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Samstag, 1. Juni 2013

Im Schatten der Maus - Spezial: Brave New Look?


Im Mai erhielt Merida, die Protagonistin des Oscar-prämierten Pixar-Films Merida – Legende der Highlands (beziehungsweise Brave, wenn man den englischen Originaltitel bevorzugt) mehr als zwei Monate nach den Academy Awards und fast ein Jahr nach US-Start ihres Kinoabenteuers erneute Aufmerksamkeit. Unerwartet war dies nicht, denn die Merchandising-Abteilung des Disney-Konzerns, Disney Consumer Products, hielt eine „offizielle“ Zeremonie ab, in deren Rahmen Merida zur elften Disney-Prinzessin gekrönt wurde. Diese PR-Aktion sollte dafür sorgen, dass der Rotschopf wieder ins Gespräch kommt und sollte somit auch dem Verkaufsstart der neusten Produkte der Disney-Princess-Produktlinie förderlich sein. Mit der schieren Masse und der Lautstärke an Reaktionen hat in Disneys Merchandising-Abteilung jedoch wohl kaum jemand gerechnet, geschweige denn mit der Zornigkeit, die in diesen Diskussionen vorherrscht.

Anlass war nicht die Krönung Meridas als solche, sondern die zeitgleich stattgefundene Enthüllung des neuen Designs der Pixar-Prinzessin im Rahmen der Disney-Princess-Marke. Der Wildfang wurde in ein hellgrünes Glitzerkleid gesteckt, tauschte seinen Bogen gegen einen breiten Gürtel mit güldener Schnalle ein, verlor ein paar Kilo, so dass er eine sexy Wespenteile zeigen kann, die auch Meridas Vorbau stärker betont. Auch der Ausschnitt ist etwas weiter und Meridas Gesichtsausdruck scheint zu sagen „Hallo, Schwester! Ich würde mich riesig freuen, mit dir Tee zu trinken und über Hochzeitspläne zu tratschen. Haha!“

Somit wurde Merida durch die selbe jegliche Persönlichkeit raubende Glitzer-Puder-Maschine gejagt, durch die bereits sämtliche anderen Disney-Prinzessinnen aus erfolgreichen, großen Disney-Filmen gequält wurden. Doch während diese Entwicklung früher kaum mehr als ein Schulternzucken oder ein kurzes Augenrollen auslösten, wurde Meridas Umgestaltung zu einer riesigen Kontroverse aufgebauscht. Um deren Bedeutung abzubilden, bietet sich meiner Ansicht nach ein Blick zurück in Disneys Vergangenheit mit Neugestaltungen seiner Figuren zu werfen, um dann abschließend auf die Frage einzugehen, ob es akzeptabel ist, dass Merida nun den Weg geht, den zuvor Rapunzel, Tiana, Jasmin, Arielle und Co. gingen …

Die stets neu erfundenen Ur-Figuren
Figuren umzugestalten ist eine Methode, die bei Disney eine längere Tradition hat, als die Produktion abendfüllender Zeichentrickfilme. Die Figuren, auf deren Schultern das Disney-Imperium erbaut wurde, also Micky, Donald, Goofy, Pluto, Minnie und mit etwas Gutwillen auch Daisy und Kater Karlo, wurden in regelmäßigen Abständen mit einem neuen Look versehen. Dies geschah zunächst parallel zu der Weiterentwicklung der Cartoons, die von krude animierten Schwarz-Weiß-Filmchen zu farbenfrohen Cartoons wurden, in denen nicht mehr die Musik den Takt angab, sondern die Persönlichkeit der Figuren. Also wurden Micky, Donald und Co. ausdrucksstärker und bekamen ein runderes und „zeitgemäßeres“ Aussehen, so dass die Schöpfungen der 30er-Jahre auch in den 40ern und 50ern auf der großen Leinwand einen guten Eindruck machen konnten.




Diese Umgestaltungen gehören wohl zu den künstlerisch fundiertesten: So lange die klassischen Disney-Stars regelmäßig in neuen Cartoons auftraten, konnte man eine graduelle Neugestaltung akzeptieren, da sie im Regelfall auch den neuen Cartoons zugutekamen. Dass Micky, Donald und Co. später auch neuen Trends wie dem kantigen UPA-Animationlook angepasst wurden, war ebenfalls verzeihlich, da es keine permanente Änderung war, sondern für einzelne Filme und Merchandisingartikel galt. Und mit den Neudesigns dieser Figuren nach Ende ihrer Leinwandkarriere hatte schlussendlich niemand ein Problem, weil es bei ihnen eh Alltag war.



Zudem gab es, nachdem Micky seine Augen mit Pupillen bekam und Donald seinen kürzeren Schnabel, keine allgemeingültige Generalüberholung mehr. Wenn sie auf einer 90er-Produktlinie im Graffitistil erschienen, keine Bange, es gab auch genug andere Produkte, auf denen sie normal erschienen. Die Rasselbande rund um Micky etablierte sich als Chamäleon der Disney-Welt, sie können auf Merchandising abseits ihrer Stammoutfits auch in allen möglichen anderen Kleidern auftauchen (schließlich gab es auch immer wieder Geschichten, in denen die Figuren untypisch gekleidet sind) und durch die Comics, deren Zeichner das geübte Auge am Bleistiftstrich identifizieren kann, und vielen Cartoons war jedem Disney-Fan klar, dass er kein einheitliches Bild erwarten soll.

Die Prinzessinnen bis Ende der 90er … und der radikale Wandel im neuen Jahrtausend
Auch wenn es einige von uns kaum noch für möglich halten werden: Die Disney-Prinzessinnen stellten noch bis in die letzten Züge der Disney-Rennaissance hinein keine eigenständige Marke dar, sondern wurden als alleinstehende Entitäten behandelt. Sofern nicht gerade ein sonderbares Comic-Crossover anstand, etwa zur Eröffnung eines Disney-Parks oder zum Jubiläum einer Comic-Publikation, blieben Schneewittchen, Cinderella, Aurora, Arielle, Belle und Jasmin voneinander getrennt und selbst wenn es immer wieder Mal miese Abbildungen auf Merchandising gab, so orientierten sich die Darstellungen der Prinzessinnen im Regelfall nah am ursprünglichen Filmdesign. Ja, es gab auch in den frühen 90ern solche Produkte wie Cinderella-Puppen mit speziellem Glitzerkleid oder Pocahontas-Figuren mit mehreren Outfits, doch Abweichungen vom ursprünglichen Modell waren stets ganz klar eins: Absolute Ausnahmen. Was sich auch von selbst erklärte: Anders als Micky, Donald und Co., die ungezählte Abenteuer bestanden und sich darin durch massenhaft Klamotten probierten, haben die Grazien aus den Disney-Meisterwerken einzig und allein ein relevantes Werk, das von ihnen berichtet. Jasmin sei dank der Aladdin-Serie da mal ausgenommen.

