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Dienstag, 25. Juni 2024

Mediatheken-Tipps (25. Juni 2024)

Die Braut trug schwarz (Rache-Thrillerdrama, 1968) Truffaut verneigt sich vor Hitchcock: Jeanne Moreau ist hier bereits Jahrzehnte vor Uma Thurman eine Braut, die blutige, blutige Rache für einen tragisch geendeten Kirchenbesuch sucht. Spannend, tragisch, schwarzhumorig und mit einem durch allen Hitchcock-Elemente noch immer intensiv durchschimmernden Nouvelle-Vague-Flair. Schöne Sache! arte-Mediathek, abrufbar bis zum 27. Juni 2024

There Will Be Blood (Epochales Drama, 2007) Paul Thomas Andersons womöglich bester Film - aber zweifelsfrei sein bildgewaltigster: Daniel Day-Lewis und Paul Dano liefern vor eindringlich-karger Kulisse schauspielerische Glanzleistungen über Gier und Kontroll(verlust)e. Starkes, unvergessliches Kino. ARD-Mediathek, abrufbar bis zum 6. Juli 2024

Ein Mann sieht rot (Rache-Thriller, 1974) Der im Vergleich zu den späteren Teilen vergleichsweise gemäßigte Auftakt der Death Wish-Reihe, der seine drastische Kriminalitätsdarstellung noch nutzt, um Charles Bronsons Figur in eine Rachefantasie zu schicken, die klar als tragischer moralischer Verfall dargestellt wird. Anders gesagt: Kein Rache-Reißer, um sich fröhlich grinsend Nachos reinzuschieben, sondern rau-dramatisches Thrillerkino.  ARD-Mediathek, abrufbar bis zum 8. Juli 2024

Rom, offene Stadt (Neorealistisches Drama, 1945) Roberto Rossellini inszeniert eine Wirklichkeit, die sich selbst zu inszenieren scheint: Im Neorealismus-Meisterwerk Rom, offene Stadt sehen wir die ewige Stadt unter deutscher Besatzung. Sowie die unmittelbare Reibung zwischen Widerstand und Faschismus, Hoffnung und Elend sowie dokumentarisch wirkender Abbildung europäischer Zeitgeschichte und grotesk-skurriler, filmischer Einfälle. Ein eindringliches Stück Filmgeschichte. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 15. September 2024

Die Wiener Philharmoniker in der Waldbühne Berlin: Eine europäische Nacht (Klassikkonzert, 2024) Von Norwegen bis Italien, von Spanien bis Ungarn: Die Wiener Philharmoniker gastieren in Berlin und führen uns unter der Leitung von Stardirigent Riccardo Muti sowie moderiert von Désirée Nosbusch quer durch Europa. Eine Harmonie der europäisch-kulturellen Vielfalt. ZDF-Mediathek, abrufbar bis zum 12. November 2024

Bosetti will reden! Fußball-EM und Party-Patriotismus (Kabarettistischer Kommentar, 2024) Sarah Bosettis 3sat-Late-Night habe ich euch ja bereits in einer anderen Ausgabe der Mediatheken-Tipps empfohlen. Aber mir fiel auf, dass ich Bosettis wöchentlichen, kabarettistisch-satirischen Kommentar auf das Weltgeschehen noch gar nicht vorgestellt habe. Huch, wollen wir das doch mal nachholen! In Bosetti will reden! ordnet Bosetti einmal die Woche aktuelle Diskurse ein und das eloquent, reflektiert, etwas sarkastisch, aber auch mit einem hartnäckigen Optimismus, dass wir die Kurve schon noch kriegen können. Aus Gründen der Aktualität habe ich mal die EM-Folge ausgesucht, aber jede ist sehenswert. ZDF-Mediathek, abrufbar bis zum 18. Juni 2026

Warum Mediatheken-Tipps? Die Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender sind ein unablässig sprudelnder Quell an sehenswerten Produktionen. Ob Spielfilm, Dokumentarfilm, Reportage, Konzertfilm, Serie, oder oder oder. Doch nicht nur, dass man da leicht den Überblick verlieren kann: Ich kenne einige Menschen, die den Mediatheken kaum oder gar keine Beachtung schenken. Mit dieser Artikelreihe möchte ich Orientierung bieten, ebenso wie Anreiz, sich vermehrt mit den Mediatheken zu befassen. Dazu gebe ich wöchentlich sechs Anschautipps.

Wieso sechs Tipps? Ich möchte, dass diese Artikelreihe händelbar bleibt. Für mich, damit ich sie neben meinen anderweitigen Verpflichtungen verfassen kann. Und für euch: Ich will euch nicht mit Anschautipps erschlagen. Sechs Tipps halte ich indes für umsetzbar: Selbst, wer alle Tipps ansprechend findet, kann sich täglich einen davon angucken, und hat dennoch bis zur nächsten Ausgabe der Reihe auch einen Tag "mediathekenfrei". 

Die Mediatheken-Tipps erheben selbstredend keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Es gibt viel mehr zu sehen, als ich hier Woche für Woche nennen könnte.

Samstag, 25. Mai 2024

Mediatheken-Tipps (25. Mai 2024)

Kung Fu Hustle (Martial-Arts-Komödie, 2004) Nicht so brillant wie Shaolin Kickers, wohl aber einstiegsfreundlicher und womöglich auch daher populärer - und noch immer ein vergnügliches Action-Fest von und mit Stephen Chow: Ein Dorf wehrt sich gegen eine brutale Gang. Exzentrische Figuren, hübsche Sets und feiste CG-Tricks treffen auf schmissige Kampfchoreografien, während dieser Konflikt gelöst wird. ZDF-Mediathek, abrufbar bis zum 27. Mai 2024

Der Engländer, der auf einen Hügel stieg und von einem Berg herunterkam (Kleinstadt-Romantikkomödie, 1995) Ein Film, wie gemacht dafür, ihn am Sonntagnachmittag auf dem Sofa lümmelnd zu schauen: Hugh Grant spielt einen Engländer, der einen Berg ausmisst, ihn als Hügel deklariert und daraufhin vom bockigen örtlichen Volk aufgehalten wird, damit er nicht abreist. Derweil wird der Hügel mit Dreck aufgetürmt, damit der Regionalstolz in Form eines winzigen Berges wiederhergestellt ist. Liebeleien, Dialogwitz und Situationskomik entbrennen. Waschechtes Wohlfühlkino! ARD-Mediathek, abrufbar bis zum 27. Mai 2024

Titane (Genderpolitisches Bodyhorror-Psycho-Thrillerdrama, 2021) Einer meiner Lieblingsfilme des Jahres 2021: Julia Ducournaus eindringlich gefilmter, spannend-einfühlsam erzählter und atemberaubend gespielter Goldene-Palme-Gewinner ist stahlhart und kuschlig-weich zugleich und sollte nicht weiter auf seinen Auftakt reduziert werden. Auch wenn der natürlich sehr denkwürdig ist. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 14. Juni 2024

Polen 1938: Spuren einer verlorenen Welt (Dokumentarfilm, 2022) In ihrem im Original Three Minutes: A Lengthening betitelten Dokumentarfilm präsentiert Bianca Stigter drei Minuten Filmmaterial, das der Amateurfilmer David Kurtz 1938 im polnischen Nasielsk aufnahm. Ein dreiminütiger Einblick in den fröhlichen Alltag einer jüdischen Gemeinde, die nicht ahnen kann, was bald darauf mit ihr angestellt wird. 2009 entdeckt Kurtz' Enkelsohn Glenn Kurt die Aufnahmen zufällig, in diesem Film wird dieses wertvolle filmische Erinnerungsstück ausführlich vorgestellt, analysiert und in Kontext gesetzt. Erschütternd, mahnend und leider wieder von zunehmender Relevanz. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 14. Februar 2025

Lalo Schifrin, Mission: Impossible (Filmmusikkonzert, 2023 ) Der Mediathekentitel unterscheidet sich von dem, was in diesem Konzertfilm als Titel eingeblendet wird (Das Kino des Lalo Schifrin), aber wen juckt's: Victor Jacob und das Orchestre Philharmonique de Radio France bieten hier einen mitreißenden Querschnitt aus dem Schaffen Schifrins plus eine Komposition von Studierenden der Hochschule für Musik und Tanz von Lyon. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 2. Februar 2027

ESC-Legenden: ABBA - Die ganze Geschichte (Musikdoku, 2024) Wer, wie ich, noch immer nachglühendes Eurovision Song Contest-Fieber hat, kann hier noch die weltberühmtesten ESC-Legenden feiern und das Waterloo-Jubiläum besser aufbereiten, als es aalglatte Hologramme auf einer Bühne in Malmö je könnten. ARD-Mediathek, abrufbar bis zum 2. Mai 2029

Warum Mediatheken-Tipps? Die Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender sind ein unablässig sprudelnder Quell an sehenswerten Produktionen. Ob Spielfilm, Dokumentarfilm, Reportage, Konzertfilm, Serie, oder oder oder. Doch nicht nur, dass man da leicht den Überblick verlieren kann: Ich kenne einige Menschen, die den Mediatheken kaum oder gar keine Beachtung schenken. Mit dieser Artikelreihe möchte ich Orientierung bieten, ebenso wie Anreiz, sich vermehrt mit den Mediatheken zu befassen. Dazu gebe ich wöchentlich sechs Anschautipps.

Wieso sechs Tipps? Ich möchte, dass diese Artikelreihe händelbar bleibt. Für mich, damit ich sie neben meinen anderweitigen Verpflichtungen verfassen kann. Und für euch: Ich will euch nicht mit Anschautipps erschlagen. Sechs Tipps halte ich indes für umsetzbar: Selbst, wer alle Tipps ansprechend findet, kann sich täglich einen davon angucken, und hat dennoch bis zur nächsten Ausgabe der Reihe auch einen Tag "mediathekenfrei". 

Die Mediatheken-Tipps erheben selbstredend keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Es gibt viel mehr zu sehen, als ich hier Woche für Woche nennen könnte.

Samstag, 27. April 2024

Mediatheken-Tipps (27. April 2024)

El Mariachi (Action, 1992) Robert Rodriguez' erster Langfilm: Atmosphärische, rasant erzählte und stylische Verdichtung aus Neo-Western, South-of-the-Border-Mythos und Actionknaller, die der Legende nach für unter 7.300 Dollar produziert wurde (und nochmal etwa 200.000 Dollar an Postproduktion und Verfielfältigungskosten verschlang). Saucool und explosiv! ZDF-Mediathek, abrufbar bis zum 28. April 2024

Guten Morgen (Alltagskomödie, 1959) Yasujirō Ozus zweiter Farbfilm ist zugleich ein loses Remake eines seiner Stummfilme und dreht sich um Kinder, die in den Redestreik treten, weil sich ihre Eltern gegen die Anschaffung eines Fernsehers ausgesprochen haben. In einer Nebenhandlung geht es um die Vermutung, dass bei einer örtlichen Frauengruppierung Geld veruntreut wurde, und dass ein im Ort wenig bekanntes Ehepaar abgehoben sei. So entsteht eine Geschichte über inhaltsleere Alltagsphrasen, Misstrauen und Innovationsscheue, aber auch über zwischenmenschliche Kommunikation. Erzählt mit beiläufigem Dialogwitz und einem Pups-Running-Gag. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 29. April 2024

Die große Aktion (Komödie, 1968) Jean-Pierre Mockys spritzige, mit leichtem satirischen Biss versehene Komödie handelt von einem übereifrigen Gymnasiallehrer, der glaubt, dass seine übermüdeten und desinteressierten Schützlinge nur durch eine Methode wieder für das Anhäufen von Wissen begeistert werden können: Er beschließt, ihre Fernsehantennen unbrauchbar zu machen. Betont schrill und albern erzählt, aber in seinem Ringen zwischen Medienpessimismus und Kulturoptimismus recht durchdacht und zeitlos. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 30. April 2024

Gangs of New York (Historien-Gewaltepos, 2002) Martin Scorseses großes Passionsprojekt, das leider durch Produzent Harvey Weinstein kompromittiert wurde. Während wir also alle die Daumen drücken, dass Scorsese noch eines Tages ganz im Stile Francis Ford Coppolas zu diesem Projekt zurückkehrt und einen Director's Cut nachliefert, kann man sich aber noch immer daran ergötzen, was Scorsese allem negativen Einfluss zum Trotz ablieferte: Stark von Leonardo DiCaprio, Daniel Day-Lewis und Cameron Diaz gespielt und imposant ausgestattet, erweckt Gangs of New York ein blutiges, finsteres Kapitel der US-Ostküstenhistorie zum Leben. Eine echte Wucht! arte-Mediathek, abrufbar bis zum 5. Mai 2024

71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls (Psychodrama, 1994) Frostige, fragmentarisch erzählte Regiearbeit Michael Hanekes: In Einzelszenen wird auf das schon zu Filmbeginn vorweggenommene Ende hingearbeitet - einen Amoklauf in einem Wiener Vorort. In waschechter Haneke-Manier eine erschütternde Reflexion über Gewalt und unmenschliche Untiefen. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 13. Oktober 2024

Only Lovers Left Alive (Vampir-Abhängfilm, 2013) Nachtschwärmerische, übernatürliche Coolness von Jim Jarmusch und mit einem Cast zum Zungeschnalzen: Tilda Swinton, Tom Hiddleston, Mia Wasikowska, Anton Yelchin, Jeffrey Wright, Slimane Dazi und John Hurt! Es geht um Kulturlust und Lebensfrust, die (Un-)Attraktivität des ewigen Lebens und staubtrockenen Humor. Sowie um verführerische, verführerische Musik. ARD-Mediathek, abrufbar bis zum 18. Dezember 2024

Warum Mediatheken-Tipps? Die Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender sind ein unablässig sprudelnder Quell an sehenswerten Produktionen. Ob Spielfilm, Dokumentarfilm, Reportage, Konzertfilm, Serie, oder oder oder. Doch nicht nur, dass man da leicht den Überblick verlieren kann: Ich kenne einige Menschen, die den Mediatheken kaum oder gar keine Beachtung schenken. Mit dieser Artikelreihe möchte ich Orientierung bieten, ebenso wie Anreiz, sich vermehrt mit den Mediatheken zu befassen. Dazu gebe ich wöchentlich sechs Anschautipps.

