Donnerstag, 28. November 2013

Waltz of the Caribbean


Christoph Waltz, dieser beneidenswerte, talentierte Schlingel! Während viele andere deutschsprachige Schauspieler auch nach einer großartigen Hollywoodrolle nicht langfristig Fuß in der filmischen Traumfabrik fassen können, hakt Waltz einen großen Namen nach dem anderen ab. Er drehte bereits zwei Mal mit Quentin Tarantino, er trat gemeinsam mit Seth Rogen vor die Kamera, er taucht im nächsten Muppets-Film auf … und nun scheint es, als könnte er Teil der Pirates of the Caribbean-Saga werden!

Wie das britische Blatt Daily Mail berichtet, haben Verhandlungen zwischen Disney/Bruckheimer und Christoph Waltz darüber begonnen, dass der zweifache Oscar-Preisträger in Pirates of the Caribbean – Dead Men Tell No Tales eine zentrale Position übernehmen soll. Angeblich ist für Waltz die Schurkenrolle vorgesehen, die dieses Mal, in Gestalt eines Geistes daherkommt.

Ohne Bestätigung seitens Disney ist alles natürlich noch nicht als offiziell zu betrachten. Allerdings deckt sich diese Meldung mit dem seit Monaten kursierenden Gerücht, dass Käpt'n Jack Sparrow im fünften Teil der Kinosaga vom Geist eines nach Rache dürstenden Navy-Offiziers heimgesucht wird. Dieser, so behauptet die Gerüchteküche, kennt Jack noch aus seiner Zeit, bevor er eine wandelnde Seeräuberlegende war. Außerdem sollen Voodoohexen ein zentrales Element des Films sein.

Sofern diese Berichte stimmen und Waltz zusagen sollte, wäre dies ein erfreulicher Gewinn für das Franchise. Waltz ist nicht nur begnadet, sondern passt mit einem eloquent-theatralischen Stil perfekt ins Pirates-Universum, wo er sich perfekt neben den Figuren von Johnny Depp, Geoffrey Rush oder Bill Nighy einreihen könnte.


Darauf 'nen Apfelstrudel und 'ne Buddel voll Rum!

Montag, 25. November 2013

Plot. Genre. Konzept.

Wer gerne Filme sieht, muss auch, das liegt in der Natur der Sache, einen Weg finden, aus der unentwegt wachsenden Auswahl die Produktionen auszusieben, die er sehen möchte. Denn niemand überlässt es durchgehend und ausschließlich dem Zufall, welche Filme als Zeitvertreib dienen dürfen und welche ungesehen bleiben müssen. Auch die größten Sneak-Preview-Fans entscheiden üblicherweise bewusst, welche DVD sie einlegen und für welchen Kinofilm sie Geld hinblättern. Aber welche Kriterien sollen dabei herangezogen werden? Wie gilt es, Filme einzuordnen?

So mancher sieht sich primär als Liebhaber eines bestimmten Genres, schaut nahezu jeden Vertreter seiner geliebten filmischen Gattung, sofern er nur halbwegs brauchbar sein soll oder einen ansatzweise hinnehmbaren Trailer hat. Es gibt zum Beispiel sehr viele Horror-Freunde sowie einige Fans des Action-Genres, die sich mit großer Passion großen wie kleinen Filmen dieser Sparten widmen und teils auch völlig blind zugreifen. Der Streifen soll schaurig sein beziehungsweise voll mit rasanter Action? Gekauft!

Dies ist eine durchaus praktikable und daher respektable Grundeinstellung. Jedoch hat das Genredenken auch seine Probleme, selbst wenn man davon absieht, dass es nur für einen Bruchteil der Filmkonsumenten eine Option darstellt, weil die meisten dann doch mehr als nur eine Filmgattung verfolgen wollen. Die stete Genreeinteilung krankt etwa daran, dass die heutzutage übliche Liste an Genres nicht wirklich konsequent ist. Während manche Genres auf dem Tonfall einer Geschichte basieren (Drama, Komödie), beziehen sich andere aufs verwendete Setting (Science-Fiction, Western, Kostümfilm) und wieder andere auf der Erzählweise (Musical, Stummfilm) oder das grundliegende Thema (Kriminalfilm, Fantasyfilm, Slasher, Abenteuerfilm). Hinzu kommt, dass sich Filme häufig nicht ausschließlich in eine dieser Schubladen stecken lassen oder rein oberflächlich zwar passen, sie bei tiefer gehender Analyse aber vollkommen genre-untypisch sind. Ist Gravity nun ein Science-Fiction-Film? Immerhin spielt er im All ... auch wenn er wesentlich realistischer ist als die klar erkennbaren Science-Fiction-Filme Star Trek oder Tron, wobei dieser gar nicht im Weltall spielt. Inglourious Basterds spielt zwar im Zweiten Weltkrieg, hat aber keine Schlachtszenen und nimmt sein Thema ganz anders wahr als Der Soldat James Ryan. Sind dennoch beide Kriegsfilme? Oder ist Inglourious Basterds ein Western, weil er sich stilistisch deutlich mehr an diesem Genre bedient, ungeachtet seines Settings? Ist Fluch der Karibik eine Abenteuerfilm-Fantasykomödie oder eine Actionfilm-Fantasykomödie? Welches Genre haben Barton Fink, Fargo, No Country For Old Men oder sonstige Werke der Coen-Brüder?
Darüber hinaus sind Genre-Bezeichnungen dann doch wieder zu breit gefächert: Hangover ist ebenso sehr eine Komödie wie Oh Boy, aber das bedeutet nicht, dass sie das gleiche Publikum ansprechen.

Kurzum: Es hat schon seine guten Gründe, weswegen sich einige Filmfreunde, darunter meine werte Bloggerkollegin Ananke Ro, völlig gegen Genrebezeichnungen auflehnen und als der Filmkunst unwürdiges Schubladendenken bezeichnen.

