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Dienstag, 20. August 2024

Mediatheken-Tipps (20. August 2024)

Ein Leben für den Film: Lotte Eisner (Doku-Porträt, 2020) Kurz-Doku über das Leben, Wirken und Nachwirken der einflussreichen Filmarchivarin, Filmhistorikerin und Filmkritikerin Lotte Eisner. In nüchternen, dicht-informativen Bildern, Originaltönen, Archivmaterialien und Interview-Schnipseln verdeutlicht das Doku-Porträt, welche Leistung Filmkritik vollbringen kann, und auch, welche Hürden Eisner als Ende des 19. Jahrhunderts geborene, intellektuelle Frau aus jüdischer Familie nehmen musste. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 23. August 2024

Unglaublich, aber wahr (Surreale Komödie, 2022) Quentin Dupieux tobt sich mal wieder aus. Dieses Mal geht es in seiner absurd-surrealen, kreativen Filmstunde um ein Paar (Alain Chabat und Léa Drucker), das im Keller seines neuen Hauses eine Entdeckung macht, das sein Leben massiv verändern könnte. Satirisch, quirlig und auch ab und zu nachdenklich. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 13. September 2024

QT8: Quentin Tarantino - The First Eight (Doku, 2019) Tarantinos Karriere (Pre-Once Upon a Time in Hollywood) im Schnelldurchlauf. Schon mehr ein Schulterklopfen von Tarantino-Wegbegleiter*innen für Tarantino-Fans, aber man wendet den Blick nicht völlig von den unbequemeren Kapitelabschnitten ab. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 24. Oktober 2024

Der Dieb von Paris (Ganoven-Kostümfilm, 1967) Louis Malle holt sich Jean-Paul Belmondo vor die Kamera und lässt ihn als elegant gekleideten Ganoven auftreten, der sich als Einzelgänger gefällt und die feine Gesellschaft sarkastisch neckt. Die Ausstattung und Kostüme sind zum Zungeschnalzen, Belmondo edel-spitzbübisch. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 11. November 2024

Lautlos wie die Nacht (Amüsanter Kriminalthriller, 1963) Henri Verneuils Heist-Movie ist spannend, listig, cool und raffiniert eingefädelt! Alain Delon ist Style und Selbstbewusstsein pur, die Schauplätze voller Charakter. Zurecht ein Klassiker! arte-Mediathek, abrufbar bis zum 18. Februar 2025

Cimafunk: Nuits de Fourvière 2024 (Konzert, 2024) Der Kubaner Cimafunk vermischt Funk, Hip Hop und die musikalischen Wurzeln seines Heimatlands sowie der afro-karibischen Kultur zu einem vitalen Gute-Laune-Mix, der in die Beine geht. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 16. Juli 2025

Warum Mediatheken-Tipps? Die Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender sind ein unablässig sprudelnder Quell an sehenswerten Produktionen. Ob Spielfilm, Dokumentarfilm, Reportage, Konzertfilm, Serie, oder oder oder. Doch nicht nur, dass man da leicht den Überblick verlieren kann: Ich kenne einige Menschen, die den Mediatheken kaum oder gar keine Beachtung schenken. Mit dieser Artikelreihe möchte ich Orientierung bieten, ebenso wie Anreiz, sich vermehrt mit den Mediatheken zu befassen. Dazu gebe ich wöchentlich sechs Anschautipps.

Wieso sechs Tipps? Ich möchte, dass diese Artikelreihe händelbar bleibt. Für mich, damit ich sie neben meinen anderweitigen Verpflichtungen verfassen kann. Und für euch: Ich will euch nicht mit Anschautipps erschlagen. Sechs Tipps halte ich indes für umsetzbar: Selbst, wer alle Tipps ansprechend findet, kann sich täglich einen davon angucken, und hat dennoch bis zur nächsten Ausgabe der Reihe auch einen Tag "mediathekenfrei". 

Die Mediatheken-Tipps erheben selbstredend keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Es gibt viel mehr zu sehen, als ich hier Woche für Woche nennen könnte.

Sonntag, 9. Februar 2020

Meine Lieblingsfilme 2019 (Teil V)

zurück zu Teil IV

Ein letztes Mal durchatmen, und dann haben wir's schon wieder hinter uns! Und dieses Mal habe ich es tatsächlich geschafft, meine Jahrescharts noch vor den Oscars abzuschließen. Das ist ja auch eher selten. Man hat aber auch immer viel zu tun, ihr kennt es ... Was ihr auch kennt: Die Notwendigkeit, euch einmal kurz auf die Folter zu spannen und mit ein paar Ehrennennungen die Top Ten noch ein wenig hinauszuzögern. Und weil die Academy Awards vor der Tür stehen, habe ich mir vier Filme aufgehoben, die mal mehr, mal minder im Oscar-Diskurs mitgemischt haben. Da hätten wir einerseits das Drogensucht-Familiendrama Beautiful Boy, das herzzerreißend gut gespielt ist. Dann wäre da das Historiendrama Maria Stuart, Königin von Schottland, das mir mit seiner Ästhetik, seinem beiläufigen Zurechtrücken gemeinläufiger Irrtümer über die behandelte Epoche und seinen dramatischen Monologen doch ein gutes Stück mehr zugesagt hat als den meisten - der Film ging ja doch eher unter. Ebenso wie Bernadette, Richard Linklaters eloquente Komödie, die ein wenig anmutet wie der Schnelldurchlauf durch eine intellektuelle Sitcom. Und dann hat mich noch das Politdrama Der Spitzenkandidat sehr überzeugt, in dem Jason Reitman mit Hugh Jackman quasi die Wurzel des üblen US-Politjournalismus beleuchtet. 

Aber an diese zehn Filme reichen meine Ehrennennungen partout nicht heran. Das hier sind sie, die zehn Filme 2019, für dich ich mit größter Begeisterung in die Bresche springe, jene, die mein Filmherz am höchsten schlagen lassen!

Platz 10: Spider-Man: Far From Home (Regie: Jon Watts)

Monate, bevor Sony Pictures mit Jumanji: The Next Level eine Popcorn-Actionkomödie herausgebracht hat, die nicht nur temporeich, witzig und überaus gefällig ist, sondern sich unter ihrer äußerst vergnüglichen Oberfläche auch als erstaunlich clever entpuppt, meisterte ein anderer Film diesen Drahtseilakt: Spider-Man: Far From Home führt mit Energie und Drive vor, wie man Inhalt und Form miteinander verschmilzt und sich dabei dennoch das vergnügliche Gewand einer Teenie-Superheldenkomödie überstreift. Die Kollaboration zwischen den Marvel Studios und Sony handelt von einem Jugendlichen, der das Gewicht einer Welt auf seinen Schultern spürt, die sich im Umbruch befindet, der aber mit aller Macht viel lieber einfach nur Ruhe und Zerstreuung haben möchte. Und wie ist Jon Watts' Film gehalten? Wie eine Teenager-Roadtrip-Komödie inklusive greller Archetypen: Amerikanische Junggesellen-Touristen wollen in Europa neue Erfahrungen sammeln, es gibt peinlich-alberne Erwachen mit Fußball-Hooligans und die fehlinformierten, mit der Überwachung ihrer Klasse überforderten Lehrer dürfen auch nicht fehlen.

Spider-Man: Far From Home imitiert, was das filmische Pendant zu Peter Parkers Wünschen wäre, doch wer auch nur einen Hauch des filmischen Scharfblicks hat, muss erkennen, dass sich dahinter mehr verbirgt. Spider-Man: Far From Home zieht nämlich mit genialer Konsequenz seinen Themenkomplex Verdrängung, Verleugnung und Vortäuschung durch. Stilistisch und tonal werden die Konsequenzen der vergangenen paar Marvel-Filme zwecks Teenie-Späße verdrängt (bis die Masche in sich zusammenbricht). Peter selbst muss lernen, seine Verantwortungen nicht zu verleugnen, doch entgegen der Spaßigkeit des Films gibt es dahingehend keine einfachen Antworten. Und dann spiegelt sich der Themenkomplex auch noch in vermeintlich irrelevanten Gagszenen sowie in der Gestaltung der Gegenseite wider: So viele Szenen und Sätze in Spider-Man: Far From Home laufen letztlich auf Verdrängung, Verleugnung und Vortäuschung hinaus und bei aller Stringenz, mit der dieser Film das durchzieht, findet er trotzdem Nuancen. Statt einfach nur auf Fake News zu haken und das Ignorieren einer ernsten Lage anzuklagen, skizziert Spider-Man: Far From Home diverse Zwischentöne. Figuren sagen nicht nur schädliche Lügen und befreiende Wahrheiten, sondern auch schädliche Wahrheiten und notwendige Lügen. Wahre Informationsbröckchen können in diesem Film zuweilen schwereren Schaden anrichten als frei erfundene Schwindeleien, doch auch die sind ein elementarer Bestandteil. Auch die Musik ist eine Wucht, etwa, wenn Komponist Michael Giacchino einer Figur ein Stück auf den Leib schreibt, dass wie ein Riff auf das Avengers-Thema beginnt und dann letztlich in seine Retro-Billig-Synthie-Einzelteile zerfällt (und die sich an einer Stelle zu einem klassischen US-News-Intro aufschwingen).