Wieso sechs Tipps? Ich möchte, dass diese Artikelreihe händelbar bleibt. Für mich, damit ich sie neben meinen anderweitigen Verpflichtungen verfassen kann. Und für euch: Ich will euch nicht mit Anschautipps erschlagen. Sechs Tipps halte ich indes für umsetzbar: Selbst, wer alle Tipps ansprechend findet, kann sich täglich einen davon angucken, und hat dennoch bis zur nächsten Ausgabe der Reihe auch einen Tag "mediathekenfrei". 

Die Mediatheken-Tipps erheben selbstredend keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Es gibt viel mehr zu sehen, als ich hier Woche für Woche nennen könnte.

Donnerstag, 15. Oktober 2015

Tötet Mrs. Tingle!


Wir schreiben die späten 90er Jahre: Drehbuchautor Kevin Williamson darf sich als neuer König des Teenie-Horrors betrachten. Mit dem von ihm geschriebenen Slasher Scream trat er nicht nur eine neue Filmreihe los, sondern auch eine Welle an jugendorientierten Horrorfilmen. Zudem machte er den Meta-Witz im Genrekino endgültig salonfähig. Mit Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast und The Faculty folgten zwei weitere Teenie-Schauergeschichten, die schwarze Zahlen geschrieben haben. Da war es nur eine Frage der Zeit, bis ihn jemand auch auf dem Regiestuhl Platz nehmen ließ. Dieser Jemand war letztlich das Produzenten-Duo Bob & Harvey Weinstein, die schon hinter den Scream-Filmen und dem von Robert Rodriguez inszenierten Faculty standen. Heraus kam die Dimension-Films-Produktion Tötet Mrs. Tingle!, die für die Titelrolle immerhin Helen Mirren gewinnen konnte - und sonst recht wenig zu bieten hat.

Mit seiner ersten und bislang letzten Regiearbeit versuchte sich Williamson an einem Spagat: Einerseits ist Tötet Mrs. Tingle! als Suspense und Humor mischende Geschichte über High-School-Teenies firm in Williamsons Komfortzone verortet. Andererseits drosselte der Autor deutlich den Gewaltgehalt: In den USA wurde es Williamsons erster Film mit einem PG-13-Rating, in Deutschland reichte es für eine lockere FSK-Freigabe ab 12 Jahren. Der im Kino sonst so sehr auf Blut setzende Williamson kompensierte dies jedoch nicht etwa mit den melodramatischen, ernst behandelten Jugendproblemen, die er im Fernsehen mit Dawson's Creek anpackte. Stattdessen verzapfte er mit Tötet Mrs. Tingle! eine schwarzhumorige Komödie, die sich in dramatische Plattitüden und lasche Thrillerpassagen verirrt.

Die "Heldin" des Films ist Katie Holmes (damals bekannt für ihre Rolle in Dawson's Creek, und noch nicht für ihre kurze Ehe mit Tom Cruise) in der Rolle der bald ihren Abschluss machenden Schülerin Leigh Ann Watson. Die Spitzenschülerin träumt davon, ihren ärmlichen Verhältnissen zu entkommen, indem sie ein Stipendium erhält und auf ein großes College geht. Ihre Chancen auf diesen Studienzuschuss stehen jedoch auf der Kippe. Daher muss eine Eins in Geschichte her, was sich aufgrund der strengen Art der Geschichtslehrerin Mrs. Tingle als nahezu unmöglich erweist. Als Leigh Ann ungewollt in den Besitz der Prüfungsunterlagen gelangt und von der gestrengen Lehrerin erwischt wird, scheinen die Zukunftsaussichten der verzweifelten Schülerin endgültig zerstört. Daher begeben sich Leigh Ann und ihre Freunde Jo Lynn (Marisa Coughlan) und Luke (Barry Watson) abends ins Haus er Lehrerin, um auf sie einzureden. Die Debatte eskaliert und Mrs. Tingle wird verletzt. Voller Panik greifen sich die Teenager ihre Lehrerin und fesseln sie an ihr Bett. Ein reiner Psychokrieg entsteht ...

So, wie Williamsons Film strukturiert ist und seinen Fokus darauf legt, Leigh Ann als Identifikationsfigur aufzubauen, liegt die intendierte Lesart dieses Thrillers auf der Hand: Die Protagonisten sind als Helden zu betrachten, leben einen Teenie-Traum aus, werden von einer garstigen Lehrerin tormentiert und letzten Endes geht es darum, wie das "Biest" bezwungen wird. Jedoch geht diese Rechnung aus diversen Gründen nicht auf. Sobald man als Zuschauer mitdenkt, verschieben sich die Allianzen: Tingle wird als unausstehliches, unbarmherziges Monster dargestellt. Aber davon abgesehen, dass Helen Mirren als einzige Person in diesem Film glaubwürdig und wie ein echter Mensch spielt und sich daher gewaltige Sympathiepunkte verdient, ist sie einfach nur eine normale Lehrerin. Während ihre Schüler aus einer schlechten Teeniekomödie entflohen sind: In ihren Geschichtsreferaten geben sie sich zwar bei der Präsentation Mühe, versäumen es aber, Quellen zu nennen oder bringen wichtige Fakten durcheinander. Dass Tingle schnippische Kommentare abgibt, ist nicht die feine Art, ihre Noten sind aber an realen Maßstäben gemessen sogar gnädig. Daher in ihrem Haus einzudringen und sie niederzustrecken, ist absurd. Und die "Es ist nur ein Film, genieße doch einfach den Ritt"-Herangehensweise an Tötet Mrs. Tingle! scheitert total, da Holmes und ihre gleichaltrigen Kollegen zu blass bleiben, als dass sie einen auf ihre Seite ziehen könnten.

Wenn Tingle die Schüler im Mittelpunkt gegeneinander aufbringt, indem sie vorgibt, ihre persönlichen Geheimnisse zu durchschauen, deutet sich an, Williamson würde die Kurve kriegen und enthüllen, dass Tingle eine Lehrerin vom Schlage eines "Drill Sergeant mit Herz aus Gold" sei: Sie will mit ihrer schroffen Art bloß das Beste aus den Schülern kitzeln. Das wäre zwar klischeehaft, würde der Story aber ein tragfähiges Fundament verleihen. Dann aber wird dies als Finte enthüllt, um ein lachhaftes Finale zu kreieren. Auf dem Weg dorthin gibt es eine Sexszene nach dem Schema F für züchtige, möchtegernpikante Teeniefilme, viel Gekeife und immerhin ein paar nette Sprüche, die Williamsons ans fesche Feder in Scream 1 und 2 erinnert. Diese genügen aber nicht, um Tötet Mrs. Tingle! davor zu bewahren, als qualitativer Totalausfall zu enden.

Fazit: Das ist nur was für leidgeprüfte Helen-Mirren-Komplettisten und Miramax-Nostalgiker, die sich an die mageren Auswüchse der Teenie-Horror-Phase erinnern wollen, die die Weinstein-Brüder durchgemacht haben.

Mittwoch, 14. Januar 2015

Meine 30 Lieblingsfilme 2014 (Teil I)

Die meisten Jahresrückblicke und Jahresbestenlisten liegen hinter uns. Die Rangliste meiner Favoriten des Filmjahres dagegen ließ bislang wieder auf sich warten. Ein paar Tage zusätzlich sollten mir helfen, 2014 wenigstens ein wenig sacken zu lassen. Wie immer gilt bei diesem Resultat meiner Überlegungen: Hier geht es nicht um die besten, sondern um meine liebsten Filme. Weshalb ich derart unterscheide? Weil unter den 'besten Filmen' allerlei verstanden werden kann. Sind es die einflussreichsten, die bedeutendsten oder die künstlerisch anspruchsvollsten Filme? Sind es diejenigen, die es verdient haben, jahrzehntelang analysiert und begutachtet zu werden? Oder die Filme, die ihre Ziele am deutlichsten erreichen – also die schaurigsten Horrorstreifen, die spektakulärsten Actionfilme, die spannendsten Thriller und die lustigsten Komödien?

All diese Argumentationen, was die 'besten Filme' ausmacht, sind schlüssig, aber selten führen sie zu denselben Ergebnissen. Was bei Ranglisten, die nur von einem einzelnen Autor erstellt werden, schnell unbefriedigend oder zumindest verwirrend sein kann. Die liebsten Filme dagegen sind leicht definiert. Meine Lieblingsfilme des Jahres sind die, die ich persönlich in mein Filmfanherzen geschlossen habe. Aus welchen Gründen auch immer. Darüber lässt sich zwar passioniert debattieren, abstreiten hingegen lässt sich da nichts. Weil mich diese Filme bewegen, sie mich zum Staunen bringen oder sie mich ihre gesamte Laufzeit über bestens unterhalten. Oder, oder, oder ... 

Bevor es endlich losgeht, seien noch rasch die Grundregeln erklärt: Qualifiziert sind alle Filmproduktionen, die 2014 ihren reguläre deutschen Erstauswertung hatten – ob als Kinofilm oder als Heimkinostart. Filme, die 2014 nur auf Festivals liefen (und somit nur einem sehr begrenzten Publikum zugänglich waren), aber 2015 auf DVD erscheinen werden, gelten nicht als 2014er-Filme. Im Gegenzug gelten Festivalfilme aus dem Jahr 2013, die keine Kinoauswertung erfahren haben und erst 2014 auf DVD veröffentlicht wurden, sehr wohl als Filme des Jahres 2014.

Alles klar soweit?! Na dann los ..!

