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Samstag, 17. März 2012

Fantasia - Elemente eines Meisterwerks: Zugabe - Clair de Lune

Fantasia is timeless. It may run 10, 20 or 30 years. It may run after I'm gone. Fantasia is an idea in itself. I can never build another Fantasia. I can improve. I can elaborate. That's all.“ - „We all make mistakes. Fantasia was one, but it was an honest mistake. I shall now rededicate myself to my old ideals.
- Walt Disney


Ganz im Sinne dieser geradlinigen Beurteilung seines Schöpfers möchte ich in dieser Artikelreihe Im Schatten der Maus Walt Disneys zeitlosen Fehler näher beleuchten:

Fantasia – Die Elemente eines Meisterwerks
Den Abschluss meiner Fantasia-Reihe widme ich einem Segment, dass es damals nicht in den Film geschafft hat und erst über fünfzig Jahre später in seiner ursprünglichen Form präsentiert wurde: Clair de Lune

Das Werk, das einen Reiher zeigt, der durch die mondbeschienene Nacht wandelt, war eines der Stücke, die von Anfang an von Walt Disney für Fantasia ausgewählt wurden. Einige Monate vor Veröffentlichung des Filmes beschloss man jedoch, die Suite aus dem Film zu streichen, der schon in seiner jetzigen Form über zwei Stunden dauerte. Doch die Arbeiten an Clair de Lune waren weit vorangeschritten und ganz im Sinne von Walt Disneys ursprünglicher Absicht, Fantasia in veränderter Form wieder und wieder zu veröffentlichen, wurde das Stück als potentielles Material 1942 vollendet.
Bis 1946 hatten sich diese Pläne durch Fantasias enttäuschendes Einspielergebnis aber erledigt, und um die Animation trotzdem zu nutzen, landete der Kurzfilm leicht umgeschnitten in Make Mine Music, wo er von dem Lied Blue Bayou von den Ken Darby Singers unterlegt wurde.
Nachdem 1992 eine alte Nitrat-Arbeitskopie des Filmes wiederentdeckt wurde, machte man sich daran, das Original zu restaurieren; bis 1996 wurde das Stück wieder in seine ursprüngliche Form gebracht und mit dem von Stokowski aufgenommenen Soundtrack unterlegt. Alleine die alten Filmaufnahmen von Stokowski und seinem Orchester blieben unauffindbar, so dass die ersten Takte mit bearbeitetem Material aus der Toccata und Fuge unterlegt wurden - eine Maßnahme, die durch das extrem unterschiedliche Tempo leider sofort ins Auge springt.
Zu finden ist der Film auf der SC-DVD und der Bluray von Fantasia. Warum eine Veröffentlichung auf der neuen DVD fehlt, ist eine Frage, die wohl nur Disneys Marketing-Abteilung beantworten kann.

Clair de Lune, oder Mondschein, ist der dritte Satz von Claude Debussys Suite bergamasque. Das Klavierstück, das von Stokowski für das Orchester überarbeitet wurde, stellt wohl das bekannteste Werk des Komponisten dar.

Inspiriert wurde Debussy wahrscheinlich von dem Gedicht Clair de Lune von Paul Verlaine, aus dessen zweiter Zeile auch der Titel von Debussys Suite stammt:

Clair de lune

Votre âme est un paysage choisi
Que vont charmants masques et bergamasques,
Jouant du luth, et dansant, et quasi
Tristes sous leurs déguisements fantasques.

Tout en chantant sur le mode mineur
L‘amour vainqueur et la vie opportune,
Ils n‘ont pas l‘air de croire à leur bonheur,
Et leur chanson se mêle au clair de lune.

Au calme clair de lune triste et beau,
Qui fait rêver les oiseaux dans les arbres
Et sangloter d‘extase les jets d‘eau,
Les grands jets d‘eau sveltes parmi les marbres.

Oder in einer deutschen Übersetzung (den Übersetzer habe ich leider nicht ausmachen können; für Informationen wäre ich dankbar):

Mondschein

Dein Herz ist eine Landschaft, wo zu Gast
Sind reizende Figuren, Bergamasken,
Mit Lautenspiel und Tanz und traurig fast
In ihren so phantastisch bunten Masken.

Wie sie besingen anmutig in Moll
Der Liebe Siege und das süße Leben,
Sehn sie nicht aus, als sei‘n sie hoffnungsvoll,
Und‘s Liedchen scheint im Mondschein zu verschweben.

Im Mondenschein, der still und traurig blinkt,
Der träumen lässt die Vögel in den Zweigen
Und die Fontänen bis zum Schluchzen bringt,
Die schlank und steil aus ihrem Marmor steigen.

Ich denke, es ist sehr wahrscheinlich, dass dieses Gedicht auch als Inspiration für den Film diente. Die zärtlich-melancholische Stimmung des Gedichtes trifft wunderbar auf die Interpretation der Disney-Künstler zu und gerade die letzte Strophe wirkt wie auf das Segment geschrieben.
Das Werk zeigt den langsamen Flug eines Reihers durch die mondbeschienenen Everglades. Er landet in einem Weiher und wirbelt zu dem leichten Zittern der Musik zarte Wellen auf, um sich am Ende gemeinsam mit einem anderen Reiher zum Vollmond aufzuschwingen. Das Stück schafft mit einfachen Mitteln eine Atmosphäre voller Zauber ohne aufdringlich zu werden und es hätte einen wunderbaren Kontrapunkt zu den anderen, eher grellen Segmenten von Fantasia gebildet.