Wer nun aber denkt, er sei auf der sicheren Seite, wenn er sich deswegen bei der Suche nach Filmfutter nicht weiter an Genres orientiert, sondern an Plotzusammenfassungen, der irrt sich. Plots können auf dem Papier äußerst irritierend sein, weil sie überhaupt nichts über die Inszenierung, die Stilmittel oder den Tonfall aussagen. "Ein Ermittler jagt einen Serienmörder" - ist dies nun so ein packender Horror-Psychothriller-Mix wie Sieben oder eher von einer lockeren Krimiserie wie The Mentalist? Wer würde in einer Welt, in der niemand von den genialen Pixar-Studios hörte, bei der Plotzusammenfassung "Ein Clownfischvater sucht seinen Sohn" erahnen, dass es sich beim entsprechenden Film nicht um einen dummen Kinderfilm handelt, sondern eine rührende, facettenreiche Animationsfilmkomödie namens Findet Nemo? Wie will man in einer Plotzusammenfassung den stylischen Look und den kernig-augenzwinkernden Tonfall von 300 oder Sin City erwähnen? Wie kann man anhand der Story Werke wie Fantasia würdigen oder verdeutlichen, dass A Serious Man je nach persönlicher Gemütsverfassung deprimierend oder urkomisch sein kann? Und ein weiteres Problem besteht mit der handlungszentrischen Filmauswahl: Wie vermeidet man in Plotzusammenfassungen gravierende Spoiler zu den zahlreichen Twist-Meisterwerken der Film-Geschichte?

Ich blicke daher aus einer anderen Perspektive auf die gigantische Welt der Filme und bevorzuge es, meine Auswahl an cineastischen Werken anhand des Konzepts zu treffen. Ich muss gestehen, dass sich mein Verständnis von "Konzept" in diesem Kontext etwas von der klassischen Definition abhebt, allerdings halte ich es für eine ganz handhabbare, gar intuitive Umdeutung des klassischen Konzept-Begriffs:
Mir kann man Filme anbiedern, ohne sich an Genre-Begriffen zu stoßen oder mühevoll die Handlung zusammenzufassen und dabei anstrengend um Spoiler herumzutänzeln. Frei nach Kommerz-Hollywoods "High Concept"-Begriff ("Stirb langsam ... in einem Kaufhaus!") bevorzuge ich es, handlungstechnisch nicht zu viel verraten zu bekommen und anhand weniger, meine Vorstellung eines Films anregende und so Neugier erzeugender Begriffe auf eine Produktion aufmerksam gemacht zu werden. So habe ich eine grobe Idee, was ich bei diesem Werk zu erwarten habe und kann abwägen, ob und wann ich es mir ansehen möchte, ohne dass mir zu viel verraten wurde oder der Film in die unflexiblen Genre-Begriffe gezwängt werden muss.

Inglourious Basterds etwa. Diesen Film inhaltlich zusammenzufassen, ohne Überraschungen zu nehmen oder falsche Erwartungen zu schaffen, ist nahezu unmöglich. Muss aber nicht: Mir könnte man den Film als "Quentin Tarantino erzählt im Stil eines Spaghetti-Westerns gepaart mit Comic-Logik und kunstvoller Dramatik davon, wie er sich den Zweiten Weltkrieg vorstellt" ankündigen. Ich wäre begeistert von dieser Beschreibung und würde so etwas erwarten, wie der Film letztlich auch aussah. Sweeney Todd? "Ein Tim-Burton-Musical", mehr muss man nicht sagen! Fluch der Karibik? Ich habe mich damals vor Kinostart nicht über die Story informiert, sondern war schon völlig gebannt bei "Disney trifft Bruckheimer trifft Piratenfilm". Bekanntlich wurde ich nicht enttäuscht. Tree of Life? "Terence Malick sinniert über den Platz des Menschen im Universum und Familienbande". In Blue Jasmine bin ich rein gegangen, obwohl ich nur wusste, dass es ein neues Woody-Allen-Drama ist. Und diese Konzeptvorstellungen funktionieren auch ohne Markennamen: Dann ist Gott des Gemetzels halt "eine still beobachtende Situationskomödie über Streitereien zwischen Erwachsenen", wer muss vorab denn schon wissen, warum diese Erwachsenen streiten?

Natürlich gehe ich nicht allein nach diesem Konzeptbegriff. Aber ich  persönlich finde, dass rudimentäre Filminformationen, die sich nicht an einem starren Genrekonzept oder schwafelige Plotinfos orientieren häufiger die Filmbeschreibung der Wahl sein dürften. Auf dass man Filme wieder mit offeneren Augen sieht.

Donnerstag, 21. November 2013

Monty Python's Reunion und Gilliams Don Quixote


Die Könige des britischen Humors sind zurück: Am Dienstag geriet die Information an die Öffentlichkeit, dass sich die fünf noch lebenden Mitglieder der unsterblich komischen Monty-Python-Truppe wieder zusammenraufen und einen Reunionauftritt hinlegen, nun, zwei Tage später, wurde diese Information durch eine offizielle Pressekonferenz der Pythons bestätigt. Am 1. Juli 2014 werden die fünf Briten in der Londoner O2-Arena einen Bühnenauftritt absolvieren, bei dem sie neues und altes Material aufführen. Der Ticketverkauf startet am 25. November (und wird meiner Prognose nach sicherlich am selben Tag enden, denn die Karten werden gewiss gut weggehen). Glücklicherweise wird das Special auch im (britischen) Fernsehen übertragen (und eine DVD-Auswertung wird garantiert auch nicht fern sein).

Wie Cleese auf der Pressekonferenz anmerkte, "wollen die Leute unbedingt die alten Kracher wiederhören, die wir in einer äußerst vorhersehbaren Weise nicht mehr machen möchten", außerdem gaben er, Eric Idle, Terry Gilliam, Michael Palin und Terry Jones zu verstehen, dass sie definitiv bloß diesen einen Auftritt planen ... eine Tour aber nicht ausgeschlossen werden darf. Erwartungsgemäß wird es hinsichtlich weiterer gemeinsamer Projekte noch allerhand Hin und Her geben, schließlich sind die Pythons recht wankelmütig und kommen immer nur zeitweise miteinander aus. Oder um den einstigen Produzenten der Gruppe, Martin Lewis, zu zitieren: "Sie sind die ganzen letzten Jahre übereinander hergezogen. Deswegen bin ich eigentlich ein bisschen enttäuscht, dass sie nun wieder zusammen auftreten wollen. Die einzige Hoffnung ist, dass sie sich sofort wieder an die Gurgel gehen, sobald sie mit den Proben anfangen. Das wäre dann wieder wie früher."