Auftritt des Mannes, dem nahezu jeder erwachsene Disney-Fan am liebsten an die Gurgel gehen würde: Andy Mooney, ehemaliger Nike-Geschäftsführer, wird im Januar 2000 zu Disney Consumer Products beordert, um das kränkelnde Geschäft mit den Merchandisingverkäufen aufzupeppen. Eine seiner wirtschaftlich klugen Ideen war es, nicht weiter die Kernlizenzen an zahllose Hersteller zu vergeben, sondern nur einzelnen, fähigen Firmen anzuvertrauen. Jedoch löste Mooney auch einen nicht mehr aufhaltbaren Wandel in Disneys Umgang mit seinen Prinzessinnen aus. Er bemerkte, dass sich junge Mädchen zu Veranstaltungen wie „Disney on Ice“ mittels generischen Kostümen als die Disney-Prinzessinnen verkleideten und fällte daraufhin die Entscheidung, dass Disney in eben diese Marktlücke springen muss – der Konzern sollte sich stärker um die Vermarktung seiner Märchenprinzessinnen bemühen und kleinen Mädchen eine Vielfalt an Produkten bieten, um ihren Durst nach Prinzesssinnenartikeln zu stillen.

So wurde die Disney-Princess-Marke erfunden, die Schneewittchen, Cinderella, Aurora, Arielle, Belle sowie Jasmin unter einem Schirm vereinte und von ihrem dazugehörigen Film losgelöst behandelte. Mooney setzte eine ungewöhnliche Strategie durch: Zwar wurden die Verweise auf die jeweiligen Disney-Klassiker, aus denen die Figuren stammen, auf ein Minimum gekürzt und teils vollkommen gestrichen, dennoch sollten die Prinzessinnen nicht als eine homogene Gruppe miteinander interagierender Figuren auftreten. Crossover-Comics, um die Produktline zu bewerben, blieben ebenso aus, wie etwa Kalenderbilder, auf denen Jasmin und Arielle gemeinsam Beach-Volleyball spielen. Auf ihren gemeinsamen Merchandisingabbildungen blicken die Prinzesssinnen stets in eine leicht andere Richtung, als seien sie sich der sie umgebenden Damen unbewusst – so dass diese Bilder eher eine Collage sind, denn wirkliche, sinngemäße gemeinsame Auftritte.

Das ist man heute gar nicht mehr gewöhnt: Die Prinzessinnen sind (weitestgehend) "on model"!

Die neue Produktmarke verhalf Disney aus seiner Verkaufskrise, innerhalb von bloß fünf Jahren schossen Disneys jährliche Merchandising-Einnahmen von 300 Millionen Dollar auf 3 Milliarden Dollar, woran die pinke Mädchenreihe einen nicht unerheblichen Anteil hatte. Aber die aggressive Ausbeutung der Prinzessinnen zog neue Schwierigkeiten nach sich. Das Image der Disney-Studios wandelte sich. Man muss einfach mal festhalten: Ich habe unfassbare Probleme, Artikel aus der Zeit vor der Jahrtausendwende zu finden, in denen die Rede davon ist, Disney hätte ein „Jungsproblem“.

Zeitgenössische Kritiken zu Arielle, die Meerjungfrau gehen davon aus, dass er Jungs, Mädchen und deren Eltern gleichermaßen gefallen werde, selbiges gilt für Die Schöne und das Biest und sowieso für Aladdin. Mir ist nicht ein Stück Disney-Sekundärliteratur bekannt oder ein Artikel von Industrieportalen, wo besprochen wird, dass der Filmtitel Pocahontas Jungs abschrecken könnte und dass Der Glöckner von Notre Dame sowie Hercules Versuche der Disney-Studios wären, die verlorene junge männliche Zielgruppe nach mehreren „Weiberfilmen“ wieder ins Boot zu holen.

Doch da die Disney-Princess-Produkte immer omnipräsenter wurden und das Disney-Marketing der Märchenfilme, um auf dieser Erfolgswelle mitzuschwimmen und gleichzeitig auch die Merchandisingverkäufe weiter anzutreiben, immer stärker auf junge Mädchen zugeschnitten wurde, änderte sich das Image. Rosa, Glitzer und Pastelltöne, auch Mulan und Pocahontas wurden ab nun auf vereinzelten Princess-Produkten abgebildet, Printmagazine unter der Disney-Princess-Marke, „Teeparty“-DVDs und vieles mehr: Um den kleinen „Ich wäre so gern eine Prinzessin“-Mädels zu gefallen, stimmte Disneys Marketing immer mehr die selben gepuderten Töne an. Damit ging einher, dass die Märchenfilme plötzlich als Mädchenfilme betrachtet wurden und Medienbeobachter Disney ein „Jungsproblem“ anrechneten, da einige der größten Klassiker die jungen Buben verschrecken würden, während Marken wie Pirates of the Caribbean im Merchandisingbereich weniger erfolgreich liefen. So wurde Cars zur Jungsmarke in der Größe der Prinzessinnen aufgebaut, doch diese Marke wuchs immer weiter.

Graduell erhielten die Prinzessinnen auf ihren Produkten ein kleines Makeover. Samtweiche Haut, rundere, einheitlichere Gesichtszüge. Die Prinzessinnen lebten auf Gruppenbildern weiter nebeneinander her, doch Produkte mit ihnen, auf denen sie nicht aussehen, als stammten sie aus einem einzelnen Film über eine riesige royale Familie wurden immer seltener.



Die immer lauter werdenden Beschwerden – und die von Merida ausgelöste Explosion
Spätestens 2007 drehte Disney Consumer Products völlig durch und entrückte die Prinzessinnen noch ein gutes Stück mehr von ihrem ursprünglichen Design. Die kleinen Kinder störte es natürlich nicht, unter erwachsenen Disney-Fans wurde das entnervte Aufstöhnen dagegen lauter – da die Prinzessinnen anders als Goffy, Pluto und Co. „einen echten Look“ haben, wurden Abweichungen vom Standard kritischer aufgenommen und dass die Neugestaltungen den Figuren ihre Persönlichkeit rauben, um sie zu reinen Wunschprojektionen kleiner Mädchen umzumünzen, fand wenig überraschend wenig Freunde bei den Disney-Anhängern. Ein wiederkehrender Kritikpunkt in Disney-Foren ist der Barbieeffekt – den ich mit eigenen Augen und Ohren erlebt habe. Als mir meine Nichte ihre Tischunterlage mit Cinderella, Aurora und Arielle zeigte, fragte ich sie, ob sie mir den Namen der drei Damen nennen kann. „Ja. Das ist Barbie. Und das ist Barbie in einem anderen Kleid. Und das ist Barbie mit roten Haaren.“ Sie meinte es todernst. Und ich bin in diesem Moment ein wenig gestorben vor Leid.

