Samstag, 23. Juni 2012

4 Artists Paint 1 Tree: Eyvind Earle

4 Artists Paint 1 Tree widmet sich dem titelgebenden Kurzfilm „4 Artists Paint 1 Tree“ und seinen vier Protagonisten Eyvind Earle, Joshua Meador, Marc Davis und Walt Peregoy. Von Walt Disney ausgewählt, ihren individuellen Stil auf der großen Leinwand darzustellen, geben der Film und seine Hauptdarsteller Einblicke in das künstlerische Leben hinter den faszinierenden, doch minutiös dirigierten Zeichentrickfilmen im Schatten der Maus.

Der dritte Artikel dieser Reihe handelt von einem Maler, dem es gelang, einen abendfüllenden Zeichentrickfilm zu seinem abendfüllenden Zeichentrickfilm zu machen: Eyvind Earle


(© Disney)

Eyvind Earle wurde 26. April 1916 in New York City geboren. Der Name Eyvind stammt aus dem Norwegischen. Seine Mutter, eine Pianistin, war die Tochter eines Deutschen und einer Norwegerin, die in die Vereinigten Staaten eingewandert waren. Sein Vater war Dichter, Schriftsteller, Filmproduzent, Regisseur und Art Director. Die wahre Leidenschaft des Schülers von James McNeill Whistler und William Adolphe Bouguereau galt jedoch der Malerei. Er war etwa zehn Jahre älter als seine Frau, die Ehe, aus der neben Eyvind auch ein älterer Bruder hervorging, war bereits seine vierte. Die Earles waren überaus wohlhabend. Einen Teil seiner Jugend verbrachte Eyvinds Vater in Morris-Jumel Mansion, das seinem Vater, einem General, gehörte, während des Unabhängigkeitskrieges zeitweise als Hauptquartier George Washingtons diente und heute als ältestes Haus in Manhattan gilt. Die Familie seiner Mutter hingegen war nicht vermögend, was dazu führte, dass er und seine Mutter nach Jahren in Wohlstand nach der Scheidung seiner Eltern in Armut leben mussten.

Sein Bruder Ferdinand war zwei Jahre älter als er. Im Jahr 1918 zog die Familie von New York nach Hollywood, wohin sich zu dieser Zeit die gesamte US-Filmbranche verlagerte. Die Familie kaufte ein Anwesen in ruhiger Lage. Diese Lage änderte sich, als 1922 an der gegenüberliegenden Straßenseite das Amphitheater Hollywood Bowle erbaut wurde. Nur zwei Jahre später starb Ferdinand an Kinderlähmung. Einen Tag nach seiner Beerdigung zeigte auch Eyvind Symptome der Krankheit zu zeigen. Er überlebte, die Krankheit verursachte jedoch irreperable Schäden im Nervensystem, weshalb seine rechte Gesichtshälfte dauerhaft gelähmt wurde. Zwar war sein Sprechen kaum beeinträchtigt und die Behinderung für Außenstehende fast nicht zu erkennen, sie wurde jedoch offensichtlich, wenn er versuchte, zu lächeln – was er für den Rest seines Lebens zwanghaft vermied.

Im Jahr 1926 ließ sich die Mutter von seinem Vater scheiden, Eyvind blieb bei ihr, der Vater unternahm jedoch regelmäßig Ausflüge mit seinem Sohn. An einem Wochenende im Jahr 1927 bekam der Vater erneut die Genehmigung, Zeit mit ihm zu verbringen und erklärte, eine Reise nach Palm Springs machen zu wollen. Stattdessen entführte er den Zehnjährigen nach Mexiko-Stadt.