Seit Graham Chapmans Tod kam es zu zahlreichen Beinahe-Reunions der Gruppe. Der Kinofilm Der Wind in den Weiden vereinte vier der fünf Pythons (Terry Gilliam saß aus), Planungen für eine selbstironische Fortsetzung von Die Ritter der Kokosnuss wurden von John Cleese über den Haufen geworfen, dieser unterstützte dafür Eric Idles Musical Spamalot, dass die anderen drei Mitglieder eher belächelten. Das Comedy-Konzert Not the Messiah (He's a Very Naughty Boy) dagegen brachte Idle, Jones, Gilliam und Palin zusammen, während nun wieder Cleese mit Abwesenheit glänzte. Der Animationsfilm A Liar's Autobiography: The Untrue Story of Monty Python's Graham Chapman schlussendlich musste ohne Idle auskommen, während Chapman Archiv-Tonaufnahmen zum Dank sein Trickfilm-Ich vertonte.

2014 also nimmt eine Odyssee ihr Ende und die Pythons treten wieder zusammen auf ... und es könnte sein, dass sich eine weitere vermeintlich unendliche Geschichte ihrem Abschluss nähert. Terry Gilliam verriet Coming Soon nämlich, dass er sich schon wieder seinem mittlerweile legendären, unvollendeten Projekt The Man Who Killed Don Quixote widmen möchte. Und dies nur wenige Monate, nachdem er unmissverständlich klar machte, diesen Film für immer aufgegeben zu haben, weil er mittlerweile eh jede größere Idee zum Film in andere Projekte steckte.

Insofern ... wenn das ursprüngliche Konzept in allen anderen Gilliam-Filmen landete, wieso nicht The Man Who Killed Don Quixote als Python-Film reaktivieren? Hm, wie wär's?

Mittwoch, 20. November 2013

Disney und der Cell Block Tango

Das sinnlich-verrucht-spaßige Musical Chicago zählt eh zum (großzügig) erweiterten Disney-Universum. Schließlich wurde es von Miramax auf die Kinoleinwände gebracht. Wen wundert es also, dass es seit Jahren zahlreiche Disney-Fans dazu inspiriert, es mit dem Disney-Meisterwerkekanon zu kreuzen. Besonders beliebt sind Zusammenschnitte zum Cell Block Tango, doch wieso Musikvideos zum Originalton zurechtschnipseln, wenn man mit etwas Einfallsreichtum eine neue Version erschaffen könnte, in der die Disney-Schurken eine ganz eigene Interpretation des Ohrwurms von sich geben ..?



Mehr vom Künstler!

Die Eiskönigin – Völlig unverfroren


Es ist einer der stärksten Momente in der Disney-Filmgeschichte:
Von ihrem eigenen Volk als Monster beschimpft und aus dem Lande verjagt stapft die junge Königin Elsa durch eine unwirtliche Schneelandschaft. Von der Ablehnung, die sie erfuhr, zutiefst verletzt und obendrein völlig verzweifelt, weil sie selbst bei ihrer Schwester keinen Rückhalt findet, rennt sie in die sie schützende Einsamkeit. Doch die mit schwer kontrollierbaren Kräften ausgestattete Elsa denkt nicht allein an sich. Weil sie mit ihrem Kältezauber mehrmals ungewollt ihre kleine Schwester Anna  in Lebensgefahr brachte, bestraft sie sich mit diesem Einsiedlertum. Aus Liebe zu ihrer Schwester muss sie die Distanz suchen, nur so kann Elsa sie beschützen, selbst wenn Anna dies nicht begreifen mag. Wut über den verständnislosen Hass ihres Volkes, edle Selbstaufgabe und die sie immer stärker vereinnahmende Sehnsucht nach einem ihr angepassten Rückzugsort kulminieren in Elsas Seele zu einem divenhaften Befreiungsschlag. Die einst so introvertierte junge Frau sprengt alle gedanklichen Fesseln und beschließt, während sie eine berührende Powerballade schmettert, ihr eigenes Eiskönigreich zu erschaffen. Ein Refugium, nur für sie allein, wo sie ganz sie selbst sein darf. Wo sie niemanden verletzen kann – und wo auch niemand fähig ist, sie zu verletzen. Elsas Beschluss ist von melancholischer Schönheit, sie gibt sich dem Schicksal geschlagen, doch sie erkämpft sich durch ihre Resignation eine nie dagewesene Freude. Diese bittersüße Wendung wird nicht bloß von einem kraftvollen, trotzdem zärtlichen Song begleitet, sondern auch von ästhetischen, prunkvollen Bildern. Solche Szenen sind es, dank denen die Walt Disney Animation Studios nicht bloß das Familienpublikum unterhalten, sondern mit ihren Werken ebenso als Produktionsstätte zeitloser Filmkunst gelten.

Kaum endete diese atemberaubende Songeinlage mit einem kecken Rausschmeißer, hoffte ich während meiner Erstsichtung von Die Eiskönigin (den völlig dämlichen Untertitel Völlig unverfroren werde ich nur an dieser Stelle und lediglich der Vollständigkeit halber nennen) einen Deal mit Disneys 53. offiziellen Meisterwerk eingehen zu können. Flehend bettelte ich in Gedanken: "Bitte, bitte, bitte halte diesen starken Moment in Ehren und verhau es jetzt nicht. Ist das machbar, Film? Dann verzeihe ich dir auch all deine bislang getätigten Sünden ..." Was danach geschah? Die Eiskönigin wiederholte all das, was mich vor der zentralen Gesangsnummer Lass jetzt los (im Original: Let It Go) verärgerte und fuhr sein erstaunliches Potential mit gewaltigem Anlauf gegen die Wand. Das Ergebnis: Einer der mich am meisten frustrierenden Einträge in den Walt-Disney-Meisterwerke-Kanon; ein Disney-Film, der mich erzürnte, statt mich zu verzaubern.

Ein Einstieg voller Ausrutscher
Die Regisseure Chris Buck (Tarzan, Könige der Wellen) und Jennifer Lee (Drehbuchautorin bei Ralph reicht's) eröffnen zu Beginn von Die Eiskönigin ihren Zuschauern, frei nach Motiven von Hans Christian Andersens Schneekönigin, in bruchstückhaften Vignetten einen Ausblick auf eine reizvolle Welt, in der sich eine sentimentale Geschichte anbahnt: Im nordischen Königreich Arendelle herrscht ein urban-rustikaler Alltag. Das mit einem großen Hafen ausgestattete Land führt einen regen internationalen Handel und stämmige Männer verdienen sich ihr Brot mit dem Kleinschlagen, Transportieren und Verkaufen von Eisblöcken. Im schmuckvollen Schloss führen indes zwei verspielte Prinzessinnen ein unbesorgtes Leben. Die jüngere, Anna, ist ein tollpatschiger, quirliger Springinsfeld, die ältere, Elsa, ist etwas zurückhaltender, dennoch weiß auch sie, wie man sich das Leben zum Vergnügen machen kann. Darüber hinaus ist sie seit Geburt an mit einer schwer fassbaren und schwerer zu kontrollierenden Gabe ausgestattet: Sie kann Kraft ihrer Gedanken und Gefühle Schnee und Eis erschaffen. Eine seltene, auch gefürchtete Fähigkeit, die Elsa aber gern dazu nutzt, ihrer Schwester Freude zu bereiten – bis eines Tages ein Unfall fast zu Annas Tod führt. Daraufhin verschließt sich Elsa mit Hilfe ihrer fürsorglichen Eltern vor Anna, die in Folge des einschneidenden Ereignisses einen Teil ihrer Erinnerungen verlor. Die Jahre ziehen ins Land, die Familie und das Königreich werden von Krisen gerüttelt, und so dauert es bis Elsas Krönung zur Königin, ehe die beiden Schwestern wieder ein gemeinsames Leben führen sollen.

