Mittwoch, 18. Juni 2014

James Bond 007 – Lizenz zum Töten


Was für ein Film! Und welch unverdient schlechtes Image ihm doch lange Zeit angelastet musste! Sechs Jahre dauerte es, bis James Bond nach Lizenz zum Töten wieder den Weg auf die große Leinwand fand. Hauptdarsteller Timothy Dalton machte Platz für seinen wesentlich länger diensthabenden 007-Kollegen Pierce Brosnan. Mit rund 34 Millionen Dollar Einspiel waren die wirtschaftlichen Zahlen in den USA überdeutlich rückläufig, in Deutschland ist James Bonds Rachefeldzug mit 2,4 Millionen verkauften Tickets bis heute der am wenigsten besuchte Teil der Reihe. Auch das inflationsbereinigte weltweite Gesamtergebnis von 285 Millionen Dollar wird von jedem einzelnen 007-Film überboten. Klar, dass da der Eindruck entsteht, EON habe Dalton wegen Lizenz zum Töten aufgegeben und sich danach zurückgezogen, um die Ausrichtung des Franchises genau zu überdenken.

Dalton stand allerdings für mindestens drei Filme unter Vertrag und nach Kinostart nahmen die Schalter und Walter von EON trotz der enttäuschenden Einnahmen die Vorbereitungen für Daltons dritte Mission auf. Es waren lizenzrechtliche Komplikationen, die 007s nächsten Einsatz verzögerten. Trotzdem rechneten die Produzenten auch in den frühen 90ern fest damit, das Dalton zurückkehrt – 1994 gab der Mime allerdings bekannt, nach all dieser Wartezeit nicht mehr zu glauben, in die Rolle zurückkehren zu können.

Der öffentlichen Wahrnehmung von Lizenz zum Töten half dies gewiss nicht. Und selbst wenn nun einige Bond-Fans mittlerweile der Ansicht sind, dass Daltons zweiter Film seiner Zeit schlichtweg zu weit voraus war, gibt es mindestens ebenso viele 007-Anhänger, die in die entgegengesetzte Richtung gehen und befinden, dass dieser Misserfolg sogar sehr schlecht gealtert ist. Im Popkultur-Wiki TV Tropes wird Lizenz zum Töten daher sowohl als Produktion eingeordnet, die rückblickend mehr Wertschätzung erhält, als auch als durch Craigs Filme endgültig obsolet gemachtes Bond-Experiment. Wer sich Bond-Rankings angesehener Kritiker durchschaut oder Rankings auf Fanseiten durchliest, wird auch dort beide dieser Ansichten entdecken.

Immerhin verblasst allmählich der Irrglaube, EON habe sich für Lizenz zum Töten geschämt und aufgrund seines mageren Einspiels eine ungewöhnlich lange Pause eingelegt. Trotzdem hätte Lizenz zum Töten noch deutlich mehr Anerkennung verdient, denn John Glens letzte Bond-Regiearbeit baut auf allen Stärken des direkten Vorgängerfilms auf und geht zugleich weite Wege, um dessen Schwächen auszubügeln und obendrein eine ganz einzigartige Stimmung zu kreieren.

Anders als der übliche Standard-Bond spielt Lizenz zum Töten innerhalb weniger Tage, vielleicht gar an nur an einem einzelnen Wochenende, und behandelt von Anfang bis Ende stringent einen einzelnen Fall: James' bester Freund Felix Leiter befindet sich auf dem Weg zu seiner Hochzeit, als einige Kollegen von der DEA den Wagen aufhalten, mit dem sich Leiter in Richtung Key West und den dortigen Hochzeitsfeierlichkeiten befindet. Wie die DEA-Agenten erläutern, befindet sich der berüchtigte mittelamerikanische Drogenboss Franz Sanchez gerade auf US-amerikanischem Boden und könnte endlich geschnappt werden. Kurzerhand schließen sich Leiter und Bond der Aktion an, die von Erfolg gekrönt wird. Gerade noch rechtzeitig kommen 007 und Leiter bei der Hochzeit an, wo sie von ihrem gemeinsamen Freund Sharkey und Leiters Herzensdame Della Churchill voller Verständnis für ihren ungewöhnlichen Auftritt in Empfang genommen werden. Doch während die Hochzeitszeremonie in vollem Gange ist, gelingt es Sanchez, einen Agenten zu schmieren und sich so seine Freiheit zurück zu erkaufen.

