Montag, 18. Dezember 2017

Filmtipps: Sechs nicht genügend beachtete Hans-Zimmer-Arbeiten aus dem erweiterten Disney-Archiv



Heute Abend zeigt der Disney Channel nicht nur eine weitere, sehr spannende Ausgabe seiner wundervollen Rankingshow Disney Magic Moments, wir erreichen mit dieser Folge leider auch schon das Finale der vierten Staffel. Zum Abschluss der aktuellen Runde geht um die besten Songs der Rock- und Popstars. Ein reizvolles und aus dem sonstigen Rahmen der Show tanzendes Thema, auf das ich euch gerne einstimmen möchte, ohne zu viel vorwegzunehmen.

Daher möchte ich an dieser Stelle einige Filme vorstellen, deren Hintergrundmusik von niemand geringerem geschrieben wurde als Hans Zimmer, der spätestens seit seiner bestens besuchten Konzerttournee wohl eindeutig ebenfalls als Pop- oder Rockstar durchgeht. In seiner annähernd 200 Film- und Serien-Projekte umfassenden Karriere hat der Oscar-Preisträger auch diverse Male für den Disney-Konzern gearbeitet - die prominentesten Fälle dürften seine Stücke für Der König der Löwen, die Pirates of the Caribbean-Saga und die actionfilmstilprägende Musik zu The Rock sein. Um diese und andere oft referenzierte Scores soll es heute aber nicht gehen!

Dies soll zudem keinesfalls ein definitives Ranking darstellen. Stattdessen präsentiere ich hier in chronologischer Reihenfolge einen Querschnitt aus sechs nicht genügend gewürdigten Arbeiten des begnadeten Komponisten, die er für den Disney-Konzern geleistet hat. Vielleicht mache ich euch so ja Lust, diesen Filmen erstmals eine Chance zu geben oder sie erneut einzulegen?

Cool Runnings

Hans Zimmer untermalt eher selten reine Komödien, doch Jon Turteltaubs freie, aber herzliche Nacherzählung einer großartigen sporthistorischen Anekdote beweist, dass Deutschlands Exporttalent auch in diesem Genre zu brillieren weiß: Cool Runnings stammt aus Zimmers Schaffensperiode, in der er liebend gern ethnische Einflüsse prominent in seine Scores eingeflochten hat. Typische Sportfilmsymphonien (Crescendos sind Trumpf!) vereinen sich hier pointiert und liebevoll mit Calypso- und Reggae-Elementen und wer bei Finishing The Race/Walk Home keine Gänsehaut bekommt, dem traue ich nicht über den Weg!

Mr. Bill

Eine Dramödie, wie sie der Disney-Konzern in den 80ern und 90ern regelmäßig produzieren und seit der Jahrtausendwende kaum noch anpacken sollte: Die Touchstone-Pictures-Produktion Mr. Bill erzählt von Danny DeVito als schlagfertigen, dickköpfigen Englischlehrer, der Problemrekruten in der Armee freies Denken beibringt. Also "Dangerous Minds in Tarnfarbe". Ich habe eine Schwäche für diesen Film, da er die Balance aus Situationskomik, leichtfüßigem Pathos und literarischem Witz in meinen Augen problemlos hält, nicht zuletzt dank Zimmers jazzinspiriertem Score, der munter zwischen Elektroelementen und Kammerorchester wechselt.

Muppets - Die Schatzinsel

Lange bevor das Pirates of the Caribbean-Franchise Realität werden sollte und noch bevor Gore Verbinskis Karriere auf der großen Leinwand Gestalt annahm, komponierte Hans Zimmer bereits für eine andere Handvoll schräger Piraten. Der Score zur Schatzinsel-Interpretation der Muppets sollte paradoxerweise Zimmers klassischste Piratenkomposition werden: Kein moderner Jerry-Bruckheimer-Bombast, dafür ein großes Maß an fidelen Swashbuckler-Streichern und verspielter Seefahrerschunkelei.