Eyvind Earle (rechts) und sein zwei Jahre älterer Bruder (© Eyvind Earle)

Die unerlaubte Tat seines Vaters hatte nicht Eifersucht gegenüber seiner Ex-Frau zur Ursache. Vielmehr war er gewillt, sein künstlerisches Erbe mit aller Gewalt an seinen Sohn weiterzugeben. Er befahl ihm, in Zukunft jeden Tag fünfzig Seiten anspruchsvoller Literatur zu lesen oder ein Gemälde zu malen. Freizeit blieb Eyvind nicht, außerhalb der Schule war es ihm verboten, mit anderen Kindern zu spielen. Es handelte sich um eine Situation, die in heutigen Zeiten höchstwahrscheinlich einen internationalen Haftbefehl zur Folge gehabt hätte – Eyvind Earle aber fand Gefallen. Er las nicht nur jeden Tag fünfzig Seiten oder malte ein Gemälde – er tat sogar beides. Aufgrund der regiden Art des Vaters, musste er nicht mehr Zeit mit anderen Menschen verbringen, als unbedingt nötig. Das ermöglichte ihm, wenn auch zu einem hohen Preis, eine Jugend, die ohne den ständigen Gedanken an das Verstecken seiner Behinderung auskam.

Im Jahr 1931 durfte er, gerade 14 Jahre alt, seine erste Einzelausstellung in Frankreich gestalten. Dies war auch das Jahr, in dem er entschied, von seinem Vater fortzugehen – wobei er diese Entscheidung im Geheimen und ohne das Wissen seines Vaters vollzog. Hilfe erhielt der Minderjährige von seinem Halbbruder Harold, Kind aus einer früheren Ehe seines Vaters, der in Paris lebte. Er kehrte zurück zu seiner Mutter, die noch immer in Kalifornien lebte. Mitten in der Weltwirtschaftskrise lebten sie viele Jahre in Armut, was dazu führte, das Eyvind seine Schule nicht beenden konnte und die Gelegenheit wahr nahm, 1934 bei United Artists als Zwischenphasenzeichner anzufangen. Wenige Monate später wurde sein Ausnahmetalent von Opernsänger Lawrence Tibbett und seiner Frau entdeckt, die sich entschieden, ihn und seine Mutter finanziell zu fördern und ihm damit zu ermöglichen, sich in Mexiko intensiv der Malerei widmen zu können.

Um möglichst interessante Motive einfangen zu können, fuhr er häufig mit dem Fahrrad in die Natur, mitunter hundert Meilen an einem Tag. Dadurch kam ihm der Gedanke, dass es ein interessantes Projekt sein könnte, einmal nicht mit dem Fahrrad am Abend zurückzukehren, sondern eine längere Reise zu unternehmen. So entschied er sich, von Mexiko nach New York zu fahren und legte mit über fünfzig Kilogramm Gepäck mehr als dreitausend Meilen zurück. An jedem Tag schuf er ein Ölgemälde, insgesamt waren es 42, als er bei seiner Großmutter eintraf, die ein Anwesen besaß. Auch sie hatte nach dem Tod ihres Mannes, der bei einem Jagdunfall gestorben war, durch betrügerische Investoren ihr gesamtes Vermögen verloren. Eyvind blieb einige Wochen bei ihr, um bei der täglich anfallenden Arbeit zu helfen. Das wenige Geld, das er für die Reise eingesteckt hatte, war längst aufgebraucht.


Eyvind Earle in den 1930er Jahren (© Eyvind Earle)

Seine Rettung war erneut die Familie Tibbett, die ihm ermöglichte, in New York City zu wohnen und dort als Maler zu arbeiten. Binnen kurzer Zeit fand er einen Galeristen und wurde in den lokalen Zeitungen lobend als junges Talent erwähnt. Er verliebte sich in eine junge Frau und gab alles ihm zur Verfügung stehende Geld aus, um sie regelmäßig auszuführen. Als er nach einigen Monaten seine Mutter, die noch immer in Kalifornien lebte, zu sich holte, holten Eyvind die Geldsorgen wieder ein und er war gezwungen, die Beziehung aufzugeben. Nach seiner eigenen Aussage waren diese Monate um das Jahr 1938 die bis dahin schlimmsten seines Lebens. Da er mit dem Verkauf seiner Gemälde keine Erfolge mehr erzielen konnte, begann er aus der Not heraus, Grußkarten zu entwickeln. Gemeinsam mit seiner Mutter stellte er die Karten auf einer alten Presse selbst her, die Druckplatten fertigte er aus Linoleumresten, die er auf dem Müll fand. Beide arbeiteten sieben Tage die Woche, oft bis nach Mitternacht.