Noch in der Hochzeitsnacht wird Della von Sanchez' Handlangern ermordet, Leiter wiederum wird von ihnen schwer verletzt. Bond, der weiß, wie es sich anfühlt, seine Braut wenige Stunde nach der Eheschließung durch einen kaltblütigen Angriff ans Reich der Toten zu verlieren, wendet sich erst an Leiters Vorgesetzten. Da Sanchez wieder aus dem Zuständigkeitsbereich der Behörde floh, verweigert sie jegliche Mitarbeit, was Bonds Geduldfaden reißen lässt. Er und Sharkey schwören, sich eigenhändig der Sache anzunehmen und folgen der Spur von Sanchez' Drogenimperium, um den Aufenthalt der Täter ausfindig zu machen. MI6 hält jedoch wenig von Bonds Rachefeldzug und will ihn auf einen neuen Fall ansetzen, den der Agent allerdings ablehnt. Die Lage eskaliert und Bond wird aus dem Dienst entlassen, was ihn aber nur weiter erzürnt. Der nach Blutrache dürstende 007 heuert er die ehemalige CIA-Agentin Pam Bouvier an, die ihn dabei unterstützen soll, nach Isthmus City in den Bahamas zu gelangen, wo er Sanchez vermutet. Dort versucht Bond, Sanchez' Drogenring zu unterwandern und daraufhin den Ganoven höchstpersönlich zur Strecke zu bringen …

Lizenz zum Töten ist zugleich intimer und spektakulärer als Der Hauch des Todes: Einerseits setzt Daltons Abschlussfilm den Gedanken seines Vorläufers fort, von der Megalomanie der meisten früheren Bond-Schurken abzukehren. Hier will niemand die Welt zerstören, beherrschen oder erpressen, selbst eine systematische Attacke auf sämtliche westlichen Top-Geheimagenten bleibt aus. Der von Robert Davi mit eiskalter Prägnanz verkörperte Drogenbaron Sanchez führt einfach "nur" einen erfolgreichen Kokainring und vergriff sich bei seinen sadistischen Methoden, dieses Unterweltimperium zu verteidigen, ausgerechnet an den zwei Menschen, die James Bond am Herzen liegen.

Und bringt so den Plot ins Rollen. Nicht nur der Realismus von Sanchez' Verbrechen verleiht Lizenz zum Töten eine Bodenhaftung, wie sie im Bond-Kinokanon seit Im Geheimdienst Ihrer Majestät nicht mehr zu erleben war, sondern auch die überschaubare Bandbreite an Schauplätzen: Globetrotter Bond ermittelt für eine lange Strecke dieses Falls in Key West, und sobald er das paradiesisch aussehende, doch von Korruption zerfressene Florida verlässt, geht es nach Mittelamerika. Und das war es. Keine Reise um die ganze Welt, bei der es einige berühmte Touristenschauplätze zu sehen gibt. Dies lässt Lizenz zum Töten weniger glamourös erscheinen, nimmt etwas von der Reiseromantik des Martinis schlürfenden Weltenbummler-Agenten und erhöht zudem durch das Gefühl, Bond arbeite völlig isoliert, den Dringlichkeitsgrad des Films. All dies, ohne ihn zu düster, zu karg, zu unspektakulär erscheinen zu lassen. Immerhin heiratet Bonds bester Freund auf einem prachtvollen Anwesen in Florida und auch Sanchez' Villa hat genug übertrieben-luxuriöse Architektur zu bieten, um diesen Film als 007-Fall zu markieren und nicht als verfrühten Ableger der Bourne-Reihe, die ja gänzlich auf Momente zu verzichten versucht, in denen durch staunende "Wow!"-Momente dem Zuschauer schwärmerische Weltflucht ermöglicht wird.