Hinzu kommen ein den Punkt treffender Tom Holland, Jake Gyllenhaal in genüsslichster Laune und ein eklektischer Cast an Nebenfiguren. Natürlich hat Spider-Man: Far From Home nicht die komplexesten und weltveränderndsten Antworten parat, doch für seine Stringenz und Konsequenz sowie dafür, wie er seine durchdachte Verschränkung von Form und Inhalt trotzdem mit Leichtigkeit präsentiert, hat er vollsten Respekt verdient. Wobei es natürlich schade ist, dass der Film so leichtfüßig ist, dass seine smarten Elemente offenbar an manchen Miesepetern glatt vorbeigerauscht sind. Naja. Deren Verlust.

Platz 9: Porträt einer jungen Frau in Flammen (Regie: Céline Sciamma)

Wo wir gerade beim Thema "Form trifft Inhalt" sind: Mädchenbande-Regisseurin Céline Sciamma erzählt in ihrem bildschönen, berückend-ruhig erzählten Drama Porträt einer jungen Frau in Flammen von einer jungen Malerin, die den Auftrag erhält, heimlich das Porträt einer jungen Adeligen zu malen. Die wehrt sich nämlich gegen jeden Versuch, sie zu porträtieren. Doch ihrer Mutter ist das Porträt von Bedeutung, da es zur Ehevermittlung verwendet werden soll. So beginnt einerseits eine Geschichte über die Dichtomie über aufgezwungene Bildnisse und Selbstbildnisse, aber auch die Differenz zwischen Auftragsarbeiten und passionierter Kunst spielt in diesem zärtlichen, subtilen und sinnlichen Drama eine große Rolle.

Noémie Merlant und Adèle Haenel sind betörend gut als zwei Frauen, zwischen denen schon früh eine Faszination und Anziehung besteht, sich aber nur sehr vorsichtig annähern und einander öffnen. Von Claire Mathon (Mein ein, mein alles) in natürlich beleuchteten Bildern eingefangen, die oftmals selber wie Gemälde aussehen, und nahezu frei von Musik (wodurch die wenigen Einsätze umso berückender sind), ist Porträt einer jungen Frau in Flammen auch eine ästhetische Wucht, und Céline Sciamma eingeflochtene Elemente aus Literatur und Kunsthistorie sind von einer bittersüßen Poesie. Einfach ein wundervoller Film.

Platz 8: Hustlers (Regie: Lorene Scafaria)

Wenn man mich fragt, der mit Abstand beste Gangsterfilm des Jahres: Hustlers ist ein aussagekräftiger Kommentar auf die Folgen der Weltwirtschaftskrise der 2000er-Jahre, ein kerniger und dennoch von den üblichen, forcierten Kabbeleien befreiter Film über Frauenfreundschaften irgendwo zwischen Nutz-Freundschaft und emotionalem Auffangnetz sowie einer der sehr, sehr raren Filme abseits von Magic Mike XXL, der das Gewerbe des Erotiktanzes ernst nimmt, statt es entweder anzugeifern, lächerlich zu machen oder brutal zu dramatisieren. Inszeniert und geschrieben von Auf der Suche nach einem Freund fürs Ende der Welt-Regisseurin Lorene Scafaria, blickt Hustlers aus besonnenen weiblichen Perspektiven auf Stripperinnen in einem angesagten New Yorker Club, in dem es sich vor allem Wall-Street-Macker gut gehen lassen. Als die Betrügereien dieser Bonzen die ganze Weltwirtschaft aus der Bahn geraten lassen, planen die Ladys (aus Eigennutz, aber mit einer Robin-Hood-esken "Wir nehmen jenen, die nicht haben sollten"-Attitüde) einen Rache-Coup, um wieder an Geld zu kommen.

Scafarias minutiös durchdachte Regieführung lenkt unsere Wahrnehmung der Figuren (so wird Jennifer Lopez' Powerfrau von einer Nebenfigur aus den bewundernden Augen von Constance Wus Protagonistin betrachtet etabliert), distanziert uns durch akustische Spielereien von der Geschichte, sobald es nötig ist, lässt uns kritisch beäugend und dennoch fasziniert mitjubeln und gibt den Frauen Würde und Eigenständigkeit, die im Gangsterkino sonst nur das schmückende Beiwerk sind. Und dann macht Hustlers auch noch unverschämt viel Spaß, ist spannend und hat ein Herz für die Bindungen zwischen den zentralen Figuren. Starke Sache.

Platz 7: Rocketman (Regie: Dexter Fletcher)

Das Elton-John-Biopic-Jukebox-Musical Rocketman gehört zu den erlesenen Filmen, die bisher bei wirklich jedem Rewatch in meiner Gunst noch weiter gestiegen sind. Wer weiß also, wo Rocketman in ein paar Jahren in einer großen Retrospektive landen würde. Denn Dexter Fletcher hat hier einen wirklich äußerst dicht verwobenen, bis ins Detail durchdachten und emotionalen Film abgeliefert. Es ist die Geschichte eines Mannes, der nach Akzeptanz sucht und den Wirren des Musikgeschäfts verfällt. Es ist die Geschichte eines Künstlers, der sich selber nicht liebt und vor der Ignoranz seines Umfelds flüchtet, indem er eine immer und immer exzentrischere Kunstfigur aus sich selber macht, die allen Versuchungen verfällt, die Geld und Ruhm einem verschaffen können. Es geht so weit, dass der als parteiischer, nicht völlig glaubhafter Erzähler fungierende Elton John selbst sein kindliches Ich verfälscht und sich einbildet, schon als kleiner Knirps The Bitch gewesen zu sein und dass er in seinem Viertel als einziger Farbklecks heraus gestochen hat.

Taron Egerton verkörpert Elton John mit immenser Spielfreude und einer beeindruckenden Glaubwürdigkeit in abrupten Stimmungswechseln und die Kostümarbeit sowie das Produktionsdesign sind einfach herrlich. Besonders faszinierend ist aber, mit welch scheinbarer Leichtigkeit Hits aus Elton Johns Schaffen in die Nacherzählung seines Lebens gewoben werden: Wüsste ich's nicht besser, ich würde es sofort glauben, dass die Lieder in Rocketman allesamt für den Film geschrieben wurden, so sehr sprechen die Texte und Melodien den Figuren aus dem Herzen und nie zuvor habe ich ein Jukebox-Musical erlebt, in dem nicht mehrmals mit dem Brecheisen Elemente aus kommenden Liedern etabliert (und gegebenenfalls sofort wieder aufgegeben) werden. Die beruflichen wie privaten Höhen und Tiefen Elton Johns werden hier mit Verve und Symbolkraft nachgezeichnet. Die Sequenz rund um den Song Rocketman gehört für mich zu den unbestrittenen Höhepunkten des Jahres und diverse Kleinigkeiten lassen mich bei jedem Anschauen aufs Neue strahlen, weil sie von der Passion zeugen, mit der dieser Film entstanden ist und bis in die kleinste Dialogzeile hinein ausgeklügelt wurde. Jamie Bells unauffällig-unterstützende Leistung in der Rolle von Elton Johns Texter Bernie Taupin wird viel zu selten positiv hervorgehoben, die Songszenen sind kreativ inszeniert und lebhaft inszeniert und die Arrangements der Pophits sind griffig auf die Filmdramaturgie hingebogen.

Dexter Fletcher hat hier eine sehr rührende, ernste und dramatische Geschichte mit viel Dynamik und Showmanship gedreht - oder aber ein sehr glitzerndes, energievolles Musical mit viel Herz und Seele versehen. Eine Schande, dass Rocketman nicht noch viel mehr Aufmerksamkeit an den Kinokassen und bei den diversen Awards erhalten hat. Aber ich bin mir sicher: Er wird noch lange Zeit neue Fans für sich entdecken.