Es stellt sich die Frage, warum gerade dieser Teil aus Fantasia gestrichen wurde. Clair de Lune ist mit seinen fünf Minuten eines der kürzesten Segmente und konnte die Laufzeit nicht allzu sehr beeinflussen. Vielleicht liegt die Antwort darin, dass Walt Disney den späteren „Werdegang“ des Stückes vorausgeahnt hat: Durch seine eher einfache Animation und den ruhigen Charakter der Musik war Clair de Lune quasi prädestiniert dazu, in ein anderes musikalisches Klima verlegt zu werden; ein Vorhaben, das bei den anderen Stücken schwer bis unmöglich gewesen wäre. 
In der Bearbeitung als Blue Bayou für Make Mine Music wird der Fokus von den Zeichnungen auf den Gesang verlagert und die Animation bietet nunmehr eher die Untermalung für die Ballade. Das Ergebnis ist vielleicht weniger ambitioniert als Clair de Lune, doch so beeindruckend, dass es sogar zum Patron eines der stimmungsvollsten Restaurants in Disneyland wurde. In seiner Art, dass die Musik die „Handlung“ nicht mehr vorgibt, sondern nur noch atmosphärisch begleitet, ähnelt Blue Bayou nun eher den Segmenten von Fantasia 2000 als denen des Originals.
Um die für Clair de Lune geschaffenen Zeichnungen in den Hintergrund für Blue Bayou zu verwandeln, wurde das Filmmaterial leicht bearbeitet. Einige lange Einstellungen wie der erste Schattenriss des Reihers wurden gekürzt, und vor allem wurden die Einstellungen, während denen der Kranich durch das Wasser stapft, um- und teilweise herausgeschnitten. Sieht man sich die Stücke im Vergleich an, machen die Änderungen Sinn: Die Wellenbewegungen des Wassers und der in den Wellen gespiegelte Mond bewegen sich in perfekter Synchronität zur Musik und die Zeichner hatten keine Scheu, diesen zarten Moment längere Zeit auszukosten. Zur Musik von Blue Bayou jedoch würden diese Einstellungen Gefahr laufen, zähflüssig zu wirken - den Bildern kommt nur der zweite Rang zu. Insgesamt lässt sich Clair de Lune genug Zeit, seine Bilder wirken zu lassen und strahlt dadurch und durch Debussys Musik eine Melancholie und Dramatik aus, die in Blue Bayou völlig fehlen.

Disney bezeichnete das Ave Maria und Clair de Lune als Möglichkeiten der Erleichterung für das Publikum und als einen für Fantasia wichtigen Kontrast. Gerade Clair de Lune kommt mit einem Minimum an Animation aus und lässt der Musik und den Hintergründen genug Raum, ihre volle Wirkung auf den Zuschauer zu entfalten.
Es ist ein besonderes Glück für unsere Generation, dass wir dieses Kleinod erstmals in seiner ursprünglichen Pracht erleben dürfen.


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Samstag, 25. Februar 2012

Fantasia - Elemente eines Meisterwerks: Eine Nacht auf dem kahlen Berg - Ave Maria

Fantasia is timeless. It may run 10, 20 or 30 years. It may run after I'm gone. Fantasia is an idea in itself. I can never build another Fantasia. I can improve. I can elaborate. That's all.“ - „We all make mistakes. Fantasia was one, but it was an honest mistake. I shall now rededicate myself to my old ideals.
- Walt Disney


Ganz im Sinne dieser geradlinigen Beurteilung seines Schöpfers möchte ich in dieser Artikelreihe Im Schatten der Maus Walt Disneys zeitlosen Fehler näher beleuchten:

Fantasia – Die Elemente eines Meisterwerks
Das Ende von Fantasia ist durch die Kombination zweier entgegengesetzter Kompositionen so zerrissen und gleichzeitig so perfekt arrangiert wie der ganze Film: Eine Nacht auf dem kahlen Berg und Ave Maria

Das Finale bezieht einen Großteil seiner Kraft natürlich gerade aus seiner Gegenüberstellung von profan und heilig; von Hexensabbat und Angelus-Gebet. Doch die Kombination der beiden Werke ist nicht so revolutionär, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mag. Im Gegenteil ist es sogar nicht einfach, in Fantasia genau herauszuhören, wo die Nacht endet und das Morgengebet beginnt, denn der Übergang von Nacht zu Tag steckt schon in Mussorgskis Stück selbst. Nach dem infernalischen Höhepunkt endet die Nacht auf dem kahlen Berg mit dem Angelus-Läuten und einem erst melancholischen, dann hoffnungsvollen Schlussklang, der nahtlos in das zarte Ave Maria übergehen kann. 


Die sinfonische Dichtung Eine Nacht auf dem kahlen Berg (Ночь на лысой горе) von Modest Mussorgski beschreibt den Tanz der Hexen in der Johannisnacht, der Nacht vom 23. auf den 24. Juni. Das Stück kann auf eine lange und verwickelte Geschichte zurückblicken und wurde zu Lebzeiten des Komponisten niemals aufgeführt.
Eine Notiz von Mussorgski zeigt, dass er schon 1858 vorhatte, eine Oper über Gogols Kurzgeschichte Die Johannisnacht zu schreiben und 1860 schrieb er in einem Brief davon, eine Oper über Die Hexe von Baron Georgy Mengden in Angriff zu nehmen. Auch wenn beide Projekte ergebnislos blieben, ist anzunehmen, dass hier die erste Idee für die Nacht auf dem kahlen Berg entstand.