Auf der anderen Seite fängt John Glen die wenigen Schauplätze von Lizenz zum Töten mit solch einer liebevollen Ehrfurcht vor ihrer Pracht ein und spickt diese Rachegeschichte mit so packenden Actionpassagen, dass sie viel bombastischer wirkt als ihr Vorläufer. Das Finale zählt zu den aufregendsten der gesamten Bond-Geschichte: Gefilmt auf der berüchtigten La Rumorosa Road, auf der sich zahllose Unfälle ereigneten, weshalb sie von den mexikanischen Behörden irgendwann zum Sperrgebiet für den Autoverkehr ernannt wurde, ereignet sich eine rasante, wuchtige Verfolgungsjagd, in der speziell für die Stunts in diesem Film gebaute Laster durch staubige Hügel und Kurven düsen. Noch ohne Computereffekte und allein mittels präzisem Filmschnitt sowie waghalsiger, minutiös geplanter Stunts entbrennt John Glen in seinem finalen Bond-Film ein Feuerwerk leinwandfüllender Action, die nicht nur ihrem Anspruch gerecht wird, furiosen Popcornspaß zu liefern, sondern dank der schieren Masse der Laster und der waghalsig-ruchlosen Aktionen Bonds bei allem Spektakel noch immer tonal dem restlichen Film treu bleibt.


In den USA war Lizenz zum Töten der erste Bond-Film, der ein PG-13-Rating verpasst bekam, doch dies nur um eine Haaresbreite. Als die Produzenten der MPAA den Film vorlegten, urteilte sie, dass er ein R-Rating erhalten sollte, woraufhin einige Sekunden der Schere zum Opfer fielen. Anders als es heutzutage üblich ist, wurde die ungekürzte Fassung international den jeweiligen Behören vorgelegt. In manchen Ländern startete aufgrund anderer Bestimmungen die komplette Schnittversion, im Vereinigten Königreich wurde wiederum für eine Freigabe ab 15 Jahren gekürzt, in Deutschland für eine FSK ab 16 Jahren. Mittlerweile ist aber weltweit die vollständige Fassung auf DVD und Blu-ray erhältlich. Dennoch führt diese Anekdote vor, von welcher Gangart Lizenz zum Töten ist: Es ist der Daltons Ausstrahlung und Stärken in die Karten spielende Bond der Ära Stirb langsam, und dies ist inhaltlich sogar begründet. Dass Daltons Bond, der schon in seiner Premiere kompromisslos durchgriff, bei einem persönlich motivierten Rachefeldzug keine Gefangenen macht, dürfte niemanden schockieren. Die Gewaltspitzen unterstreichen dies und betonen die finstere Gemütslage des aggressiven Agenten, ohne dabei zu selbstgefällig, zu voyeuristisch zu sein, zu sehr auf den Schockeffekt zu setzen. Dafür schneidet John Glen dann doch rasch genug weg und dosiert die brutaleren Tode vorsichtig und über den ganzen Film verteilt. Das perverse und zynische Blutbad, das einige zeitgenössische Kritiker aus ihm machen wollten, ist Lizenz zum Töten nicht. Es ist grimmer Eskapismus, ein determinierter, übel gelaunter Bond-Film. Aber noch immer ein Bond-Film: Per se liebt 007 seinen Job, etwa zu sehen in der Introsequenz, und mit der ausgedehnten Rolle, die Q hier erhält um als alleinige MI6-Unterstützung Bonds zu dienen, rettet sich genügend 007-Alltag in diesen Film, um an Bonds spaßigere Zeiten zu erinnern. Da Desmond Llewelyns Q hier auf schrille Gagdgets und Slapstick verzichtet, sondern eher gegen Bonds Willen als warmherziger Freund auftritt, vermeidet Lizenz zum Töten auch einen zu krassen Tonfallwechsel in Qs Szenen.

