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Donnerstag, 5. Dezember 2013

Disney-Filmvorschläge für all jene, die frisch von der Eisfläche schlittern

Wohin man blickt, wird Die Eiskönigin als der Beginn einer neuen Disney-Renaissance bezeichnet, als ein Animations-Meisterwerk, das neue Wege wagt und die klassische Disney-Formel auf einem hohen Niveau weiterentwickelt. Dass ich in diese Lobeshymnen nicht mit einstimme, habe ich bereits deutlich gemacht. Und auch, wenn ich mittlerweile gelernt habe, zu sehen, weshalb der Film anderen gefallen kann (direkt nach meiner Erstsichtung war ich dagegen ja noch felsenfest davon überzeugt, dass sich Die Eiskönigin eine desaströse Konsensmeinung einfangen wird), so bleibe ich bei meiner kritischen Meinung und werde gewiss noch einige Chancen ergreifen, darauf rum zu reiten. Nicht um den Troll zu spielen, sondern um meiner Frustration mit dem Streifen Raum zu machen.

Anlässlich von Walt Disneys Geburtstag, der sich heute zum 112. Mal jährt, möchte ich an dieser Stelle aber nicht auf Disneys 53. Meisterwerk rumhacken, sondern all jenen, die in ihrer Eiskönigin-Euphorie Lust auf mehr Disney bekommen haben, weitere Produktionen ans Herz legen. Denn vieles, was dieses eisige Musical angeblich erstmals getan hat, ist bereits Teil des großen Disney-Erbes. Damit will ich nicht sagen, dass nichts von dem, was Die Eiskönigin leistet, gut ist. Keineswegs. Ich mag den Eiskönigin-Liebhabern einfach nur Lust bereiten, Disney-Filmen mit ähnlichen Elementen erstmals (oder erneut) eine Chance zu geben ...

Endlich steht keine Romanze im Mittelpunkt
Es stimmt, dass Die Eiskönigin aus den Prinzessinnen-Filmen heraus sticht, weil keine klassische Liebesbeziehung im Mittelpunkt steht, sondern Geschwisterliebe. All zu neu ist der Verzicht auf solche Romantik im Disney-Kanon aber nicht. Wer also gerne wieder einige Disney-Animationsfilme sichten will, jedoch keine Laune auf zu viel Beziehungskitsch hat, darf gerne das Meisterwerk aus dem vergangenen Jahr schauen: In Ralph reicht's dreht sich alles um einen Videospielschurken, der gerne als Held geachtet werden würde. Und auch in Winnie Puuh sowie dem Vorläufer Die vielen Abenteuer von Winnie Puuh gibt es keine Liebeleien. Lilo & Stitch kam in Sachen Geschwisterliebe der Eiskönigin um elf Jahre zuvor und erzählte nicht nur von einem chaotischen Alien, das auf der Erde lernt, brav zu werden, sondern auch von der komplizierten Beziehung der Schwestern Lilo und Nani, die nach dem tragischen Tod ihrer Eltern miteinander auskommen müssen. Und schon der zweite abendfüllende Disney-Trickfilm war völlig frei von Beziehungsgerede: Pinocchio stellte sich somit gegen ein populäres Disney-Klischee, bevor es überhaupt zum Klischee werden konnte!

Die Eiskönigin unterläuft Disney-Liebeskonventionen
Auch ohne zu spoilern kann man sagen, dass Die Eiskönigin sich mit Annas Romantik-Subplot nicht an die typischen Disney-Konventionen hält. Ich betrachtete es als hyperaktive Selbstparodie, andere sehen in dem, was die Regisseure Jennifer Lee und Chris Buck getan haben, eine dramatischere Spielweise von dem, was Disney üblicherweise in seinen Filmen treibt. Wahrscheinlich ist es beides in einem - was wiederum genial oder völlig daneben ist. So oder so: Es gab bereits eine brillante Disney-Selbstparodie in Sachen Romantik und eine sehr dramatische Antwort auf typische Disney-Liebesbeziehungen. Der Mischfilm Verwünscht zieht genüsslich die Albernheit überstürzter Romanzen durch den Kakao, während Pocahontas auf dramatische Weise zeigt, dass nicht alles so selbstverständlich ist, wie Disney es sonst so gerne darstellt ...

Olaf ist so toll: Sein Element sollte der Winter sein, aber er mag stattdessen den Sommer!
Okay, einen sich nach dem Sommer sehnenden Schneemann hat Disney sonst nicht zu bieten. Aber eine recht ähnliche Figur ist Teil von Drei Caballeros: In diesem verrückten, lebhaften Episodenfilm bekommen wir einen Pinguin vom Südpol zu Gesicht, der die Kälte nicht mag und viel lieber auf einer Südseeinsel leben würde. Und den Gedanken "dies ist einfach nicht mein Leben" gibt es auch in mehreren Kurzfilmen zu sehen, wenngleich mit ganz anderen Konzepten: Ferdinand, der Stier etwa zeigt einen Stier, der nicht kämpfen mag, und Lambert, der kleine Löwe handelt von einem Löwen, der sich wie ein Schaf verhält. Tim Burtons und Henry Selicks Stop-Motion-Film Nightmare before Christmas schlussendlich berichtet vom König von Halloween, der viel lieber Weihnachten feiern würde.

Endlich mal eine Prinzessin, die Dinge in die Hand nimmt!
Ahhh, das Klischee der passiven Disney-Prinzessin, die sich retten lässt. Während dies zweifelsfrei auf die Damen der Walt-Disney-Jahre zutrifft, haben Anna und Elsa tatsächlich herzlich wenig mit ihren dienstältesten Kolleginnen gemein. Während Elsa sich ihr eigenes Eiskönigreich errichtet, gibt Anna in ihrer Heimat mit großer Selbstverständlichkeit Befehle, schnappt sich ein Pferd und reitet ins Ungewisse, um den Tag zu retten! Wahrlich eine aktive, junge Frau, die in der Stunde der Not ihr Bestes gibt. Genauso wie die wehrhafte Rapunzel, die sich mit Kneipenschlägern und Palastwachen konfrontiert sieht. Oder die selbstbewusste Tiana aus Küss den Frosch, die sich niemals unterkriegen lässt. Und dann hätten wir da ja noch Mulan, die zwar nicht wirklich eine Prinzessin ist, vom Merchandising aber gelegentlich als eine bezeichnet wird und in ihrem Film den in ihrer Kultur vorherrschenden Sexismus in Frage stellt, um als Mann verkleidet am Kampf gegen eine Heerschar von wilden Hunnen teilzunehmen!

Disney sollte mehr Geschichten von Hans Christian Andersen verfilmen!
Einen Hinweis auf Arielle, die Meerjungfrau erspar ich mir, weshalb ich lieber auf Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern verweise. Diese traurige Kurzgeschichte diente als Vorlage für einen der rührendsten und schönsten Kurzfilme der Disney-Geschichte. Ursprünglich als Teil einer Fantasia-Fortsetzung geplant, landete diese Regiearbeit von Roger Allers letztlich als limitierter US-Start und Bonusmaterial auf der Platinum-DVD und -Blu-ray von Arielle eher am Rande der öffentlichen Wahrnehmung, ist aber ein wahres Kleinod, das man sich ansehen sollte!

In diesem Sinne: Viel Spaß beim (Wieder-)Entdecken, Anschauen und Schwärmen!

Mittwoch, 20. November 2013

Die Eiskönigin – Völlig unverfroren


Es ist einer der stärksten Momente in der Disney-Filmgeschichte:
Von ihrem eigenen Volk als Monster beschimpft und aus dem Lande verjagt stapft die junge Königin Elsa durch eine unwirtliche Schneelandschaft. Von der Ablehnung, die sie erfuhr, zutiefst verletzt und obendrein völlig verzweifelt, weil sie selbst bei ihrer Schwester keinen Rückhalt findet, rennt sie in die sie schützende Einsamkeit. Doch die mit schwer kontrollierbaren Kräften ausgestattete Elsa denkt nicht allein an sich. Weil sie mit ihrem Kältezauber mehrmals ungewollt ihre kleine Schwester Anna  in Lebensgefahr brachte, bestraft sie sich mit diesem Einsiedlertum. Aus Liebe zu ihrer Schwester muss sie die Distanz suchen, nur so kann Elsa sie beschützen, selbst wenn Anna dies nicht begreifen mag. Wut über den verständnislosen Hass ihres Volkes, edle Selbstaufgabe und die sie immer stärker vereinnahmende Sehnsucht nach einem ihr angepassten Rückzugsort kulminieren in Elsas Seele zu einem divenhaften Befreiungsschlag. Die einst so introvertierte junge Frau sprengt alle gedanklichen Fesseln und beschließt, während sie eine berührende Powerballade schmettert, ihr eigenes Eiskönigreich zu erschaffen. Ein Refugium, nur für sie allein, wo sie ganz sie selbst sein darf. Wo sie niemanden verletzen kann – und wo auch niemand fähig ist, sie zu verletzen. Elsas Beschluss ist von melancholischer Schönheit, sie gibt sich dem Schicksal geschlagen, doch sie erkämpft sich durch ihre Resignation eine nie dagewesene Freude. Diese bittersüße Wendung wird nicht bloß von einem kraftvollen, trotzdem zärtlichen Song begleitet, sondern auch von ästhetischen, prunkvollen Bildern. Solche Szenen sind es, dank denen die Walt Disney Animation Studios nicht bloß das Familienpublikum unterhalten, sondern mit ihren Werken ebenso als Produktionsstätte zeitloser Filmkunst gelten.

Kaum endete diese atemberaubende Songeinlage mit einem kecken Rausschmeißer, hoffte ich während meiner Erstsichtung von Die Eiskönigin (den völlig dämlichen Untertitel Völlig unverfroren werde ich nur an dieser Stelle und lediglich der Vollständigkeit halber nennen) einen Deal mit Disneys 53. offiziellen Meisterwerk eingehen zu können. Flehend bettelte ich in Gedanken: "Bitte, bitte, bitte halte diesen starken Moment in Ehren und verhau es jetzt nicht. Ist das machbar, Film? Dann verzeihe ich dir auch all deine bislang getätigten Sünden ..." Was danach geschah? Die Eiskönigin wiederholte all das, was mich vor der zentralen Gesangsnummer Lass jetzt los (im Original: Let It Go) verärgerte und fuhr sein erstaunliches Potential mit gewaltigem Anlauf gegen die Wand. Das Ergebnis: Einer der mich am meisten frustrierenden Einträge in den Walt-Disney-Meisterwerke-Kanon; ein Disney-Film, der mich erzürnte, statt mich zu verzaubern.