Und dann kam Küss den Frosch. Die Produktion aus dem Jahr 2009 stellte Disneys Rückkehr zum Zeichentrickmedium dar, nachdem fünf Jahre zuvor Die Kühe sind los! einen unrühmlichen Abschluss markierte. Es war auch das Comeback der Aladdin-Regisseure John Musker und Ron Clements, die 2002 mit Der Schatzplanet ihre erste finanzielle Bruchlandung erlebte. Vor allem aber ist und bleibt Küss den Frosch der erste Disney-Märchenfilm, der nach Einführung der Disney-Princess-Marke in die Kinos kam. Und, wow, das merkt man. Der Film selbst blieb glücklicherweise von bösen Einflüssen durch Disney Consumer Products befreit, aber das ganze Drumherum konnte die Konnotation mit dem glitzernden Franchise nicht abschütteln. Und so tauchten Beobachtungen auf, die man vorher im Bezug auf neu erschienene Disney-Märchenmusicals in dieser Prominenz nie zuvor finden konnte: Kritiker vermuteten hinter dem Film einen einzigen,großen Marketingschachzug, an Eltern gerichtete Publikationen nahmen ihn als Anlass, über die Erziehung von Mädchen und den korrekten Umgang mit der Prinzessinnensache zu philosophieren und in der Presse wurde gemutmaßt, dass der Film Jungs weniger reizen könnte.

Was uns zum nächsten Punkt führt: Küss den Frosch ist auch der erste Disney-Märchenfilm seit der Renaissance, mit dessen Einspielergebnis der Konzern nicht im Geringsten zufrieden war. Begründet wurde das enttäuschende Einspiel damit, dass der Film die männlicheZielgruppe nicht erreichte – woraufhin es in den USA zu der berühmt-berüchtigten Umbenennung von Rapunzel in Tangled kam und das Marketing sich mit aller Kraft verrenkte, um in Trailern und auf Postern das liebevolle, ambitionierte Märchenmusical als dreiste, freche Komödie im DreamWorks-Animation-Stil zu verkaufen. Derweil wurde Tiana, die im Film noch eine atypische Protagonistin für einen Disney-Trickfilm abgab, assimiliert und im Merchandising zur dummen, grinsenden Schaufensterpuppe degradiert.


Rapunzel hingegen lachte das Glück, denn auf die schizophrene Repräsentation ihres Films sowie die zweigleisige Darstellung ihres Charakters durch Disneys Marketing- und Merchandisingabteilungen folgte ein großer kommerzieller Clou. Jungs, Teenager und Erwachsene wurden durch die Trailer imDreamWorks-Style manipuliert, während die Prinzessinnen-Zielgruppe weiterhin ihre volle Wagenladung an „Ist sie nicht süß?“-Rapunzelpüppchen und großäugige, naive, pastellfarbene Rapunzelzeichnungen in Bilderbüchern erhielten. Jeder bekam den Film vorgegaukelt, von dem er dachte, dass er ihn sehen wollte, und am Ende war das Ergebnis ein ganz anders gelagerter Kinofilm, der jede Menge Geld einspielte und sehr gut besprochen wurde.

Vielleicht war es auf Fanseite die Euphorie endlich wieder einen hervorragenden und zudem erfolgreichen Disney-Film zu haben und im Hinblick auf die generelle Presse die Erschöpfung durch die ganze „Ist Küss den Frosch ein rassistischer Kleinemädchenfilm?“-Debatte, eventuell erschien den meisten das ursprüngliche Rapunzel-Standarddesign der Disney-Princess-Reihe einfach nur zu unspektakulär – jedenfalls gab es nach Kinostart von Rapunzel vorerst wieder Ruhe um die Prinzessinnenreihe. Rapunzels gezeichnete Merchandising-Version kommt manchen Fans, darunter auch meiner Wenigkeit, etwas zu jung und zu dümmlich-verspielt vor, allerdings schüttle ich dies schulternzuckend ab. Ausgleichende Gerechtigkeit nach den „Boah, meine Fresse, ist das 'ne krasse, sarkastische Rockerbraut!“-Marketingversuchen, mehr nicht.


Rapunzel, Power-Haar-Belle und "die neue Cinderella"

In den Disney-Geschichtsbüchern wird man diese Phase wohl als die Ruhe vor dem Sturm betrachten. Allein schon die Ankündigung, dass die Pixar-Figur Merida in die Disney-Princess-Reihe aufgenommen wird, sorgte für Murren unter den Disney-Fans eines gewissen Alters. Mit der Enthüllung ihres Designs jedoch erlebte Disney Consumer Products einen PR-Reinfall, wie der Disney-Konzern ihn schon lange nicht mehr erlebt hat. Die gezeichnete, fesche, mädchenhafte Merida mit betonteren Kurven und jeder Menge Glitzer, der auf Merchandisingartikeln plötzlich Charakterzüge zugesprochen werden, die total prinzesssinnenhaft sind (und somit nahezu durchgehend dem widersprechen, wofür sich der Wirbelwind in seinem Film aussprach), löste eine gewaltige Debatte aus. Dieses Mal aber beschränkte sie sich nicht allein auf Disney-Fanforen, sondern breitete sich auf die Massenmedien aus. Die Beschwerden waren vielfältig: Die natürliche, wilde Figur mit ihren ästhetischen Ecken und Kanten wurde mit seinem sexualisierten Victoria's-Secret-Model verglichen, was eine fragwürdige Botschaft vermittle. Eine weitere Kritik ist, dass die neue Merida das Prinzessinnenklischee verstärke, dass es einzig und allein ums Aussehen ginge. Und auch der Verrat Disneys Merchandising-Abteilung an Pixars Schöpfung wurde thematisiert – eine Figur, die sich gegen Adelspflichten aussprach, unterwirft sich nun eben dieser Konformität.

Eine Onlinepetition wurde ins Leben gerufen und auch Brenda Chapman, die Erfinderin der Figur und ursprüngliche Regisseurin von Merida – Legende der Highlands äußerte sich zur Kontroverse: Die Merida-Umgestaltung sei „unverantwortlich“, „abscheulich“ und „unverholen sexistisch“. Sie erläuterte, dass sie Merida, die auf ihrer Tochter Emma basiert, erschuf, um ein gutes, starkes Vorbild für Mädchen zu schaffen, dem man leicht nacheifern kann. Dass Disney Merida nun verändere, würde gegenüber Mädchen, die sie bislang als Vorbild nahmen, den Eindruck erwecken, dass diese Figur bislang makelhaft war und verbessert werden musste – doch dieses neue Bild Meridas würde nur schlechte Stereotypen fördern.