Platz 6: Booksmart (Regie: Olivia Wilde)

Wo wir gerade bei Filmen sind, die deutlich mehr Erfolg verdient gehabt hätten: Olivia Wildes Regiedebüt Booksmart hinterließ trotz hervorragender Kritiken an den US-Kassen kaum Eindruck und ging im Rest der Welt völlig unter. Welch ein Jammer, denn diese Teenie-Partykomödie ist ein riesiges Vergnügen. Die beiden Hauptfiguren, aufgeweckte, aber auch etwas von sich selbst eingenommene Spitzenschülerinnen und Partymuffel, sind überaus amüsant und liebenswert. Die Chemie zwischen den Darstellerinnen Kaitlyn Dever und Beanie Feldstein ist großartig, das Skript voller eloquenter, beiläufig präsentierter Bonmots und die Nebenfiguren sind dezent bis stark überspitzte, schlussendlich aber sehr wohl mehrdimensionale Vertreter heutiger Jugendgruppen. Die Jugendsprache in Booksmart ist authentisch, aber überhaupt nicht aufgesetzt, Billie Lourd ist genial als rauere Cousine im Geiste der High School Musical-Diva Sharpay und obendrauf ist Booksmart ein wundervolles Beispiel dafür, wie inklusivere Geschichten plattgetretene Genres aufmöbeln können.

Platz 5: The Favourite – Intrigen und Irrsinn (Regie: Giorgos Lanthimos)

Girls Club trifft Historienkino trifft Giorgos Lanthimos, Meister der staubtrocken vermittelten Süffisanz: Fertig ist The Favourite, ein Kostümdrama, in dem die Oneliner fliegen wie die Schießübungstauben, und Emma Stone, Rachel Weisz, Olivia Colman und Nicholas Hoult einfach bombig spielen, die Kostüme prunkvoll und die Kamerawinkel seltsam sind. Hummer werden gejagt, Enten phallisch gestreichelt und Kaninchen müssen als tragisches Symbol herhalten. Ein ebenso gut aussehender wie kluger und witziger Film, der Lanthimos gleichermaßen aus seiner stilistischen Komfortzone rausholt und sein Wesen als Regisseur zur Schau stellt.

Platz 4: Dave Made a Maze (Regie: Bill Watterson)

Der Community-Film ist uns allen bisher verwehrt geblieben, doch Bill Watterson hat mit Dave Made a Maze immerhin schon einen Film abgeliefert, der sich anfühlt wie eine abendfüllende Episode der genialen, höchst einfallsreichen Comedyserie: In Dave Made a Maze baut ein Kreativkopf namens Dave ein gigantisches Pappkarton-Labyrinth. Doch von innen ist es größer als von außen und er hat sich verlaufen ... Mit extrem charmanten, kunstvollen Produktionsdesign im Bastellook (Michel Gondry würde hier ins Schwärmen geraten) und mit herrlich-albernen Nebenfiguren ausgestattet, ist diese Fantasy-Komödie einerseits einfach ein genial-verschrobener, spaßiger Film der ganz anderen Art. Doch obendrein entführt uns Dave Made a Maze auf metaphorische Weise in den Verstand eines Kreativen, der sich in Ideen verrennt, die er nie zu Ende bringt, und dem es an Selbstvertrauen mangelt.

Platz 3: Once Upon a Time in Hollywood (Regie: Quentin Tarantino)

Wenn man mich fragt: Quentin Tarantinos womöglich vorletzte Regiearbeit ist zugleich auch eine seiner besten. Once Upon a Time in Hollywood verkauft sich an der Oberfläche als lockerer, stimmungsvoller Hangout-Movie. Ein abgehalfterter Fernsehstar und sein unterbeschäftigter Stuntman laden uns ein, mit ihnen Zeit zu verbringen. Wir hören ihnen bei ihren gewitzten Gesprächen zu, wir schauen ihnen bei ihrer Arbeit über die Schulter und verfolgen ihre Nachbarin Sharon Tate, wenn sie auf Partys oder ins Kino geht. All das in einem mit nostalgischer Liebe zum Detail rekreierten Los Angeles des Jahres 1969 und bereichert mit urkomischen, sketchhaften (aber narrativ sehr wohl versiert in das Gesamtwerk verwobenen) Momenten wie einem Ausraster im Wohnwagen oder einer tagträumerischen Erinnerung.

Doch Once Upon a Time in Hollywood ist mehr als nur ein Abhängfilm. Es ist eine liebevolle Verneigung vor dem Wendepunkt-Jahr, das Tarantino zum Filmliebhaber gemacht hat, die sich trotzdem mehrmals kritisch mit Verklärung auseinandersetzt. Und es ist die Mär, wie "Das Schöne von früher" und Progression in Amerika Hand in Hand hätten gehen können. Begnadet gespielt von Leonardo DiCaprio, Margot Robbie und Brad Pitt und mit einem frivol-launigen Finale sowie einem schmissigen Soundtrack versehen, ist Once Upon a Time in Hollywood Stimmung und Dialoggenuss in wundervoll-hoher Dosis.

Platz 2: Vivarium (Regie: Lorcan Finnegan)

Ab und zu taucht ein Film auf, den man sich aus Neugier, mit wenig Vorwissen und soliden Erwartungen anschaut und der einen dann damit vollkommen umhaut, dass er sich so anfühlt, als wäre er speziell für einen selber geschaffen worden. Vivarium ist für mich einer dieser Filme. Lorcan Finnegans surreal durchsetzter Mystery-Thriller handelt vom jungen Pärchen Tom und Gemma (spitze: Jesse Eisenberg und Imogen Poots), das sich ein Reihenhaus anschaut. Plötzlich ist der Makler verschwunden, und das ist noch das harmloseste und am wenigsten rätselhafte, das ihnen daraufhin passiert ... Ich habe Vivarium auf dem Fantasy Filmfest 2019 gesehen und ich will für den Fall, dass er doch noch eine weitere Auswertung in Deutschland erhält, noch nicht zu viel verraten. Aber es ist so, als hätte Vivarium tief in meinen Filmgeschmack geblickt und gesagt: "Ah, okay, du willst und brauchst also diesen Film." Ich liebe das reduzierte, bewusst-künstliche Design des Films, ich feiere es, wie Lorcan Finnegan seine thematischen und inhaltlichen Elemente vorbereitet (so viel sei gesagt: Poots beginnt den Film mit dem gesellschaftlich angeseheneren Beruf, doch dann ...) und mehrere Szenen und Bilder haben sich tief, tief, tief in mein Gedächtnis gebrannt.

Mit seiner verqueren Art, Metaphorik auszudrücken und dabei eine stringent-rätselhafte Story zu entwerfen, erinnert mich Vivarium sehr an einen anderen kunstvollen Jesse-Eisenberg-Thriller, nämlich an die andersweltliche angehauchte Neid-Geschichte The Double. Doch zugleich trieft Vivarium vor dem staubtrockenen Sarkasmus und die Verachtung für Smalltalk sowie gesellschaftliche Beziehungsanforderungen, womit sich die meisten von Giorgos Lanthimos' Filmen auszeichnen. Es ist quasi so, als hätte Giorgos Lanthimos The Double gesehen, sich dazu entschieden, dessen Stil und Erzählweise zu adaptieren, jedoch zugleich seiner eigenen Handschrift treu bleiben zu wollen und dann einen Film darüber gedreht, wie verstörend-banal das Leben als Vorstadtfamilie sein kann.

Platz 1: Avengers || Endgame (Regie: Joe & Anthony Russo)

Ich muss es noch einmal betonen: 2019 war für mich einfach ein bombenstarkes Filmjahr. Das zeigte sich mir daran, wie sehr es mir in den Fingern gejuckt hat, meine Jahrescharts sogar auf über 50 Filme zu strecken. Und Vivarium hätte sich in vielen meiner vergangenen Jahresbestenlisten mühelos die Spitzenposition geholt. Aber ich muss einfach den Marvel Studios erstmals in der Geschichte des Marvel Cinematic Universe die Spitzenposition in meinem Jahresranking bescheren: Avengers || Endgame ist eine monumentale filmschöpferische Leistung, die mich in der Pressevorführung völlig aus den Socken gehauen hat - und das ist allein schon deshalb eine herausragende Leistung, da der vierte Avengers-Film nüchtern betrachtet auf dem Papier so einige Dinge tut, die sich mit meinen erzählerischen Vorlieben beißen. Doch in der Umsetzung haben mich die Entscheidungen der Autoren Christopher Markus & Stephen McFeely und der Regisseure Joe & Anthony Russo überzeugt. Avengers || Endgame ackert und ackert, um sich seine narrativen Beschlüsse zu verdienen, und das muss ich einfach entlohnen - zumal es jedenfalls in meinen Augen bei aller kreativer und handwerklicher Anstrengung mit vermeintlicher Selbstverständlichkeit, Unvermeidlichkeit und Leichtigkeit präsentiert wird. Das bestätigte sich bei meinen diversen wiederholten Sichtungen des Films, bei denen Avengers || Endgame die beim ersten Anschauen erzielte Wirkung problemlos wiederholen konnte: Ich spüre nicht, wie dauernd die erzählerischen und inszenatorischen Rädchen rattern und ineinander greifen, stattdessen fühlt sich der Film so an, als müsste er exakt so sein, wie er ist.