Ein Einstieg voller Ausrutscher
Die Regisseure Chris Buck (Tarzan, Könige der Wellen) und Jennifer Lee (Drehbuchautorin bei Ralph reicht's) eröffnen zu Beginn von Die Eiskönigin ihren Zuschauern, frei nach Motiven von Hans Christian Andersens Schneekönigin, in bruchstückhaften Vignetten einen Ausblick auf eine reizvolle Welt, in der sich eine sentimentale Geschichte anbahnt: Im nordischen Königreich Arendelle herrscht ein urban-rustikaler Alltag. Das mit einem großen Hafen ausgestattete Land führt einen regen internationalen Handel und stämmige Männer verdienen sich ihr Brot mit dem Kleinschlagen, Transportieren und Verkaufen von Eisblöcken. Im schmuckvollen Schloss führen indes zwei verspielte Prinzessinnen ein unbesorgtes Leben. Die jüngere, Anna, ist ein tollpatschiger, quirliger Springinsfeld, die ältere, Elsa, ist etwas zurückhaltender, dennoch weiß auch sie, wie man sich das Leben zum Vergnügen machen kann. Darüber hinaus ist sie seit Geburt an mit einer schwer fassbaren und schwerer zu kontrollierenden Gabe ausgestattet: Sie kann Kraft ihrer Gedanken und Gefühle Schnee und Eis erschaffen. Eine seltene, auch gefürchtete Fähigkeit, die Elsa aber gern dazu nutzt, ihrer Schwester Freude zu bereiten – bis eines Tages ein Unfall fast zu Annas Tod führt. Daraufhin verschließt sich Elsa mit Hilfe ihrer fürsorglichen Eltern vor Anna, die in Folge des einschneidenden Ereignisses einen Teil ihrer Erinnerungen verlor. Die Jahre ziehen ins Land, die Familie und das Königreich werden von Krisen gerüttelt, und so dauert es bis Elsas Krönung zur Königin, ehe die beiden Schwestern wieder ein gemeinsames Leben führen sollen.

So weit, so spannend. Zumindest auf dem Papier, denn die Ausführung dieser von einer stillen Tragik und Nachdenklichkeit geprägten Ausgangslage gerät Lee und Buck arg wankelmütig. Bis es zu Elsas Krönung kommt, hetzt das Regie-Duo (das nach einem Drehbuch Lees handelt, welches wiederum auf einem Storykonzept von Lee, Buck und Shane Morris basiert) durch die mit zahlreichen Randinfos gespickte Vogeschichte, wobei die Filmemcher ein sonderbares Rhythmusgefühl aufweisen. Wann immer sich ein atmosphärischer Gesamteindruck einstellt (ob verschneit-magisch, dunkel und dramatisch oder aufregend-fantasievoll), wechseln sie radikal die Ton- und Gangart ihres Films. Gewiss, Stimmungswechsel sind seit jeher ein Grundelement guter Disney-Meisterwerke, bloß müssen diese mit Fingerspitzengefühl und einem Blick fürs Gesamtbild umgesetzt werden. In Die Eiskönigin dagegen reihen sich im ersten Akt ausgedehnte Sequenzen aneinander, die aus gänzlich unterschiedlichen Disney-Filmen stammen könnten. Da endet mit einem Schlag das Intro eines "Rapunzel in Schnee und Eis", um Platz für ein besser animiertes TinkerBell – Das Geheimnis der Feenflügel zu machen, woraufhin sich ganz kurz ein erwachsener, semi-tragischer Film mit der Grundstimmung von Disneys Der Glöckner von Notre Dame einstellt, der aber all zu rasch von viel zu niedlichen, naiven Gesangsnummern unterbrochen wird.

Zwar fängt sich Die Eiskönigin zwischenzeitlich, um Elsas ambivalente Haltung zur anstehenden Krönung und die facettenreiche Beziehung zwischen den Schwestern auszuloten, bloß hält der Film diese Identität nur kurz bei. Etwas zu kitschige Versöhnungsgespräche der Schwestern und ein Song-Schlussgag, der mit seiner Disney-parodistischen Haltung eher Ein Königreich für ein Lama gekleidet hätte als einen Film mit dieser Grundthematik und Story, lassen sich noch verzeihen. Glatt einem miesen Disney-Kitsch-Abklatsch entsprungen scheint dagegen Annas hyperaktiv-fideler Liebessong während des großen Balls zu Ehren der jungen Königin, der zudem viel zu lang ist und so wieder die eigentliche Handlung sowie die zuvor erarbeitete Dramatik gänzlich zunichte macht.


Verwünscht und verquasselt
Ein jeder Disney-Film braucht seinen zentralen Konflikt, und im Falle von Die Eiskönigin kommt dieser ins Rollen, sobald Elsa mit Annas neuer Liebe konfrontiert wird. Fehlkommunikation und angespannte Gemüter führen dazu, dass Elsas eisige Gabe enthüllt und die Königin von ihrem Volk geächtet wird. Das gesamte Königreich wird von einem frostigen Wetter heimgesucht, Elsa entschwindet in ihre eigens erschaffene Zitadelle der Einsamkeit und Anna macht sich auf, den Tag, ihre Schwester und ihr Heimatland zu retten. Was kann schon schiefgehen?

Im Anschluss an Elsas preisverdächtigen, unvergesslichen Song ist es vor allem das Humor-Element des Films, das diese Produktion aufs Glatteis führt. Wer schon befindet, dass die Wasserspeier in Der Glöckner von Notre Dame deplatziert sind, läuft bei Die Eiskönigin Gefahr, zur Weißglut gebracht zu werden. Humorige Disney-Nebenfiguren sind Tradition, allerdings stellen sie wenigstens in den dramatischeren Disney-Filmen bloß ein ergänzendes Element dar. In Der König der Löwen, unter allen Disney-Meisterwerken eines der emotionalsten, sind Timon & Pumbaa, Zazu und die Hyänen kommentierendes Beiwerk oder wandelnde Verschnaufpausen. Das Comedy-Drumherum dieser komplexen Geschwistererzählung hingegen drängelt sich dermaßen oft in den Mittelpunkt, dass Die Eiskönigin fast schon als Disney-Komödie mit gelegentlich dazwischengeschaltetem, herzlichen Märchenfilm anmutet. Da wären die Dialoggefechte zwischen Anna und ihrem freundlichen, wenngleich exzentrischen Helfer in der Not, Kristoff. Da wären die einseitigen Gespräche zwischen Kristoff und seinem Gefährten Sven, einem Rentier, das sich wie ein Hund gebärt und allerhand Slapstickmomente beschert bekommt (Rapunzel-Hengst Maximus lässt grüßen!). Da wäre der ulkige Schurke, ein klappriger und amüsant schwafelnder Herzog. Und dann hätten wir da noch diverse singende, leicht weltfremde Zauberwesen und den dauerplappernden Olaf, einen lebenden, dummen, naiven und sich nach dem Sommer sehnenden Schneemann (der zudem eine ausgedehnte Comedy-Gesangsnummer darbieten darf). All diese Figuren erdrücken die eigentliche Handlung und rauben ihr jegliche dramatische, märchenhafte oder bezaubernde Ausstrahlung.

Doch es sind nicht allein die teils liebenswerten, teils unausstehlichen Nebenfiguren, die Lees und Bucks Regiearbeit in anstrengendem Maße schizophren scheinen lassen. Es gibt obendrein ein wiederkehrendes, parodistisches Element, mit dem das Regie-Duo sprunghafte Disney-Romanzen auf die Schippe nimmt. Es ist zwar begrüßenswert, wenn Disney sich selber durch den Kakao zieht und gerade diesen gern kontrovers diskutierten Aspekt des Studioerbes genauer betrachtet. Bloß ist dies wahrlich genügend Stoff für einen eigenen Film (siehe Verwünscht) und beißt sich in seinem flapsigen Tonfall mit der Haupthandlung, zumal sich beide Handlungsfäden mehrmals berühren und durch den juxenden Einstieg in Annas Liebelei auch ein grandios inszenierter Wendepunkt im dritten Akt an dramaturgischer Nachhaltigkeit verliert. Wenn eine Parodie auf eilige Disney-Beziehungen, dann bitte mit aller Kraft und in einem eigenen Film. Wenn eine spannende Geschichte über Selbstaufgabe und Familienbande im Märchenkleid, dann bitte ohne laut tönende Disney-Meta-Gags. In Der König der Löwen witzelt ja auch niemand "Oh, Simba, was für ein Zufall! Du begegnest in deiner schwärzesten Stunde zwei lebensfrohen Simpeln, die so lange deinen Lebensmut aufpeppeln können, bis Gras über die Sache gewachsen ist! Hach, das könnte Hollywood nicht besser schreiben!" ...

Disney, erkenne den Kern deiner Storys!
Nicht allein die Quantität der Blödel-Randfiguren und deren Präsenz im Film lässt Die Eiskönigin, allem brillanten Potential zum Trotz, im Schatten wahrer Disney-Meisterwerke verkümmern, sondern auch die Musik. Davon abgesehen, dass Robert Lopez & Kristen Anderson-Lopez mit Ausnahme von Lass jetzt los für diesen Film nur ziellose, überdehnte Lieder geschrieben haben, die nichts von der Tragweite oder Prägnanz großer Disney-Lieder haben, auch hier stört ein Übermaß an Komik. Im Regelfall haben Disney-Meisterwerke einen eindrucksvollen Comedy-Showstopper, ein rein vergnügliches Lied. Die Schöne & das Biest hat Sei hier Gast als Detour von der eigentlichen Handlung, Der König der Löwen hat Hakuna Matata, Tarzan hat Krach im Lager, Rapunzel atmet mit Ich hab 'nen Traum auf, und so weiter ...

Ausnahmen, also Filme mit mindestens zwei Spaßliedern, gibt es einige, diese sind normalerweise aber gut begründet. Küss den Frosch etwa hat eine Vielzahl an losgelösten Liedern, hat aber dank der vor Energie trotzdenden Tiana, dem Scherzkeks Naveen und der "Arbeite für dein Lebensziel!"-Botschaft eine sehr optimistische Grundausrichtung. Daher, und weil die Musiknummern gut in die Handlung eingebaut sind, ist dieser Zeichentrickfilm entschuldigt. Und dann wäre da Aladdin, ein Film, in dem das Comic Relief sich ebenfalls in den Mittelpunkt drängt und das blaue Ungetüm Dschinni gleich zweimal die Lachmuskeln des Publikums mittels einer Gesangseinlage kitzeln darf. Bloß ist dies keine Entschuldigung für Die Eiskönigin, ebenfalls mit witzigem Geträller von seinem eigentlichen Storykonflikt abzulenken. Denn zwischen Aladdin und Die Eiskönigin liegen Welten – nicht allein qualitativ, sondern ebenso in der Storyhaltung. Aladdin ist ein rein eskapistisches Werk, das von Wunscherfüllung handelt – sinnig für einen Film mit einem Flaschengeist, der seinem Meister drei Wünsche erfüllt. Disneys Meisterwerk von 1992 erzählt von einem Straßenjungen, der ein schöneres Dasein verdient hat, sowie von einer Prinzessin, die ob ihrer Lebenslage unglücklich ist. Liebe und Magie (sowie Kampfgeist) verbessern die Umstände beider Figuren. Es ist ein positive Story, die mit einem Missstand beginnt, der behoben wird. Die Handlung von Die Eiskönigin aber ähnelt nüchtern betrachtet eher dem Schema von Der König der Löwen: Anfangs ist alles in Ordnung, dann wendet sich das Schicksal mit großer Macht gegen die Hauptfiguren und das Ziel ist es, nach der desaströsen Lage, die im Mittelteil des Films geschildert wird, eine Verbesserung zu erreichen, so dass schlussendlich alles wenigstens wieder fast so gut wie zu Beginn ist. In einer solchen, etwas dunkleren Story, ist weniger Platz für handlungsunrelevante Albernheiten. Zumal Die Eiskönigin mit so großer Passion ernste Themen anreißt: Auf Unverständnis basierende Vorurteile, Liebe aus Distanz, Selbsteinschränkung, die Schattenseite von hinreißenden Talenten, Entfremdung ... All dies baut Die Eiskönigin liebevoll auf, bloß um es dann inkonsequent sowie mutlos zu Ende zu erzählen.