Wie Brenda Chapman betont, sollte es sich bei dieser Kontroverse allerdings nicht nur um Merida drehen, denn dies sei nur die Spitze des Eisberges. Und diesem Punkt kann ich am lautesten zustimmen. Um das Merida-Umdesign (über dessen Permanenz Disney angesichts der lauten Kritiken plötzlich sehr widersprüchliche Aussagen trifft) gestaffelt zu betrachten: Die ganze Debatte, dass Merida „zu sexy“ sei, wird ein wenig zu heiß gekocht. Ich verstehe leidenschaftliche Diskussionen in Fanforen, dass Elternverbände eintreten, ist dagegen etwas übertrieben, denn Merida erscheint auf dem Disney-Princess-Kram nun auch nicht gerade als billige Hure. Sie wurde etwas aufgehübscht und das ist insofern verständlich, da Disney Artikel verkaufen will, und hübsch verkauft sich gut. Micky, Donald und Goofy zeigen sich auf Merchandising-Produkten auch eher selten von ihrer hässlichsten Seite. Im Falle Meridas ist es aber besonders ärgerlich, dass diese Aufhübschung durch eine schlankere Hüfte und ein sanfteres Gesicht erreicht wird, da diese Figur sich auch durch ein „raues“ und leicht ungelenkes Äußeres von anderen Disney-Prinzessinnen abhebt. Kurioserweise erscheint dafür Rapunzel in der Princess-Reihe kindlicher und unschuldiger, obwohl die Animatoren sich bei der Produktion zum Ziel setzten, eine sexy Figut zu erschaffen – über solche Sachen kann man sich als Disney-Fan gut und gerne den Kopf zerbrechen.

Ich denke, dass zumindest unter Disney-Fans das Timing von Meridas Umgestaltung half, die Kontroverse voranzutreiben, wurden doch kurz zuvor alle Prinzessinnen umgestaltet und mit mehr Rouge, wilderem Haar und sinnlicheren Posen dargestellt – wobei insbesondere Cinderella auffiel. Einst das unauffällige Mädchen von nebenan, nun die sexy Bitch mit frecher Frisur und keckem „Ich stell gleich sonstwas mit dir an“-Blick. Und diese Version Cinderellas ersetzt nun zudem das Original in den Parks.



Hinsichtlich der öffentlichen Aufregung finde ich viel bedeutsamer, dass Merida nun völlig ihres Charakters beraubt wird und einfach nur schmuck aussehen soll. Ja, auch Belle, Jasmin, Tiana und Rapunzel haben viel Persönlichkeit, die in diesen Abbildungen abhanden kommt. Allerdings gibt es bei Merida in ihrem Fillm nicht einen Moment, in dem sie irgendwie „prinzessinnenhaft“ wirkt und dies ist sogar ein großer Plotpunkt. Schon Jasmin kämpfte gegen arrangierte Ehen, schon Tiana kämpfte selbst für ihr Schicksal und Rapunzel kann vielleicht sogar besser austeilen als Merida – doch der Wildfang vereint all dies und stellt dies ins Zentrum seines Handelns. Merida war wirklich nicht die feministische Revolution, zu der sie von manchen Fans des Films gemacht wird, aber sie ist von allen Märchenmusical-Protagonistinnen die, die am schwierigsten in das Disney-Princess-Franchise zu prügeln ist.

Und daher ist Meridas Darstellung im Rahmen des Disney-Princess-Franchises ein absonderliches Beispiel dafür, wie Disney Consumer Products die Erinnerung an die Filme übertönt und verfälscht. Das Merchandising hat es bereits sehr arg getrieben, und dass nun das Fass zum Überlaufen gebracht wurde, und sich mehr Leute auflehnen, ist aus vielerlei Gründen erfreulich. Einerseits, weil man nun wenigstens hoffen darf, dass das Merchandising vielleicht wieder stärker die Aufgabe hat, die Erinnerung an die mitunter so kunstvollen Disney-Filme frisch zu halten. Und zum anderen, weil eine Zurechtstutzung der Disney-Princess-Marke bedeuten könnte, dass sich Disneys „Jungsproblem“ wieder egalisieren könnte. Und zu guter Letzt: Je mehr wieder die Persönlichkeit der Prinzessinnen beleuchtet wird, desto größer die Hoffnung, dass Mädchen wieder zu ihnen aufsehen, weil etwas hinter ihnen steht – und nicht nur, weil sie hübsche Kleider tragen. Denn das sind wirklich dumme Gründe, eine Figur zu mögen.

Kurzum: Die ganze Merida-Kontroverse kommt zu spät und konzentriert sich zu sehr auf die übertrieben beliebte Pixar-Dame. Dennoch wurde es langsam Zeit, dass Disney zu spüren bekommt, dass die Disney-Princess-Marke nicht nur Geld bringt, sondern auch Kritik.  

Sonntag, 24. Februar 2013

Oscars 2013: Meine Prognosen und Favoriten im Überblick


Bester Film:
  • Argo
  • Beats of the Southern Wild
  • Django Unchained
  • Liebe
  • Life of Pi
  • Lincoln
  • Les Misérables
  • Silver Linings
  • Zero Dark Thirty
Wird gewinnen: Argo
Ich würde wählen: Django Unchained

Beste Regie:
  • David O. Russel (Silver Linings)
  • Steven Spielberg (Lincoln)
  • Michael Haneke (Liebe)
  • Ang Lee -(Life of Pi)
  • Benh Zeitlin (Beasts of the Southern Wild)
Wird gewinnen: Ang Lee
Ich würde wählen: Ang Lee (oder Steven Spielberg)

Bester Hauptdarsteller:
  • Daniel Day-Lewis (Lincoln)
  • Hugh Jackman (Les Misérables)
  • Bradley Cooper (Silver Linings)
  • Denzel Washington (Flight)
  • Joaquin Phoenix (The Master)
Wird gewinnen: Daniel Day-Lewis
Ich würde wählen: Daniel Day-Lewis


  • Jessica Chastain (Zero Dark Thirty)
  • Jennifer Lawrence (Silver Linings)
  • Emmanuelle Riva (Amour)
  • Quvenzhané Wallis (Beasts of the Southern Wild)
  • Naomi Watts (The Impossible)
Wird gewinnen: Emmanuelle Riva
Ich würde wählen: Jessica Chastain

  • Alan Arkin (Argo)
  • Robert De Niro (Silver Linings)
  • Philip Seymour Hoffman (The Master)
  • Tommy Lee Jones (Lincoln)
  • Christoph Waltz (Django Unchained)
Wird gewinnen: Christoph Waltz
Ich würde wählen: Christoph Waltz

Beste Nebendarstellerin:
  • Amy Adams (The Master)
  • Sally Field (Lincoln)
  • Anne Hathaway (Les Misérables)
  • Helen Hunt (The Sessions)
  • Jacki Weaver (Silver Linings)
Wird gewinnen: Anne Hathaway
Ich würde wählen: Anne Hathaway

  • Liebe (Michael Haneke)
  • Django Unchained (Quentin Tarantino)
  • Flight (John Gatins)
  • Moonrise Kingdom (Wes Anderson & Roman Coppola)
  • Zero Dark Thirty (Mark Boal)
Wird gewinnen: Django Unchained
Ich würde wählen: Moonrise Kingdom

