ... Ach, und dann ist da natürlich noch das Rap-Battle um die (Schul-)Präsidentschaft! Wie kommen die beim Disney Channel nur auf solche Ideen?!


Oh, und dann ist Z-O-M-B-I-E-S 2 obendrein der allererste Disney Channel Original Movie, der anamorph im Bildformat 2.39:1 gedreht wurde. Hach, Klein-DC wird erwachsen! Ich kann Teil drei nicht abwarten! (Wehe, es kommt kein dritter Teil!)

Fortsetzung folgt ...

Montag, 9. November 2020

Musikalisches Immergrün – Die besten Disney-Songs der Dekade (Teil XIV)

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Platz 10: Ich bin bereit ("How Far I'll Go") aus Vaiana

Musik und Text: Lin-Manuel Miranda (dt. Text von Thomas Amper)


Dieser soulige "Ich will"-Musicalsong von Lin-Manuel Miranda drückt aus, wie Vaiana sich mit ihren inneren Bedürfnissen auseinandersetzt. Denn anders als so manch schlichter geratener "Ich will"-Song, oder auch Mirandas ursprünglicher Songentwurf More, handelt Ich bin bereit davon, wie Vaiana ihre Liebe für ihre Heimat, ihre Familie, ihre Freunde und ihren Respekt für deren Gebote damit aufwiegt, wie sehr sie sich danach sehnt, neue Horizonte zu erkunden und ihren Abenteuerdrang zu befriedigen.


Diese konfusen, sich widersprechenden Gefühle, dieses Ringen zwischen dem Wir-Gefühl und den individuellen Wünschen, formuliert Ich bin bereit bedeutungsvoll, mit großer Symbolkraft und in einer wunderschönen Melodie aus, die den "Wellengang" von Vaianas Gefühlen, das Hin-und-Her zwischen Zurückhaltung und Vorwärtstrieb, akustisch greifbar macht. Ein großartiges Lied zum Mitschmettern.


Platz 9: Die Story geht weiter ("We're Doing a Sequel") aus Muppets Most Wanted

Musik und Text: Bret McKenzie (dt. Version: Christine Roche & Klaus-Rüdiger Paulus)


Nie zuvor widmete sich ein Lied der Muppets derart ihrem Faible für Metahumor und Selbstironie wie Die Story geht weiter. Während sich die Muppets-Lieder üblicherweise entweder deren Liebe für Wortspiele hingeben, ihrer herzlichen Seite, ihrer von Grund auf ehrlichen Albernheit oder aber schlicht ihre stilistisch breit gefächerte Musikalität repräsentieren, so eröffnet Muppet Most Wanted (das siebte Sequel zu ihrem Original-Film!) endlich mit einem Song, der die Meta-Spielchen voll aufdreht und dann noch einen Klecks Sahne drauf packt: Die Muppets befinden sich nach dem Ende von Die Muppets endlich wieder auf der Erfolgsstraße. Nun gut, nicht derart deutlich wie gedacht (die zahlreichen Fans, die die Muppets bejubelt haben, waren schlussendlich doch nur Statisten). Aber sie waren ausreichend populär, um prompt noch einen Film zu rechtfertigen! Das ist für die alten Kultchaoten, die zwischenzeitlich eher popkulturelle Underdogs waren, überhaupt nicht mehr der gewohnte Gang der Dinge. Und daher Anlass genug, zu singen und zu tanzen!

Und so besingen die Muppets im Introlied zu Muppets Most Wanted (der als Titel zwar halb so tolldreist ist wie das geplante The Muppets ... Again!, dafür aber wunderschön mehrdeutig) voller Freude und altmodischem MGM-Musical-Glamourstil, dass sie nun ein Sequel machen! Schließlich hält das Studio sie gerade für ein wirtschaftlich tragbares Franchise ... Jedenfalls jetzt genau in diesem Moment, wo es darauf wartet, dass Tom Hanks einwilligt, Toy Story 4 zu machen. 