Mit seiner Furcht vor Konsequenzen und seiner unerklärlichen Liebe für ausschweifend-cartoonige Comedypassagen wiederholt dieses Meisterwerk alle Ärgernisse von Pixars Merida – Legende der Highlands, einem weiteren Film, der dramatisch und mystisch beginnt und seine komplexe Figurenzeichnung und ambivalente Gefühlsgrundlage irgendwann aus dem Fenster schmeißt, um sorgenfreies (sowie zahnloses) Familien-Entertainment abzuliefern. Allerdings erreicht Die Schneekönigin in seinen starken Phasen viel höhere Höhen, woraufhin wesentlich anstrengendere Tiefen folgen. Verliert Merida auf dem Weg zur Zielgeraden viel vom anfänglichen Charakter, legt Die Eiskönigin alle Ambitionen auf Eis und muss aufgrund seiner inflationären Blödeleien den Figuren im Schlussakt unentwegt Holzhammer-Dialoge in den Mund legen, damit die Moral der Kernhandlung auch bloß ankommt. Zeit, sie auszuleben, statt sie auszusprechen, ist ja bei all den laffen Pointen und blutleeren Spannungsspitzen nicht gegeben.

Wie eisig ist's denn nun?
Gibt es abseits von Elsas Powerballade gar nichts, was mein fröstelndes Herz im Bezug auf Die Eiskönigin zum Schmelzen bringt? Doch, ein paar weitere Stärken hat diese künstlerisch fehlgeleitete Disney-Produktion durchaus. Das 3D etwa ist phänomenal und nicht nur kristallklar, sondern von immenser Tiefenwirkung und mit toll ausgewählten, knackigen "Herausstecheffekten" aufgepeppt. Besseres 3D haben die Walt Disney Animation Studios bisher nicht vollbracht. Außerdem sind die Schnee- und Eislandschaften bildhübsch, Olaf sieht zugegebenermaßen knuffig aus und so manche Hintergrundgags (etwa die Gastauftritte einiger ansehnlicher Kunstwerke) sind willkommen. Zu größeren Lobeshymnen kann ich mich nicht aufraffen, ist das Design der Nebenfiguren doch arg uninspiriert (gleich zwei Pferde sehen aus, als hätte sich Maximus in diesen Film gemogelt!) und sieht die großäugige, pausbackige Anna wann immer sie lächelt aus größerer Distanz (wenn ihre Hautunreinheiten nicht mehr erkennbar sind) leider zu püppchenhaft aus, als dass ich Die Eiskönigin als visuelle Glanzleistung bezeichnen könnte. Christophe Becks Instrumentalmusik derweil ist im Filmverlauf effektiv, nicht aber denkwürdig oder eingängig.

Daher ist Die Eiskönigin ein Film, der mich zur Verzweiflung bringt. Mit Elsa präsentiert er uns eine der besten Disney-Figuren aller Zeiten, die obendrein einen neuen Disney-Evergreen zum Besten gibt, doch drumherum bietet dieses Machwerk nichts, was diesem Glanzlicht gerecht wird. Es ist so, als wäre das diabolisch-bombastische Das Feuer der Hölle der Schurkensong in Die Kühe sind los! oder der urkomische, dauerquasselnde Dschinni Teil des Figurenensembles vom wortkargen Disney-Kunstwerk Fantasia. Die Eiskönigin will sich nicht zu einem stimmigen Ganzen fügen und raubt dank seines verschenkten Potentials allerhand Gutwillen.

Die Zeit wird zeigen, ob ich dank Elsa und Lass jetzt los (aka Let It Go) Frieden mit den Schwächen des Films schließen und ihn insgesamt leidlich-akzeptabel finden werde oder ob der Frust über die Fehlleistungen obsiegt und die raren guten Aspekte von Die Eiskönigin für mich ewig die hoffnungsvollen Andeutungen eines verlorenen Meisterwerks bleiben ...

Linktipp: Ich habe mich übrigens an anderer Stelle erneut mit Die Eiskönigin beschäftigt, um zu reflektieren, wo die viele Zuschauer erfreuenden Stärken des Films sind und was die Aspekte sind, die wenige Kinogänger (darunter meine Wenigkeit) abschrecken ...

Samstag, 1. Juni 2013

Im Schatten der Maus - Spezial: Brave New Look?


Im Mai erhielt Merida, die Protagonistin des Oscar-prämierten Pixar-Films Merida – Legende der Highlands (beziehungsweise Brave, wenn man den englischen Originaltitel bevorzugt) mehr als zwei Monate nach den Academy Awards und fast ein Jahr nach US-Start ihres Kinoabenteuers erneute Aufmerksamkeit. Unerwartet war dies nicht, denn die Merchandising-Abteilung des Disney-Konzerns, Disney Consumer Products, hielt eine „offizielle“ Zeremonie ab, in deren Rahmen Merida zur elften Disney-Prinzessin gekrönt wurde. Diese PR-Aktion sollte dafür sorgen, dass der Rotschopf wieder ins Gespräch kommt und sollte somit auch dem Verkaufsstart der neusten Produkte der Disney-Princess-Produktlinie förderlich sein. Mit der schieren Masse und der Lautstärke an Reaktionen hat in Disneys Merchandising-Abteilung jedoch wohl kaum jemand gerechnet, geschweige denn mit der Zornigkeit, die in diesen Diskussionen vorherrscht.

Anlass war nicht die Krönung Meridas als solche, sondern die zeitgleich stattgefundene Enthüllung des neuen Designs der Pixar-Prinzessin im Rahmen der Disney-Princess-Marke. Der Wildfang wurde in ein hellgrünes Glitzerkleid gesteckt, tauschte seinen Bogen gegen einen breiten Gürtel mit güldener Schnalle ein, verlor ein paar Kilo, so dass er eine sexy Wespenteile zeigen kann, die auch Meridas Vorbau stärker betont. Auch der Ausschnitt ist etwas weiter und Meridas Gesichtsausdruck scheint zu sagen „Hallo, Schwester! Ich würde mich riesig freuen, mit dir Tee zu trinken und über Hochzeitspläne zu tratschen. Haha!“

Somit wurde Merida durch die selbe jegliche Persönlichkeit raubende Glitzer-Puder-Maschine gejagt, durch die bereits sämtliche anderen Disney-Prinzessinnen aus erfolgreichen, großen Disney-Filmen gequält wurden. Doch während diese Entwicklung früher kaum mehr als ein Schulternzucken oder ein kurzes Augenrollen auslösten, wurde Meridas Umgestaltung zu einer riesigen Kontroverse aufgebauscht. Um deren Bedeutung abzubilden, bietet sich meiner Ansicht nach ein Blick zurück in Disneys Vergangenheit mit Neugestaltungen seiner Figuren zu werfen, um dann abschließend auf die Frage einzugehen, ob es akzeptabel ist, dass Merida nun den Weg geht, den zuvor Rapunzel, Tiana, Jasmin, Arielle und Co. gingen …

Die stets neu erfundenen Ur-Figuren
Figuren umzugestalten ist eine Methode, die bei Disney eine längere Tradition hat, als die Produktion abendfüllender Zeichentrickfilme. Die Figuren, auf deren Schultern das Disney-Imperium erbaut wurde, also Micky, Donald, Goofy, Pluto, Minnie und mit etwas Gutwillen auch Daisy und Kater Karlo, wurden in regelmäßigen Abständen mit einem neuen Look versehen. Dies geschah zunächst parallel zu der Weiterentwicklung der Cartoons, die von krude animierten Schwarz-Weiß-Filmchen zu farbenfrohen Cartoons wurden, in denen nicht mehr die Musik den Takt angab, sondern die Persönlichkeit der Figuren. Also wurden Micky, Donald und Co. ausdrucksstärker und bekamen ein runderes und „zeitgemäßeres“ Aussehen, so dass die Schöpfungen der 30er-Jahre auch in den 40ern und 50ern auf der großen Leinwand einen guten Eindruck machen konnten.




Diese Umgestaltungen gehören wohl zu den künstlerisch fundiertesten: So lange die klassischen Disney-Stars regelmäßig in neuen Cartoons auftraten, konnte man eine graduelle Neugestaltung akzeptieren, da sie im Regelfall auch den neuen Cartoons zugutekamen. Dass Micky, Donald und Co. später auch neuen Trends wie dem kantigen UPA-Animationlook angepasst wurden, war ebenfalls verzeihlich, da es keine permanente Änderung war, sondern für einzelne Filme und Merchandisingartikel galt. Und mit den Neudesigns dieser Figuren nach Ende ihrer Leinwandkarriere hatte schlussendlich niemand ein Problem, weil es bei ihnen eh Alltag war.



Zudem gab es, nachdem Micky seine Augen mit Pupillen bekam und Donald seinen kürzeren Schnabel, keine allgemeingültige Generalüberholung mehr. Wenn sie auf einer 90er-Produktlinie im Graffitistil erschienen, keine Bange, es gab auch genug andere Produkte, auf denen sie normal erschienen. Die Rasselbande rund um Micky etablierte sich als Chamäleon der Disney-Welt, sie können auf Merchandising abseits ihrer Stammoutfits auch in allen möglichen anderen Kleidern auftauchen (schließlich gab es auch immer wieder Geschichten, in denen die Figuren untypisch gekleidet sind) und durch die Comics, deren Zeichner das geübte Auge am Bleistiftstrich identifizieren kann, und vielen Cartoons war jedem Disney-Fan klar, dass er kein einheitliches Bild erwarten soll.

Die Prinzessinnen bis Ende der 90er … und der radikale Wandel im neuen Jahrtausend
Auch wenn es einige von uns kaum noch für möglich halten werden: Die Disney-Prinzessinnen stellten noch bis in die letzten Züge der Disney-Rennaissance hinein keine eigenständige Marke dar, sondern wurden als alleinstehende Entitäten behandelt. Sofern nicht gerade ein sonderbares Comic-Crossover anstand, etwa zur Eröffnung eines Disney-Parks oder zum Jubiläum einer Comic-Publikation, blieben Schneewittchen, Cinderella, Aurora, Arielle, Belle und Jasmin voneinander getrennt und selbst wenn es immer wieder Mal miese Abbildungen auf Merchandising gab, so orientierten sich die Darstellungen der Prinzessinnen im Regelfall nah am ursprünglichen Filmdesign. Ja, es gab auch in den frühen 90ern solche Produkte wie Cinderella-Puppen mit speziellem Glitzerkleid oder Pocahontas-Figuren mit mehreren Outfits, doch Abweichungen vom ursprünglichen Modell waren stets ganz klar eins: Absolute Ausnahmen. Was sich auch von selbst erklärte: Anders als Micky, Donald und Co., die ungezählte Abenteuer bestanden und sich darin durch massenhaft Klamotten probierten, haben die Grazien aus den Disney-Meisterwerken einzig und allein ein relevantes Werk, das von ihnen berichtet. Jasmin sei dank der Aladdin-Serie da mal ausgenommen.