  • Argo (Chris Terrio)
  • Beasts of the Southern Wild (Lucy Alibar und Benh Zeitlin)
  • Life of Pi (David Magee)
  • Lincoln (Tony Kushner) 
  • Silver Linings (David O. Russell)
Wird gewinnen: Argo
Ich würde wählen: Lincoln

  • Merida
  • Ralph reicht's
  • Frankenweenie
  • Die Piraten
  • ParaNorman
Wird gewinnen: Ralph reicht's
Ich würde wählen: Ralph reicht's

  • Before My Time aus Chasing Ice (Musik und Text: J. Ralph)
  • Suddenly aus Les Misérables (Musik: Claude-Michel Schönberg; Text: Herbert Kretzmer und Alain Boubil)
  • Pi’s Lullaby aus Life of Pi (Musik Mychael Danna; Text: Bombay Jayashri)
  • Skyfall aus Skyfall (Musik und Text: Adele Atkins und Paul Epworth)
  • Everybody Needs a Best Friend aus Ted (Musik: Walter Murphy; Text: Seth MacFarlane)
Wird gewinnen: Skyfall
Ich würde wählen: Skyfall

  • Anna Karenina (Dario Marianelli)
  • Argo (Alexandre Desplat)
  • Life of Pi (Mychael Danna)
  • Lincoln (John Williams)
  • Skyfall (Thomas Newman)
Wird gewinnen: Argo
Ich würde wählen: Anna Karenina

  • Argo (William Goldenberg)
  • Life of Pi (Tim Squyres)
  • Lincoln (Michael Kahn)
  • Silver Linings (Jay Cassidy und Crispin Struthers)
  • Zero Dark Thirty (William Goldenberg und Dylan Tichenor)
Wird gewinnen: Argo
Ich würde wählen: Argo

  • Argo (John T. Reitz, Gregg Rudloff und José Antonio García)
  • Les Misérables (Andy Nelson, Mark Paterson und Simon Hayes)
  • Life of Pi (Ron Bartlett, D.M. Hemphill und Drew Kunin)
  • Lincoln (Andy Nelson, Gary Rydsrom und Ronald Judkins)
  • Skyfall (Scott Millan, Greg P. Russell und Stuart Wilson)
Wird gewinnen: Les Misérables
Ich würde wählen: Skyfall

  • Argo (Erik Aadahl und Ethan Van der Ryn)
  • Django Unchained (Wylie Stateman)
  • Life of Pi (Eugene Gearty und Philip Stockton)
  • Skyfall (Per Hallberg und Karen Baker Landers)
  • Zero Dark Thirty (Paul N.J. Ottosson)
Wird gewinnen: Skyfall
Ich würde wählen: Django Unchained

  • Anna Karenina
  • Lincoln
  • Les Misérables
  • Der Hobbit - Eine unerwartete Reise
  • Life of Pi
Wird gewinnen: Anna Karenina
Ich würde wählen: Anna Karenina

  • Skyfall
  • Life of Pi
  • Django Unchained
  • Lincoln
  • Anna Karenina
Wird gewinnen: Life of Pi
Ich würde wählen: Anna Karenina, Skyfall, Django Unchained oder Lincoln

  • Anna Karenina
  • Les Misérables 
  • Lincoln 
  • Spieglein Spieglein
  • Snow White and the Huntsman
Wird gewinnen: Anna Karenina
Ich würde wählen: Anna Karenina

  • Der Hobbit - Eine unerwartete Reise
  • Les Misérables
  • Hitchcock
Wird gewinnen: Les Misérables
Ich würde wählen: Les Misérables

  • Marvel's The Avengers 
  • Life of Pi 
  • Snow White & the Huntsman 
  • Prometheus 
  • Der Hobbit - Eine unerwartete Reise
Wird gewinnen: Life of Pi
Ich würde wählen: Marvel's The Avengers

Bester fremdsprachiger Film:

  • Liebe
  • Kon-Tiki
  • No
  • Die Königin und der Leibarzt
  • Rebelle
Wird gewinnen: Liebe
Ich würde wählen: - Enthaltung, da nicht genug gesehen - 

Beste Dokumentation:
  • Searching for Sugar Man
  • The Gatekeepers
  • How To Survive a Plague
  • 5 Broken Cameras
  • The Invisible War
Wird gewinnen: Searching for Sugar Man
Ich würde wählen: - Enthaltung, da nicht genug gesehen -

Beste Kurz-Dokumentation:
  • Kings Point
  • Open Heart
  • Inocente
  • Redemption
  • Mondays at Racine
Wird gewinnen: Inocente
Ich würde wählen: - Enthaltung, da nicht genug gesehen -

Bester Kurzfilm:
  • Death of a Shadow
  • Curfew
  • Asad 
  • Buzkashi Boys
  • Henry
Wird gewinnen: Buzkashi Boys
Ich würde wählen: Death of a Shadow

Bester animierter Kurzfilm:
  • Paperman
  • Adam and Dog
  • Fresh Guacamole
  • Head over Heels
  • Maggie Simpson in "The Longest Daycare"
Wird gewinnen: Paperman
Ich würde wählen: Paperman

Nicht verpassen: In der Nacht von Sonntag auf Montag wird hier ab ca. 0.30 Uhr live zum Oscar gebloggt!

Montag, 11. Februar 2013

Die BAFTAs haben gesprochen, also Argo-Fuck-Yourself!


Die BAFTAs wurden verliehen, und sie gossen weiteres Öl ins Feuer, dass Argo in der Oscar-Nacht abräumen wird. Ein sicherer Tipp ist Ben Afflecks dritte Regiearbeit weiterhin nicht, denn das große Momentum, das Argo genießt, steht einer gewaltigen Statistik gegenüber: Bislang gewannen nur 3 Filme ohne Regie-Nominierung den Hauptpreis, noch nie gewann der Fünftplatzierte unter den Oscar-Nominierungen die begehrte Statuette für den besten Film. Jeder vernünftige Buchmacher würde gegen Argo wetten. Und das macht zahlreiche Oscar-Experten fuchsig ...

Um weiteres Salz in die Wunde zu streuen, hier zunächst die komplette Liste der BAFTA-Gewinner, ehe ich auf diverse Reaktionen auf die Argo-Mania eingehe ...