1867 wandte sich Mussorgski dem Thema erneut zu und schrieb das Stück unter dem Projektnamen Die Hexen, den er später zugunsten des Titels Johannisnacht auf dem kahlen Berg aufgab. Das Werk, das in dieser Form für Klavier und Orchester komponiert war, wurde am 23. Juni 1867, dem Johannisabend, fertiggestellt.
Eine erste Überarbeitung entstand 1872 mit Chor und Orchester für das Opernballett Mlada, eine Zusammenarbeit verschiedener Komponisten, die allerdings nie aufgeführt wurde. Diese Version ist heute verschollen und überliefert ist nur der Titel, unter dem Mussorgskis Beitrag lief: Die Glorifizierung des Chornobog. Die dritte Version mit großem Chor entstand einige Jahre später für die unvollendete Oper Der Jahrmarkt von Sorotschinzy (1874–80).
Aufgeführt wurde das Stück erst 1886 in einer Neukomposition von Nikolai Rimski-Korsakow, die unter dem Titel Eine Nacht auf dem kahlen Berg lief. Korsakow benutzte für seine Überarbeitung ein unvollendetes Fragment von Mussorgskis Werk, da ihm dessen fertige Komposition offensichtlich nicht vorlag. Diese Komposition stellt die gängigste und am häufigsten aufgeführte Version des Stückes dar.

Wenn viele Quellen behaupten, dass dies auch die in Fantasia verwendete Bearbeitung sei, so stimmt das nur teilweise. Stokowski musste mit der Version von Korsakow vorlieb nehmen, da auch ihm Mussorgskis Original nicht vorlag, doch er versuchte mit Hilfe von Originalfragmenten, das Stück so weit wie möglich an die ursprüngliche Intention anzupassen.
Erst in der digitalen Neuaufnahme von 1982 wurde schließlich Mussorgskis Komposition selbst verwendet, und diese Version des Segmentes hat wirklich einen eigenen Charakter inne. Mit größerem Becken-Einsatz und donnernden Effekten wirkt das Original um einiges wilder als die von Stokowski verwendete Bearbeitung. Darin liegt allerdings auch der Schwachpunkt: Im Vergleich der beiden Fantasia-Versionen ist deutlich spürbar, auf welches Stück die Zeichnungen ausgerichtet sind. In der Aufnahme von 1982 gibt es einige zusätzliche „Höhepunkte“, die von den Bildern nicht angemessen unterstützt werden und so den Anschein von verlorenem Potenzial erwecken. Dennoch lohnt es sich allemal, auch diese Version der Nacht auf dem kahlen Berg einmal anzuschauen.

Von seiner ersten Ausarbeitung an beschrieb das Stück einen teuflischen Hexensabbat auf dem Tiglaf-Berg in Südrussland, auf dem sich der Sage nach die Hexen alljährlich zur Walpurgisnacht versammeln. Es ist gegliedert in die Zusammenkunft der Hexen, das Erscheinen Satans, die Schwarze Messe und den Sabbat. Allein mit diesem Programm bietet sich die Nacht auf dem kahlen Berg ideal für den infernalischen Teil des Finales an.
Auch war die Grundmelodie des Werkes zur Entstehungszeit von Fantasia schon für Kinder hinreichend mit dem Motiv des Bösen assoziiert - erst ein Jahr zuvor hatte es als eines der Themen für die böse Hexe des Westens im Zauberer von Oz fungiert.
Die Konzeptarbeit für das Segment wurde durchgängig von Kay Nielsen angefertigt, der als Illustrator bekannt war für die Verbildlichung mythischer Gestalten und Märchen. So hat gerade der Anfang des Stückes einen höchst „Disney-untypischen“, gemäldeartigen Charakter, in dem die Geister, die dem ungeweihten Boden entsteigen und die sich versammelnden Hexen eigentlich nur aus Effektarbeit bestehen. 
Für die aufsteigenden Skelette wurden Spiegelungen des Bildes in einer gebogenen Zinnscheibe fotografiert; über die fliegenden Dämonen wurde geriffeltes Glas gelegt. Das Ergebnis ist ein Hexenritt, der in seinen Bewegungen eher der Wirkung eines Alptraumes entspricht. Besonders anschaulich wird dies im Vergleich zu der beinahe melancholischen Rückkehr am Ende der Nacht, wo die Geister und Dämonen im gewöhnlichen Zeichentrick-Stil wieder zur Erde zurückkehren.

 Auch wenn das christlich-abergläubische Thema der Walpurgisnacht nur zu deutlich erkennbar ist und Walt Disney ihn als „Satan himself“ beschrieb, so trägt der dunkle Dämon, der den Hexensabbat anführt, offiziell den Namen Chernabog („Dunkler Gott“), ein slawischer Gott des Schattens und der Nacht. Er wurde animiert von Bill Tytla, einer Zeichentrick-Legende, die berühmt ist für machtvoll-böse Geschöpfe wie Stromboli und den Riesen, doch auch für so ruhige Figuren wie Dumbo, deren Animation wirkliches Gefühl erforderte. Das ursprüngliche Vorbild für Chernabog war Dracula-Darsteller Bela Lugosi, doch Tytla wies die Inspirations-Bilder zurück und hielt sich stattdessen lieber an den Regisseur des Segments, Wilfred Jackson, der mit nacktem Oberkörper für ihn posieren musste. 
Die besondere Begabung Tytlas, auch dem finstersten Ungeheuer Empfindungen zu geben, zeigt sich besonders am Ende des Stückes, als der Dämon gequält vor den Kirchenglocken zurückschreckt. Viele der damaligen Zuschauer sagten, dass der reine Bleistifttest dieser Szene für sie den Höhepunkt der Zeichentrick-Kunst überhaupt darstellte. 

