Samstag, 27. April 2024

Mediatheken-Tipps (27. April 2024)

El Mariachi (Action, 1992) Robert Rodriguez' erster Langfilm: Atmosphärische, rasant erzählte und stylische Verdichtung aus Neo-Western, South-of-the-Border-Mythos und Actionknaller, die der Legende nach für unter 7.300 Dollar produziert wurde (und nochmal etwa 200.000 Dollar an Postproduktion und Verfielfältigungskosten verschlang). Saucool und explosiv! ZDF-Mediathek, abrufbar bis zum 28. April 2024

Guten Morgen (Alltagskomödie, 1959) Yasujirō Ozus zweiter Farbfilm ist zugleich ein loses Remake eines seiner Stummfilme und dreht sich um Kinder, die in den Redestreik treten, weil sich ihre Eltern gegen die Anschaffung eines Fernsehers ausgesprochen haben. In einer Nebenhandlung geht es um die Vermutung, dass bei einer örtlichen Frauengruppierung Geld veruntreut wurde, und dass ein im Ort wenig bekanntes Ehepaar abgehoben sei. So entsteht eine Geschichte über inhaltsleere Alltagsphrasen, Misstrauen und Innovationsscheue, aber auch über zwischenmenschliche Kommunikation. Erzählt mit beiläufigem Dialogwitz und einem Pups-Running-Gag. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 29. April 2024

Die große Aktion (Komödie, 1968) Jean-Pierre Mockys spritzige, mit leichtem satirischen Biss versehene Komödie handelt von einem übereifrigen Gymnasiallehrer, der glaubt, dass seine übermüdeten und desinteressierten Schützlinge nur durch eine Methode wieder für das Anhäufen von Wissen begeistert werden können: Er beschließt, ihre Fernsehantennen unbrauchbar zu machen. Betont schrill und albern erzählt, aber in seinem Ringen zwischen Medienpessimismus und Kulturoptimismus recht durchdacht und zeitlos. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 30. April 2024

Gangs of New York (Historien-Gewaltepos, 2002) Martin Scorseses großes Passionsprojekt, das leider durch Produzent Harvey Weinstein kompromittiert wurde. Während wir also alle die Daumen drücken, dass Scorsese noch eines Tages ganz im Stile Francis Ford Coppolas zu diesem Projekt zurückkehrt und einen Director's Cut nachliefert, kann man sich aber noch immer daran ergötzen, was Scorsese allem negativen Einfluss zum Trotz ablieferte: Stark von Leonardo DiCaprio, Daniel Day-Lewis und Cameron Diaz gespielt und imposant ausgestattet, erweckt Gangs of New York ein blutiges, finsteres Kapitel der US-Ostküstenhistorie zum Leben. Eine echte Wucht! arte-Mediathek, abrufbar bis zum 5. Mai 2024

71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls (Psychodrama, 1994) Frostige, fragmentarisch erzählte Regiearbeit Michael Hanekes: In Einzelszenen wird auf das schon zu Filmbeginn vorweggenommene Ende hingearbeitet - einen Amoklauf in einem Wiener Vorort. In waschechter Haneke-Manier eine erschütternde Reflexion über Gewalt und unmenschliche Untiefen. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 13. Oktober 2024

Only Lovers Left Alive (Vampir-Abhängfilm, 2013) Nachtschwärmerische, übernatürliche Coolness von Jim Jarmusch und mit einem Cast zum Zungeschnalzen: Tilda Swinton, Tom Hiddleston, Mia Wasikowska, Anton Yelchin, Jeffrey Wright, Slimane Dazi und John Hurt! Es geht um Kulturlust und Lebensfrust, die (Un-)Attraktivität des ewigen Lebens und staubtrockenen Humor. Sowie um verführerische, verführerische Musik. ARD-Mediathek, abrufbar bis zum 18. Dezember 2024

Warum Mediatheken-Tipps? Die Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender sind ein unablässig sprudelnder Quell an sehenswerten Produktionen. Ob Spielfilm, Dokumentarfilm, Reportage, Konzertfilm, Serie, oder oder oder. Doch nicht nur, dass man da leicht den Überblick verlieren kann: Ich kenne einige Menschen, die den Mediatheken kaum oder gar keine Beachtung schenken. Mit dieser Artikelreihe möchte ich Orientierung bieten, ebenso wie Anreiz, sich vermehrt mit den Mediatheken zu befassen. Dazu gebe ich wöchentlich sechs Anschautipps.

Wieso sechs Tipps? Ich möchte, dass diese Artikelreihe händelbar bleibt. Für mich, damit ich sie neben meinen anderweitigen Verpflichtungen verfassen kann. Und für euch: Ich will euch nicht mit Anschautipps erschlagen. Sechs Tipps halte ich indes für umsetzbar: Selbst, wer alle Tipps ansprechend findet, kann sich täglich einen davon angucken, und hat dennoch bis zur nächsten Ausgabe der Reihe auch einen Tag "mediathekenfrei". 

Die Mediatheken-Tipps erheben selbstredend keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Es gibt viel mehr zu sehen, als ich hier Woche für Woche nennen könnte.

Samstag, 20. April 2024

Mediatheken-Tipps (20. April 2024)

Duell am Missouri (Exzentrisches New-Hollywood-Western-Drama, 1976) Bonnie und Clyde-Regisseur Arthur Penn bringt das Westernkino und New Hollywood zusammen, ebenso wie Jack Nicholson und Marlon Brando. Das Ergebnis ist ein stolz-atonaler, trotzdem wie aus einem Guss wirkender Mix aus Abgesang auf Macker-Archetypen und die Vorstellung des sich selbst regulierenden, angeblich hehren Wilden Westens, Auftragskiller-Groteske und Liebesgeschichte zwischen einem Ganoven wider Willen und einer ihren Vater verachtenden Unternehmertochter, gespielt von Kathleen Lloyd. (Warnung für Tierfreund:innen: Beim Dreh wurde durch rücksichtslosen Umgang Pferde verletzt.) arte-Mediathek, abrufbar bis zum 6. Mai 2024

Zwei im falschen Film (Meta-Liebesdrama, 2017) Einer meiner Lieblingsfilme aus dem Jahr 2017: Regisseurin und Autorin Laura Lackmann demontiert und zelebriert die inszenatorischen sowie narrativen Zugeständnisse (nicht nur) des Romantikfilms, indem sie ein Paar (famos: Laura Tonke und Marc Hosemann) vollauf ungeschönt, langweilig, geradezu nervig zeigt. Nicht einmal, weil es so dermaßen dysfunktional ist, sondern einfach, weil Lackmann vorführt, wie unfilmisch so ein Liebesleben sein kann. Nach und nach wird das Paar angenehmer, der Film wiederum kitschig-klischeehafter. Brillantes "Man will halt immer das, was man nicht hat"-Kino! ARD-Mediathek, abrufbar bis zum 12. Mai 2024

Der Tiger von Eschnapur (Abenteuerromantik, 1959) Erster Part des epischen Indien-Zweiteilers von Regielegende Fritz Lang: In Der Tiger von Eschnapur entbrennt ein nicht nur zwischenmenschliche Beziehungen gefährdendes Liebesdreieck zwischen einem deutschen Architekten, einem Maharadscha und einer Tänzerin. Lang arbeitete bereits in der Stummfilmära als Drehbuchautor an einer Version dieses Stoffes, die aber Richard Eichberg inszenierte. Nun übernahm er selbst die Regie. Das Ergebnis ist wahrlich keine akkurate Lehrstunde in indischer Kultur und Historie, wohl aber ein farbprächtiges Abenteuermärchen mit viel Herz und einem genüsslich-bizarren Humor. ZDF-Mediathek, abrufbar bis zum 14. Mai 2024 

Das indische Grabmal (Abenteuerfilm, 1959) Zweiter Part des epischen Indien-Zweiteilers von Regielegende Fritz Lang: Mehr Trubel und drohender Tod, aber auch mehr Herzschmerz und Sinnlichkeit. ZDF-Mediathek, abrufbar bis zum 14. Mai 2024 

Buster - Ein Gauner mit Herz (Krimikomödie, 1988) Phil Collins sitzt nicht an den Drums und singt auch nicht in mehreren Sprachen, sondern zeigt sich als Schauspieler: In David Greens gewitzter Krimikomödie mimt er einen kleinen Trickbetrüger, der ausnahmsweise an einem großen Ding mitwirkt. So wird er urplötzlich zum meistgesuchten Verbrecher des britischen Empires. Ein Status, dem er erstmal wachsen muss. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 18. Mai 2024

Zwischen uns die Nacht (Liebesdrama, 2023) Kirmes- und Nachtschwärmerei-Romantik treffen auf eine junge inszenatorische Stimme in Form von Regie-Newcomerin Abini Gold und herzlich-zwischenmenschliche Dramatik: Laura Balzer gibt eine tolle Performance als junge Mutter in sozial prekärer Position, die mangels Alternativen auf der Sommerkirmes anheuert. Alsbald hat sie unverhofftes Liebesglück, aber auch unerwarteten, romantischen Stress. Gelungene Balance aus hoffnungsvoller Unbeschwertheit und auf Romantisierung verzichteten Blick in gesellschaftlich überbevorteilte Schichten - und das echt hübsch gefilmt! ZDF-Mediathek, abrufbar bis zum 4. August 2024

Warum Mediatheken-Tipps? Die Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender sind ein unablässig sprudelnder Quell an sehenswerten Produktionen. Ob Spielfilm, Dokumentarfilm, Reportage, Konzertfilm, Serie, oder oder oder. Doch nicht nur, dass man da leicht den Überblick verlieren kann: Ich kenne einige Menschen, die den Mediatheken kaum oder gar keine Beachtung schenken. Mit dieser Artikelreihe möchte ich Orientierung bieten, ebenso wie Anreiz, sich vermehrt mit den Mediatheken zu befassen. Dazu gebe ich wöchentlich sechs Anschautipps.

Wieso sechs Tipps? Ich möchte, dass diese Artikelreihe händelbar bleibt. Für mich, damit ich sie neben meinen anderweitigen Verpflichtungen verfassen kann. Und für euch: Ich will euch nicht mit Anschautipps erschlagen. Sechs Tipps halte ich indes für umsetzbar: Selbst, wer alle Tipps ansprechend findet, kann sich täglich einen davon angucken, und hat dennoch bis zur nächsten Ausgabe der Reihe auch einen Tag "mediathekenfrei". 

Die Mediatheken-Tipps erheben selbstredend keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Es gibt viel mehr zu sehen, als ich hier Woche für Woche nennen könnte.