Es beginnt schon beim gestaffelten Anfang der Erzählung mit einem Cold Open, einem dramatischen Wiedersehen und letztlich einem sanften und ernüchternd verlöschendem Hoffnungsschimmer, ehe der Hauptstrang aufgenommen und die Zukunftperspektive unserer Helden schrittweise wieder aufgebaut wird. Und es endet mit dem mit Charaktermomenten bespickten, mit einer perfekt sitzenden inneren Dramaturgie versehenen Actionfinale (dem ich somit das etwas matschige Farbdesign sofort verzeihe), auf das konsequente, figurenbasierte und rührende Epiloge folgen. Sollen die Stänkerer doch stänkern, welcher monumentale Teil einer hauptsächlich mit seiner Komik und seinem Spektakel werbenden Filmreihe würde so ein intimes, romantisches und bodenständiges Schlussbild wählen wie Avengers || Endgame? Das gigantische Ensemble ist in Topform, sei es etwa Robert Downey Junior als emotionales Rückgrat, Chris Evans als optimistisches Gewissen, Scarlett Johansson in ihrer besten Popcornkino-Darbietung, Chris Hemsworth als "Ich bin deprimiert und will es nicht wahrhaben"-Thor oder Karen Gillan als zynische, aber neue Seiten an sich entdeckende Nebula. Avengers || Endgame verschaffte mir Dutzende an Kinomomente, die ich nie vergessen werde, von gerührt (das Wiedersehen zwischen Scott und Cassie ist bei mir dank Inszenierung, Struktur und Schauspiel ein Kehlenzuschnürer) hin zu "über die Kreativität und das Kunsthandwerk staunen" (beispielsweise darüber, wie zum zweiten Akt hingeleitet und er eröffnet wird) bis zu nerdig (Startwochenende, voller Saal, Hammer - genug gesagt).

Avengers || Endgame ist, kurz gesagt, eine spektakuläre Feier all dessen, was ich an Kino liebe. Es ist ein gezielt-widersprüchlicher Film (ein rund 350 Millionen Dollar teures Trauerverarbeitungsdrama, das kontinuierlich zum bombastischen Trauerüberwältigungseskapismus wird), der Millionen und Abermillionen von Popcornkino-Fans dazu einlädt, ihren Helden dabei zuzugucken, wie sie erst einmal ganz lange nichts machen. Es ist ein Film, der Alan Silvestri zu seiner besten, größten, flexibelsten Leistung mindestens seit der Jahrhundertwende antreibt. Es ist einerseits figurenzentrisches Kino, als dass eine tragende Säule des Films die Figureninteraktionen und beiläufig skizzierten Figurenentwicklungen darstellt. Andererseits ist es aber auch unverlogen-megalomanisches Spektakel. Der Film ist urkomisch, und dennoch mit einem eher gesitteten Grundtonfall versehen. Avengers || Endgame ist einer dieser Rundumschläge wie Pirates of the Caribbean - Am Ende der Welt, Gone Girl oder Anna und die Apokalypse, als dass dieser Film in sich völlig stimmig einfach mal eben ein halbes Dutzend meiner Filmgeschmackfacetten abdeckt, ohne auch nur ein winzig kleines Bisschen fahrig zu wirken oder zu zerfasern. Ich kann den ganzen Tag so weiter machen ...

Tja, das sind sie also. Meine Lieblingsfilme 2019. Wird 2020 ein ähnlich gutes Jahr? Bisher sieht es absolut danach aus, als dass die ersten Wochen 2020 einen meiner Ansicht nach absurd hohen Qualitätsdurchschnitt mit sich gebracht haben. Hoffen wir, dass das so weiter geht. Und dann sehen wir uns Anfang 2021 bei der nächsten Hitliste wieder!

Samstag, 8. Februar 2020

Meine Prognose der Oscars 2020: Wer gewinnt bei den 92.Academy Awards


Es ist eine kurze Oscar-Saison, eine zu kurze. Morgen Nacht geht sie zu Ende, und da müssen natürlich noch meine Prognosen der Gewinner raus. Nun dann: Pizza bestellen, abwarten und Daumen drücken! Wir lesen uns dann auf Twitter, wenn's wieder heißt: Live kommentieren, bis die Finger pulsieren.

Bester Film
1917
Le Mans 66
The Irishman
Jojo Rabbit
Joker
Little Women
Marriage Story
Once Upon a Time in Hollywood
Parasite

Beste Regie
Todd Phillips, Joker
Bong Joon-Ho, Parasite
Sam Mendes, 1917
Martin Scorsese, The Irishman
Quentin Tarantino, Once Upon a Time in Hollywood

Beste Hauptdarstellerin
Cynthia Erivo, Harriet
Scarlett Johansson, Marriage Story
Saoirse Ronan, Little Women
Charlize Theron, Bombshell
Renée Zellweger, Judy

Bester Hauptdarsteller
Antonio Banderas, Leid und Herrlichkeit
Leonardo DiCaprio, Once Upon a Time in Hollywood
Adam Driver, Marriage Story
Jonathan Pryce, Die zwei Päpste
Joaquin Phoenix, Joker

Bester Nebendarsteller
Tom Hanks, A Beautiful Day in the Neighborhood
Anthony Hopkins, Die zwei Päpste
Al Pacino, The Irishman
Joe Pesci, The Irishman
Brad Pitt, Once Upon a Time in Hollywood

Beste Nebendarstellerin
Kathy Bates, Richard Jewell
Laura Dern, Marriage Story
Scarlett Johansson, Jojo Rabbit
Florence Pugh, Little Women
Margot Robbie, Bombshell

Bestes Original-Drehbuch
1917
Knives Out
Marriage Story
Once Upon a Time in Hollywood
Parasite

Bestes adaptiertes Drehbuch
The Irishman
Joker
Jojo Rabbit
Little Women
Die zwei Päpste

Bester Schnitt
Le Mans 66
Jojo Rabbit
Joker
The Irishman
Parasite

Beste Kamera
1917
The Irishman
Joker
Der Leuchtturm
Once Upon a Time in Hollywood

Beste Kostüme
The Irishman
Jojo Rabbit
Joker
Little Women
Once Upon a Time in Hollywood

Bestes Produktionsdesign
1917
The Irishman
JoJo Rabbit
Once Upon a Time in Hollywood
Parasite

Bester Animationsfilm
Drachenzähmen leicht gemacht 3: Die geheime Welt
Ich habe meinen Körper verloren
Klaus
Mister Link – Ein fellig verrücktes Abenteuer
A Toy Story – Alles hört auf kein Kommando

Beste Filmmusik
1917
Marriage Story
Joker
Little Women
Star Wars: Der Aufstieg Skywalkers

Bester Song
"I can't let you throw yourself away" aus A Toy Story – Alles hört auf kein Kommando
"I'm Standing With You" aus Breakthrough
"Into The Unknown" aus Die Eiskönigin II
"Stand Up" aus Harriet
"(I’m Gonna) Love Me Again"aus Rocketman

Beste Effekte
1917
Avengers || Endgame
The Irishman
Der König der Löwen
Star Wars: Der Aufstieg Skywalkers

Bestes Make-up und Hairstyling
Bombshell
Joker
Judy
Maleficent: Mächte der Finsternis
1917

Bester Ton
Ad Astra
Joker
1917
Le Mans 66
Once Upon a Time in Hollywood

Bester Tonschnitt
1917
Joker
Le Mans 66
Once Upon a Time in Hollywood
Star Wars: Der Aufstieg Skywalkers

Bester internationaler Film
Polen, Corpus Christi
Nordmazedonien, Honeyland
Spanien, Leid und Herrlichkeit
Südkorea, Parasite
Frankreich, Die Wütenden – Les Misérables

Beste Dokumentation
American Factory
The Cave
The Edge of Democracy
For Sama
Honeyland

Bester Animationskurzfilm
Dcera (Daughter)
Hair Love
Kitbull
Memorable
Sister

Beste Kurz-Dokumentation
In the Absence
Life Overtakes Me
Learning to Skateboard in a Warzone (If You’re a Girl)
St. Louis Superman
Walk, Run, ChaCha

Bester Kurzfilm
Brotherhood
Nefta Football Club
Saria
A Sister
The Neighbors’ Window

Samstag, 11. Januar 2020

Oscars 2020: Meine Prognose der Nominierungen für die 92. Academy Awards


Am Montag ist es mal wieder so weit: Die Academy of Motion Picture Arts & Sciences gibt die Oscar-Nominierungen bekannt. Und auch wenn diese Saison in Sachen Schmierenkampagnen und galligen Diskussionen bislang angenehm wenig zu bieten hatte, ist es eine etwas ernüchternde Saison. Denn sehr früh hat sich das Rennen auf eine Handvoll Filme verdichtet, deren momentane Popularität bunt durchgemischt wird – während einige bessere und zudem trotzdem Oscar-taugliche Filme außen vor geblieben sind. Hier dennoch mein Prognosenversuch:

Bester Film
1917
Le Mans 66
The Irishman
Jojo Rabbit
Joker
Knives Out
Little Women
Marriage Story
Once Upon a Time in Hollywood
Parasite

Oder etwa Die zwei Päpste, Leid und Herrlichkeit, The Farewell, Bombshell, Rocketman, Wir, Avengers || Endgame, Hustlers, Uncut Gems

Beste Regie
Greta Gerwig, Little Women
Bong Joon-Ho, Parasite
Sam Mendes, 1917
Martin Scorsese, The Irishman
Quentin Tarantino, Once Upon a Time in Hollywood

Schwere Kategorie, denn auch Noah Baumbach für Marriage Story, Todd Phillips für Joker, Taika Waititi für Jojo Rabbit, Pedro Almodóvar für Leid und Herrlichkeit, die Safdie Brothers für Uncut Gems und Rian Johnson für Knives Out rechne ich Chancen ein, und ginge es nach Verdienst, müssten unter anderem auch Celine Sciamma für Porträt einer jungen Frau in Flammen und Lorene Scafaria für Hustlers im Rennen sein, aber der Verdienst allein hievt einen nicht ins Oscar-Rennen, man braucht leider auch Momentum …

Beste Hauptdarstellerin
Cynthia Erivo, Harriet
Scarlett Johansson, Marriage Story
Lupita Nyong'o, Wir
Charlize Theron, Bombshell
Renée Zellweger, Judy

Die kniffligste Kategorie des Jahres, denn da sind ja unter anderem noch Saoirse Ronan für Little Women, Alfre Woodard für Clemency, Awkwafina für The Farewell, Elizabeth Moss für Her Smell und Ana de Armas für Knives Out


Bester Hauptdarsteller
Antonio Banderas, Leid und Herrlichkeit
Leonardo DiCaprio, Once Upon a Time in Hollywood
Adam Driver, Marriage Story
Taron Egerton, Rocketman
Joaquin Phoenix, Joker

Sollten Adam Sandler für Uncut Gems, Robert De Niro für The Irishman oder Eddie Murphy für Dolemite is My Name nominiert werden, würde es mich ebenfalls null überraschen. Jonathan Pryce für Die zwei Päpste und Christian Bale für Le Mans 66 wären Nominierungen aus der Sparte "War denkbar, aber zu diesem Zeitpunkt habe ich sie wieder abgeschrieben". Wenn George MacKay für 1917 im Rennen ist, zementiert sich der Film als Frontrunner, und Roman Griffin Davis würde für Jojo Rabbit nominiert werden, hätte der Film mehr Fahrt aufgenommen.

Bester Nebendarsteller
Willem Dafoe, Der Leuchtturm
Song Kang Ho, Parasite
Al Pacino, The Irishman
Joe Pesci, The Irishman
Brad Pitt, Once Upon a Time in Hollywood

Mit Dafoe lehne ich mich angesichts der Oscar-Untauglichkeit des Films ziemlich aus dem Fenster, aber ich wüsste nicht, wer aus dem folgenden Pool mehr Aufmerksamkeit gewonnen haben könnte: Tom Hanks für A Beautiful Day in the Neighborhood, Alan Alda für Marriage Story, Anthony Hopkins für Die zwei Päpste und John Lithgow für Bombshell.

Beste Nebendarstellerin
Laura Dern, Marriage Story
Jennifer Lopez, Hustlers
Scarlett Johansson, Jojo Rabbit
Florence Pugh, Little Women
Margot Robbie, Bombshell

Diese Fünf halte ich für ziemlich gesetzt.

Bestes Original-Drehbuch
Booksmart
Knives Out
Marriage Story
Once Upon a Time in Hollywood
Parasite

Oder vielleicht: 1917, Leid und Herrlichkeit, The Farewell, Uncut Gems

Bestes adaptiertes Drehbuch
Hustlers
The Irishman
Joker
Jojo Rabbit
Little Women

Oder vielleicht: A Beautiful Day in the Neighborhood, Die zwei Päpste

Bester Schnitt
1917
Le Mans 66
The Irishman
Once Upon a Time in Hollywood
Parasite

Ich habe in dieser Kategorie auch Marriage Story auf dem Schirm, wusste aber nicht so ganz, welchen Film ich für ihn kicken soll. Am wackeligsten sehe ich eigentlich Le Mans 66, aber ein temporeicher Film schafft's eigentlich schon stets rein …

Beste Kamera
1917
The Irishman
Joker
Der Leuchtturm
Once Upon a Time in Hollywood

Rechnet aber auch mit Parasite, Porträt einer jungen Frau in Flammen, Ad Astra und Le Mans 66

Beste Kostüme
Dolemite Is My Name
Downton Abbey
Little Women
Once Upon a Time in Hollywood
Rocketman

Ebenfalls im Rennen: Aladdin, Jojo Rabbit, Hustlers, Joker, The Irishman und Maleficent: Mächte der Finsternis.

Bestes Produktionsdesign
1917
The Irishman
Little Women
Once Upon a Time in Hollywood
Parasite

Mögliche Prognosenspielverderber sind Jojo Rabbit Knives Out, Joker und Le Mans 66.


Bester Animationsfilm
Die Eiskönigin II
Ich habe meinen Körper verloren
Klaus
Mister Link – Ein fellig verrücktes Abenteuer
A Toy Story – Alles hört auf kein Kommando

Und um das schwächste Glied in dieser Prognose kreist Drachenzähmen leicht gemacht 3: Die geheime Welt

Beste Filmmusik
1917
Avengers || Endgame
Joker
Little Women
Star Wars: Der Aufstieg Skywalkers

Aber man darf auch Marriage Story, Jojo Rabbit, Motherless Brooklyn und Le Mans 66 nicht vergessen …

Bester Song
Speechless aus Aladdin
Into The Unknown aus Die Eiskönigin II
Stand Up aus Harriet
(I’m Gonna) Love Me Again aus Rocketman
Glasgow aus Wild Rose

Aber ich könnte mir auch I’m Standing With You aus Breakthrough, Stand Up aus Harriet und Spirit aus Der König der Löwen vorstellen.

Beste Effekte
1917
Avengers || Endgame
The Irishman
Der König der Löwen
Star Wars: Der Aufstieg Skywalkers

Eigentlich hat Captain Marvel ein deutlich besseres digitales Verjüngerungsspiel drauf als The Irishman, aber … Seufz.

Bestes Make-up und Hairstyling
Bombshell
Joker
Once Upon a Time in Hollywood
Maleficent: Mächte der Finsternis
Rocketman

Aber auch die Frisuren in Dolemite Is My Name und die Verletzungen in 1917 könnten sich rein kämpfen.

Bester Ton
1917
Avengers || Endgame
Le Mans 66
Once Upon a Time in Hollywood
Rocketman

Aber vielleicht schaffen es auch Ad Astra, Joker undStar Wars: Der Aufstieg Skywalkers rein.

Bester Tonschnitt
1917
Avengers || Endgame
Le Mans 66
Once Upon a Time in Hollywood
Star Wars: Der Aufstieg Skywalkers

Doch Rocketman,Ad Astra und Joker sind mögliche Prognosenspielverderber.

Bester internationaler Film
Senegal, Atlantics
Polen, Corpus Christi
Spanien, Leid und Herrlichkeit
Südkorea, Parasite
Frankreich, Die Wütenden – Les Misérables

Beste Dokumentation
American Factory
Apollo 11
The Cave
Honeyland
One Child Nation

Bester Animationskurzfilm
Dcera (Daughter)
Hair Love
Kitbull
The Physics of Sorrow
Sister

Beste Kurz-Dokumentation
After Maria
Fire in Paradise
Learning to Skateboard in a Warzone (If You’re a Girl)
Stay Close
St. Louis Superman

Bester Kurzfilm
Brotherhood
Little Hands
Refugee
A Sister
The Neighbors’ Window

Dienstag, 7. März 2017

Meine Lieblingsfilme 2016 (Teil IV)

Weit sind wir gekommen, nun stehen bloß noch ein paar Ehrennennungen im Weg, bis wir endlich mein Lieblingsdutzend an neuen Produktionen aus dem deutschen Filmjahr 2016 abhaken können.