Marc Davis meinte später, Tytlas Animation sei eines der großartigsten Dinge, die er je gesehen habe und Frank Thomas hielt ihn im Zeichentrick-Gebiet für mächtiger als irgendjemanden sonst. Auf die Frage, wie er es geschafft habe, Chernabog Leben einzuhauchen, antwortete Tytla später: „Ich stellte mir vor, ich wäre groß wie ein Berg und aus Stein und doch würde ich fühlen und mich bewegen.“ Darin bestand wohl seine Magie; er konnte wahre Gefühle übermitteln - selbst wenn es die des Teufels waren.

Eine Folge von Tytlas Genie ist die, dass in der Gegenüberstellung der beiden Werke es wie so oft die böse Seite ist, die die dramatischen Höhepunkte innehat, eine Crux, an der sich bis heute wenig geändert hat. Und obwohl die Nacht auf dem kahlen Berge von vielen schaurigen und mitreißenden Bösewicht-Auftritten gefolgt wurde, ist das Stück sicher der Hauptanwärter auf den Platz der verstörendsten Disney-Szene geblieben.

 
Neben Chernabogs Darstellung ist die unheimliche Wirkung des Stückes sicher der unkonventionellen, und doch überzeugenden Darstellung des Hexentanzes zu verdanken. Es handelt sich um eine geschickte Gratwanderung: Weder wird die höllische Zusammenkunft zur reinen Folterdarstellung, noch macht sich das Gefühl eines fröhlichen Festes breit. Das Resultat ist ein grauenhaft-fröhlicher Tanz, in dem sich die Kreaturen in erzwungener Heiterkeit und munterer Agonie drehen. 
Eine Nacht auf dem kahlen Berg ist nicht das erste Mal, dass bei Disney Friedhofsbewohner ihre Feiern abhalten konnten; solche Bilder waren seit der Silly Symphonie Skeleton Dance nichts Ungewöhnliches mehr. Disney meinte dazu, auch wenn sie solche Tänze schon gemacht hätten, böte sich ihnen hier die Möglichkeit, etwas Größeres, Gewaltiges zu schaffen - „beyond the obvious, more than just pictures“. Aus dem gleichen Grund verbot er auch so offensichtliche Boten des Bösen wie eine schwarze Katze.

Ganz auf dieser Linie liegt die Szene, die für mich persönlich die unheimlichste Szene des Werkes darstellt: der Tanz der drei Grazien und ihre erbarmungslose Verdammung. Diese Verwandlung der flehenden Mädchen in unförmige Tiere und schließlich in Dämonen ist so verstörend, weil sie gegen das fundamentale christliche Konzept von Gnade und Vergebung verstößt; es stellt damit einen gewissen endgültigen Triumph von Dunkel über Licht dar. 
Unter all den komplizierten Feuereffekten mit ihren Farbwechseln, bewegenden Schatten und Formveränderungen, die in dem Segment angewandt wurden, ist dieser sicher einer der künstlerisch anspruchsvollsten. Für die beeindruckende Animation, mit der die brennenden Verdammten zum Leben erweckt wurden, erhielt Daniel McManus den aufschlussreichen Auftrag: „Sie sollten den Eindruck weiblicher Formen erwecken. Aber wenn sie wie Frauen aussehen, sind sie nichts wert. Und wenn sie nicht wie Frauen aussehen, sind sie nichts wert.“
Es steht wohl außer Frage, dass er seine Arbeit auf so sublime wie geniale Weise vollendet hat.
 
Auch wenn in den anderen Segmenten von Fantasia schon einige Fabelwesen in ihrer reinsten Form zu sehen waren, so zeigen sich die nackten Tänzerinnen von einer Freizügigkeit, die nur noch von den Harpyien übertroffen wird. Natürlich ist dies eine Freiheit, die man sich im Hause Disney heute nicht mehr leisten kann - Esmeraldas sinnlicher Feuertanz musste fünfzig Jahre später wieder und wieder überarbeitet werden, bis wirklich zweifellos zu sehen war, dass sie angemessen bekleidet war.

Der Hexensabbat gipfelt in einem infernalischen Chaos, das schließlich mit einer gewaltigen Klanglawine im Feuer hinabfährt. Die starke Abwärtsbewegung der Streicher und Holzbläser erzielt eine Wirkung, die im Konzertsaal so nicht möglich ist; da die Instrumente ihre tieferen Töne immer leiser spielen müssen als die höheren muss der Klang bei einer Live-Aufführung im Decrescendo versiegen. Anders hier: Durch die technischen Optionen einer Soundtrack-Aufnahme ist es möglich, dass die Abwärtsbewegung mit einer Steigerung der Lautstärke einhergeht und schließlich in einem gewaltigen Akkord den höllischen Tanz beendet. 
Was folgt, ist das Läuten der Angelus-Glocken und die beinahe zärtlich begleitete Rückkehr der Verdammten in ihre Gräber. Die Konklusion des Stückes ist gekürzt, so dass die letzten Klänge nahtlos in die Eröffnung des Ave Marias und die stumme Wanderung übergehen können. Diese Prozession, die an die Zusammenkunft einer Osternacht erinnert, lässt daran denken, dass einer der früheren Termine für die Walpurgisnacht die Nacht von Karsamstag auf Ostersonntag war - gut möglich, dass dieser alternative Zeitpunkt bei der Planung des Segmentes eine Rolle spielte.