Die Story geht weiter ist nicht nur unheimlich prophetisch (die Muppets sollten direkt, nachdem sie dieses Eisen geschmiedet haben, solange es heiß war, wieder kalter Kaffee werden, während sich Disney am anhaltenden Erfolg der Toy Story-Figuren laben durfte), sondern obendrein eine riesige, musikalische Wonne. Muppets Most Wanted in der Pressevorführung zu sehen und die ganzen herzlichen, frohen Lacher anderer anwesender Muppet-Fans zu hören, die glücklich mitwippen, ist eine meiner liebsten PV-Erinnerungen. Und die Muppets mit einem verdienten "Ha, wir sind gerade wieder oben angelangt und können weiter unseren Irrsinn machen"-Moment zu erleben, der so pfiffig hingeträllert wird, ist (war) doch auch mal schön! Auf dass sie sich erneut wieder nach oben ackern können.


Platz 8: BAMM aus Zombies - Das Musical

Musik: Ali Dee Theodore, Sergio Cabral, Julian Davis, Sarai Howard und Anthony Mirabella, Text: Ali Dee Theodore und Anthony Mirabella


Nach meinem Begleittext zu Rang neun schäme ich mich fast schon für Platz acht. Aber ... halt nur "fast"! Meine Liebe zum Disney Channel Original Movie Zombies - Das Musical (auch bekannt als Disney Zombies und Z-O-M-B-I-E-S, denn wer braucht schon Klarheit in der Namensgebung, wenn man auch einfach sagen kann: "Na, der bunte Zombie-Film halt. Wo die singen. Von Disney!"?) sollte mittlerweile kein Geheimnis mehr sein. Und BAMM trägt daran einen beachtlichen Anteil. Um mich selbst zu zitieren: "Es ist bescheuert, es macht enormen Spaß, ich liebe es."

Dieser zuckerinduzierte, tauringetränkte Partysong, in der Cheerleaderin Addison die Gute-Laune-Unterwelt der Zombies kennt, die in ihrem Teil der Stadt einfach sie selbst sein und sich sowie ihre Kultur feiern können, statt sich an die Menschen anzupassen, ist laut. Schrill. Schräg. Und er hat dennoch eine inhaltliche Relevanz (wie eben schon angeschnitten). Lasst mir den Spaß!


Platz 7: Gotta Be Me aus Teen Beach 2

Musik und Text: Niclas Molinder, Joacim Persson, Johan Alkenas und Charlie Mason


Ich werde nicht müde, Teen Beach 2 als Geniestreich-Ausnahmefilm unter den Disney Channel Original Movies zu bezeichnen. Teen Beach Movie-Regisseur Jeffrey Hornaday kehrt zurück in die von ihm geschaffene, aufgedrehte Welt mit Retrocharme-Campiness und vereint dieses Mal die bunte, schillernde, frohe Attitüde, die man von Disney Channel Original Movies erwartet, mit überraschend großem erzählerischen Anspruch und einer lobenswert konsequent verfolgten, thematischen Haltung. Und das auf derart beiläufige, selbstverständliche Weise, dass es Hornaday und das Drehbuch-Duo Matt & Billy Eddy ihrem Publikum nicht ins Gesicht schreien. So kommt es dann zu einem Ende, das weitab von jeder Familienfernsehfilmnorm ist - es ist ein wilderes erzählerisches Wagnis als gewohnt und es verfolgt seine Aussage verbissener und konsequenter, als üblich. Und das, ohne dem Publikum vorzukauen, wieso es nur so thematischen Sinn ergibt und nur so seinen Figuren gerecht wird.