Bester Film: Argo
Beste Regie: Argo, Ben Affleck
Bester Hauptdarsteller: Lincoln, Daniel Day-Lewis
Beste HauptdarstellerinAmour, Emmanuell Riva
Bester fremdsprachiger Film: Amour, Michael Haneke, Margaret Ménégoz
Beste Dokumentation: Searching For Sugar Man, Malik Bendjelloul, Simon Chinn
Bester Animationsfilm: Merida, Mark Andrews, Brenda Chapman
Bester britischer Film: Skyfall, Sam Mendes
Bester NebendarstellerDjango Unchained, Christoph Waltz
Beste NebendarstellerinLes Miserables, Anne Hathaway
Bestes Original-Drehbuch: Django Unchained, Quentin Tarantino
Beses adaptiertes Drehbuch: Silver Linings Playbook, David O. Russell
Beste Filmmusik: Skyfall, Thomas Newman
Beste Kamera: Life of Pi, Claudio Miranda
Bestes Szenenbild: Les Miserables, Eve Stewart, Anna Lynch-Robinson
Bester Schnitt: Argo, William Goldenberg
Bester Ton: Les Miserables
Beste Spezialeffekte: Life of Pi, Bill Westenhofer, Guillaume Rocheron, Erik-Jan De Boer, Donald R. Elliott
Bestes Makeup & bestes Haarstyling: Les Miserables, Lisa Westcott
Beste Kostüme: Anna Karenina, Jacqueline Durran
Bester Kurzfilm: Swimmer, Lynne Ramsay, Peter Carlton, Diarmid Scrimshaw
Bester animierter Kurzfilm: The Making of Longbird, Will Anderson, Ainslie Henderson
Bestes Debut eines britischen Autors, Regisseurs oder Produzenten: The Imposter, Bart Layton & Dimitri Doganis
Bestes britisches Geschenk ans Kino: Tessa Ross

Einen Durchmarsch gab es bei den BAFTAs nicht zu verzeichnen und den darf man bei den Academy Awards Ende des Monats wohl auch nicht mehr erwarten. Je nach persönlicher Präferenz, weil es in dieser Saison keinen Überflieger a la Slumdog Millionär gab oder 2012 einfach zu viele gute Filme raus kamen, die in unterschiedlichen Segmenten am stärksten überzeugten. Argo etwa setzte sich in keinem "sichtbaren" Handwerk durch, sondern nur in den "unsichtbaren" Künsten Schnitt und Regieführung, und nunmal als beste Gesamtleistung. Und gerade der BAFTA für den besten Schnitt halte ich für ein starkes Argument, dass Argo diese Oscar-Saison für sich entscheiden wird. Und auch darf.

"Bester Schnitt" wird gerne als der heimliche Fünfte im Bunde des entscheidenden Quartetts der großen Kategorien "Film, Regie, Darsteller, Drehbuch" beschrieben, und selten zeigte in den vergangenen Jahren eine Produktion die Bedeutung guter Schnittarbeit so vorzüglich wie Argo. Der gesamte Film, aber insbesondere das Intro und die gesamte letzten 30 bis 45 Minuten, leben mindestens so sehr vom Schnitt wie von Ben Afflecks Regiearbeit. Eine der goldenen Filmemacheregeln lautet "ABC: Always be cross-cutting", und Argo wechselt in einem mitreißenden Takt zwischen den Handlungssträngen. 

Dass William Goldenberg für seine Leistung bei Argo prämiert wurde ist gemeinsam mit dem Argo-Gewinn beim USC Scripter Award für das beste Drehbuch ein entscheidendes Signal: Die Einzelleistungen der Argo-Macher finden Anklang. Bislang gewann der Film, wenn nicht für Ben Afflecks Regieführung, Gesamtpreise. Bestes Drama bei den Globes, bestes Ensemble bei den SAGs, beste Produktion bei den PGAs. Nun ist aber endgültig unstrittig, dass der Argo-Preissegen in den vergangenen Wochen keine Affleck-Trostnummer ist. Was leider nicht alle so sehen.

Mit jedem Argo-Sieg häufen sich unter seit Jahren oder gar Jahrzehnten eingesessenen Oscar-Beobachtern die Frustbeiträge, dass Afflecks Thrillerdrama diesen Preissegen nicht verdient hätte und einzig und allein überall absahnt, weil sich Abstimmungsberechtigte bei Affleck entschuldigen wollen. Von einem besonnen Beitrag bei The Film Experience ("Affleck's over-mourned 'snub' (people keep conveniently forgetting how strong the Best Director lineup is without him!) handed Argo an underdog narrative in a season where the narratives -- those tricky hooks that make a person or movie so irresistible in the Story of the Year's Entertainments -- weren't all that strong even if the movies were.") hin zu Dutzenden (!) angesäuerten Artikeln bei Awards Daily.

Für mich, der im Vergleich zu diesen Bloggern einen Novizen darstellt, ist es vermessen, zu widersprechen. Aber langsam wird mir der Argo-Frust zu viel. Deshalb muss ich aufschreien: Argo gewinnt, weil ihn die Stimmberechtigten so sehr mögen, nicht aus Mitleid!

Nicht, dass ich an Sympathie- und Mitleidswahlen zweifeln würde. Mitglieder der Filmindustrie sind auch nur Menschen, und gerade, wenn es um die Beurteilung von Kunst geht, so stimmt das Herz immer mit ab. Wäre ich ein Regisseur, der bei den Director's Guild Awards und den Oscars abstimmen darf, und der sich dieses Jahr zum Beispiel nicht zwischen Steven Spielberg und Ben Affleck entscheiden kann, so hätte ich selbstverständlich für Affleck bei den DGAs abgestimmt, damit er als mein Mitfavorit wenigstens einen Preis mit nach Hause nehmen kann.

Solches Denken beeinflusste gewiss auch Entscheidungen wie Martin Scorseses Oscar-Gewinn für The Departed, der längst nicht der beste Film des Meisterregisseurs ist, aber gut genug war, um ein ansehnlicher Oscar-Gewinner zu sein. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, dass einige Abstimmungsberechtigte zwischen Eastwood und Scorsese, andere zwischen Iñárritu und Scorsese schwankten. Da letzterer langsam überfällig wurde, hatte er in solchen Zweifelsfällen die Nase vorn und setzte sich letztlich durch.

Also ja, ich glaube nicht, dass Argo nicht wenigstens einen "Mitleidspreis" erhielt. Besagte Auszeichnung der Director's Guild Awards etwa könnte einen solchen Beigeschmack haben. Trotzdem steht Argo meiner Ansicht nach und entgegen zahlloser Theorien eben nicht allein auf den Füßen der "Armer, armer Ben"-Storyline.

Zunächst: Argo und Affleck begonnen ihren Siegeszug dieser Saison mit den Golden Globes und den Critic's Choice Awards, die zwar nach Bekanntgabe der Oscar-Nominierungen verliehen wurden, aber bereits davor feststanden. Zweitens: Bei den 83. Academy Awards gab es nach Bekanntgabe der Nominierungen eine erschütterte Reaktion, dass Christopher Nolan nicht für die Regiearbeit an Inception nominiert wurde, die den "Wo bleibt die Affleck-Nominierung?"-Beschwerden in nichts nachstand. Nolans Rückhalt in der Branche dürfte kaum meilenweit hinter Afflecks zurückliegen. Und dennoch soll nun Afflecks Argo in "Wir müssen die versäumte Regie-Nominierung wieder wett machen"-Preisen ersaufen, während Inception nicht einen einzigen großen Preis erhielt?