Die Idee glückte. Im Jahr 1940 eröffnete er zusammen mit einem alten Schulfreund einen eigenen, kleinen Verlag für Grußkarten. Mit dem wirtschaftlichen Erfolg kehrte auch der künstlerische zurück – im Jahr 1941 entschied das Metropolitan Museum of Art, eines seiner Werke in die Dauerausstellung zu übernehmen. Er betrieb, ab 1941 mit einem anderen Freund, bis 1943 einen Verlag. Zu diesem Zeitpunkt wurde er in die Marine einberufen und arbeitete als Sanitäter. Neben seiner eigentlichen Tätigkeit ergab es sich, dass er die meiste Zeit nichts zu tun hatte. Er nahm diese Gelegenheit wahr, um Portraits seiner Kameraden zu malen und an den Werken für eine Ausstellung in Los Angeles zu arbeiten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg heiratete er, bekam eine Tochter und überwand die finanziellen Probleme der Vergangenheit dauerhaft. Den entscheidendsten Anruf seines Lebens erhielt er 1951.


(© Disney)

Am anderen Ende der Leitung war ein Verantwortlicher der Walt Disney Studios. Zwar hatte Eyvind zuvor nur wenige Monate im Zeichentrickfilm gearbeitet, man traute dem großen Talent jedoch zu, wesentliche stilistische Innovationen vorantreiben zu können. Die zunehmende Konkurrenz des Fernsehens zwang das etablierte Studio, neue Wege zu gehen. Obgleich viele der alteingesessenen Künstler des Studios, wie Ward Kimball, Marc Davis oder Dick Huemer selbst bereit waren, Veränderungen voranzutreiben, versprach man sich von der Verpflichtung völlig neuer Kreativer zusätzliche Möglichkeiten.

Nicht beachtet wurden dabei die Probleme, die die Anstellung eines Exzentrikers wie Eyvind Earle fast automatisch mit sich brachte. Eyvind Earle war als erfahrener Künstler nur bedingt formbar und tat sich als Einzelkämpfer schwer, künstlerische Unterordnung zu akzeptieren. Dennoch überzeugte er mit seinen frühen umfangreicheren Arbeiten an Peter Pan und insbesondere dem Kurzfilm Die Musikstunde (Toot, Whistle, Plunk and Boom). Die Musikstunde war sowohl technisch als auch stilistisch eine kleine Revolution und erhielt völlig zu Recht den Oscar für den besten animierten Kurzfilm.

Im Jahr 1955 begann Eyvind Earle die Arbeit an Dornröschen und schaffte es, dem Film seinen Stempel aufzudrücken. Er transportierte die stilistischen Elemente seiner Bilder in den Film, für den er die Hintergründe schuf. Ebendiese führten in den Disney-Studios zu einem heftigen Streit zwischen Eyvind Earle und Walt Disney und den künstlerischen Größen des Studios. Um das Ausmaß der Abneigung nachvollziehbar zu machen, das die Chefzeichner, darunter auch Ollie Johnston und Frank Thomas, als geschlossene Front gegen Earle vereinte, bietet sich das Erzählen einer Anekdote an, die ebenso einzigartig war. Der Regisseur des Films, Clyde Geronimi, gehörte zu den Wenigen, die in der scheinbar heilen Welt des Zeichentrickfilms mehr Feinde als Freunde vorweuisen konnten. Er war grobschlächtig, ungerecht und galt als herzlos, einzig Walts Loyalität (die nach Dornröschen ein Ende fand) bewahrte ihn vor der Kündigung. Niemand im Studio wollte viel mit ihm zu tun haben, da er den Ruf hatten, ständig zu kritisieren, ohne tatsächlich Ahnung zu haben. Doch Clyde Geronimi konnte Eyvinds Zeichnungen nicht ausstehen und er war einer der wenigen, der es sich herausnehmen konnte, tatsächlich in sein Handeln eingreifen zu können. So versammelte er die Sympathien seiner Kollegen hinter sich und wurde dafür gefeiert, dass er die Hintergründe Eyvinds Earles im Nachhinein teilweise übermalen ließ.