Den Ton des Films fängt darüber hinaus auch der Score wundervoll ein. Komponist Michael Kamen tritt hier mit einer atmosphärischen Klangtapete würdevoll in die Fußstapfen John Barrys. Kamen adaptiert das bekannte Bond-Hauptthema in einer etwas gedämpfteren, suspensevolleren Variation, außerdem würzt der Lethal Weapon-Komponist seinen Score mit einem nicht zu kitschigen Liebesthema und gelegentlichen, prägnant eingesetzten Verwendungen nontraditioneller Instrumente. Zum letzten Mal gibt es in Lizenz zum Töten zudem eine Vorspannsequenz zu sehen, die Maurice Binder entworfen hat. Leider ist diese mit einem ideenlosen, visuellen Fotokamera-Motiv und lieblos durchs Bild schwebenden Frauensilhouetten bestückt und eine der schwächsten Leistungen Binders. Dafür gefällt mir der langsame, stimmungsvolle Titelsong mit seinen Referenzen an Goldfinger (was die Komponisten jedoch in Schwierigkeiten brachte), der lediglich einen kleinen Tick zu lang ist.

Unterm Strich kann ich Regisseur John Glen, der Lizenz zum Töten als seinen besten Bond-Film bezeichnet, nur beipflichten. Auch wenn die Dialoge gerade im Mittelteil etwas hölzerner geraten sind als im ersten und letzten Drittel (was wohl dem Autorenstreik geschuldet ist), überzeugt die Charakterisierung Bonds durchgehend und ist rauer, komplexer als in einem üblichen 007-Film. Dalton spielt energisch und verbissen, die Schurken (darunter ein junger Benicio del Toro) sind denkwürdig, die weiblichen Figuren sind fähig sowie sympathisch und die Action fesselt von Anfang bis Ende. 

Im Sommer 1989 wurde Lizenz zum Töten von Batman, Indiana Jones und der letzte Kreuzzug und Lethal Weapon 2 vollkommen überwalzt, aber im Bond-Pantheon gebührt ihm ein Ehrenplatz. Sein Ruf bei der breiten Masse mag weiterhin angeknackst sein, doch Freunde des kernig-coolen Eskapismus bekommen mit Daltons Abschiedsfilm ein kleines Juwel spendiert, das einzigartig unter den Bond-Filmen ist.

Montag, 9. Juni 2014

80 Jahre Donald Duck


Die wundervollste Schöpfung der Disney-Geschichte feiert Jubiläum: Auf den Tag genau 80 Jahre ist es her, da watschelte erstmals ein launischer Erpel über die Kinoleinwand. Seither ist dieser vom Pech verfolgte Wüterich nicht mehr aus dem Pantheon der umwerfenden fiktionalen Kreaturen wegzudenken: Donald Fauntleroy Duck ist Kinostar, Comicheld, Fernsehpromi und Merchandising-Ikone in einem, und obendrein macht er auch regelmäßig die Welt der Videospiele unsicher. So etwa in nicht all zu ferner Zukunft als Teil von Disney Infinity.

So ein rundes Jubiläum will natürlich gefeiert werden. Der Ehapa-Verlag etwa begeht es mit allerlei Sonderausgaben seiner Disney-Publikationen und im Disney Channel wird das Programm vom populären Matrosenhemdträger regiert. An dieser Stelle sei wiederum ganz einfach erläutert, wieso Donald der Beste aller Disney-Stars ist. Die Gründe sind unzählbar, also begnüge ich mich mit acht Stück. Für jedes Jahrzehnt eins, wenn man so will ...