So weit, so spannend. Zumindest auf dem Papier, denn die Ausführung dieser von einer stillen Tragik und Nachdenklichkeit geprägten Ausgangslage gerät Lee und Buck arg wankelmütig. Bis es zu Elsas Krönung kommt, hetzt das Regie-Duo (das nach einem Drehbuch Lees handelt, welches wiederum auf einem Storykonzept von Lee, Buck und Shane Morris basiert) durch die mit zahlreichen Randinfos gespickte Vogeschichte, wobei die Filmemcher ein sonderbares Rhythmusgefühl aufweisen. Wann immer sich ein atmosphärischer Gesamteindruck einstellt (ob verschneit-magisch, dunkel und dramatisch oder aufregend-fantasievoll), wechseln sie radikal die Ton- und Gangart ihres Films. Gewiss, Stimmungswechsel sind seit jeher ein Grundelement guter Disney-Meisterwerke, bloß müssen diese mit Fingerspitzengefühl und einem Blick fürs Gesamtbild umgesetzt werden. In Die Eiskönigin dagegen reihen sich im ersten Akt ausgedehnte Sequenzen aneinander, die aus gänzlich unterschiedlichen Disney-Filmen stammen könnten. Da endet mit einem Schlag das Intro eines "Rapunzel in Schnee und Eis", um Platz für ein besser animiertes TinkerBell – Das Geheimnis der Feenflügel zu machen, woraufhin sich ganz kurz ein erwachsener, semi-tragischer Film mit der Grundstimmung von Disneys Der Glöckner von Notre Dame einstellt, der aber all zu rasch von viel zu niedlichen, naiven Gesangsnummern unterbrochen wird.

Zwar fängt sich Die Eiskönigin zwischenzeitlich, um Elsas ambivalente Haltung zur anstehenden Krönung und die facettenreiche Beziehung zwischen den Schwestern auszuloten, bloß hält der Film diese Identität nur kurz bei. Etwas zu kitschige Versöhnungsgespräche der Schwestern und ein Song-Schlussgag, der mit seiner Disney-parodistischen Haltung eher Ein Königreich für ein Lama gekleidet hätte als einen Film mit dieser Grundthematik und Story, lassen sich noch verzeihen. Glatt einem miesen Disney-Kitsch-Abklatsch entsprungen scheint dagegen Annas hyperaktiv-fideler Liebessong während des großen Balls zu Ehren der jungen Königin, der zudem viel zu lang ist und so wieder die eigentliche Handlung sowie die zuvor erarbeitete Dramatik gänzlich zunichte macht.


Verwünscht und verquasselt
Ein jeder Disney-Film braucht seinen zentralen Konflikt, und im Falle von Die Eiskönigin kommt dieser ins Rollen, sobald Elsa mit Annas neuer Liebe konfrontiert wird. Fehlkommunikation und angespannte Gemüter führen dazu, dass Elsas eisige Gabe enthüllt und die Königin von ihrem Volk geächtet wird. Das gesamte Königreich wird von einem frostigen Wetter heimgesucht, Elsa entschwindet in ihre eigens erschaffene Zitadelle der Einsamkeit und Anna macht sich auf, den Tag, ihre Schwester und ihr Heimatland zu retten. Was kann schon schiefgehen?

Im Anschluss an Elsas preisverdächtigen, unvergesslichen Song ist es vor allem das Humor-Element des Films, das diese Produktion aufs Glatteis führt. Wer schon befindet, dass die Wasserspeier in Der Glöckner von Notre Dame deplatziert sind, läuft bei Die Eiskönigin Gefahr, zur Weißglut gebracht zu werden. Humorige Disney-Nebenfiguren sind Tradition, allerdings stellen sie wenigstens in den dramatischeren Disney-Filmen bloß ein ergänzendes Element dar. In Der König der Löwen, unter allen Disney-Meisterwerken eines der emotionalsten, sind Timon & Pumbaa, Zazu und die Hyänen kommentierendes Beiwerk oder wandelnde Verschnaufpausen. Das Comedy-Drumherum dieser komplexen Geschwistererzählung hingegen drängelt sich dermaßen oft in den Mittelpunkt, dass Die Eiskönigin fast schon als Disney-Komödie mit gelegentlich dazwischengeschaltetem, herzlichen Märchenfilm anmutet. Da wären die Dialoggefechte zwischen Anna und ihrem freundlichen, wenngleich exzentrischen Helfer in der Not, Kristoff. Da wären die einseitigen Gespräche zwischen Kristoff und seinem Gefährten Sven, einem Rentier, das sich wie ein Hund gebärt und allerhand Slapstickmomente beschert bekommt (Rapunzel-Hengst Maximus lässt grüßen!). Da wäre der ulkige Schurke, ein klappriger und amüsant schwafelnder Herzog. Und dann hätten wir da noch diverse singende, leicht weltfremde Zauberwesen und den dauerplappernden Olaf, einen lebenden, dummen, naiven und sich nach dem Sommer sehnenden Schneemann (der zudem eine ausgedehnte Comedy-Gesangsnummer darbieten darf). All diese Figuren erdrücken die eigentliche Handlung und rauben ihr jegliche dramatische, märchenhafte oder bezaubernde Ausstrahlung.