Samstag, 13. April 2024

Mediatheken-Tipps (13. April 2024)

Jane B ...wie Birkin (Kaleidoskopisches Star-Porträt, 1988) In diesem bruchstückhaften Filmessay widmet sich Agnès Varda der Schauspielerin, Sängerin und Stilikone Jane Birkin: Als Birkin sich ihrem 40. Geburtstag näherte und davon eingeschüchtert war, wollte Varda sie durch dieses Projekt aufmuntern und ihr die Angst vorm Alter nehmen. Interviewschnipsel wechseln sich mit mimischen Vignetten ab, die Birkins Vielseitigkeit belegen. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 16. April 2024

Lions Love (... and Lies) (Semifiktionale Tragikomödie , 1969) Nouvelle-Vague-Filmemacherin Agnès Varda, mal wieder metafiktional: Innerhalb weniger Wochen unter halbdokumentarischen Bedingungen gedreht, blickt dieser größtenteils improvisierte Film auf die Traumfabrik Hollywood, eine avantgardistische Theaterszene, Liebe, Ruhm, Sex und Luxus. Mit dabei: Warhol-Muse Susan Hoffman, die Hair-Schöpfer James Rado und Gerome Ragni sowie Undergroundregisseurin Shirley Clarke und Jim Morrison. Dabei herausgekommen ist eine voller Flair steckende Zeitkapsel, ein Liebeslied an eine Kulturrevolution und auch ein Stückchen Abgesang auf eine Ära, die an sich selbst erstickte. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 16. April 2024

Straße der Versuchung (Film-noir-Klassiker, 1945) M-Regisseur Fritz Lang adaptiert das französische Theaterstück Die Hündin und schafft somit einen imposanten Klassiker des Film noir, dessen Atmosphäre im finalen Drittel fast schon in Richtung Grusel-Drama kippt: Kleinbürger-Spießertum knallt auf Kleinkünstler- und Tagelöhner-Milieu, häusliche Gewalt und Wohlstand. Mit von der Partie: Eine umwerfende Joan Bennett und eine derart verdichtete Erzählweise, dass der US-Zensur schwindlig wurde. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 27. April 2024

Ein ganz und gar verwahrlostes Mädchen - Ein Tag im Leben der Rita Rischak (Semifiktionale Dokumentation, 1977) Die ZDF-Mediathek kramt seit einiger Zeit Klassiker der Redaktion Das kleine Fernsehspiel hervor, und hat im Zuge dessen auch diese Vermischung aus Dokumentation und Scripted Drama aus dem Jahr 1977 wieder zu Tage gefördert: Regisseurin Jutta Brückner folgt der alleinerziehenden Mutter Rita, die in Interviews über ihre (zumeist negativen) Lebenserfahrungen und ihre bescheidenen Hoffnungen spricht, und in (ihrem Alltag entliehenen) Spielszenen ihren Tagesablauf nachahmt.
Gezeigt wird ein ungewöhnlicher Tag, da Rita sich aufgrund eines Diebstahls nicht an ihren Arbeitsplatz traut, woraufhin sie über Prostitution und die Tätigkeit für ein unseriöses Kreditunternehmen nachdenkt. Geschildert wird dies (dem Titel zum Trotz) betont vorwurfsfrei, aber mit Respekt gegenüber Rita und einem unaufdringlichen Blick für den gesamtgesellschaftlichen Kontext ihrer Lage. So sieht Scripted Reality aus, wenn sie nicht geschmacklos kalkuliert und ohne jegliches Geschick zusammengeschustert wird, um haufenweise Programmlücken im Privatfernsehen zu schließen. ZDF-Mediathek, abrufbar bis zum 27. April 2024

Das Millionenspiel (Satire, 1970) Das womöglich stärkste, definitiv aber das am längsten nachhallende Werk von TV-Ausnahmeautor Wolfgang Menge: Die Gesellschafts- und Medien-Satire Das Millionenspiel präsentiert sich als Staffelfinale einer gewissenlosen TV-Show, in der die gesamte Nation einen Freiwilligen jagen und töten darf. Sollte er das Studio lebend erreichen und eine letzte Prüfung überstehen, ist ihm das Preisgeld von einer Millionen Mark sicher. Bitterböse, stark gespielt (insbesondere von Dieter Thomas Heck als Moderator) und finster-versiert inszeniert. Die Werbeunterbrechungen sind ebenfalls satirisch-urkomisch, haben aber noch nicht ganz den Biss, den etwa Paul Verhoeven mit der Werbung in RoboCop beweisen sollte. Dennoch: Eine deutsche TV-Sternstunde und ein Glanzmoment im Menschenjagd-Filmgenre.ARD-Mediathek, abrufbar bis zum 8. Juli 2024

Die gefährlichsten Bahnstrecken der Welt (Reportageserie, seit 2019)
Elf Jahre liegt das Ende von Die schönsten Bahnstrecken Deutschlands nun schon zurück, vor fünf Jahren begann wiederum die Produktion einer Reportageserie, die trotz des Titels und des Themas "Eisenbahn" nichts weiter damit gemeinsam hat. Also lasst euch nicht abschrecken! In Die gefährlichsten Bahnstrecken der Welt geht es um heikle Zugstrecken, ihre gesellschaftliche sowie wirtschaftliche Funktion und ihre teils schwindelerregende Historie. Eingefangen in starken, atmosphärischen Bildern und daher ebenso Augenschmaus wie lehrreicher Blick in andere Winkel der Welt. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 20. Juni 2024

Warum Mediatheken-Tipps? Die Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender sind ein unablässig sprudelnder Quell an sehenswerten Produktionen. Ob Spielfilm, Dokumentarfilm, Reportage, Konzertfilm, Serie, oder oder oder. Doch nicht nur, dass man da leicht den Überblick verlieren kann: Ich kenne einige Menschen, die den Mediatheken kaum oder gar keine Beachtung schenken. Mit dieser Artikelreihe möchte ich Orientierung bieten, ebenso wie Anreiz, sich vermehrt mit den Mediatheken zu befassen. Dazu gebe ich wöchentlich sechs Anschautipps.

Wieso sechs Tipps? Ich möchte, dass diese Artikelreihe händelbar bleibt. Für mich, damit ich sie neben meinen anderweitigen Verpflichtungen verfassen kann. Und für euch: Ich will euch nicht mit Anschautipps erschlagen. Sechs Tipps halte ich indes für umsetzbar: Selbst, wer alle Tipps ansprechend findet, kann sich täglich einen davon angucken, und hat dennoch bis zur nächsten Ausgabe der Reihe auch einen Tag "mediathekenfrei". 

Die Mediatheken-Tipps erheben selbstredend keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Es gibt viel mehr zu sehen, als ich hier Woche für Woche nennen könnte.

Samstag, 6. April 2024

Mediatheken-Tipps (6. April 2024)

Zeit der Unschuld (Romantisches Kostümdrama, 1993) Eines der größten Rätsel des digitalen Filmdiskurses sind für mich lautstark gegen andere Filmschaffende oder einzelne Filmreihen wetternde Martin-Scorsese-Fans, die sich in ihrer berechtigten Passion für die Regielegende aber ausschließlich auf seine Gangsterfilme beziehen. Damit ignorieren sie doch den Großteil seiner Vita! Mit Zeit der Unschuld hat 3sat derzeit einen der Macho-unfreundlichsten Filme Scorseses im Portfolio: Ein mit Daniel Day-Lewis, Michelle Pfeiffer und Winona Ryder formidabel besetztes, schwelgerisches ausgestattetes Liebesdrama mit famosen Bildern des Kameramanns Michael Ballhaus und einer Vision von Liebe, die zwischen irrational-intensiv und scheu-codiert-kommuniziert changiert. 3sat-Mediathek, abrufbar bis zum 7. April 2024

Herzensbrecher (Komödie, 2010) Xavier Dolan, mal von seiner leichten Seite - hinter und vor der Kamera einer Liebes-, Freundschafts- und Eifersuchtskomödie: Marie (Monia Chokri) und Francis (Xavier Dolan) sind eng befreundet, verlieben sich jedoch auf einer Party in denselben Typen - und das, obwohl sie beide auch einiges an ihm zu kritteln haben. Jugendlich-peppiger Film über Leute, die sich in ihren frühen 20ern noch eine pubertäre Kopflosigkeit in Liebesdingen bewahrt haben (respektive noch darunter leiden) - mit großem Stilwillen eines jung-ungestümen Regisseurs. ARD-Mediathek, abrufbar bis zum 17. April 2024

I Killed My Mother (Autobiografisch angehauchtes Drama, 2009) Im Heimkino sind einige Xavier-Dolan-Filme leider schwer zu ergattern. Umso schöner, dass die ARD-Mediathek derzeit alten Fans Rewatches ermöglicht und Dolan-Neugierigen es leicht macht, quer in seine Vita einzusteigen. I Killed My Mother ist Dolans womöglich persönlichster Film: Er verfasste das Skript im Alter von nur 16 Jahren und verarbeitete darin seine Beziehung zu seiner Mutter. Das Ergebnis: Ein eindrucksvolles Coming-of-Age-Drama mit ein paar harsch reingrätschenden, charismatischen Passagen voller Humor. ARD-Mediathek, abrufbar bis zum 17. April 2024

The Painter and the Thief (Dokumentation, 2020) Eine fesselnde, unfassbar-wahre Geschichte über Kunst, Rechtsprechung, Reue, Vergebung und Einfühlungsvermögen: Die Malerin Barbora Kysilkova wird bestohlen. Einer der Täter wird gefasst, ist voller Reue. Die Malerin ist gerührt und will ihn malen. Es entsteht eine sonderbare Freundschaft, die aber nicht frei von dornigen Momenten ist. Ungeheuerlich starker Film, eine meiner liebsten Dokumentationen des Jahrhunderts. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 23. April 2024

Das Fest (Rabenschwarze Tragikomödie, 1998) Nicht Lars von Trier, sondern Thomas Vinterberg brachte Dogma 95 im Kino ins Rollen: Unter strengen (und oftmals gebrochenen) künstlerischen Gesetzen sollten pure, den Kunstschaffenden gehörende Filme entstehen. Dem auf dem ersten Blick doch was bitter-aufgesetzten Anklang der Dogma-95-Regeln zum Trotz eröffnete diese Bewegung mit einem finsterkomischen Film, der weniger nachdenklich ist, als unwohlig-fesselnde Erfahrung: Das Fest beginnt als Alltagssituation-Streitfilm über die sich anmaulenden Gästinnen und Gäste einer Familienfeier. Doch nach und nach kommen unschöne Wahrheiten ans Licht, die Vinterberg (wie er es generell so gut beherrscht) mit Respekt für das unbequeme Thema anfasst, und doch mit Galgenhumor versieht. Daher nicht zwingend geeignet für verletzte Seelen, auch wenn namhafte Größen im Bereich der Familienpsychologie dem Film attestieren, in seiner Darstellung erstaunlich akkurat zu sein. ARD-Mediathek, abrufbar bis zum 24. April 2024

Inside Llewyn Davis (Trockenkomisches Musikdrama, 2013) Herbstlich-spröder Einblick in eine turbulente Woche im Leben eines Folkmusikers (brillant: Oscar Isaac), der ein wenig vom Pech verfolgt ist, sich aber auch immer wieder selbst im Weg steht - ohne dass man ihn dafür hassen könnte. Ein Highlight im Schaffen der Coen-Brüder voller Ohrwürmer, Katzen-Content und dichter Atmosphäre. ARD-Mediathek, abrufbar bis zum 4. Mai 2024

Warum Mediatheken-Tipps? Die Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender sind ein unablässig sprudelnder Quell an sehenswerten Produktionen. Ob Spielfilm, Dokumentarfilm, Reportage, Konzertfilm, Serie, oder oder oder. Doch nicht nur, dass man da leicht den Überblick verlieren kann: Ich kenne einige Menschen, die den Mediatheken kaum oder gar keine Beachtung schenken. Mit dieser Artikelreihe möchte ich Orientierung bieten, ebenso wie Anreiz, sich vermehrt mit den Mediatheken zu befassen. Dazu gebe ich wöchentlich sechs Anschautipps.

Wieso sechs Tipps? Ich möchte, dass diese Artikelreihe händelbar bleibt. Für mich, damit ich sie neben meinen anderweitigen Verpflichtungen verfassen kann. Und für euch: Ich will euch nicht mit Anschautipps erschlagen. Sechs Tipps halte ich indes für umsetzbar: Selbst, wer alle Tipps ansprechend findet, kann sich täglich einen davon angucken, und hat dennoch bis zur nächsten Ausgabe der Reihe auch einen Tag "mediathekenfrei". 

Die Mediatheken-Tipps erheben selbstredend keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Es gibt viel mehr zu sehen, als ich hier Woche für Woche nennen könnte.

Freitag, 29. März 2024

Mediatheken-Tipps (29. März 2024)

Aufgrund der vielen bald ablaufenden Empfehlungen gibt es die Mediatheken-Tipps ausnahmsweise bereits am Freitag! (Ihr sollt ja wenigstens eine vage Chance haben, die Tipps zu befolgen.)