Doch auch ohne diesen Zusammenhang ist das letzte Stück vom Beginn des Glockenläutens bis zum Finale in den Bögen der Kirche eindeutig christlich motiviert. Eine Zeit lang erhob sich die Frage, wie religiös man mit dem Ende wirklich werden sollte, doch Disney schob die Bedenken mit der Erklärung fort, dass das Stück schließlich nur vier Minuten des Films ausmache - eine mehr als erträgliche Zeitspanne.


Bei der Frage, welches Werk den Kontrast zu Mussorgskis Nacht auf dem kahlen Berg bilden sollte, lag die Auswahl eines Ave Marias nahe, schließlich ist das Ave Maria seit jeher Teil des Angelus-Gebetes. Dass Franz Schuberts Version eine der berühmtesten Vertonungen ist, ist dabei ironisch, bedenkt man, dass er das Lied 1825 gar nicht zu dem christlichen Text schrieb.
Schuberts Kunstlied Ellens dritter Gesang aus dem Liederzyklus Das Fräulein vom See ist eine Vertonung von Walter Scotts Hymn to the Virgin, in der deutschen Übersetzung von Adam Storck:


Ave Maria! Jungfrau mild,
Erhöre einer Jungfrau Flehen,
Aus diesem Felsen starr und wild
Soll mein Gebet zu dir hinwehen.
Wir schlafen sicher bis zum Morgen,
Ob Menschen noch so grausam sind.
O Jungfrau, sieh der Jungfrau Sorgen,
O Mutter, hör ein bittend Kind!
Ave Maria!

Nur die Tatsache, dass das Lied ein an die Jungfrau gerichtetes Gebet darstellt und mit den Worten „Ave Maria“ beginnt, führte dazu, dass es heute vor allem als Schuberts Ave Maria bekannt ist und auf die Melodie praktisch nur noch der lateinische Text gesungen wird. 
Für Fantasia fertigte Rachel Field eine neue englische Übersetzung an, die wie Schuberts Originaltext drei Strophen hat:

Ave Maria!
Now your ageless bell
so sweetly sounds for listening ears,
from heights of Heaven to brink of Hell
in tender notes have echoed through the years.
Aloft from earth's far boundaries
Each poor petition, every prayer,
the hopes of foolish ones and wise
must mount in thanks or grim despair.
Ave Maria!

Ave Maria!
You were not spared one pang of flesh, or mortal tear;
So rough the paths your feet have shared,
So great the bitter burden of your fear.
Your heart has bled with every beat.
In dust you laid your weary head,
the hopeless vigil of defeat was yours
and flinty stone for bread
Ave Maria!

Ave Maria! Heaven's Bride.
The bells ring out in solemn praise,
for you, the anguish and the pride.
The living glory of our nights,
of our nights and days.
The Prince of Peace your arms embrace,
while hosts of darkness fade and cower.
Oh save us, mother full of grace,
In life and in our dying hour,
Ave Maria!

Im Film ist nur die letzte Strophe zu hören, erst von einem Chor gesungen und dann von der Solosängerin Julietta Novis. Die Bearbeitung für Chor und Streichorchester wurde wiederum von Stokowski angefertigt.
So unterschiedlich die Darstellungen der Nacht auf dem kahlen Berg und des Ave Marias auch sind, so ist doch ein gemeinsam zugrundeliegender Stil zu spüren. Dafür sorgte unter anderem, dass beide Stücke von demselben Konzeptzeichner geplant wurden und wie im ersten Teil, so folgen die fertigen Bilder auch hier seinen Entwürfen mit erstaunlicher Genauigkeit. Allein die Kerzen, die in den Konzeptbildern wie echte flackernde Lichter aussahen, erwiesen sich als unmöglich zu animieren und wurden durch simplere Lampions ersetzt.
Die Prozession zieht sich durch Bäume, die mehr und mehr an die Bögen einer gotischen Kathedrale erinnern - eine subtile Erinnerung an das Ende der Toccata und Fuge, das erste Segment des Films. Schließlich geht der Wald selbst überganslos in das Dunkel der Kathedrale über, und es folgt ein Meilenstein der Animationskunst; eine Szene, die aus 217 Fuß (oder über 66 Metern) Bildmaterial bestand und somit die längste Zeichentrickszene überhaupt darstellt. 
Die Bewegung der Pilger während dieser Sequenz ist so langsam, dass schon die Dicke eines Bleistiftes die Figuren zittern lassen kann. So entschied Walt Disney drei Monate vor Premiere des Films, dass die ganze Szene in ihrer Ausführung unbrauchbar war und von Grund auf neu gezeichnet werden musste. Um das Finale noch rechtzeitig zu drehen, wurde buchstäblich Wochen vor der Premiere die ganze Sound-Stage zu einer neuen Riesen-Multiplane-Kamera umgebaut, auf der das Effekt-Team in 24-Stunden-Schichten arbeitete. Es wurde ein neuer Kamera-Kran gebaut, der über viele Meter hinweg die Bilder von Bäumen auf sich bewegenden Glasplatten fotografierte. So arbeitete man sechs Tage und Nächte lang, ehe nach Entwicklung des Filmes klar wurde, dass sie die ganze Zeit mit der falschen Linse gearbeitet hatten und die Arbeiter im Hintergrund zu sehen waren. Also wurde der Dreh unter höchstem Zeitdruck wiederholt - und nach drei Tagen brach ein kleineres Erdbeben los.
Zum Glück war keine der Glasplatten gebrochen, doch es war unmöglich festzustellen, ob sich das Glas bewegt hatte, und so blieb ihnen nichts übrig, als zum dritten Mal von vorne anzufangen. Diesmal ging der Dreh ohne Probleme vonstatten; einen Tag vor Ende der Deadline wurde der Film entwickelt und traf vier Stunden vor Beginn der Premiere im New Yorker Kino ein.
Charlie Chaplin sagte einmal zu Disney: „Man sollte keine Angst haben, das Publikum etwas warten zu lassen“ - ein Rat, von dem Disney später meinte, er hätte ihn schon bei Schneewittchen anwenden sollen. So baut sich das Ave Maria gewollt ruhig auf, durch eine langsame Steigerung, die gerade Kindern leicht zäh vorkommen kann. Doch lässt man sich auf diesen Aufbau ein, so wird man durch ein Finale belohnt, das einen erschauern lässt. Gerade im originalen Fantasound oder heutigem Dolby-Surround-Klang bewegt sich die Prozession langsam von hinten nach vorne, um schließlich in einem grandiosen allumfassenden Klang zu enden.
Nach einer anfänglichen Idee hatte man vorgehabt, diesen Effekt mit im Theater verbreiteten Weihrauchdüften noch zu steigern und ein frühes Konzept sah vor, die Jungfrau Maria selbst am Ende des Stückes im Himmel erscheinen zu lassen - ein heiliges Gegenbild zur Darstellung von Chernabog. Doch schließlich wurde klar, dass ein einfacher Sonnenaufgang das Segment sublimer und passender beenden würde, als jede Art von Effekthascherei.
Disney bezeichnete das Ave Maria als eine emotionale Erleichterung, die dem Rest des Filmes folgen sollte; gemeinsam mit dem schließlich herausgeschnittenen Clair de Lune war es für ihn eine wunderbare Möglichkeit des Kontrastes. Somit ist der Gegensatz zwischen Nacht und Tag, der das Finale von Fantasia regiert, gleichsam sinnbildlich für die Struktur des ganzen Films.