Doch es sind nicht allein die teils liebenswerten, teils unausstehlichen Nebenfiguren, die Lees und Bucks Regiearbeit in anstrengendem Maße schizophren scheinen lassen. Es gibt obendrein ein wiederkehrendes, parodistisches Element, mit dem das Regie-Duo sprunghafte Disney-Romanzen auf die Schippe nimmt. Es ist zwar begrüßenswert, wenn Disney sich selber durch den Kakao zieht und gerade diesen gern kontrovers diskutierten Aspekt des Studioerbes genauer betrachtet. Bloß ist dies wahrlich genügend Stoff für einen eigenen Film (siehe Verwünscht) und beißt sich in seinem flapsigen Tonfall mit der Haupthandlung, zumal sich beide Handlungsfäden mehrmals berühren und durch den juxenden Einstieg in Annas Liebelei auch ein grandios inszenierter Wendepunkt im dritten Akt an dramaturgischer Nachhaltigkeit verliert. Wenn eine Parodie auf eilige Disney-Beziehungen, dann bitte mit aller Kraft und in einem eigenen Film. Wenn eine spannende Geschichte über Selbstaufgabe und Familienbande im Märchenkleid, dann bitte ohne laut tönende Disney-Meta-Gags. In Der König der Löwen witzelt ja auch niemand "Oh, Simba, was für ein Zufall! Du begegnest in deiner schwärzesten Stunde zwei lebensfrohen Simpeln, die so lange deinen Lebensmut aufpeppeln können, bis Gras über die Sache gewachsen ist! Hach, das könnte Hollywood nicht besser schreiben!" ...

Disney, erkenne den Kern deiner Storys!
Nicht allein die Quantität der Blödel-Randfiguren und deren Präsenz im Film lässt Die Eiskönigin, allem brillanten Potential zum Trotz, im Schatten wahrer Disney-Meisterwerke verkümmern, sondern auch die Musik. Davon abgesehen, dass Robert Lopez & Kristen Anderson-Lopez mit Ausnahme von Lass jetzt los für diesen Film nur ziellose, überdehnte Lieder geschrieben haben, die nichts von der Tragweite oder Prägnanz großer Disney-Lieder haben, auch hier stört ein Übermaß an Komik. Im Regelfall haben Disney-Meisterwerke einen eindrucksvollen Comedy-Showstopper, ein rein vergnügliches Lied. Die Schöne & das Biest hat Sei hier Gast als Detour von der eigentlichen Handlung, Der König der Löwen hat Hakuna Matata, Tarzan hat Krach im Lager, Rapunzel atmet mit Ich hab 'nen Traum auf, und so weiter ...

Ausnahmen, also Filme mit mindestens zwei Spaßliedern, gibt es einige, diese sind normalerweise aber gut begründet. Küss den Frosch etwa hat eine Vielzahl an losgelösten Liedern, hat aber dank der vor Energie trotzdenden Tiana, dem Scherzkeks Naveen und der "Arbeite für dein Lebensziel!"-Botschaft eine sehr optimistische Grundausrichtung. Daher, und weil die Musiknummern gut in die Handlung eingebaut sind, ist dieser Zeichentrickfilm entschuldigt. Und dann wäre da Aladdin, ein Film, in dem das Comic Relief sich ebenfalls in den Mittelpunkt drängt und das blaue Ungetüm Dschinni gleich zweimal die Lachmuskeln des Publikums mittels einer Gesangseinlage kitzeln darf. Bloß ist dies keine Entschuldigung für Die Eiskönigin, ebenfalls mit witzigem Geträller von seinem eigentlichen Storykonflikt abzulenken. Denn zwischen Aladdin und Die Eiskönigin liegen Welten – nicht allein qualitativ, sondern ebenso in der Storyhaltung. Aladdin ist ein rein eskapistisches Werk, das von Wunscherfüllung handelt – sinnig für einen Film mit einem Flaschengeist, der seinem Meister drei Wünsche erfüllt. Disneys Meisterwerk von 1992 erzählt von einem Straßenjungen, der ein schöneres Dasein verdient hat, sowie von einer Prinzessin, die ob ihrer Lebenslage unglücklich ist. Liebe und Magie (sowie Kampfgeist) verbessern die Umstände beider Figuren. Es ist ein positive Story, die mit einem Missstand beginnt, der behoben wird. Die Handlung von Die Eiskönigin aber ähnelt nüchtern betrachtet eher dem Schema von Der König der Löwen: Anfangs ist alles in Ordnung, dann wendet sich das Schicksal mit großer Macht gegen die Hauptfiguren und das Ziel ist es, nach der desaströsen Lage, die im Mittelteil des Films geschildert wird, eine Verbesserung zu erreichen, so dass schlussendlich alles wenigstens wieder fast so gut wie zu Beginn ist. In einer solchen, etwas dunkleren Story, ist weniger Platz für handlungsunrelevante Albernheiten. Zumal Die Eiskönigin mit so großer Passion ernste Themen anreißt: Auf Unverständnis basierende Vorurteile, Liebe aus Distanz, Selbsteinschränkung, die Schattenseite von hinreißenden Talenten, Entfremdung ... All dies baut Die Eiskönigin liebevoll auf, bloß um es dann inkonsequent sowie mutlos zu Ende zu erzählen.

Mit seiner Furcht vor Konsequenzen und seiner unerklärlichen Liebe für ausschweifend-cartoonige Comedypassagen wiederholt dieses Meisterwerk alle Ärgernisse von Pixars Merida – Legende der Highlands, einem weiteren Film, der dramatisch und mystisch beginnt und seine komplexe Figurenzeichnung und ambivalente Gefühlsgrundlage irgendwann aus dem Fenster schmeißt, um sorgenfreies (sowie zahnloses) Familien-Entertainment abzuliefern. Allerdings erreicht Die Schneekönigin in seinen starken Phasen viel höhere Höhen, woraufhin wesentlich anstrengendere Tiefen folgen. Verliert Merida auf dem Weg zur Zielgeraden viel vom anfänglichen Charakter, legt Die Eiskönigin alle Ambitionen auf Eis und muss aufgrund seiner inflationären Blödeleien den Figuren im Schlussakt unentwegt Holzhammer-Dialoge in den Mund legen, damit die Moral der Kernhandlung auch bloß ankommt. Zeit, sie auszuleben, statt sie auszusprechen, ist ja bei all den laffen Pointen und blutleeren Spannungsspitzen nicht gegeben.