Da wäre etwa John Carneys Musikfilm Sing Street, der saustarke, eingängige Musik und liebenswerte Figuren beinhaltet, der mich allerdings als Story längst nicht so nachhaltig beeindruckt hat wie einige der innigeren Fans dieser Produktion. Nichts passiert ist eine schmucke, nicht hundertprozentig runde, deutschsprachige Mixtur aus pechschwarzer Komödie und Drama über einen hinterlistigen Verantwortungsverweigerer, Midnight Special ist ein ultracooler Film, der wie die Art Film wirkt, die Disney Anfang der 80er verzweifelt auf den Markt warf, um jugendaffin zu wirken - inklusive der Pacingprobleme vieler dieser Filme. Wild ist ein mutiges deutsches Psychogramm, das allerdings längst nicht so profund ist, wie es sich selber verkauft, Birnenkuchen mit Lavendel eine charmante Romantikdramödie, die noch minimal mehr Flair hätte haben dürfen, und Mahana ist ein in Lokal- und Zeitkolorit schwimmendes Maori-Familiendrama mit Charme und Aussagekraft, das hauchdünn an dieser Rangliste gescheitert ist.

Nun aber genug des Hinhaltens. Hier sind die Top 12 der Filme, die mein Cineastenherz 2016 am höchsten haben schlagen lassen!

Platz 12: Zoomania (Regie: Byron Howard & Rich Moore)

Ein Meisterwerk in Sachen Weltenbildung und zudem eine animationstechnische Augenweide, ist Zoomania zwischenzeitlich für meinen Geschmack zu sehr normales Buddy-Cop-Movie, und zu wenig die regelmäßig hier aufblitzende originelle Disney-Version dessen, als dass ich mich hinter diejenigen stellen würde, die die lautesten Lobeshymnen auf diese Animationskomödie singen. Aber das ist Meckern auf gehobenem Niveau. Denn als fein gegliederte, doch mächtig komische Analogie (nicht etwa als simpel übersetzte Fabel) über die Doppelmoral unserer Gesellschaft ist Zoomania einer der mutigeren Einträge in den Disney-Animationskanon und die schiere Menge an denkwürdigen Figuren, die Howard, Moore & Co. hier erschaffen haben, ist beeindruckend. Solide Action, scharfsinnige Alltagsbeobachtungen und lockere Dialoge runden den Gesamteindruck ab.

Platz 11: Junges Licht (Regie: Adolf Winkelmann)

In einem Jahr, in dem das deutsche Kino überdurchschnittlich viele bemerkenswerte Filme zu bieten hatte, beeindruckte mich keine Produktion aus der Bundesrepublik mehr als Adolf Winkelmanns doppelbödiges Loblied auf den Ruhrpott: Die Geschichte eines Sommers, in dem sich die Welt eines jungen Teenagers schleichend veränderte, ist in romantisierten Bildern eingefangen, wird mit dem Erzähltempo eines kontemporären Märchens abgewickelt und erklingt in verklärend-bezirzenden Tönen. Früher, da war alles besser. Und, hach, als Männer noch Männer waren und im Schweiße ihres verrußten Angesichts hart gearbeitet haben! Oder eben doch nicht, denn das Dialogbuch ist eine schonungslose, rekursive Bestandsaufnahme dessen, was die Gesellschaft in den frühen 60er-Jahren noch für angemessen hielt. Dieser Zusammenprall von Tonfällen, Farbästhetiken und Weltbildern ist als Film schwer zu fassen und noch schwerer rational zu erklären: Entweder nimmt man sich dieser Bauchgefühl-Auseinandersetzung mit dem Ruhrgebiet (und Deutschland) von damals auf assoziativer Ebene an, wird verzaubert und geistig angeregt. Oder man reibt sich wund, Junges Licht mittels des filmischen Einmaleins zu erörtern. Ich habe mich für Ersteres entschieden.

Platz 10: The Neon Demon (Regie: Nicolas Winding Refn)

Betörend schön fotografiert. Geisterhaft erzählt. Seelenlose Figuren. Perfekte, eiskalt-mechanisch bezirzende Musik. Und grotesk-makabrer Inhalt. Nach dem von mir nur mit einem desinteressierten Schulternzucken entgegengenommenen Only God Forgives haut Drive-Regisseur Nicolas Winding Refn mit The Neon Demon wieder einen starken Film heraus, der vor Atmosphäre trieft und eine eindringliche Verschmelzung aus Form und Thematik darstellt. Diese Schauermär vom Glitzer- und Glamour-Leben mag zwar einen Plot haben, der selbst den Body Mass Index der meisten Topmodels mächtig aussehen lässt, doch dies hat hier stylische Methodik. Cliff Martinez' Musik, diese kontrastreichen Farben und Elle Fannings schwer zu lesendes, dennoch reichhaltiges Spiel ergeben einen verqueren, kantigen Film, den jeder gesehen haben sollte, der sich an gewagtes Atmokino herantraut.

Platz 9: Arrival (Regie: Denis Villeneuve)

Anspruchsvolle, aber gefühlvolle Sci-Fi mit humanistischer Message, bei der nicht etwa technologische Errungenschaften oder naturwissenschaftliche Fragen im Mittelpunkt stehen, sondern die Macht geduldsamer Kommunikation sowie die Relevanz von Linguistik? Arrival trifft schon allein konzeptionell mehr als nur einen Nerv bei mir, und dank des stimmigen Scores, der hypnotischen Kameraarbeit sowie der menschelnden, facettenreichen Performances von Amy Adams (in einer ihrer besten Rollen!) und Jeremy Renner weiß auch die Umsetzung zu begeistern. Anders als bei vielen Arrival-Fans hat sich bei mir beim Rewatch leider ein minimaler Abnutzungseffekt eingeschlichen, trotzdem ist das minutiös konstruierte Storytelling dieses Dramas aus einer nahen Zukunft beeindruckend!

Platz 8: The Hateful Eight (Regie: Quentin Tarantino)

Zumindest in meinen Augen Quentin Tarantinos bislang nihilistischster Film, und dabei dank der berühmt-berüchtigten, markanten Feder des Oscar-Preisträgers dessen ungeachtet eine wahre Wonne: Dieser Kammerspiel-Rache-Schneewestern-Krimithriller in glorreichen 70mm mag zwar narrativ mehrmals auf der Stelle treten, doch Ennio Morricones brodelnder Score, der auftrumpfende Cast (insbesondere Samuel L. Jackson und Kurt Russell geben einprägsame Performances ab) und die harsch aufgeladenen Wortwechsel lassen darüber quasi hinwegsehen. The Hateful Eight ist Tarantino in Reinform: Das schlichte Grundkonzept seiner Anfänge, die ausladende Inszenierung seiner Spätzeit und die Dialoge sind eine Mixtur aus all seinen Schaffensperioden. Das ist zuweilen mehr Fingerübung als Geschichtenerzählen, aber einem Meister wie Tarantino schaut der geneigte Anhänger auch liebend gern bei Fingerübungen zu.

Platz 7: Demolition (Regie: Jean-Marc Vallée)

Ich bin mit dieser Position in einer verschwindend geringen Minderheit, aber das schüchtert mich nicht ein: Für mich ist der an den Kinokassen brutal aufgelaufene, von Kritikern weitestgehend missachtete Demolition der bis dato beste Film des Regisseurs Jean-Marc Vallée! Die skurril angehauchte Tragikomödie fühlt sich für mich so an, als hätte Gore Verbinski noch einmal einen Film im Stil von Weather Man drehen wollen und sich dieses Mal nach einem emotional angeknacksten Familienvater einen ratlos-apathischen Witwer als Hauptfigur ausgesucht. Jake Gyllenhaal gefällt mir außerordentlich als junger Mann, der den Unfalltod seiner Frau relativ gelassen hinnimmt - jedenfalls so lange, bis ihm sein Umfeld auf den Wecker geht, er müsse doch diese Tragödie irgendwie verarbeiten. Kaum lässt er sich davon anstecken, seziert er sein Leben, indem er die Aufforderung zur Analyse seiner Lage wortwörtlich und einfach alles auseinandernimmt. Was wiederum auch niemandem in seinem Sozialgefüge passt. Naomi Watts als Vielleicht-Geliebte-Vielleicht-platonische-Freundin spielt dem bittersüß-nachdenklich-staubtrocken-komischen Tonfall des Films angemessen verworren und der Flow von Demolition ist fantastisch. Vielleicht wird das irgendwann jemand anderes außer der werten Kollegin Antje und mir erkennen!

Platz 6: Hail, Caesar! (Regie: Ethan & Joel Coen)

Und wieder ein Fall, in dem ich zur Minderheit gehöre: Das True Grit-Remake hat mir zwar handwerklich gefallen, allerdings war es mir nicht besonders genug. Wenn ich einen Film von den Coen-Brüdern sehe, will ich etwas geboten bekommen, das so auch nur dieses Regiegespann verantworten kann. Mit Hail, Caesar! habe zumindest ich die Wiedergutmachung bekommen, die sonst kaum wer eingefordert hat: Mit Verve, Liebe zum Detail, einem augenzwinkernden, religiös aufgeladenen roten Faden, einer melancholisch-dramatischen Zwischennote und sehr spritzigem, albernen Humor verneigen sich die Coens vor dem Hollywoodkino zu Zeiten, als sich das klassische Studiosystem in seinen letzten Atemzügen befand. Mit genüsslich-bescheuerten Sketcheinlagen, einem launigen Starensemble und einem Feuerwerk an filmhistorischen Referenzen ist Hail, Caesar! zwar nicht der anspruchsvollste, wohl aber wenigstens für mich einer der erfrischendsten Coen-Filme.