Rendezvous mit einem Engel

Romanzen werden sehr selten von Hans-Zimmer-Musik begleitet, doch Ausnahmen bestätigen die Regel. Da wären der sehr charmante, zwischendurch erfrischend selbstironische Liebe braucht keine Ferien, James L. Brooks' Budgeträtsel Woher weißt du, dass es Liebe ist und (nach Hans Zimmers Aussage) Hannibal. Auch dieser Sonntagnachmittagunterderwolldeckeeinkuschelnundeinenkakaotrinken-Film mit Denzel Washington und Whitney Houston zählt zu der kleinen Riege an Zimmer-Romantikfilmen und für die unaufdringliche, eindringliche Musik gab es auch prompt eine Oscar-Nominierung.

Pearl Harbor 

In den letzten eineinhalb Jahrzehnten aufwärts wurde bereits viel über Michael Bays letzte Zusammenarbeit mit Jerry Bruckheimer und dem Disney-Konzern gesagt und geschrieben (und gesungen, nicht wahr, liebe Team America-Fans?). Sehr viel. Extrem viel. Doch ganz egal, wie sehr Pearl Harbor an den Kinokassen enttäuschte und wie bemüht weite Teile des Films sein mögen. In einigen, wenigen Dingen dürften wir alle uns einig sein, oder? Cuba Gooding Jr. rockt in Pearl Harbor, rein handwerklich und effekttechnisch ist die Angriffssequenz beeindruckend und Hans Zimmers ungewohnt unpompöser, mit Holzbläsern bestückter, nostlagischer Score hat einen besseren Film verdient.

The Lone Ranger

Willkommen in der Ära des wilden Hans Zimmers! Selbst wenn das musikalische Glanzstück, nämlich die perfekt auf den Film abgestimmte Variation der mit den etablierten Leitmotiven aus den vorherigen Filmstunden bereicherten Willhelm-Tell-Overtüre, auf Geoff Zanellis Konto geht: In Gore Verbinskis sensationellem Westernepos erschafft Hans Zimmer eine faszinierende Klangtapete aus parodistischen, sich vor den Klassikern verneigenden, das Genre dekonstruierenden, losgelösten und grimmig-düsteren Kompositionen. Und damit verhilft Zimmer Verbinskis komplexer Genreübung zum genau richtigen Sound.

Die finale Ausgabe der vierten Disney Magic Moments-Staffel ist heute, am 18. Dezember 2017, ab 20.15 Uhr im Disney Channel zu sehen. Einschalten!


Donnerstag, 14. Dezember 2017

Ferdinand - Geht stierisch ab


Ferdinand, der Stier ist vor allem als Disney-Kurzfilm bekannt. Doch der Cartoon über einen friedlichen, Blumen liebenden Stier, der sich zu kämpfen weigert, ist bloß die Adaption eines Kinderbuchklassikers aus dem Jahr 1936. Nun, 71 Jahre später, kehrt die Geschichte eines friedlichen Stiers in die Kinos zurück - ironischerweise startet die Produktion der zum Fox-Imperium gehörenden Blue Sky Studios in Deutschland exakt an dem Tag, an dem Disneys Aufkauf weiter Teile von 21st Century Fox abgemachte Sache wurde.

Der neuste Film des Studios, das uns unter anderem die Ice Age-Filme sowie Rio brachte, versetzt die klassische Geschichte sehr behutsam ins Heute - so behutsam, dass man in nur sehr wenigen Szenen bemerkt, dass der Film in der Gegenwart spielt. Zumindest, wenn man die Songauswahl in dieser 111-Millionen-Dollar-Produktion ausklammert. Aber der Reihe nach:

Der gutmütige Stier Ferdinand flieht eines Nachts von der Stierfarm, auf der er großgezogen und für den von ihm verabscheuten Stierkampf großgezogen wurde. Er wird von einer freundlichen Familie gefunden, die ihn großzieht. Als der erwachsene Ferdinand (Daniel Aminati) auf ein Blumenfestival in einem nahegelegenen Fest geht und aufgrund eines Bienenstichs ungewollt Chaos verursacht, wird er von den Behörden für eine wilde Bestie gehalten und zurück zur Stierfarm verfrachtet. Dort wird er nicht nur mit seinen alten "Freunden" konfrontiert sowie mit einer exzentrischen Ziege (Bettina Zimmermann), die ihn unbedingt trainieren möchte, sondern obendrein mit der Bedrohung, von einem Matador für seinen feierlichen, letzten Stierkampf ausgewählt zu werden ...