Wie eisig ist's denn nun?
Gibt es abseits von Elsas Powerballade gar nichts, was mein fröstelndes Herz im Bezug auf Die Eiskönigin zum Schmelzen bringt? Doch, ein paar weitere Stärken hat diese künstlerisch fehlgeleitete Disney-Produktion durchaus. Das 3D etwa ist phänomenal und nicht nur kristallklar, sondern von immenser Tiefenwirkung und mit toll ausgewählten, knackigen "Herausstecheffekten" aufgepeppt. Besseres 3D haben die Walt Disney Animation Studios bisher nicht vollbracht. Außerdem sind die Schnee- und Eislandschaften bildhübsch, Olaf sieht zugegebenermaßen knuffig aus und so manche Hintergrundgags (etwa die Gastauftritte einiger ansehnlicher Kunstwerke) sind willkommen. Zu größeren Lobeshymnen kann ich mich nicht aufraffen, ist das Design der Nebenfiguren doch arg uninspiriert (gleich zwei Pferde sehen aus, als hätte sich Maximus in diesen Film gemogelt!) und sieht die großäugige, pausbackige Anna wann immer sie lächelt aus größerer Distanz (wenn ihre Hautunreinheiten nicht mehr erkennbar sind) leider zu püppchenhaft aus, als dass ich Die Eiskönigin als visuelle Glanzleistung bezeichnen könnte. Christophe Becks Instrumentalmusik derweil ist im Filmverlauf effektiv, nicht aber denkwürdig oder eingängig.

Daher ist Die Eiskönigin ein Film, der mich zur Verzweiflung bringt. Mit Elsa präsentiert er uns eine der besten Disney-Figuren aller Zeiten, die obendrein einen neuen Disney-Evergreen zum Besten gibt, doch drumherum bietet dieses Machwerk nichts, was diesem Glanzlicht gerecht wird. Es ist so, als wäre das diabolisch-bombastische Das Feuer der Hölle der Schurkensong in Die Kühe sind los! oder der urkomische, dauerquasselnde Dschinni Teil des Figurenensembles vom wortkargen Disney-Kunstwerk Fantasia. Die Eiskönigin will sich nicht zu einem stimmigen Ganzen fügen und raubt dank seines verschenkten Potentials allerhand Gutwillen.

Die Zeit wird zeigen, ob ich dank Elsa und Lass jetzt los (aka Let It Go) Frieden mit den Schwächen des Films schließen und ihn insgesamt leidlich-akzeptabel finden werde oder ob der Frust über die Fehlleistungen obsiegt und die raren guten Aspekte von Die Eiskönigin für mich ewig die hoffnungsvollen Andeutungen eines verlorenen Meisterwerks bleiben ...

Linktipp: Ich habe mich übrigens an anderer Stelle erneut mit Die Eiskönigin beschäftigt, um zu reflektieren, wo die viele Zuschauer erfreuenden Stärken des Films sind und was die Aspekte sind, die wenige Kinogänger (darunter meine Wenigkeit) abschrecken ...

Dienstag, 12. November 2013

Wie Peter zu Pan wurde ...


Heute aus der Sparte "News, bei denen ich mich nicht entscheiden kann, wie ich sie einordnen soll":

Wie Deadline enthüllt, steht Anna Karenina-Regisseur Joe Wright kurz davor, sein nächstes Projekt auszumachen (yay!). Erneut nimmt sich Wright eines Literaturklassikers an (juche!), dieser Film wird allerdings die "bislang unbekannte Vorgeschichte" erläutern, und nicht etwa eine Adaption der Vorlage sein (och neee ...). Die Rede ist von einem Prequel zu Peter Pan (als gäbe es davon nicht genug ...), das unter dem Titel Pan bei Warner Bros. entwickelt wird und dessen Skript von Jason Fuchs stammt. Fuchs war unter anderem der Autor von Ice Age 4: Voll verschoben (ach du verflixte Scheiße ...).

Doch wenn jemand diese Geschichte visuell interessant erzählen kann, dann dieser Kostümfilm-Spezialist, der auch Ahnung von Actionarbeit hat (siehe: Wer ist Hanna?). Zudem stehen nun die Chancen groß, dass wir noch einmal Keira Knightley in einem Nimmerland-Film erleben dürfen (wuhuu!). Und wenn Wright seine Muse besetzt, dann wird sie gewiss besser zur Geltung kommen als in der passablen Miniserie Neverland ...

Montag, 11. November 2013

Jackass presents: Bad Grandpa


Jackass presents: Bad Grandpa hat drei gravierende Probleme.
Erstens: Dieser im Stile der Sacha-Baron-Cohen Gagfeuerwerke Borat und Brüno gehaltene Mix aus fiktionaler Rahmengeschichte und teils abgeschmackt-vulgären, teils hintersinnig-satirischen Versteckte-Kamera-Streichen läuft unter dem Markennamen Jackass, obwohl Johnny Knoxville und einige seiner angestammten Crew-Mitglieder hier in eine durchaus andere humoristische Kerbe einschlagen als in der berüchtigten MTV-Serie und deren drei Ausflügen ins Kino. War Jackass eine juvenil-chaotische Angelegenheit, in der sich Schock-, Schmerz- und Ekelmomente mit reinem Irrsinn mischten, und mit der ich nicht im Geringsten etwas anfangen konnte, ist Jackass presents: Bad Grandpa in seinen schwächsten Momenten ein aufwändigeres Comedystreet und in seinen besten Sequenzen dank der obskuren Beobachtungen auf die US-Gesellschaft, die sich hier ermöglichen, ein sehr gutes Trostpflaster während der Wartezeit auf die nächste "Doku-Comedy-Satire" der Güteklasse Borat. Allerdings dürfte der Jackass-Markenname so manchen Kinogänger, der daran Gefallen finden könnte, aufgrund der Erinnerungen an frühere Machwerke mit diesem Titel abschrecken. Zumindest mir wäre es fast so gegangen.

Zweitens: Weil dieser Film als Teil des Jackass-Franchises vermarktet wird (durchaus zu Recht, da viele der Kreativen zurückkehren und auch die Titelfigur Fans der Jackass-Reihe bekannt sein dürfte), gaukelt er dem Liebhabern dieser Humormarke vor, ähnlich gestrickt zu sein. Trotz der klaren Positionierung als Ableger weckt dieser Film also eine gewisse Erwartungshaltung, die er gar nicht erfüllen möchte. Und so kann er nicht nur Leute abschrecken, sondern genauso auch enttäuschen. Hier werden keine Eier ausgekotzt, um sie dann zu einem Omelett zu verarbeiten. Hier lässt sich niemand von wilden Tieren angreifen, zu keinem Zeitpunkt werden Knallkörper in Körperöffnungen gesteckt. Bad Grandpa ist ein vergleichsweise harmloses Werk und dürfte manche Jackass-Fans daher langweilen. Auch hier kann ich aus Erfahrung sprechen: In meiner Kinovorführung wurde herzlich über die raren Pimmelwitze gelacht. Davon abgesehen herrschte fürstliche Langweile bei meinen Mit-Kinoinsassen. Und ich sah den Film vor nahezu ausverkauften Haus!