Walt Disney war immer interessiert an der grundlegenden Mythenstruktur von Gut gegen Böse und profan gegen heilig. Dieses Grundthema zieht sich durch alle Disney-Filme und ist wohl ein Grund, warum er das Konzept der einfachen Märchen so oft benutzte.
Mit dem Gedanken im Hinterkopf, was könnte da ein besseres Finale für Fantasia sein, als dieser fundamentale Widerstreit in seiner reinsten Form - sowohl musikalisch als auch künstlerisch? Die Nacht auf dem kahlen Berg und das Ave Maria bilden gemeinsam den perfekten Abschluss eines monumentalen Films
.


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Samstag, 4. Februar 2012

Fantasia - Elemente eines Meisterwerks: Der Tanz der Stunden

Fantasia is timeless. It may run 10, 20 or 30 years. It may run after I'm gone. Fantasia is an idea in itself. I can never build another Fantasia. I can improve. I can elaborate. That's all.“ - „We all make mistakes. Fantasia was one, but it was an honest mistake. I shall now rededicate myself to my old ideals.
- Walt Disney


Ganz im Sinne dieser geradlinigen Beurteilung seines Schöpfers möchte ich in dieser Artikelreihe Im Schatten der Maus Walt Disneys zeitlosen Fehler näher beleuchten:

Fantasia – Die Elemente eines Meisterwerks
Grazile Nilpferde, romantische Alligatoren und Strauße, die sich in perfekten Ballett-Schritten bewegen: Der Tanz der Stunden

Der Danza delle Ore ist eine Balletteinlage aus dem dritten Akt der Oper La Gioconda von Amilcare Ponchielli. Wie der Titel ankündigt, werden in dem Ballett die verschiedenen Stunden des Tages personifiziert dargestellt: Morgen, Mittag, Abend und Nacht treten jeweils in ihrem eigenen Tanz auf, bis die Stunden der Nacht im Finale wieder von den Tagesstunden vertrieben werden.
Die Oper, die 1876 zum ersten Mal aufgeführt wurde, war sofort ein großer Erfolg. Das Ballett, das von dem klassischen Kampf zwischen Licht und Dunkel erzählt, wurde schnell zu einem der bekanntesten und meist aufgeführten Ballettwerke überhaupt, und als Folge auch zu einem der am häufigsten Parodierten.


Schon 1929 wurde das Werk erstmals von Disney verwendet: In der Silly Symphony Springtime dient es gemeinsam mit Edvard Griegs Morgenstimmung zur Untermalung einer Reihe von Tänzen der Bewohner eines Flussufers. Insbesondere werden zum Tanz der Stunden ein paar Fröschen und ein Storch präsentiert, wobei letzterer am Ende die Frösche erfolgreich jagt und auffrisst.  
Bemerkenswert im Vergleich zu Fantasia ist hier, dass nicht nur die gesamte Grundstruktur bereits gegeben ist - während der Stücke Morgen, Mittag und Abend wird eine Gruppe Beutetiere gezeigt, während Nacht kommt der Jäger und macht während des Finales Jagd auf den Rest - sondern wie selbst die Darstellung des Storches schon auf Fantasia hinweist; seine schleichenden Bewegungen und sein langes, bewegliches „Maul“ erinnern eher an ein Reptil als an einen Vogel.