Aber noch bevor Teen Beach 2 seinen kühnen Abschluss findet, beweist schon eine andere Szene, wie homogen dieses Comedy-Musical seine smarte Seite und seine aufgedrehte Zuckerschock-Disney-Fernsehfilm-Seite vereint. Nämlich der große Schulball, der in einem Disney Channel Original Movie von der Stange einfach nur das fröhliche, alle Probleme zuckrig bei Seite schiebende Finale wäre. Hier aber ist es strukturell gesehen die Verzögerung vor dem echten Schluss. Und zweitens: So, so froh, mitreißend, locker-leicht und stimmungsreich es auch ist, so ist hier die Figuren-Entwicklung durchdachter und mit Wortwitz vollendeter als es sich für Familienfernsehmusicals "gehört". Zwischen unserem Protagonistenpaar Mack und Brady wurde in den vorhergegangenen Filmminuten ein Graben gezogen, weil sie in Sachen Selbstbild, Interessen und Lebensgrundgefühl sehr unterschiedlich sind. Der formelhafte Disney-Channel-Film würde im Finale ein "Wir sind ja gar nicht so unterschiedlich"- oder ein "Wir können uns in der Mitte treffen"-Liedlein trällern und alles undurchdacht wegwischen.


In Teen Beach 2 dagegen wird ein losgelöstes, endorphingetränkes, modernes Poplied mit Rockabilly-Attitüde abgefeuert, das oberflächlich nach "Hach, sie lieben sich wieder, so einfach geht das!" klingt, dessen Text (und Choreographie) dagegen die Differenzen zwischen Mack und Brady eloquent ausdiskutiert, während sie einander versichern, dass sie sie selbst sein müssen, um glücklich zu sein. Der Verzicht auf einen Kompromiss, das Erkennen, nur dann glücklich zu sein, wenn man sich nicht verbiegt, und das mit Körperbewegungen und Blicken gefundene Verständnis, allen Unterschieden und sämtlichem, teils gegensätzlichem Selbststolz zum Trotz zusammenzupassen und zusammenzugehören, ist viel, viel nuancierter und setzt viel, viel mehr Beziehungserfahrung für das volle Verständnis dieser Figurendynamik voraus, als sich sonst für einen Disney Channel Original Movie geziemt. Und Gotta Be Me rockt diese Entwicklung sauber vom Parkett, als sei das hier ein Disney-Channel-Happy-End von der Stange. Selbststolzhymne trifft Wiedervereinigungsliebeslied trifft Teeniepartysong. Und es funktioniert bestens. Wow. Hut ab!


Platz 6: Glänzend ("Shiny") aus Vaiana

Musik und Text: Lin-Manuel Miranda (dt. Text von Thomas Amper)


Ich bin bekanntlich kein Synchro-Snob, und gerade Disney steht üblicherweise für liebevoll gemachte, clever übersetzte, toll besetzte Synchronfassungen. Umso ärgerlicher ist es dann, wenn eine Synchronfassung eines Walt Disney Meisterwerks vermasselt ist. So zuletzt geschehen bei Vaiana. Und ausgerechnet in der Fassung habe ich den Film zum ersten Mal gesehen. Das hatte seine Folgen: Ich war während der Pressevorführung völlig vom Film distanziert, emotionale Momente waren gehemmt, Gags zündeten nicht. Aber dann kam Glänzend. Der Befreiungsschlag, der Knotenplatzer. Die Szene, die mich mit ihrer Freude, ihrer Bildgewalt und ihrer hervorragenden Synchronperformance von Tommy Morgenstern gepackt und in das Filmgeschehen gesogen hat. Es war ein Neustart meines Kinoerlebnisses und gestattete es mir, den Rest des Films involviert zu erleben. 


Allein schon deshalb hat sich Glänzend einen der vorderen Plätze in meinem 2010er-Disney-Songranking erarbeitet. Aber hier endet es noch nicht. Denn Lin-Manuel Mirandas Schurkensong, der mehr in der Tradition von King Louie und anderen "Ein Störfaktor auf unserem Weg"-Fieslingen steht als in der von plottragenden Bösewichten, bringt einen schimmernden, spaßigen David-Bowie-Vibe mit sich, ohne eine irritierend offensichtliche, aus dem Film reißende Hommage zu sein. Und obwohl der Song oberflächlich wie eine bunte Spaßnummer für zwischendurch wirkt, ist sie überaus durchdacht.