Drittens: Die mit Abstand beste Sequenz ist bereits aus Trailern und TV-Spots bekannt. Daher wartet das Publikum im Kinosaal vergeblich auf einen ihm unbekannten, frischen Höhepunkt.

Allerdings: All dieses Klagen ist nur bis zu einem gewissen Punkt relevant. Ja, ich fürchte, dass es Bad Grandpa etwas schwerer hat, das richtige Publikum zu finden, als man auf dem ersten Punkt glauben möchte. Und die große Überraschung bleibt dank der Trailer auch aus. Doch die saftige Abrechnung der Filmemacher mit dem widerlichen System der Kinder-Schönheitsewettbewerbe bleibt auch bei mehrmaligem Anschauen Gold wert und ist eine der bissigsten, zugleich coolsten Sequenzen, die Hollywood dieses Jahr zustande brachte. Und abseits dieses Highlights bietet Jackass presents: Bad Grandpa naiv-juvenile Streiche, gemixt mit überraschender, herrlich herber Vorführung der westlichen Gesellschaft.

Samstag, 9. November 2013

Die Quellen der Disneyfilme: Die Muppets Schatzinsel

 
Von Legenden zu historischen Ereignissen, von Märchen bis zu klassischer Literatur - die Zauberkünstler von Disney haben sich der vielfältigsten Quellen bedient, um Stoff für ihre Filme zu finden. Gemein haben sie jedoch alle, dass das Ursprungsmaterial nicht ohne Veränderung in den Disney-Kanon eingeflossen ist.

 

Diese Reihe von Im Schatten der Maus befasst sich mit dem Entstehungsprozess einiger dieser Meisterwerke:
Die Quellen der Disneyfilme

Dies ist nicht das erste Mal, dass Die Schatzinsel in dieser Reihe besprochen wird; schon in diesem Artikel über Disneys Schatzplanet habe ich einiges zu Robert Louis Stevensons Abenteuerklassiker geschrieben. Der Piratenroman, den Stevenson für seinen Stiefsohn geschrieben hat, stellt nach wie vor ein andauerndes Erbe an die Jugendliteratur jeder neuen Generation dar. Es ist eine klassische Seeräubergeschichte um eine verborgene Insel, einen vergrabenen Schatz, mordende Piraten, und über die beeindruckende Freundschaft zwischen der Hauptfigur Jim und dem einbeinigen Seeräuber Long John Silver - einem Antagonist, so ambivalent wie spannend geschrieben, der für Jim wie für den Leser des Buches bis zum Ende in seinen Absichten undurchschaubar bleibt.


Wie ich meinem anderen Artikel schon sagte, ist Der Schatzplanet nicht das erste Mal, dass Disney sich diesem Buch als Filmthema angenommen hat, im Gegenteil: Die Schatzinsel war 1950 der allererste Spielfilm aus dem Hause Disney; eine klassische Literaturverfilmung, die den Roman originalgetreu auf die Leinwand bringen wollte. Doch die verrückteste und meiner Meinung auch interessanteste Disney-Version der Geschichte ist eine andere: Es ist Die Muppets Schatzinsel, eine unkonventionelle Interpretation von Stevensons Klassiker mit einer Cast aus Muppet-Figuren.
Dies ist der fünfte Film der Muppets, und der zweite, der nach dem Tod von Muppet-Schöpfer Jim Henson entstand. Dazu ist es auch der zweite Muppet-Film, der ein Disney-Logo aufweist und der der eine klassische Literatur-Verfilmung darstellt.

Wie schon in der Muppets Weihnachtsgeschichte bilden die Muppets selbst größtenteils die Kulisse der Geschichte, während die Hauptrolle von einem menschlichen Darsteller übernommen wird - oder in diesem Fall die beiden Hauptrollen, nämlich Jim Hawkins und Long John Silver. Anfangs hatte der Plan zwar darin bestanden, die Figur von Jim durch Gonzo und Rizzo gemeinsam darzustellen, doch dann wurde schnell klar, dass das emotionale Zusammenspiel zwischen Silver und Jim zu bedeutend ist, um es den herumalbernden Puppen zu überlassen. Gerade diese äußerst menschliche Beziehung stellt schließlich das Hauptthema des Buches dar - Jim von den beiden Muppets verkörpern zu lassen wäre wohl vergleichbar damit, wenn man Belle in der Weihnachtsgeschichte durch Miss Piggy dargestellt hätte.
Eine sekundäre Erkenntnis, die aus jener ersten Besetzungsidee folgt, ist übrigens diese: Wenn man sich in der Schatzinsel für eine Kernfigur entscheiden müsste, die als einzige von einem Menschen verkörpert werden muss, so ist zweifelsfrei der einbeinige Pirat.



Während es in der Muppets Weihnachtsgeschichte der mehrfacher Oscar-Preisträger Sir Michael Caine auf bemerkenswerte Weise schafft, zwischen all den quirligen Puppen einen ruhigen Fixpunkt zu schaffen, wurde hier bei Silver gerade der entgegengesetzte Weg gewählt. Tim Curry ist laut, grell, spektakulär - er passt voll und ganz in die aufgewühlte Riege der Muppets, übertrumpft sie eher noch in seiner Farbigkeit. Der ganze Film könnte leicht zu einem reinen Schlachtfest ausarten, wäre da nicht das äußerst menschliche Zusammenspiel zwischen Silver und Jim. Erst hier kommt immer wieder Ruhe auf; hier bleibt Raum für Emotionen, und gerade die sind es, die aus dem Film am Ende wirklich etwas Besonderes machen.
Doch das soll nicht heißen, dass die Muppets selbst nicht perfekt zur Geltung kommen. Die gesamte Riege an Puppen ist wunderbar eingesetzt; unter der vielköpfigen Schiffscrew gibt es genug Platz, um jedem einzelnen Charakter jeweils seinen großen Moment zu ermöglichen. Miss Piggy hat einen grandiosen Auftritt als die glamouröse Eingeborenenkönigin Benjamina Gunn - mit pikanten Andeutungen, was ihre Vergangenheit mit Silver und sogar Käpt‘n Flinn betrifft. Und vor allem Kermit zeigt als Kapitän Smollet um einiges gesicherter und eindrucksvoller als sein Romanvorbild, speziell in der Endszene, als er Jim in seinem moralischen Hadern auf beeindruckende Weise unterstützt.
Auch Gonzo und Rizzo sind äußerst sinnvoll eingesetzt: Während sie in der Weihnachtsgeschichte „nur“ die Rolle der Erzählerstimme innehatten, dürfen sie nun direkt am Geschehen teilnehmen. Sie helfen reell, Jims Gefühle zu unterstreichen und seinen Gedanken auch nach außen hin Ausdruck zu verleihen.