Drei Jahre nach dem schwer enttäuschenden, nervigen Rio 2 meldet sich Carlos Saldanha zurück auf dem Regiestuhl - und macht den lärmenden Animationsfilm fast wieder vergessen. In Ferdinand konzentriert sich der Regisseur weitestgehend auf die Geschichte seiner Titelfigur und versucht, ein familienfreundliches Gefühls-Auf-und-Ab aus seiner Lebensgeschichte zu formen. Der Knuffigkeitsfaktor dient dabei als Trumpf: Der junge Ferdinand ist streng nach dem Kindchenschema gestaltet, der erwachsene Ferdinand bezirzt sein Publikum mit der liebenswerten Diskrepanz zwischen seinem gigantischen Körper und seinem freundlichen Gesicht inklusive strahlender Augen. Es ist aber mehr als eine bloße Designentscheidung, die den friedlichen Stier zu einer charmanten Hauptfigur macht:

Die Charakteranimation ist zwar schlicht, aber ausdrucksstark und die Drehbuchautoren Robert L. Baird, Tim Federle und Brad Copeland gehen in der Skizzierung der Titelfigur einen zielstrebigen Weg: Ferdinand ist als Stier, der in einer ihn verwöhnenden Umgebung groß wurde, ein optimistischer Naivling und somit für das jüngste Publikum eine Identifikationsfigur - gleichzeitig macht sich das Autorenteam nie gehässig über Ferdinands Weltunterfahrenheit lustig. Das ältere Publikum kann daher mit Ferdinand mitfiebern, da es ein Leichtes ist, es diesem lieben Stier zu gönnen, Wahrheiten zu verdauen und darüber sein pazifistisches Gemüt nicht zu verlieren.

Leider plagt Ferdinand eine gemäßigtere Version des Problems, das schon die letzten beiden Ice Age-Filme sowie Rio 2: Dschungelfieber in Mitleidenschaft gezogen hat: Die Geschichte wird in semi-regelmäßigen Abständen unterbrochen, um für eine narrativ überflüssige, extralange Gagszene und/oder Popmusikeinlagen Platz zu machen. In der gebotenen Schlagzahl dehnt dies die Laufzeit so sehr, dass Ferdinand mit 107 Minuten länger ausfällt, als der Grundkonflikt tragen kann - zudem franst die Erzählung abseits von Ferdinands Sehnsucht, der Gefahr des Stierkampfes zu entkommen, aus. Ein angedeuteter Subplot, dass der Farmbesitzer die Aufträge des Matadors braucht, um seine Familie zu ernähren, wird fallen gelassen und ein Subplot über eine Schlachterei wird ohne Konsequenzen abgehakt (man will dem ganz jungen Publikum wohl nicht so viel zutrauen, wie es Disney und Pixar üblicherweise sowie manchmal Dreamworks Animation tun).

Mit der hibbeligen, dauernd brabbelnden, schlagfertigen, in ihrer ganz eigenen Logikwelt lebenden Ziehe Lupe (im Original: Comedygöttin Kate McKinnon) hat Ferdinand dafür einen herausragenden Comedysidekick, dessen Eskapaden über manche der Popmusikeinlagen sowie die ein- bis eineinhalbdimensionalen weiteren Stiere im Film hinwegtröstet. Die Menschen sind zwar unfassbar hässlich designet (bis auf Ferdinands beste Freundin) und die Hintergründe unstet (Wiesen sind sehr schön anzusehen, die meisten anderen Sets sind karg und enorm überbelichtet, um über die Detailarmut hinfort zu täuschen), aber für harmlos-freundliche Familienunterhaltung reicht es dank Ferdinand und Lupe allemal.

Ferdinand - Geht stierisch ab ist ab sofort in vielen deutschen Kinos zu sehen - in 3D und 2D.