Platz 5: Swiss Army Man (Regie: The Daniels)

Ein surrealer Traum. Eine erzählerische Glanzleistung, die derben Infantilhumor mit der detaillierten Skizzierung verletzlicher Gefühle vereint. Eine unter dem Mantel vulgärer Albernheit ins Kino geschmuggelte Philosophiestunde mit brillanten Dialogzeilen. Ein doppelbödiges Erzählexperiment, das dem Publikum vorführt, wie gerne es sich ködern lässt. Das alles. Und noch viel mehr. Mit einzigartiger Musikuntermalung und faszinierenderweise in mehreren Dutzend Grüntönen fotografiert ist Swiss Army Man ein außergewöhnlicher, komplexer, dennoch sehr zugänglicher, wundervoll bescheuerter, dämlich-smarter Ausnahmefilm. Einfach großartig!

Platz 4: Anomalisa (Regie: Charlie Kaufman)

Ein waschechter Charlie Kaufman: Eine surreale Geschichte, die einem streng durchdachten, absurden Konzept folgt, dient als Sprungbrett für eine höchstmenschliche, rührende Bestandsaufnahme für komplizierte Gefühlssituationen. Dieser Stop-Motion-Trickfilm, der auf einen winzig kleinen Sprechercast zurückgreift, erzählt von einem Kundendienst-Motivationsredner, der in einem Hotel mit dem schlechten Gewissen ob vergangener Entscheidungen und der klaffenden Leere in seinem Herzen konfrontiert wird - sowie mit dem zärtlichen Hoffnungsschimmer, den eine Zufallsbekanntschaft in ihm aufflackern lässt. Pointierte Situationskomik, gekonnt überspitzte Alltagsbeobachtungen und kunstvoll-poetisch-berührende, schräg-eigensinnige Ideen: Anomalisa ist ein einprägsamer, nachhallender Film, der Intellekt und Herz im Einklang räsonieren lässt.

Platz 3: Vaiana (Regie: Ron Clements & John Musker)

Selten hat bei einem Disney-Film die deutsche Synchronfassung solch eine Qualitätsschere provoziert: In der hiesigen Sprachversion hätte es Vaiana nicht in meine Topliste geschafft. Ich habe wirklich nichts gegen Andreas Bourani (in Baymax gefällt er mir sehr) und Lina Larissa-Strahl (wie sonst findet der dritte Bibi & Tina-Teil den Weg auf Rang 20 dieser Hitliste?), aber auf den Hauptfiguren dieses Disney-Musicalabenteuers sind sie einfach fehlbesetzt. Hinzu stößt eine für Disney-Maßstäbe wacklige Dialog- und Songtextübersetzung, wodurch der so wichtige Flair sowie allerhand charakterliche Nuancen dieses ersten Computeranimationsfilms der Aladdin-Regisseure völlig verweht werden. Im englischsprachigen Original indes segelt Ron Clements' und John Muskers' spaßige, gefühlvolle und so wunderbar schwungvolle Abenteuergeschichte locker am medial mehr beachteten Zoomania vorbei. Zumindest für mich. Eine der facettenreichsten Disney-Heldinnen, ein saukomischer Dummkopf von einem Gockel, ein cooler, leicht zwielichtiger Halbgott als Sidekick und berauschende Hintergründe vermengen sich hier zu einer Produktion, die teils Disney-typisch ist, teils die Formel auf den Kopf stellt, aber nur selten den Fokus darauf lenkt. Außerdem: Kokosnusspiraten!

Platz 2: The First Avenger: Civil War (Regie: Anthony & Joe Russo)

So mag ich meine Superheldenkonfliktfilme: Beide Seiten sind sympathisch und plausibel gezeichnet, mit tief sitzenden Überzeugungen, so dass es zwar leicht fällt, Partei zu ergreifen, dessen ungeachtet eben keine klassische Schwarz-Weiß-Dynamik entsteht (sonst könnte man ja auch einen normalen Superheldenfilm drehen), sondern eben doch ein komplexes Für und Wider entsteht. Das großartige Händchen Marvels bei der Besetzung seiner Helden macht sich hier doppelt und dreifach bezahlt, der Civil War-Cast ist einfach umwerfend, und das Zusammen- sowie Gegeneinanderspiel der Heroen macht nicht nur großen Spaß, sondern ist ebenso ideologisch wie auch persönlich motiviert, wodurch es mitreißend gerät. Die Action ist abwechslungsreich eingefangen und top choreografiert, die Dialogwechsel raffiniert und die Musik reicht zwar nicht an Henry Jackmans brillanten Winter Soldier-Sound heran, trotzdem ist sie besser als der Marvel-Alltag. #TeamCap!

Platz 1: Ghostbusters (Regie: Paul Feig)

Sollen die Hater nun doch an ihrer Galle verschlucken: Ghostbusters löste bei mir 2016 die positivste Reaktion des ganzen Filmjahres aus - und bestätigte dies bei zahlreichen Rewatches. Diese fantastische Geister-Gutelaunekomödie hat spaßige Figuren, Schnellfeuerdialoge und eine dreist-fröhlich grinsende Zwischenebene, die wonnig gelaunt über den Status des Films als Remake, schon in der Vorproduktion lauthals angefeindete Produktion mit Frauenensemble sowie Konventionen des Genres referiert. Theodore Shapiros Score fetzt, Kate McKinnon hat Holtzmann flott in meinen Olymp der Filmfiguren tanzen lassen und Chris Hemsworths Kevin ist der kurzweiligste Volltrottel der jüngeren Kinovergangenheit. Der Look der Geister ist top, das Sounddesign ist knackig und vom minimal stockenden Übergang zwischen Akt zwei und drei abgesehen hat Ghostbusters mächtig Schwung. Mir doch egal, was andere denken, ich schau mir diesen Film liebend gern noch viele, viele, viele Male an. Am liebsten im überragenden 3D!

Samstag, 21. Mai 2016

The Hateful Eight


Die Uhr tickt: Auf einer Konferenz im Rahmen des American Film Market kündigte Quentin Tarantino während der Vorbereitungen zu The Hateful Eight an, damit zu liebäugeln, „eine 10-Filme-Filmografie“ zu hinterlassen. Somit befinden wir uns bereits auf dem Zielgeraden von Tarantinos cineastischen Schaffen – denn wie eine Titeleinblendung im Vorspann dieses winterlichen Western-Rachekammerspiels (vor diesem Hintergrund sehr bedrohlich) festhält, ist The Hateful Eight bereits sein achter Film. Ein Silbertreifen am Horizont bleibt allerdings: Tarantino ist bekanntlich ein Künstler, der häufig seine Meinung ändert – ein Blick auf die lange Liste von ihm angekündigter Projekte, die er letztlich hat fallen lassen, genügt als Beweis. Daher dürfen Cineasten hoffen, dass sich der frühere Videothekar noch, ganz typisch für ihn, umentscheidet. Sollte sich Tarantino aber in die Vorstellung verbeißen, nach zehn Kino-Regiearbeiten in den Ruhestand zu gehen, so beginnt der Kultfilmer seinen Endspurt wenigstens mit einem wahrlich denkwürdigen, ungewöhnlichen Kleinod:

Wenige Jahre nach dem US-Bürgerkrieg begibt sich der Kopfgeldjäger Major Marquis Warren (Samuel L. Jackson) auf den Weg nach Red Rock. Da sein Pferd dem unwirschen Winterwetter nicht gewachsen war, will sich Warren bei einer Kutschfahrt einklinken, die sein legendärer Mitbewerber John Ruth (Kurt Russell) nur für sich und seine Gefangene Daisy Domergue (Jennifer Jason Leigh) gebucht hat. Ruth misstraut Warren zunächst, bis er sich an ein gemeinsames Abendessen erinnert, und genehmigt ihm daher, mitzufahren. Unterwegs treffen die Kopfgeldjäger und ihre rotzfreche, unfreiwillige Begleitung auf den früheren Tunichtgut Chris Mannix (Walton Goggins), der behauptet, der neue Sherriff von Red Rock zu sein. Ruth und Warren zweifeln dies an, sehen sich aber gezwungen, ihn ebenfalls mitfahren zu lassen. Da ein Schneesturm aufzieht, endet die Kutschfahrt in „Minnies Miederwarenladen“, wo sie vom wortkargen Mexikaner Bob (Demián Bichir), dem stets amüsierten Briten Oswaldo Mobray (Tim Roth), dem genervt dreinblickenden Cowboy Joe Gage (Michael Madsen) und dem ehemaligen Konföderiertengeneral Sanford Smithers (Bruce Dern) begrüßt werden. Eine explosive Gesellschaft …

Abgesehen von Quentin Tarantino wäre wohl kaum ein heutiger Regisseur auf die Idee gekommen, diese Story nicht in einem normalen, schmalen Bildformat und der Einfachheit halber mit digitalen Kameras zu drehen, sondern im extrabreiten Ultra-Panavision-Format und auf analogem 65mm-Filmmaterial. Letzteres stellt für ein dialoglastiges Kammerspiel eine große Herausforderung dar, der heutzutage viele Filmemacher aus dem Weg gehen: Digitalkameras können sehr viel mehr Material am Stück aufnehmen als analoge Kameras, welche mit schweren Filmrollen bestückt werden müssen und so zwangsweise an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen. Nicht zuletzt bei Filmen, in denen redselige Figuren ellenlange Monologe von sich geben, bevorzugen daher mehr und mehr Kinoschaffende den digitalen Weg.