Auftritt des Mannes, dem nahezu jeder erwachsene Disney-Fan am liebsten an die Gurgel gehen würde: Andy Mooney, ehemaliger Nike-Geschäftsführer, wird im Januar 2000 zu Disney Consumer Products beordert, um das kränkelnde Geschäft mit den Merchandisingverkäufen aufzupeppen. Eine seiner wirtschaftlich klugen Ideen war es, nicht weiter die Kernlizenzen an zahllose Hersteller zu vergeben, sondern nur einzelnen, fähigen Firmen anzuvertrauen. Jedoch löste Mooney auch einen nicht mehr aufhaltbaren Wandel in Disneys Umgang mit seinen Prinzessinnen aus. Er bemerkte, dass sich junge Mädchen zu Veranstaltungen wie „Disney on Ice“ mittels generischen Kostümen als die Disney-Prinzessinnen verkleideten und fällte daraufhin die Entscheidung, dass Disney in eben diese Marktlücke springen muss – der Konzern sollte sich stärker um die Vermarktung seiner Märchenprinzessinnen bemühen und kleinen Mädchen eine Vielfalt an Produkten bieten, um ihren Durst nach Prinzesssinnenartikeln zu stillen.

So wurde die Disney-Princess-Marke erfunden, die Schneewittchen, Cinderella, Aurora, Arielle, Belle sowie Jasmin unter einem Schirm vereinte und von ihrem dazugehörigen Film losgelöst behandelte. Mooney setzte eine ungewöhnliche Strategie durch: Zwar wurden die Verweise auf die jeweiligen Disney-Klassiker, aus denen die Figuren stammen, auf ein Minimum gekürzt und teils vollkommen gestrichen, dennoch sollten die Prinzessinnen nicht als eine homogene Gruppe miteinander interagierender Figuren auftreten. Crossover-Comics, um die Produktline zu bewerben, blieben ebenso aus, wie etwa Kalenderbilder, auf denen Jasmin und Arielle gemeinsam Beach-Volleyball spielen. Auf ihren gemeinsamen Merchandisingabbildungen blicken die Prinzesssinnen stets in eine leicht andere Richtung, als seien sie sich der sie umgebenden Damen unbewusst – so dass diese Bilder eher eine Collage sind, denn wirkliche, sinngemäße gemeinsame Auftritte.

Das ist man heute gar nicht mehr gewöhnt: Die Prinzessinnen sind (weitestgehend) "on model"!

Die neue Produktmarke verhalf Disney aus seiner Verkaufskrise, innerhalb von bloß fünf Jahren schossen Disneys jährliche Merchandising-Einnahmen von 300 Millionen Dollar auf 3 Milliarden Dollar, woran die pinke Mädchenreihe einen nicht unerheblichen Anteil hatte. Aber die aggressive Ausbeutung der Prinzessinnen zog neue Schwierigkeiten nach sich. Das Image der Disney-Studios wandelte sich. Man muss einfach mal festhalten: Ich habe unfassbare Probleme, Artikel aus der Zeit vor der Jahrtausendwende zu finden, in denen die Rede davon ist, Disney hätte ein „Jungsproblem“.

Zeitgenössische Kritiken zu Arielle, die Meerjungfrau gehen davon aus, dass er Jungs, Mädchen und deren Eltern gleichermaßen gefallen werde, selbiges gilt für Die Schöne und das Biest und sowieso für Aladdin. Mir ist nicht ein Stück Disney-Sekundärliteratur bekannt oder ein Artikel von Industrieportalen, wo besprochen wird, dass der Filmtitel Pocahontas Jungs abschrecken könnte und dass Der Glöckner von Notre Dame sowie Hercules Versuche der Disney-Studios wären, die verlorene junge männliche Zielgruppe nach mehreren „Weiberfilmen“ wieder ins Boot zu holen.

Doch da die Disney-Princess-Produkte immer omnipräsenter wurden und das Disney-Marketing der Märchenfilme, um auf dieser Erfolgswelle mitzuschwimmen und gleichzeitig auch die Merchandisingverkäufe weiter anzutreiben, immer stärker auf junge Mädchen zugeschnitten wurde, änderte sich das Image. Rosa, Glitzer und Pastelltöne, auch Mulan und Pocahontas wurden ab nun auf vereinzelten Princess-Produkten abgebildet, Printmagazine unter der Disney-Princess-Marke, „Teeparty“-DVDs und vieles mehr: Um den kleinen „Ich wäre so gern eine Prinzessin“-Mädels zu gefallen, stimmte Disneys Marketing immer mehr die selben gepuderten Töne an. Damit ging einher, dass die Märchenfilme plötzlich als Mädchenfilme betrachtet wurden und Medienbeobachter Disney ein „Jungsproblem“ anrechneten, da einige der größten Klassiker die jungen Buben verschrecken würden, während Marken wie Pirates of the Caribbean im Merchandisingbereich weniger erfolgreich liefen. So wurde Cars zur Jungsmarke in der Größe der Prinzessinnen aufgebaut, doch diese Marke wuchs immer weiter.

Graduell erhielten die Prinzessinnen auf ihren Produkten ein kleines Makeover. Samtweiche Haut, rundere, einheitlichere Gesichtszüge. Die Prinzessinnen lebten auf Gruppenbildern weiter nebeneinander her, doch Produkte mit ihnen, auf denen sie nicht aussehen, als stammten sie aus einem einzelnen Film über eine riesige royale Familie wurden immer seltener.



Die immer lauter werdenden Beschwerden – und die von Merida ausgelöste Explosion
Spätestens 2007 drehte Disney Consumer Products völlig durch und entrückte die Prinzessinnen noch ein gutes Stück mehr von ihrem ursprünglichen Design. Die kleinen Kinder störte es natürlich nicht, unter erwachsenen Disney-Fans wurde das entnervte Aufstöhnen dagegen lauter – da die Prinzessinnen anders als Goffy, Pluto und Co. „einen echten Look“ haben, wurden Abweichungen vom Standard kritischer aufgenommen und dass die Neugestaltungen den Figuren ihre Persönlichkeit rauben, um sie zu reinen Wunschprojektionen kleiner Mädchen umzumünzen, fand wenig überraschend wenig Freunde bei den Disney-Anhängern. Ein wiederkehrender Kritikpunkt in Disney-Foren ist der Barbieeffekt – den ich mit eigenen Augen und Ohren erlebt habe. Als mir meine Nichte ihre Tischunterlage mit Cinderella, Aurora und Arielle zeigte, fragte ich sie, ob sie mir den Namen der drei Damen nennen kann. „Ja. Das ist Barbie. Und das ist Barbie in einem anderen Kleid. Und das ist Barbie mit roten Haaren.“ Sie meinte es todernst. Und ich bin in diesem Moment ein wenig gestorben vor Leid.

Und dann kam Küss den Frosch. Die Produktion aus dem Jahr 2009 stellte Disneys Rückkehr zum Zeichentrickmedium dar, nachdem fünf Jahre zuvor Die Kühe sind los! einen unrühmlichen Abschluss markierte. Es war auch das Comeback der Aladdin-Regisseure John Musker und Ron Clements, die 2002 mit Der Schatzplanet ihre erste finanzielle Bruchlandung erlebte. Vor allem aber ist und bleibt Küss den Frosch der erste Disney-Märchenfilm, der nach Einführung der Disney-Princess-Marke in die Kinos kam. Und, wow, das merkt man. Der Film selbst blieb glücklicherweise von bösen Einflüssen durch Disney Consumer Products befreit, aber das ganze Drumherum konnte die Konnotation mit dem glitzernden Franchise nicht abschütteln. Und so tauchten Beobachtungen auf, die man vorher im Bezug auf neu erschienene Disney-Märchenmusicals in dieser Prominenz nie zuvor finden konnte: Kritiker vermuteten hinter dem Film einen einzigen,großen Marketingschachzug, an Eltern gerichtete Publikationen nahmen ihn als Anlass, über die Erziehung von Mädchen und den korrekten Umgang mit der Prinzessinnensache zu philosophieren und in der Presse wurde gemutmaßt, dass der Film Jungs weniger reizen könnte.

Was uns zum nächsten Punkt führt: Küss den Frosch ist auch der erste Disney-Märchenfilm seit der Renaissance, mit dessen Einspielergebnis der Konzern nicht im Geringsten zufrieden war. Begründet wurde das enttäuschende Einspiel damit, dass der Film die männlicheZielgruppe nicht erreichte – woraufhin es in den USA zu der berühmt-berüchtigten Umbenennung von Rapunzel in Tangled kam und das Marketing sich mit aller Kraft verrenkte, um in Trailern und auf Postern das liebevolle, ambitionierte Märchenmusical als dreiste, freche Komödie im DreamWorks-Animation-Stil zu verkaufen. Derweil wurde Tiana, die im Film noch eine atypische Protagonistin für einen Disney-Trickfilm abgab, assimiliert und im Merchandising zur dummen, grinsenden Schaufensterpuppe degradiert.


Rapunzel hingegen lachte das Glück, denn auf die schizophrene Repräsentation ihres Films sowie die zweigleisige Darstellung ihres Charakters durch Disneys Marketing- und Merchandisingabteilungen folgte ein großer kommerzieller Clou. Jungs, Teenager und Erwachsene wurden durch die Trailer imDreamWorks-Style manipuliert, während die Prinzessinnen-Zielgruppe weiterhin ihre volle Wagenladung an „Ist sie nicht süß?“-Rapunzelpüppchen und großäugige, naive, pastellfarbene Rapunzelzeichnungen in Bilderbüchern erhielten. Jeder bekam den Film vorgegaukelt, von dem er dachte, dass er ihn sehen wollte, und am Ende war das Ergebnis ein ganz anders gelagerter Kinofilm, der jede Menge Geld einspielte und sehr gut besprochen wurde.

Vielleicht war es auf Fanseite die Euphorie endlich wieder einen hervorragenden und zudem erfolgreichen Disney-Film zu haben und im Hinblick auf die generelle Presse die Erschöpfung durch die ganze „Ist Küss den Frosch ein rassistischer Kleinemädchenfilm?“-Debatte, eventuell erschien den meisten das ursprüngliche Rapunzel-Standarddesign der Disney-Princess-Reihe einfach nur zu unspektakulär – jedenfalls gab es nach Kinostart von Rapunzel vorerst wieder Ruhe um die Prinzessinnenreihe. Rapunzels gezeichnete Merchandising-Version kommt manchen Fans, darunter auch meiner Wenigkeit, etwas zu jung und zu dümmlich-verspielt vor, allerdings schüttle ich dies schulternzuckend ab. Ausgleichende Gerechtigkeit nach den „Boah, meine Fresse, ist das 'ne krasse, sarkastische Rockerbraut!“-Marketingversuchen, mehr nicht.