Denn die Bling-Bling-Krabbe Tamatoa ist eine überdimensionale Versinnbildlichung von Vaianas und Mauis inneren Ängsten. Als gieriges Monstrum, das primär Wert auf sein Äußeres legt, ist er das Zerrbild dessen, was der ebenfalls sehr eitle und selbstverliebte Maui werden könnte, wenn er seinen Anstand ablegen sollte. Und zugleich macht sich Tamatoa in seinem Song über Familienwerte, Gemeinschaftssinn und Traditionen lustig - womit er die grinsende Fratze dessen ist, was Vaiana befürchtet, durch ihren Abenteuerdrang zu werden, weil sie die Wünsche und Sorgen ihres Vaters missachtet und zudem etwas (auch) aus eigenem Antrieb in Angriff nimmt. Durch diese Begegnung werden die Figuren ihrer Ziele gewisser. Und wir haben einen Disney-Störenfried-Song mit Hintersinn erhalten, der enorm Spaß macht.


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Mittwoch, 28. Oktober 2020

Musikalisches Immergrün – Die besten Disney-Songs der Dekade (Teil XIII)

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Platz 15: Ich bin Vaiana ("I am Moana") aus Vaiana

Musik von Mark Mancina, Opetaia Foa'i und Lin-Manuel Miranda, Text von Opetaia Foa'i und Lin-Manuel Miranda (dt. Text von Tommy Amper)


Mit Ich bin Vaiana finden die drei musikalischen Stimmen aus Vaiana zusammen: Score-Komponist Mark Mancina, Musicalstar Lin-Manuel Miranda und der preisgekrönte Musiker Opetaia Foa'i, der zum Projekt hinzugezogen wurde, um einen authentischen südpazifischen Touch zu erhalten. Inhaltlich ist das Lied derweil quasi zugleich Staffelstabübergabe und Motivationslied: Zunächst singt Vaianas Großmutter dieses Lied der Ahnen für Vaiana, dann adaptiert sie es im Gedenken an ihre Oma und voller Stolz für sich selbst. Rührend und mit gesundem Pathos ist Ich bin Vaiana eine wunderschöne Powerballade!


 

Platz 14: Ways to be Wicked aus Descendants 2

Musik und Text von Sam Hollander, Josh Edmondson, Grant Michaels und Charity Daw


Müsste ich jemandem erklären, was der Disney Channel in den 2010er-Jahren so fabriziert hat, ich würde wohl zuallererst obiges Musikvideo zu Ways to be Wicked vorführen, dem Introsong zu Descendants 2. Denn ich wüsste keinen Clip, der kompakter zusammenfasst, wofür Disney-Channel-Eigenproduktionen dieses Jahrzehnts stehen: Extrem von Elektropop und anderen modernen Einflüssen geprägte Musik, ein junger Cast an Schauspiel-Gesang-Tanz-Dreifachtalenten, knallige Farben, Musikvideo-Sounddesign, Schul-Geschichten, pubertierende Hauptfiguren und Konzepte, die mit einem Fuß in klassischen Disney-Gefilden stehen, und mit dem anderen irgendwie flippiger, bunter oder schräger sein wollen. 


Und darüber hinaus macht mir Ways to be Wicked einfach absurd viel Spaß. Wikipedia sortiert ihn als Dance-Rock ein, äh, ja gut, meinetwegen, ich würde es dagegen als "Disney-Introsong auf kennyortegasche Disney-Channel-Logik nach vier Dosen Energy Drink, wild in einer knallig gefärbten Kunstlederjacke von einer Lautsprecherbox zur nächsten springend" bezeichnen. Aber gut, das wird wohl kein geläufiges Genre. Die Nummer ist ein gigantischer Fake-out, die eine ganz andere Story für den auf sie folgenden Film anteasert, und zugleich doch inhaltlich kohärente Etablierung von Mals Dilemma, ein laut und wild voranpreschendes Stück Zuckerschock, die kitschig-alberne, ungeheuerlich liebenswerte Disney-Channel-Vision dessen, was wohl Punk-Attitüde wäre. Gaga und genau richtig so.