Letztes Jahr in Marienbad (Nouvelle Vague trifft Avantgarde, 1961) In einem weitläufigen, prunkvollen, aber auch beunruhigend-klinischen Hotel begegnen sich ein Mann und eine Frau. Er ist überzeugt, dass sie sich vergangenes Jahr in Marienbad gesehen haben und intensive Erfahrungen miteinander hatten, sie kann sich nicht erinnern. Irritierende, zwischendurch schwärmerische, zumeist unwohlige Traumlogik mit hypnotischer Kameraführung und überwältigender Musikuntermalung, die man verbissen entschlüsseln kann, um den "wahren Plot" zu erfahren. Sollte man meiner Ansicht nach aber bleiben lassen, da sich selbst Regisseur Alain Resnais und Drehbuchautor Alain Robbe-Grillet uneinig wahren. Ergiebiger ist es, die Stimmung aufzusaugen, sich fallen zu lassen und zu analysieren, welchen Reim man sich aus den Motiven und Figurenprofilen macht. Und es ist amüsant, sich vor Augen zu führen, dass Letztes Jahr in Marienbad einst von den Filmfestspielen von Cannes abgelehnt wurde, keine Oscar-Nominierung als Internationaler Film bekam und in einem auflagenstarken The Fifty Worst Films of All Time-Ratgeber vorkam. Mittlerweile wird er dagegen (vollauf zurecht) für seine Klasse, Ästhetik, atmosphärische Intensität und Deutungsvielfalt als Klassiker verehrt. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 31. März 2024

Auf der Flucht - The Chase (Film-noir-Thriller, 1946) Ein armer, leicht ängstlicher, ehrlicher Schlucker (Robert Cummings) findet eine Geldbörse und bringt sie seinem Besitzer. Der ist ein brutaler, prunkvoll lebender Gangsterboss (Steve Cochran), der den Ex-Soldat zum Ärger seiner grantigen rechten Hand (Peter Lorre) als Chauffeur anstellt. Daraufhin findet der gutmütige, scheue Mann einen Draht zur Gattin des Gangsters (Michèle Morgan), die von Havanna und einem Leben in Freiheit träumt. Regisseur Arthur Ripley und Drehbuchautor Philip Yordan schufen hiermit einen in Deutschland leider kaum bekannten Stützpfeiler der Film-noir-Epoche und führen durch ihre Abänderungen der Cornell-Woolrich-Romanvorlage The Black Path of Fear die Hays-Code-Zensur an der Nase herum: Die oberflächlichen Verwässerungen führen in ihrer Umsetzung zu einer beklemmenden, diffus-finsteren Stimmung, die sich richtig böse im Nacken festbeißt.

Bildsprachlich halten sich Ripley und Die Schwester der Braut-Kameramann Franz Planer eingangs mit den Film-noir-Markenzeichen zurück, steigern sich aber im letzten Dritteln in eine Schauersymphonie aus verwinkelten Räumen, engen Gassen, schweren Schatten und auch grell beleuchteten, hallend-leeren Orten, die genügend Platz für überdimensionale Damoklesschwerter bieten, die sprichwörtlich über den Figuren schweben. Und so wird aus einer Verbotenen-Liebe-Räuberpistole letztlich ein Film, der (damalige) narrative Konventionen aushebelt, von Traumata, Angststörungen und Verfolgungswahn handelt und womöglich die Bahn frei gemacht hat für spätere Hitchcock-Arbeiten und David Lynch. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 1. April 2024

Die Falle - Pitfall (Film noir, 1948) Visuell der am wenigsten eindringliche Film noir, den arte derzeit in der Mediathek anbietet, dafür aber der mit dem gewitztesten Dialogbuch: Regisseur André De Toth inszeniert mit tonal überaus versierter Hand eine verrucht-empathische Eifersuchtsgeschichte. Versicherungsmann John Forbes (Dick Powell) versteht sich bestens mit dem Model Mona Stevens (Lizbeth Scott). Deren Freund sitzt wegen Finanzbetrugs im Knast, jedoch kann seine Strafe verkürzt werden, wenn Mona mit John kooperiert. Die Dynamik zwischen Mona und John schmeckt jedoch Mac (Raymond Burr) überhaupt nicht: Der dubiose Schlägertyp wird als Privatdetektiv von Johns Versicherung beschäftigt, und hatte ein Auge auf Mona geworfen. Doch nicht nur Macs Gewaltbereitschaft gefährdet das Familienidyll zwischen John und seiner Gattin Sue (Jane Wyatt)... Fesselnd gespielte Film-noir-Eifersuchtsgeschichte, die mit ihrer nuancierten Moral gegen den Hays Code verstößt, aber unzensiert in die Kinos gelang: Toth ließ zwei hochrangige Zensoren wissen, dass ihm ihre Affären bekannt sind. Hüstel, hüstel. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 1. April 2024

Der Menschen Hörigkeit - Of Human Bondage (Romantikdrama mit frühem Film-noir-Einschlag, 1934) Gescheiterter Kunststudent mit wackligen Sozialkünsten wechselt in die Medizin und verliebt sich Hals über Kopf in eine Kellnerin, die ihn jedoch mit nichtssagenden Aussagen an der langen Leine hält. Das führt aber bloß dazu, dass er eine Obsession mit ihr entwickelt... John Cromwells von der US-Kongressbibliothek für die Nachwelt aufbewahrter Klassiker besticht mit widerborstigen Figuren, die sich wiederholt unmöglich aufführen, und trotzdem einen menschlichen Funken behalten, aufgrund dessen Cromwell und Drehbuchautor Lester Cohen (nach einem Roman von W. Somerset Maugham agierend) uns herausfordern, weiterhin empathiefähig zu bleiben. Leslie Howard spielt den Protagonisten etwas läppisch, doch Cohens Skript und eine beeindruckende Bette Davis, die in der weiblichen Hauptrolle von ignorant über eiskalt-manipulativ bis aufgebracht-verzweifelt reicht, heben Der Menschen Hörigkeit auf das Niveau eines Klassikers über irrationale, zwischenmenschliche Verbundenheit und Abhängigkeit. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 1. April 2024

Der Rausch (Tragikomödie, 2020) Thomas Vinterbergs brillanter Tanz zwischen pechschwarzer Komödie, melancholischer Mid-Life-Crisis-Saufeskapade und einfühlsamem, zwischenmenschlichem Drama befasst sich auf packend-amüsante, dennoch nachdenkliche Weise damit, wie nah Leid und Freud beieinander liegen und führt vor, dass wir aus unserer endlichen Zeit auf Erden was machen und sie auskosten sollten - aber stets im Blick haben müssen, dass wir uns nicht durch zu viel Verköstigung ins Aus schießen. Der eh so oft grandiose Mads Mikkelsen gibt eine seiner besten Performances ab und das Finale ist ein Filmschluss für die Ewigkeit. What a Life! ARD-Mediathek, abrufbar bis zum 3. April 2024

Schattenseiten (Film-noir-Hommage, 2018) Kauzig-stilvolle Verneigung vor dem Film noir und das insbesondere in den 50ern und 60ern populäre Pixilation-Animationsmedium: In einer surrealen Welt, in der es möglich ist, das eigene Herz der Bank zu überlassen, hilft eine Frau einem Unbekannten, sein gestohlenes Herz wiederzubeschaffen. Doch der Auftrag ist komplizierter als gedacht... arte-Mediathek, abrufbar bis zum 7. Mai 2024

Warum Mediatheken-Tipps? Die Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender sind ein unablässig sprudelnder Quell an sehenswerten Produktionen. Ob Spielfilm, Dokumentarfilm, Reportage, Konzertfilm, Serie, oder oder oder. Doch nicht nur, dass man da leicht den Überblick verlieren kann: Ich kenne einige Menschen, die den Mediatheken kaum oder gar keine Beachtung schenken. Mit dieser Artikelreihe möchte ich Orientierung bieten, ebenso wie Anreiz, sich vermehrt mit den Mediatheken zu befassen. Dazu gebe ich wöchentlich sechs Anschautipps.

Wieso sechs Tipps? Ich möchte, dass diese Artikelreihe händelbar bleibt. Für mich, damit ich sie neben meinen anderweitigen Verpflichtungen verfassen kann. Und für euch: Ich will euch nicht mit Anschautipps erschlagen. Sechs Tipps halte ich indes für umsetzbar: Selbst, wer alle Tipps ansprechend findet, kann sich täglich einen davon angucken, und hat dennoch bis zur nächsten Ausgabe der Reihe auch einen Tag "mediathekenfrei". 

Die Mediatheken-Tipps erheben selbstredend keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Es gibt viel mehr zu sehen, als ich hier Woche für Woche nennen könnte.

Dienstag, 26. März 2024

Die Unfolgsamen

Es ist eine statistische Momentaufnahme, die zur umfänglichen Bestandsaufnahme soziokultureller Unterschiede hochstilisiert wurde: Zur Hochphase der Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie wurde in Deutschland das Toilettenpapier knapp - in Frankreich dagegen rissen sich die Leute um Wein und Verhütungsmittel.

Das Regie/Skript-Duo Jean-Marc Barr & Pascal Arnold hat mit Die Unfolgsamen gewissermaßen das Filmdestillat zur französischen Hälfte eben dieser Beobachtung geschaffen: In ihrem 77-minütigen Drama erzählen sie von einem Hotel, das zur Brutstation des Widerstands gegen die Corona-Schutzmaßnahmen wird. Denn dort nehmen widerrechtlich Escortgirls und ein Escortboy weiterhin Kundschaft in Empfang. Erschöpfte Menschen bekommen Massagen. Eine Krankenschwester, die am Stadtrand lebt, nistet sich dort ein, um einen kürzeren Weg zur Arbeit zu haben. Ein Kind aus einer gewalttätigen Familie wird aufgenommen. Vor allem aber wird Alkohol getrunken, Beischlaf vollzogen, über Sex philosophiert und über alles erdenkliche gelästert.

Barr und Arnold folgen einerseits den Ratschlag "In der Kürze liegt die Würze": Ihr Film fängt in seiner knappen Laufzeit trotzdem pointiert das Gefühl des Eingesperrtseins ein. Die emotionale Last der Ungewissheit, wie hart und lang die Pandemie noch wird. Sich anstauende Gelüste und ausbreitende Existenzängste. Gleichwohl übertreiben sie es auf anderer Ebene mit der Eile: Durch die Vielzahl an Handlungsfäden bleiben einzelne narrative Motive zu knapp und fallen etwas zu seicht aus - da wäre es weiser gewesen, ein paar Passagen zu kippen und die verbleibenden dafür zu vertiefen.

Trotzdem ist Die Unfolgsamen eine der besseren expliziten, filmischen Thematisierungen der Corona-Pandemie. Dank einer unmittelbaren, unaufgeregten Bildsprache, wie aus dem Leben gegriffen agierenden Figuren, eines vielsagenden Querschnitts an pandemischen Beobachtungen (die thematisch darüber hinausreichende Implikationen haben) und der emotionalen Komplexität, dass Figuren ständig Maßnahmen brechen, obwohl sie ihre Sinnhaftigkeit nie leugnen.

Die Unfolgsamen ist bis zum 31. März 2024 in der arte-Mediathek abrufbar.

Samstag, 23. März 2024

Mediatheken-Tipps (23. März 2024)

Dancer in the Dark (Schwermütiges Musical, 2000) Der dänische Regie-Provokateur Lars von Trier nimmt sich der Musicalkunst an: Sängerin Björk spielt eine Fabrikarbeiterin, deren Sehkraft rapide abnimmt. Um ihrem Sohn zu helfen, dem dasselbe droht, spart sie eifrig für eine Operation. Diesem Seelenleid steht die Musical-Liebe dieser Mutter gegenüber, die hofft, in einer Sound of Music-Aufführung mitspielen zu können. Die Produktionsumstände sind unverzeihlich, der Film selbst ist aber eine denkwürdig-tragische, finster-elegische Genre-Übung mit atemberaubenden Liedern, einer begnadeten Björk und einer einprägsam-garstigen Ästhetik. Wie harsch und musikalisch kann ein Drama sein, bevor es zum Horror-Musical wird? arte-Mediathek, abrufbar bis zum 12. April 2024

Mommy (Tragikomödie, 2014) Wahrscheinlich der beste, definitiv der mich am intensivsten fesselnde Film des einst als Regie-Wunderkinds gefeierten, nun unablässig mit der Regie-Frührente drohenden Xavier Dolan: Mit stillem, melancholischem Humor versehen und voller kleiner Dramen des Alltags, erzählt Mommy von einer ungelenken Mutter-Sohn-Beziehung. Bedrückende Gefühle und kleine Momente banaler Freude wechseln einander ab, was Dolan klangästhetisch und vor allem visuell meisterlich einfängt. Haltet die Taschentücher bereit! ARD-Mediathek, abrufbar bis zum 16. April 2024

Transit (Drama, 2018) Christian Petzold versetzt Anna Seghers Exilroman Transit auf beklemmende Weise ins Heute: Politflüchtling Georg Seidler (Franz Rogowski) versteckt sich vor der Pariser Polizei - und gerät zufällig an die Papiere eines toten Schriftstellers. Er nimmt sie an sich, gibt sich fortan als er aus und reist nach Marseille. Dort begegnet er Marie (Paula Beer), der Frau des Mannes, dessen Identität er notgedrungen geklaut hat... Die Parallelen zwischen Gegenwart und Heute werden intelligent und aufwühlend aufgezeigt, Beer und Rogowski spielen brillant und es gibt eine tüchtige Prise Film-noir-Vibes in sonnig-kontemporären Bildern. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 31. Mai 2024