Nicht aber der Nostalgiker Quentin Tarantino: Dank spezieller, 600 Meter Film fassender Rollen konnte er bei The Hateful Eight auch im Ultrabreitbildformat lange Szenen von bis zu sieben Minuten Laufzeit am Stück drehen. Dies erforderte zwar noch immer höhere Konzentration und akkuratere Planung als unter Verwendung der unkomplizierteren Digitaltechnik, aber für den Pulp Fiction-Regisseur ist dies ein bezahlbarer Preis, um der klassischen Filmkunst auch heute noch Tribut zu zollen. Zumal Tarantinos Begeisterung für 70mm-Bilder keine alleinige Prinzipienfrage ist: 70mm-Film erlaubt eine vergleichbare Bildschärfe wie Spitzen-Digitalkameras, gibt Tiefe, Farbe und Licht jedoch ganz anders wieder, so dass sich eine mittlerweile ungewohnte (fast schon expressionistische) Ästhetik ergibt.

Gerade, weil zu den wenigen Ultra-Panavision-Veröffentlichungen solche Epen wie Meuterei auf der Bounty und die verwegene Freiluft-Slapstickkomödie Eine total, total verrückte Welt zählen, besteht die Vorstellung, das Breitwandformat von 1:2,76 sei nur bei spektakulären Landschaftsbildern sinnig. Aber The Hateful Eight straft dies als Irrtum ab: Selbstredend weisen die unter freiem Himmel spielenden Szenen die Bildgewalt auf, die aufgrund der verwendeten Technologie zu erwarten steht. Allerdings zeigt das äußerst breite Bildformat in den zahlreichen Momenten, die in geschlossenen Räumen spielen, sogar noch mehr Wirkung.

Ob in einer Kutsche im rustikalen Edel-Look oder später in Minnies Miederwarenladen: Sehr häufig nimmt die von Robert Richardson (JFK – Tatort Dallas) geführte Kamera nicht nur die gerade verbal ausschweifende Figur in den Fokus, sondern gleichzeitig noch einen oder gar mehrere Zuhörer. Dass sogleich mehrere der Darsteller in all der ihnen gebührenden Größe nebeneinander zu sehen sind, erlaubt es dem Zuschauer, nicht nur auf den Sprecher zu achten, sondern auch auf die Reaktionen, die er provoziert. Angesichts dessen, dass The Hateful Eight ein harsche Dramatik und bitterbösen Humor mischendes Kammerspiel über die Diskrepanz zwischen Selbstdarstellung und wahren Absichten und über korrumpierte Moralvorstellungen ist, erweist sich diese inszenatorische Ausrichtung als überaus ergiebig: Wie im Theater lassen sich gleichzeitig mehrere Performances bis ins kleinste Detail begutachten, was die Spannung ungemein erhöht – stets stellt sich die Frage: Wann entlädt sich die in dieser Gruppe anstauende Wut? Gerade aufgrund der Doppelbödigkeit der von Tarantino erdachten Persönlichkeiten lädt dies zudem zu wiederholten Sichtungen dieses Films ein, um beim ständigen Aktion-Reaktion-Wechselspiel nach Nuancen Ausschau zu halten, die einem zuvor entgangen sind.

Des Weiteren gestattet es das ultrabreite Bild dem liebevoll sowie abwechslungsreich ausgestatteten Laden, in dem die titelgebenden acht hasserfüllten Personen unterkommen, zu einem weiteren Charakter dieser Produktion aufzusteigen: Im Hintergrund gibt es stets etwas zu entdecken, und oft wissen diese Randdetails die Stimmung der jeweiligen Szene unterstreicht. Da in einigen Einstellungen (anders als in vielen Filmen mit „normalem“ Format) mehrere Wände auf einmal zu sehen sind, erzeugen Tarantino und Richardson ganz beiläufig das Gefühl des Eingeschlossenseins. Durch die noch obendrauf kommende, lange Laufzeit von The Hateful Eight ist es fast so, als wäre man wirklich stundenlang mit den ikonisch eingekleideten, imposante Manierismen an den Tag legenden, hundsgemeinen Figuren in einem Raum gefangen.


Anders als in Tarantinos Debüt Reservoir Dogs ist dies aber keine kultig-lässige Erfahrung. Denn obwohl es das gesamte Ensemble sichtbar genießt, die einprägsamen Textzeilen aufzusagen und überlebensgroße, getragene Rollen zu spielen, ist The Hateful Eight kein derart vor Coolness und Style triefender Film wie von Tarantino gewohnt. Nicht missverstehen: Tarantino ohne seinen lockeren Style gibt es nicht, im Gegensatz zu den bisherigen Werken des Oscar-Preisträgers suhlt sich dessen Regiearbeit Nummer Acht allerdings in einer durch und durch garstigen Weltsicht. Reservoir Dogs hat augenzwinkernde Dialoge, Pulp Fiction eine comichafte Gelassenheit, Jackie Brown eine relativ klare Moral, Kill Bill illusorische Qualitäten, Death Proof einen triumphalen Powerfrauen-Aspekt und Inglourious Basterds sowie Django Unchained pfuschen als Rachefantasien sogar in der Geschichtsschreibung herum, um für freudig grinsende Gesichter im Kinosaal zu sorgen. The Hateful Eight verfügt ebenfalls über herrlich freche Sprüche und Vulgaritätsspitzen, wie sie Tarantino liebt – unterm Strich bleibt trotzdem die Erkenntnis: Was leben wir nur in einer garstigen Welt!

Frauenhasser, Gewaltfetischisten, Lügner, Rassisten und Gesetzesfreunde, die ihre Heldenhaftigkeit durch abartiges Benehmen untergraben: Bei den Figuren, die Tarantino auf sein Publikum loslässt, war niemals zuvor der Filmtitel so programmatisch wie bei The Hateful Eight. Ähnlich tickende Rollen gab es bei Tarantino schon immer. Doch verzeihliche Qualitäten sind im Figurenrepertorie dieses winterlich-harschen Westerns rar gesät – anders als bislang gewohnt. Daher kommt es nicht all zu überraschend, dass nach den wirtschaftlichen Höhenflügen der beiden vorhergegangenen Tarantino-Filme in den USA wieder kleinere Einnahmen zu Buche stehen. Sympathieträger sucht man vergebens – wer Identifikationsfiguren benötigt, um mitfiebern zu können, wird von The Hateful Eight sicherlich enttäuscht sein. Die magnetischen Darbietungen der Schauspielrunde (vor allem Samuel L. Jackson, Jennifer Jason Leigh, Kurt Russell, Tim Roth und Walton Goggins stechen hervor) und die berechtigt-selbstverliebten Dialoge sollten alle anderen Filmliebhaber unterdessen in ihren Bann ziehen.

Hinzu kommen eine Musikzusammenstellung, die wie die Faust aufs Auge passt (inklusive neu für den Film geschriebener, psychotischer Melodien aus der Feder von Komponistenlegende Ennio Morricone) und wunderbar fiese Gewaltspitzen, die diesem Mammut von einem Westerndrama zusätzlich Energie verleihen. Es mag nicht Tarantinos größer Hit sein – dennoch werden gewiss noch Generationen von Filmliebhabern diese gemeine, auf derber Weise unterhaltsame, raffinierte Studie charakterlicher Untiefen rauf und runter analysieren. Und das völlig zu recht, denn The Hateful Eight ist ebenso tiefgreifend und kess, wie sein Bildformat altmodisch und breit ist.

Fazit: The Hateful Eight ist ein waschechter Quentin Tarantino – nur besonders lang und besonders harsch: Kunstvolle, stilisierte Dialoge, überlebensgroße Figuren und verquere, durchdachte Beobachtungen über die menschliche Moral. Das ist ebenso kultig wie böse!