Platz 13: Lost in the Magic aus Disneyland Paris

Musik von Mark Hammond, Text von Carolyn Gardner


Seit 1989 arbeitet Vasile Sirli für Disney. Seither hat sich der Rumäne zum Musikalischen Direktor des Disneyland Paris aufgeschwungen. Anfangs verfasste er auch selbst unzählige der Songs, die während Shows oder Paraden unseres europäischen Disneylands ertönt sind - und während dieser Phase entstanden auch die für mich größten Original-Ohrwürmer, die "mein Heimatpark" so zu bieten hat. Die Paradensongs nach Sirlis aktiver Zeit direkt an der musikalischen Front sind zwar auch allesamt für unzählige unvergessliche Momente zuständig (*versoffene Piratenstimme an*"Magic Everywhere!!!"*versoffene Piratenstimme aus*), jedoch dauerte es bis zum 25-jährigen Jubiläum des Disneyland Paris, bis sich ein neuer Paradensong so sehr in mein Herz, meinen Verstand und meinen Gehörgang gebohrt hat, dass ich ihn mir auch außerhalb der Tore des Pariser Disneylands immer wieder anhöre. 


Der frühere A*Teens-Produzent und Arrangeur mehrerer Alan-Menken-Kompositionen lässt im Paradensong Lost in the Magic beide Welten seines früheren Schaffens wundervoll kollidieren und erschafft eine poppige, knallige Kollision aus einem neuen klanglichen roten Faden und den zahlreichen Disney-Stücken, durch die er sich hier schlängelt. Dieser Paradensong setzt auf eine sehr künstliche, aber auch sehr kräftige Klangkulisse, die das Marschieren der Tänzertruppen und Disney-Figuren vor Ort vortrefflich begleitet und auch in den eigenen vier Wänden zumindest bei mir für ordentlich Laune und Energie sorgt. Mit Lost in the Magic fühle ich mich beim Staubwischen, Wäscheaufhängen oder Fenster- und Bodenputzen als wäre ich bei einer magischen Parade und lasse in Gedanken großartige Erinnerungen wieder aufleben.



Platz 12: Mutter weiß mehr ("Mother Knows Best") aus Rapunzel

Musik von Alan Menken, Text von Glenn Slater (dt. Fassung von Thomas Amper)

Während Rapunzel gemeinhin auf Lieder setzt, die durch Pop und Soft Rock inspiriert sind, so baten die Regisseure Byron Howard und Nathan Greno das Songwriter-Duo Alan Menken & Glenn Slater darum, auch eine broadwayeskere, klassischere Nummer zu schreiben. Und so bekam Mutter Gothel eine Schurkennummer spendiert, in der sie mit selbstdarstellerischer Genüsslichkeit all die Gefahren aufzählt, die Rapunzel angeblich außerhalb ihres Turms erwarten. Gespickt mit passiv-aggressiven Attacken, getarnt als Fürsorge, die Rapunzel kleinhalten und gefügig machen sollen, ist Mutter weiß mehr in seiner beiläufigen Garstigkeit sehr sondheimesk. Die Lyrics der Hauptversion dieses Songs reichen leider weder im Original noch in der deutschen Synchro an Sondheim-Größe heran, jedoch ist Gothel einer der wenigen Disney-Fieslinge, denen eine Reprise vergönnt ist – und die baut sich melodisch wie textlich wundervoll-fies auf. Gepaart mit dem ominöseren, kraftvolleren Arrangement ist es die Reprise, die Mutter weiß mehr in meinem Ranking auf diesen Platz schiebt. 