Platz 30: Viel Lärm um Nichts (Regie: Joss Whedon)

sowie Transformers– Ära des Untergangs (Regie: Michael Bay)

sowie  Kreuzweg (Regie: Dietrich Brüggemann)
Es ist schon etwas her, dass ich in einer meiner Bestenlisten auf ein Unentschieden zurückgreifen musste. Aber beim Gedanken an das Kinojahr 2014 komm ich nicht drumherum, gleich drei Filme auf den 30. Platz zu setzen und ihnen somit gerade noch etwas Rampenlicht zu schenken. Und nach stundenlangem Ringen mit mir selbst, weiß ich noch immer nicht, welchen ich mehr mag. Dass sie so unterschiedlich sind wie Tag und Nacht, erleichtert mir meine Überlegungen nicht gerade. Joss Whedons Viel Lärm um Nichts führt vor, welch große Ergebnisse mit denkbar geringen Mitteln erzielt werden können. Innerhalb weniger Tage drehten befreundete Mimen im Haus des Regisseurs eine Shakespeare-Adaption, die sich sehr nah am Originaltext hält – und dies in Schwarz-Weiß. Zustande kam somit eine Komödie, die den Witz des Meisterbarden und seine Einsicht in die menschliche Natur in purer Form feiert.
Transformers – Ära des Untergangs dagegen kennt weder so etwas wie Restriktion, noch weiß dieses 3D-Effektgewitter, was ein gutes Skript ist. Auch gerade weil es eine der seltsamsten Shakespeare-Referenzen der vergangenen Kinojahre beinhaltet. Allerdings nimmt Michael Bay in Anlauf vier ein von mir mit Herzblut verhasstes Franchise und dreht einfach sämtliche seiner Markenzeichen auf 'Volles Rohr!', um so ein faszinierendes, plättendes, geradezu berauschendes Beispiel für filmischen Exzess zu kreieren. Anstelle eines sinnbefreiten, inkohärenten, seelenlosen Actionmachwerks ohne Alleinstellungsmerkmale erschuf Bay nun eine barocke Zerstörungsoper, die nur aus Ikonografie besteht. Ich kann es selbst nicht fassen, einen Transformers-Film positiv zu besprechen, und ihn obendrein in meine Jahresbestenliste aufzunehmen. Aber wenn ich monatelang diesen zügellosen Explosionsritt immer wieder verteidige, gerade weil er so rückhaltlos alles komplett falsch macht, bis es wieder brillant ist, muss er etwas an sich haben.
Dietrich Brüggemanns Kreuzweg wiederum steht gewissermaßen zwischen den anderen beiden Filmen, die sich Rang 30 teilen. Das deutsche Drama ist so etwas wie die intellektuelle Variante eines High-Concept-Films: Es erzählt die Geschichte der 14-jährigen Maria (beeindruckend: Lea van Acken), die einer erzkonservativen, nahezu sektenhaften Absplitterung der katholischen Kirche angehört. Das pubertierende Mädchen gerät kurz vor ihrer Erstkommunion häufiger denn je in den Konflikt mit ihrer gebieterischen Mutter, wird aufgrund ihres strengen Glaubens in der Schule ausgegrenzt und erfährt zudem erstmals, wie es ist, sich in einen Jungen zu vergucken. Illustriert wird diese niederschmetternde Geschichte über Extremismus und die zerstörerische, blendende Auslegung eigener Grundsätze in 14 Szenen, die in nur einem statischen Take gedreht sind. Eindringlich, herausragend gespielt und provozierend.

Platz 29: Die Karte meiner Träume (Regie: Jean-Pierre Jeunet)
Das 10-jährige Nachwuchsgenie T.S. Spivet lebt mit seiner Familie auf einer abgeschiedenen Ranch in Montana. Obwohl T.S. überdurchschnittlich intelligent ist und mit seinen Erfindungen großes Potential aufweist, wird ihm nur wenig Aufmerksamkeit zuteil. Der Vater ist stärker an seinem anderen Sohn interessiert, der eher nach seiner eigenen Art schlägt. Die Mutter verrennt sich in ihre Käferforschung und die ältere Schwester träumt von einer Modelkarriere. Als T.S. ins Smithsonian eingeladen wird, um seine Erschaffung des Perpetuum mobile vorzustellen, schleicht er daher davon und macht sich alleine auf dem Weg. Es beginnt eine Kreuzung aus Roadmovie, Familienkomödie und modernem Märchen über Trauer, Familienbande und Selbstfindung. Eine schöne Geschichte, von Thomas Hardmeier eingefangen in stechend scharfen 3D-Bildern. Traumhaft!

Platz 28: Planet der Affen – Revolution (Regie: Matt Reeves)
Der zweite Teil des Planet der Affen-Reboots nimmt die Schwächen des leicht überschätzten Vorgängers, unterstreicht im Gegenzug dafür dessen Stärken. Mit beeindruckenden Computereffekten, einem stimmigen Score und stringenter Regieführung erschafft Planet der Affen – Revolution eine trostlose Parabel auf unsere Gesellschaft – und dies, indem dieser Big-Budget-Blockbuster eine spannende Sci-Fi-Story über den Kampf zwischen Menschen und intelligenten Affen erzählt. Tolle Action, eine angenehme Prise Humor und eine von plausibler Charakterzeichnung gestützte Dramaturgie machen diese 170 Millionen Dollar teure Produktion zu einem klugen Stück Abenteuerkino.

Platz 27: Short Term 12 (Regie: Destin Daniel Cretton)
Ein authentisches, stille Hoffnung in die Gesellschaft aufbauendes und trotzdem auch deprimierendes Drama über die Bewohner und Betreuer eines Jugendheims für schwere Fälle – seien sie drogenabhängig, selbstmordgefährdet, gewalttätig oder aus gewalttätigem Hause. Neuentdeckung Brie Larson trägt als Gruppenleiterin den Film nahezu allein auf ihren Schultern: Sie ist ausdrucksstark, agiert dabei aber stets subtil. Autor und Regisseur Cretton trifft durchweg den richtigen Ton, erzählt seine Geschichte ohne Effekthascherei oder geheucheltes Mitleid, sondern von Anfang bis Ende mit Empathie und Finesse.

Platz 26: Stage Fright (Regie: Jerome Sable)
Unkonventionelle Musicals mit Meat Loaf – ein kleines, aber feines Subgenre. Nach der legendären Rocky Horror Picture Show und dem nicht ganz runden, aber überaus vergnüglichen Tenacious D – Kings of Rock folgt nun das verrückte, blutige Rockmusical Stage Fright. Die Story dreht sich um ein Sommercamp für angehende Musicaldarsteller, das während der Vorbereitungen für die revolutionäre Neuaufführung eines berühmt-berüchtigten Stückes von einer garstigen Mordserie heimgesucht wird. Extrem lustige, eingängliche Songs (teils im klassisch-konventionellen Musical-Stil, teils rockig-cool), allerhand pfiffige Ideen und blendend aufgelegte Darsteller sorgen bei diesem exzentrischen Nischenfilm für ununterbrochenes, breites Grinsen. Zumindest in seiner sehr begrenzten Zielgruppe, die wohl so Leute wie mich umfasst. Ein Film, der weiß, wie schräg er ist – und sein Ding von Anfang bis Ende durchzieht. Das rockt!

Platz 25: Sin City: A Dame to Kill For (Regie: Robert Rodriguez & Frank Miller)
Nach jahrelangem Warten hieß es 2014 endlich: Willkommen zurück in der Stadt der Sünde! Quentin Tarantinos unkonzentrierter Kumpel Robert Rodriguez brachte gemeinsam mit Frank Miller die heiß ersehnte Fortsetzung zu ihrer meisterlichen Comicadaption Sin City in die Kinos. Und auch wenn Part zwei nicht ganz die Brillanz des Originals erreicht, ist mir unerklärlich, weshalb dieser Pulp-Noir-Film eine so deprimierend negative Resonanz erhielt. Im Mittelteil wird mit A Dame to Kill For die wohl beste Geschichte des Sin City-Kinokosmos zum cineastischen Leben erweckt – und dies dank einer begnadet-verruchten Eva Green. Auch die extra für den Film geschriebene Episode, in der Joseph Gordon-Levitt einen selbstbewussten Gentleman-Zocker verkörpert, kann sich mühelos mit den Geschichten aus dem Originalfilm messen lassen. Die zwei restlichen Kapitel dieses in 3D gefilmten Trips in eine sündige, sündige Welt könnten tatsächlich etwas prägnanter sein. Dessen ungeachtet ist dieses Sequel stylisch und in genau der richtigen Weise schmutzig. Schundliteratur, eindrucksvoll umgesetzt. Mir egal, was andere sagen, ich will einen dritten Teil!

Platz 24: Gemma Bovery (Regie: Anne Fontaine)
Die indirekte Antwort auf Stephen Frears britische Provinzkomödie Immer Drama um Tamara: Erneut spielt die nicht ausreichend gewürdigte Gemma Arterton die Titelrolle in der Verfilmung einer Posy-Simmonds-Graphic-Novel. Und wie bereits im Geheimtipp aus dem Jahre 2010 verdreht sie vor wunderschöner Kulisse sämtlichen Männern den Kopf, was zu allerlei still dargebotenen, aber urkomischen Ergebnissen führt. Dieses Mal spielt sich das muntere Treiben jedoch nicht im beschaulichen Südwesten Englands ab, sondern in der idyllischen Normandie. Diese ist die neue Heimat der von Arterton verkörperten Gemma Bovery. Kaum mit ihrem Ehemann in der bezaubernden Heimat des Calvados angekommen, erweckt ihre Anwesenheit neue Geister im literaturversessenen Dorfbäcker Martin Joubert (Fabrice Luchini). Dessen Lieblingsbuch ist nämlich Madame Bovary, und der schelmische Backmeister kommt nicht umhin, erschreckende Parallelen zwischen seiner attraktiven Nachbarin und der literarischen Gestalt der Emma Bovary zu erkennen. Was ihn zu launischen Taten verführt ... Liebreizend, mitunter sehr sinnlich, mit einer dezenten Skurrilität gewürzt und wahrlich nicht auf den Kopf gefallen!

Platz 23: 22 Jump Street (Regie: Phil Lord & Christopher Miller)
Die Undercover-Ermittler Schmidt & Jenko melden sich zurück. Nachdem ihr erster Einsatz in der Comedy-Kinoadaption der Kultkrimiserie 21 Jump Street überraschend gute Resonanz erhielt (so sehr, dass ich den Film als leicht überbewertet sehe), setzen sie noch einen drauf. Unter der Regie des Duos Phil Lord & Christopher Miller streifen die grundverschiedenen Cops (Jonah Hill & Channing Tatum) durch ein saukomisches Skript von Michael Bacall, Oren Uziel und Rodney Rothman, das nur ein Ziel kennt: Volle Attacke auf die Lachmuskeln. Schon in den ersten Sekunden nimmt 22 Jump Street unnötige Sequels aufs Korn – und endet mit seiner süffisanten Selbstironie erst nach dem Abspann. Die Folge dessen: Unvergessliche Sprüche und herrlich schrille Situationen, in denen Tatum, Hill und Ice Cube ihr gesamtes Reservoir an komödiantischem Können unter Beweis stellen. Bing!

Platz 22: Das Schicksal ist ein mieser Verräter (Regie: Josh Boone)
So lustig 22 Jump Street ist, so todtraurig ist diese Romanadaption. Ohne auch nur eine einzelne Sekunde lang berechnend oder abgeschmackt zu wirken, erzählt dieses Liebes- respektive Freundschaftsdrama von der krebskranken Hazel, die auf Druck ihrer Eltern einer Selbsthilfegruppe beitritt. Dort lernt sie den mit seinem Galgenhumor glänzenden Gus kennen, der sich auf Anhieb in sie verguckt. Sie jedoch lehnt ihn ab – wovon er sich nicht entmutigen lässt, sondern vehement darauf besteht, wenigstens mit ihr befreundet sein zu dürfen. Das könnte enervierend formelhaft ablaufen, ist aber dank der toll besetzten, glänzend aufspielenden Hauptdarsteller Shailene Woodley & Ansel Elgort und der ausgefeilten Dialoge kurzweilig sowie ergreifend. Ein perfekter Film für einen Abend in Geborgenheit: Mal wie aus dem Leben gegriffen, dann plötzlich von melancholischer Poesie. Und immer bewegend!
Platz 21: Edge of Tomorrow (Regie: Doug Liman)
Es geschieht nicht aller Tage, dass eine kostspielige Produktion mit Tom Cruise in der Hauptrolle viel weniger einspielt, als sie eigentlich verdient hätte. Edge of Tomorrow ist ein solcher Fall, der weit unter den Studioerwartungen abschnitt. An der Qualität kann es nicht gelegen haben: Dieser dynamisch inszenierte, flott erzählte Sci-Fi-Actionspaß kreuzt Und täglich grüßt das Murmeltier mit stylischer Action und dem Flair eines humorvollen 'Trial'n'Error'-Shooters. Klingt kurios, macht aber enorm Laune. Tom Cruise und Emily Blunt sind toll aufgelegt, Doug Liman macht sich einen Heidenspaß daraus, Dinge zu wiederholen, abzuwandeln oder auszulassen ... und spannend ist dieser ideenreiche Blockbuster zudem auch noch!

Dienstag, 12. August 2014

O Captain! My Captain!


Als ich in der Nacht vom Montag, dem 11. August 2014, auf den heutigen Dienstag die Eilmeldung las, Robin Williams sei gestorben, habe ich diese Worte erst gar nicht fassen können. Ein Teil meines Gehirns redete mir erfolgreich ein, dass diese Aneinanderreihung von Buchstaben keinen Sinn ergebe. Als ich dann aber den ersten Nachruf las und eben jene Worte direkt unter einem Bild des von mir seit Kindheitstagen geliebten Schauspielers sah, brach die Illusion zusammen, das alles sei einfach nicht wahr.