In Anbetracht dieser Vorgeschichte ist es nicht verwunderlich, dass Walt Disney von Anfang an genaue Vorstellungen zur Verarbeitung des Tanzes der Stunden in Fantasia hatte.
In einem ersten mitgeschriebenen Meeting mit seinen Leuten legte er bereits im Detail die gesamte Struktur des Segmentes fest; von der grundlegenden Wahl der „Tänzer“ als Sträuße, Nilpferde, Elefanten und Alligatoren bis zum dezenten Stil der Komik. Er betonte, dass das Werk als einigermaßen ernsthaftes, ungekürztes Ballett inszeniert werden sollte, in dem die Darsteller sich selbst und ihre Darbietung ernst nehmen und erst im Laufe des Stückes durch kleinere Faux-pas mehr und mehr aus ihren Rollen fallen, bis die ganze Vorstellung schließlich vollkommen ins Absurde abgleitet.


Als besondere Herausforderung erkannte Disney dabei die Notwendigkeit, eine unrealistische, aber scheinbar natürliche Anatomie für die Karikaturen zu entwickeln, so dass man den schweren Dickhäutern die Ballettvorführung abnehmen konnte.  
Die Darsteller im Tanz der Stunden sind (außer Micky) die einzigen anthropomorphen Tiere in Fantasia. Als Inspiration wurden die Zeichnungen der Karikaturisten T. S. Sullivant und Heinrich Kley genutzt, die jeweils Pate standen für Sträuße und Nilpferde, beziehungsweise Elephanten und Alligatoren. Das Ergebnis ist ein Stil, der durch Übersteigerung der artentypischen Merkmale wie zum Beispiel der großen Straußenfüße einen Bogen zu karikierten menschlichen Ballettdarstellungen schlägt. 
 Ein gutes Beispiel ist hierfür die erste Pirouette der Nilpferd-Prima Ballerina Hyacinth Hippo; auch ein Detail, das von Disney selbst vorgeschlagen wurde. In einer übersteigerten Anwendung der squash&stretch-Technik sehen wir, wie sich der ganze schwere Nilpferd-Leib mit der Pirouette um sie herum bewegt, um dann wie ein Sack Fett langsam an seinen Platz zurückzuschwabbeln.









Der Tanz der Stunden ist wohl das einzige Segment von Fantasia, bei dem die wieder restaurierte Einleitung von Taylor wirklich zur Wirkung des Stückes beiträgt. In seiner trockenen Art redet Taylor ganz ernsthaft von den Balletttänzern und beschreibt, wie ihre Kostüme die jeweilige Tageszeit widerspiegeln - ohne anzudeuten, dass die Tänzer keineswegs menschlich sind und ihre „Kostüme“ meist nicht über Schühchen und Haarschleifen hinausgehen.
Die Folge ist, dass der unbedarfte Zuschauer in keiner Weise auf die Darstellung des Ballettes vorbereitet ist und selbst beim ersten Blick auf die Straußen-Ballerina noch nichts Böses ahnt; so wird der Parodie-Charakter des Stückes perfektioniert.



Das Segment beginnt mit dem Betreten der Halle von Herzog Alvise. Dabei wird von Anfang an klar, dass es sich hier um ein Theater handelt, es hebt sich erst ein realer, dann ein gezeichneter Vorhang und selbst der Hintergrund mit den Wolken wird als eindeutig erkennbare Kulisse entlarvt.
Nach dem Vorbild der Balletttänzerin Irina Baronova, die im Studio einige grundlegende Ballett-Positionen vorführte, beginnt der Tanz der Straußen-Ballerina Madame Upanova. Obgleich eindeutig weiblich hat sie übrigens wie auch ihre Gefährtinnen das Federkleid eines männlichen Straußes; wohl einzig aus dem Grund, dass sie so um einiges fotogener wirkt.
Gerade in den ersten Teilen beschränkt sich auch die Kameraführung auf „ballettnahe“ Winkel; es werden keine Totalen von oben und nur wenige Nahaufnahmen gezeigt. Wie Disney schon zu Beginn festlegte, entsteht die Komik des Tanzes durch eine Mischung aus klassischem Ballett, bei dem die Tänzerinnen ihre Sache trotz kleinerer Fehler sehr ernst nehmen, und dem Verhalten von natürlichen Tieren, das immer wieder durchbricht. So war es seine Idee, Madame Upanova ein Füllhorn voll Früchte verteilen zu lassen, das an die Blumengaben klassischer Ballette erinnert, nur um dann in einem höchst tierischen Streit um die begehrten Weintrauben kämpfen zu müssen.

Der Kampf um die Früchte endet mit einem Wechsel von Szenerie und Tageszeit und der eigentliche Star des Ballettes taucht auf: Hyacinth Hippo. Ihr Auftritt ist eine Parodie auf Vera Zorinas Erscheinen in ihrem Wassernymphenballett aus dem Film The Goldwyn Follies von 1938. Da diese Anspielung heute kaum noch erkannt werden dürfte, ist dies vielleicht die einzige Szene von Fantasia, die wirklich gealtert ist. Allerdings ist der Auftritt des Nilpferdes spektakulär genug, um auch ohne dieses Vorwissen wunderbar zu funktionieren und stellt somit ein perfektes Beispiel für eine gelungene Parodie dar.
Wenn Hyacinth mit ihrer Morgentoilette beginnt, tut sie dies in der Tradition von zahllosen Bildern der Toilette der Venus. Auch hierbei wird das Menschliche der Karikatur betont und die Szene wird zur gutmütigen Darstellung einer etwas vollschlanken Diva, die sich ihres Gewichtes in keiner Weise bewusst ist.
Als Modell für die Nilpferde diente Hattie Noel, eine füllige schwarze Schauspielerin ohne Ballett-Hintergrund, die einige klassische Tanzschritte gezeigt bekam, die sie dann für die Zeichner nachahmte.