Damit wären wir bei den menschlichen Darstellern selbst. Jim wird auffallend jung dargestellt, gerade wenn man seine moralische Souveränität im Verlauf des gesamten Films bedenkt. Im Roman wird sein Alter nie genau spezifiziert, und so ist diese Frage immer reine Interpretationssache. Und während Jims Alter zum einen sicherlich das Ziel hat, ein junges Publikum anzusprechen, könnte man meinen, es wirke sich auf die Geschichte vergleichsweise wenig aus. Jim ist umgeben von den grellen Muppet-Gestalten, und seine hauptsächlichen Ansprechpartner sind Gonzo und Rizzo - in dieser Umgebung ist kein besonders erwachsenes Verhalten nötig, um sich als vernünftiger Gegenpol hervorzutun.
Die Ebene, auf der Jims Alter eine Rolle spielt, ist natürlich das Zusammenspiel mit Silver, und damit das eigentliche Kernstück von Buch und Film. Gerade als kleiner Junge zeigt Jim sich hier um einiges verletzlicher und gibt Silver quasi mehr Möglichkeit, ihm gegenüber einen Beschützerinstinkt zu entwickeln, ohne sich dabei etwas zu vergeben. Und gerade durch den natürlichen Alters- und Stellungsunterschied wird die Tatsache unterstrichen, dass es alleine Jim ist, der sich im Verlauf des Films weiterzuentwickeln hat; auch wenn Silver den Jungen wirklich mag, so ist er doch nicht in der Position, sich durch das Bürschchen auf irgendeine Weise von seinem Weg ablocken zu lassen.
Gerade in die Beziehung greift der Film wieder Silvers eher harsche Interpretation aus dem Buch auf, wo Jim bis zum Schluss einigermaßen überzeugt ist, dass der Pirat alle Zuneigung doch nur blufft. Bei Tim Currys Silver ist die Zuneigung zwar sicherlich echt, was spätestens in der Szene klar wird, als er seine Vormachtstellung unter den Meuterern für den Jungen aufs Spiel setzt. Aber dennoch ist bei ihm in jedem Moment auch der harte Pirat am Zug; die Beziehung der beiden droht niemals, ins Sentimentale abzurutschen. Wenn Silver Jim am Anfang in einem nächtlichen Gespräch Hilfe bietet, so geschieht das vor allem, um dem Jungen Informationen zu entlocken. Er bedroht Jim und tut alles, um ihn auf seine Seite zu bringen, und auch am Ende zeigt er keine Probleme, gegen die anderen Hauptfiguren in Kampf anzutreten. Es besteht kein Zweifel, dass er trotz aller Unwägbarkeiten immer den unangefochtenen Seeräuberkapitän darstellt, der nur eben einen Narren an diesem Jungen gefressen hat. Gerade Silvers letzte Abschiedsworte an Jim können wohl zu Tränen rühren: „Du bist ehrlich, tapfer und treu. Das hast du nicht von mir gelernt!“


Die Geschichte bewegt sich durchweg nahe an Original, beeindruckend nahe, wenn man bedenkt, dass es immer noch ein Muppets-Film ist. Doch eine wichtige Veränderung betrifft das Ende, genauer gesagt die bedeutsame Endszene, die zwischen Jim und Silver zusätzlich eingefügt wurde. Wie später im Schatzplanet konnten die Filmemacher auch hier nicht widerstehen, die moralische Frage für Jim noch einmal zu verstärken - es ist ein Punkt für Charakterstärke und Eigenverantwortlichkeit, und gegen blinde Prinzipientreue.
Denn während es im Buch für alle Hauptfiguren ein Happy End gibt - die „Guten“ haben den Schatz errungen, während Long John Silver mit einem guten Teil davon fliehen kann - ist das Ende hier etwas melancholischer gezeichnet. Jim lässt Silver mit dem gesamten Schatz ziehen, der gibt Jim dafür den Kompass seines Vaters zurück. Aber wie um die nötige Moral doch noch zu gewährleisten, stellt sich heraus, dass Silver in einem kaputten Rettungsboot entkommen ist und seine Flucht zum Scheitern verurteilt ist - wie der Abspann zeigt, wird der Schatz gerettet, doch Silver bleibt alleine auf der Insel zurück. Ein vielleicht unnötig biederes Ende für einen sonst so moralisch aufgeschlossenen Film.


Insgesamt handelt es sich um eine beeindruckende Verfilmung des Romans. Viele sagen, der Film sei mit zu vielen Intentionen vollgestopft - doch auf der anderen Seite ist es faszinierend, auf wie verschiedene Arten er dennoch funktioniert. Es ist echter Muppets-Film mit überschwänglichem Humor, aber auch richtiges Abenteuer-Drama - ohne die Puppen könnte das Zusammenspiel von Jim und Silver problemlos in eine „echte“ Schatzinsel-Verfilmung hineinpassen.
Und gleichzeitig werden diese verschiedenen Teile hier perfekt kombiniert; die Schnittstelle zwischen Schauspielern und Muppets funktioniert ohne jedes Problem. Die Puppen zeigen, dass sie auch in ernsthaften Szenen bestehen können - vielleicht am Eindrucksvollsten in dem überraschend ehrlichsten Liebeslied „Die Liebe siegt“ zwischen Kermit und Miss Piggy - und die Menschen, allen voran Tim Curry, schaffen es problemlos, in dieser Muppet-Welt zu bestehen.

Die Muppets Schatzinsel hat sicherlich ihre Schwächen und Ungereimtheiten, aber in diesem Fall hat man das Gefühl, sie gehören eigentlich durch und durch mit dazu. Insgesamt ist es ein beeindruckendes Werk, das es schafft, aus einem Klassiker etwas wirklich Eigenes zu machen, ohne das Original dafür in irgendeiner Weise zu verraten
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