  1. Donalds Karriere beweist, dass Erfolg überall herkommen kann. Lange bevor die üblichen Hollywood-Marktstudien zum Alltag wurden, aber auch einige Jahre nachdem Walt Disney und Ub Iwerks Micky Maus erschaffen haben, um ihre Existenz zu retten, war Donald schlicht als Nebendarsteller für das Micky-Universum gedacht. Doch er eroberte die Herzen der Kinogänger und der Disney-Künstler, so dass er immer mehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückte. Dank Carl Barks wurde er letztlich zum Mittelpunkt eines eigenen Figurenuniversums und bis heute hält seine Popularität an. Das soll ihm mal eine der zwecks Profitsteigerung erdachten Retortenschöpfungen nachmachen!
  2. Donald ist klein, viele Disney-Autoren behaupten, er habe leichtes Übergewicht und zudem hat er eine ständig heisere Nuschelstimme. Geschichten über andere Figuren mit diesen Merkmalen würden über nichts anderes referieren. Donald hingegen ist keine solche Problemfigur. Und wieso? Weil er einfach eine zu starke Persönlichkeit hat, als dass es nahe läge, sich auf sowas zu beschränken. Somit lehrt uns Donald, dass es das Innere ist, was zählt. Eine Lektion, die bei ihm angenehm unaufdringlich vermittelt wird.
  3. Obwohl Donald solch eine klar umrissene Persönlichkeit hat, ist er als Figur vielseitig einsetzbar. Was für viele andere popkulturelle Ikonen nicht gilt. Jack Sparrow funktioniert nur in einem Piratenabenteuer. Eine Kochsendung mit Batman wäre lächerlich. Sherlock Holmes ist bevorzugt in Kriminalgeschichten anzutreffen. Aber Donald? Ob komische Kurzgeschichten über die Tücken im Haushalt oder über Differenzen mit der Familie, ob Kriminalgeschichte, surrealer Reisefilm, Superheldenepos, Abenteuerspektakel, Militärstory, Gruselgeschichte oder Wirtschaftsdokumentation: Er kann alles!
  4. Epic Mickey schön und gut, aber mit seiner zentralen Rolle in den Kingdom Hearts-Spielen sowie dem unterschätzten Jump'n'Shoot-Klassiker Donald in Maui Mallard ist es Donald, der in einigen der besten Disney-Videospielen herumtollt.
  5. Donalds Filme gewannen mehr Oscar-Beachtung als die einer gewissen Maus ...
  6. Donald ist solch ein gutes Vorbild, gerade weil er keins ist. In der ach-so-pädagogisch wertvollen Disney-Welt häuft Donald Schulden an, hängt aus Spaß mit Schurken herum, drückt sich vor Arbeit und setzt Goofys Leben auf Spiel. Aber er hat das Herz am rechten Fleck, kümmert sich beispielsweise seit Jahrzehnten um seine (verwaisten?) Neffen und kämpft als Superheld gegen das Böse.
  7. Donald ist ein Multimediastar. Kurzfilme. Langfilme. TV-Specials. TV-Serien. Comics im Heftformat wie im Taschenbuch-Format. Und es gibt in dutzendfach als Ente in Öl, Barks sei Dank!
  8. Donald ist der Jedermann, der Micky und viele andere Figuren gern wären. Jedermannfiguren sind normalerweise kantenlos, austauschbar, Leerstellen, die der Zuschauer füllen kann, indem er sich in die Figur hineinprojiziert. Donald ist anders. Er wird als Ente wie du und ich anerkannt, geliebt, gefeiert. Daber ist er komplexer, kantiger und determinierter als jede andere Disney-Figur.

In diesem Sinne: Donald, die Welt liebt dich. Ich liebe dich! Mach weiter so! Auf die nächsten 80 Jahre Unterhaltung höchster Güteklasse!