Carpenter Brut: Hellfest 2023 (Konzertfilm, 2023) Musik, als würde man in einem John-Carpenter-Film oder einem Giallo festsitzen - bis der Knoten platzt und ein Cover aus einem 80er-Bruckheimer-Blockbuster (mit produktionshistorischem Horrorkino-Bezug) für den energiereich-heiteren Rausschmiss sorgt: Carpenter Brut steht für einen manchmal atmosphärischen, meist dröhnenden Hybriden aus Synthwave und Metal. Das knallt, wabert und wummst, dass es eine Freude ist! arte-Mediathek, abrufbar bis zum 16. Juni 2024

Spielerepublik Deutschland (Dokumentation, 2023) Innerhalb von 90 Minuten blickt diese Doku auf mehrere Brettspielentwickler*innen aus Deutschland: Was hat sie zu ihrem Beruf geführt, wie steht ihre Familie dazu und wie ist eigentlich das Verhältnis zur Konkurrenz in diesem Metier? Außerdem gibt es Einblicke in die Geschichte und Wirkung des Preises "Spiel des Jahres". ARD-Mediathek, abrufbar bis zum 30. November 2025

Paul oder die Zerstörung eines Hörbeispiels (Hörspiel-Dekonstruktion, 1969) Was wie ein Informationsbeitrag über den Alltag eines Lastwagenfahrers beginnt, wird zu einem assoziativen Wust aus narrativem Hörspiel, introspektivem Gedankenwust und Nachrichtenschnipseln. So kreiert Wolf Wondratscheck einen dezent unwohlig-bedrückenden, teils aber auch absurd-komischen Klangteppich, der uns vor die Herausforderung stellt, dort Sinn und Ordnung herzustellen, wo nicht zwingend Sinn und Ordnung herrschen. (Hinweis: Das Hörspiel enthält schwere rassistische Sprache) ARD-Audiothek, mir unbekanntes Ablaufdatum

Warum Mediatheken-Tipps? Die Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender sind ein unablässig sprudelnder Quell an sehenswerten Produktionen. Ob Spielfilm, Dokumentarfilm, Reportage, Konzertfilm, Serie, oder oder oder. Doch nicht nur, dass man da leicht den Überblick verlieren kann: Ich kenne einige Menschen, die den Mediatheken kaum oder gar keine Beachtung schenken. Mit dieser Artikelreihe möchte ich Orientierung bieten, ebenso wie Anreiz, sich vermehrt mit den Mediatheken zu befassen. Dazu gebe ich wöchentlich sechs Anschautipps.

Wieso sechs Tipps? Ich möchte, dass diese Artikelreihe händelbar bleibt. Für mich, damit ich sie neben meinen anderweitigen Verpflichtungen verfassen kann. Und für euch: Ich will euch nicht mit Anschautipps erschlagen. Sechs Tipps halte ich indes für umsetzbar: Selbst, wer alle Tipps ansprechend findet, kann sich täglich einen davon angucken, und hat dennoch bis zur nächsten Ausgabe der Reihe auch einen Tag "mediathekenfrei". 

Die Mediatheken-Tipps erheben selbstredend keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Es gibt viel mehr zu sehen, als ich hier Woche für Woche nennen könnte.

Samstag, 16. März 2024

Mediatheken-Tipps (16. März 2024)

Dickhäuter (Dramatischer Animationskurzfilm, 2022) Für alle, die noch etwas Oscar-Nachbereitung betreiben wollen - oder einfach ein Faible für Animation haben: Die französische Illustratorin Stéphanie Clément berichtet in ihrem subtil-beklemmenden Kurzfilm Dickhäuter von einer jungen Frau, die auf ihre Kindheit zurückblickt - konkret auf ihre ungeliebten Besuche bei ihren Großeltern. Was im trocken-bedrückten Tonfall wie eine anti-nostalgische "Es war einfach nicht schön da"-Erinnerung beginnt, wird durch eine Vielzahl an impliziten, im Zusammenspiel aber ein erschütterndes Gesamtbild ergebenden Hinweisen zum schmerzhaften, an die Nieren gehenden Bericht einer Erzählerin, die aufgrund ihrer Kindheit psychische Bewältigungsstrategien wie Dissoziation und Repression verfolgt. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 31. März 2024

Brief an ein Schwein (Dramatischer Animationskurzfilm, 2022) Für alle, die noch etwas Oscar-Nachbereitung betreiben wollen - oder einfach ein Faible für Animation haben: In ihrem Kurzfilm Brief an ein Schwein erzählt Tal Kantor von einer Schulstunde, wie es sie wohl häufiger gibt - ein Holocaust-Überlebender erzählt einer Klasse vom Grauen, das er miterlebt hat, stößt aber auf verschlossene Ohren und pubertierende Unruhestifter, die sich über seine Geschichte lustig machen. Eine Schülerin trifft er aber - und die verliert sich in eine bittere Fantasie. Emotional verzahnt, visuell eine Mischung aus (mich nicht durchweg überzeugender) Rotoskopie und eindringlicher Animation im krakeligen Malkreide-Look. Das Ergebnis ist eine nachdenklich stimmende, keine einfachen Antworten bietende Auseinandersetzung mit (generationellem) Trauma. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 31. März 2024

Die Misswahl – Der Beginn einer Revolution (Dramödie, 2020) Unscheinbare, aber starke Dramödie nach wahren Begebenheiten anno 1969/1970: Keira Knightley spielt eine junge Mutter, die nach langem, harten Kampf endlich an einen Studienplatz gelangt. Trotz ihrer ruhigen, analytischen Art freundet sie sich mit jungen, aktivistischen Frauen an, die planen, gegen den Miss-World-Wettbewerb zu protestieren. Parallel dazu gewinnen wir Einblicke in die Hoffnungen der Miss-World-Kandidatinnen: Während manche mitmachen, um vom Durchschnittsheteromann für ihr Aussehen gefeiert zu werden, sehen andere den Wettbewerb als ihre beste oder gar einzige Chance, um ihre Lebenssituation zu verbessern. Mit einem locker-flockigen Dialogbuch, aber einer ausdifferenzierten Narrative formt Regisseurin Philippa Lowthorpe (Call the Midwife) nach einem Skript von Gaby Chiappe & Rebecca Frayn einen zugänglichen, anspornenden Film, der trotzdem was auf dem Kasten hat: Ebenso beiläufig wie treffend werden verschiedene Gründe für und Formen des Protests beleuchtet - und überzeugend dafür eingestanden, dass zum selben Ziel sehr wohl unterschiedliche Wege führen, und sie sich nicht ausschließen. Für ein Miteinander der Ansätze, wider dem Zerfleischen untereinander! ARD-Mediathek, abrufbar bis zum 3. April 2024

Passagiere der Nacht (Drama, 2022) Einer der schönsten Filme des Jahres 2023 (nach deutschem Kinostart gehend): Mikhaël Hers blickt in einer elliptischen Erzählung vom Schicksal einer Familie - angeführt von Elisabeth (Charlotte Gainsbourg). Die frisch geschiedene Mutter zweier Kinder hat erst kürzlich ihren Brustkrebs besiegt und wird im Paris des Jahres 1981 Telefonistin bei einer Radiosendung. In der atmosphärisch plätschernden, von Nachteulen-Energie und zarten zwischenmenschlichen Beziehungen geprägten Geschichte geht es daraufhin um kleine und größere Lebensveränderungen, Melancholie, bittersüße Hoffnungen und unerwartete Bekanntschaften. Wirkt glatt wie der wiederentdeckte Auftakt einer Rohmer-Trilogie über Tageszeiten. Einfach hübsch! arte-Mediathek, abrufbar bis zum 11. April 2024

Songs of Gastarbeiter: Liebe, D-Mark und Tod (Sozial- und Kultur-Dokumentation, 2023) Frisch mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet und nach kurzer Zeit offline wieder zurück in der Mediathek! In seiner hervorragenden Dokumentation widmet sich Cem Kaya der in den Nachkriegsjahren begonnenen Welle an Migration aus der Türkei nach Deutschland und ihren Folgen - primär gefiltert durch das Thema der Musik: Welche Songs nahmen die "Gastarbeiter" mit, welche wurden daraufhin gezielt für sie produziert, und wie hängt dies mit heutigem Rap zusammen? Die Antworten, und wie sie präsentiert werden, ist menschlich, passioniert, schürt Wut über Dekaden an herzloser Politik, und sind trotzdem dank einer Vielzahl an Charakterköpfen oft auch erstaunlich witzig. Und so blicken wir mit Staunen auf eine im deutschen Mainstream geflissentlich übersehene Subkultur voller Facetten. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 14. April 2024

In den Gängen (Sozialdrama, 2018) Thomas Stubers In den Gängen versammelt mit Sandra Hüller und Franz Rogowski sogleich zwei deutsche Schauspielgrößen, die Beweise dafür sind, dass der internationale Filmdiskurs leichter gewillt ist, unsere Talente gebührend zu feiern, als große Teile des hiesigen. Der trist-kummervolle Film  zeigt stellvertretend die lähmende Banalität des Berufsalltags in Großmärkten, legt den Finger in die Wunde namens Einkommensschere, zeigt Wendeverlierer und erschafft mit naturalistisch-wortkargen Performances (neben Hüller und Rogowski stark: Peter Kurth) komplexe Figuren. Und er macht aus einem spendierten Automatenkakao eine unvergesslich-gütige Geste. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 2. September 2024

Warum Mediatheken-Tipps? Die Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender sind ein unablässig sprudelnder Quell an sehenswerten Produktionen. Ob Spielfilm, Dokumentarfilm, Reportage, Konzertfilm, Serie, oder oder oder. Doch nicht nur, dass man da leicht den Überblick verlieren kann: Ich kenne einige Menschen, die den Mediatheken kaum oder gar keine Beachtung schenken. Mit dieser Artikelreihe möchte ich Orientierung bieten, ebenso wie Anreiz, sich vermehrt mit den Mediatheken zu befassen. Dazu gebe ich wöchentlich sechs Anschautipps.

Wieso sechs Tipps? Ich möchte, dass diese Artikelreihe händelbar bleibt. Für mich, damit ich sie neben meinen anderweitigen Verpflichtungen verfassen kann. Und für euch: Ich will euch nicht mit Anschautipps erschlagen. Sechs Tipps halte ich indes für umsetzbar: Selbst, wer alle Tipps ansprechend findet, kann sich täglich einen davon angucken, und hat dennoch bis zur nächsten Ausgabe der Reihe auch einen Tag "mediathekenfrei". 

Die Mediatheken-Tipps erheben selbstredend keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Es gibt viel mehr zu sehen, als ich hier Woche für Woche nennen könnte.

Samstag, 9. März 2024

TV-Tipp: Hope & Friends in Hollywood

Ich habe einen glühenden TV-Tipp für euch. Einen, für den es sich lohnt, länger wachzubleiben. Oder früher aufzustehen. Und definitiv solltet ihr den Festplattenrekorder anschmeißen, denn es sieht nicht so aus, dass dieser TV-Tipp danach in voller Länge in die ARD-Mediathek zurückkehrt (wo ich ihn einst entdeckt habe, bevor er offline ging).

Denn der WDR zeigt in der Nacht vom 9. auf den 10. März ab 4 Uhr Hope & Friends in Hollywood, eine Aufzeichnung des Silvesterkonzerts, das Starviolinist Daniel Hope und das WDR-Funkhausorchester am 31. Dezember 2021 in der Philharmonie Essen gegeben haben. Das Konzert, mit Tom Gaebel und Pumeza Matshikiza als gastierende Gesangstalente, ist eine Zeitreise durch 100 Jahre Filmmusik. Und der zugleich als musikalischer Leiter und Moderator agierende Geiger hat eine facettenreiche Auswahl an Stücken zusammengestellt, um Hollywoods Musikgeschichte abzudecken.