Platz 11: Wann fängt mein Leben an? ("When Will My Life Begin?") aus Rapunzel

Musik von Alan Menken, Text von Glenn Slater (dt. Fassung von Thomas Amper)

Der Eröffnungssong von Rapunzel ist zugleich ihr „Ich will“-Lied, wobei sich Rapunzel ihren Sehnsüchten nicht von Beginn an durch und durch klar ist: Zunächst listet das blonde Langhaar all das auf, womit es sich seine Zeit im Turm vertreibt. Und das in einer munteren, mild-flotten Art, die Andrew Lloyd Webbers Evita auf den Blumenkinderrock von Joni Mitchell treffen lässt. Das Arrangement lässt die Akustikgitarre klar in den Vordergrund treten, doch auch die Percussion ist deutlich und zunächst flippig. Erst, wenn Rapunzel allmählich aufgrund der Monotonie ermüdet und sich ihre Sehnsucht herauskristallisiert, an ihrem Geburtstag die alljährlich den Nachthimmel erleuchtenden Lichter von ganz nah zu erleben (oder gar generell mehr von all dem da draußen mitzubekommen, sollte Mutter es denn gestatten), wird die Melodie langsamer und die Streicher werden deutlicher.

Wann fängt mein Leben an? drückt Rapunzels Dilemma (sie kennt nur ein Leben, ist weitestgehend komfortabel damit, fühlt sich dennoch eingepfercht, aber aufgrund ihrer Ziehmutter hat sie Angst vor dem Unbekannten, so dass sie sich nicht im Klaren ist, ob, und wenn ja, wann sie ein Leben im Freien führen will/wird, geschweige denn ein Leben der freien Entscheidungen) auf den Punkt genau aus – und war laut Alan Menken der erste Song, der für Rapunzel geschrieben wurde. Diese Nummer bestätigte die Disney-Legende darin, den Weg einzuschlagen, die Musik im Film durch Mitchell beeinflussen zu lassen, und wurde auch im Score zu Rapunzels Leitmotiv.

Für Wann fängt mein Leben an? wurden zwei Reprisen verfasst, wobei die erste es nur auf den Soundtrack geschafft hat, während die zweite den Wendepunkt im Film markiert, an dem sich Rapunzel aus dem Turm hinaus wagt. Anfangs zögerlich, hüpft diese Reprise geradezu in immer freiere, forschere, frohere Klanggefilde und mündet in ein großartiges Gänsehaut-Crescendo. 

Dienstag, 6. Oktober 2020

Musikalisches Immergrün – Die besten Disney-Songs der Dekade (Teil XII)

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Platz 20: My Year aus Zombies - Das Musical

Musik und Text von Hannah Jones, Jack Kugell und Matt Wong


Wie sieht ein klassischer "Happy Village"-Song aus, in einer Filmwelt, die comichaft, auf keusche Art campy, mit Retro-Ästhetik versehen und von hip-modernen Einflüssen durchzogen ist? In einem Film, der Rassismus sowie Klassismus anklagt, dies aber via einer Romeo-und-Julia-Geschichte über einen Zombie und eine menschliche Cheerleaderin? Noch dazu auf dem Disney Channel? Nun, ganz einfach: So! My Year lässt Musical-Zeitlosigkeit mit modernen Einflüssen kollidieren, all dies übermäßig fröhlich, bis es selbstsicher-albern wird, aber nicht direkt eine Persiflage darstellt, selbst wenn die dazugehörige Szene mehrmals gezielt bis ganz nah an die Grenze herandüst. Ich find's überaus faszinierend und vergnüglich.


Platz 19: Wir kennen den Weg ("We Know the Way") aus Vaiana

Musik von Opetaia Foa'i, Text von Opetaia Foa'i und Lin-Manuel Miranda (dt. Text von Tommy Amper)


Wir kennen den Weg ist zwar nicht weiter der erste Song im Film, war aber der erste Song, den Mark Mancina, Opetaia Foa’i, und Lin-Manuel Miranda für Vaiana geschrieben haben und zudem ist es der erste Song, den viele Fans und Pressemitglieder zu Gehör bekommen haben. Und es war auch ein echt starker Vorgeschmack für das, was Vaiana zu bieten hat: Mit starker Percussion und von Fernweh, Stolz und Abenteuerdrang versehenen Lyrics ist Wir kennen den Weg eine extrem schöne Feier der seefahrenden Vorfahren unserer Titelfigur. In einer frühen Filmfassung eröffnete das Lied übrigens den Film und zeigte unter anderem die Geburt Vaianas.