Dass ich auch Stunden später immer und immer wieder an ihn und sein Werk denken muss, ist ein Testament seines ungeheuerlichen Talents. Auch wenn er vier reguläre Golden Globes sowie einen Ehren-Globe für sein Lebenswerk erhielt und obendrein bei seiner vierten Academy-Award-Nominierung endlich seinen lang verdienten Oscar gewann, so sehe ich in ihm noch immer einen unterschätzten Mimen. Mit seiner Beteiligung wurden Filme zwar aggressiv beworben, zum Teil sogar gegen seinen Willen, trotzdem wehte beim Klang seines Namens nie die ehrfürchtige Aura eines begnadeten Meister seines Fachs mit. Oder das glänzende Appeal eines laut umjubelten Superstars.

Vielleicht liegt es daran, dass Robin Williams dank vieler seiner Rollen eine familiäre Ausstrahlung hatte. Als lebensfroher, schlagfertiger Dschinni im Disney-Zeichentrickklassiker Aladdin wurde zum unvergleichlichen Weggefährten, für den selbst die größten magischen Tricks nur einen kleinen Freundschaftsdienst darstellen. Dank Der Club der toten Dichter wird er für immer als der frei denkende, einfühlsame Lehrer in Erinnerung bleiben, den sich jeder von uns wünscht. In Good Will Hunting zeigte er sich als der verletzliche Mentor, der die Stärken seines Schützlings herauszukitzeln weiß. Und dank Komödien wie Jumanji, Mrs. Doubtfire oder Flubber sorgte er für Lacher, die im Kindesalter ebenso zünden wie im Erwachsenenalter.

Doch Williams war mehr als nur der liebenswerte Komiker. Er war auch ein echter Wirbelwind, wie seine Liveauftritte zeigten. Oder leider auch seine Drogeneskapaden. Lange Zeit war Williams ein regelrechtes Partytier, das mit John Belushi um die Häuser zog oder mit einigen Cast- und Crewmitgliedern am Set des Disney-Musicals Popeye nach eigenen Aussagen "bis zum Gehtnichtmehr gekokst" hat. 1986 schwor Williams den Drogen ab und war 20 Jahre lang clean, 2006 kam es zu einem kurzen Rückfall. Im Juli dieses Jahres wollte er einem weiteren Rücksturz vorbeugen und ließ sich prophylaktisch in eine Therapieklinik einweisen.

Dies sind aber nicht die Dinge, die mit ihm für ewig in Verbindung stehen sollten. Oder werden. Denn noch stärker als Williams überdrehte Seite hallt seine tragikomische Ader nach. Ob in Good Morning, Vietnam, König der Fischer, Hinter dem Horizont, Der 200 Jahre Mann oder zahlreichen anderen Filmen: Williams war scheinbar mühelos dazu fähig, nach alter Showmanship-Regel für jeden Lacher auch eine Träne hervorzurufen. Selbst in turbulenten Familienkomödien wie Flubber war er dazu imstande, neben all dem Slapstick auch herzliche Momente in sein Schauspiel einzuarbeiten.

Williams' finsterste Seite kam dagegen leider nur selten auf dem Zelluloid zur Geltung, obwohl er in entsprechenden Rollen so begnadet war. In den Thrillern Insomnia und One Hour Photo war er erschreckend beklemmend und in der Mediensatire Tötet Smoochy betonte er ebenso wie in The World's Greatest Dad die rabenschwarzen Aspekte seines Humors. Eines war aber nahezu allen seiner Darbietungen gemein: Egal wie gut oder schwach ein Film insgesamt war, in beinahe jedem Fall machte Williams ihn besser, drückte ihm seinen Stempel auf und stellte sich trotzdem zugleich voll und ganz in die Dienste des Gesamtwerks.

Oftmals zeigten seine Figuren zudem die Einsamkeit hinter einer fröhlichen Maske. Auf der Leinwand ging es für Williams' Schöpfungen zum Glück zumeist gut aus. Im wahren Leben dagegen gewann leider die Finsternis im Inneren der Frohnatur. Der 63-Jährige verlor den Kampf gegen seine Depressionen und nahm sich laut Polizeibericht sein Leben.

Es ist ein bitteres, tragisches Ende für das Leben eines Mannes, der Millionen von Menschen frohe Stunden bereitete und der auch nach seinem Ableben dank seiner unsterblichen Figuren noch unzählige Menschen unterhalten wird. Aber es bringt nichts, nur an seinen frühen Tod zu denken. Was bleibt, ist Williams' Schaffen. Und dafür: Danke, Sean. Danke, Adrian. Und vor allem: Danke, Dschinni. Und natürlich: Danke, oh Captain, mein Captain!

Dienstag, 15. Oktober 2013

Ein Film. Mehrere Sichtungen. Mehrere Reaktionen.


Manche Filme werden mit jedem Ansehen immer besser. Eines der Paradebeispiele dürfte The Big Lebowski von den Coen-Brüdern sein, welcher beim ersten Anschauen leidlich amüsant ist, beim zweiten Mal richtig gut wird und sich ab dem dritten Mal als wahres Meisterwerk offenbart. Eine vergleichbare "Ach, deshalb ist der Film bis heute so beliebt"-Wirkung zeigt sich unter anderem auch bei der schrillen Rocky Horror Picture Show oder Pulp Fiction, auch wenn Tarantinos uriger 90er-Erfolg bereits beim ersten Anlauf funktioniert.

Andere Filme gefallen bloß beim ersten Anschauen und sind daraufhin bloß noch dröge und arm an Reizpunkten. Einmal gesehen, alles entdeckt, wegwerfen! Shrek 2 zählt für mich dazu. Nachdem ich einmal über die skurrilen Einfälle gelacht hatte, gab es zu wenig Sympathie zu den Figuren, der Look ist zu unhübsch und die Reizpunkte an der Welt, die der Film entwirft, sind zu rar gesät. Daher habe ich an weiteren Sichtungen relativ wenig Vergnügen.

Um solche Filme geht es hier nicht. Ich möchte viel mehr über Filme reden, die ihren qualitativen Status bei mehreren Sichtungen beibehalten, die aber dennoch jedes Mal ganz anders wirken.

Ein relativ simples Beispiel für Produktionen, die beim zweiten Anschauen ganz anders rüberkommen, ist M. Night Shyamalans wirtschaftlicher Höhepunkt seiner Karriere: The Sixth Sense. Auch wenn ich mich selbst dagegen sträube, diese mit getragenem Tempo erzählte, übernatürliche Geschichte als Horrorfilm zu bezeichnen (was wohl eine recht geläufige Bezeichnung für dieses Werk ist), so ist sie bei einer Erstsichtung voller Suspense und angespannter Momente. Hat man diese Handlung einmal miterlebt und kennt den Schlusstwist, so denkt man vielleicht, fällt dieses Werk völlig auseinander. Stattdessen bin zumindest ich jedes Mal begeistert, welch berührendes übernatürliches Drama Shyamalan hiermit entwarf.

Die wahren Meister ambivalenter, daher wandelbarer, doch qualitativ stets hochwertiger Filme sind jedoch die Coen-Brüder. Beispiel No Country for Old Men: Bei meiner Erstsichtung im Kino funktionierte er bei mir und meinem Publikum als spannungsgeladener, karger und hoffnungsarmer Thriller. Javier Bardems Anton Chigurh ließ mich und die meisten anderen Zuschauer im Saal den Atem anhalten, rare lockere Sprüche, etwa von Woody Harrelsons Rolle, blieben uns im Hals stecken. Ganz anders die Zweitsichtung: Wenn Chigurh humpelnd in verdreckten weißen Socken ums Motel streicht, löste dies aufgrund der Skurrilität munteres Gelächter aus. Sein "Kopf oder Zahl"-Monolog? Sicher eine skurrile Persiflage auf Schurkenmonologe. Auf jeden Fall: Ulkig. Dass er Menschen mit einem Bolzenschussgerät tötet? Das ist nicht erschreckend, sondern gewollt albern. Und die Unfähigkeit von Tommy Lee Jones' Polizisten? Zum wegschmeißen, nicht etwa deprimierend. No Country for Old Men spielte wie eine rabenschwarze, intelligente Komödie, wie eine intellektuelle Antwort auf die Schundpersiflage/-hommage Grindhouse. Und ich habe mich gemeinsam mit meinem Saalpublikum amüsiert. Nur um den Film zwei Wochen später während einer dritten Kinosichtung auf Metaphern, Motive und profunde Aussagen hin zu analysieren.

Die Coens sind sehr fähig darin, ihre Regiearbeiten so zu gestalten, dass sie abhängig von der Gruppendynamik eines Kinosaals oder der Tagesform des DVD-Zuschauers gänzlich anders zu wirken. Dies zeigt sich etwa auch bei A Serious Man: Zwar ist diese Nacherzählung der Hiobs-Geschichte zweifelsohne eine schwarze Komödie, doch ob sie mehr deprimiert, weil jeder Rückschlag Larry Gopniks persönlich trifft und so das Lachen im Halse stecken bleibt, oder wegen ihrer Kreativität und den Superlativen mehr amüsiert, weil die Coens die in einem verborgene Schadenfreude wecken? Tja, das ist nicht vorherzusehen.

Welche Beispiele für Filme mit so wandelbarer Wirkung fallen euch noch ein?

Freitag, 28. Dezember 2012

Einen hat er noch: Smith bereitet "Clerks III" als seinen Schwanengesang vor

"Ey, yo, Schwabbelbart, wenn man jeden achtzehnten Buchstaben aus der Bibel nimmt, steht da 'Und ihr werdet drei Jahrzehnte lang vor'm Quick Stop stehen!', Snoogangs!"

Ich habe es schon mehrfach gesagt und werde es noch mehrmals sagen: Disneys Verkauf von Miramax ist einer der größten Fehler der Businessgeschichte unser aller Lieblingsmaushauses. Nicht nur, dass Disney einen wertvollen Filmkatalog raushaute, nein, das Ende der Miramax-Ära kostete uns auch Kevin Smith als Filmemacher. Wie der rundliche Bartträger neulich beichtete, starb mit Miramax auch ein großer Teil seiner Passion fürs Filmemachen.

Ursprünglich sah er das Eishockeydrama Hit Somebody als seine Abschiedsvorstellung vor, aber dann expandierte das Drehbuch derart, dass er einen Zweiteiler daraus machen wollte. Davon sah Smith ab, nur um Anfang Dezember zu verkünden, dass er aus dem Hockeyfilm eine TV-Miniserie gemacht hat. Welcher Sender diese ausstrahlt, soll Anfang 2013 bekannt werden.

Ist Red State somit Smiths letzter Kinofilm? Nein. Denn während Hit Somebody von der großen Leinwand auf den kleinen Bildschirm wandert, befördert Smith den für die Bühne angedachten Clerks III auf die Leinwand, die die Filmwelt bedeutet! Gegenüber Good Day LA verriet er, dass er sich vorgenommen hat, den Film 2014 zum 20-jährigen Jubiläum des Originals zu veröffentlichen und so seine Kinokarriere mit einem Kreisschluss zu beenden:

Los Angeles Local News, Weather, and Traffic

Witzig, wie Zeit die Perspektive ändert. Clerks II war nach dem Misserfolg von Jersey Girl für Smith eine sichere Sache, die fast schon einem feigen Rückzug in gewohntes Gebiet darstellte, wofür ihn einige Fans auch kritisierten. Nun aber erscheint eine Clerks-Trilogie geradezu genial: Einmal je Jahrzehnt kehrt ein redelauniger Regisseur zu seinem persönlichen Schätzchen und Startpunkt zurück, um über sein Leben und seine Karriere zu philosophieren. Es ist eine Trilogie, die einen passionierten Regieanfänger Mitte 20, einen Indie-Star mit herbem Rückschlag Mitte 30 und einen mit seiner Kinokarriere abschließenden Socialmedia-Freak Mitte 40 repräsentiert. Das Nerdtum bewegte sich in dieser Zeit ebenfalls enorm, was in der Trilogie ebenfalls ausgedrückt wird.

Also ich freu mich drauf.

Freitag, 21. Dezember 2012

11 Songs für den Weltuntergang


In Maya-Town nähern wir uns der zwölften Stunde Ortszeit am 21. Dezember 2012. Danach haben wir entweder ein neues Zeitalter oder wir sind dann alle tot oder alle unter uns, die einen Maya-Kalender in der Küche hängen haben, müssen sich dringend einen neuen Kalender kaufen.

Sollte der mittlere Fall eintreffen, so wird es Zeit, sich akustisch auf das Ende unserer Welt vorzubereiten. Denn mit Musik stirbt es sich gleich viel schöner. Hier sind 11 Lieder zum Armageddon. Auf dass wir danach noch immer andere Listen durchhören können ...

Europe: The Final Countdown


Ach, Leute! Schaut nicht so erbost drein! Diese Nummer gehört einfach dazu! Wenn das Universum ins Gras beißt, dann ist das hier der letzte Countdown!