Der abrupte Wechsel von Mittag zu Abend ist das Signal für den Auftritt der Elefanten. Auch hier gibt es eine spezielle Elefantendame namens Elephanchine, auch wenn sie mangels äußerer Attribute nicht von den anderen zu unterscheiden ist - eventuell ist es die Tänzerin, die es schafft, eine Blase samt Goldfisch zu erzeugen. 
Die schwerfällige Bewegung der Elefanten hatte ein höchst unklassisches Vorbild. Disney meinte, die Zeichner sollten sich am Aussehen von Baggy Pants orientieren; eines der Markenzeichen von T. Hee, dem Regisseur des Segments. 
Am Ende des Abend-Tanzes erinnert ein sich blähender Vorhang wieder an die Theater-Realität des ganzen Stückes, ehe im nächsten Moment die Elefanten im Wind davonfliegen und so jegliche Realitätsnähe ad absurdum führen. Dabei stellt sich unwillkürlich die Frage, inwieweit nicht Dumbos rosa Elefanten oder die weggewehten Kindermädchen aus Mary Poppins von dieser Ballett-Szene inspiriert wurden.

Pünktlich bei Einbruch der Nacht wechselt die Szenerie ins Bedrohliche für den Auftritt der letzten Gruppe; der Alligatoren.
Obwohl die Bezeichnungen „Alligator“ und „Krokodil“ bei der Entstehung des Films quasi synonym benutzt wurden, handelt es sich bei der Gattung übrigens eindeutig um Alligatoren. Einen dezenten Hinweis bietet der Name der männlichen Hauptfigur: Ben Ali Gator.
In der schamhaften Reaktion von Hyacinth Hippo zeigt sich wieder eine eindeutig menschliche Karikatur und gemäß der Tradition klassischer Ballette muss sie ihrem Verfolger erst kokett ausweichen, ehe sich die beiden zum großen Pas-de-deux treffen.Die seltsame Romanze zwischen Nilpferd und Alligator folgt exakten klassischen Ballettschritten und die Referenzmodelle für die beiden waren das gleiche Paar, das schon für Schneewittchen und den Prinzen als Vorlage diente. Die Komik folgt einzig aus der immer absurderen Übersteigerung des Tanzes, bei der Hyacinths perfekte Arabesque von Ben als Karussell missbraucht wird, oder sie ihn mit ihrem grandiosen Sprung in Grund und Boden wälzt.Der Tanz geht beinahe nahtlos in das Finale über, in dem die Nachtstunden wieder von den Stunden des Tages überwältigt werden. Während das Tempo der Musik zunimmt, werden auch die Verfolgungsjagden auf der Bühne immer absurder und enden schließlich in einer glücklichen Demolierung des gesamten Theaters.

Eines der wichtigsten Mittel, um den theaterhaften Eindruck des Balletts zu erzeugen, ist die perfekte Strukturierung der einzelnen Teile: Ken O‘Connor, der für das Layout des Segments verantwortlich war, gab jedem Abschnitt seine eigene Gestaltung, die sich jeweils in der Wahl von Form und Farbe ausdrückt.
Der Morgen besteht hauptsächlich aus vertikalen und horizontalen Linien, die nicht nur die gesamte Kulisse, sondern auch die Bewegungen der Sträuße durchziehen. Dazu kommen die blassen Farben der frühen Morgendämmerung, hauptsächlich Schwarzweiß- und Grautöne. Zum Mittag wechselt die Szenerie nach draußen; nun herrschen die ovalen Umrisse der Gartenanlage vor und auch die Nilpferde selbst bestehen aus weichen Ovalformen. Die Elefanten des Abends beherrschen ihre Umgebung mit den Schlangenlinien ihrer Körper und Rüssel, und die Alligatoren bewegen sich in aggressiven Zickzacklinien, die sich in den schrägen Bodenlinien des Hintergrundes wiederfinden.



















Disney lag viel daran, bei der Erzeugung von Komik generell mehr zu experimentieren und er versuchte, dabei mit mehr Finesse ans Werk zu gehen. Oft beklagte er sich, wie schwer es sei, seine Mitarbeiter von einer anderen Art Comedy als dem simplen Slapstick zu überzeugen.
Bei dem Versuch, den richtigen Tonfall für die Komik des Segments zu finden, war für ihn wichtig, dass die tanzenden Tiere nicht zu einer reinen Klamauk-Nummer verkommen. Es war seine Idee, dass die Missgeschicke der Tiere als echte „Unfälle“ präsentiert werden, statt aus reinem Herumgealbere zu resultieren.
Das Resultat ist ein Stück, das klassische und komische Elemente perfekt vereint.


Im Grunde ist der Tanz der Stunden eine liebevolle Parodie auf das Konzept von Fantasia und somit sich selbst. Dass das Segment trotzdem ernstgenommen werden kann, liegt nicht zuletzt an der extremen Detailgenauigkeit, mit der die Zeichner die Seele des klassischen Balletts einzufangen versuchten.
Man sieht den Tieren vielleicht nicht direkt an, dass sie von den Bildern von Edgar Degas und den Vorführungen der Ballets Russes inspiriert wurden, doch zu spüren ist es zweifellos.Das Ballett an sich und speziell der Tanz der Stunden hatte zur Entstehungszeit des Filmes noch einen stärkeren Platz im allgemeinen Bewusstsein inne als heutzutage, und ein Großteil der Besucher konnte in den Tänzen die überzogene Darstellung echter Ballett-Technik wiederfinden. So ist vielleicht eine der unvorhergesehenen Errungenschaften von Fantasia auch die, ein wichtiges Stück Ballett-Geschichte vor dem Vergessen zu bewahren.


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