Es reicht von einem Querschnitt durch das Schaffen der Exilkomponisten, die vor dem aufkommenden Faschismus aus Europa geflohen sind, über einen James Bond-Song bis hin zu Damien Chazelles La La Land. Als überraschendere Zwischenstationen interpretiert das WDR-Funkhausorchester aber auch Stücke aus Saludos Amigos und der mit Sidney Poitier verfilmten Oper Porgy & Bess!

Ich habe eh in den vergangenen Jahren eine Schwäche für die Arrangements des WDR-Funkhausorchesters entwickelt, ebenso fasziniert mich die Kanon, Außenseiter-Tipps und vermeintlich "zu simple" Stücke wertschätzende Schwerpunktsetzung in Hopes TV-Programmen. Bei Hope & Friends in Hollywood kamen für mich diese zwei starken Elemente in filmreifer Harmonie zusammen: Diese Filmmusikzeitreise ist überraschend, wird zugleich dem Anspruch gerecht, allseits beliebte Meilensteine aufleben zu lassen, und klingt hervorragend - alles mit kompetenter, sich trotzdem kurzfassender Einordnung Hopes.

Als diese Konzertaufzeichnung nach ihrer im Januar 2022 erfolgten Erstausstrahlung in der ARD-Mediathek landete, habe ich sie mir begeistert mehrfach angesehen. Umso größer war mein Bedauern, als sie nach jüngeren Wiederholungen nicht wieder in die Mediathek aufgenommen wurde - und die via YouTube veröffentlichten Ausschnitte decken auch nur einen Teil des von Frank Strobel dirigierten Abends ab.

Ein großer Jammer! Selbstredend kann ich nicht vollkommen ausschließen, dass ich aufgrund des meinen Geschmack treffenden Programms und der Veröffentlichungsumstände (wir erinnern uns: 2022 gab es die letzten Pandemie-Wellen, in deren Zuge zu Vorsicht beim Ausgehen und bei Treffen in den eigenen vier Wänden gemahnt wurde) eine überproportionale sentimentale Bindung zu dieser Filmkonzertaufzeichnung entwickelt habe. Schließlich habe ich viele Stunden damit verbracht, mittels Hope & Friends in Hollywod monotone Tage und Wochen zu revitalisieren.

Dennoch bin ich zuversichtlich darin, wenn ich nicht nur die Auswahl der Musikstücke und die orchestralen sowie gesanglichen Leistungen lobe, sondern auch die visuelle Präsentation: Da der WDR glücklicherweise einige seiner Rundfunkorchester-Konzerte mitfilmt respektive live streamt, kenne ich mehr als eine gute Handvoll an Vergleichsmaterial. Und die Lichtdramaturgie in der Essener Philharmonie sowie Thorsten Frickes TV-Regie verleihen diesem Mitschnitt durchaus eine visuelle Dynamik und Wertigkeit, die öffentlich-rechtliche, philharmonische Konzertübertragungen in dieser Form nur selten haben.

Selbstredend ist es kein Konzertfilm in der Tradition der großen Leinwand-Konzertfilmklassiker, trotzdem ist es eine ansprechende Präsentation eines tollen Konzerts. Und da sich nicht absehen lässt, wann ihr es nach dieser Ausstrahlung erneut sehen könnt, solltet ihr dringend von diesem TV-Termin Gebrauch machen, wenn ihr Filmmusik liebt!

Mediatheken-Tipps (9. März 2024)

Ronin (Action-Thriller, 1998) John Frankenheimer haut mal eben mehrere saustarke, stilistisch sich voneinander abhebende, und dennoch wie aus einem kohärenten Guss wirkende Verfolgungsjagden in einen einzigen Film: Robert De Niro, Jean Reno, Sean Bean, Jonathan Pryce, Natascha McElhone und Stellan Skarsgård führen uns in einer bleihaltigen Räuberpistole durch Paris, die Côte d’Azur und die Provence. Es scheppert ordentlich, es wird gelogen und betrogen, und die Motoren dröhnen kräftig. Geradlinige Krawallunterhaltung mit Stil. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 12. März 2024

Mein Ende. Dein Anfang, (Drama, 2019) Mariko Monoguchi nutzt die Magie des audiovisuellen Erzählens, um eine physikalisch hoch theoretische, emotional jedoch vollauf greifbare Geschichte über Liebe, Kummer und Trost zu erzählen. Toll gespielt von Saskia Rosendahl, Julius Feldmeier und Edin Hasanović, meisterlich geschnitten von Andreas Menn und von Monoguchi mit leichtgängig wirkender Präzision inszeniert. ARD-Mediathek, abrufbar bis zum 23. März 2024

Female Comedies - Freche Mädchen, komische Frauen (Stummfilmsammlung, 1906 bis 1927) Die Populär-Filmgeschichtsschreibung hatte lange Zeit ein Gewichtungsproblem: Während etwa Charlie Chaplin, Buster Keaton und Georges Méliès ihre berechtigte Zeit im Rampenlicht erhalten, wann immer die Stummfilmzeit behandelt wird, gingen lange Zeit andere Namen vollkommen unter. Wie Filmpionierin Alice Guy-Blaché (die mittlerweile wieder in den Fokus zurückkehrt und eine Graphic-Novel-Biografie gewidmet bekam) oder Mabel Normand, die schon vor Chaplin den Dreh "Sei der Star in deinen eigenen Slapstick-Komödien" raus hatte und dem Bleistiftschnurrbartträger zum Karrierestart verhalf. arte trägt dazu bei, den talentierten Frauen der Stummfilmära wieder zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen und versammelte unter dem Label Female Comedies 14 Kurzfilme, die weibliche Talente vor und/oder hinter der Kamera vorführen. 

Die Auswahl an Kurzfilmen reicht von Alltagsthemen über humorvolle Krimis bis hin zu fabulösen Zukunftsgeschichten, von explizit feministisch zu "da sind halt auch Frauen lustig". Musikalisch untermalt wurden die Kurzfilme unter anderem von Ensemble Garage, DJ SilentFilmDj und Hisato Tsuji, die den stereotypen Klimperklavier-Sound großzügig vermeiden und die Filme somit für ein kontemporäres Publikum zugänglicher machen. arte-Mediathek, erster Schub an Filmen läuft am 24. März 2024 ab, der zweite am 31. Mai 2024

Zwei Companeros (Western, 1970) Auch als Lasst uns töten, Companeros bekannter Italowestern des unter anderem von Quentin Tarantino innig verehrten Django-Machers Sergio Corbucci: Franco Nero spielt einen schwedischen Waffenhändler (was sonst?), der im von einer Revolution durchrüttelten Mexiko Geschäfte machen will. An welche Seite er liefert, ist ihm gleich, solange die Einnahmen stimmen. Eine Gruppe idealistischer Revoluzzer:innen, darunter die heißblütige Mexikanerin Lola (Iris Berben, wer sonst?), versucht allerdings, den Schweden für ihre Sache zu gewinnen... Schmierig-eindringlich gefilmt, herrlich von Ennio Morricone untermalt, boshaft-genüsslich in der Gewalt und süffisant-grobschlächtig im Humor - mit einer Dosis Haudauf-Slapstick. ARD-Mediathek, abrufbar bis zum 1. April 2024 um 0.45 Uhr

We Need to Talk About Kevin (Thrillerdrama, 2011) A Beautiful Day-Regisseurin Lynne Ramsay adaptiert in We Need To Talk About Kevin den gleichnamigen Roman und erzählt somit die Geschichte der Mutter und früheren Reisejournalistin Eva Khatchadourian (Tilda Swinton), sowie insbesondere von ihren Selbstzweifeln und ihrem bedrückenden Gedankenkarussell: Wir sehen, wie sie mit ihrem Mann Franklin (John C. Reilly) ihren Sohn Kevin (Ezra Miller) großzieht. Und wann immer Kevin sich anstrengend verhält, drängt sich Eva die Frage auf: Ist Kevin trotz oder wegen mir so, und was soll ich jetzt nur tun? Kühl und soghaft inszeniert, intelligent kondensiert und trotzdem erschreckend lebensnah erzählt, brennt sich dieser Film nicht nur wegen Ramsays Bildern und narrativer Schwerpunktsetzung ins Gedächtnis, sondern auch aufgrund der komplexen, bemitleidenswerten und dennoch nicht mitleidsgeifernden Performance von Swinton. Und Millers Performance ist wahrlich gänsehauterregend - heute wohl auch noch mehr, als 2011 bereits schon. ARD-Mediathek, abrufbar bis zum 1. April 2024 um 22 Uhr

Apollo Amerika (Hörspiel-Collage, 1969) 1969: Die ganze Welt verfolgt gebannt die Apollo-11-Mission und fiebert mit, wie Neil Armstrong und Buzz Aldrin als erste Menschen den Mond betreten. Die ganze Welt? Nein: Hörspielautor Ferdinand Kriwet tritt einen Schritt zurück und schließt sich in den USA mit einem Tonbandgerät ein. Fiebrig saugt er nicht die eigentlichen Ereignisse auf, sondern wie sie medial aufbereitet werden. Dabei entstanden ist eine assoziative, geradezu avantgardistisch-musikalische Collage aus Radio- und TV-Ausschnitten. Ein soghaftes, erschlagendes Klangerlebnis. ARD-Audiothek, mir unbekanntes Ablaufdatum

Warum Mediatheken-Tipps? Die Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender sind ein unablässig sprudelnder Quell an sehenswerten Produktionen. Ob Spielfilm, Dokumentarfilm, Reportage, Konzertfilm, Serie, oder oder oder. Doch nicht nur, dass man da leicht den Überblick verlieren kann: Ich kenne einige Menschen, die den Mediatheken kaum oder gar keine Beachtung schenken. Mit dieser Artikelreihe möchte ich Orientierung bieten, ebenso wie Anreiz, sich vermehrt mit den Mediatheken zu befassen. Dazu gebe ich wöchentlich sechs Anschautipps.

Wieso sechs Tipps? Ich möchte, dass diese Artikelreihe händelbar bleibt. Für mich, damit ich sie neben meinen anderweitigen Verpflichtungen verfassen kann. Und für euch: Ich will euch nicht mit Anschautipps erschlagen. Sechs Tipps halte ich indes für umsetzbar: Selbst, wer alle Tipps ansprechend findet, kann sich täglich einen davon angucken, und hat dennoch bis zur nächsten Ausgabe der Reihe auch einen Tag "mediathekenfrei". 

Die Mediatheken-Tipps erheben selbstredend keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Es gibt viel mehr zu sehen, als ich hier Woche für Woche nennen könnte.

Mittwoch, 6. März 2024

Meine Prognose der 96. Academy Awards: Wer gewinnt bei den Oscars 2024?


Schaut man auf die Indikatorpreise, und lauscht, welche Filme immer noch euphorischer Teil des Diskurses sind, sieht es nach einem Oscar-Rennen aus, das dem aus dem Vorjahr ähnelt: Damals galt Everything Everywhere All At Once als großer Favorit und ging letztlich mit sieben Siegen nach Hause. Dieses Jahr hat Oppenheimer diese Position, bloß, dass er außerdem "Oscar-tauglicher" anmutet, was es leichter macht, über den Schatten zu springen und ihn auch in vielen Kategorien vorherzusagen.

Doch darin liegt auch die große Prognosengefahr: Bloß nicht hinreißen lassen und Oppenheimer zu oft vorhersagen. Oder sich zu sehr ins Bockshorn jagen lassen und ihn daher zu selten vorhersagen...

Beste Regie
Justine Triet, Anatomie eine Falls 
Jonathan Glazer, The Zone Of Interest 
Yórgos Lánthimos, Poor Things
Christopher Nolan, Oppenheimer
Martin Scorsese, Killers Of The Flower Moon

Hat Nolan nach dem BAFTA, dem Critics Choice Award und dem DGA Award wohl sicher im Sack.

Beste Hauptdarstellerin
Annette Bening, Nyad
Lily Gladstone, Killers Of The Flower Moon
Sandra Hüller, Anatomie eines Falls
Carey Mulligan, Maestro
Emma Stone, Poor Things

Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Stone und Gladstone. Gladstone hat den SAG Award, aber Stone den BAFTA und zudem den Film, der diese Oscar-Saison mehr Momentum hat. Ich habe so ein "Killers Of The Flower Moon wird Scorseses nächster Gangs Of New York"-Gefühl, dass der Film völlig leer ausgeht. Andererseits ist eine der großen Weisheiten der vergangenen Oscar-Jahre, dass man bei den großen Kategorien stets auf die Person tippen will, die die Branche auf der Bühne sehen möchte. Und Gladstone als erste Native-American-Gewinnerin ist da die naheliegendere Wahl: Die Branche kann sich auf die Schulter klopfen, zudem ist das ihre große Chance auf eine Oscar-Dankesrede. Stone war dort ja schon... 