Aerosmith: I Don't Wanna Miss a Thing


Weltuntergangsfilme sind derzeit en vogue, aber jeder, der keine hochtödliche Blockbusterallergie hat und in den 90ern aufgewachsen ist, kann sich völlig von Jerry Bruckheimers und Michael Bays wundervoll pathetischem Riesenerfolg Armageddon lösen. Große Kamerafahrten für große Gefühle, die keine Subtilität erlauben. Aber das hat schon seine Berechtigung. Wäre ich Teil eines Himmelfahrtskommandos, würde meine Gefühlswelt garantiert auch nicht leise Töne anstimmen. Die Criterion Collection gibt Bay recht und nahm Armageddon in ihre erlesenen Kreise auf. Und Aerosmith wimmert rockend das Ende herbei.

Metallica: Four Horsemen


Wieso hat eigentlich noch nie jemand aus dem Weltuntergang ein immens teures Metal-Musical gesponnen?

Slayer: Raining Blood


Wild den Kopf nickend und Bier in die Kehle schüttend ins Ende aller Enden rocken. Und an die Lautstärke eines bombastischen Weltuntergangs kann man sich mit Slayer auch gewöhnen. Praktisch.

Tom Waits: Earth Died Screaming


Tom Waits gehört irgendwie zum Weltuntergang zu. Diese Stimme, diese unwohlige, verboten charismatische Ausstrahlung ... Außerdem ist er der Teufel, wie wir dank Terry Gilliam wissen!

Frou Frou: Let Go


Wenn die Welt definitiv untergeht, was soll man dann noch kämpfen? Letztlich muss man sie dann halt einfach gehen lassen. Resignation mit einem Hauch Melancholie wäre da wohl angebracht. Das ist zwar nicht die ultimative Aussage dieses Songs, den Zach Braff in seinem genialen Regiedebüt Garden State verwendete, doch man kann ihn dazu sehr gut zweckentfremden.

Michael Kunze / Sylvester Levay: Alle Fragen sind gestellt


Das, sagen wir mal, todesromantische Bühnenmusical bietet mit seiner sehnsüchtigen Schwermut gleich mehrere ideale Begleitstücke für den Weltuntergang. Ich habe mich schlussendlich für Alle Fragen sind gestellt entschieden, erstens, weil ich dem "Eheschließung und Todesnähe"-Konzept zur Apokalypse schlichtweg nicht widerstehen konnte, zweitens, weil auf diese Liste Orgelmusik gehört und drittens, weil der so eindringliche Chorus "Wir sind die letzten einer Welt, aus der es keinen Ausweg gibt" sowie "Wir sind die letzten einer Welt, die stets an ihren Selbstmord denkt" singt. (Würde eigentlich eine Tim-Burton-Adaption von Elisabeth funktionieren?)

Carl Orff: O Fortuna


Ein von Hollywood intensiv genutzter, aber noch immer effektiver Klassiker, der ebenso gut zur Feier von etwas, wie zur bedrohlichen Annäherung einer undurchschaubaren Sache funktioniert.

Richard Wagner: Tristan und Isolde (Prelude)


Das Beste an Melancolia ist für mich zweifelsohne die die poetische Eröffnungssequenz, in der van Trier seinen ihn selbst eingrenzenden Kameraminimalismus aufgibt (kauf einer dem Mann doch mal ein Stativ, nicht alles, was auch in Hollywood genutzt wird, ist gleich Kommerz *jajaichignorierehierdensinnhinterderdogmabewegungabermalehrlichnichtjedeklugeideemussumihrerselbstwillenumgesetztwerden*) und makabere, ergreifende Bilder perfekt mit Wagner untermalt. Somit ist dieses Stück eine grausig naheliegende Wahl für den Weltuntergang, und weder der Kunstfilmer, noch seine Protagonistin würden sie somit gut heißen, aber pfeif auf diese depressiven Egomanen, ich will eine gut klingende Weltuntergangs-Songliste, basta! *genugderpolemikfürheute*


Hans Zimmer: At Wit's End


Was wäre eine meiner musikalischen Hitlisten ohne einen Beitrag aus dem akustischen Fundus der Pirates of the Caribbean-Reihe? Aber hinter dieser Wahl steckt mehr als bloßes Fandenken. Hans Zimmer steckte nicht nur viel Power in die Stücke zur wilden Piraten-Saga, insbesondere in die Musik zum dritten Film floss auch sehr viel Herzblut. At Wit's End wohnt eine Aura des Mysteriösen inne, die Komposition wird von Weltschmerz und Verlustängsten vorangetrieben, ihr Rückgrat bildet jedoch eine verletzlich-romantische Melodie, welche es nicht zulässt, dass die Hoffnung im Keim erstickt. Im eigentlichen Film begleitet dieses Stück den Großteil unserer zentralen Figuren bei ihrer verzweifelten Reise ins Nichts. Die Einsamkeit, die sie in ihrem Inneren verspüren, spiegelt sich in der eisigen, verlassenen Reiseroute wider, die sie ins garantierte, ja, nötige Verderben steuert. Ebenso perfekt würden diese acht Minuten und acht Sekunden aber auch zu einem nächtlichen Weltuntergang passen, während dem zwei Liebende eine Beziehungskrise durchleben. Ein todtrauriges Stück, das noch die Kraft hat, oben auf zu schwimmen, statt sich in die Tiefe zerren zu lassen. Damit kann die Welt eines Tages gerne ihr Ende untermalen.

Queen: The Show Must Go On


Diesen Queen-Klassiker spielt man wahlweise, sobald die ersten apokalyptischen Zeichen auftauchen oder wenn alles gelaufen ist und man wundersamerweise doch noch lebt. Das Schauspiel muss weitergehen, ganz gleich, was passiert. Eine zynische Aussage? Oder doch eine Wahrheit mit unendlichem Wert? Denn ohne Eskapismus würde die sich schon über Kleinigkeiten zerbrechende Menschheit so schnell in den Abgrund steuern, dass man vorher nicht einmal diese Songliste abarbeiten könnte.

Montag, 24. Oktober 2011

Scream 3

Nichtmal 365 Tage lagen zwischen den Kinostarts von Scream (1996) und Scream 2 (1997). Bis zum Kinostart zum Abschluss der ursprünglichen Scream-Trilogie sollte mehr Zeit vergehen: Erst im Februar 2000 fand Scream 3 den Weg in die Kinos. Fast ein Jahr zuvor, im April 1999, fand das Schulmassaker an der Columbine High School statt und änderte vorrübergehend die Empfindlichkeit gegenüber Mediengewalt. Konnten Scream 1 und 2 noch halb scherzend über vermeintlich medieninduzierte Gewalttaten sprechen, nahm man nach Columbine in den USA Distanz von ausufernder Gewalt in Filmen.

Blickt man heute zurück, wissen wir, dass es mit etwas Abstand zu Columbine in Sachen Mediengewalt nur deutlich härter wurde, Folter-Horror und mit CGI-Verstümmelungen gefüllte Remakes ziehen die Schockschraube noch viel mehr an, als es die ersten Scream-Filme taten. Aber im Frühjahr 1999, zum geplanten Produktionsbeginn von Scream 3, schien es zunächst unmöglich, wie gewohnt fortzufahren. Erst recht nicht mit der ursprünglich von Autor Kevin Williamson geplanten Handlung. Die Produzenten forderten einen neuen Ansatz, und da Williamson zudem mit anderen Projekten ausgelastet war, wandte man sich stattdessen an Ehren Kruger, der im Juli 1999 mit Arlington Road einen respektablen Erfolg feierte.

Für viele ist Scream 3 ein gewaltiger Bruch in der Scream-Reihe. Definitiv zeigen sich die turbulenten Produktionshintergründe auch im fertigen Film. Wie genau lässt sich nicht ohne Spoiler zu Scream 1 & 2 erläutern. Aber das erklärt sich ja von selbst.


Kevin Williamson wollte ursprünglich, dass Sidney in Scream 3 nach Woodsboro zurückkehrt. Dort sollte eine neue Mordserie vom Zaun brechen, deren Ursprung, wie sich herausstellen sollte, auch im Anfang der Filmreihe liegt: Killer Stu überlebte Scream und leitet als kriminelles Mastermind vom Gefängnis aus einen mörderischen Protégé. Aufgrund des Columbine Attentat lehnte man allerdings diesen Gewaltexzess, noch dazu vor einem Kleinstadt-Hintergrund, ab und ersetzte ihn durch einen weniger brutalen Trilogie-Abschluss, der weitestgehend auf seine Horror-Wurzeln verzichtet. Wie zwei schusselige Polizisten anmerken, erinnert der in Hollywood spielende Fall von Scream 3 eher an "Polizisten jagen einen Serienmörder"-Filme wie Se7en, bloß weitaus weniger grafisch...

Seit der in Scream 2 geschilderten Ereignisse stiegen sowohl Gale Weathers, als auch Cotton Weary zu bekannten Talkshowmoderatoren auf, wobei insbesondere letzterer mit seiner Sendung 100% Cotton (muhahaha) äußerst kontrovers aufgenommen wird. Eines Abends wird Cotton während seiner Heimfahrt von einem vermeintlichen Fan angerufen - aber schnell stellt sich heraus, dass es ein in seinem Haus lauernder Killer ist, der Informationen über Sidneys neuen Wohnsitz erpressen will. Cotton hält dicht - und zahlt mit seinem Leben.

Sidney lebt mittlerweile von der Außenwelt abgeschieden auf einem mehrfach abgesicherten Landhaus, wo sie unter dem Decknamen Laura als Telefonseelsorgerin für Frauen in Not tätig ist. Als sie davon erfährt, dass die Darsteller von Stab 3 nach und nach einer Mordserie zum Opfer fallen, vereint sie sich mit ihren letzten Vertrauten, den mittlerweile zerstrittenen Dewey und Gale, um bei den Ermittlungen gegen den Täter zu helfen. Will jemand die Karriere des Regisseurs sabotieren? Ist es ein menschenverachtender Publictiy-Stunt? Oder hat der Täter etwas mit dem Mord an Sidneys Mutter zu tun, welche ihrer traumatisierten Tochter neuerdings wiederholt erscheint?


Oh Leute, oh Leute, wo fange ich nur an? Mh, am besten mit dem Tod von Cotton Weary: Was für ein verschenkter Moment. Würde er ähnlich wie Randy gen Mitte des Films sterben, wäre es vielleicht ein Schock. Eine mehrdimensionale, charismatische und dennoch einschüchternde Figur direkt im Intro zu verbraten, hat natürlich etwas von einem Konventionsbruch, dessen erschütternde Wirkung wird allerdings absolut verschenkt. Wenn der Betrachter zu Beginn des Films Cotton wiedertrifft, ist er ein gänzlich anderer Mensch, als noch in Scream 2. Als wohlhabender, beliebter, wenngleich umstrittener Talkshow-Moderator mit gänzlich neuen Charakterzügen könnte es auch eine völlig andere Figur sein. Nur der Name und Darsteller Liev Schreiber erinnern uns daran, dass dies Cotton ist. Eine solche Charakterumkrempelei kann wirksam sein, würde man etwa beleuchten, wie er sich veränderte und dem Zuschauer wieder Zeit geben, sich an den "neuen" Cotton zu binden, so hingegen fällt Cottons Tod völlig flach. Selbst als nur indirekt mit dem Film verbundener, erster Mord in einer ganzen Serie (analog zum Intro von Scream 1 & 2) ist diese Sequenz nur ein schwacher Schatten der ersten Teile. Durch den Trieb "größer, schneller, weiter" zu sein, wird das Auflauern des Killers in Cottons Haus mit Zwischenschnitten zu behäbigen Auto-Stunts gestreckt, so dass keine beklemmende Stimmung aufgebaut wird. Die eigentliche Tat ist dann auch in Sekundenschnelle vorbei - von der Gewalteskalation in Scream oder der Zynik aus Scream 2 ist nichts zu spüren.

Dies ist nicht allein die Schuld der nach Columbine (kurzzeitig) weich gewordenen Miramax Studios, sondern auch des neu dazugezogenen Autors Ehren Kruger. Kruger gesteht selbst, dass er kein wirkliches Gefühl für die Scream-Figuren entwickeln konnte, er etwa Sidney in manchen Entwürfen zu einer viel zu taffen Powerfrau umgestaltete, und ihn Regisseur Wes Craven regelmäßig auf den rechten Pfad leiten musste. Nun kann ein Wes Craven sich ja auch nicht um alles kümmern, und das merkt man Scream 3 überdeutlich an. Keine der wiederkehrenden Figuren ist sich hundertprozentig treu geblieben, alle fühlen sich leicht "falsch" an. Am besten steht ganz klar Sidney da. Und das muss man vor allem Neve Campbell zu gute halten, deren Schauspiel, meiner Meinung nach, um ein Vielfaches besser geworden ist. In Scream 3 ist ihre Furcht viel deutlicher und lebensnaher, ihre aufkeimende Hoffnung, ihre Verzweiflung... all das bringt Campbell richtig gut zur Geltung. Schade nur, dass sie ihre beste Leistung der Trilogie im schlechtesten Teil abgeben muss...