Eyvind Earle selbst strich noch vor dem Ende der Produktion die Segel und verließ die Disney-Studios. Doch auch wenn Geronimi einige seiner Hintergründe veränderte, konnte er nicht verhindern, dass Eyvinds Stil das Bild des Films bestimmt. 50 Jahre nach seinem Entstehen wird Dornröschen als Meisterwerk gefeiert, es gibt aber auch kritische Stimmen, die Bemängeln, dass das Character Design der Figuren, die Handlung und Stimmung des Films und die Hintergründe nur unzureichend harmonieren. Der augenscheinlichste Grund hierfür ist die Zerstrittenheit zwischen den Hauptakteuren der Produktion.

Ende der 1950er gründete Eyvind Earle sein eigenes Trickfilmstudio, das vor allem Werbefilme produzierte, aber auch einige Fernsehspecials. Zu Earles Werbefilmen, deren Herkunft durch den unverwechselbaren Stil überdeutlich ist, gehören Arbeiten für Chevrolet Motors, Chrysler, Marlboro, Motorola und Kellogg's.



(© Eyvind Earle)

Im Jahr 1945, kurz nachdem er aus dem Krieg heimgekehrt war, heiratete er seine Verlobte Alice. Im August 1946 wurde die gemeinsame Tochter geboren. Zusammen mit seiner Mutter lebten sie viele Jahre in Hollywood. Im Jahr 1970 starb seine Frau an Lungenkrebs, was er auf sein eigenes Kettenrauchen zurückführte. Zwei Jahre später vermählte er sich erneut und zog mit seiner Frau nach Carmel-by-the-Sea, einer Kleinstadt an der Pazifikküste, die in den 1980er Jahren zeitweise von Clint Eastwood als Bürgermeister regiert wurde und die Heimat vieler Künstler war und ist, darunter Ernest Hemingway, Jack London und Doris Day. Es wird kein Zufall gewesen sein, dass Eyvind Earle ausgerechnet in eine Gegend zog, die für ihre vielfältigen Natur- und Landschaftseindrücke bekannt ist.

Eyvind Earle arbeitete nach seiner Abkehr vom Film fast nur noch als Maler. Obgleich ihm der große Durchbruch immer verwehrt blieb, war er auch in den letzten Jahrzehnten seines Lebens Mittelpunkt so vieler Einzelausstellungen, dass er, nach eigenen Angaben, irgendwann aufhörte, deren steigende Anzahl im Kopf zu behalten. Aufgrund der Tatsache, dass er sehr schnell malte und sich seine Werke gut verkauften, ereilten ihn nie mehr finanzielle Sorgen. Auch begann er, sich intensiv mit Lyrik zu beschäftigen und veröffentlichte zahlreiche Gedichte, Bildbände und eine Autobiographie – die Bandbreite seines Wirkens umfasste schlussendlich all das, was sein Vater von ihm erwartet hatte.


Alice Earle, die gemeinsame Tochter und Eyvind Earle (v. l. n. r., © Eyvind Earle)

Eyvind Earle starb am 20. Juli 2000 im Alter von 84 Jahren, fast siebzig Jahre nach seiner ersten Einzelausstellung. In Deutschland waren seine Werke bisher nur als Teil größerer Ausstellungen zum Thema Walt Disney zu sehen. Das Münchener Stadtmuseum hat einige seiner auf Glas gemalten Hintergründe für Dornröschen im festen Besitz. Die Werke wurden allerdings nicht angekauft, sondern landeten durch einen glücklichen Zufall in den Händen der Einrichtung: nach einer Wanderausstellung in ganz Europa, die von den Walt Disney Studios initiiert worden war, zeigte das Unternehmen bei vielen Ausstellungsstücken kein Interesse, den teuren Rücktransport in die Vereinigten Staaten zu übernehmen und bot der „letzten Station“, also dem Münchener Stadtmuseum, an, die Werke einfach als Geschenk zu behalten. Bedauerlicherweise sind in den letzten Jahren aufgrund der teilweise unsachgemäßen Lagerungen mehrere Glasplatten beschädigt worden.

Gemälde von Eyvind Earle sind sowohl als qualitativ hochwertige Drucke als auch teilweise für „niedrige“ vierstellige Summen im Original zu erhalten. Letzterer Umstand ist auch auf die hohe Produktivität des Künstlers zurückzuführen.

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