Drittens: Argo ist einer dieser Filme, die zwar in wenigen Segmenten überragend sind, bei denen die Summe der Einzelteile jedoch weit größer ist. Argo hat keine tiefschürfende, schwer zu spielende Hauptrolle, die Daniel Day-Lewis als Lincoln das Wasser reichen kann. Argo ist kein visuelles Werk der Güteklasse von Life of Pi oder Skyfall. Selbst die Frage, ob das Drehbuch besser ist, als das von Lincoln, Life of Pi oder Beasts of the Southern Wild, ist nicht mit lautem Eifer zu beantworten. Man kann sich auf eine sehr gute Regiearbeit einigen, was in den vergangenen Wochen auch zahlreiche hinter Preisverleihungen stehende Gruppen getan haben. Die Verantwortlichen hinter der Academy haben Ben Affleck in einem Jahr, in dem seit Jahrzehnten erfahrene Meisterregisseure wie Michael Haneke, Steven Spielberg und Ang Lee Großes vollbracht haben, und Newcomer wie Benh Zeitlin unkonventionelle Stoffe meisterlich auf die Leinwand brachten, nicht in ihre Top 5 gepackt. Dennoch können sie Argo lieben. Es ist nunmal kein Film, der an einer Leistung festgenagelt werden kann. Dass er dennoch nun einige Einzelleistungen einsackt, stärkt ihm bloß den Rücken.

Unterm Strich ist es ein perfekter Oscar-Film: Eine inspirierende, wahre Geschichte, die an das Gute im Menschen glaubt (Zynik gewinnt selten in der Hauptkategorie, zuletzt im No Country for Old Men-Jahr). Es ist ein Loblied auf die Magie des Films (wie The Artist). Humor und Spannung halten sich die Waage. Und der Film versprüht ein "New Hollywood"-Feeling, als dass er weder klein, noch epochal ist. Argo ist bloß nicht so kontrovers wie viele "New Hollywood"-Filme. Argo ist der Film dieses Jahres, auf den man sich einigen kann.

Wenn das nächste Mal euch jemand vorjammert, dass Argo niemals gewonnen hätte, wäre Ben Affleck bei den Oscars als Regisseur nominiert, dann sagt ihm einfach: Argo-Fuck-Yourself. Also, ich werd's tun.

Montag, 4. Februar 2013

Die 40. Annie Awards: "Ralph reicht's" räumt ab


Am Wochenende wurden zum 40. Mal die Annie Awards verliehen, die namenhaftesten Preise der Animationsbranche. Nachdem Disney, vor sehr kontroversen Hintergründen, in den vergangenen Jahren denkbar schwach abschnitt, kehrte das Maus-Haus bei der diesjährigen Verleihung wieder in den Kreis der stattlichen Gewinner zurück: Ralph reicht's, Disneys 52. abendfüllender Trickfilm, sahnte richtig ab und gewann den Preis in fünf Kategorien, darunter auch der für den besten Langfilm. Außerdem wurde Paperman als bester Kurzfilm geehrt, darüber hinaus gingen vereinzelte Auszeichnungen auch an Merida und Tron Uprising.

Und hier findet ihr die vollständige Auflistung der Gewinner:

Bester Animationsfilm: Ralph reicht's 
Bestes animiertes Special: Despicable Me - Minion Mayhem 
Bester Kurzfilm: Paperman 
Beste animierte Vorschulserie: Bubble Guppies 
Beste animierte Kinderserie: Die Drachenreiter von Berk 
Beste Trickserie für ein allgemeines Publikum: Robot Chicken 
Bestes animiertes Videospiel: Journey 
Bester Studentenfilm: Head Over Heels 

Beste animierte Effekte in einem Animationsfilm: Andy Hayes, Carl Hooper, David Lipton – Die Hüter des Lichts
Beste animierte Effekte in einem Realfilm Jerome Platteaux, John Sigurdson, Ryan Hopkins, Raul Essig, Mark Chataway - The Avengers 
Beste Figurenanimation in einer animierten Fernsehproduktion: Dan Driscoll - SpongeBob Schwammkopf: It’s a SpongeBob Christmas! 
Beste Figurenanimation in einer animierten Kinoproduktion: Travis Knight - ParaNorman 
Beste Figurenanimation in einem Realfilm: Erik de Boer, Matt Shumway, Brian Wells, Vinayak Pawar, Michael Holzl - Life of Pi – 'Tiger' 
Bestes Figurendesign in einer animierten Fernsehproduktion: Robert Valley - Tron Uprising 
Bestes Figurendesign in einer animierten Kinoproduktion: Heidi Smith - ParaNorman 
Beste Regie einer animierten Fernsehproduktion: John Eng -Die Drachenreiter von Berk  
Beste Regie einer animierten Kinoproduktion: Rich Moore - Ralph reicht's  
Beste Musik in einer animierten Fernsehproduktion: John Paesano - Die Drachenreiter von Berk  
Beste Musik in einer animierten Kinoproduktion: Henry Jackman - Ralph reicht's 
Bestes Produktionsdesign in einer animierten Fernsehproduktion: Alberto Mielgo - Tron Uprising 
Bestes Produktionsdesign in einer animierten Kinoproduktion: Steve Pilcher - Merida 
Bestes Storyboard einer animierten Fernsehproduktion: Doug Lovelave - Die Drachenreiter von Berk 
Bestes Storyboard einer animierten Kinoproduktion: Johanne Matte - Hüter des Lichts 
Beste(r) Sprecher(in) in einer animierten Fernsehproduktion: Kristen Schaal - Gravity Falls 
Beste(r) Sprecher(in) in einer animierten Kinoproduktion: Alan Tudyk - Ralph reicht's  
Bestes Drehbuch einer animierten Fernsehproduktion: Trey Parker - South Park 
Bestes Drehbuch einer animierten Kinoproduktion: Phil Johnston und Jennifer Lee - Ralph reicht's  
Bester Schnitt einer animierten Fernsehproduktion: Hugo Morales, Adam Arnold, Davrik Waeden, Otto Ferraye - Kung Fu Panda 
Bester Schnitt einer animierten Kinoproduktion: Nicholas A. Smith, Robert Graham Jones und David Suther - Merida

Winsor McCay Award: Oscar Grillo, Tim Burton, Mark Henn
June Foray Award: Howard Green
Ub Iwerks Award: Toon Boom Animation Pipeline
Tex Avery Award: June Foray

Sonntag, 13. Januar 2013

Golden Globes 2013: Meine Prognose in den Kino-Kategorien


In der Nacht von Sonntag auf Montag werden zum 70. Mal die Golden Globes verliehen, und durch den völlig verschobenen Oscar-Terminkalender dürfte es dieses Jahr besonders spannend werden, zu beobachten, wie die (vermeintlichen?) Oscar-Favoriten abschneiden. Vor der Bekanntgabe der Oscar-Nominierungen waren, dank ihrer stattlichen Globe-Nominierungen, Django Unchained und Zero Dark Thirty sicher scheinende Favoriten, jetzt haben sie urplötzlich eine Außenseiterposition inne.