Platz 18: Cruisin' for a Bruisin' aus Teen Beach Movie

Musik und Text von Mitch Allan, Jason Evigan, Jason Charles Miller und Nikki Leonti


Die Retronummer in Teen Beach Movie: Protagonist Brady und Protagonistin Mac sind in Bradys Lieblingsfilm gelandet, und es gibt für Brady nichts, das schöner wäre, als mitzuerleben, wie die grease-ige Rockerbande im Lieblingsschuppen der chilligen Surfer landet und eine Rockabillynummer zum Besten gibt, in die er schon immer mal einsteigen wollte. Dass Brady wirklich da einsteigt, war im Film eigentlich nicht geplant, aber weil Brady-Darsteller Ross Lynch die Choreo zum Song beherrschte und voller Passion hinlegte, wurde die Szene umarrangiert. Der Song selbst ist einfach richtig schön kaugummigroovy und riesiges Vergnügen.

Platz 17: Ich geb' dir, was du willst ("I'll Get You What You Want (Cockatoo in Malibu)") aus Muppets Most Wanted

Musik und Text von Bret McKenzie (dt. Version: Christine Roche & Klaus-Rüdiger Paulus)


Schurkensong, Bret-McKenzie-Style: In Muppets Most Wanted ersetzt ein böses Double Kermit in der Muppet-Truppe, und zerstört das Teamwork und den Teamgeist sowie die besondere Chemie in deren Show, indem er einfach allen unentwegt das gibt, was sie wollen. Um eine grantelnde Miss Piggy milde zu stimmen, äußert Constantine in Kermit-Verkleidung eine Nummer im Stil von Lionel Richie, Michael McDonald und den Doobie Brothers. Mit Groove, Flair, Disco-Funkel-Funkel und (urkomisch geratener) Bemühung, sexy zu sein, gibt er Miss Piggy immer absurdere Versprechen. Sehr, sehr lustig, doppelbödig und echt groovy!

Platz 16: Der Einband kann täuschend sein ("A Cover Is Not The Book") aus Mary Poppins' Rückkehr 

Musik von Marc Shaiman, Text von Scott Wittman und Marc Shaiman (dt. Text von Nina Schneider)


Bei meinem ersten Anschauen von Mary Poppins' Rückkehr war noch Stellt euch das nur mal vor ganz klar mein Lieblingslied aus dieser späten, späten Mary Poppins-Fortsetzung. Die Melodie der Tauchfahrt-Begleitnummer hat mich einfach mehr mitgenommen. Aber als Gesamtszene betrachtet hat mich schon während der Pressevorführung mit weitem Abstand Der Einband kann täuschend sein mehr gepackt. Viel mehr! Sehr, sehr viel mehr. Noch während des ersten Anschauens dieses Rob-Marshall-Filmmusicals habe ich mich in diese Szene schockverliebt. Emily Blunt, die eh schon super in dieser Rolle ist, blüht förmlich auf, während sie Mary Poppins spielt, die nun in Velma-Kelly-Bob eine Cockney-Vaudeville-Dame spielt, die zusammen mit Laternenanzünder Jack kleine (oft anzüglich angehauchte) Geschichtlein zelebriert. Chicago trifft Walt Disney Pictures, und Marshall inszeniert das mit Leichtigkeit, Fröhlichkeit und Geschmack. Lin-Manuel Miranda spielt besser als im restlichen Film, das bewusst künstliche Bühnenbild ist wunderschön und die Zeichentrickfiguren lassen mein Herz höher schlagen. Eine Bombenszene, die mich kurz glauben ließ, Mary Poppins' Rückkehr könnte mein Lieblingsfilm 2018 werden. Leider brach der Film danach brutal ein, aber die Szene selbst blieb in meinem Herzen, weshalb ich die Szene immer und immer wieder geguckt habe - was wiederum mein Ansehen des Songs vergrößerte. Die darin nacherzählten Geschichten stammen übrigens allesamt aus Travers-Büchern.

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