Sonntag, 8. Juni 2014

Marvel und die Yes Men


Im englischen Sprachgebrauch nennen sie Filmkenner "Yes Men" oder "Journeymen Directors": Regisseure, die ohne erkennbare Markenzeichen arbeiten, die Filme im Sinne des Auftraggebers (also des Studios) abliefern. Erstere Bezeichnung hat zweifelsfrei einen abschätzigen Beigeschmack, beruht sie doch auf der Vorstellung, dass diese Regisseure zu jedem Studio-Memo Ja sagen. Letztere Bezeichnung ist schon eher wertneutral: Es sind (Wander-)Gesellen, also handwerklich ausgereifte Regisseure, die aber noch nicht Meister ihres Fachs sind und somit eher für Auftragsarbeiten zu haben sind.

Marvels Ant-Man sollte ursprünglich von einem solchen Meister stammen. Mehr noch: Von einem exzentrischen Meister, dessen eigener Stil sich längst weit herumgesprochen hat. Bekanntlich kam es aber zwischen eben diesem Meister, Edgar Wright, und Marvel zum Clinch, woraufhin zahlreiche andere Komödienfilmer angefragt wurden, die aber allesamt ablehnten. Nun, mit dem geplanten Drehstart direkt vor der Tür, sagte einer dieser Yes Men oder Journeymen zu: Peyton Reed, den Regisseur des Disney-Channel-Films Ein toller Käfer kehrt zurück sowie der Kinokomödien Girls United, Down with Love, Trennung mit Hindernissen und ... Der Ja-Sager (im Original ... Yes Man).

Im ersten Moment ist diese Meldung zweifelsohne ein herber, herber Schlag. Schließlich freuten sich die meisten Marvel-Anhänger nicht auf den ersten Kinoeinsatz der Figur Ant-Man, sondern auf Marvels Kooperation mit einem so eigenwilligen Regisseur wie Edgar Wright. Nun einen umso unauffälligeren Regisseur auf den Posten zu setzen, wirkt fast schon lächerlich.

Auf den zweiten Blick ... naja, ist diese Nachricht noch immer enttäuschend. Aber betrachten wir es nüchtern: Marvel will den Drehplan einhalten. Es gibt kaum Zeit für einschneidende, neue kreative Entscheidungen. Einen Menschen wie, sagen wir Mal, James Cameron, anzusetzen, wäre Talentverschwendung. Besonders schlimm wäre es, würde Marvel einen schnell arbeitenden Regisseur anzusetzen, der dennoch sogar einen eigenen Stil mitbringt, wodurch ein wilder Mischmasch aus Wrights Vorarbeit, Marvels Memos und dem neuen Regisseur entstünde. "Robert Rodriguez' Marvels Ant-Man, inspired by Edgar Wright"? Das kann nur ein mieses Chaos geben. Es sei denn, wir reden von Ausnahmefällen wie Brad Bird und Ratatouille, wo viel kreativer Geist und wenig Zeit ein Meisterwerk ergeben haben.

So traurig es ist: Ohne Ant-Man zu verschieben, kann nur ein Regiegeselle das Ding schaukeln, einer, der das Ding nicht mangels handwerklicher Erfahrung oder Geschmack gegen die Wand fährt, sondern sich strikt an den Plan hält. Das wird mit Sicherheit schlechter als alles, was Wright gemacht hätte. Aber es wird, wenn das Drehbuch stimmt, besser als ein von vielen Köchen verdorbener Brei. Wie es beispielsweise bei Pixar und Merida geschah.

Da Adam McKay (Anchorman) das Drehbuch überarbeitet, dürfte Ant-Man kein all zu verwässertes Irgendwas werden. Ja, Wrights Ant-Man wäre vorab um ein Vielfaches reizvoller. Doch das Kind fiel in den Brunnen. Es geht nicht mehr um "Wie genial wird es?", sondern um "Wie wenig wird der Film enttäuschen?". Und da macht mir der unauffällige Niemand Peyton Reed weniger Angst als Unsympath Brett Ratner oder die besser nochmal in die Lehre gehenden Gesellen John Moore und Shawn Levy.