Rapunzel, Power-Haar-Belle und "die neue Cinderella"

In den Disney-Geschichtsbüchern wird man diese Phase wohl als die Ruhe vor dem Sturm betrachten. Allein schon die Ankündigung, dass die Pixar-Figur Merida in die Disney-Princess-Reihe aufgenommen wird, sorgte für Murren unter den Disney-Fans eines gewissen Alters. Mit der Enthüllung ihres Designs jedoch erlebte Disney Consumer Products einen PR-Reinfall, wie der Disney-Konzern ihn schon lange nicht mehr erlebt hat. Die gezeichnete, fesche, mädchenhafte Merida mit betonteren Kurven und jeder Menge Glitzer, der auf Merchandisingartikeln plötzlich Charakterzüge zugesprochen werden, die total prinzesssinnenhaft sind (und somit nahezu durchgehend dem widersprechen, wofür sich der Wirbelwind in seinem Film aussprach), löste eine gewaltige Debatte aus. Dieses Mal aber beschränkte sie sich nicht allein auf Disney-Fanforen, sondern breitete sich auf die Massenmedien aus. Die Beschwerden waren vielfältig: Die natürliche, wilde Figur mit ihren ästhetischen Ecken und Kanten wurde mit seinem sexualisierten Victoria's-Secret-Model verglichen, was eine fragwürdige Botschaft vermittle. Eine weitere Kritik ist, dass die neue Merida das Prinzessinnenklischee verstärke, dass es einzig und allein ums Aussehen ginge. Und auch der Verrat Disneys Merchandising-Abteilung an Pixars Schöpfung wurde thematisiert – eine Figur, die sich gegen Adelspflichten aussprach, unterwirft sich nun eben dieser Konformität.

Eine Onlinepetition wurde ins Leben gerufen und auch Brenda Chapman, die Erfinderin der Figur und ursprüngliche Regisseurin von Merida – Legende der Highlands äußerte sich zur Kontroverse: Die Merida-Umgestaltung sei „unverantwortlich“, „abscheulich“ und „unverholen sexistisch“. Sie erläuterte, dass sie Merida, die auf ihrer Tochter Emma basiert, erschuf, um ein gutes, starkes Vorbild für Mädchen zu schaffen, dem man leicht nacheifern kann. Dass Disney Merida nun verändere, würde gegenüber Mädchen, die sie bislang als Vorbild nahmen, den Eindruck erwecken, dass diese Figur bislang makelhaft war und verbessert werden musste – doch dieses neue Bild Meridas würde nur schlechte Stereotypen fördern.



Wie Brenda Chapman betont, sollte es sich bei dieser Kontroverse allerdings nicht nur um Merida drehen, denn dies sei nur die Spitze des Eisberges. Und diesem Punkt kann ich am lautesten zustimmen. Um das Merida-Umdesign (über dessen Permanenz Disney angesichts der lauten Kritiken plötzlich sehr widersprüchliche Aussagen trifft) gestaffelt zu betrachten: Die ganze Debatte, dass Merida „zu sexy“ sei, wird ein wenig zu heiß gekocht. Ich verstehe leidenschaftliche Diskussionen in Fanforen, dass Elternverbände eintreten, ist dagegen etwas übertrieben, denn Merida erscheint auf dem Disney-Princess-Kram nun auch nicht gerade als billige Hure. Sie wurde etwas aufgehübscht und das ist insofern verständlich, da Disney Artikel verkaufen will, und hübsch verkauft sich gut. Micky, Donald und Goofy zeigen sich auf Merchandising-Produkten auch eher selten von ihrer hässlichsten Seite. Im Falle Meridas ist es aber besonders ärgerlich, dass diese Aufhübschung durch eine schlankere Hüfte und ein sanfteres Gesicht erreicht wird, da diese Figur sich auch durch ein „raues“ und leicht ungelenkes Äußeres von anderen Disney-Prinzessinnen abhebt. Kurioserweise erscheint dafür Rapunzel in der Princess-Reihe kindlicher und unschuldiger, obwohl die Animatoren sich bei der Produktion zum Ziel setzten, eine sexy Figut zu erschaffen – über solche Sachen kann man sich als Disney-Fan gut und gerne den Kopf zerbrechen.

Ich denke, dass zumindest unter Disney-Fans das Timing von Meridas Umgestaltung half, die Kontroverse voranzutreiben, wurden doch kurz zuvor alle Prinzessinnen umgestaltet und mit mehr Rouge, wilderem Haar und sinnlicheren Posen dargestellt – wobei insbesondere Cinderella auffiel. Einst das unauffällige Mädchen von nebenan, nun die sexy Bitch mit frecher Frisur und keckem „Ich stell gleich sonstwas mit dir an“-Blick. Und diese Version Cinderellas ersetzt nun zudem das Original in den Parks.



Hinsichtlich der öffentlichen Aufregung finde ich viel bedeutsamer, dass Merida nun völlig ihres Charakters beraubt wird und einfach nur schmuck aussehen soll. Ja, auch Belle, Jasmin, Tiana und Rapunzel haben viel Persönlichkeit, die in diesen Abbildungen abhanden kommt. Allerdings gibt es bei Merida in ihrem Fillm nicht einen Moment, in dem sie irgendwie „prinzessinnenhaft“ wirkt und dies ist sogar ein großer Plotpunkt. Schon Jasmin kämpfte gegen arrangierte Ehen, schon Tiana kämpfte selbst für ihr Schicksal und Rapunzel kann vielleicht sogar besser austeilen als Merida – doch der Wildfang vereint all dies und stellt dies ins Zentrum seines Handelns. Merida war wirklich nicht die feministische Revolution, zu der sie von manchen Fans des Films gemacht wird, aber sie ist von allen Märchenmusical-Protagonistinnen die, die am schwierigsten in das Disney-Princess-Franchise zu prügeln ist.

Und daher ist Meridas Darstellung im Rahmen des Disney-Princess-Franchises ein absonderliches Beispiel dafür, wie Disney Consumer Products die Erinnerung an die Filme übertönt und verfälscht. Das Merchandising hat es bereits sehr arg getrieben, und dass nun das Fass zum Überlaufen gebracht wurde, und sich mehr Leute auflehnen, ist aus vielerlei Gründen erfreulich. Einerseits, weil man nun wenigstens hoffen darf, dass das Merchandising vielleicht wieder stärker die Aufgabe hat, die Erinnerung an die mitunter so kunstvollen Disney-Filme frisch zu halten. Und zum anderen, weil eine Zurechtstutzung der Disney-Princess-Marke bedeuten könnte, dass sich Disneys „Jungsproblem“ wieder egalisieren könnte. Und zu guter Letzt: Je mehr wieder die Persönlichkeit der Prinzessinnen beleuchtet wird, desto größer die Hoffnung, dass Mädchen wieder zu ihnen aufsehen, weil etwas hinter ihnen steht – und nicht nur, weil sie hübsche Kleider tragen. Denn das sind wirklich dumme Gründe, eine Figur zu mögen.

Kurzum: Die ganze Merida-Kontroverse kommt zu spät und konzentriert sich zu sehr auf die übertrieben beliebte Pixar-Dame. Dennoch wurde es langsam Zeit, dass Disney zu spüren bekommt, dass die Disney-Princess-Marke nicht nur Geld bringt, sondern auch Kritik.  

Mittwoch, 8. Mai 2013

Die fünf dämlichsten deutschen Filmtitel im "Walt Disney Meisterwerke"-Kanon

Disney. Ich liebe diesen Konzern. Er erschafft denkwürdige Figuren und unvergessliche Filme. Aber er zwängt seinen Fans zuweilen qualvolle Entscheidungen auf. So beweist die deutsche Dependence hin und wieder ein sehr unglückliches Händchen bei der Lokalisierung der Original-Filmtitel.
Zu Ehren der dümmlichsten Einfälle deutscher Vermarktungsexperten küre ich nun die fünf dämlichsten Filmtitel, die der Kanon der Walt Disney Meisterwerke über sich ergehen lassen muss.

Ihr dürft gerne mitschaudern.

Platz 5
(Ralph reichts, 2012)
Originaltitel: Wreck-It Ralph Deutsche Alternativen: Crash-It Ralph, Smash-It Ralph, Randale-Ralph

Platz 4
(Himmel und Huhn, 2005)
Originaltitel: Chicken Little Deutsche Alternativen: Hühnchen junior, Der Himmel stürzt ein!, Mein Vater, die Außerirdischen und ich, Liebling, die Konzernbosse haben uns jegliche Seele geraubt

Platz 3
(Küss den Frosch, 2009)
Originaltitel: The Princess and the Frog Deutsche Alternative: Die Froschprinzessin

Platz 2
(Rapunzel – Neu verföhnt, 2010)
Originaltitel: Tangled Deutsche Alternative: Rapunzel

Platz 1
(Die Eiskönigin – Völlig unverfroren, 2013)
Originaltitel: Frozen Deutsche Alternative: Die Eiskönigin (So simpel kann es sein!)

Kein weiterer Kommentar. Zumindest von meiner Seite aus.

Donnerstag, 1. Dezember 2011

Ein chronologischer Wettkampf: Disney vs. Pixar

Pixar genießt seit nunmehr einigen Jahren so viel Respekt und Zuneigung seitens Filmliebhaber, wie es kaum einem anderen Studio zuteil wurde. Selbst hoch angesehene Regisseure wie Christopher Nolan dürften, so scheint es mir wenigstens, in einer Beliebtheitsumfrage keine großen Siegeschancen gehen das Studio mit der vitalen Tischlampe haben. Pixar ist es zu verdanken, dass der erwachsene Trickliebhaber mittlerweile einen unübersichtlich großen Strom an Lesefutter vorfindet, welches aus Kinokritiken besteht, die mehrere Animationsfilme als das Beste aus Hollywood bezeichnen. Nicht als besonders gelungene Trickfilme oder Kinderunterhaltung, sondern als ernstzunehmende Anwärter auf die Spitze der allgemeinen Jahresbestenliste.

Aber was ist mit dem Animationsstudio, das als Wiege der westlichen Trickkunst in ihrer uns bekannten Form angesehen werden kann, und das dieses Medium und seine Wahrnehmung prägte? Disney, der einstige Platzhirsch im Trickfilm. Profitiert Disney nunmehr allein von seinen wertvolleren Archivstücken und davon, dass der Konzern die Pixar-Studios übernahm? Oder überschatten das Kritikerlob für Pixar einerseits, die Imagekrise der Disney-Trickstudios andererseits etwa die ungebrochene Klasse des über 70 Jahre alten Traditionsstudios? Und welche Position nehme ich überhaupt im Wettstreit zwischen Disney und Pixar ein? Klar, ich bin eingeschworener Disney-Liebhaber, aber ich zähle Pixar üblicherweise zu meiner Passion für Disney mit dazu. Was also, wenn ich gegenwärtig entscheiden müsste, unter Berücksichtigung dessen, was Disney und Pixar seit 1995 abendfüllend ins Kino brachten?

Lasst es uns herausfinden, indem wir die Pixar-Produktionen gegen das Disney-Meisterwerk aus dem Jahr ihrer Kinouraufführung antreten lassen. Dann wissen wir, wer letzten rund fünfzehn Jahre wirklich die Nase vorn hatte.

1995: Pocahontas vs. Toy Story

Pixars Erstling Toy Story ist bis heute der von mir persönlich am zweitwenigsten gemochte Langfilm des Studios aus Emeryville. Ich vermisse im ersten Abenteuer von Woody und Buzz die Herzlichkeit der 90er-Disneyfilme und späterer Pixar-Werke. Nicht, dass Toy Story lieblos sei, keineswegs. Aber die Handlung selbst ist mehr Buddykomödie und weniger erarbeitete Reflektion über Freundschaft oder das Erwachsenwerden. Auch die Charakterzeichnung hat für meinen Geschmack noch ein paar Schwächen, Woody kommt mir zu Beginn widerlicher rüber, als es offensichtlich von den Machern beabsichtigt war und das Finale erzeugte bei mir nie die Spannung, die andere wohl in ihm sehen. Filmhistorisch geht der Sieg dennoch eindeutig an ihn. Pocahontas gewann zwar zwei Oscars, je einen für die Filmmusik und den Song Farbenspiel des Winds, und brachte Alan Menken so seinen (bis dato) letzten Doppelsieg, aber weder hat er im kollektiven Gedächtnis des Publikums eine solche Stellung eingenommen wie Toy Story, noch hatte er einen so erheblichen Einfluss auf das Trickmedium. Toy Story ist das Schneewittchen der Computeranimation, erhielt als erster Animationsfilm eine Nominierung für das beste Drehbuch (was mich zwar freut, aber verwundert) und sein Erfolg bei Kritikern und dem Publikum sollte Disney beweisen, wieso John Lasseter und Co. richtig damit lagen, ihr eigenes Ding zu drehen. Auch ich selbst ziehe Toy Story Jeffrey Katzenbergs Oscar-Bettelei vor: Pocahontas ist im direkten Vergleich der steifere Film, hat unattraktivere Figuren und der Versuch, Erwachsene und Kinder gleichzeitig zu unterhalten, gelang Toy Story besser. Der ist zwar naiver und glückseliger als spätere Pixar-Filme, erreicht aber sein breit geächertes Publikum fast durchgehend auf einer ebenbürtigen Ebene. Pocahontas fluktuiert mir in dieser Hinsicht zu sehr. Ich mag Pocahontas (wie sehr, das schwankt von Woche zu Woche), er hat einige gute Lieder und ausdrucksstark animierte Menschen, ich respektiere den Versuch ernster zu sein als die meisten anderen Disney-Zeichentrickfilme, aber hat zwei, drei dramaturgische Durchhänger mehr als Toy Story und ist viel "angeberischer" als Pixars Erstling, ohne es sich verdient zu haben.
Der Sieger: Pixar

1998: Mulan vs. Das große Krabbeln

1998 brachten sowohl die Walt Disney Animation Studios, als auch Pixar jeweils einen Film heraus, der meiner Betrachung nach nicht genug von der Allgemeinheit geschätzt wird. Auch wenn ich Das große Krabbeln 2010 in meiner Pixar-Rangliste auf den vorletzten Platz setze (dank Cars 2 steht der Film nun etwas besser dar), ist er für mich noch immer ein gelungenes Trick-Kleinod - zumindest diversen Internetforen nach zu Folge ist Fliks Abenteuer aber "dieser eine Pixar da". Ein Film, der unter ferner liefen einzuordnen ist. Nun, die damals beeindruckenden Naturbilder sind mittlerweile leicht unterdurchschnittlich (so manches C-Studio wäre noch immer neidisch auf diese Leistung), aber die Figuren sind recht sympatisch, Flik macht eine sehr glaubwürdige Charakterwandlung durch und Hopper ist ein richtig toller, überlebensgroßer Schurke. Einer von Pixars besten, wie ich finde. Und rein zufällig wohl auch der "disneyhafteste".
Mulan wiederum ist ein Film, der sehr viel Lob erhält, sobald man ihn in einer Gruppe oder einem Filmforum anspricht. Aber solange man den Fokus nicht aktiv auf ihn lenkt, scheint er von den meisten Leuten schlichtweg vergessen zu werden. Und das finde ich enorm schade. Die Szene, in der Mulan beschließt, sich als Soldat auszugeben, ist mit ihrem elektrisierenden Score und den ausdrucksstarken, nahezu stummen Bildern eine der besten Sequenzen im Meisterwerke-Kanon. Mushu ist einer der amüsantesten Disney-Sidekicks und die Geschichte ist durchweg spannend, wie witzig erzählt. Mulan hätte deswegen so viel mehr Respekt verdient, als dieses Meisterwerk erhält.
Der Sieger: Disney

1999: Tarzan vs. Toy Story 2

Machen wir es nicht spannender, als es ist: Obwohl mir Toy Story 2 aufgrund der größeren Comedyeinlagen deutlich besser gefällt als das Original, ist diese Pixar-Fortsetzung selbst beim besten Willen keine Konkurrenz für Disneys Augen- und Ohrenschmaus Tarzan. Ein geiler Soundtrack von Phil Collins, atemberaubende Hintergründe, ein hohes Erzähltempo und tolle Action machen Tarzan zum bombastischen Abschluss der Disney-Renaissance.
Der Sieger: Disney

2001: Atlantis vs. Die Monster AG

2001 separierten sich erstmals Disney und Pixar in meinen Augen deutlich voneinander. Zumindest qualitativ, denn stilistisch ist Atlantis eher ein Ausbruch aus dem Disney-Schema, wie es Pixar Jahre später etwa mit Die Unglaublichen versucht haben wird, während Die Monster AG einer der disneyhafteren Pixar-Filme ist. Aber machen wir das hier nicht verwirrender, als es ist: Ich mag Atlantis sehr und wünschte mir, dass er wesentlich mehr Anerkennung erhält. Ich mag den von Mike Mignola inspirierten Zeichenstil, das epische Gefühl dieses fantastischen Action-Abenteuers und ich liebe die Musik von James Newton Howard. Es ist ein guter, andersartiger Disneyfilm. Aber mit Die Monster AG gelang Pixar ein richtig großer Wurf, zumindest meiner Meinung nach. Sehr viel Humor, eine sehr emotionale Geschichte (die innige "Vater-Kind-Beziehung" zwischen Sully und Buh ist der Beginn der rührenden Seite Pixars) und eine wunderbar kreierte Monster-Parallelwelt zeigten mir, dass Pixar ein Trickstudio ist, das großes bewegen kann.
Der Sieger: Pixar

2003: Bärenbrüder vs. Findet Nemo

Bärenbrüder hätte für die ins Trudeln geratenen Disney-Trickstudios wegweisend sein können: Der abenteuerliche, musikalische und emotionale Film fand eine ansprechende Balance aus Disney-Renaissance-Magie und die Überreizung dieser Formel vermeidender Andersartigkeit. Dazu kommen prachtvolle Bilder, und schon haben wir ein Disney-Meisterwerk, dass zweifelsfrei mehr Respekt verdient hätte. Insbesondere seitens Disneys, denn international war Bärenbrüder ein beachtlicher Erfolg. In den USA sabotierte die Geschäftsführung jegliche Erfolgschancen, und so war das Schicksal des Zeichentricks bei Disney vorerst besiegelt. Dass Pixar kurz zuvor mit Andrew Stantons witziger und berührender Abenteuergeschichte rund um Vatergefühle den damals erfolgreichsten Animationsfilm aller Zeiten veröffentlichte, half den Disney-Traditionen auch nicht gerade. Und, so sehr ich Bärenbrüder liebe: Findet Nemo sieht noch beeindruckender aus, hat die denkwürdigeren Figuren und vereint seinen Witz und seine Dramatik dank ausgefeilterer Dramaturgie noch besser. Disney zieht den kürzeren, belegt hier aber noch einen ehrenvollen zweiten Rang.
Der Sieger: Pixar

2004: Die Kühe sind los! vs. Die Unglaublichen

Das ist eigentlich schon kein Wettbewerb mehr, sondern eine Trauerveranstaltung. In nur wenigen Jahren haben sich die Walt Disney Animation Studios völlig zu Grunde gerichtet. Dass man mit Blick auf die Besucherzahlen die überreizte Musicalformel bei Seite legte, war ja noch clever. Dass Filme wie Atlantis und Der Schatzplanet floppten, war unglaubliches Pech, gepaart mit ignorantem Publikum und schwachem Marketing. Aber dass man vermehrt der Geschäftsführung das Sagen überließ, während die Künstler entmachtet wurden, war ein Fehler, der sich unfassbar rächte. Der Zeichentrickfilm sei nicht mehr zu retten, das Medium CGI allein sei ein Wunderwerk. Und so wurde der vermeintliche Abschied vom Traditionsmedium rausgerotzt. Die anfänglich geplante Story war nicht mehr wiederzuerkennen, die Optik misslungen, einfach gar nichts funktionierte. Derweil bewies Pixar, dass das Publikum sehr wohl in actionreiche Trickfilme geht. Mittlerweile lacht man darüber, aber damals war der Gedanke, Disneys Trickabteilung wäre zu Tode verurteilt, gar nicht mal so abwegig.
Der Sieger: Pixar

2005/2006: Himmel und Huhn vs. Cars

Und weiter geht Disneys kopflose Suche nach einer neuen Existenz. Die Beziehungen zu Pixar wurden nach Toy Story 2 kontinuierlich schlechter, und der Kinostart von Findet Nemo wurde bereits von zahlreichen Branchenartikeln begleitet, ob sich Pixar von Disney nicht trennen sollte. Eisner, der sich nicht an Diplomatie versuchen wollte, drängte die Disney-Trickstudios in direkte Konkurrenz mit der unter Vertrag stehenden Erfolgsschmiede. Der computeranimierte Himmel und Huhn sollte alles zugleich sein: Eine Antwort auf Pixar, eine Neuerfindung Disneys und eine Kopie der DreamWorks-Rezeptur. Das Ergebnis war eine Katastrophe und 2006 vereinten sich Disney und Pixar. Was Pixar mit Cars zurückließ, der damals Objekt zahlreicher verrückter Verschwörungstheorien war. Lange sah es so aus, als wäre es der letzte Pixar-Film, den Disney vertreiben darf - und da Cars hinter anderen Pixars der vergangenen Jahre zurückblieb, mutmaßten viele, Pixar hätte Disney absichtlich ein faules Ei in den Korb gelegt. Ich kann das nicht glauben. Cars hat Witz und erzählt eine Geschichte, an der John Lasseters Herz hing. Er erzählt sie nicht optimal, aber viel zu gut, als dass dies ein beabichtigter Fehltritt sein könnte.
Der Sieger: Pixar
2007: Triff die Robinsons vs. Ratatouille

Triff die Robinsons markierte, nur zwei Jahre nach Himmel und Huhn, einen weiteren Wendepunkt für die Disney-Trickstudios. 2006 übernahm Disney die Pixar-Studios. Teil der diesen Zusammenschluss besprechenden Verträge war, dass John Lasseter und Bob Petersen das Sagen in Disneys-Trickstudios erhalten, woraufhin die zum kommerziellen Fließband gewandelte Traumfabrik kräftig umgekrempelt wurde. Um Triff die Robinsons komplett zu wandeln, war es zu spät, jedoch soll der Regisseur Stephen J. Andersen ermutigt wurden sein, ihn persönlicher und herzlicher zu gestalten. Dennoch wurde der Streifen zu einem ziemlich planlosen Trip, mit einigen tollen Gags, kurzen Phasen der Herzlichkeit und sehr viel Belanglosigkeit. Der Schurke war super, trotzdem ist es ein überaus vergessenswertes "Meisterwerk", das keinen bleibenden Eindruck hinterlässt. Ratatouille wiederum ist der bislang zweitbeste Pixar aller Zeiten. Schon rein optisch liegen zwischen beiden Produktionen Welten, und die kunstvolle Story des Pixar-Films macht die Differenz nur noch größer.
Der Sieger: Pixar

2008: Bolt vs. WALL•E

2008 fand der Vergleich zwischen Disney und Pixar eine konsequente Fortsetzung des Vorjahrs. Disney steigerte seine Qualität noch stärker und fand langsam zum alten Selbst wieder, während Pixars Höhenflug kaum zu erträumende Höhen erreichte. Gegen Cars hätte Bolt gute Chancen gehabt, doch im Gegensatz zu den Disney-Studios, die sich nur langsam aus ihrem Tief arbeiten konnten, fand Pixar schnell auf die Überholspur zurück. Der das Studio auch vorerst treu blieb. Schönes Disney-Comeback gegen Pixars Meisterstück? Der Fall ist eindeutig!
Der Sieger: Pixar

2009: Küss den Frosch vs. Oben

2009 war ein großrtiges Jahr für den Animationsfilm: Coraline, Mary & Max, Küss den Frosch, Oben ... Disney fand, dank Ron Clements & John Musker, zum alten Groove zurück, während Pixar seinen sämtliche Konkurrenz deklassierenden Höhenflug beendete, auf die Erde zurück kehrte und "nur noch" fantastische Arbeit ablieferte. Küss den Frosch oder Oben, das ist eine Frage, die ich mir ungern stelle. Küss den Frosch ist ein witziges, romantisches, dezent abenteuerliches Disney-Zeichentrickmusical mit guter Musik, Oben wiederum ist zu tiefst rührend, intelligent, doch zwischenzeitlich etwas weniger ausgegoren, als die rundum stimmige Disney-Mischung. Küss den Frosch war eine Disney-Wohltat nach Jahren des Hungerns, Oben dagegen war ein Jahr nach WALL•E all seiner superben Qualität zum Trotz auch eine kleine Enttäuschung für mich. Auf hohem Niveau. Oben ist der inhaltlich stärkere Film, aber Küss den Frosch hat diese Prise Disney-Magie. Ich denke, ich wähle hier die feige Ausfahrt und votiere für ein Unentschieden.
Der Sieger: Der Trickfilm-Fan ;-)

2010: Rapunzel vs. Toy Story 3

Da ich bereits in der Hitliste meiner Lieblingsfilme des Jahres 2010 darauf einging, möchte ich die Sache kürzer machen, als gewiss möglich wäre. 2011 war ein weiteres, fantastisches Trick-Jahr (die US-Konkurrenz brachte uns noch Drachenzähmen leicht gemacht und Ich - Einfach unverbesserlich) und Pixar verzauberte mich mit dem rührenden, spannenden, mutigen, frechen, herzlichen und schlicht liebenswürdigen Toy Story 3. Und obwohl es eine Fortsetzung ist, die mit Blick auf thematische Kontinuität einige der Grundgedanken der Vorgängerfilme zurückgriff, ist das Skript einfallsreich, überraschend und intelligent. Rapunzel hat da das weniger hochgreifende Drehbuch. Nimmt Toy Story 3 alte Ideen auf und wandelt sie neu um, nutzt die neuste Disney-Prinzessin einige Disney-Klischees vollkommen stur. Aber der Film sieht besser aus, klingt besser und bringt Romantik mit sich, die Pixar abseits von WALL•E nie erreichte. Rapunzel ist strikt nach Lehrbuch vielleicht der schwächere Film, doch er fühlt sich besser an. Das Märchenmusical liegt in meinem Herzen ein Stückchen vor Pixars furiosem Trilogie-Abschluss.
Der Sieger: Disney

2011: Winnie Puuh vs. Cars 2

Winnie Puuh orientiert sich an ein Kinderpublikum, verzaubert mit seinem Charisma und Witz aber auch ältere Zuschauer. Cars 2 ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... Ich mag nicht darüber reden!
Der Sieger: Disney

Damit wären wir Pixars-Schaffenszeit komplett durchgegangen. Und mit 8 : 5 liegen die Computeranimationskünstler aus Emeryville vor dem Traditionshaus in Burbank. Disney durchlief seit 1995 eine Achterbahnfahrt der künstlerischen Stimme und der filmischen Qualität, während Pixar recht stur einen kometenhaften Aufstieg feierte. Kleinere Irrungen inbegriffen. Letztlich sind beide Studios Meister ihres Fachs, und in kommenden Jahren sollte Disney verlorenen Boden wieder gut machen können, ohne dass sich Pixar weitere Ausrutscher wie Cars 2 erlauben muss. Approps: Cars 2 ist nun auf DVD und Blu-ray erhältlich. Für alle Masochisten, Toy Story-Fans (der Vorfilm mit der Spielzeugbande ist im Bonusmaterial enthalten) und Komplettisten vielleicht einen Kauf wert.

Weiterführende Artikel:

Montag, 13. Dezember 2010

Märchen werden wahr: Der Deutschlandstart von "Rapunzel"

Gothels verführerisches Angebot an die Stabbington-Brüder: "Prügelt so viele Leute, die Rapunzel noch nicht gesehen haben, ins Kino, bis wir zwei Goldene Leinwände haben, und ihr erhaltet einen von mir signierten Flynn-Rider-Starschnitt."

Mancher Zeit geschehen noch Zeiten und Wunder. 2010 war, nicht zuletzt aufgrund irgend eines kuriosen Sportereignisses, hierzulande ein eher deprimierendes Kinojahr. Der bislang zehnterfolgreichste Film des deutschen Kinojahres, Prince of Persia - Der Sand der Zeit, konnte beispielsweise 1,6 Millionen Besucher in die Lichtspielhäuser holen. 2009 hätte diese Zahl gerade einmal für Platz 24 der Jahreshitliste gereicht. Es war nahezu wächentlich Usus, dass die anfänglichen Wochenendprognosen zum Sonntagabend hin nach unten korrigiert werden mussten.

Aber Rapunzels Magie, die in den USA am Startwochenende knapp für die Verdoppelung selbst der wohlgesonnensten Prognosen sorgte, überträgt sich jetzt auch auf die deutsche Filmlandschaft: Insidekino.de, die hiesige Spitzenadresse für Fragen über Besucherzahlen und Kinoeinnahmen, schätzte zu Beginn des Wochenendes Rapunzels Glück auf 425.000 bis 525.000 Besucher, der obere Rahmen hätte schon den erfolgreichsten Animationsstart 2010 bedeutet. Allerdings lehrte die Erfahrung der vergangenen Monate, dass der Tag nicht vor dem Abend zu loben sei. Glücklicherweise aber war Rapunzels Zauber stärker, als der Fluch des Jahres 2010: Sogar die Prognosen des frühen Sonntags mussten nach oben korrigiert werden und die Montagszahlen sprechen letztlich von einem äußerst entzückenden, 605.000 Besucher starken Startwochende (572.000 ohne Previews) für die Disney-Prinzessin mit dem verzauberten Haar!

Dies ist mit Abstand der stärkste Animationsstart des Jahres, selbst wenn man die geschätzt Besucher der flächendeckend abgehaltenen Vorpremieren abzieht, liegt das Blondchen klar vor Ich - Einfach unverbesserlich (ca. 440.000 Besucher), Für immer Shrek (394.286 Besucher) und Toy Story 3 (ca. 385.000 Besuche inklusive Previews).

Wäre fast so stürmisch aus dem Startblock gekommen wie Rapunzel: Disneys "Anti-Pixar" Himmel und Huhn

Nachdem Rapunzel sich in Deutschland erfolgreich die Jahreskrone im Trickfilm-Sektor ergatterte, ist ein die Jahre und Jahrzehnte übergreifender Vergleich mit anderen Disney-Filmen natürlich viel interessanter - und auch spaßiger, als mancher noch Mittwochabend womöglich befürchtet hätte.

Vergleichen wir Rapunzel zunächst mit den anderen computeranimierten Meisterwerken aus der von Mäusen, Enten, Prinzessinnen und Konsorten regiertenTraumfabrik: Dank des unerwartet starken Sonntags, der die vorhergegangenen Prognosen als zu niedrig angelegt enttarnte, konnte Rapunzel Disneys ersten rein am Computer erstellten Trickfilm Himmel und Huhn überflügeln, dessen circa 525.000 Besucher starker Start genau in der Liga lag, die Rapunzel Samstagabend noch anvisierte. Das Folgewerk Triff die Robinsons hat Rapunzel bereits dieses Wochenende völlig deklassiert: Mit ihren rund 600.000 Besuchern konnte die Prinzessin mehr als doppelt so viele Leute von einem Kinobesuch überzeugen als die chaotischen Robinsons während ihres gesamten Kinoeinsatzes!

Der letzte Film der Rapunzel-Regisseure, der von den Kritikern geschätzte und für einen Oscar nominierte Bolt, kann sich ebenfalls nicht mit der Publikumszuneigung für disney'sche Musicals messen: 398.941 Besucher in der vollständigen Startwoche liegen schlicht in einer anderen Liga. Trotzdem haben wir keinen Anlass, Mitleid für den weißen Schäferhund zu empfinden (oder ihn mit Hähme zu bescheren): Insgesamt fanden 1,26 Mio. Leute den Weg zum apportierenden Actionstar. Toy Story 3 brachte es nach einer 633.024 Kinogänger zählenden Startwoche auf insgesamt 1,57 Mio. Besucher. Habe ich eigentlich schonmal gesagt, wie blamabel ich das finde? Nein, oder?

"Ich muss hier gerade erfahren, was meine deutschen Kinozahlen bedeuten, und du willst tatsächlich immer noch knutschen?"

Ziehen wir nun aber endlich den eventuell naheliegendsten Vergleich: Rapunzel vs. Küss den Frosch. Rund 325.000 Besucher fanden sich am Startwochenende im jazzigen Zeichentrickmusical wieder, was den Grundstein für ein Endergebnis von 1,6 Millionen verkauften Eintrittskarten legte. Sofern wir die Erinnerung an ein muhendes Trio tilgen und schmerzlich unsere Augen vor dem armen Jim Hawkins verschließen, ist dies das schlechteste Kinoergebnis eines Post-Walt-Zeichentrickfilms aus dem Hause Disney (aus der Pre-Dschungelbuch-Ära sind keine brauchbaren Zahlen überliefert). Eventuell ist es doch rechtens, über die Zahlen der Froschprinzessin zu klagen...

Aus reiner Neugier sei Rapunzels Startergebnis auch neben denen der Renaissance-Disneys gestellt, insgeheim hoffend, dass das 50. Meisterwerk eine zweite solche Ära in Gang setzt. Und aus schierem Hang zur Provokation und einem Quentchen Freude für eine zu häufig geschundene Disney-Produktion, setze ich die Renaissance für die Belange dieses Artikels bereits anno 1989 an, ein Jahr bevor Menkens Melodien Deutschland verzauberten: Oliver & Co. startete mit 256.738 Besuchern und somit stärker als Arielle, die Meerjungfrau, diese konnte an ihren ersten Tagen auf unseren Leinwänden nämlich bloß 211.947 Seelen für sich gewinnen. Bernard & Bianca im Känguruhland setzte den Abwärtstrend zunächst fort (186.231 Kinogänger), bevor Die Schöne und das Biest einen Sprung nach oben und auf rund 345 Tausend Besucher machte. Aladdin hatte einen etwas schwächeren Start (312.953 sich ins Morgenland wünschende Abendländer), bevor Der König der Löwen mit fast einer Million zum Start neue Maßstäbe setzte.