Der neue Cast wiederum ist erschreckend farblos. Keine der neuen Figuren hat nennenswerte, sie vom Rest abhebende Charakterzüge, und stellenweise wird der Zuschauer über das vermeintliche Wesen einer Figur informiert, ohne dass sich dies daraufhin auch nur ansatzweise zeigt. So wird ein selbstironischer Gag darüber gemacht, dass Deon Richmonds Figur Tyson Fox in Stab 3 einen billigen Ersatz für eine bereits bekannte Figur spielt (er verteidigt sich, es sei viel eher eine "Hommage") - aber ohne diesen Wink käme niemand darauf, dass die Scream 3-Figur Tyson Fox auch nur eine der beiden Funktionen erfüllt. Patrick Dempsey wiederum weiß überhaupt nicht, wie er seinen Polizisten anlegen soll. Nett, bedrohlich, verräterisch schleimig, dümmlich... er probiert in jeder seiner Szenen einfach sämtliche Möglichkeiten durch, hoffend, dass irgendwas hängen bleibt und aufgeht. Eine vergebliche Hoffnung.


Auch die Meta-Ebene sowie der Humor von Scream 3 fühlen sich für mich nicht mehr korrekt an. Auf der einen Seite gibt es in Scream 3 weniger ausgewachsene, richtige Lacher. Gleichzeitig ist der groß angekündigte Trilogie-Abschluss von der Gesamtstimmung her lockerer, flockiger, komödienhafter. Nur halt ohne die so essentiellen Pointen. Die Art des Meta-Humors verstärkt diese Wirkung: Er ist nicht mehr so bissig, wie in Scream 1 & 2, und zugleich ist er längst nicht mehr so real. In den Vorgängern gab es überzeichnetere Momente, doch generell sprachen die Filmfiguren über Horrorstreifen, wie es echte Menschen tun. Scream 3 versucht sich zu sehr als Kommentar über das Medium, die Seitenhiebe auf Klischees und Medienrezeption sind schlicht konstruiert. Selbst Randys Videobotschaft, die von Jamie Kennedy mit Charisma, Leben und gesunder Ironie rübergebracht wird, ist ein behäbig in die Handlung geklopptes Element, das sämtliche Authentizität verloren hat und eher wie eine vom Drehbuchautor in die Welt seiner naiven Figuren platziert wurde.

Da Scream 3 die Bodenhaftung eh schon verlor, wäre es wohl am klügsten gewesen, richtig in die Vollen zu gehen. So taucht, für nur eine einzige Szene, Randys uns bislang völlig unbekannte Schwester auf. Unsere Filmhelden kennen sie dagegen schon seit langem und freuen sich, sie wiederzusehen. Das hätte man sehr clever nutzen können um die Filmhandlung besser aufzubereiten, außerdem wäre es nur zu angebracht, sich auch ausgiebig über diesen klassischen Autorenkniff zu mokieren. Stattdessen kommt sie, übergibt ein Video und geht ins Nirgendwo. Oh, und während der Gastauftritt von Jay & Silent Bob für andere lachhaft ist, finde ich die Idee an sich nett. Bloß wird nichts aus ihr gemacht. Ein Fehler, den Scream 3 recht häufig macht...

Trotzdem gibt es in Scream 3 wenigstens ein paar Meta-Kommentare, die durchaus sitzen. Die Darsteller von Stab 3 ärgern sich beispielsweise darüber, dass man aus Angst vor Internet-Leaking gleich drei versionen des Skripts erhielt - ganz so, wie bei Scream 3, bei dem man wegen des Lecks während der Produktion von Scream 2 besonders vorsichtig vorging. Und sowohl Teil 2, als auch Teil 3 wurden mehrfach umgeschrieben, was auch die Stab 3-Darsteller erdulden müssen. Sehr schön ist auch der Satz, Popkultur sei die Politik des 21. Jahrhunderts - durchaus wahre Worte, die in Scream 3 leider kein Stück weit mehr verfolgt werden.
Dafür liebe ich Sidneys gefrusteten Aufschrei, dass Psychopathen aufhören sollten, dauernd ihre Eltern oder die Medien für ihre Taten zu beschuldigen - sie töten, weil sie wollen, und sollten gefälligst anfangen, sich selbst dafür verantwortlich zu machen. Ein schöner Schlusspunkt für das heimliche, wiederkehrende Thema der Scream-Serie.


Was mich ebenfalls an Scream 3 stört, wobei das eher ins Feld der persönlichen Preferenzen rückt und nicht schon an und für sich ein großer Makel ist, ist das Neuschreiben der Vergangenheit Sidneys. Die Umstände des Mords an Sidneys Mutter waren bereits den handelnden Figuren und dem Zuschauer bekannt - es gab keine Ungereimtheiten, welche Scream 3 für eine eigene Geschichte ausnutzen konnte. Dass der Fall in Scream 3 neu aufgerollt und umgeschrieben wird, ist entweder ein unerwarteter Twist oder an den Haaren herbeigezogener Bullshit, der auf keinerlei zuvor etablierter Grundlage fußt. Je nach persönlichem Anspruch, den man an Plottwists stellt.

Aber nicht allein das Drehbuch, sondern auch die Inszenierung ist schwächer, als in den ersten Scream-Filmen. Wes Craven war wohl sehr frustriert, dass die Weinsteins einen blutleeren Scream-Film haben wollten, und dass Craven dennoch erneut Rangeleien mit der MPAA hatte, verärgerte den Regisseur nochmehr. Und dabei war er eh schon unmotiviert: Er willigte zu diesem Zeitpunkt nur ein, Scream 3 zu drehen, wenn Dimension Films danach sein Wunschprojekt (ein Musikdrama) unterstützt.
In einer Szene läuft Craven fast wieder zur alten Form auf: Sidney stolpert auf das Woodsboro-Set in den Studios, wo Stab 3 gedreht wird. Dort werden ihr die traumatischen Ereignisse aus Scream wieder vor Augen geführt, und auch wenn dieses Aufeinandertreffen von Kunstwelt und Vergangenheit nicht ganz so schaurig umgesetzt wird, wie es könnte, so hat diese Sequenz eine unwohle (und dadurch für den Betrachter auch coole) Eigenart an sich, die sie vom Rest des Films abhebt. Ansonsten ist Scream 3 zu einem dieser beliebigen, ideenlosen Horrorfilme geworden, den man zuvor noch angriff: Hollywood-Gesetze der Pysik, billige Schreckeffekte, feige "Es war nur ein Traum!"-Momente, sich idiotisch verhaltende Figuren und eine effekthascherische Auflösung, die aber auch durch jedwedes anderes Killer-Motiv ersetzt werden könnte. Am eigentlichen Film ändere sich nichts.

Um somit also zum Schluss zu kommen: Scream 3 ist langweilig, voller Logik- und Charakterisierungslücken und kurz davor, eine Beleidigung gegenüber Scream 1 & 2 zu sein. Dass dies abgewendet werden konnte, ist der Verdienst einer großartig agierenden Neve Campbell, kleinerer gelungener Meta-Gags (sowie einer Verwendung eines Eispickels, was ein sehr leiser, deshalb genialer Rückgriff auf einen Joke aus Scream ist) und der überdurschschnittlichen Verfolgungsjagd durch das Woodsboro-Set. Ansonsten ist es ein Horrorfilm ohne Schrecken, eine Komödie, die auf Witze verzichtet, und ein Abrutschen der intelligent mit Klischees spielenden Scream-Reihe in eine simple Aneinanderreihung von Klischees.

Siehe auch:

Donnerstag, 20. Oktober 2011

Scream 2

Die Weinstein-Brüder wählten für Scream einen Kinostart am 20. Dezember 1996. Ein ungewöhnlicher Termin, läuft zum Weihnachtsgeschäft üblicherweise eher Familienware an. Die Taktik der Köpfe hinter den kultigen Miramax-Studios war, dass sich Genrefans in Zeiten des Thrill-Hungers auf Wes Cravens Teenager-Schlitzer mit der guten Dosis Selbstironie und "Whodunit?"-Krimi stürzen werden. Am ersten Kinowochenende sah es so aus, als hätten sich die Weinsteins verzockt, aber die sensationelle Mund-zu-Mund-Propaganda resultierte letztlich in einen Rekordumsatz von 103 Millionen Dollar allein in den USA. Bis heute erreichte kein Slasher höhere kommerzielle Weihen. Auch die Filmkritiker feierten Scream, und so wurde im Eilverfahren die Produktion von Scream 2 in die Wege geleitet. Im März 1997 erfolgte der Startschuss für Scream Again, Scream Louder, Scream: The Sequel Scream 2 und bereits am 12. Dezember 1997 startete die Fortsetzung in den USA.

In einer Sequenz des Horror-Thrillers diskutieren Studenten eines Filmseminars über die Natur von Fortsetzungen. "Fortsetzungen sind scheiße, von Haus aus minderwertige Filme", brüllt einer von ihnen aus, insbesondere das Horror-Genre sei durch sie zu Boden gegangen. Einige seiner Kommilitonen reagieren erbost und halten mit ihren Lieblings-Fortsetzungen dagegen. Welche Rolle Scream 2 in einer realen Diskussion zu diesem Thema spielt?
 Ich bemühe mich, eine Antwort zu finden. Unvermeidlicherweise mit Spoilern zu Scream - nur wen juckt das heute noch?


Knapp zwei Jahre nach der Mordserie in Woodsboro startet der Metzelfilm Stab in den Kinos, basierend auf der literarischen Nacherzählung des Blutbads aus der Sicht der Reporterin Gale Weathers. Während einer Vorpremiere mit überaus enthusiastischem Publikum werden zwei College-Studenten von jemandem in Ghostface-Montur abgeschlachtet. Diese Schreckensnachricht wird in den Medien heftig diskutiert, manche Journalisten empfehlen, die Veröffentlichung von Stab aufzuhalten - und alle mutmaßen über die Identität des Killers. Ahmt ein bislang unbekannter Psychopath die in Stab geschilderten Grauetaten nach, oder hat Sidney in ihrem Bekanntenkreis eine weitere blutgierige Person?

Sidney besucht übrigens mittlerweile das College und versucht, eine harmlose, langweilige Existenz aufzubauen. Das erweist sich als nicht sonderlich einfach, wird sie in Erwartung von Stab von zahlreichen anonymen Anrufern belästigt. Ihr Bekannter Randy, ebenfalls Überlebener des Massakers während der Landhausparty, nimmt die Sache lockerer. Als Filmfreak besucht er Seminare zur Filmtheorie und debattiert wie selbstverständlich über Horrorfilme und ihre seiner Meinung nach nicht vorhandenen Auswirkungen auf die Bevölkerung. Und dennoch: Als er von den jüngsten Morden hört, argumentiert er im reinen Film-Fachjargon. "Jemand will eine Fortsetzung von Stab, und die muss blutiger aufallen" - so seine sinngemäße Analyse. Die jüngsten Vorgänge in Sidneys Leben rufen auch Gale Weathers wieder auf den Plan, welche als Bestseller-Autorin und Augenzeugin eines Gemetzels jedoch mittlerweile ebenfalls von Journalisten umlagert wird. Und trotz seiner am Schreckensabend auf dem Landhaus zugezogenen Behinderung will auch Dewey den Morden auf den Grund gehen. Schnell stellen er und Sidney eine Theorie auf: Ist womöglich Sidneys neuer Partner Derek der Täter?


Wir alle haben wohl schonmal darüber diskutiert, und so auch die Figuren aus Scream 2: Fortsetzungen sind davon besessen, das Original in allen Punkten zu überbieten - und sind womöglich auch deshalb die von Natur aus schwächeren Filme. Mit so einer Steilvorlage konnten die Kino-Kritiken zu Scream 2 unmöglich um dieses Thema herum. Der generelle Konsens lautete, dass Scream 2 der ersten Hälfte der zitierten Regel gehorcht: Mehr Opfer, mehr Blut, ausgefeiltere und brutalere Morde. Scream 2 hat in einer Zeit nach zahlreichen Scream-Kopien und erst recht seit Saw längst nichts schockierendes zu bieten, geht aber zuweilen bizarre und auch effekthaschende Wege, die Scream noch vermied. Löblicherweise ohne dabei ein viel zitierbares Folter-Gimmick über Suspense zu stellen.
Die zeitgenössischen, und auch sehr viele rückblickende Kritiken, sind sich außerdem einig, dass Scream 2 nicht nur mehr Thrill, sondern auch viel mehr Humor zu bieten hat. Bloß das Duell mit Teil 1 verlief uneinig. Grottig fand den Nachfolger kaum jemand, aber ob er knapp über oder knapp unter Scream anzusiedeln ist..?

