Sonntag, 28. November 2021

Mehr als ziemlich beste Feinde – Die Faszination Joko und Klaas

Joko und Klaas schicken wieder Stars rund um den Globus, damit sie mit ihnen das „Duell um die Welt“ austragen. Anlass für Antje Wessels und mich, den Erfolg des Entertainer-Duos zu untersuchen. (© ProSieben/Jens Hartmann)

Rufen Leute aus deinem Umfeld manchmal zusammenhanglos „Alabama“, finden Dinge ständig „unverhältnismäßig“ und warnen einander, dass sie „privat schlecht drauf“ sind? Herzlichen Glückwunsch: In deinem Freundeskreis befinden sich Fans von Joko und Klaas. Für den (unwahrscheinlichen) Fall, dass sich bisher niemand angeschickt hat, dich in die Faszination von Joko und Klaas einzuführen, obwohl du gerne endlich die Fragezeichen über deinem Kopf loswerden möchtest, bist du hier genau richtig. Denn wir möchten anlässlich des Starts der neuen „Duell um die Welt“-Staffel dem Erfolgsrezept des Duos auf den Grund gehen – und dir Neuling ein paar Insider verraten.

Der pompöse, irre Wettstreit

Wenn am kommenden Samstag, den 4. Dezember um 20:15 Uhr bei ProSieben die Show „Das Duell um die Welt“ auf die Bildschirme zurückkehrt, dann erlangt das oft kopierte, nie erreichte Format seine bereits neunte Staffel. Oder aber seine vierte. Je nachdem, wie genau man es nimmt. Denn zunächst haben sich Klaas Heufer-Umlauf und Joko Winterscheidt unter dem Titel „Joko gegen Klaas – Das Duell um die Welt“ von 2012 bis 2017 in 13 Ausgaben halsbrecherische Duelle geliefert, für die sie rund um den Erdball gereist sind.

Seit November 2018 treten die (vermeintlichen, aber dazu nachher mehr) Dauerkontrahenten lieber einen Schritt zurück und duellieren sich bloß noch im Studio, während sie prominente Freund:innen und Kolleg:innen auf Reisen schicken, bei denen es krasse, irre und/oder durchgeknallte Aufgaben zu erledigen gilt. Seither heißt die Show „Das Duell um die Welt – Team Joko gegen Team Klaas“ und zeigte unter anderem schon Moderator Steven Gätjen, der sich eine neue Identität als Schlager-Metal-Sänger aufbauen und damit auf einer Kink-Party behaupten musste. Oder auch Bestsellerautorin Charlotte Roche, wie sie sich Haken in den Rücken stechen ließ, um daran ein Bungeeseil zu befestigen und sich in die Tiefe zu stürzen.

Und das führt bereits vor, wie groß die Anziehungskraft von Joko und Klaas ist: Es müsste ja eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit sein, Medienprominente, deren Zuhause Rote Teppiche und kuschelige Fernsehstudios sind, für solche Experimente wie Eistauchen, Sich-erschießen-lassen oder Nachts-in-der-Savanne-Übernachten zu finden. Nicht umsonst begnügen sich die meisten Joko-und-Klaas-Trittbrettfahrer-Formate mit solchen Aufgaben wie „Koche ein Rezept, das du nicht kennst … im Ausland!“ oder „Hier sind sehr, sehr schräg aussehende Actionspiele, macht euch im Studio mal zum Affen“. Und während manche dieser Kopien immerhin klasse produziert sind, lassen andere optisch sowie in Sachen Star-Qualität zu wünschen übrig.

Doch „Das Duell um die Welt“ bietet allein in dieser Staffel unter anderem Moderatorin Linda Zervakis, Musiker Michi Beck und Schauspielerin Collien Ulmen-Fernandes – die Promidichte ist also einmal mehr bemerkenswert. Man möchte glauben, die Bereitschaft, sich vor laufender Kamera Mutproben zu stellen, hat direkt mit den beiden Gastgebern selbst zu tun …


Die Geschichte Zweier, die auszogen, sich das Siegen zu lehren

Daher nun ein bisschen Geschichte: Klaas Heufer-Umlauf und Joko Winterscheidt machen seit 2009 gemeinsam Fernsehen. Es fing an mit der MTV-Show „MTV Home“, und auch wenn bei ihr noch ein großer Anteil „Musikfernsehen-Talkshow mit jugendlichem Zielpublikum“ in der DNA steckte, so gaben die 85 Folgen „MTV Home“ bereits deutlich die Marschrichtung für Joko und Klaas vor. Damals agierte Palina Rojinski als Sidekick der Beiden – und nicht nur, dass sie fortan in fast jeder folgenden Show des Duos in unterschiedlicher Kapazität mit von der Partie sein sollte: Eine beliebte Rubrik bestand daraus, dass Palina im Auftrag ihrer Chefs dämliche oder gar brisante Aufgaben bestehen musste.

Außerdem brach „MTV Home“ gelegentlich in fast schon filmreife Anflüge der Selbstreflexion und Selbstironie aus: In einer Folge von „MTV Home“ verlässt ein nachdenklicher Klaas nach einem Saufspiel („Macht doch mal wieder was mit Saufen!“ sollte ein beständiger Fanwunsch in der Karriere von Joko und Klaas werden) das Studio und hühnert von epochaler Filmmusik begleitet auf die Dachterrasse. Dort starrt er sinnsuchend ins Leere, bevor ihm Gott (in Form von Klaas selbst) süffisant grinsend Antworten gibt und die Leviten liest. Groben Schwachsinn machen und ihn dann rekontextualisieren? Das ist eine Waffe im Arsenal von Joko und Klaas, die später bei „neoParadise“ noch häufiger zum Einsatz kommen sollte.

Die ZDFneo-Sendung, die von 2011 bis 2013 lief, sollte außerdem beliebte „MTV Home“-Rubriken fortführen, weiterspinnen und noch populärer machen. Diese drehten sich vor allem um Wettbewerbsmentalität: In „Aushalten“ (oder auch: „Bis einer heult“) und „Wenn ich du wäre“ geht es darum, wer eine nervende, eklige oder riskante Challenge länger erduldet beziehungsweise bei einem gemeinsamen öffentlichen Auftritt zuerst abbricht, weil ihm die von seinem Kollegen gestellten Miniaufgaben zu peinlich werden.

Bei diesen Aktionen wurden auch einige der Joko-und-Klaas-Insider geboren – wie der Ausruf „Alabama!“, der als Safeword funktioniert und einen sofortigen Abbruch einfordert. Oder auch „privat schlecht drauf“, womit ein gereizter Part des Duos seinem Kollegen und der restlichen Crew signalisiert: „Ich meckere gerade nicht so laut und aggressiv, weil ich eine Show abliefern will – ich nehme euch das gerade wirklich übel! Packt also endlich die Samthandschuhe aus, sonst wird das nach dem Dreh unangenehm!“

Bei der „neoParadise“-Nachfolgeshow „Circus HalliGalli“ wurden die Aktionen von Joko und Klaas einerseits immer aufwändiger (das Ziel, seinem Moderationspartner den schlimmsten Tag seines Lebens zu bescheren, wurde mal mit Helikopterflügen und mehreren Komplizen, die ein doppeltes Spiel spielen, verfolgt), andererseits aber auch erwachsener. Oder sagen wir: Weniger pubertär.

Während sich Joko und Klaas auf MTV (zu immenser Freude der damaligen Fanbase) gegenseitig Pornotitel vorgelesen haben, um sich zum Lachen zu bringen, wurde bei der von 2013 bis 2017 gezeigten ProSieben-Show „Aushalten: Nicht lachen“ zum Fanliebling. Dort sitzen sich Joko und Klaas gegenüber und versuchen, einander mit Witzen und Sketchen (mitunter unterstützt von Leuten wie Nora Tschirner oder Matthias „Matze“ Schweighöfer) Lacher zu entlocken. Wer häufiger lacht, verliert. So simpel, aber so effektiv.

Die Unterüberschrift hat die Deadline verpasst

Simpel, einfach, reduziert, auf das Wesentliche konzentriert – all diese Termini sagen letztlich Ähnliches aus; und fassen eines der wohl wichtigsten Geheimrezepte für den Erfolg diverser Joko-und-Klaas-Formate zusammen. Die Anstrengungen, die das Moderatorenduo seit 2009 unternimmt, um das Publikum zufriedenzustellen, sind zwar mit den Jahren spektakulärer geworden („Wenn ich du wäre“ macht Platz für „Das Duell um die Welt“). Aber: Wenn Joko und Klaas eine Sendung machen, so lässt sie sich doch stets leicht zusammenfassen. Ganz egal, wie viele Eigenheiten, Besonderheiten und Verrücktheiten noch dazukommen, der Kern eines jeden Formats ist sehr zugänglich und verständlich.

Und auch die Dynamik zwischen den Entertainern mag insgesamt komplexer sein (dazu später mehr), aber zunächst gilt ganz einfach: Prallen die gegensätzlichen Mentalitäten der Zwei aufeinander, sind die daraus entstehenden Reibereien fast wie von alleine lustig. Jokos Humor ist schräger und spritziger als Klaas' Sarkasmus und Trockenheit. Joko geht auf ihm fremde Menschen sofort zu, Klaas geht zunächst auf Abstand. Joko hat Höhenangst, Klaas nicht. Man ist unterschiedlich genug, dass es zu Funken kommt, aber ähnlich genug, dass man gut zusammenpasst. Da ist es egal, ob das in einem Kölner, Münchener oder Berliner Fernsehstudio geschieht. Oder im fernen Nepal, wo Klaas mit Joko, der nach dem Genuss eines ganz besonderen Honigs völlig am Rad dreht, eine Reisedoku drehen soll.

Dass man es aber nicht einfach auf „Die Zwei kabbeln sich, das reicht für eine Show“ beruhen lässt, sondern erstens so schräge Ideen wie besagte „Reisedoku in Nepal auf Honigdroge“ verfolgt, und zweitens große wie kleine Einfälle denkwürdig umsetzt, führt uns zur nächsten Geheimzutat von Joko und Klaas: Es ist der Ehrgeiz der Florida Entertainment GmbH, ebenjener TV-Firma, die Joko und Klaas 2011 in Kooperation mit Endemol gründeten, um ihre TV-Formate fortan selbst zu produzieren, und 2019 zu einer eigenständigen Produktionsschmiede formten.

Das kurz Florida TV genannte Haus verantwortete von 2012 bis heute unter anderem solche Entertainment-Flaggschiffe wie „Das Duell um die Welt“, „Die beste Show der Welt“ (Joko und Klaas duellieren sich darin, wer die bessere Fernsehshow erfindet) oder „Joko & Klaas gegen ProSieben“. Außerdem entstanden Sendungen für Palina (in „Inside – Unterwegs mit Palina“ muss sie die Essenz einer fremden Großstadt erfassen – komplett ohne Reise-Taschengeld) und weitere prominente Freund:innen der Firma (in „In the Box“ fühlte sich zunächst Olli Schulz in fremde Lebensrealitäten ein, später waren es wechselnde Stars).

Neben wiederkehrenden Konzepten (beispielsweise wurde die „Circus HalliGalli“-Rubrik „Mein bester Feind“, in der Freunde Freunde für waghalsige Stunts anmelden, zwischenzeitlich zur eigenen Primetimeshow) und einer enormen Wahrscheinlichkeit, dass Joko und/oder Klaas in der Sendung eine Rolle spielen, gibt es bei der Florida auch weitere Konstanten. Florida-Formate sind mit großem Aufwand produziert (so wurde es in der TV-Branche zum Running Gag, dass Leute aus so manch anderen Häusern die Florida schockiert fragen: „Wieso macht ihr es euch so schwer?“), verkneifen sich nur selten eine gezielt gesetzte Film- oder Serienreferenz, und sowohl Selbstironie als auch Metahumor sind häufig genutzte Werkzeuge im stilistischen Werkzeugkasten dieser Entertainmentschmiede.


Das erweiterte Joko-und-Klaas-Universum

Diese Konstanz im Output der Florida ist auch dem zu verdanken, dass es hinter den Kulissen eine nennenswerte Kontinuität gibt. Und während es einst allein eingeschworene Fans waren, die sich über jeden Randauftritt von Leuten wie Tonmann „Frank Tonmann“ oder „Gäste-Bookerin Katha“ freuten (oder darüber augenzwinkernd ärgerten), haben es mittlerweile zwei alteingesessene „Florida-Nasen“ zu einer breiteren öffentlichen Wahrnehmung gebracht: Autor, „Late Night Berlin“-Sidekick (und „Bandleader“) sowie Produzent Jakob Lundt und Florida-Geschäftsführer, Technikfreak, Filmfan, Regisseur und Schlauchbootbesitzer Thomas Schmitt.

Die Zwei sind gemeinsam mit ihrem langjährigen Weggefährten Klaas Bestandteil des erfolgreichen Podcasts „Baywatch Berlin“. Was Ende 2019 als eine Art akustisches „Late Night Berlin“-Begleitmagazin begann, hat sich längst als eigenständiges Audio-Comedyformat etabliert und wurde beispielsweise von Comedyautor Micky Beisenherz als die aktuell beste Unterhaltungsproduktion Deutschlands bezeichnet.

In „Baywatch Berlin“ werden Anekdoten aus der gemeinsamen Karriere der Drei besprochen (von „Wie cool war bitte dieser Hollywood-Star drauf?“ bis „Wir wurden dank einer logistisch katastrophalen Sendungsaufzeichnung, bei der Teile Crew vor Drehschluss übermüdet nach Hause gegangen sind, zum Gespött der Branche!“). Es werden die Vor- und Nachteile des Prominentseins beleuchtet, private Freuden und Ärgernisse breitgetreten und aktuelle Ereignisse kommentiert. Und das auf so lustige, sympathische Weise, dass mittlerweile „Late Night Berlin“ mitunter Bezug auf „Baywatch Berlin“ nimmt – und nicht umgekehrt.

Joko Winterscheidt hat mit „Baywatch Berlin“ derweil eigentlich nichts zu tun – es sei denn, er ist mal als (Überraschungs-)Gast anwesend oder Gesprächsthema –, sondern betreibt schon seit 2017 zusammen mit Freund und Fotograf Paul Ripke seine eigene Audioshow „Alle Wege führen nach Ruhm“. Der „Karrierepodcast für Berufsjugendliche“ gehört ebenfalls zu den erfolgreichsten Podcasts Deutschlands und reicht thematisch von Alltagsanekdoten und Behind-the-Scenes-Erzählungen bis hin zu ihren gemeinsamen Interessen Radsport, Ernährung und Start-ups. Die getrennten Podcasts sind nur konsequent: Mit dem Ende von „Circus HalliGalli“ kam es auch zu einer Zäsur in der gemeinsamen Karriere von Joko und Klaas.

Nun, ohne wöchentliche, gemeinsame Show, begrenzen sie ihre gemeinsame Arbeit vor den Kameras im Regelfall auf große Primetime-Events, und führen öfter solo durch Unterhaltungssendungen. Während Klaas wöchentlich „Late Night Berlin“ moderiert, hielt Joko den alleinigen Moderatorenposten in der sportlichen Wettbewerbsshow „Beginner gegen Gewinner“ sowie der Musikshow „Win your Song“ inne. Wichtiger noch: Sei Anfang 2021 beweist er mit „Wer stiehlt mir die Show?“, wie viel Entertainment in ein Quizformat passt. Und er stellt einmal mehr seinen großen Teamgeist unter Beweis, gibt er doch Staffel für Staffel anderen Namen eine Bühne, um ihm kräftig die Show zu stehlen. Mit sehr, sehr kurzweiligem Ergebnis.

Apropos Teamgeist: „Die hassen sich ...“

Bereits als sich Joko und Klaas zeitweise in nahezu jeder Ausgabe ihrer verschiedenen Sendungen gegenseitig in die Pfanne hauten, nahm die Presse das zum Anlass, immer und immer wieder darüber zu spekulieren, dass die Zwei bloß eine berufliche Zweckbeziehung haben. „Die hassen sich wirklich“, so das Mantra, das respektvollere Publikationen in Interviews und Features hinterfragt und boulevardeske Portale stets mit großem Anlauf verfolgt und nachgeplappert haben.

Und spätestens, seit „Circus HalliGalli“ beendet wurde, ist es nur schlimmer geworden. Da können sich Joko und Klaas noch so oft in „Joko & Klaas gegen ProSieben“ umarmen oder gar aneinander kuscheln. Und dass Klaas einmal mit einem Besen auf Joko und die wunderbar schlagfertige Moderatorin Jeannine Michaelsen losging, um sie in einem Moment der kollegialen Innigkeit zu trennen, fiel auch nur Hardcore-Fans auf (die wiederum dafür sorgen, dass das nie, nie, niemals in Vergessenheit gerät).

Es bringt einfach zu viele Klicks, auf ein weit über seine Zielgruppe hinaus bekanntes Duo zu zeigen, und zu behaupten: „Die finden das gar nicht schön, zusammen zu arbeiten!“ Da werden dann auch liebend gerne Interviewaussagen aus dem Kontext gerissen oder um ihre deutliche Ironie erleichtert. Eine neue Welle an „In Wirklichkeit hassen sich Joko und Klaas“-Berichten wurde losgetreten, als die Zwei im Sommer 2020 in Frank Elstners Netflix-Show „Wetten, dass war’s..!?“ (in getrennten Ausgaben) über ihr privates Verhältnis sprachen. Aus der Nacherzählung, dass man sich während der „HalliGalli“-Ära nicht mehr sonntags privat treffen und ausgiebig unterhalten konnte oder wollte, weil man sich beruflich eh montags bis samstags sprach, wurde der „Beweis“ gesponnen: „Die können sich nicht mehr ab“.

Dabei war es bloß als Beweis dafür gemeint, dass zwangsläufig auch bei Joko und Klaas die Entwicklung eintrat, die immer eintritt, wenn man einen Großteil seines Lebens gemeinsam verbringt: Der Gesprächsstoff geht aus, und manche Macken hat man vorerst über. Manche werden das bedauerlich finden. Was jedoch auf überraschende Weise charmant ist: Selbst nach vielen Jahren im Rampenlicht sind Joko und Klaas noch immer ehrlich erstaunt, welche Wellen ihre Aussagen schlagen.

Von Florida-Geschäftsführer „Schmitti“ in „Baywatch Berlin“ mahnend angesprochen, man müsse endlich aufpassen, was man wie in Interviews sagt, weil sonst die Gerüchteküche überkocht, reagierte Klaas völlig verdattert und betonte (mit liebevoller Neckerei in der Stimme), dass Joko doch für ihn der „Bruder, den er nie wollte“ sei. Bei seinem „Baywatch Berlin“-Gastauftritt wurde dieser Nichtwunschbruder dann für Klaas spontan zum „Wintermausimann“. (Hier darf man sich beliebig viele Herzchen vorstellen, die Klaas stimmlich in das Wort gelegt hat.) Und auch Joko hält mit seiner Sympathie für Klaas – sowohl vor als auch hinter der Kamera – nie hinterm Berg.

Doch bei aller Liebe füreinander, müsste man ja nicht aufeinander hocken und die Zugkraft gemeinsamer Auftritte überreizen, wenn man sich doch einzeln entfalten und die weiterhin absolvierten Zusammenarbeiten wieder stärker auskosten kann. „Gesund“ nannte Frank Elstner, der anders als zahlreiche Berichterstatter:innen bei Jokos und Klaas' Aussagen hingehört hat, diese Fähigkeit zur Selbstreflexion.

„Ziemlich beste Feinde“ nennen wir Joko und Klaas daher mit floridaesker Irreverenz und freundlicher Ironie in unserer Überschrift. Dabei ist es doch eigentlich ein Widerspruch in sich, einen solch negativen Begriff wie „Feind“ mit einem positiven Adjektiv zu belegen. Im Falle von Joko und Klaas stimmt es aber. Denn die freundschaftlich-feindselige Interaktion, die die Beiden insbesondere bei Wettkampfformaten (egal, ob sie gegeneinander kämpfen oder sich bei Kooperationen necken) an den Tag legen, ist eben nur deshalb so erfolgreich und stark (= lustig), weil die beiden Moderatoren ihr Gegenüber genau kennen.

Beide nutzen gezielt die Schwächen (und Stärken) des jeweils Anderen aus, um etwa bei „Das Duell um die Welt“ gegenseitig das Optimum an amüsanter Reaktion aus sich herauszukitzeln. Wer ist der Beste (oder nun: Wer ist der Beste und hat zudem das beste Team?) und darf daher den Anderen in der nächsten Ausgabe mit einem prahlerischen Weltmeister-Studioeinmarsch in Staunen versetzen?

Geadelt von ihrem Idol

Wie schon angedeutet: Dieses Prinzip funktioniert auch, wenn die Zwei vor der Kamera an einem Strang ziehen. Seit 2019 duellieren sich Joko und Klaas mit dem übermächtigen Gegner ProSieben, verkörpert von diversen Freund:innen des Hauses. Unter der Führung von Moderationsallrounder Steven Gätjen, der in „Joko & Klaas gegen ProSieben“ seine schnippische Seite Galopp laufen lässt, packen die Zwei ihren Wettkampfeifer zusammen, um einer Strafe ihres Heimatsenders zu entgehen und 15 nach eigener Laune gestaltete Livesendeminuten zu gewinnen. Dieser Kampf „Entertainer gegen Sender“ mündet in viel Harmonie, aber auch in brüderlich geäußerten Frust – je nach Ablauf der Spiele und letztlich der Show.

Und so herrlich-bescheuert es ist, wenn sich erwachsene Männer verstecken, anbrüllen, dämlich verkleiden oder Fans vermeidend durch Berlin manövrieren: „Joko & Klaas gegen ProSieben“ wurde schon mehrfach Sprungbrett für die verantwortungsvolle, sozial engagierte Seite des Duos, das sich beispielsweise schon in „Circus HalliGalli“ einander küssend gegen Homophobie stark machte.

Zwar nutzen Joko und Klaas etwaig gewonnene 15 Liveminuten auch ab und zu für anarchischen Quatsch wie einen Audiokommentar des RTL-Programms oder den Museumsbesuch eines Schweins. Denn ein Schuss Unberechenbarkeit muss sein, damit die Masse neugierig einschaltet. Vermehrt nutzen sie die 15 Minuten der freien Sendegestaltung allerdings für etwas Wichtigeres: Um auf Missstände aufmerksam zu machen. Und das auf dem besten Programmplatz, den der Privatsender ProSieben zu bieten hat.

Am 13. Mai 2020 etwa überließen sie Sophie Passmann, Palina Rojinski, Katrin Bauerfeind, Jeannine Michaelsen, Visa Vie, Stefanie Giesinger und Collien Ulmen-Fernandes die Bühne, damit sie das TV-Publikum mit den Auswirkungen von Sexismus konfrontieren. Am 31. März 2021 wiederum wurde die gesamte Schicht einer Pflegekraft des Universitätsklinikums Münster ausgestrahlt. Es ist die andere Seite von Joko und Klaas sowie der Florida Entertainment GmbH, die sich immer dann politisch positionieren, wenn es notwendig ist. Statt erwartbarer Blödelei tragen Joko und Klaas plötzlich mit derselben Aufrichtigkeit wichtige weltpolitische Anliegen nach draußen. Und vielleicht ist das das ultimative Geheimnis des Duos.

Denn manch ein Projekt mag hinsichtlich der Einschaltquoten enttäuscht haben, und der Pressekonsens fluktuiert ständig, ob Joko und Klaas (selbst im Alter von bald/über 40 Jahren) „die jungen Wilden“ der TV-Branche sind, ihr Untergang oder ihre letzte Rettung. Sind sie Blödelheinis oder Qualitätsgaranten, die für Anspruch und Herz im Deppengewand sorgen? Oder alles zugleich? Doch es muss ja einen Grund haben, dass Thomas Gottschalk die Beiden in jüngeren Jahren in zunehmen kleineren Abständen als lobenswerten Teil der TV-Speerspitze adelte, sowohl in ihrem Entertainment als in ihrer Haltung. Was für eine unerwartete Ehre für Joko und Klaas, die wiederholt erklärten, dass er das Moderationsidol ihrer Kindheit war! Und diese Ehre wird er sich nicht an den Locken herbeigezogen haben: Ein Thomas Gottschalk verstellt sich nicht, der ist, wie er ist – im Schlechten wie im Guten. Und auch bei Joko und Klaas lautet das Zauberwort konsequenterweise: Aufrichtigkeit.

Alles, was Joko, Klaas und ihre im Hintergrund agierenden Mitarbeiter:innen unternehmen, steckt voller Herzblut, Arbeit, Leidenschaft und impliziert dabei trotzdem immer wieder die Möglichkeit des Scheiterns. Als Joko Winterscheidt im Vorfeld von „Wer stiehlt mir die Show?“ zu verstehen gab, dass die Showidee, den Teilnehmenden als Preis seinen Moderatorenjob (!) zu überlassen, vielleicht „die dümmste Idee“ sei, die er je hatte, und dass der Sender sie genau deshalb angenommen hat … Dann war das kein billiger Versuch, um beschwichtigende Komplimente zu erhaschen, oder zusätzlich Aufmerksamkeit für die Show zu generieren.Es war ein weiterer Ausdruck dieser Entertainment-Gang, dass es ihr schlicht darum geht, ihren Drang zur Unterhaltung nach ganz eigener Laune und Form zu verwirklichen. Wahrlich weltmeisterliche Absichten ... 

Das Duell um die Welt – Team Joko gegen Team Klaas“ startet am Samstag, 4. Dezember 2021 um 20:15 Uhr, live auf ProSieben und auf Joyn in die neue Staffel.

Dieser Artikel ist eine aktualisierte Neuveröffentlichung eines Beitrags für ein mittlerweile eingestelltes Onlineportal. Er wurde zusammen mit Antje Wessels erfasst, die aber nicht mit in der Autorenzeile genannt werden konnte, weil das System davon überfordert war. Dafür bekommt sie eine frühe, als Bildunterschrift dienende sowie diese späte, aber dafür hoffentlich in Erinnerung bleibende, kursiv geschriebene Nennung. So als Ausgleich. Keine Sorge, wir haben das abgesprochen. Sie wird also nicht privat schlecht drauf sein.

Samstag, 20. November 2021

Ein Loblied auf den "neuen" Phantomias

Ein Zeitreisender will eine zahlreiche Menschenleben kostende Explosion abwenden, doch die Polizisten der Zeitbehörde möchten nicht, dass dieses vorbestimmte Ereignis verhindert wird. Egal, wie schrecklich es ist. Ein idealistischer, aber kompromissfeindlicher Wissenschaftler will die zugebaute Westküste eines Kontinents zerstören, um unberührtes Land freizulegen und der Menschheit einen ökologischen Neustart zu schenken. Selbst, wenn dabei Millionen sterben werden … Wer setzt sich mit diesen Dilemmata auseinander? Donald Duck.

Eine Rasse Außerirdischer, die die Emotionen und Lebensenergie ihrer Opfer aussaugt, nimmt die Erde als nächstes Ziel ins Visier – und das Militär kooperiert willentlich mit ihnen. Zu den wenigen Widerstandskämpfern gehört … Donald Duck. Eine Androidin verliert den Lebenswillen und stürzt sich in den Tod. Als sich Techniker anschicken, sie zu reparieren, redet es ihnen jemand aus. Nämlich … Donald Duck.

Das klingt für Uneingeweihte womöglich wie die Zusammenfassung finsterer Fanfiction, die nichts mit echten Disney-Comics zu tun hat. Aber wer in den späten 1990ern ein bestimmtes, in Deutschland sehr nischiges monatliches Disney-Magazin gekauft hat, oder jetzt zur treuen Leserschaft des edel aufgemachten „LTB Premium“ gehört, weiß, was Sache ist. Diese dramatischen, moralisch komplexen Disney-Comicgeschichten existieren. Und sie sind außerordentlich gut.

Die Rede ist von der in Italien erfundenen Comicsaga „Paperinik New Adventures“, oder wie sie hierzulande getauft wurde: „Der neue Phantomias“.

Vom Pechvogel zum Rächer zum sanften Helden zum „neuen Phantomias“

Dass sich Donald Duck in Maske und Umhang kleidet, um als Teilzeiträcher und Superheld Phantomias durch die Nacht zu springen, ist seit 1969 Teil des Disney-Comic-Kanons aus Italien. Erdacht wurde das Alter Ego des zornigen Erpels, weil vielfach der Wunsch geäußert wurde, Donald doch mal auf der Siegerseite zu sehen. Also bekam er eine Geheimidentität, die ihm half, sich an Peinigern zu rächen oder Diebe in die Flucht zu schlagen. Phantomias erfreute sich großer Beliebtheit – bis diese Popularität in den frühen 1990er-Jahren kurzzeitig abnahm.

Bei Disney Italia erkannte man, dass die einst sehr forsche Figur zuletzt zu zahm wurde – und dachte sich daher, dass es an der Zeit sei, Phantomias endlich in eine Superwelt zu hieven, die sich neben die an Jugendliche und junge Erwachsene orientierenden Marvel- und DC-Reihen gesellen kann. Eine Truppe von italienischen Disney-Comicschaffenden, die damals als junge Wilde den Status quo hinterfragten, nahm sich diesem Gedanken an. Und so erschufen Claudio Sciarrone, Alessandro Barbucci und Silvia Ziche sowie die Autoren Tito Faraci und Francesco Artibani ein futuristisch angehauchtes Entenhausen, in dem fortlaufende Geschichten mit immensen Bedrohungen und fahrigen moralischen Dilemmata erzählt werden.

Donalds Alter Ego Phantomias tauscht in „Paperinik New Adventures“ seine wie kindische Wasserpistolen gestalteten Waffen und seine Sprungfeder-Stiefel gegen einen Transformerschild und berät sich nicht weiter mit dem kauzigen Erfinder Daniel Düsentrieb, sondern mit der Künstlichen Intelligenz Eins, die im Laufe der Saga erst noch Empathie lernen muss. Die Comics sind reich an Action, die teils ordentliche Blessuren beim Titelhelden hinterlassen, und Donald alias Phantomias ackert sich mit großem Sarkasmus und viel Galgenhumor durch die vielen Situationen, die weit schwerwiegender sind als alles, was er von früher gewohnt ist.

Dieser Humor ist sehr schnippisch geschrieben – und lässt zugleich weiter durchschimmern, dass sich hier ein Pechvogel und Faulpelz in Kämpfe stürzt, die er lieber Anderen überlassen würde. Würden sich doch nur Andere finden, die diese Kämpfe zu schlagen wüssten. Doch weil es halt sonst niemand übernimmt, löffelt halt Donald Duck ebenso emsig wie augenrollend für uns alle die Suppe aus.


Anfangs ordentlich am Markt vorbei gebrettert

In Deutschland startete der Verlag Ehapa 1996, nur kurze Zeit nach dem Debüt in Italien, den ersten Versuch, diese Comicreihe ans Publikum heranzutragen. Als monatliche Heftreihe in etwas edlerer Aufmachung, aber ähnlichem Format wie das altbekannte „Micky Maus Magazin“, bekam es eine Aufmachung verpasst, die wie ein Hybrid aus klassischen Disney-Heftchen und den Superheldenheften von DC und Marvel anmutete. So weit, so gut. Aber die Saga startete in Deutschland direkt mit einem gigantischen Problem:

Die allererste Geschichte, die erklärt, weshalb Donald Duck nun in einem 151 Stockwerke hohen Wolkenkratzer lebt, mit einer Künstlichen Intelligenz befreundet ist, keinen Kontakt mehr zu seinen Neffen und alten Weggefährten hat, und in der Gestalt von Phantomias nicht etwa Diebe, sondern Killer-Aliens und Diebe aus der Zukunft jagt, wurde ausgelassen. Anspielungen auf „kürzliche Ereignisse“ wirkten nicht wie ausgereifte, innere Kontinuität, sondern wie schlechtes Geschichtenerzählen.

Jahre später wurden „lizenzrechtliche Schwierigkeiten“ als Grund dafür öffentlich gemacht, der Schaden ließ sich aber nicht rückgängig machen: Im deutschen Disney-Comicmarkt, der sich Mitte der 1990er-Jahre noch weniger um Erwachsene bemühte als heute, und für den „PkNA“ somit eh ein schwer zu positionierendes Projekt darstellte, wurde diese Reihe so gestartet, dass sich beim Publikum die Fragezeichen nur so stapelten. Nach bloß neun Heften gab der Verlag die Reihe auf. Vorerst.

1999 folgte ein zweiter Anlauf – mit weniger Inhalt pro Ausgabe, aber zu einem höheren Preis. Die Ursprungsgeschichte der Saga wurde streng limitiert nachgereicht. In Schwarz und Weiß. Und nicht etwa zu Beginn dieses erneuten Versuchs, sondern zu einem späteren Zeitpunkt. Wer braucht schon eine chronologische Veröffentlichung bei einer kontinuierlich erzählten, eng verwobenen Geschichte? Mehr Leute, als dem Verlag damals wohl lieb war: Erneut spielten nur wenige Menschen dieses Spiel mit – nach insgesamt 15 Bänden war mangels Erfolg Schluss.

Das Taschenbuch-Format bringt die späte Rettung

Am 1. März 2012 gelang es dem futuristischen, verwegenen Phantomias endlich, seine Pechsträhne in Deutschland zu überwinden: Unter dem Titel „Der neue Phantomias“ wurde ihm der zweite Band der hochpreisigen, gezielt an ältere Disney-Fans vermarkteten Reihe „LTB Premium“ gewidmet. Darin wurden erneut die Geschichten abgedruckt, die den Grundstein dieser Saga darstellen und die relevantesten Gegner sowie Unterstützer des Helden im Cape einführen – inklusive des zuvor so sagenumwobenen, erst ausgelassenen, dann limitierten „Band 0“. Dieses Mal sogar in Farbe!

Seither sind die „PkNA“-Chroniken fester Bestandteil der Premium-Reihe unter dem „Lustiges Taschenbuch“-Banner. Die Bände vier und sieben folgten mit einer Kombination aus chronologischen Nachdrucken bereits veröffentlichter Hauptgeschichten und deutschen Erstveröffentlichungen pointierter Kurzgeschichten, die die Nebenfiguren der Saga vertiefen. „LTB Premium 9“ belohnte im Oktober 2015 geduldige Fans des neuen Phantomias endlich mit seit vielen Jahren herbei ersehnten, deutschen Erstveröffentlichungen langer Geschichten aus dem zentralen Handlungsstrang. In den „LTB Premium“-Ausgaben elf, 14, 16, 18, 20, 23 und 25 ging die Saga auf zunehmend komplexere Weise weiter, mit lang im Voraus geleistetem Foreshadowing, weit zurückreichenden Kontinuitätsrückgriffen und einer steigenden Schlagzahl an Comics, die entweder sehr actionreich sind oder sehr dramatische, verschachtelte Plots erzählen.

Donald alias Phantomias stellt sich Robo-Auftragskillern, begegnet Aliensöldnern und entwickelt ein ihn immens beißendes, schlechtes Gewissen für Dinge, die er seit Jahrzehnten in seinen klassischen Spaßgeschichten tut. Die Zeitreisegeschichten werden immer verzahnter – und nach dem tragischen Ausgang der Reise einer peppigen Nebenfigur sowie nach einer „Predator“-Parodie findet die Sage in Band 25 einen esoterischen Quasi-Abschluss.

Quasi-Abschluss daher, weil „PkNA“ in Italien so beliebt und erfolgreich war, dass die dortige Disney-Dependence die Reihe fortführte – erst mit einer 18-teiligen Comicsaga, die unmittelbar nach den „PkNA“-Comics spielt, aber zunehmend auf Mystery, charakterbezogene Dramatik und grau-graue Moralität, statt auf Action setzt. Diese Sequel-Saga feierte in Deutschland im August 2020 in „LTB Premium 27“, 19 Jahre nach ihrem Debüt in Italien, ihre Premiere und hat ihre Geheimnisse mittlerweile auch vor dem hiesigen Publikum vollständig enthüllen dürfen. 

Es ist noch lange nicht Schluss!

Mit Witz, Emotion, Action und Dramatik sind die „PkNA“-Geschichte richtige Juwelen im Disney-Comictresor, und da die Ursprungssaga in Deutschland nach all den Fehlstarts letztlich doch komplett erschienen ist, können sich alle Neugierigen endlich ohne Sorge, etwas zu versäumen, in sie hineinzustürzen. Beim „Binge Reading“ entwickelt die Reihe eine noch größere Sogkraft als bei einer über viele, viele Monate hinweg erfolgten Veröffentlichung, werden so durch die Charakterbögen erst richtig deutlich.

Und es ist schon für viel, viel Nachschub gesorgt. Eine alternative Dimension rund um einen ähnlichen, aber nicht exakt gleichen neuen Phantomias spaltete einst die italienischen Fans und hält nun Einzug ins Premium. Aber die „PkNA“-Kontinuität schlägt zurück: In Italien wurde vor wenigen Jahren ein neuer Handlungsstrang rund um den schnippische Sprüche klopfenden, sich durch explosive Auseinandersetzungen wuselnden Erpel mit Maske aufgenommen. Während Comic-Deutschland sich also gerade in die dramatische Zwischenphase des neuen Phantomias begeben hat, arbeitet Italien munter weiter an der Zukunft des futuristischen Phantomias. Wenn ihr mich fragt: Immer nur her damit!

Mittwoch, 3. November 2021

Eternals

 


Regisseurin/Autorin Chloé Zhao ist bislang vornehmlich für ihre leisen Arbeiten bekannt, die sich im semi-dokumentarischen Stil zwischenmenschlichen Dynamiken nähern. Songs My Brothers Taught Me widmet sich einem Sioux-Geschwisterpaar. The Rider ist ein beeindruckendes Porträt eines Rodeo-Reiters, der bei einem schweren Unfall enorme Verletzungen davongetragen hat und sich dennoch wieder in den Sattel schwingen will - und Zhao fängt seinen Antrieb ebenso akribisch ein wie die Reaktionen seines überforderten, hin- und hergerissenen Umfelds. Und Nomadland widmet sich im selben Tonfall der bittersüßen Poesie darin, wie wacker sich von der rücksichtslosen Wirtschaft abgehängte "Jobnomaden" ein Leben in Würde erkämpfen, wo das System keine Würde mehr vorgesehen hat.

Es ist nur konsequent für eine Filmemacherin, die große Passion für die dornige Komplexität von Situationen und Gefühlslagen aufbringt, dass sich auch Chloé Zhao nicht einfach in eine einzelne Schublade stecken lässt. Denn selbst wenn ihre ersten drei Regiearbeiten zweifelsohne aus demselben Holz geschnitzt sind, so sind Zhaos Interessen breiter gefächert als "unmittelbar aus dem Leben gerissene, leise Schicksalsgeschichten". Die unter anderem von Spike Lee unterrichtete Verehrerin der Arbeiten von Werner Herzog, Ang Lee, Wong Kar-wai und Terence Malick ist auch comicvernarrt, inniger Sci-Fi-Fan, fieberte daher beispielsweise Denis Villeneuves Dune entgegen (und war letztlich überaus begeistert vom Endergebnis), schwärmt von James Camerons Terminator und hat einen weiterhin aktiven Fanfiction-Account (den sie jedoch nicht offenlegen will). Es war also nur eine Frage der Zeit, bis Zhao sich in die Genrewelten des Fantastischen bewegt.

Mit ihrem vierten Film ist es nun so weit: Bereits nach The Rider ging Zhao mit einer umfangreichen Präsentation bewaffnet auf die Marvel Studios zu - sowie mit der Bitte, ein Projekt zu übernehmen. Sie war daher sowohl für Black Widow als auch für Eternals im Gespräch. Sie erhielt für den Letztgenannten den Zuschlag und entwickelte ihn während ihrer Arbeit an Nomadland. Wir werden wohl nie erfahren, wie Zhaos Black Widow geworden wäre, aber ich kann mir schwer vorstellen, dass der Agentinnen-Actioner eine bessere Wahl für Zhao dargestellt hätte: Zwar ist einer der Schwerpunkte des Auftaktfilms der Phase IV im Marvel Cinematic Universe die diffizile Familiendynamik, in der sich Natasha Romanoff befindet, allerdings bietet Eternals Zhao eine viel breitere Spielwiese, um ihren Stil und ihre schreiberischen Sensibilitäten in fabulöse Welten zu übertragen.

Eternals handelt von einer zehnköpfigen Gruppe nahezu unsterblicher Personen, den Eternals. Ihnen wurde von den gottgleichen Wesen namens Celestials der Auftrag gegeben, sich auf der Erde unter die Menschen zu mischen und sie vor blutrünstigen Monstern namens Deviants zu beschützen. Aber auch nur vor ihnen. Vor Jahrhunderten schienen sie alle Deviants bezwungen zu haben, doch nach den Ereignissen aus Avengers || Endgame tauchen die drahtig-muskulösen Viecher wieder auf. Also müssen sich die über den ganzen Globus verteilten Heldinnen und Helden sammeln. Doch frühere Konflikte und jahrtausendelang verschleppte Gewissensbisse erschweren die Mission ... 

Zhao und die ebenfalls für das Drehbuch verantwortlichen Patrick Burleigh, Ryan Firpo & Kaz Firpo überfrachten ihr Publikum im Prolog mit mythologischen Begrifflichkeiten, Erklärungen und Andeutungen. Nach diesem etwas erzählerisch holprigen Einstieg breiten sie allerdings eine ruhig, doch konzentriert aufgezäumte Geschichte vor ihrem Publikum aus, in dem sich nahezu unsterbliche, menschenähnliche Wesen mit massiven Kräften von einer Zwickmühle in die nächste begeben. Diese sind interpersoneller Natur, kämpferischer Art oder betreffen ethische/philosophische Fragen.

Vor allem letzter Aspekt ist von Interesse: Zhao macht in Eternals nämlich das, was sich im Superheldenkino aufgrund der dort agierenden, mächtigen Figuren nahezu aufdrängt, abseits ihr jedoch nur Zack Snyder mit Man of Steel im Mainstream auf auffällige Weise tat. Sie widmet sich dem Dilemma, wie denn als gütig behauptete und überaus mächtig geschilderte Figuren Leid zulassen können - geht also einer vercomicten Version der Theodizeefrage nach. Bedenkt man, dass Snyders "Superman kann ja auch nicht andauernd alle retten"-Film mein klarer Favorit unter seinen DC-Filmen ist, damals jedoch auch viel Schelte abbekommen hat, kommt mit angesichts der bisherigen Eternals-Reaktionen prompt ein Déjà-vu ... 

Mit Man of Steel teilt sich Eternals auch die zwischen Zeitebenen springende Erzählweise, wobei Zhao in den Rückblenden durch die Menschheitsgeschichte düst und dies gleichermaßen für Kostüm- und Kulissenprunk nutzt wie für das sehr beiläufige Säen von Zwietracht, Misstrauen, Zuneigung und Vertrauen innerhalb der titelgebenden Truppe. Beispielsweise wird der von Kumail Nanjiani mit viel Witz verkörperte, jedoch auf's Kämpfen spezialisierte Kingo als jemand gezeigt, der im privaten Umfeld ein lockeres Mundwerk hat und neidisch auf die Gabe von Sprite (Lia McHugh) ist, die lebensechte Projektionen erzeugen kann und diese in ruhigen Momenten nutzt, um die Sterblichen zu unterhalten. Dass Kingo in der Gegenwart der Handlung als seit Jahrzehnten tätiger Bollywood-Star aufkreuzt, der nach all der Zeit im Showbiz noch vorlauter und schnippischer ist und mehr flotte Sprüche raushaut als zuvor, ist eine fast schon erschreckend schlüssige Begründung Zhaos, mit Kingos Wiedereingreifen in die Handlung ein Comic Relief einzuführen.

Nicht alle Eternals bekommen gleich viel erzählerische Aufmerksamkeit, der koreanische Filmstar Don Lee etwa fällt mit seiner Rolle nahezu unter den Tisch, wohingegen beispielsweise die taube Lauren Ridloff ihrer Heldin in ihren wenigen Szenen eine fesselnde Energie verleihen kann und McHugh als Sprite überzeugend zwischen ewig-jugendlicher Frische und jahrtausendealtem Frust balanciert. Gemma Chans Sersi dient mehr oder minder als Protagonistin, hält sich jedoch zurück, statt dem Film mit Nachdruck ihren Stempel aufzudrücken. Das reibt sich mit den MCU-Sehgewohnheiten, sind die Filme der Marvel Studios, klammert man Black Panther und Chadwick Bosemans sehr stark die Bälle zum Nebencast passende Performance aus, ja gemeinhin stark auf ihren zentralen Star ausgerichtet. Trotzdem (oder gerade deshalb) sollte man Chans Leistung in Eternals nicht unterschätzen - wenn ich schauspielerisch was zu mäkeln habe, trifft das viel mehr Kit Harrington als Sersis Love Interest und Richard Madden als ihr Ex und Eternal-Kollege zu. Beide ackern sich für meinen Begriff zu steif durch ihre Szenen, wobei Ramin Djawadis urig-epochaler Soundtrack durchaus die eine oder andere Szene ordentlich vorantreibt und dabei auch das Spiel der beiden Herren im besten Sinne zu übertönen versteht.

Visuell ist Eternals die Handschrift Zhaos noch stärker anzumerken als darin, in welchem Duktus sie die Dialogpassagen taktet. Kameramann Ben Davis schafft allerhand hübsche Panoramen, und die digitalen Trickeffekte sind nach den in ihren schwächeren Momenten etwas angestaubt wirkenden Black Widow und Shang-Chi eine echte Wonne. Wenn manche dieser digital getricksten Elemente mit mahnender Schwere im Bild stehen bleiben, darf sogar Gänsehaut aufkommen - vorausgesetzt, man ist zu diesem Zeitpunkt noch emotional und gedanklich in das Geschehen involviert.

Die durchwachsenen Vorabkritiken zu Eternals machen mir deutlich, dass das längst nicht auf alle zutreffen wird, ich aber würde nur den Einstieg des Films etwas begradigen und beim nahezu obligatorischen Actionfinale (das sich allerdings viel organischer entwickelt und zügiger abspielt als bei den vergangenen zwei Phase-IV-Filmen) ein paar Minuten stutzen. Sonst bin ich echt angetan vom Film und bin gespannt, ob (und wenn ja: wie) Zhaos nachdenklich-kurzweilige Sci-Fi-Vision weitergeht. Vielleicht werden wir bei ihrer achten Regiearbeit schlauer sein?

Fazit: Eternals gut. Gerne mehr. Weitere große Worte überlasse ich den zehn Eternals.