Nachfolgend gehe ich die Kino-Kategorien durch und versuche mal wieder mein Glück, die Gewinner vorherzusagen. Die Filme/Leistungen, die fett und kursiv markiert sind, haben in meinen Augen die größten Chancen, wobei diese Prognose enorm von den Academy Awards beeinflusst wurde. Noch Mittwochabend hätte ich ganz anders entschieden ...

Bester Film (Drama)
Argo
Django Unchained
Life of Pi
Lincoln
Zero Dark Thirty

Womöglich die schweißtreibendste Globe-Kategorie des Jahres. Im Laufe der Verleihung wird man womöglich schon eine sichere Prognose abhalten können, abhängig davon welche Titel vorab die meisten Preise abräumen, jetzt allerdings sehe ich dank der Oscar-Nominierungen klar Lincoln vorne. Jedoch könnte Lincoln, dessen Schlussakt einigen Kritikern missfiel, das Gangs of New York des Jahres werden und trotz vieler Nominierungen untergehen. Zero Dark Thirty schien vor der relativen Oscarschlappe dank großen Hypes der Favorit zu sein, bedenkt man aber, dass die Globes eigentlich ein glorifizierter Kritikerpreis sind, müsste der am höchsten gelobte Film der Truppe, also Argo, gewinnen. Mit Bauchweh tippe ich also auf den potentiellen Oscar-Liebling, der sich mit Tarantinos Film auch den namenhaftesten Cast teilt. Hm, und am Ende gewinnt dann doch Django Unchained ...

Bester Film (Komdöie oder Musical)
Best Exotic Marigold Hotel
Lachsfischen im Jemen
Les Misérables
Moonrise Kingdom
Silver Linings

Eigentlich wäre Les Misérables der Platzhirsch in dieser Kategorie: Ein großes Musical voller Stars und dann noch ein Drama, das sich zwischen den ganzen Komödien und Dramödien versteckt. Aber dann kam der Hype-Backlash (der die Globes nicht immer juckt) und, viel entscheidender, auch noch die große Silver Linings-Show bei den Oscar-Nominierungen. Zwei junge Schauspielstars (ein fescher Bube und ein Mädel, von dem 80% des Internets mir weiß machen wollen, dass ich es superscharf finden sollte), Depressionen, die zu einer Feel-Good-Story führen und dann ist das alles noch von Harvey Weinstein, der schon ganz andere Filme zum Gold führte ...

Bester Hauptdarsteller (Drama)
Richard Gere (Arbitrage)
Denzel Washington (Flight)
Daniel Day Lewis (Lincoln)
Joaquin Phoenix (The Master)
John Hawkes (The Sessions)

Bester Hauptdarsteller (Musical/Komödie)
Jack Black (Bernie)
Ewan McGregor (Lachsfischen im Jemen)
Bill Murray (Hyde Park am Hudson)
Hugh Jackman (Les Miserables)
Bradley Cooper (Silver Linings)

Auch hier wäre eigentlich Jackman am Drücker, aber ich habe das Vertrauen in diesen Tipp verloren. Aber ich lasse mich gern umstimmen.

Beste Hauptdarstellerin (Drama)
Rachel Weisz (The Deep Blue Sea)
Marion Cotillard (Der Geschmack von Rost & Knochen)
Helen Mirren (Hitchcock)
Naomi Watts (The Impossible)
Jessica Chastain (Zero Dark Thirty)

Beste Hauptdarstellerin (Musical oder Komödie)
Judi Dench (Best Exotic Marigold Hotel)
Emily Blunt (Lachsfischen im Jemen)
Maggie Smith (Quartet)
Jennifer Lawrence (Silver Linings)
Meryl Streep (Wie beim ersten Mal)

Bester Nebendarsteller
Alan Arkin (Argo)
Leonardo DiCaprio (Django Unchained)
Christoph Waltz (Django Unchained)
Tommy Lee Jones (Lincoln)
Philip Seymour Hoffman (The Master)

Eine verflucht schwierige Kategorie, denn es könnte jeden treffen und jeder hätte es verdient. Ich tippe auf DiCaprio, weil er den größten Star-Appeal hat, und wenn bei den Globes alle Stricke reißen, verlasse ich mich auf ihre Promiliebe.
Beste Nebendarstellerin
Sally Field (Lincoln)
Amy Adams (The Master)
Anne Hathaway (Les Miserables)
Nicole Kidman (The Paper Boy)
Helen Hunt (The Sessions)

Beste Regie
Ben Affleck (Argo)
Quentin Tarantino (Django Unchained)
Ang Lee (Life of Pi)
Steven Spielberg (Lincoln)
Kathryn Bigelow (Zero Dark Thirty)

Bestes Drehbuch
Chris Terrio (Argo)
Quentin Tarantino (Django Unchained)
Tony Kushner (Lincoln)
David O. Russell (Silver Linings)
Mark Boal (Zero Dark Thirty)

Bester fremdsprachiger Film
Der Geschmack von Rost & Knochen (Frankreich)
Kon-tiki (Norwegen, GB, Dänemark)
Die Königin und der Leibarzt (Dänemark)
Liebe (Österreich)
Ziemlich beste Freunde (Frankreich)

Bester Animationsfilm
Frankenweenie
Hotel Transsilvanien
Die Hüter des Lichts
Merida - Legende der Highlands
Ralph reicht's

Drei Filmen traue ich den Globe-Sieg zu: Ralph reicht's (hohe Qualität, wenig Anlass, ihn kleinzureden, großer Erfolg), Merida (toller Look, Pixar ist beliebt, großer Erfolg) und Frankenweenie (Tim Burton, Kritikerliebling, allerdings ein Kassenflop). Was ich mutmaße: Burton auf die Bühne zu kriegen, würde die Hollywood Foreign Press Association erfreuen, aber während ich den Oscars zutraue, diesen Film zu wählen, ist er für die Globes zu obskur, zu "düster", zu erfolglos. Was den Fokus auf Pixar und Disney lenkt, und da hat Ralph reicht's mehr Kritikerunterstützung.

Bester Song
For You (Act of Valor)
Suddenly (Les Miserables)
Skyfall (Skyfall)
Not Running Anymore (Stand Up Guys)
Safe & Sound (Die Tribute von Panem)

Bester Score
Dario Marianelli (Anna Karenina)
Alexandre Desplat (Argo)
Tom Tykwer, Johnny Klimek, Reinhold Heil (Cloud Atlas)
Mychael Danna (Life of Pi)
John Williams (Lincoln)

lch weiche hier von meinem "Lincoln rockt sich durch"-Pfad ab und tippe auf den ethnischeren und somit mehr "Sexappeal" ausstrahlenden Life of Pi-Score.

Selten hatte ich so ein mieses Gefühl bei meinen Globe-Prognosen, aber das könnte sich am Ende als etwas Gutes herausstellen: Wenn ich hier völlig danebenliege, dürfte es noch eine aufregende Award-Saison werden.