Nun - hinsichtlich des Humors kann ich mich der vorherrschenden Meinung nicht guten Gewissens anschließen. Ich würde in Sachen Witz beide Teile auf die selbe Stufe stellen - um Scream zu toppen mangelt es der Fortsetzung einer solch schrillen Todesszene wie Rose McGowans in Teil 1, wo Ghostface mit Bierflaschen attackiert und von einer Kühlschranktür niedergeschlagen wird. Aber im Bereich des Meta-Kommentars zieht Scream 2 recht deutlich am Vorgänger vorbei. Schon das Intro mit einigen der anstrengendsten Kinobesucher der Weltgeschichte (ehrlich, wer benimmt sich so im Kino?) hängt die Messlatte wesentlich höher. War Scream im direkten Vergleich temporär eine Horror-Parodie, ist Scream 2 fast schon eine Mediensatire. Zu meinem Bedauern wird dieses Element von Scream 2 nicht so weit getrieben, wie es möglich wäre.Gerne hätte ich zum Beispiel mehr vom Film-im-Film gesehen, der größtenteils von Robert Rodriguez gedreht wurde. Trotzdem bin ich sehr erfreut über diesen feschen satirischen Ansatz.

Kurioserweise empfinde ich den Meta-Kommentar in Scream 2, obwohl er raumfüllender und den Gesamteindruck des Films prägender ist, weniger "aufdringlich" - er ist homogener in die eigentliche Geschichte und Dialoge eingearbeitet, weshalb er in Scream 2 sicherlich auch Leuten gefallen dürfte, die in Scream davon genervt waren (soll's ja geben).


Einer meiner größeren Kritikpunkte an Scream sind ja die in Kritiken aus Zeiten der Kino-Erstveröffentlichung vollkommen überbewerteten Schauspielleistungen der meisten Jungdarsteller. Diesen Makel konnten die wiederkehrenden Besetzungsmitglieder von Scream in der Fortsetzung ausbügeln. Neve Campbells Emotionen wirken für mich die meiste Laufzeit des Films weiterhin unecht, doch in den humoristischeren Sequenzen hat sich ihr Timing meiner Meinung nach deutlich verbessert (etwa in der ersten Szene nach dem Intro während der wilden Stab-Vorpremiere) und der Nervenzusammenbruch, als Sidney auf der Theaterbühne Cassandra spielt, ist ihr sehr gut gelungen - diese Szene schlägt wirklich ein. Auch ihr Zusammenspiel mit bereits aus Scream bekannten Gesichtern ist viel routinierter und längst nicht mehr so hölzern. Die restlichen Scream-Veteranen haben sich in meinen Augen noch stärker verbessert: Courtney Cox' Reporterin fällt für den heutigen Betrachter des Films aus dem engen Schema der herrischen 90er-Jahre-Journalistin heraus und ist sowohl lustiger, als auch charakterlich besser ausgearbeitet, so dass ihre zärtlicheren Momente mit David Arquette sowie ihre Angstgefühle sehr viel glaubwürdiger sind. Arquettes Dewey gehen die ungewollt komischen Facetten abhanden, weshalb eine viel engere Bindung zu dieser charismatischen Figur ermöglicht wird. Und der Quoten-Filmfreak schafft es auch plötzlich, irgendwie zwischen seiner Meta-Sprüche auch eine Beziehung zu den anderen Figuren aufzubauen und als "echte" Figur aufzutreten.

Das alles sorgt dafür, dass ich als Betrachter in Scream 2 noch stärker um die Hauptfiguren bange - und das macht gute Horrorfilme aus. Ich zumindest mag die Art Slasher nicht, in denen ich aufgrund der miesen Teenager-Figuren nur drauf warte, dass sie abgemetzelt werden. Das sind keine Horrorfilme, sondern zumeist ungewollte, makabre Komödien.

Die Neuzugänge im Ensemble glänzen leider weniger: Die Kerngruppe an Figuren ist zwar längst nicht so knallig, wie jene aus Scream, und erntet somit rückblickend weniger unfreiwillige Schmunzler. Jedoch sind Sidneys neuer Freund Derek (Jerry O'Connell) und die restliche Clique sterbenslangweilige Personen die keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Dazu zählt auch Sarah Michelle Gellars Figur, die jedoch durch das Charisma der hier sichtlich gut aufgelegten Darstellerin wenigstens ein paar kleinere Pluspunkte sammeln kann.
Einzig Liev Schreiber, der nach einem Winzauftritt in Scream nun eine gewichtigere Rolle spielen darf, ist unter allen Neuzugängen fähig, seine Figur mit mehreren Charakterzügen auszustatten. Als Cotton Weary, der von Sidney fälschlicherweise für den Mord an ihrer Mutter beschuldigt wurde, ist er einschüchternd und gewitzt, zieht gleichermaßen Verdächtigungen, wie vorsichtiges Mitleid an. Das Drehbuch nutzt ihn leider nur etwas zu wenig.

Unter anderem weil mehr Zeit in die Interaktion wichtiger Figuren verwendet wird, aber auch schlicht von der Dramaturgie her, hat Scream 2 auch einen noch stärker definierten "Whodunit?"-Charakter. Soll heißen: Mehr noch als in Scream ist eines der leitenden Elemente des Films die Suche nach der Identität nach dem Täter. Das Mutmaßen macht mehr Spaß, als noch bei Scream, und mittels toller Kernmomente wie einesüber den gesamtem Campus führenden, hitzigen Telefongesprächs mit dem Killer werden auch viel mehr packende, intelligent geschriebene Sequenzen geboten, in denen es schlicht um die Identität Ghostfaces geht - und nicht darum, ob und wie er sein nächstes Opfer erwischt.

Die Auflösung jedoch ist, wenngleich plausibel, längst nicht so pervertiert-konsequent wie jene in Scream. Lässt sich Scream daraufhin nochmal in völlig neuem Licht sehen, ändert sich für Scream 2 durch die Kenntnis seines letzten Akts eigentlich nichts. Die Lösung kommt zwar beim ersten Ansehen recht unerwartet, doch sie hat kein derartiges dramatisches Gewicht wie die des Originals. Die Motivsuche gerät durch das aufgesetzte Changieren der im Finale anwesenden Darsteller für meinen Geschmack letztlich sogar zu karikaturenhaft - und das will in der Scream-Reihe schon was heißen.


Um aber wieder zur großen Leitfrage zurückzukehren: Ist Scream 2 schlechter als sein Vorgänger? Nun... ich weiß es nicht! Während Scream auch ohne Fortsetzungen stehen kann, benötigt Scream 2 zur vollen Wirkung seinen Vorläufer - jedoch wachsen einem dank besserer Schauspielleistungen und besseren Charaktermomenten die Protagonisten näher ans Herz. Die Mordsequenzen sind elaborierter, härter und zum Großteil spannender. Das nächtliche Katz-und-Maus-Spiel innerhalb des Unigebäudes macht findigen Gebrauch von den Möglichkeiten des Schauplatzes - es könnte nicht so gut als meisterlicher Kurzfilm alleine für sich stehen, wie das Intro von Scream, doch als Herzstück des Films ist es enorm effektiv und stellt zahlreiche andere Slasher in den Schatten.

Dramaturgisch eskaliert Scream 2 nicht so sehr wie Teil 1, die Schraube wird nicht so fest gedreht. Das liegt auch schon allein daran, dass das Finale von Scream beinahe ein eigener Film ist, so dass natürlich viel mehr Raum in dieser einzelnen Szene steckt, um den Zuschauer zu packen. In Scream 2 sind die Einzelteile besser voneinander zu trennen, allerdings gibt es von einer saudämlichen Gesangssequenz (nein, es ist keine Musicaleinlage, jemand macht sich nur grundlos zum Affen) abgesehen auch viel weniger Ausrutscher, als in Scream. Scream 2 ist also kein so genial ausgetüfteltes, großes Ganzes - dafür aber qualitativ ausgewogener und in sich stimmiger. So paradox es aufgrund meiner Klage, er zerfalle eher in seine Einzelszenen, auch klingen mag.

Scream 1 und 2 spielen deshalb für mich in der selben Liga. Das Original ist ein Horror-Phänomen, das sich selbstständig gemacht hat, ein Nerven aufreibender Horror-Thriller mit parodistischen Elementen. Scream 2 ist weniger ikonisch, aber hat mehr Emotion (sowohl Thrill, als auch Sorge um die Figuren), den größeren Schock-Faktor und einen reizvollen mediensatirischen Charakter - hat aber ein weniger wirkungsvolles Ende. Scream 1 oder Scream 2 - es ist wohl davon abhängig, in welcher Stimmung man ist.

Tja - und dann kam Scream 3. Für viele Fans das schwarze Schaf der Reihe...

Siehe auch:

Montag, 17. Oktober 2011

Scream

In den vergangenen Jahren habe ich stets versucht, einen halbwegs Halloween-thematischen Post am 31. Oktober zu veröffentlichen. Irgendwie ist mir das aber rückblickend zu wenig, weshalb ich dieses Jahr die zweite Oktober-Hälfte mit mehreren Grusel-, Monster- und/oder Horror-Beiträgen schmücken möchte. Und das zentrale Motiv dieser inoffiziellen Themenwochen bietet sich mir praktisch von alleine an: Vor wenigen Monaten kam Scream 4 in die Kinos, den ich jedoch versäumte. Ich versprach, dafür eine Retrospektive zu machen. Und da der DVD-Start von Scream 4 so schön praktisch kurz vor Halloween liegt, werde ich die Tage bis dahin damit verbringen, mir nach längerer Zeit wieder die ersten Scream-Filme anzusehen! Und ihr dürft euch Stück für Stück die daraus resultierenden Filmkritiken ansehen. Zum Sterben schön, nicht wahr?


Im Städtchen Woodsboro werden eine Jugendliche und ihr Freund brutal ermordet. Unter den Bürgern herrscht Betroffenheit, sie haben Angst... und einige von ihnen machen sich über den Mord lustig. Gerade unter den sich profilierenden, pubertierenden Buben auf der High School gibt es so manches Exemplar, dass die Tat zum Anlass für morbide Witze und Horrorfilm-Marathonsitzungen nehmen. Die Schülerin Sidney (Neve Campbell... ja, wir kommen darauf noch zu sprechen...) kann über die Scherzchen gar nicht lachen, war ihre Mutter doch Opfer eines blutigen Verbrechens. Als sie kurz nach dem Tod ihrer Mitschülerin vom maskierten Killer attackiert wird, halten sie viele ihrer Altersgenossen für eine psychotische, aufmerksamkeitsgeile Spinnerin. Nur einige ihrer Freunde halten zu ihr. Doch während die Polizei im Dunkeln tappt, erreicht die Mordserie auch Sidneys Freundeskreis...

Die Geschichte von Scream ist es nicht, die den gleichzeitig als Genre-Wiederbelebung (das Scary Movie betitelte Original-Drehbuch enthielt einen Ausblick auf Teil 2 und 3) und Genre-Zerstückelung (es sollte der Paukenschlag sein, der das ideenlos gewordene Konzept Teen-Horrorfilme zum Einsturz bringt) gedachten Horror-Thriller zu einem Meilenstein der jüngeren Filmgeschichte machte. Eine Stadt, eine Reihe von Morden durch einen maskierten Killer, viele Teenager, fertig ist der Schrecken.

Was jedoch das Drehbuch des Horrorliebhabers Kevin Williamson zu etwas besonderem macht, und von Regisseur Wes Craven meisterlich in Szene gesetzt wurde, ist der seinerzeit unvergleichliche Spagat zwischen den beiden Gesichtern von Scream. Ich selbst bin ja ein kleiner Liebhaber von Filmen, denen es gelingt, die Tradition, in der sie stehen, sowohl zu parodieren, als auch zu glorifizieren. Die Coen-Brüder sind spitze darin (vor allem Fargo, No Country for Old Men als auch Burn After Reading scheinen eigentlich kaum einen anderen Zweck zu erfüllen), Crank und in noch größerer Intensität Crank 2: High Voltage verprügeln und liebkosen die Essenz des hirnlosen Actionfilms. Und Scream? Scream ist exakt zu gleichen Teilen Nerven aufreibender Horrorfilm, wie Lachmuskeln verkaternde Parodie. Tatsächlich verweigerte die US-Freigabebehörde MPAA Scream selbst nach mehreren Schnitten weiterhin ein R-Rating, woraufhin der ausführende Produzent Bob Weinstein den Verantwortlichen, sie verstünden den Film falsch. Es sei kein Horrorfilm, sondern eine Komödie - und Scream erhielt ohne weitere Eingriffe die begehrte Jugendfreigabe. Heutzutage würde die MPAA wohl kaum etwas an Scream zu beanstanden haben, ebenso wie die ungeschnittene Fassung in Deutschland ja mittlerweile auch vom Index genommen wurde. Im Fahrwasser dieses Films kamen halt sehr viel härtere Sachen raus, die die Sehgewohnheiten änderten.