Oh, und um euch mit einem kleinen Schocker nach all diesem Zahlenwirrwarr wieder wachzurütteln: Der zweiterfolgreichste Start eines Films aus dem Meisterwerk-Kanon war keiner geringeren Produktion als Dinosaurier vergönnt. 888.573 Neugierige allein am ersten Wochenende - das ist eine Vorlage, die man rückblickend erstmal verdauen muss. Es half dem Streifen nicht, sich ins kollektive Gedächtnis einer Generation festzusetzen, aber eine Fete zu seinen Ehren wird es seinerzeit im deutschen Disney-Hauptsitz bestimmt gegeben haben.

Zurück in die Renaissance: Mit rund 400 Tausend Besuchern gaben sich Pocahontas und Der Glöckner von Notre Dame in ihrer Rivalität nicht sonderlich viel, der mit Til Schweiger vertonte, swingende Hercules brachte es auf 471.724 Hobby-Mythologen. Es war der Beginn eines erneuten Aufschwungs für die Disney-Zeichenstudios: Mulan und Mushu konnten als erstes Gespann der Post-Simba-Zeit eine Latte vorlegen, an der Himmel und Huhn später scheitern muss (535.816 Kinogänger, die vielleicht, vielleicht auch nicht, eine Lara-Croft-Nummer abzogen). Tarzan, die hervorragend eingesetzte Deep Canvas und ein begnadeter Phil Collins holten sich zum furiosen Abschluss der Renaissance noch im Vorbeifliegen Meisterwerk-Bronze (847.951 Affen, Rocker und Fast-Nackt-Turner). Damit ist Tarzan auch eins von drei Post-Der König der Löwen-Meisterwerke, die besser als Rapunzel starteten. Ansonsten setzten sich nur die schon erwähnten Dinosaurier und Bärenbrüder besser durch. Richtig, Bärenbrüder, der qualitativ gesehene letzte Vorhang für die Walt Disney Animation Studios bis John Lasseter den Laden erfolgreich durchmischte. Bärenbrüder startete in Deutschland mit 748.993 Besuchern. Die Lehre, die wir daraus ziehen, dass ein Phil-Collins-Musical mit Moritz Bleibtreu unter den Synchronsprechern dem adeligen Löwen ordentlich Dampf unter dem Hintern machen könnte. Mag jemand einen Brief an John Lasseter und Robert Iger aufsetzen?

Kuzco kann diese ganzen Zahlen und Fakten wohl nicht so recht verdauen

Nicht nur der Vollständigkeit halber, sei noch schnell auf die restlichen Meisterwerke der 00er eingegangen. Verfilmte Juniortüten mal außen vorgelassen.
Ausgerechnet ein stinkiges, spuckendes Lama war nur eine Zahnlänge davon entfernt, Rapunzel gefährlich zu werden. Mit 564.670 legte Ein Königreich für ein Lama einen besseren Start als Mulan hin - und auf den können die Filme der frühen 90er ja bereist neidisch sein. Lilo & Stitch spielte in der Liga der Indianerin und des Buckligen von Notre Dame (400.882 Aliens, Elvis-Fans und schräge Kinder). Und sogar Atlantis macht die Startergebnisse einiger Meisterwerke fertig (365.502 Gesangsübermüdete). Trotz des dezent schwacheren Startwochenendes hat der allgemeinhin als Flop bekannte Atlantis in seiner Gesamtlaufzeit übrigens einen kleinen, feinen Film namens Toy Story 3 überholt (1.657.981 kartographierende Linguisten vs. 1.569.052 Plastikspielzeuge). Ja.

Der Schatzplanet dagegen konnte zum Start nur 215.512 Leute davon begeistern, eine Eintrittskarte zu lösen. Doch ich wollte ja eigentlich nicht noch mehr Salz in diese Wunde streuen.

Was diese Zahlen ziemlich deutlich vorführen: Deutschland tickt mitunter seltsam. Aber darum geht's hier nicht. Diese Zahlen zeigen nämlich ebenfalls, dass sich die Kinolandschaft stark veränderte. Rapunzel legte einen großartigen Start hin und überflügelte zahlreiche Disney-Meisterwerke, nur kann man daraus leider nicht schließen, dass er auch bei den endgültigen Zahlen weit vorne mitspielen wird. Leider muss man beachten, dass Kinofilme heutzutage weitaus weniger Standkraft besitzen. Deshalb sind die Verleiher ja auch so scharf auf Startrekorde. Bloß weil Rapunzel am Startwochenende 2,8mal so viele Besucher in die Säle lockte, wird sie in Deutschland nicht dreimal so erfolgreich wie Arielle, die Meerjungfrau sein. Das Trickmusical von Ron Clements und John Musker umgarnte, inklusive Wiederaufführung, 4,7 Millionen Besucher. Könnte man die Werte der frühen 90er unflektiert auf heute übertragen, müsste Rapunzel mit ca. 13 Millionen Besuchern ohne auch nur für ein kleines Duell die Bratpfanne zücken zu müssen an Der König der Löwen und Der Schuh des Manitu vorbeiziehen!

Stattdessen hat Rapunzel in der harschen Realität Glück, wenn sie nach dem wirklich tollen 600.000-Besucher-Start am Ende ihres Kinoausflugs in die Nähe von Arielles 4,7 Millionen kommt.

Wie leuchtend kann eine vermüllte Zukunft sein?

Da ihr euch tatsächlich bis zu diesem Absatz durchgekämpft habt (ich wusste, die bunten Bildchen zeigen ihre Wirkung, insbesondere wenn hier unten ein ganz besonders toller Film auf euch wartet), scheint ihr ja mit einem gewissen Grundinteresse an Zahlenspielereien ausgestattet zu sein. Sehr schön, denn in diesem Fall seid ihr bestimmt gewillt, diesen ausführlichen Blick in die Vergangenheit mit einer Voraussicht zu beschließen. Wenngleich dafür etwas Rechnerei und weiteres Schielen in den Rückspiegel von Nöten sind.

Es stellt sich nämlich die Frage, womit wir für unser süßes Blondchen rechnen können. Da die Multiplikatoren von Arielle & Co., mittels derer man aus dem Startwochenende das Endergebnis errechnen kann, veraltet sind, zitieren wir doch glatt mal wieder Tiana herbei. Küss den Frosch ist ein im Dezember 209 gestartetes Animationsmusical mit humorigen, märchenhaften und romantischen Elementen. Das Startwochenende von Küss den Frosch machte, kaufmännisch gerundet, ein Fünftel der schlussendlichen Besucherzahl aus. Wenden wir dies an Rapunzel an, kommen wir in den Bereich einer Goldenen Leinwand (3 Mio. Besucher). Irgendwie nicht fair, oder?

Vielleicht aber ist Küss den Frosch ein schlechter Messgrad. Immerhin bekam er kurz nach Kinostart Avatar vor die Nase gesetzt. Ihr wisst schon, dieser Film mit den katzenohrigen, blauen Wesen. War ziemlich erfolgreich, irgendwas von wegen 11 Millionen Besucher in Deutschland und erfolgreichster Film weltweit.
Vorausgesetzt, dass Disney on Ice sein Trainingslager nicht in Bezelbubs Küche verlegt on Yogi Bär der nächste Avatar wird, hat Rapunzel aber keine solche Konkurrenz vor sich. Denn selbst, wenn wir Disney mit ganzem Herzen den nächsten Milliardenerfolg außerhalb des Animationsbereiches wünschen und Deutschland bei Disneys nächstem Milliardenfilm mithilft, so startet Tron Legacy hierzulande erst Mitte Januar 2011.

Disqualifizieren wir Küss den Frosch als Messbeispiel, kommen wir jedoch in die Bedrouille, dass in jüngerer Vergangenheit kein vergleichbarer Film startete. Oder etwa doch? Auftritt WALL•E... Schließlich ist Rapunzel nichts weiteres als die Prinzessinnen-Variante von Andrew Stantons künstlerischer Sensationsleistung. Ich mein... also, romantisch, großes Identifikationspotential, großartige visuelle Komponente...
Okay, okay, stilistisch besteht ein gravierender Unterschied zwischen WALL•E und Rapunzel. Er sei hier trotzdem zum Vergleich herangezogen, erstens weil's mir persönlich passt (ich liebe die zentralen Paare beider Filme) und zweitens, weil WALL•E in Deutschland einen Start von 598.764 Besuchern hatte. Praktisch so viele wie Rapunzel. Da müsste man sich ja eigentlich nur sein Endergebnis ansehen. Und das waren wenigstens 3,2 Millionen Besucher. Womit wir eine sichere Goldene Leinwand für die Prinzessin mit dem güldenen Haar hätten.

Filmische Mathematik hat ja die Eigenheit an sich, dass man sie ewig weiterführen kann. So fand ich schon WALL•E ärgerlich unterbesucht. Das muss sich für Rapunzel ja nicht wiederholen. Zudem kann man Disneys Märchenmusical auf Basis eines populären Märchens zu Gute halten, dass es massentauglicher ist als ein Teils-Stummfilm über verliebte Roboter. Deswegen schmeiß' ich ganz schnell noch Ratatouille ins Rennen. Der hatte brillante Mundpropaganda und das Flair eines modernen Märchens - trifft, wenngleich aus anderen Gründen, genauso auf Rapunzel zu. Auf einen Start mit 922.492 folgten für die kochende Ratte 6,1 Mio. Besucher insgesamt. Verläuft Rapunzel genauso wie Ratatouille, steht Blondie am Ende mit rund 4 Millionen verzauberten Kinogängern da.

Ich ziehe den Schluss:Rapunzels Startwochenende ist wirklich eine tolle Leistung. Es macht den Film, wie gesagt, zu den mit dem besten Animationsstart des Jahres, das ist schon etwas wert. Und auch mit Blick auf die Disney-Renaissance ist es ein stattliches Ergebnis, vielleicht sogar mehr als im Vergleich mit den restlichen Animationsfilmen dieses Jahres. Denn wie Der König der Löwen zeigt, waren Starts mit über einer halben Millionen Besucher für Disney-Trickfilme keinesfalls unmöglich. Aladdin, Pocahontas und Co., sie alle hätten zum Start mehr Leute als Rapunzel anlocken können. Mulan wäre es beinahe gelungen. Dass Rapunzel fast alle Startwochenenden seiner Vorgängerfilme schlägt, ist fantastisch. Und von Arielle, Die Schöne und das Biest, Aladdin, Der König der Löwen und Tarzan abgesehen sind die Filme der 90er und 00er auch allesamt in einem realistischen Rahmen schlagbar. Für Mulan (4,4 Mio.) etwa müsste halt was mehr Glück her, als für Der Glöckner von Notre Dame (3, Mio.) - an dem er, dem Küss den Frosch-Beispiel folgend, aber sogar noch scheitern könnte. Es wird also ein spannender Kinowinter für Disneyfans.

In Wahrheit sogar weniger aufgrund der Meisterwerk-Rennens - denn besonders entscheidend finde ich es, dass Rapunzel den Sprung in Deutschlands Top 10 der meistbesuchten Computeranimationsfilme schafft. Und um das zu erreichen braucht Rapunzel  einige Wiederholungstäter und Märchenmissionare.

Was glaubt ihr, wo landet Rapunzel letzten Ende?

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