Ich wäre mit beiden als Gewinnerin fein, da ich aber keinen Split vorhersagen will: Ich vertrau meinem "Zu finster für die Oscars"-Gefühl und dem Poor Things-Momentum. Und dann mal schauen.

Bester Hauptdarsteller
Bradley Cooper, Maestro
Colman Domingo, Rustin
Paul Giamatti, The Holdovers
Cillian Murphy, Oppenheimer
Jeffrey Wright, American Fiction

Beste Nebendarstellerin
Emily Blunt, Oppenheimer
Danielle Brooks, Die Farbe Lila
America Ferrera, Barbie
Jodie Foster, Nyad
Da'Vine Joy Randolph, The Holdovers

Bester Nebendarsteller
Sterling K. Brown, American Fiction
Robert De Niro, Killers Of The Flower Moon
Robert Downey Jr., Oppenheimer
Ryan Gosling, Barbie
Mark Ruffalo, Poor Things

Murphy, Downey und Randolph halte ich für nahezu (Murphy, könnte vielleicht Giamatti werden) und absolut (Randolph, Downey) gesetzt.

Bestes Original-Drehbuch
Anatomie eines Falls
The Holdovers
Maestro
May December
Past Lives - In einem anderen Leben

Glaube, das machen Anatomie eines Falls und The Holdovers unter sich aus. The Holdovers hat den "Academy stimmt mit dem Herzen ab"-Punkt, Anatomie eines Falls beweist mit dem BAFTA, dass der Film beim englischsprachigen Teil der Branche stark ankommt. Tendiere zu Anatomie eines Falls

Bestes adaptiertes Drehbuch
American Fiction
Barbie
Oppenheimer
Poor Things
The Zone Of Interest

Es fühlt sich seltsam an, einen Beinahe-Durchmarsch von Oppenheimer vorherzusagen, und dann das minutiös strukturierte Drehbuch zu übergehen. Aber American Fiction baute zuletzt Momentum ab, und das hier ist die Kategorie, wo er sich durchquetschen könnte.

Bester Animationsfilm
Elemental
Der Junge und der Reiher
Nimona 
Robot Dreams
Spider-Man: Across The Spider-Verse

Bester Dokumentarfilm
Bobi Wine: The People's President
Die unendliche Erinnerung
Olfas Töchter
To Kill A Tiger
20 Days In Mariupol

Bester internationaler Film 
Das Lehrerzimmer (Deutschland)
Die Schneegesellschaft (Spanien) 
The Zone Of Interest (Großbritannien)
Io Capitano (Italien)
Perfect Days (Japan)

Beste Kamera
El Conde
Killers Of The Flower Moon
Maestro
Oppenheimer
Poor Things

Bester Schnitt
Anatomie eines Falls
The Holdovers
Killers Of The Flower Moon
Oppenheimer
Poor Things

Beste Musik
American Fiction
Indiana Jones und das Rad des Schicksals
Killers Of The Flower Moon
Oppenheimer
Poor Things

Bester Original-Song
It Never Went Away aus American Symphony
I'm Just Ken aus Barbie
What Was I Made For? aus Barbie
The Fire Inside aus Flamin' Hot
Wahzhazhe (A Song For My People) aus Killers Of The Flower Moon

Bester Sound
The Creator
Maestro
Mission: Impossible - Dead Reckoning Teil 1
Oppenheimer
The Zone Of Interest

Alternativ setzt sich Oppenheimer durch, aber bei The Zone Of Interest ist der Sound bei fast allen, die über ihn sprechen/schreiben eines der ersten, größten Argumente für den Film.

Beste visuelle Effekte
The Creator
Godzilla: Minus One
Guardians Of The Galaxy Vol. 3
Mission: Impossible - Dead Reckoning Teil 1
Napoleon

Beste Kostüme
Barbie
Killers Of The Flower Moon
Napoleon
Oppenheimer
Poor Things

Bestes Make-Up und Haarstyling
Golda
Maestro
Oppenheimer
Poor Things
Die Schneegesellschaft

Die Academy liebt überzeugendes Alters-Make-up noch mehr als die Entstellungen, die Dafoe in Poor Things durchleidet.

Bestes Produktionsdesign
Barbie
Killers Of The Flower Moon
Napoleon
Oppenheimer
Poor Things

Wie bei den Kostümen sehe ich hier Barbie als größte Konkurrenz für Poor Things, aber ich bilde mir ein, dass der (noch) schrägere Film das Rennen macht.

Bester Kurzfilm
The After
Ich sehe was, was du nicht siehst
Invincible
Knight Of Fortune
Red, White And Blue

Bester animierter Kurzfilm
Ninety-Five Senses
Our Uniform
Pachyderme
Letter To A Pig
War Is Over! Inspired By The Music Of John & Yoko

Wäre in meinen Augen der schwächste der fünf Filme, aber ich fürchte, dass die Kombi aus "Platt-direkter Antikriegsaussage", "gefällig-massentauglichem Look" und "John Lennon" den Film nach vorne peitscht.

Bester Dokumentar-Kurzfilm
The ABCs Of Book Banning
The Barber Of Little Rock Island
In Between
The Last Repair Shop
Nǎi Nai & Wài Pó

Bester Film
American Fiction 
Anatomie eines Falls 
Barbie 
The Holdovers 
Killers Of The Flower Moon
Maestro
Oppenheimer
Past Lives - In einem anderen Leben
Poor Things
The Zone Of Interest

Dürfte ein klares Rennen sein. Aber ich bin dennoch gespannt. Auf eine schöne Oscar-Nacht!

Samstag, 2. März 2024

Mediatheken-Tipps (2. März 2024)

Twist: Der Hype um Immersion (Kulturmagazin, 2023) Um kurz melancholisch zu werden: In den vergangenen vier Jahren hat sich Twist für mich zu einer festen Instanz und meinem liebsten TV-Kulturmagazin entwickelt. Frisch, sympathisch und anspornend moderiert, aus stets wechselnden (immer herrlich fotografierten) Städten präsentiert, nimmt sich Twist allen erdenklichen Kunst- und Kulturthemen an. Jede Folge hat ein Leitthema, dem sich die Redaktion in verschiedenen Beiträgen annimmt, die teils im nicht ausverbalisierten, kritischen Dialog miteinander stehen. Informativ, Perspektiven aufzeigend und das aus einer jungen, entdeckungsfreudigen Haltung heraus.

Vor wenigen Wochen wurde das Format einem "Soft Reboot" unterzogen, die Moderation gestrichen, die Themenabschnitte einer jeden Folge sind nun kohärenter (oder: monotoner). Es ist immer noch ein sehenswertes Format, aber es hinterlässt mich etwas blaumütig, dass die lebhaftere, buntere, variantenreichere Ur-Version von Twist aufgegeben wurde (wohl mangels Erfolg). Die Moderatorinnen (Stamm-Team: Bianca Hauda und Romy Straßenburg im Wechsel) haben sich redlich bemüht, arte machte mehrmals Umfragen, um Wege zu finden, das Format stärker zu pushen, ich hab das Format öfters ungefragt weiterempfohlen... Es hat wohl nicht sollen sein.

Daher würde ich mich ärgern, die Mediatheken-Tipps nicht zu nutzen, um auf die "alte" Twist-Variante hinzuweisen, solange einige Ausgaben davon in der arte-Mediathek und bei YouTube online sind. Exemplarisch habe ich mal die Folge über Immersion in der Kunst genommen. Denn seit der Ausgabe brüte ich darüber, mal das Phoenix des Lumières zu besuchen. Vielleicht spornt sie euch wiederum an, Twist zu bingen. (Und wenn genug von euch bingen, wird vielleicht die alte Twist-Version aufgrund plötzlichen Erfolgs zurückgeholt?) arte-Mediathek, abrufbar bis zum 10. März 2024

CineKino: Schlüsselmomente des europäischen Kinos (Dokuserie, ab 2016) In der Dokuserie CineKino reist arte durch die entscheidenden Momente in der Kinogeschichte jeweils eines europäischen Landes. Die vier derzeit abrufbaren Ausgaben widmen sich jeweils Frankreich, Belgien, Deutschland und Italien, ab dem 8. März folgen Ausgaben über Großbritannien, Spanien, Tschechien und die Slowakei, die Schweiz, Österreich und Polen. Bei unter 30 Minuten Laufzeit pro Folge mit Filmausschnitten, Interviews und Archivaufnahmen selbstredend nicht allumfangend, bietet CineKino dennoch einen leidenschaftlichen, Impulse zum Wieder- und Neuentdecken setzenden Querschnitt dessen, was die behandelten Filmnationen ausmacht. arte-Mediathek, Folge eins bis vier abrufbar bis zum 6. April 2024

Pioniere der Filmmusik: Europas Sound für Hollywood (Dokumentation, 2023) In 52 bis zum Rand mit Information vollgepackten Minuten blickt diese arte-Doku auf drei Männer die während der Anfänge des Tonfilms vor dem Nationalsozialismus geflohen sind und in Hollywood die "Sprache" der Filmmusik entscheidend mitgeprägt haben: Erich Wolfgang Korngold, Max Steiner und Franz Waxman. Ihre Einflüsse, ihr Leben in den USA und ihr Einfluss wird ebenso behandelt, wie eine Brücke ins Heute geschlagen wird: Wieso sind Hans Zimmer, Ramin Djawadi und Harold Faltermeyer von Deutschland aus nach Hollywood gekommen, was inspiriert sie und wie haben sie den Mainstream-Sound verändert? (Die Doku enthält Spoiler für Keine Zeit zu sterben.) arte-Mediathek, abrufbar bis zum 24. Mai 2024

Jodorowsky’s Dune (Dokumentation, 2013) Eine der größten Was-wäre-wenn?-Geschichten des Kinos: Der chilenische Regisseur Alejandro Jodorowsky wollte Frank Herberts Dune verfilmen, steigert sich allerdings in immens ambitionierte Ideen herein und eckt daher mit den Finanziers zusammen. Der Film kam daher nicht aus der Planungsphase heraus, allerdings tröpfelten Designideen in spätere, wirklich vollendete Werke wie Alien. Diese Doku erzählt, wie es zur Kombi aus Jodorowsky und Dune kam, seine Ideen werden vorgestellt und der streitbare Regisseur darf sich darüber aufregen, dass nichts daraus wurde. Faszinierende Doku, nach der ich zumindest keinerlei Glauben daran hatte, dass man diese Dune-Version jemals hätte umsetzen können. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 18. August 2024

Radio macht Geschichte (Doku-Podcast-Miniserie, 2023) Anlässlich des 100-jährigen Radiojubiläums widmen sich die Autoren Tomas Fitzel (rbb), Sven Hecker (MDR) und Max Knieriemen (SWR) in 15 kompakten Episoden zu jeweils knapp einer Viertelstunde zahlreichen Facetten des Mediums. Mit Original-Audioausschnitten aus wichtigen, einflussreichen, kultigen, berüchtigten oder beliebten Radioübertragungen, (Archiv-)Interviewschnipseln und einer einordnenden Erzählstimme wird etwa über die Entwicklung des Radios aufgeklärt. Oder die Geschichte der Live-Reportage. Oder des Hörspiels. Oder darüber, weshalb das Radio-Nachtprogramm in Deutschland ist, wie es ist. Oder darüber, weshalb die Polizei gegen Verkehrsinformationen im Radio war. Schön zusammengeschnürte Info-Häppchen voller "Oha?!"-Momente, sympathisch erzählt! ARD-Audiothek, voraussichtlich abrufbar bis zum 8. Oktober 2024

Zauberei auf dem Sender (Metafiktionale Hörspiel-Groteske, 1924/1962) Ach, du heilige Makrele: 1924 hatte Dr. Hans Flesch, Intendant des Radiosenders Frankfurt 1, eine herausragende Idee, die sich als verspielter Vorbote von Orson Welles' Krieg der Welten-Adaption von 1938 bezeichnen ließe: Live wurde das Programm seines Senders durch reinstes Chaos durcheinander gewirbelt. Der Ansager verhaspelt sich. Die "Märchentante" platzt ins Studio und verlangt, den Kindern abends was erzählen zu dürfen. In der Regie funktionieren die Regler nicht, sodass gleichzeitig Töne aus verschiedenen Winkeln der Station über den Äther geschickt werden. Und dann prahlt ein selbsternannter Zauberer, er könne dafür sorgen, dass das Publikum ihn sieht. All das war ein geskriptetes Hörspiel, das die Formen des Radios bereits in seinen Anfangsjahren auslotete - und leider nicht als Aufzeichnung erhalten blieb. Stattdessen wurde das Skript 1962 erneut eingesprochen. Kesser Schabernack, den gern mal eine TV-Produktionsfirma als Inspiration nutzen dürfte, um dem linearen Fernsehen in seinen späten Jahren einen feisten "Was passiert hier?!"-Moment zu verschaffen. ARD-Audiothek, mir unbekanntes Ablaufdatum

Warum Mediatheken-Tipps? Die Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender sind ein unablässig sprudelnder Quell an sehenswerten Produktionen. Ob Spielfilm, Dokumentarfilm, Reportage, Konzertfilm, Serie, oder oder oder. Doch nicht nur, dass man da leicht den Überblick verlieren kann: Ich kenne einige Menschen, die den Mediatheken kaum oder gar keine Beachtung schenken. Mit dieser Artikelreihe möchte ich Orientierung bieten, ebenso wie Anreiz, sich vermehrt mit den Mediatheken zu befassen. Dazu gebe ich wöchentlich sechs Anschautipps.