Ich selbst habe ja die letzten paar Jahre mehrfach die Scary Movie-Reihe gesehen (ja, es ist eine Tradition, auf die ich nicht sonderlich stolz bin), während meine Erinnerung an Scream langsam erblasste. Ihn jetzt wieder zu sehen, war zwischenzeitlich ein äußerst bizarres Erlebnis, mehrmals war ich erstaunt, dass die gerade ablaufende Szene tatsächlich in Scream geschieht, und ich nicht plötzlich zum ersten Scary Movie gewechselt habe. Da wirft eine zarte, blonde Rose McGowan den Maskenmörder mit Bierflaschen, da brüllt jemand während eines Halloween-Videoabends den Fernseher an, die dumme Trulla im Film solle sich doch umdrehen (unterdessen schleicht der echte Killer am Geschehen vorbei), und, und, und...
Meine liebste Szene ist ein leicht übersehenes Detail in einer vor Meta-Humor berstenden Sequenz in der aufgrund der Nachfrage nach Horrorfilmen überlasteten Videothek: Der filmbesessene Videothekar streitet mit einem Bekannten über Sinn und Unsinn der Motivfrage bei Serienmorden. Seine lauthals und felsenfest überzeugt verkündete Ansicht: "Es gibt immer einen Grund, seine Freundin töten zu wollen!" Außerhalb des Fokus der Kamera starrt ihn daraufhin eine Statistin ungläubig an und verlässt kopfschüttelnd das Bild. Köstlich!

Ja, Scream spricht Klischees an, spielt mit ihnen, feiert sie, verballhornt sie. Scream ist ein Produkt der modernen, mediensüchtigeren Welt. Die Figuren in Scream agieren nicht so, als gäbe es in ihrer Welt keine Horrorfilme. Nein, sie haben sie angesprochen. Auf dem High School Gelände vergleichen schockierte sowie zynisch amüsierte Schüler die schrecklichen Morde mit ihren Lieblings-Horrorfilmen. Das ist auf einer Meta-Ebene sehr witzig - wenn man dieses Stilmittel (so wie ich) mag. Doch was Kevin Williamson und Wes Craven gelang, woran so viele ihrer Nachahmer scheiterten: Sie nutzen es auch, um Scream spannender und unbehaglicher zu machen. Sieht man sich heutzutage ältere Serienmörder-Filme an, lästert man schnell über das unlogische Verhalten der Opfer in ihnen. Die Figuren in Scream tun es uns gleich - dadurch siedeln Craven und Williamson ihren Horror-Thriller in unserer Welt an. Er rückt somit näher an den gebannten Betrachter. Schon paradox, ist der Bruch mit der Fiktion doch ein distanzierendes Stilmittel.


Aus exakt diesem Grund stört mich jedoch heute das High-School-Geschehen deutlich mehr, als noch anno dazumal. In den ersten Akten mutet Scream szenenweise nicht nur wie eine von echtem Horror unterbrochene, gute Horror-Persiflage an, sondern auch wie eine unterdurchschnittliche Karikatur von High-School-Komödien. Die zahllosen Komplimente, die das junge Ensemble von Scream in zeitgenössischen Kritiken erhielt, kann ich kaum nachvollziehen, da die meisten der Jungdarsteller entweder völlig übertreiben, oder hölzern in der Gegend rumstacksen. Allen voran Matthew Lillard schneidet als der dümmliche Teenager Stuart lächerliche Grimassen und hüpft herum, als müsse er mal ganz dringend auf's Örtchen. Ich kann die wenigsten seiner Szenen unkommentiert hinnehmen. Sein Kumpel Billy hingegen, Sidneys nicht zum Schuss kommender fester Freund, wird von Skeet Ulrich ganz rund gespielt. Er hat glaubwürdige Anflüge eines High-School-Schnösels, bringt aber auch menschlichere, weniger eingebildete Seiten problemlos rüber. Bei ihm ist es bloß der Zahn der Zeit, der an ihm nagt: Mit seiner gegelten Frisur und den eng geschnittenen T-Shirts sieht er so albern nach den 90er-Jahren aus... Gleiches gilt für Cortney Cox als taffe Reporterin. Rein vom Schauspiel her betrachtet, gibt sie eine quotengeile Boulevardjournalistin mit kurzen Phasen der Selbstreflexion und -zweifel. Sie ist eine witzige, dennoch ernstzunehmende Figur. Nur die Aufmachung erinnert viel zu sehr an reine Witzfiguren, die im Fahrwasser von Scream aufkamen.

David Arquette als junger Polizist macht seine Sache gut, er ist ein toller Sympathieträger, aber das Drehbuch hat ihm ein paar sehr unfreiwillig komische Momente gegeben, die für Scary Movie natürlich ein gefundenes Fressen waren. Rose McGowan wiederum spielt hauptsächlich das Püppchen, wenn sie aber zwischendurch intensivere Emotionen spielen darf oder für Witz sorgt, überrascht sie mit guter Leistung. Hauptdarstellerin Neve Campbell dagegen finde ich völlig überbewertet. Sie zieht Scream nicht gerade herunter, trotzdem kann sie die in ihrer Figur brodelnden Gefühle, meiner Ansicht nach, nicht angemessen zum Ausdruck bringen. Bei ihr sieht mir irgendwie nahezu jede Regung gleich aus.


Am besten gealtert ist zweifelsohne die ausführliche erste Szene mit Drew Barrymore, die als erstes dem Ghostface-Killer begegnet. Für mich ist diese Sequenz eine Glanzleistung des spannenden, Nerven aufreibenden Horrors, der man aufgrund der genialen Regieführung Wes Cravens und des intensiven, und dennoch unaufdringlichen Spiels von Barrymore eine eigene, ausführliche Analyse widmen könnte. Die Sequenz ist sehr ruhig, baut konstant Spannung auf und eskaliert in ein rasantes Finale, das in Erinnerung bleibt. Faszinierend finde ich auch, wie durch subtilen Einsatz von Stilmitteln wie dem Dutch Angle (einer schiefen Kameraeinstellung) und abgekrümmten, fast schon an den Fischaugen-Effekt erinnernden Linsen eine Unbehaglichkeit erzeugt wird, ohne die Szene unwirklich zu gestalten.

Das Intro rechtfertigt fast schon im Alleingang den Rang, den sich Scream in der Filmgeschichte erarbeitet hat, doch auch das 42-minütige Finale während einer Landhaus-Party ist große Klasse. Es ist kaum zu glauben, wie lang die berüchtigte Szene 118 dauert, passiert doch so viel, und ist sie dennoch so kurzweilig. Thrill, Atmosphäre und Spaß gehen Hand in Hand, und von wenigen Momenten abgesehen, wo ich den Scream-Figuren gleich denke "als ob das niemand merken würde", gewinnen auch die jugendlichen Figuren hier an Dimension und Wirkungskraft. Vor allem ist es aber einfach ein packendes Stück Spannungskino mit gesunder Selbstironie.

Ich finde es auch lobenswert, wie sehr Wes Craven in Scream auf billige Jump Scares verzichtet. Ihr kennt solche Filmmomente: Alles ist still, urplötzlich ertönt kurz Ohren betäubend laute Filmmusik, ein schriller Soundeffekt und gegebenenfalls taucht irgendwas (es muss nichtmal was schreckliches sein) im Bild auf. Für mich ist das die schlechteste und ärgerlichste Angewohnheit, die Horrorfilme haben können. Diese Momente sind selten gruselig, schrecklich oder der Atmosphäre dienlich. Sie sind einfach nur ein Angriff auf die Ohren, bei dem ich aufgrund der schieren Lautstärke zusammenzucke. Insofern, ja, in solchen Momenten erschrecke ich, doch ich bin nicht vom Film gebannt, geschweige denn verspüre ich Angst. Meine armen Trommelfelle wollen bloß die Flucht ergreifen - und das ist ein schäbiger Kunstgriff. In Scream taucht der Killer (natürlich) ab und an überraschend auf, und die unwohle Filmmusik von Marco Beltrami reicht zwar nicht ganz an so ikonische Arbeiten wie Halloween heran, ist aber sehr effektiv und hat natürlich auch ihre lauteren Momente. Doch es kommt nie zu einem dieser faulen Jump Scares. So gehört sich das!


Zum Abschluss sollte ich wohl den Elefanten im Raum ansprechen (Hallo Jumbo jr.!)... Ich hasse Wes Craven und Kevin Williamson dafür, was sie mit meinem Vornamen angestellt haben! Ihr müsst wissen, dass ich meinen Vornamen sehr gern habe. Es gibt ja auch Leute mit selteneren Vornamen, die sich dafür schämen, doch ich mag es, nicht immer der vierte Tim oder der siebte Kevin in einer Gruppe zu sein - und so weit ungewöhnliche Vornamen reichen, hab ich es doch sehr gut getroffen. Ich find ihn ästhetisch, weshalb ich auch kein Problem damit habe, dass "Du hast einen schönen Namen" das häufigste Kompliment, das ich meinen bisherigen Lebtag zu hören bekam. Trotz aller negativen Implikationen, die das haben kann (schöner Name, sonst...). Dennoch... Kinder können widerlich sein, und so musste ich als kleiner Bub dauernd feststellen, dass asoziale Mitschüler nur drei internationale Metropolen kennen (die sie mir dann aber stolz gegen den Kopf schmetterten). Aber sowas hört ja glücklicherweise irgendwann auf. Was Scream angestellt hat, werde ich dagegen so schnell nicht los.

Nun, Sidney war eigentlich ein dominant männlicher Name. Über die Jahrzehnte hinweg gab es immer wieder vereinzelt Frauen mit diesem Vornamen, sie bildeten allerdings eine überdeutliche Minderheit. Doch mit Sidney Poitier, Sidney Sheldon, Sidney Nolan, Sidney Bechet und Sidney Lumet gab es einige (mehr oder minder) prominente männliche Träger dieses Namens. Und dann kommt da dieser dusselige Teenie-Horror an, und lässt einen Maskenkiller auf jemanden mit meinem Vornamen Jagd machen. Nur dass diese Person eine Frau ist!  Und deswegen kommt es alle paar Monate vor, dass ich bei schriftlichem Verkehr, Vorstellungen oder sonstwelchen Anlässen erklären muss, dass nicht alle Sidneys amerikanische Mädels mit hohlen Augen sein müssen, sondern es neben der Scream-Tante auch sehr, sehr viele Männer gibt, die Sidney heißen.
Ich mein, hey, J.J. Abrams hatte wenigstens den Anstand, seine Superagentin aus Alias Sydney Bristow zu nennen, aber Williamson und Craven müssen ja unbedingt unzähligen Männern das Leben schwer machen...

Öhm... ja...

Zum Film selbst: Scream ist hinsichtlich seiner Schulszenen mit seiner Überdosis 90er-Style nicht perfekt gealtert. Jedoch ist Wes Cravens moderner Klassiker dank seiner toll genutzten Meta-Kommentare über das Horror-Genre, einer intensiven Atmosphäre und gut abgestimmten, auflockernden Spaßmomenten noch immer höchst empfehlenswert. In den schlechtesten Momenten ist Scream halt etwas komischer, als er sein wollte, doch in seinen vielen und ausführlichen Glanzphasen ist er packend und voller einprägsamer Ideen. Scream ist also ein ganz verdientes, modernes Horror-Meisterwerk, das sich vor seinen keineswges Vorbildern zu verstecken braucht. Selbst wenn der jugendliche Cast längst nicht so toll ist, wie einem manche Kritiken weißmachen wollen. Scream ist kein Schauspieler-Horror, sondern ein von Regie und Skript getragener.
Dennoch: Ich überlege sogar so weit zu gehen, dass er für viele dem Horror-Abgeneigte Gemüter ein toller Einstieg ins Genre ist. Er nimmt anderen Filmen den Schrecken, macht Spaß und ist obendrein in seinen Suspense-Momenten längst nicht so ärgerlich schal, wie viele seiner Nachahmungen. Wenn da halt nur nicht diese Sache mit den Vornamen wäre... Oder diese dämlichen 90er-Klamotten...

Siehe auch: