Freitag, 31. Juli 2015

Iron Man 2


2008 stürmten die Marvel Studios mit Iron Man das Spielfeld, das wir Hollywood nennen: Jon Favreaus Comicumsetzung nahm weltweit über 585 Millionen Dollar ein. Mehr noch: Mit ihrem hohen Tempo, einem kongenial besetzten Robert Downey junior und einem leicht ironischen Unterton überzeugte Marvels erste Eigenproduktion sogar einen Großteil der Kritiker. Zwei Jahre später sollte das Sequel nicht nur diesen Erfolg ausbauen, sondern obendrein mit Nachdruck vermitteln, dass das von Kevin Feige geführte Studio noch großes vorhat.

Im Filmuniversum selbst ist seit Tony Starks Wandlung vom Waffenlieferanten zum Superhelden im eisernen Anzug erst ein halbes Jahr vergangen, wenngleich ein äußerst turbulentes. Nachdem Stark während einer Pressekonferenz seine geheime Identität senthüllte, arbeitete er erfolgreich am Weltfrieden. Der Playboy und technisch überaus bewanderte Firmenchef stieg zu einer der beliebtesten Persönlichkeiten der Weltgeschichte auf und eröffnete in New York zudem die Stark Expo: Eine Weltausstellung mit Fokus auf technische Entwicklungen, die uns eine frohe, segensreiche Zukunft bescheren sollen. Außerdem bietet sie dem Milliardär mehr als genug Gelegenheiten um sein gigantisches Ego zu befriedigen. Währenddessen entwickelt sich ein Rechtsstreit zwischen Tony Stark und dem US-Militär, das ihn auf rechtlichem Weg dazu zwingen möchte, seine Iron-Man-Ausrüstung der Armee auszuhändigen. Doch nicht nur dem Militär ist Stark bzw. Iron Man ein Dorn im Auge: Auch sein Mitbewerber Justin Hammer (Sam Rockwell) möchte ihn fallen sehen. Genau daran arbeitet Ivan Vanko (Mickey Rourke), der Sohn eines Arbeitskollegen von Tonys Vater Howard Stark, der mit Hilfe älterer Blaupausen seinen eigenen Superanzug bastelt und es auf Rache für seine Familienehre abgesehen hat.

Angefangen bei Das Imperium schlägt zurück, hin zu Pirates of the Caribbean - Die Truhe des Todes und The Dark Knight: Viele Fortsetzungen bemühen sich, düsterer und komplexer als ihr Vorläufer zu sein, und zumindest bei den genannten Beispielen ging die Rechnung auf. Allerdings bietet sich dieser Stimmungswechsel nicht immer an, und all zu häufig verliert die Fortsetzung durch die "größer, schneller, finsterer"-Mentalität viele der Vorzüge des Originals. Wenn man bei Iron Man 2 eins richtig gemacht hat, dann diesbezüglich, dass Tony Starks zweiter Leinwandeinsatz tonal versucht, in Spuckweite des Erstlings zu bleiben. Obwohl Autor Justin Theroux (Tropic Thunder)
auch die Schattenseiten von Tony Starks narzisstischen Charakter aufzeigt, toppt Iron Man 2 zumindest den Anteil an augenzwinkernd-spaßig gemeinten Passagen des ersten Teils. Der dramatische Subplot darüber, dass Stark seinen schleichenden Tod aufgrund einer Vergiftung durch die in seinen Brustkorb implantierte Technologie kaltschnäuzig herunterschluckt, zieht die Stimmung nicht hinunter - und wirkt trotzdem nicht runtergerattert.

Gleichwohl ist sie Teil des zentralen Problems, das den dritten Eintrag ins 'Marvel Cinematic Universe' plagt: Iron Man 2 hat viele, viele Ansätze, und verfolgt letztlich keinen in zufriedenstellender Ausgiebigkeit. Stark stößt sein Umfeld (vor allem Pepper, erneut toll gespielt von Gwyneth Paltrow) vor den Kopf. Die US-Regierung ist scharf auf seine Ausrüstung. Sein ewiger Konkurrent Hammer will ihn übertölpeln. In Form von Ivan Vanko alias Whiplash taucht ein neuer Gegner auf. S.H.I.E.L.D. ist sich unsicher, ob sie Iron Man als Teil der Avengers-Initative sehen wollen. Und dann muss noch ein neues Element entdeckt werden ... Für eine Geschichte, die sich allein um eine Figur dreht, nämlich den Titelhelden, ist diese ein viel zu fragmentierte, uneinige Erzählung, weshalb nie eine mitreißende, flüssige Storydynamik aufkommen will.

Daher fällt hier die (in späteren Marvel-Filmen deutlich besser bewältigte) Ausarbeitung des Marvel-Kosmos so negativ auf. Die mal mehr, mal weniger versteckte Verwendung von Ausrüstungsgegenständen anderer Superhelden ist noch amüsant. Aber selbst Samuel L. Jackson als Nick Fury kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Marvel Studios Iron Man 2 streckenweise als überlangen Trailer für den Avengers-Film nutzen. Insbesondere die von Scarlett Johansson verkörperte Natalie Rushman respektive Black Widow kommt zu lang vor, um als bloßer Appetitanreger zu funktionieren, wird gleichwohl zu wenig genutzt, um ihre hier noch schammige Skizzierung zu verzeihen. Einen Vorteil hat ihr Auftauchen dennoch: Ihre toll choreographierte, rasche Actionsequenz ist ein dringend benötigtes Gegengewicht zur zähen, visuell so belanglosen Schlusssequenz, in der Iron Man und War Machine gegen Whiplash in einer riesigen Iron-Man-Raubkopie sowie dessen Armee an mittelgroßen Iron-Man-Raubkopien antreten.

Generell zeigt Favreau in Iron Man 2 ein deutlich geringeres Händchen dafür, wie unterschiedlich und fesselnd die fliegende Rüstung Starks in Aktion gezeigt werden kann. Der Action-Höhepunkt erfolgt noch im ersten Drittel, wenn Iron Man während des Historischen Großen Preises von Monaco von Whiplash angegriffen wird. Rourke beweist hier wieder einmal einnehmende Leinwandpräsenz und die elektrisierten Peitschen seiner Rolle werden ideenreich verwendet, um das Duell packend zu gestalten. Wann immer Iron Man nach dieser Szene höchstpersönlich aufkreuzt, enttäuscht die Action. Eine Prügelei in Starks Villa ist eingangs aufgrund des Kontexts und der Musikauswahl amüsant, schlussendlich überreizt Favreau diese Szene allerdings so sehr, dass sie lästig wird. Und das Finale ist wie schon angerissen gar für die Tonne.

Vanko hat nach der Monaco-Szene, abgesehen von zwei, drei gelungenen Sprüchen, ebenfalls völlig ausgedient, weshalb Sam Rockwell die Kohlen aus dem Feuer holen muss: Als großspuriger Möchtegern-Stark gelingt es ihm, dadurch so extrem witzig zu sein, weil seine Figur gerne witzig wäre, es aber nicht ist. Somit ist er ein überzeugender Gegenpol zum Titelhelden, den Robert Downey junior erneut mit sichtlich großer Spielfreude zum Leben erweckt. Seine Darbietung des größenwahnsinnigen und selbstverliebten Milliardärs mit der Ausstrahlung eines Rockstars und einem tief unter seinem Lebemann-Mantel versteckten guten Herzen macht schlichtweg Spaß. Obendrein enthält sie bei aller ironischen Überzeichnung noch genügend Glaubwürdigkeit, um diesen faserig erzählten und in den Actionmomenten enttäuschenden Film nicht völlig in ich zerfallen zu lassen  Trotzdem: Die Pluspunkte von Iron Man 2 zünden zu wenig, um dieser an den Kinokassen stark aufgenommenen Produktion Pepp zu verleihen. Die meisten der Szenen beginnen oder enden spröde bis öde, und bei diesem unkonzentrierten Superheldenactioner reicht es nicht, wenn die meisten Sequenzen nur einen peppigen Kern aufweisen, der sich eh wieder verliert. Iron Man 2 ist das Billig-Atemfrischbonbon unter den Marvel-Eigenproduktionen: Ganz kurz erfrischend, und zack, ausgelutscht.

Freitag der Karibik #12

Obligatorische Spoilerwarnung für  Pirates of the Caribbean - Am Ende der Welt!

Wenn man einen Film mehr als zehn Mal im Kino schaut und ihn obendrein unzählige Male im Rahmen von Filmabenden mit Freunden und Bekannten guckt, so ist es gut möglich, dass sich gewisse Reaktionen häufen. Und es gibt einen Moment in Pirates of the Caribbean - Am Ende der Welt, der nahezu jedes Mal halbleise und kritisch von Mitguckerinnen angesprochen wird.



Sobald die Szene nach dem Abspann läuft, die zeigt, wie es Elizabeth Swann zehn Jahre nach den turbulenten Ereignissen des Hauptfilms ergangen ist, spöttelt praktisch immer eine im Saal / Zimmer befindliche Zuschauerin: "Wie unrealistisch, die sieht ja nicht einen Tag älter aus!" Und jedes verdammte Mal denke ich: "Boah, Ruhe, du bist doch bloß neidisch!"

Es gibt nämlich mehrere Gründe, weshalb Elizabeths Aussehen zum Abschluss von Am Ende der Welt in meinen Augen vollkommen genehm ist. Erstens sah man sie zuletzt in desolatem Zustand: Ungepflegt, zerzaust, die Monate auf See gerbten ihre vom Sonnenbrand geplagte Haut und ihre Haare könnten auch mal wieder eine Kur gebrauchen. Kurzum: Elizabeth lief vor dem Abspann von Am Ende der Welt wie eine erfahrene Piratin herum. Die Post-Abspannsequenz suggeriert, dass sie wieder ein etwas geordneteres Leben führt - und daher sieht sie gepflegter aus. Da fallen die zehn zusätzlichen Jahre auf ihrem Buckel kaum auf.


Darüber hinaus ist es nur realistisch, dass Gore Verbinski und sein Team Elizabeth Swann nicht extrem altern ließen. Schließlich wird sie von Keira Knightley verkörpert, und wie uns die vergangenen Jahre bewiesen haben, muss sich in ihrer DNA das Geheimnis des Jungbrunnens befinden. Hätte man Knightley also in Am Ende der Welt aufgrund schlapper zehn Jahre, die handlungsimmanent vergangen sind, mit Altersschminke zugekleistert, würde der Film viel schlechter altern, da sich künftig die Frage stellt "Wieso sieht Knightley so unnatürlich alt aus?"

Gwyn - Prinzessin der Diebe, 2001

King Arthur, 2004

The Imitation Game, 2014

Entscheidend ist allein, dass Elizabeth in der Am Ende der Welt-Schlusssequenz reifer aussieht als noch in Fluch der Karibik. Ob sie nun über zehn Jahre älter aussieht und erste Fältchen zeigt und so dem Publikum das Gefühl gibt "Hach, wenn sie so stark altert, darf ich das auch" oder ob sie einfach nur ein bisschen mehr Reife zeigt und unseren Neid wachkitzelt, ist aus "realistischer" Sicht unbedeutend. Nur verrät der tatsächlich eingeschlagene Weg offensichtlich mehr über das Filmpublikum. Flüche, Ungeheuer und Göttinnen, alles in Ordnung. Aber wehe, eine Frau altert unverschämt gut, dann müssen wir mal über Glaubwürdigkeit reden!


Samstag, 25. Juli 2015

Project: Almanac


Die cineastische Schublade des Found-Footage-Films wird vornehmlich von Horrorfilmen dominiert. Vom Kannibalenthriller Nackt und zerfleischt über den subtilen Schrecken Blair Witch Project bis hin zum Geisterbeobachtungsschocker Paranormal Activity und all seinen Trittbrettfahrern haben zahlreiche Horror-Untergattungen bereits eigene Found-Footage-Vertreter erhalten. Gelegentlich nutzen Filmemacher die Spielerei, fiktive Storys in ein dokumentarische Formalien zu kleiden, jedoch für Projekte außerhalb der Horror-Ecke – und einige dieser Ausnahmen von der Regel zählen auch prompt zu den findigeren Found-Footage-Werken. So erntete im Herbst 2012 das spannende Polizei-Drama End of Watch mit Jake Gyllenhaal in der Hauptrolle großes Kritikerlob, ebenso wie der wenige Monate zuvor gestartete Chronicle – Wozu bist du fähig?.

Die geistreiche Verquickung aus Außenseiter-Drama und pessimistischer Superheldenstory machte Regisseur Josh Trank kurzfristig zu einer immens gefragten Person in Hollywood – seither wurden ihm das Fantastic Four-Reboot sowie ein Star Wars-Ablegerprojekt zugetragen. Letzteres hat sich mittlerweile zwar erledigt, trotzdem fällt es schwer, nicht zu mutmaßen, dass es die überaus positive Resonanz auf Tranks Debüt war, die den Weg für Project Almanac ebnete. Denn auch in der Ende 2012 in Auftrag gegebenen Produktion hält eine Gruppe pubertierender Schüler auf Video fest, wie sie eine futuristisch anmutende Entdeckung macht, dadurch enger zusammenwächst und schlussendlich in Trubel gerät. Denn selbstredend treibt irgendwann einer von ihnen mit seinen neuen Fähigkeiten Schindluder.

Im unter anderem von Michel Bay produzierten Project Almanac geht es aber nicht erneut um solche Superkräfte wie Telekinese oder die Fähigkeit, zu fliegen. Das 17-jährige Physikass David (Jonny Weston), sucht zu Beginn des Films verzweifelt nach einem Experiment, das ihm ein Stipendium beim MIT verschaffen könnte. Da David aber mit seinem Latein am Ende ist, durchstöbert er den Kram seines vor Jahren verstorbenen Vaters, der als Erfinder tätig war. Als ihm und seiner Schwester Christina (Virginia Gardner) eine alte Videokamera in die Hände fällt, traut er seinen Augen nicht: Auf einer Aufnahme seiner siebten Geburtstagsfeier ist im Hintergrund sein heutiges Ich zu sehen. David versichert sich bei seinen Freunden Adam Le (Allen Evangelista) und Quinn Goldberg (Sam Lerner), ob sie dasselbe sehen wie er. Und tatsächlich: Auch sie meinen, den 17-jährigen David im Video auszumachen – was die Theorie aufkommen lässt, dass sich unter den Hinterlassenschaften seines Vaters eine Zeitmaschine befindet. David und Co. stellen das Haus auf den Kopf, woraufhin sie ein unfertiges, hochkompliziertes Projekt vorfinden. Sie glauben, dass es sich dabei um die unvollendete Zeitmaschine handelt. Mit der mehr oder minder unwillentlichen Hilfe ihrer populären Mitschülerin Jessie Pierce (Sofia Black D'Elia) machen sie sich drauf und dran, das Gerät zum Laufen zu bringen …

Eine ungeschriebene Faustregel des Found-Footage-Films besagt: „Wenn der Zuschauer sich Gedanken über Sinn und Unsinn des Bildmaterials macht, ist gehörig etwas schief gelaufen!“ Es sagt daher viel über Project Almanac aus, wenn sich immer wieder solche Fragen aufdrängen wie: „Wieso filmt jemand freiwillig, dass er eine Straftat begeht?“ oder „Wieso filmen die Jungs, dass gerade überhaupt nichts passiert?“ Dass sich das Publikum solche Fragen in aller Seelenruhe stellen kann, liegt vor allem in der Struktur dieses Sci-Fi-Streifens begründet.

Einen großen Teil der Laufzeit widmen die Autoren Jason Harry Pagan und Andrew Deutschman dem Alltag von David und seinen Freunden vor Entdeckung der Zeitmaschine sowie den Fehlversuchen, das Gerät zu perfektionieren. Weil die Figuren jedoch allesamt keinerlei Dimension aufweisen, sondern nur flache Stereotypen sind (wenngleich halbwegs sympathisch dargestellte Stereotypen), ist dieser lange Einstieg nur bedingt unterhaltsam. So mancher verbaler Schlagabtausch zwischen den Figuren sorgt für ein leichtes Schmunzeln, dies genügt aber nicht, um diesen ersten Akt aufrecht zu erhalten. Erst sobald die Zeitmaschine funktioniert, wird Project Almanac richtig lebendig. Dass sich die Freunde erstmal nur in allerlei Albereien versuchen, ist sogar noch genrekonform – im Mittelteil ist Dean Israelites Regiearbeit im Grunde genommen eine Teenie-Sci-Fi-Komödie im Found-Footage-Look. Und was Found-Footage-Jugendeskapaden angeht, sind die Eskapaden in Project Almanac um ein Vielfaches erträglicher als die im unsäglichen Project X.

Da sich der Einfallsreichtum von David und Konsorten (respektive der Filmemacher) aber in Grenzen hält, werden auch die zu erwarten stehenden Zeitreise-Späße irgendwann alt. Die Chemie zwischen den Darstellern ist ansehnlich genug, um Project Almanac davor zu bewahren, ein lästiges Seherlebnis zu werden, trotzdem mangelt es lange an einem treibenden Konflikt. Wenn dieser dann endlich eintritt, weil einer der Freunde die Zeitmaschine aus eigenen Motiven benutzt, ist es allerdings zu spät: Was im Sinne eines mitreißenden Spannungsbogens spätestens nach dem ersten Drittel hätte geschehen sollen, wird stattdessen eiligst herunter gerattert. Fesseln kann das Finale durch die hastigen Entwicklungen ganz und gar nicht, so dass schlussendlich dem geneigten Genrefreund bestenfalls die teils pfiffigen, teils aufdringlichen Referenzen auf andere Zeitreise-Filme besonders in Erinnerung bleiben. Und die atmosphärischen Partyszenen werden sicher auch ihre Freunde finden. Als Gesamtwerk ist Project Almanac jedoch zu unentschlossen, nicht zielstrebig genug und zu arm an Alleinstellungsmerkmalen, als dass er sich auch nur ansatzweise mit besseren Found-Footage-Produktionen messen lassen könnte.


Fazit: Überproduzent Michael Bay bringt mit Project Almanac einen Found-Footage-Zeitreisefilm in die Kinos, der zu wenig gute Elemente aufweist, um seine unausgegorenen Passagen vergessen zu machen.

Still Alice – Mein Leben ohne Gestern


Die Produktionsgeschichte des Oscar-gekrönten Dramas Still Alice – Mein Leben ohne Gestern hat selber das Zeug zu einem Film, der ganz nach einem Academy-Award-Anwärter klingt: Im Dezember 2011 wurde dem Regie-Duo Wash Westmoreland & Richard Glatzer angeboten, den Roman Still Alice zu adaptieren. Das Thema traf bei den Lebensgefährten einen Nerv – einen all zu schmerzlichen, genauer gesagt. Die Geschichte einer geachteten, eloquenten Linguistikprofessorin, die in der Blüte ihres Lebens mit der Diagnose einer besonderen Form von Alzheimer konfrontiert wird, erinnerte sie arg an ihre eigenen Erfahrungen. Nur wenige Monate zuvor war Richard Glatzer aufgrund plötzlich aufkommender Artikulationsschwierigkeiten bei einem Neurologen, wo er erfuhr, dass er an der Nervenkrankheit ALS leidet.

Die Art und Weise, wie der Roman Alices Ohnmächtigkeit dem Schicksal gegenüber behandelt und wie er das Gefühl einfängt, mitten im Leben durch eine rasch voranschreitende Erkrankung aus der Bahhn geworfen zu werden, begeisterte die Regisseure. Aber sie fürchteten, eine Verfilmung des Buchs könnte zu viel für sie sein. Von der Persönlichkeit der Titelfigur inspiriert, sagten sie zu, dem raschen Voranschreiten von Glatzers Krankheitsbild zum Trotz. Kurz vor Beginn der Produktionsvorbereitungen musste er schlicht das Autofahren aufgeben, am Set schließlich konnte er kaum noch Arme und Hände bewegen und sich nur noch mittels eine Sprachanwendung verständigen – wobei er nur in bestimmten Sitzpositionen fähig war, mit einem einzelnen Finger sein Tablet zu bedienen.

Obwohl in Still Alice die von Julianne Moore brillant dargebotene Protagonistin nicht etwa die Kontrolle über ihren Körper verliert, sondern nach und nach Opfer eines abstumpfenden Geistes wird, haben beide Schicksale durchaus Parallelen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Glatzer und Westmoreland ein einfühlsames, authentisch wirkendes Werk erschufen. Schließlich erfuhr einer von ihnen den Identitätsverlust und die nachlassende Fähigkeit, sich selbst zu kontrollieren, am eigenen Leib, während die andere Hälfte dieses Duos nur zu gut weiß, wie sich jemand fühlt, der das Erblassen eines geliebten Menschen mit ansehen muss.

Vielleicht vermögen es Westmoreland & Glatzer es auch gerade daher, die Geschichte so umzusetzen, dass sie gleichermaßen sensibel erzählt wird, wie sie schonungslos ehrlich daherkommt. Weder suhlt sich Still Alice – Mein Leben ohne Gestern in erschreckend-desolaten Momenten, die Unbequemlichkeit mit effektivem Filmemachen verwechseln, noch beschönigt diese Romanadaption die Krankheit derart wie Til Schweiger in seiner seichten Tragikomödie Honig im Kopf. Ebenso wenig verlassen sich die Regisseure auf eine große, grelle audiovisuelle Trickkiste, um das Leiden der eingangs so beneidenswerten, begabten Dr. Alice Howland nachfühlbar zu machen. Allein rare, hektische Handkamerafahrten in Mitten dieser sonst eher statisch gefilmten Produktion und wiederholte, längere Auf- und Abblenden, durch die ein Großteil des Bilds verschwommene Formen annimmt, dienen gelegentlich als ästhetischer Kniff.

Diese versetzen das Publikum tatsächlich ohne weitere Umstände in den desorientierten Geisteszustand der Protagonistin, allerdings ist es unbestritten Julianne Moores Performance, der sämtliche Aufmerksamkeit gilt. Zu keinem Zeitpunkt erlaubt es sich Still Alice, durch inszenatorische Mittel von dieser brillanten Darbietung abzulenken, die gänzlich auf Theatralik verzichtet. Dennoch hat diese behutsame, mehrschichtige Skizzierung eines erodierenden Verstands eine ungeheure Gewalt und hallt unfassbar lange nach. Dies liegt auch in der immensen Bandbreite begründet, die Moore scheinbar mühelos bedient. Als starke, moderne Frau, die so lange wie ihr möglich an allem festklammert, was ihr Autonomie erlaubt, geht sie unter die Haut; wenn sie trotz großer Willenskraft die ersten Rückschläge in diesem nicht zu gewinnenden Kampf hinnehmen muss, ist sie kaum wiederzuerkennen. Und wann immer in späteren Filmpassagen ihr altes Ich aufblitzt, hebt Moore mittels unaufdringlich-effizienter Mimik für wenige Augenblicke dankbarerweise den Tonfall dieser Gänsehaut erzeugenden Story.

Ja, es ist schmerzvoll, zunächst mit anzusehen, wie Alice ihre Verzweiflung zu verbergen versucht, weil sie erkennt, was mit ihr geschieht, und dann nach und nach zu bemerken, dass sie diese Fähigkeit zur Selbstreflexion verloren hat. Dennoch ist Still Alice keine deprimierende Tragödie – sie beinhaltet auch behutsame Hoffnungsschimmer, die aber anders als in Honig im Kopf keine Ammenmärchen darstellen. Gehen bei Schweiger wegen einer Vielzahl von erfreulichen Krankheitsaspekten die Schattenseiten gen Schluss fast unter, brechen hier vereinzelte Lichtblicke das grau-graue Bild auf, ohne irgendwas zu verharmlosen. So zeigt Still Alice, das nach Schicksalsschlägen Rückhalt zuweilen von unerwarteter Seite kommt: Kristen Stewart ist zu Beginn Alices „missratenes“ Kind – eine Einzelgängerin, die ganz anders tickt als ihre restliche Familie. Ihre Figur taut aber kontinuierlich auf, was die Twilight-Mimin in ihrer darstellerisch bislang womöglich anspruchsvollsten Leinwanddarbietung schrittweise, empfindsam und mit leisen Zwischenklängen skizziert.

Dieser Film der Gegenwart, in dem die modernen Kommunikationstechniken für Alice hauptsächlich Hilfsmittel sind, aber vereinzelt auch eine Gefahrenquelle darstellen, hat jedoch auch manch kleinere Schwächen. So haben die Ensemblemitglieder neben Moore und Stewart zu wenig zu tun und eines der Mutter-Tochter-Gespräche fasst das Geschehen auffällig konkret zusammen – die sonst so reale Sprache des Films wird da kurzzeitig zu gewollter Kino-Sprache. Bei all den Stärken von Still Alice – Mein Leben ohne Gestern sind diese Negativpunkte aber leicht zu vernachlässigen. So gefühlvoll, so echt, so beeindruckend wurde Alzheimer im fiktionalen Kino bislang nicht geschildert!


Fazit: Gefühlvoll, schmerzlich, brillant: Julianne Moore begeistert in Still Alice – Mein Leben ohne Gestern als Frau, die in der Blüte ihres Lebens an Alzheimer erkrankt.

Whiplash


Was ist Jazz? Ist das nicht diese relaxte, erdige Musik mit langsam gleitenden Melodien, die bei Starbucks und Co. im Hintergrund läuft? Verflucht noch eins, das ist doch kein Jazz, ihr koffeinsüchtigen Schmalspurhipster! Ist es diese freiliebende, lässig-intellektuelle Musik, die entsteht, wenn gut aufgelegte Künstler in einer bläulich beleuchteten Untergrund-Bar spontan vor sich hinimprovisieren? Nein, zur Hölle, was für Wischiwaschi-Weicheiträumereien wurden euch denn in die löchrigen Hirnzellen gepflanzt?! Jazz, das ist Perfektion! Minutiös abgestimmte, höchste Konzentration fordernde Musik, bei der die kleinsten Fehler zerstörerische Auswirkungen haben! Wer hier aus dem Takt kommt, zu hoch oder zu tief spielt, begeht ein Sakrileg an makellosen, anspruchsvollen Kompositionen und gehört daher gesteinigt!

Von dieser Einstellung ist zumindest Bandleader Terence Fletcher (J. K. Simmons) überzeugt, der an der prestigeträchtigen Musikhochschule Shaffer Conservatory of Music eine erlesene Jazzband betreut. Obwohl er aufgrund seiner gestrengen Haltung und seinem unnachgiebigen Perfektionsstreben ebenso berühmt wie berüchtigt ist, sehnt sich der 19-jährige Schlagzeuger Andrew (Miles Teller) sehnlichst danach, in dessen Auswahl aufgenommen zu werden. Denn Andrew hat es sich zum erklärten Lebensziel gemacht, einer der ganz Großen zu werden, jemand, der sich mit dem stilbildenden Jo Jones oder dem technisch versierten Buddy Rich messen lassen kann. Und nur der erfahrene, gebieterische Fletcher, so glaubt Andrew, kann alles aus seinem Talent rausholen. Jedoch lässt sich Fletcher nicht von Ambition und Durchhaltevermögen allein beeindrucken – Andrew muss weit über seine Grenzen hinausgehen, um das zu leisten, was Fletcher hören will …

Regisseur und Autor Damien Chazelle (Verfasser des musikalischen Kammerspielthrillers Grand Piano – Symphonie der Angst) beginnt Whiplash als etwas schroffere Variation einer Geschichte über einen unkonventionellen, inspirierenden Lehrer. Chazelle, der selbst versuchte Jazz-Schlagzeuger zu werden und in den frühen Parts dieses Psychodramas aus eigenen Erfahrungen zehrt, zeigt Fletcher anfangs als berechtigte Autoritätsfigur. Er ist eine Koryphäe seines Fachs und beäugt Schüler zwar übermäßig streng, kitzelt somit jedoch neue Bestleistungen aus den vielversprechendsten Talenten seiner Musikuniversität heraus. So auch aus Andrew, einem abseits seines Drumsets schüchternen jungen Erwachsenen, der vor allem für seinen Traum vom musikalischen Durchbruch lebt.

Für immer Single?-Nebendarsteller Miles Teller spielt Andrew in den alltäglichen Szenen mit sympathischer Zurückhaltung. Er vermag es gleichwohl, dank wandlungsfähigem Gestus subtil zu skizzieren, wie Andrew durch seine Fortschritte als Schlagzeuger ein neues Selbstbewusstsein entwickelt – etwa, indem er gegenüber der Kinoangestellten Nicole (erfrischend: Melissa Benoist) auftaut. Lange hält sich dieses nach einem herausfordernden, packenden Stück von Hank Levy benannte Drummer-Drama allerdings nicht in Gefilden auf, die an andere Schüler-Mentor-Dynamiken erinnern. Wenn Andrew den launischen Fletcher erst richtig kennenlernt, verwandelt sich Whiplash in einen treibenden, hitzigen Militärstreifen im Musikfilmgewand.

J. K. Simmons, der sich in Sam Raimis Spider-Man-Filmen bereits als Zeitungsboss J. Jonah Jameson einen Platz im Pantheon unvergesslicher, cineastischer Choleriker erbrüllte, verschwindet völlig in seiner Rolle. Als aggressiver, nahezu unmöglich zufriedenzustellender Dirigent gibt er über weite Strecken des Films seine Menschlichkeit komplett auf und wird zu einem Raubtier, das auf den nächsten Angriff lauert. Und sobald Fletcher etwas findet, das ihm missfällt, packt er zu. Mit psychischen Tricks, impulsiver Körperlichkeit, geballter Lautstärke und einem Vokabular, das dem grantigsten Drill Seargent die Schamesröte ins Gesicht treiben würde, zerfleischt er seine Schüler als seien sie kleine Appetithappen für zwischendurch.

Aber Simmons lässt es nicht allein auf der sadistischen Ader Fletchers beruhen – mit überzeugendster Zuckrigkeit verleiht er ihm in seltenen Augenblicken den Eindruck eines idealistischen Künstlers, dem es nur darum geht, denkwürdige Musikerlebnisse zu erschaffen. Schon vom Kinosessel aus fällt es daher schwer, bei aller begründeten Abscheu vor Fletchers Methoden nicht dennoch (zumindest phasenweise) seinem Bann zu verfallen – und Andrews Aufopferungsbereitschaft ist bei aller Tragik leider nur zu plausibel.

Dies liegt auch im schneidenden Drehbuch begründet, dessen Dialoge durchweg sitzen und bei jedem, der sich jemals schöpferisch betätigte, einen Nerv treffen dürften – so etwa dann, wenn sich Andrew gegenüber seiner Familie über die Geringschätzung seines Tuns beklagt. Ein echter Terence Fletcher könnte sich bei Whiplash trotzdem nicht völlig mit Schimpftiraden zurückhalten, denn wie bei manchen Sinfonien, die wohl lieber Rhapsodien wären, kommt es hier im vorletzten Satz (respektive Akt) zu minimalen Problemen mit der Geschwindigkeit. Wer nicht über solch ein unangebracht tonangebendes Naturell wie Fletcher verfügt, wird dies angesichts der in der Inszenierung spürbaren Hingabe aber leicht vergeben. Erst recht, da diese ebenso eindrucksvolle wie zweischneidige Ode an all jene, die noch einer wahren Leidenschaft nachgehen, gerade dann brilliert, wenn sie sich ihren prekärsten Momenten nähert.

Und so treibt Whiplash mit nur wenigen Atempausen voran: Fesselnd-qualvolle Unterrichtsstunden, ein immer manischer werdender Andrew, großartiger Big-Band-Jazz, der die Sinne benebelt und die Beine zum Mitwippen animiert – und urplötzlich befindet sich dieser Thriller von einem Musikfilm mitten in einem beinahe unverschämt stürmischen Finale. So, als wäre es eine furiose Abschlussdarbietung einer Musiklegende, übertrumpft dieses mit eiserner Verbissenheit alles zuvor dargebotene: Der rhythmische Schnitt und die höchst effizient nur das Nötigste in den Fokus nehmende Kamera lassen den Puls in die Höhe schnellen, während sich Teller und Simmons ein mimisches Duell liefern, das lange nachhallt. Zum Schluss bleibt dem Publikum ein gestaffelter Schlussakkord, der ihn lange verfolgen wird: Ein jazziger Ohrwurm. Ein handwerklich perfekt orchestriertes Ende. Und die brennende, inhaltliche Frage – wie viel Leid darf mir meine Passion wert sein?


Fazit: Wenn Musik zum Krieg wird: Whiplash ist ein Donnerschlag von einem Jazzfilm, mit wuchtigen Darbietungen und nachhallender Story.

Mittwoch, 22. Juli 2015

Magic Mike XXL


Wo ein Erfolg ist, da ist ein Sequel eine Möglichkeit. Erst recht in der heutigen Kinolandschaft. Aber eine Fortsetzung zur Tragikomödie Magic Mike, Steven Soderberghs vorletzter Leinwand-Regiearbeit? Angesichts des Genres und der finalen Minuten des Originals sowie des Abtauchens Soderberghs ins TV-Geschäft eine sonderbare bis desaströse Vorstellung. Dennoch: Via Twitter gab Hauptdarsteller und Produzent Channing Tatum im Jahr 2012 bekannt, einen zweiten Teil drehen zu wollen. Schön für ihn, die Frage sei trotzdem gestattet: Wovon soll der Film denn bitte handeln, nachdem die Titelfigur sich zum Schluss des Erstlings erfolgreich aus dem Teufelskreis des Erotikmilieus befreit und ein neues Leben an der Seite einer gefestigten Frau angefangen hat? Und aus Sicht eines harschen Kritikers von Magic Mike sei zudem folgender Punkt angerissen: Muss sowas denn sein? Kann Tatum keine andere Rollen übernehmen, um sich auszutoben? Denn wenn schon ein fähiger Regisseur wie Steven Soderbergh aus dem Material keinen durch und durch sehenswerten Stoff formen kann, dann dürfte doch eh jegliche Hoffnung vergebens sein ...




Gleich zu Beginn der Werbekampagne zu Magic Mike XXL sendete Warner Bros. ein überdeutliches Signal: Magic Mike ist zurück, und er hat eine Latte voll Spaß im Gepäck. Und es wird viel getanzt. Gern geschehen. Wer sich vom Teaser nicht abgeholt fühlte, bekam unter anderem einen Trailer hinterher geworfen, der dieselbe Botschaft vermittelte.Das Kinopublikum darf sich im Saal auf einen Sack voller Freude gefasst machen. Filmfreunde, die aufgrund dieser Trailer ihre Zweifel nicht ablegen wollen, müssen ihr Haupt aber nicht in Schande senken. Denn ganz gleich, wie die persönliche Meinung bezüglich Magic Mike ausfiel; Misstrauen war noch immer gestattet. Bei Teil eins wurde der spaßige Faktor schließlich ebenfalls im Voraus überbetont. Und auch der Trailer bleibt dem Betrachtenden noch immer eine Erklärung schuldig: Wie wird die Rückkehr Mikes ins Strippergeschäft gerechtfertigt?

Aber so viele Fälle es auch geben mag, in denen Teaser und Trailer falsche Versprechungen gemacht haben, manchmal ist die Marketingmaschinerie plötzlich sehr wohl von Grund auf ehrlich. Und Magic Mike XXL ist da ein absolutes Paradebeispiel. Denn die Regiearbeit des langjährigen Soderbergh-Produzenten und -Regieassistenten Gregory Jacobs ist größer, besser, lustiger, befriedigender. Und letzteres ist nicht im Sinne des Schulnotensystems gemeint. Kurzum: Magic Mike XXL ist endlich der Film, der Magic Mike sein wollte! Oder wenigstens der Film, der Magic Mike hätte sein sollen!

Die Geschichte nimmt drei Jahre nach den Ereignissen aus Magic Mike ihren Anfang: Mike Lane arbeitet hart daran, seine eigene Schreinerei am Laufen zu halten, als er einen Anruf von 'Tarzan' (Kevin Nash) erhält und ihn auf dem neusten Stand der 'Kings of Tampa' hält: Ihr Boss Dallas ist von ihnen gegangen. Mike eilt, um seinen früheren Arbeitskollegen und Freunden zur Seite zu stehen und erfährt, dass jeder einzelne in der kleiner gewordenen Runde das Strippen aufgeben möchte. Allerdings wollen Mikes langjährigen Weggefährten nicht klammheimlich aus ihrem Beruf ausscheiden. Oh nein! Sie wollen mit einem gewaltigen Knall die Bühne verlassen und fahren daher zur großen Stripper-Convention in Myrtle Beach, wo ihre gemeinsame Karriere einst erst so richtig Fahrt aufgenommen hat. Mike, der zwar zu seinem neuen Leben steht, jedoch auch einige Rückschläge hinnehmen musste, kann sich nicht helfen und schließt sich der Truppe an. Nachdem er überstürzt und von Gram erfüllt seinen geliebten Beruf einst aufgegeben hat, will er nun einen runden Abschluss finden. Ein letztes Mal mit den Jungs durchs Land kurven. Sich noch einmal richtig austoben und ein wahres Feuerwerk abfackeln. Also schwingen sich Mike, Tarzan, Tito (Adam Rodríguez), Richie (Joe Manganiello) und Ken (Matt Bomer) in den von ihrem geliebten Pummelchen Tobias (Gabriel Iglesias) gefahrenen Frozen-Yoghurt-Van und machen sich auf eine Reise, die viele spannende Begegnungen mit alten und neuen Bekanntschaften für sie bereithält!

Oberflächlich betrachtet hat Magic Mike XXL mit seinem Road-Trip bloß eine hauchdünne Story zu bieten. Und ist man bloß gewillt, bei einem Film über Stripper an der Oberfläche zu kratzen, so ist ein Road-Movie die perfekte Formel: Während Magic Mike mit einer schlecht strukturierten, holpernd zwischen Hochgefühl und Drogendrama stotternden Geschichte keinen rechten "Flow" entwickeln wollte und obendrein den eskapistischen Sehgenuss störte, ist die XXL-Variante auf flotten Sehgenuss hingebürstet. Ein Road-Movie ist stets schon allein aufgrund der unumstößlichen Genregesetze einerseits episodenhaft erzählt (Reisen wickeln sich nun einmal in Stationen ab) und zugleich sehr zielgerichtet (schließlich haben die Reisenden eine klar definierte Destination). Wo der Erstling teils ziellos mäandert und ausgedehnte Passagen von Mikes Charakterentwicklung ablenken (oder umgekehrt), ist im Sequel die narrative Struktur weniger ambitioniert, dafür aber umso makelloser ausgeführt. Jede Station ist einfach nur ein Schritt, der auf der Reise zur Convention bewältigt werden muss - und den Strippern irgendwelche Ausflüchte gibt, zu tanzen, sich auszuziehen oder beides gleichzeitig zu erledigen. Wer fürs leicht verdauliche, fleischliche Vergnügen ein Ticket löst, wird also viel kompromissloser bedient als noch in Magic Mike.


Jedoch wäre Magic Mike XXL nicht solch ein (Wasch-)Brett(-bauch) von einem Film, würde sich Drehbuchautor Reid Carolin damit begnügen, auf seine tonal unausgegore Tragikomödie einen leicht bekleideten Tanzfilm on Tour folgen zu lassen. Carolin packt all den haltlos forcierten, unpointierten sowie unausgeglichen eingesetzten Selbstanspruch des Originals, überdenkt ihn komplett neu und nutzt ihn dieses Mal, um das sündige Leinwandvergnügen konstant zu unterfüttern. Magic Mike ist letztlich auch daher so eine kopfschmerzverursachende Angelegenheit, weil er einerseits eine "Wer seinen Körper verkauft, wird emotional und charakterlich versumpfen!"-Botschaft vermittelt und andererseits mit einigen der Kings of Tampa und deren Tanzeinlagen Spaß haben will. Dass sich das beißt, ist nicht zu vermeiden und geriert angesichts der Dialogzeilen, der Performances und auch der Inszenierung von Magic Mike zu einer arg problematischen Diskrepanz.

Der XXL-Strippertrip hingegen exerziert während seiner konstant spaßigen Szenen eine sehr gut durchdachte These durch. Diese zieht zwar kritisch mit dem Status Quo sexuell aufgeladener Berufe und mit Geschlechterrollen ins Gericht, gleichwohl ist sie, passend zum generellen Tonfall des Films, von Optimismus geprägt. Sagt Magic Mike noch "Alles scheiße, aber, hey, wir haben da gute Choreos in unserem Streifen, oder?!", schlägt Magic Mike XXL vor, wie man die Wirklichkeit verbessern könnte!

Auf ihrer Reise gen Myrtle Beach begegnen Mike und seine Kumpels (Alex Pettyfer respektive seine Rolle ist glücklicherweise nicht mehr an Bord!) diversen Frauen, die von Männern herbe enttäuscht wurden. Die bisexuelle Fotografin Zoe (Metacasting: Amber Heard) schwört dem Geschlecht mit dem Gemächt ab, weil sie ausgenutzt wurde. Die frisch geschiedene Südstaatenschönheit Nancy (augenscheinlich seit Sex, Lügen und Video höchstens fünf Jahre gealtert: Andie MacDowell) ist stolz auf alles was sie erreicht hat, liebt ihre Töchter und ist überhaupt eine echt starke, faszinierende Dame ... Doch sie bereut es, nach veralteten Vorstellungen gelebt und sich in ihrer Jugend für ihre nun gescheiterte Ehe aufgehoben zu haben. Und Mikes frühere Flamme Rome (Jada Pinkett Smith) verwandelte einen klassischen Nachtclub, in dem vom Leben enttäuschte Kundinnen wenigstens für ein paar Stunden alle Wünsche von den Augen abgelesen bekommen. Nicht auf die oberflächliche "Hier, schau dir meinen geilen Körper an!"-Weise, sondern mit Passion, Hingabe und Feingespür! Und durch eben diese Begegnungen lernen die Kings of Tampa, dass sie nicht einfach nur strippen sollten, um ihre Zuschauerinnen aufzugeilen. Sie lernen, dass sie sich in die Bedürfnisse und Wünsche von Frauen einfühlen sollten.

Zugleich entwickeln die Erotiktänzer durch die Anregungen des nun auch eine Sichtweise von außen einbringenden Mike, dass es nicht reicht, sich als hohle Dienstleister zu fühlen und altbekannte Tänzerroutinen zu verwursten. Wer sein Publikum glücklich machen will, ohne daran kaputt zu gehen, muss mit voller Hingabe dabei sein. Und wie gelingt es einem Künstler (und sei seine Kunst auch "nur" sich auszuziehen!), mit Leib und Seele seinem Tagwerk nachzugehen? Indem durch sein Schaffen sein Innerstes ausdrückt. Daher werfen die Kings of Tampa zu Beginn des Films ihre klischeehafte Ausrüstung weg und denken sich im Laufe der Handlung neue, individuellere Routinen aus. Dies ermöglicht nur nur ein unverschämt originelles Finale, sondern gibt Magic Mike XXL auch ein komplexeres Bild von der Erotikbranche: Wer sich für dieses Fach berufen fühlt, sich in sein Gegenüber einfühlt und dennoch sich nicht selber verliert, kann darin Freude finden und seinem Publikum tatsächlich etwas mitgeben, das nachhallt. Gegenüber einer Branche, in der Jahr für Jahr viele Menschen aufgrund schlechter Bedingungen zerbrechen und die zugleich auch Menschen hervorbringt, die ihr Tun lieben, ist dies eine viel gerechtere und konstruktivere Aussage als die von Magic Mike.


Vor allem jedoch ist es diese Philosophie, die Magic Mike XXL so eine extrem unterhaltsame Wucht mitgibt! Ganz gleich, wie sehr man bei dieser 14,8-Millionen-Dollar-Produktion nun sein Hirn eingeschaltet lässt: Dank der positiveren, nicht aber dümmeren Attitüde ist das Sequel ein filmischer Ritt, der die Laune hebt ohne mit genügend Abstand einen "Oh weh, ich hab zu viel Fast Food intus!"-Kater zu provozieren. Wobei die Darsteller ebenfalls einen wertvollen Beitrag leisten, um das Sequel meilenweit an der Vorlage vorbeiziehen zu lassen!

Gewiss: Nash und Rodríguez sind weiterhin vor allem aufgrund ihres Körpers Teil des Ensembles, genauso wie Bomer wegen seiner Kombi aus Körper und Stimme vor die Kamera treten darf und sich Iglesias allein durch seine humorvolle Ausstrahlung einen Platz im Cast erarbeitet. Aber das Zusammenspiel ist viel besser. All die Antipathie zwischen Tatum und Pettyfer, die Magic Mike vergiftet, wird hier durch kumpelhafte Sympathie zwischen den Kings of Tampa ersetzt - die auch allesamt einen ausgewogeneren Anteil der Filmlaufzeit erhalten. Davon profitieren die Charaktere, die zwar wirklich nicht die allerausgefeiltesten sind, aber genügend Eigenheiten zeigen, dass man nur zu gern an ihrer Reise teilnimmt. True Blood-Mime Joe Manganiello profitiert davon am meisten und mausert sich zum zweitwichtigsten Mann in dieser Runde: Er legt eine gereifte Ausstrahlung in die Waagschale, gepaart mit spitzbübischem Humor und einer versteckt aufglühenden dominanten Seite. Das erlaubt ihm abwechslungsreiche und daher überraschend-witzige Interaktionen mit seinen männlichen und weiblichen Leinwandkollegen - und beschert ihm auch zwei der absolute Highlightszenen in Form begnadeter Einzelchoreographien, die ebenso feuchtfröhlich-ironiedurchtränkt sind wie athletisch und körperbetont. Man lacht hier nicht über Managniello, sondern mit ihm. Dieses Lachen jedoch übertönt nie den Respekt vor der körperlichen Leistung - weshalb seine Szenen auch dann begeistern dürfen, wenn man kein Auge für artistische Halbnackttänze mitbringt.

Mehr noch als Manganiello erhellt aber Tatum dieses Road-Movie. Durch seine 21 Jump Street- und 22 Jump Street-Erfahrungen in seinem komödiantischen Timing über sich hinausgewachsen, brilliert Tatum in beiläufigerer Situationskomik wie auch in Comedypassagen mit gewaltigem Augenzwinkern. Sein tänzerisches Können kommt ebenfalls noch besser zur Geltung als im Original. Sei es durch mühelos eingearbeitete humorvolle Elemente (Stichwort: Garage) oder dadurch, dass ihm räudigere, selbstbewusst-frivolere Choreographien noch mehr Konzentration abverlangen als die klassischeren Nummern aus Teil eins.Schließlich wollen diese Tänze aggressiv-sexy, und trotzdem sympathisch dargeboten werden - und Tatum meistert diese Balance. Die ruhigeren Momente bringt Tatum nunmehr ebenfalls überzeugend hinter sich. Seien es seine stillschweigenden Reaktionen während der Gespräche mit diversen Frauen oder seine teils Resignation, teils Zukunftsmut signalisierende Körpersprache und Stimmlage, wenn er über seine Ehepläne und deren Ausgang spricht. Der dramatische Feinschliff in Magic Mike XXL bleibt wohlgemerkt genau dies - eine Veredelung des launig-energiereichen Gesamtwerks. Doch es reicht, um Mike als Figur besser zu begreifen als im ersten Part, und ihm seine Motivation in diesem Sequel abzukaufen.

Aber auch die Gaststars stehen dem launische Seitenhiebe gen Fifty Shades of Grey und Twilight austeilenden Stripperspaß gut zu Gesicht. Amber Heard ist so natürlich wie nie zuvor, nutzt endlich einmal ihre Gesichtsmuskeln dazu, authentische Emotionen zu vermitteln - und ist daher nicht wieder zu erkennen. MacDowell ist würde- und humorvoll und erfüllt mit gewohnter Präsenz die Leinwand, Danny Glover zeigt sich überzeugend als galant-romantischer Verführer und Elizabeth Banks wiederholt (leider nur sehr kurz und knapp) ihren besten Pitch Perfect-Modus. Wenn dann noch Jada Pinkett Smith während ihrer Anmoderationen als Stripclubchefin voller Überzeugung und mit beeindruckender innerer Kraft die Frauenpower-Trommel rührt, ohne dabei zum Abziehbildchen zu verkommen, bleibt einem die Spucke weg!


All dies wäre möglicherweise null und nichtig, würde sich Magic Mike XXL in der handwerklichen Umsetzung nicht ebenso vom Vorgänger abheben wie tonal. Jacobs' Regieführung ist losgelöster, lockerer als die seines erfahreneren Kollegen Soderbergh in Magic Mike, ohne je undurchdacht zu sein. Die Tanzsequenzen sind auf den Punkt geschnitten, zeigen ehrfürchtig die Agilität der Performer, punktuelle Gegenschüsse fangen aber obendrein die Umgebung ein und unterstreichen so das Thema, dass die Gefühle, die eine gute Darbietung auslösen, aus etwas Gutem erst etwas Herausragendes formen. Farbästhetisch wird außerhalb von Romes tiefrotem, sinnlichen Nachtclub auf einen realeren Look gesetzt, mit weniger offensichtlichen Farbfiltereinsätzen, wodurch sich das "Mittendrin, statt nur dabei"-Feeling intensiviert. Gerade dies explodiert im furiosen Finale auf der Stripperconvention: Man fühlt sich wie in einer Konzerthalle voller ekstatischer Ladys, denen preisverdächtige Routinen vorgesetzt werden. Das Tempo ist enorm, aber nicht eilig, die Musikauswahl genial und so bleibt einem nach der letzten Aufführung der Kings of Tampa nur der Wunsch: Mehr! Zugabe! Haut noch ein paar Nummern raus!

Der atemberaubende Schlussakt macht auch beinahe die Startschwierigkeiten von Magic Mike XXL vergessen. Denn nach einem sich in seiner Komik und seinem ansteckenden Feeling ansehnlichen Auftakt sorgt eine im Halbdunkeln gefilmte Strandsequenz für ein kurzes Holpern im sonst so dynamisch erzählten Film. Die Dialoge sind geschliffen, haben Flair und auch leisen Witz. Da die Szene jedoch auch viel von non-verbaler Kommunikation lebt und diese im minimalen Licht schwer zu erkennen ist, hätte es eine halb so lange Version dieses sandigen Abstechers auch getan. Sobald sich Mike und Konsorten wieder vom Strand lösen, steigert sich Magic Mike XXL allerdings unaufhaltsam, bis die finalen, feierlichen Sekunden die Frage aufwerfen: Wieso kann nicht das Soderberghs letzte Kino-Regiearbeit sein? Einen würdigeren Karriereabschluss hätte sich der Regisseur nicht wünschen können!

Da Soderbergh sich immerhin als Kameramann, Cutter und Produzent an Magic Mike XXL beteiligt hat, ist dieser kleine Geniestreich dessen ungeachtet auch ohne die entsprechende "Directed by"-Tafel ein Fest für Fans des 52-Jährigen. Erst recht aufgrund der metafiktionalen Parallelen zwischen der Titelfigur und dem Filmemacher: Eigentlich hatten sie beide die Schnauze voll. Aber mit den richtigen Partnern an ihrer Seite lassen sie sich nochmal zu einigen Schandtaten hinreißen, wobei sie sich nicht mehr in den Vordergrund drängeln. Und wenn Soderbergh nun wirklich aufhört, fürs Kino zu drehen, so kann sich Magic Mike XXL als abschließende Botschaft sehen lassen. "So, jetzt geh ich aber. Hat Spaß gemacht, Bitches!"

Fazit: Größer, geistreicher, geiler! Magic Mike XXL ist feinste Unterhaltung mit spritzigen Dialogen, fesselnden Tanzsequenzen und einem toll aufgelegten Ensemble sowie einem Showdown, den so leicht nichts übertrifft. Eingangs holpert der Erzählfluss ein wenig, aber das ist diesem unterschwellig-cleveren Stripperspektakel rasch vergeben: Dieser Film ist ein Muss! Und zwar völlig unabhängig der sexuellen Vorlieben - gute Performances wissen so oder so zu beglücken!

Dienstag, 21. Juli 2015

Magic Mike


Wir befinden uns in den letzten Zügen von Steven Soderberghs Laufbahn als Kino-Regisseur. Während sich der geschäftige Filmemacher (Sex, Lügen und VideoOcean's Eleven, Der Informant!) mit immer größer werdender Regelmäßigkeit kritisch über die Branche äußert, entwickelt sich der frühere Stripper Channing Tatum langsamen Schrittes zu einem Star mit Wiedererkennungswert. Zu jener Zeit entwickelt Tatum gemeinsam seinem Produktionspartner Reid Carolin ein potentielles Filmprojekt, in dem Tatum die Hauptrolle und einen Produktionsposten übernehmen will: Magic Mike, eine fiktionale Geschichte, die sich jedoch aus den Erfahrungen nährt, die Tatum als Erotiktänzer gemacht hat. Reid verfasste ein Skript, das laut Tatum das Feeling jener Jahre einfängt, und das an Regisseur Nicolas Winding Refn herangetragen wird. Dieser lehnt ab, um Only God Forgives drehen zu können. Als Plan B zieht der athletische Mime Steven Soderbergh heran, für den er vor Haywire vor der Kamera stand. Soderbergh war von der Idee begeistert, schob seine Überlegungen, in Frührente zu gehen, noch einmal bei Seite und schwang sich nach einer Revision des Drehbuchs auf den Regiestuhl. Was entstand, war 2012 ein Überraschungserfolg an den Kinokassen (Budget: 7 Mio. Dollar, weltweite Einnahmen: 167,2 Mio. Dollar) und zudem ein von vielen Kritikern geachtetes Werk.

Aber nicht jeder ist dem in Babyöl getränktem Strippercharme erlegen. Meine Kollegin Antje Wessels verfasste anlässlich des Kinostarts einen brutalen Verriss, und verübeln kann ich es ihr wahrlich nicht. Denn für mich zählt Magic Mike nicht nur chronologisch zu den Schlusslichtern in Soderberghs Kinoschaffen, sondern auch qualitativ. Was zu einem nicht unerheblichen Teil am Zusammenspiel der Hauptdarsteller Tatum und Alex Pettyfer (versagte zuvor schon in Ich bin Nummer Vier) liegt. Denn die giftige Chemie, die sich zwischen den Mimen vor der von Soderbergh geführten Linse entfaltet, steht lange Zeit im absoluten Gegensatz zur Handlung. Auf dem Papier handelt Magic Mike von dem 19-jährigen College-Abbrecher Adam (Pettyfer), der bei der Suche nach einem Handwerkerjob auf Mike (Tatum) trifft. Dieser ist seit sechs Jahren Stripper im von Dallas (Matthew McConaughey) geleiteten Club Xquisite und verschafft Adam eine Stelle in der Tänzertruppe des Ladens. Während sich zwischen Adam und Mike eine freundschaftliche Mentor-Beziehung entwickelt, wirft der erfahrene Erotiktänzer ein Auge auf Adams Schwester Brooke (Cody Horn).

So weit, so katastrophal gescheitert, denn Ex-Model Pettyfer blickt, ganz gleich was geschieht, ausdruckslos in die Ferne. Oder schaut perplex-entnervt gen Tatum, während die Dialogzeilen dem Duo hoch emotionale Freundschaftsbekundungen abverlangen, die Soderbergh auch entsprechend wohlmeinend in Szene setzt. Nicht, dass Tatum (zu Magic Mike-Zeiten noch deutlich näher an G.I. Joe als an 22 Jump Street) wesentlich besser agieren würde. Anders als der durch die Szenerie schlafwandelnde Pettyfer, der seine unbedarfte Rolle ins sträflich naive abdriften lässt, hat der Frontmann und Produzent durchaus Ausstrahlung. Und gerade in den Tanzsequenzen zeigt der Step Up-Veteran, wo der Hammer hängt. Agil, muskulös und mit ehrlicher Freude an seinem Tun ist Tatum eine gewinnende Präsenz - wenn er sich nicht durch die vorhersehbar geskripteten "Mit Erotik Geld verdienen verdirbt den Charakter!"-Dramapassagen des Films manövrieren muss. Dann gerät Tatum ins Stocken, spielt hölzern, wirkt teils geradezu verloren und orientierungslos. Womit er die halbseidenen ernsten Momente von Magic Mike noch eine Spur schwächer werden lässt.

Denn der Zerfall von Adams und Mikes Freundschaft ist derart unmotiviert und die Intrigen im Xquisite-Club sind dermaßen vorhersehbar, dass die Schicksale der Figuren kaum zu berühren wissen. Da sind die vereinzelten Versuche, Humor aus der Thematik zu kitzeln, schon effektiver. Zwar versanden einige Pointen, aber wenn McConaughey den selbstverliebten Moderator der Stripnächte gibt oder die Xquisite-Crew mit einem Augenzwinkern schlüpfrige Gags raushaut, dann sind durchaus einige Schmunzler drin. Selbst wenn die Tonartwechsel zwischen Komödie und Drama arg forciert rüberkommen. Aber das ist immerhin konsequent, ist doch auch die Optik ziemlich anstrengend. Außenszenen erstickt Soderbergh in einem aggressiven Pissgelb-Farbfilter, während die oftmals humorvoll gemeinten Stripclubszenen in einem ungalanten Blau-grau erscheinen und "Außeneinsätze" der Stripper in grün-braunem Matsch versinken. Wenigstens die Musikeinsätze sind prägnant und beweisen, dass Soderbergh Magic Mike nicht völlig lustlos hinter sich gebracht hat.

Dennoch ist das viel zu wenig, um dieser Tragikomödie ihre klaffenden Mängel zu verzeihen. Da war schon so mancher Striptease in einer Hafenspelunke solider. Und selbst wenn ein Strip genauso mies ist wie Magic Mike, so ist er im Normalfall deutlich rascher vorbei!

Fazit: Tatum-Fans und Soderbergh-Komplettisten dürfen reinschauen. Alle anderen sollten überlegen, ob sie dem Hype von 2012 wirklich Glauben schenken wollen. Die Höhepunkte (einige Tanzroutinen, manche Gags) sind zwar feucht-fröhlich, aber auch ernüchternd schnell vorbei. Ehe man es sich versieht, liegt man unter einem schnarchenden, schwitzigen Film, der bei längerer Betrachtung bei weitem nicht mehr so attraktiv ist wie auf dem ersten Blick.

Sonntag, 19. Juli 2015

Into the Woods


Klassische Märchen, neu erfunden – was wie ein aktueller Hollywood-Trend erscheint, hat lange Tradition. Noch bevor es solche Filme wie Snow White and the Huntsman oder Serien wie Once Upon a Time zu sehen gab, eroberte das Bühnenstück Into the Woods den Broadway. 1987 uraufgeführt, erarbeitete sich das mit drei Tony Awards und fünf Drama Desk Awards ausgezeichnete Musical einen festen Platz in der US-Theaterkultur. Es lässt sich daher behaupten, dass Komponist Stephen Sondheim und Autor James Lapine das (post-)moderne Konzept, altbekannte Märchen aus einem reifen Blickwinkel zu betrachten, erst gesellschaftsfähig gemacht haben. Doch obwohl dieser Ansatz seither unzählige Male kopiert wurde, genauso wie die Idee, mehrere Märchen auf originelle Weise zu verbinden, ist Sondheims und Lapines Klassiker ungebrochen ein echtes Unikat. Exakt dieses lässt sich über 25 Jahre nach der Theaterpremiere endlich auch als Kinofilm erleben.

Die Leinwandadaption verändert zwar manche Details, im Großen und Ganzen bleibt der Disney-Film seiner Vorlage aber inhaltlich treu: Es war einmal in einem weit entfernten Königreich, da versuchte ein gutherziges Bäckerpaar (James Corden und Emily Blunt) vergeblich, eine Familie zu gründen. Wie die sich liebenden Eheleute erfahren, kann die Bäckerin deshalb kein Kind zur Welt bringen, weil auf ihrem Haus ein Fluch liegt. Die dafür verantwortliche Hexe (Meryl Streep) bietet an, diesen rückgängig zu machen, wenn das Paar ihr im Gegenzug innerhalb von drei Tagen vier besondere Dinge beschafft: Eine Kuh so weiß wie Milch, Haare so gelb wie Mais, einen Umhang so rot wie Blut und einen Schuh aus reinem Gold. Selbstredend zeigt sich die Hexe nicht aus purem Mitgefühl so kooperativ: Mittels dieser Gegenstände könnte die Hexe in der Nacht des blauen Mondes einen Zauber umkehren, der auf ihr selber lastet.

Die Suche nach den begehrten Objekten stellt sich jedoch als äußerst knifflig heraus – und dies, obwohl sie alle zum Greifen nah sind! Die Gegenstände befinden sich nämlich im Besitz von Rotkäppchen (Lilla Crawford), der in einem Turm gefangenen, holden Rapunzel (MacKenzie Mauzy), dem stürmischen Buben Hans (Daniel Huttlestone) sowie der lieblichen Cinderella (Anna Kendrick). Zeit, sich um die Sorgen der Bäckersleute zu kümmern, hat jedoch keiner von ihnen. So wird Rotkäppchen von einem lüsternen Wolf (Johnny Depp) verfolgt, während sich Cinderella kein klares Bild von ihrem angebeteten Prinzen (Chris Pine) machen kann und Rapunzel in einem Herzensdilemma steckt. Und dann wären da noch Hans' Eskapaden, die ihn sogar bis in die Welt der Riesen führen …


Die Walt Disney Studios sind ebenso sehr die ideale Produktionsstätte für eine Into the Woods-Verfilmung, wie sie die wohl ungewöhnlichste Heimat für dieses Projekt darstellen. Einerseits weißt der Disney-Konzern mehr als jeder andere Unterhaltungsgigant eine lange, stolze Riege an Märchen-Adaptionen auf: Viele Jahrzehnte, bevor Lapine und Sondheim die Geschichten nach ihrem Willen ummünzten, wurde ihr Bild nachhaltig durch Zeichentrickfilme aus dem Hause Disney modelliert. Andererseits verschreiben sich Disney-Märchenklassiker üblicherweise einer klaren Trennung zwischen Gut und Böse – was in der Vision der intellektuellen Musicalmacher Sondheim & Lapine nur in äußerst beschränktem Maße der Fall ist. Insofern überrascht es kaum, dass die Initialzündung zu dieser Leinwandproduktion nicht aus den Disney-Studios stammt, sondern das Projekt erst an sie herangetragen werden musste.

Die Filmversion von Into the Woods ist ein Passionsprojekt des Regisseurs Rob Marshall, der sich nach dem Publikums- und Kritikererfolg von Chicago mit Sondheim zusammensetzte und ihm gegenüber beteuerte, förmlich danach zu brennen, eines seiner Stücke ins Kino zu bringen. Sondheim selbst äußerte den Wunsch, dass sich Marshall an einer Adaption seines Märchenmusicals versucht – eine Bitte, die der Die Geisha-Regisseur nicht ausschlagen konnte. Dennoch zogen mehrere Jahre ins Land, bis Marshall einen Ansatz fand, wie er die Vorlage neu aufziehen und für ein neues Publikum sowie ein anderes Medium filtern könnte. Erst 2011 gab ihm eine Ansprache Obamas den entscheidenden Denkanstoß – in seiner Rede zum 10. Jahrestag der Anschläge auf das World Trade Center verwendete der US-Präsident eine Formulierung, die auch zu den Schlüsselsätzen des Sondheim-Bühnenstücks zählt. Daraufhin entschloss sich Marshall, mit seiner Film-Neuinterpretation von Into the Woods ein Märchen für die Generation nach 9/11 zu erschaffen. Wohlgemerkt nicht in dem Sinne, dass es als dumpfe Metapher auf den US-Krieg gegen den Terror dienen sollte, sondern als emotionale Reaktion.

Diesem außergewöhnlichen Ziel wird der unterschätzte Regisseur und Choreograph vollends gerecht: Durch Marshalls Inszenierung sowie die von Lapine und Sondheim betreute inhaltliche Feinjustierung der Original-Librettos positioniert sich die 50 Millionen Dollar schwere Produktion als vortreffliche Disney-Märchenerzählung für unsere Gegenwart. Die heile, gutgläubige Märchenwelt verliert hier ihre Unschuld und in den etwas mehr als zwei Stunden Laufzeit wird Naivität stets bestraft. Gleichwohl ist Into the Woods keine jener modernen Märchen-Umdeutungen, die ihr Herz und ihren Menschenglauben verloren haben – trotz harscher Zwischentöne vermittelt dieses komplexe Kinoerlebnis eine aufmunternde Botschaft: Selbst in Stunden großer Not ist niemand völlig allein, und wenn die Gesellschaft etwas zusammenrücken würde, könnten wir auch alle besser aufeinander acht geben … Der zeitlose Disney-Touch ist also auch in diesem unkonventionellen Film aufzufinden, wenngleich etwas zurückhaltender, mit mehr Gegenargumenten geschmückt als sonst.


Dies dürfte wohl auch an Rob Marshalls Gespür für Storytelling liegen, schließlich inszenierte er mit Pirates of the Caribbean – Fremde Gezeiten bereits ein aufwändiges Abenteuer, das zwar längst nicht allen Disney-Traditionen treu untergeben ist, aber auch nicht gänzlich gegen sie Sturm läuft. Wie in Jack Sparrows viertem Beutezug vermengt der Emmy-Preisträger in Into the Woods munter diverse Tonfälle. Statt eines märchenhaft angehauchten Fantasy-Action-Abenteuers mit selbstironischen Zügen präsentiert Marshall nunmehr einen soghaften Streifzug durch realistische, comichafte und dramatisch-raue Neudeutungen berühmter Märchenpassagen, begleitet von süffisantem, selbstironischem sowie zynischem Witz. Seine Vision, Into the Woods als Post-9/11-Märchen umzudeuten konsequent verfolgend, drosselt Marshall die Schlagzahl an Gags der Musicalvorlage, opfert vor allem groteske oder verquere Lacher. Im Zuge dessen lässt er zudem einige der gehässigen, nebensächlichen Schicksalsschläge des Originals aus, was zwar disneyhafter ist, jedoch auch durch das Fehlen einer knallig-schrägen Pointe die zweite Filmhälfte noch melancholischer gestaltet. So wird Marshalls und Disneys Into the Woods insgesamt zu einer nachdenklich-bittersüßen Angelegenheit, die in einem reizvollen Gegensatz zur himmelhochjauchzenden, zu Tode betrübten Vorlage steht.


Sobald der von Kameramann Dion Beebe (Chicago, Die Geisha) in malerisch-schattigen Bildern eingefangene Film dennoch seine humorvolle, exzentrische Seite zeigt, dann geschieht dies umso radikaler: Wenn Chris Pine als selbstgefälliger Prinz in schimmerndem Abendlicht mit großen Boyband-Gesten davon singt, welche Qualen er aufgrund seines Liebeslebens durchleidet, bleibt kein Auge trocken – es sei denn, man wird durch die sich über Metaebene vermittelte, passionierte Attacke auf Märchenprinzen aus dem Sog der Story gerissen. Selbiges gilt für Johnny Depps Gastspiel als pädophiler Wolf, der in einem Aufzug durch die Wälder schleicht, durch den Erinnerungen an Tex-Avery-Cartoons und 70er-Jahre-Klischee-Zuhälter wach werden. Wer sich von dem kreativen, hintersinnigen Wahnsinn dieses Films mitreißen lässt, wird es schwer haben, aufgrund solcher Einfälle sein breites, glückseliges Grinsen in Zaum zu halten. Dies bedeutet aber zudem, dass Into the Woods wahrlich kein Kinostoff für jedermann ist – Toleranz für kalkulierte, verschlagene Dissonanzen auf atmosphärischer und ästhetischer Ebene ist hier Voraussetzung.

Besagter Grundsatz gilt, bei Sondheim eigentlich selbstredend, auch für die Musik. Der Sweeney Todd-Komponist steht für vielschichtige Kompositionen, treibende Akzentverschiebungen, abgehackte Melodien und sich allmählich entfaltende Motive – also für einen Klang fernab des Musical-Mainstreams. Für Sondheim-Jungfrauen könnte Into the Woods deshalb anfangs einem Kulturschock gleichen – wer aber offen für diese Erfahrung ist oder eh schon Sondheim-Erfahrung hat, wird mit einem hypnotischen, den Verstand herausfordernden, tiefe Gefühle weckenden Erlebnis belohnt.

Erfreulicherweise stellt sich Marshall in den Dienst der gewaltigen, komplexen Lieder: Setzte er sein vorhergegangenes Filmmusical Nine wie ein fiebriges, rasantes Arthaus-Musikvideo um, drosseln er und Cutter Wyatt Smith das Tempo ihrer nun Bildsprache ungemein. Zwar legen sie im ausführlichen Prolog mittels einer fesselnden Parallelmontage eine zügige Geschwindigkeit zu Tage, danach ist Into the Woods aber längst nicht so kinetisch wie von Marshall gewohnt. Die Kameraarbeit unterstützt dies; aufwändige Schwenks erfolgen nur in raren Momenten, in denen sie einen hohen Mehrwert haben und nicht von den schauspielerischen Leistungen ablenkt.


Die darstellerische Glanzleistung in Into the Woods stammt von der zurecht für ihre berauschende Darbietung für den Academy Award vorgeschlagene Meryl Streep – mit manischer Passion und Intensität wirbelt sie durch die blendenden Kulissen, während sie scheinbar mühelos für Abscheu, Mitleid, Witz und Tragik sorgt. Aber auch das restliche Ensemble vermag es, sich nicht von den extravaganten Kostümen verschlucken zu lassen: Emily Blunt und James Corden bestechen mit trockenem Witz und glaubwürdiger Zuneigung, Anna Kendrick indes legt als gewitzte sowie wankelmütige Cinderella die Messlatte für ihre disneyinternen Konkurrenz Lily James hoch an. Theaterpuristen derweil werden womöglich klagen, dass Rotkäppchen und Hans nicht jugendlich, sondern wie in den Märchenvorlagen im Kindesalter sind. Jedoch ist Daniel Huttlestone dermaßen voller Energie und Lilla Crawford auf höchst amüsante Weise kess, dass man sich nur schwer andere Leinwandbesetzungen in diesen Rollen vorstellen kann.

Die vielleicht gravierendste Änderung gegenüber der Bühnenversion ist eh, dass der Erzähler nicht weiter eine eigenständige, über den Dingen schwebende Figur ist. Aber auch diese Differenz zwischen Bühne und Film hat ihren Sinn und Zweck – zumal sie unterstreicht, dass Märchen seit jeher weitererzählt und umgedichtet wurden. Es ist eine Gepflogenheit, die noch vor Sondheim, vor Walt Disney und selbst vor den Gebrüdern Grimm ihren Anfang nahm – und die allein schon wegen solcher Bravourleistungen wie Into the Woods niemals aussterben sollte.


Fazit: Ein Disney- und Märchenfilm wie kein anderer! Gewiss nicht jeder wird Zugang zu diesem kuriosen Kunststück finden. Doch anspruchsvolle Musik, ein umwerfender Look und eine clevere Story mit immenser Sogkraft machen Into the Woods zu einem klaren Muss für Musicalfans!

Setzen, Sex: Fifty Shades of Grey


Blau ist eine warme Farbe, erkannte 2013 eine französische Comicadaption, die sich einfühlsam der komplizierten Beziehung zwischen einer erfahrenen Lesbe und einer sich gerade selber entdeckenden Bisexuellen annimmt. Die freizügigen Sexszenen sind dramaturgisch sinnvoll eingesetzt und die Figurenzeichnung ist plausibel sowie einnehmend. Kurzum: Es ist ein Film, der eine Daseinsberechtigung hat. Der Hand und Fuß hat. Der eine klare Linie fährt. Grau wiederum ist eine langweilige, langweilige Farbe. Insofern ist es nur zu passend, dass Sam Taylor-Johnson mit Fifty Shades of Grey den langweiligsten Mainstreamfilm des bisherigen Jahrhunderts ablieferte.

Dies bedeutet jedoch auch, dass die einzige Daseinsberechtigung dieses 125-minütigen Schnarchfestes der ebenso unerklärliche wie immense Erfolg der Buchvorlage ist, den Universal Pictures im Kino wiederholen möchte. Eine klare Linie fehlt der Romanverfilmung dagegen. Die einzelnen, wahllos auf die Leinwand gepfefferten Ansätze verknoten sich stattdessen zu einem grau-grauen Wust, der den Sexappeal einer ausgeblichenen Baumarkt-Quittung hat. Dieses Machwerk hat weder Hand noch Fuß, auch nicht Herz und Verstand, es hat nicht einmal eine funktionierende Libido: Prickelnd ist Fifty Shades of Grey nur für Sekundenbruchteile. All zu schnell stellt sich dank der konturlos dargebotenen Sexspielchen Ernüchterung ein, so dass das Stöhnen, Atmen, Reiben, Fesseln, Schlagen nur noch auf einen einprasselt. Und die Charaktere der unter einem verdammt miesen Stern stehenden Liebenden sind so irrsinnig, dass es regelrechten Zorn über das fehlgeleitete Drehbuch entfachen könnte. Wäre da nicht das unsäglich fade Schauspiel, das sämtliche Funken im Keim erstickt, die auf der Leinwand oder im Geist des Publikums zu entstehen drohen.

Seinen Anfang nimmt das Debakel, als die 21-jährige Literaturstudentin Anastasia Steele (Dakota Johnson) für ihre Mitbewohnerin (die unfähigste Journalistin der jüngeren Kinovergangenheit: Eloise Mumford) einspringen muss und ohne jegliche Vorbereitung den millionenschweren Unternehmer Christian Grey (Jamie Dornan) interviewen soll. Ana stolpert ihm zur Begrüßung wortwörtlich vor die Füße, doch keine Sorge: Obwohl sie von der Situation völlig überfordert ist, verlieben sie sich auf Anhieb ineinander. Sie mag mit jeder Faser ihres Daseins ausstrahlen, das grauste Mäuschen der Evolutionsgeschichte zu sein, und er kündigt zwar bereits nach wenigen Sekundenbruchteilen mit der Subtilität eines Schlaghammers an, sich nach gänzlich anderen animalischen Formen zu sehnen, aber wen kümmert das? Wenn zwischen den Schauspieler eine knisternde Anziehungskraft besteht, kann man das noch immer abkaufen!

Doch Fehlanzeige: Zwischen Johnson und Dornan besteht nicht einmal eine sanft raschelnde Anziehungsenergie. Wenn sich die unentwegt auf ihre Unterlippe beißende Johnson und der mit Teddybärblick einen elektrisierenden SM-Oberbonzen zu spielen versuchende Dornan das Bild teilen, tut sich ein Vakuum auf. So bleibt als einziger Antrieb für die sich tumultartig anbahnende Filmromanze das gesprochene Wort beider Akteure übrig.


Anas Worte markieren sie allerdings als sexuell unerfahrenes Mauerblümchen, das sich nach einem verständnisvollen Mann sehnt, der mit ihr das Beziehungspendant zu Vanilleeis führt. Essen gehen, Kinobesuche, über die eigene Biografie reden. Der Standardkram halt. Manche widert es an, andere können nicht ohne. Christians Worte stellen ihn unmissverständlich als Person dar, die dem ersten Schlag angehört. Mehr noch: Er verfolgt seine Mitmenschen, kontrolliert sie unentwegt, befehligt sie, lässt es niemals ungestraft, wenn sich ein noch so kleines Detail seinem Sagen entzieht. Er hat so präsente soziopathische Untertöne, hätte Komponist Danny Elfman nicht einen undefinierten, lustlosen Score hingeschludert, sondern eben diese Untertöne klanglich realisiert, es würde selbst die beste Kino-Soundanlage zerreißen.

Gegensätze mögen sich anziehen, nur sind Ana und Christian keine oppositionellen Persönlichkeiten, sondern irgendwo in zwei weit voneinander entfernten charakterlichen Spektren angesiedelt, zwischen denen sich keinerlei Verbindung aufbauen lässt. Aber, hey! Sie ist wie geschaffen dafür, völlig erniedrigt zu werden, und er zehrt all seine Energie daraus, jemanden seinem Willen zu unterwerfen. Und dies ist eine SM-Kitschromanze, das geht doch auf ..! Abgesehen davon, dass dem eben nicht so ist. Nicht umsonst liefen diverse BDSM-Vereinigungen Sturm gegen das Geschreibsel der Buchautorin E. L. James, deren Recherche zu dieser Thematik noch oberflächlicher gewesen sein muss, als Anas im Laufe des Films angerissene Informationssuche.

Wenigstens lässt sich dem von einem auf künstlerischer Sparflamme handelnden Seamus McGarvey (Kamera: Anna Karenina und Marvel's The Avengers) in lasche Farben gekleideten Streifen eins nicht vorwerfen: Regisseurin Sam Taylor-Johnson, Drehbuchautorin Kelly Marcel und Ghostwriter Patrick Marber haben mindestens die hirnrissigsten Einfälle E. L. James' aus dem Handlungsverlauf getilgt. Kein verkitscht dargestellter Menstruationssex, keine durch Anas Romantisierung ihres ersten Lovers entschuldigte Vergewaltigung. Wer einen Schritt zurückgeht und die Filmversion von Fifty Shades of Grey kritisch beäugt (und dank des vielen Leerlaufs fällt es wahrlich nicht schwer, diesen Schritt zu tätigen), sieht keinen Frauenschänder, der sein Handeln damit entschuldigt, dass er ja BDSM praktiziere und sein Handeln ein Teil dessen sei. Zwar pfeift Christian genau wie im Buch auf die genaue Einhaltung des Grundsatzes „Safe, Sane, Consensual“, durch das etwas gezügeltere Filmskript ist Christian aber „nur“ manisch, herrisch und kurz davor, sich berechtigten juristischen Ärger mit Ana einzuhandeln. Charming!

Dass der Film Christians ununterbrochenes Gängeln Anas, sie solle sich schneller und offener „seiner“ Welt hingeben, trotzdem derart besingt, als hätte das noch junge Paar bloß eines der üblichen Romantic-Comedy-Missverständnisse, ist Schuld der Buchautorin und des Filmverleihs. Als Universal die Adaptionsrechte erwarb, räumte das Studio der durch den schwindelerregenden Erfolg ihrer Bücher einen Höhenflug erleidenden Autorin ein Mitspracherecht ein, dessen Umfang in Hollywood sonst unerhört ist. So kam es zu zahllosen, hitzigen Debatten zwischen Taylor-Johnson und James, die laut diversen Berichten nahezu durchweg damit endeten, dass James ihren Willen durchprügelte. Deswegen bleibt die im Buch innewohnende Diskrepanz zwischen intendierter Wirkung und tatsächlicher Figurenzeichnung auch auf der Leinwand erhalten: Purer Romantikkitsch inklusive als pikant verkauftem Einsteiger-BDSM kollidiert hier mit einer Figurenkonstellation, die sich eher für eine komplexe Charakterstudie anbietet.


Christian wäre eine hoch faszinierende Figur, hätte Fifty Shades of Grey nur ansatzweise solch einen Selbstanspruch wie Pedro Almodóvars Fessle mich!. In der dargebotenen Form bricht die hauchdünne Illusion des Films dagegen beim leisesten Aufmucken des Publikums in sich zusammen. Dieses fragile Konstrukt könnte ja noch halbwegs bestehen, würde es denn seiner Thematik alle Ehre machen und einen fesseln. Aber die Softcore-Sexszenen sind kühl, mit fast schon beleidigend unerotischer Musik unterlegt und zudem unrhythmisch geschnitten. Die Gespräche zwischen den Hauptfiguren sind dermaßen häufig mit Wiederholungen ihrer Namen gespickt, dass selbst die allerletzten Versuche scheitern, Sinnlichkeit aufzubauen. Und die vom Film gewollten Pointen werden so überdeutlich telegrafiert, dass sich zwischen dem Schmunzeln beim Erahnen des Witzes und dem eigentlichen Gag im Kino locker ein Quickie schieben lassen könnte. Wäre aufgrund tödlicher Langeweile untenrum nicht schon alles abgestorben.

Nur gelegentlich schlägt Fifty Shades of Grey nicht ins Leere. Dann und wann gleitet Taylor-Johnsons Inszenierung nämlich ins Selbstparodistische ab. So tut sich unter anderem nach dem ach-so-heißen Kennenlernen der Hauptfiguren ein orgasmischer Regenschauer auf. Leider sind diese vitalisierenden Oasen des unfreiwilligen Humors, die auch teils wegen all zu monotoner Dialogpassagen oder auffällig-keuchen Schnittfolgen entstehen, äußerst rar gesät. Und so empfiehlt sich Fifty Shades of Grey nicht einmal als Trashperle der Marke Showgirls. Selbst wenn das an Arbeitsverweigerung und künstlerischer Verzweiflung grenzende Ende durchaus Etwas ist, das man am eigenen Leibe erlebt haben muss.


Fazit: So prickelnd und authentisch wie der Geschmack eines aromatisierten Billigkondoms: Fifty Shades of Grey ist weder romantisch, noch provokant, noch sinnlich oder lustig. Dieser Film ist einfach nur „50 Facetten von abgefucked“. Und leider selbst das nicht im fesselnden Sinne.

Samstag, 18. Juli 2015

Manolo und das Buch des Lebens


Wohl kein Film der vergangenen zehn Jahre beäugte unterhaltsamer und vortrefflicher, was es bedeutet, einen künstlerischen Schaffensdrang in sich zu tragen, als Brad Birds farbenprächtiges, eloquentes Meisterwerk Ratatouille. Der feinsinnige Animationsfilm aus den Pixar-Studios beinhaltet darüber hinaus eine ungenügend beachtete Erkenntnis darüber, woher erstaunliche Leistungen rühren können. Der Restaurantkritiker Anton Ego fasst es vorbildhaft zusammen: „Nicht jeder ist zum großen Künstler geboren, aber große Künstler werden überall geboren.“ Ebenso gut ließe sich festhalten, dass vielleicht nicht überall rühmenswerte Kunst erschaffen wird, rühmenswerte Kunst sehr wohl aber überall erschaffen werden kann.

Selten zuvor ließ sich mit den geistreichen Worten eines Trickfilms die formidable Leistung eines anderen besser beschreiben, als im Fall von Manolo und das Buch des Lebens. Denn eine bescheidenere Herkunft ist schwer vorstellbar, als die eben dieses entzückenden Geniestreiches, der quer durch ein quirliges Mexiko und ein in dieser Form bislang ungesehenes Reich der Toten führt. Hauptverantwortlich sind nämlich die Reel FX Creative Studios, die sich bislang keineswegs mit Ruhm bekleckerten. So wirkten sie unter anderem an den mechanisch animierten Jagdfieber-Fortsetzungen, dem viel gescholtenen 3D-Kuriosum Cirque Du Soleil: Traumwelten und der unausgereiften Trickkomödie Free Birds – Esst uns an einem anderen Tag mit.

Doch nun ist es an der Zeit, die Entdeckung unverhoffter Welten zu vermelden – genauer gesagt die Entdeckung bezaubernder Welten, geschaffen von den zuvor enttäuschenden Reel FX Creative Studios. Es gilt lediglich, einen Prolog hinzunehmen: Unbändige Kinder erhalten eine private Museumsführung und werden in mexikanische Mythen eingeweiht. Diese Rahmenhandlung ist pointiert erzählt und stimmt das junge Publikum sachte auf die folgende, fantasievolle Geschichte ein – ist aber aufgrund der undetaillierten Figuren und klinischen Lichtgebung visuell unbeeindruckend. Aber dies macht die Kernhandlung mühelos wett:

Tourguide Mary Beth erzählt den lärmenden Teenies die Geschichte dreier junger Freunde – Manolo, María und Joaquín, die im mexikanischen Dorf San Angel leben und den ständig streitenden Göttern La Muerte und Xibalba ins Auge stechen. Xibalba, davon gelangweilt über das Reich der Vergessenen zu herrschen, geht mit La Muerte eine Wette über das zukünftige Liebesleben des Trios ein. Sollte La Muerte diese verlieren, muss sie ihren Thron im glückseligen Reich der weiterhin erinnerten Toten für ihren garstigen Wettpartner räumen. Und so erhält das Leben von Manolo, María und Joaquín eine neue, unfassbare Bedeutung. Dabei sind ihre Lebenswege auch so schon aufreibend genug …

Dargestellt wird das bunte Treiben Manolos, Marías und Joaquíns, das sich nicht lang auf das Reich der Lebenden beschränkt, in einer hinreißenden Optik, die sich an mexikanischer Handwerkskunst orientiert. Die Lebenden sind gestaltet und animiert, als seien sie liebevoll bearbeitete Marionetten, die liebreizende La Muerte dagegen scheint eine zerbrechliche Zuckerpuppe zu sein. Die Hintergründe derweil wirken, als seien sie mit Hingabe aus Holzschnitzereien, kraftvoll gefärbten Stoffen und sonstigen Fundstücken folkloristischem Handwerk erbaut. Regisseur Jorge Gutierrez und seine Crew haben – bildlich gesprochen – einen provinziell-traditionellen Kunstmarkt geplündert und ihre Beute mit kindlicher Freude neu zusammengesteckt: Dies führt zu einer andersartigen, impulsiven und überbordenden Ästhetik. Es wäre nur zu leicht, Manolo und das Buch des Lebens für seine stürmische Kreativität zu kritisieren, sie als cineastischen Tumult abzutun.

In Wahrheit jedoch ist der Look dieser Guillermo-del-Toro-Produktion etwas Neues, etwas Mutiges, etwas, das tief in einem Begeisterung weckt, wenn man dieser einzigartigen Kreation nur die Chance dazu gibt. Das Neue braucht Freunde! Und gerade hier hat es sich auch redlich Freunde verdient; Manolo und das Buch des Lebens ist mehr als bloß style over substance. Stilistik und Substanz bilden eine prächtige Einheit, schließlich versteht sich dieses rund 95-minütige Trickspektakel als reines Fest. Als Feier der mexikanischen Mythologie, als Lobeshymne auf individuelle Träume und unerschütterlichen Optimismus. Der energetische Soundtrack unterstreicht dies kongenial, indem er die weltenverbindende Handlung mit neuen Liedern und für den Film wieder ganz neu erfundenen Pop- und Rockklassikern bespickt. Zeitweise verschwimmen die Grenzen zwischen Liedern aus 'unserer' Welt und den Originalsongs sogar vollends, so findig sind die Neuarrangements der vermeintlich altbekannten Musikbeiträge!

Zweifelsfrei: Nicht jede Einzelheit ist rundum gelungen. Obwohl es sich bei Manolo und das Buch des Lebens um ein warmherziges Gagfeuerwerk handelt und die Figuren durch die Bank weg liebenswürdig sind, verpuffen manche Pointen auf Anhieb ins Nichts. Und bei allem bildlichen sowie klanglichen Innovationsdrang führt der Handlungslauf gelegentlich durch ausgetretenes Territorium. Nur wieso sollte dies den Gesamteindruck schmälern, wenn die Grundstimmung dieses feurigen Fantasy-Trips ebenso mitreißend wie außergewöhnlich ist? Die Reel FX Creative Studios haben durch dieses Abenteuer den Weg aus dem Reich der Vergessenswerten gefunden – und jeder Trickfilmliebhaber sollte ihnen daher Aufmerksamkeit schenken. Aber Vorsicht: Nach Manolo und das Buch des Lebens ist man womöglich mit einer zerreißenden Vorfreude erfüllt. Mit Freude auf Mehr!


Fazit: Ein Fest von einem Film! Der Trickspaß Manolo und das Buch des Lebens sorgt mit einzigartiger Optik, feuriger Musik und sympathischen Figuren für mehr Farbe im Kinoalltag.