Wieso sechs Tipps? Ich möchte, dass diese Artikelreihe händelbar bleibt. Für mich, damit ich sie neben meinen anderweitigen Verpflichtungen verfassen kann. Und für euch: Ich will euch nicht mit Anschautipps erschlagen. Sechs Tipps halte ich indes für umsetzbar: Selbst, wer alle Tipps ansprechend findet, kann sich täglich einen davon angucken, und hat dennoch bis zur nächsten Ausgabe der Reihe auch einen Tag "mediathekenfrei". 

Die Mediatheken-Tipps erheben selbstredend keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Es gibt viel mehr zu sehen, als ich hier Woche für Woche nennen könnte.

Samstag, 24. Februar 2024

Mediatheken-Tipps (24. Februar 2024)

Tootsie (Travestie-Komödie, 1982) Klassiker des mainstreamtauglichen Crossdressing-Humors mit Dustin Hoffman als perfektionistischen, aber anstrengenden und daher wenig gefragten Schauspieler. Um weiter mit seiner Passion, statt mit Nebenjobs, über die Runden zu kommen, verkleidet er sich als Frau und wird zur resoluten Seifenoper-Newcomerin. Die Folge: Großer, eloquenter und temporeicher Spaß über einen Mann, der sich einbildet, dass Frauen es leichter haben, und erkennen muss, wie sehr er damit irrt. Ein Film der meiner bescheidenen Meinung nach längst nicht derart gealtert ist, wie man vielleicht vorschnell urteilen würde: Genderrollen hinterfragenden Humor konnte man auch "früher". (Was unter anderem Fans von Manche mögen's heiß natürlich nicht überraschen dürfte.) ZDF-Mediathek, abrufbar bis zum 27.Februar 2024

Herr Bachmann und seine Klasse (Dokumentarfilm, 2021) Maria Speth blickt auf Gesamtschullehrer Dieter Bachmann aus Hessen. Im Fokus steht sein Unterricht einer sechsten Klasse, die sich aus 12- bis 14-Jährigen zusammensetzt. Gezeigt wird insbesondere der Unterrichtsalltag, aber auch Gespräche, die Bachmann professionell oder privat mit seinem Kollegium führt, werden eingefangen. Ebenso sehen wir Augenblicke, in denen er seinen Schützlingen als beratende Seele in nicht-schulischen Fragen zur Seite steht. Wie Linklaters Boyhood, verfolgt Herr Bachmann und seine Klasse eine emotional-assoziative Logik: Wichtig ist, was von einem Schuljahr hängen bleibt, nicht das, was wir vorab als wichtig vermuten. Mehrmals sehen wir Jugendliche, die Angst vor einer baldigen Prüfung haben - aber die Prüfung wird nicht gezeigt. Wir sehen Streitschlichtung, aber nicht den Streit (und umgekehrt). Am Ende der intimen, überraschend kurzweiligen und höchstmenschlichen, intellektuell bereichernden 217 (!) Minuten fühlt man sich, als würde man diese ganze Klasse schon lange kennen - und steht vor empathisch-warmer Leere, weil man sie sich nun selbst überlässt. Herausragend! 3sat-Mediathek, abrufbar bis zum 13. März 2024

Schweigend steht der Wald (Thriller, 2022) Hotel Desire- und Fikkefuchs-Darstellerin Saralisa Volm wechselt die Seiten und liefert mit Schweigend steht der Wald ihr Langfilm-Regiedebüt ab. Auf Basis des gleichnamigen Romans von Wolfram Fleischhauer erzählt sie darin von Forststudentin Anja Grimm (Henriette Confurius), die den Wald auf nahezu übernatürlich anmutende Weise lesen kann. Mit Menschen tut sie sich derweil schwer. Als in einem für sie befremdlichen Dorf in der Oberpfalz erst ein Mord geschieht und dann auch noch der Täter Suizid begeht, begibt sich Anja auf Spurensuche - und wühlt so tief begrabene Unmenschlichkeit aus der deutschen Vergangenheit auf. Erzählerisch verdammend, visuell raffiniert und atmosphärisch! arte-Mediathek, abrufbar bis zum 16. März 2024

The Painted Bird (Schwarzweißes Antikriegs-Drama, 2019) In der Tradition von Andrej Rubljow und Letterboxds Lieblingsfilm Komm und sieh führt Václav Marhoul vor, wie matschig, harsch, trist und freudlos 35mm-Schwarz-Weiß-Bilder sein können. Gezeigt wird Polen 1939 nach dem Angriff der Deutschen, unser Fokus und Protagonist ist ein sechsjähriger Junge, der mehr Elend, Niedertracht, Schmerz und Hass mit ansehen muss, als man selbst den emotional gefestigsten Erwachsenen zutrauen würde - und doch wird unmissverständlich klar, dass er gerade einmal an der Oberfläche dessen kratzt, wie viel Grauen Krieg noch verursacht. (Und die verdorbene Seite der Menschen generell.) Wenn ihr euch nach Herr Bachmann und seine Klasse wieder runterziehen wollt: Bitteschön, dieser Meisterstreich der Erbarmungslosigkeit tut es!  3sat-Mediathek, abrufbar bis zum 18. März 2024

Re: Whisky-Boom mit Schattenseiten (Reportage, 2024) Dank neun weltweit hoch angesehener Destillerien und ihrer begehrten Produkte ist die schottische Insel Islay ein Träumchen für Whisky-Liebende. Allerdings ist das Geschäft mit Whisky mittlerweile so heiß umkämpft, dass die Auswirkungen ins Negative gekippt sind: Die Infrastruktur der kleinen Insel ist überlastet, die Destillerie-Angestellten finden kaum noch Wohnraum. Die arte-Reportage spricht mit Betroffenen, Whisky-Begeisterten und Unternehmergeistern, zudem schaut sie hinter die allem zum Trotz oftmals weiterhin gemütlich-rustikal anmutenden Kulissen der Whisky-Produktion auf Islay. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 22. März 2028

MAITHINK X - Die Show: "Wie populistische Politiker uns verarschen" (Wissenschaftsshow, 2024) Unter den informativ-humoristischen Shows aus der ZDF-Familie, die sich hauptsächlich aus einem Monolog nähren, ist MAITHINK X - DIE SHOW mit einer größeren Informationsdichte versehen, reflektierter und zugleich deutlich lustiger als die Show, die regelmäßig auf Aspekte herumtrampelt. Trotz dieser massiven Qualitäten hat sie eine deutlich geringere Reichweite und schlägt weniger Wellen. Kurios. Vielleicht braucht es mehr Flachwitze und Schimpfwörter, um die Lücke zu schließen? Oder liegt es daran, dass aufgrund der inhärenten Nuanciertheit des Formats die provokant-steilen Thesen und der Selbstgefälligkeitsfaktor ausbleiben? Nun, wenigstens ist dem Format zum Staffelstart der "Die Presse berichtet voreilig"-Coup gelungen, auf den sonst der berühmtere Genrekollege ein Abo hat. Als MAITHINK-Twist wurde aber auch dem eigenen Publikum vorgeführt, wie leicht es sich aufpeitschen lässt. Und das beim Thema Polit-Populismus und mangelnde Sachlichkeit! Clever, clever! (Wenn ihr erst jetzt von dem Format erfahrt: Liebend gern die bisherigen Folgen nachholen und für den Rest der Staffel am Ball bleiben!) ZDF-Mediathek, abrufbar bis zum 24. Februar 2029

Warum Mediatheken-Tipps? Die Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender sind ein unablässig sprudelnder Quell an sehenswerten Produktionen. Ob Spielfilm, Dokumentarfilm, Reportage, Konzertfilm, Serie, oder oder oder. Doch nicht nur, dass man da leicht den Überblick verlieren kann: Ich kenne einige Menschen, die den Mediatheken kaum oder gar keine Beachtung schenken. Mit dieser Artikelreihe möchte ich Orientierung bieten, ebenso wie Anreiz, sich vermehrt mit den Mediatheken zu befassen. Dazu gebe ich wöchentlich sechs Anschautipps.

Wieso sechs Tipps? Ich möchte, dass diese Artikelreihe händelbar bleibt. Für mich, damit ich sie neben meinen anderweitigen Verpflichtungen verfassen kann. Und für euch: Ich will euch nicht mit Anschautipps erschlagen. Sechs Tipps halte ich indes für umsetzbar: Selbst, wer alle Tipps ansprechend findet, kann sich täglich einen davon angucken, und hat dennoch bis zur nächsten Ausgabe der Reihe auch einen Tag "mediathekenfrei". 

Die Mediatheken-Tipps erheben selbstredend keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Es gibt viel mehr zu sehen, als ich hier Woche für Woche nennen könnte.

Samstag, 17. Februar 2024

Mediatheken-Tipps (17. Februar 2024)

Ein süßer Fratz (Musical, 1957) Eine Besetzung zum Verlieben in einer Stadt zum Verlieben: Musical-Spitzenregisseur Stanley Donen (Singin' In The Rain) versammelt Fred Astaire (als Modefotograf, der Persönlichkeit und Intellekt schätzt) und Audrey Hepburn (als schüchterne Buchhändlerin und Hobby-Philosophin) in Paris. Donen herzt seinen Schauplatz und bringt uns mit Leichtigkeit dazu, den Cast (noch mehr als eh schon) zu bewundern. Hinzu kommen fröhliche Lieder, variantenreiche Tanzeinlagen und ein Schaulaufen bildhübscher Mode. Ein Herz von einem Wohlfühlfilm! arte-Mediathek, abrufbar nur noch heute - aber am 23. Februar folgt um 14.15 Uhr eine Wiederholung bei arte (ob der Film dann erneut in der Mediathek landet, ist mir derzeit leider nicht bekannt)

Comedian Harmonists (Historien-Tragikomödie, 1997) Anekdotisch aufbereitete, gelegentlich etwas kitschig-klischeehafte, dessen ungeachtet wirksam-schmerzliche Nacherzählung des Aufstiegs der Gesangstruppe Comedian Harmonists, während sich der Nationalsozialismus aufbäumt. In schwächeren Momenten schwingt ein naiver "Sowas wird nie mehr passieren"-Duktus mit, in den stärkeren lässt Regisseur Joseph Vilsmaier gekonnt unbekümmerte Stimmung in erschütterte Bitterkeit umkippen: Es geht um Verdrängung, das Unterschätzen offensichtlicher Gefahren und das Gefühl der Ohnmacht, wie man sich ihnen stellen soll. Ein etwas holpriger Film, den ich trotzdem sehr mag (die Evergreens auf dem Soundtrack helfen da natürlich). Deutsche Vergangenheitsbewältigung war in den 1990ern und 2000ern schonmal deutlich missglückter. ARD-Mediathek, abrufbar bis zum 20. Februar 2024

Der diskrete Charme der Bourgeoisie (Surreale Dramödie, 1972) Vielleicht der berühmteste Langfilm in Luis Buñuels Vita (was ich genauso über Dieses obskure Objekt der Begierde schreiben würde): Diese skurrile Gesellschaftssatire spielt behände sowie ohne die anstrengende Selbstverlebtheit vieler Buñuel-Imitator:innen mit Erzählkonventionen und dreht sich um sechs Personen der Pariser Oberschicht. Ständig wird ihr geplantes, gemeinsames Mahl aus immer absonderlicheren Gründen verschoben. Ein Running-Gag-(Alb-)Traum, der sich an Snobismus, Gier, Arroganz und verbittertem Traditionsdenken abarbeitet - und selbst, wenn man gerade nicht über Subtext und Aussagen nachdenken will, durch seinen stilistischen Findungsreichtum blendend unterhält. Auch ein Top-Tipp für Stephen-Sondheim-Fans, da Sondheim Akt eins seines letzten Musicals, Here We Are, an diesen Klassiker angelehnt hat! arte-Mediathek, abrufbar bis zum 31. März 2024

Leslie Caron, eine Pariserin in Hollywood (Doku-Porträt, 2014) Mit Ein Amerikaner in Paris und Gigi hat Leslie Caron zwei absolute Filmklassiker in ihrer Vita stehen, die insbesondere ihre atemberaubenden, grazilen Tanzschritte für die Ewigkeit festhalten. Dieses Doku-Porträt erzählt, wie sie es vom Pariser Konservatorium zur Primaballerina und nach Hollywood schaffte, lässt sie kritisch über uniforme Massenchoreos sprechen und Licht auf grausiges Geschehen hinter den MGM-Kulissen werfen. Zudem wird auf Carons Umgang mit schweren Depressionen eingegangen. Vor allem aber zeigt die Doku, was für eine nimmermüde, charmante Präsenz Caron heute noch ist. Unter den fast einstündigen Star-Dokus im arte-Fundus eine der denkwürdigeren - und da der Qualitätsdurchschnitt solcher arte-Dokus mehr als respektabel ist, sollte diese hier auch für Filmfans als Empfehlung gelten, denen Caron noch kein Begriff ist. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 13. Mai 2024

Undine (Entmystifizierendes Großstadt-Liebesdrama, 2020) Christian Petzolds Auftakt zu seiner angekündigten, thematischen "Elemente-Trilogie" führt uns zurück zur Ur-Ahnin von Arielle und Co.: Zum Undine-Mythos. In Petzolds Vision ist die Wassernymphe, die dazu verdammt ist, sie unzureichend liebende Männer zu töten, eine studierte, freiberufliche Stadthistorikerin in Berlin. Diese Undine will gegen ihre mörderische Bestimmung ankämpfen und verliebt sich, kurz nachdem sie von ihrem (Ex-)Partner verschmäht wurde, in einen zartfühligen Industrietaucher. Bezaubernd gefilmt (in den Unterwasserszenen mit bewussten Reminiszenzen an Disneys Abenteuer-Meilenstein 20.000 Meilen unter dem Meer) und ebenso feinsinnig wie beherzt-verletzlich erzählt, lebt Undine insbesondere von der ungewöhnlichen, berührenden Chemie zwischen Paula Beer und Franz Rogowski in den Hauptrollen. Ein Film, der immer besser wird, je öfter man an ihn denkt. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 31. Mai 2024

Weekend (Experimentell montiertes Hörspiel, 1930) Nachdem er die (zu hoch angesehenen Klassikern aufgestiegenen) Experimental-Dokumentarfilme Berlin - Die Sinfonie einer Großstadt und Melodie der Welt inszenierte (musikalisch begleitete, soghaft montierte Schnipsel von Momentaufnahmen, sozusagen Vorläufer der Qatsi-Trilogie), wollte Regisseur Walter Ruttmann diese Erfahrung ins Radio übertragen. Entstanden ist eine assoziativ aneinander geschnittene, gleichwohl eine recht repräsentative Chronik bildende Abfolge an Geräuschen eines Berliner Wochenendes. (Zur Einordnung: Damals ging das Wochenende nur von Samstagabend bis Montagfrüh. Das heute als normal geltende Zwei-Tage-Wochenende musste hart gegen Vorwürfe "Ihr seid nur alle faul!" erkämpft werden.) Ein Zeitdokument, das die Form des Hörspiels in seinen frühen Jahren auslotet. Lange verschollen geglaubt, wurde 1978 glücklicherweise eine Kopie entdeckt - und zwar in New York! ARD-Audiothek, mir unbekanntes Ablaufdatum

Warum Mediatheken-Tipps? Die Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender sind ein unablässig sprudelnder Quell an sehenswerten Produktionen. Ob Spielfilm, Dokumentarfilm, Reportage, Konzertfilm, Serie, oder oder oder. Doch nicht nur, dass man da leicht den Überblick verlieren kann: Ich kenne einige Menschen, die den Mediatheken kaum oder gar keine Beachtung schenken. Mit dieser Artikelreihe möchte ich Orientierung bieten, ebenso wie Anreiz, sich vermehrt mit den Mediatheken zu befassen. Dazu gebe ich wöchentlich sechs Anschautipps.

Wieso sechs Tipps? Ich möchte, dass diese Artikelreihe händelbar bleibt. Für mich, damit ich sie neben meinen anderweitigen Verpflichtungen verfassen kann. Und für euch: Ich will euch nicht mit Anschautipps erschlagen. Sechs Tipps halte ich indes für umsetzbar: Selbst, wer alle Tipps ansprechend findet, kann sich täglich einen davon angucken, und hat dennoch bis zur nächsten Ausgabe der Reihe auch einen Tag "mediathekenfrei". 

Die Mediatheken-Tipps erheben selbstredend keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Es gibt viel mehr zu sehen, als ich hier Woche für Woche nennen könnte.

Samstag, 10. Februar 2024

Mediatheken-Tipps (10. Februar 2024)

Der Glöckner von Notre Dame (Dramatisches CinemaScope-Spektakel, 1956) Die Spielhölle von Macao-Regisseur Jean Delannoy dampft Victor Hugos Romanklassiker zum farbenfrohen, extrabreit gefilmten Spektakel herunter. Gina Lollobrigida und Anthony Quinn sind ein ungewöhnliches Filmpaar, und obwohl sich der Film an manchen Stellen um potentielle Kontroversen drückt (in den 1950ern war man noch sehr um die Gefühle der katholischen Kirche besorgt), bleiben die Figuren spannend-widerborstig. Der Tonfall ist auch recht dramatisch - dennoch ist der Film eher etwas für's Auge. Aber dafür ist der Look wirklich eindrucksvoll. ZDF-Mediathek, abrufbar bis zum 13. Februar 2024

Stunts: Das Leben aufs Spiel setzen? (Dokumentation, 2023) Neben einem Abriss der Stunt-Geschichte (selbstredend mit Buster Keaton, aber auch mit einigen europäischen Beispielen wie "Klettermaxe" und der späteren Sexshop-Unternehmerin Beate Uhse) präsentiert diese arte-Doku die deutsche Action-Performerin Marie Mouroum. Die war unter anderem schon in Black Panther zu sehen und trat seit Veröffentlichung der Doku im Netflix-Klopper 60 Minuten auf. Sehr informativ und kurzweilig präsentiert. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 27. Februar 2024

Märkte - Im Bauch von ... (Reportagereihe, seit 2013) Während sich manche Leute am Feierabend das Hirn durchpusten, indem sie Dating-Dokusoaps oder vor Gift und Galle triefende Realityshows schauen, ist diese Reportagereihe eines meiner liebsten "Fernsehen zum Abschalten"-Beispiele: Jede Ausgabe widmet sich einem Markt in einer europäischen Stadt. In schönen Bildern wird das Treiben der Kundschaft und der Handelsleute gezeigt, und kleine Reportage-Einschübe zeigen, wie ausgewählte Leute ihr Angebot herstellen, züchten, anbauen etc. Es ist eine konfliktfreie Sendung ohne jeglichen Stressfaktor, sie macht Appetit und sieht gut aus, aber man lernt auch etwas. Über Eigenheiten bestimmter Märkte, über Stadtgeschichte und darüber, wie die Wechselwirkung zwischen Klima, Politik, nationalen Gewohnheiten und dem Lebensmittelangebot aussieht. arte-Mediathek, variierende Ablauftermine

Wir sind auf Sendung! - 100 Jahre Radioorchester in Europa (Dokumentation, 2024) In 53 kompakten Minuten wird ein wissenswerter Abriss der Geschichte öffentlich-rechtlich finanzierter Orchester geboten: Wieso sind sie entstanden, warum fanden sie großen Anklang, wer hat sich wann weshalb über ihre Existenz beschwert, welche gesellschaftliche Funktion erfüllen sie und wie versuchen sie, relevant zu bleiben? Wenn ihr im "Heimatgebiet" eines Rundfunkorchesters lebt, tut euch einen Gefallen: Schaut diese Doku und kauft euch danach Rundfunkorchesterkonzertkarten! arte-Mediathek, abrufbar bis zum 12. April 2024

"Deep Throat" - Als der Porno salonfähig wurde (Dokumentation, 2021) Ausgerechnet in die puritanischen USA gab es eine kurze Zeit, in der Pornos das heiße Mainstream-Ding waren. Wie konnte das nur passieren, wieso hat sich ausgerechnet Deep Throat als größer Hit dieser Welle herauskristallisiert, welche Spuren hinterließ der Film in der Popkultur sowie in der medialen Sex- und Sexismusdebatte? All dies wird nuanciert zusammengefasst und debattiert, ebenso wie das persönliche und berufliche Schicksal der Hauptdarstellerin Linda Lovelace. Hinzu kommen gegenwärtige Perspektiven auf erneute Versuche, künstlerisch wertvolle, feministische Pornografie zu erstellen, und welche Lektionen man heute (nicht) aus Deep Throat lernen kann. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 21. Mai 2024

Alles ist gut (Drama, 2018) Janne (Aenne Schwarz) wird nach einer Party vergewaltigt. Der Täter (Hans Löw) ist der Schwager ihres neuen Chefs, Jannes Welt ist klein, alle kennen sich. Also rutscht Janne gleitend in eine Verdrängungsstrategie: Sie will nicht "das Opfer" sein, sondern die starke Person, die alles abschüttelt. Ein Vorhaben, das sowohl an Jannes psychologischen Bedürfnissen scheitert als an gesellschaftlichen Unzulänglichkeiten. Regisseurin und Autorin Eva Trobisch erzählt die Geschichte trocken-beobachtend, ohne Sensationslust oder Kitsch, aber mit einer winzigen, wirksamen Dosis an "Humor aus Verzweiflung" und vielen, lang in Erinnerung bleibenden, frustrierenden Beobachtungen. Sowie mit einer unter die Haut gehenden Darbietung durch Hauptdarstellerin Schwarz. ARD-Mediathek, abrufbar bis zum 27. März 2025 um 2.30 Uhr (kuriose Ablaufzeit, liebe ARD)

Warum Mediatheken-Tipps? Die Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender sind ein unablässig sprudelnder Quell an sehenswerten Produktionen. Ob Spielfilm, Dokumentarfilm, Reportage, Konzertfilm, Serie, oder oder oder. Doch nicht nur, dass man da leicht den Überblick verlieren kann: Ich kenne einige Menschen, die den Mediatheken kaum oder gar keine Beachtung schenken. Mit dieser Artikelreihe möchte ich Orientierung bieten, ebenso wie Anreiz, sich vermehrt mit den Mediatheken zu befassen. Dazu gebe ich wöchentlich sechs Anschautipps.

Wieso sechs Tipps? Ich möchte, dass diese Artikelreihe händelbar bleibt. Für mich, damit ich sie neben meinen anderweitigen Verpflichtungen verfassen kann. Und für euch: Ich will euch nicht mit Anschautipps erschlagen. Sechs Tipps halte ich indes für umsetzbar: Selbst, wer alle Tipps ansprechend findet, kann sich täglich einen davon angucken, und hat dennoch bis zur nächsten Ausgabe der Reihe auch einen Tag "mediathekenfrei". 

Die Mediatheken-Tipps erheben selbstredend keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Es gibt viel mehr zu sehen, als ich hier Woche für Woche nennen könnte.