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Samstag, 13. Juli 2024

Mediatheken-Tipps (13. Juli 2024)

Styx (Nautisches Thrillerdrama, 2018) Bildgewaltiges, auf mehrfacher Ebene aufregendes Drama über Seenotrettung mit einer fesselnden Performance von Susanne Wolf und eindringlicher Inszenierung durch Wolfgang Fischer. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 16. Juli 2024

Das geheime Fenster (Psychothriller, 2004) Lose nach einer Kurzgeschichte von Stephen King: Johnny Depp spielt einen Schriftsteller, der sich seit seiner Scheidung im Sinkflug befindet und nun auch noch von einem still-unheimlichen Fan (John Turtorro) bedroht wird, der ihn des Plagiats bezichtigt. Was folgt, ist ein spannend-kauziger Absturz ins Befinden eines Kreativen, der nach Beweisen für seine künstlerische Integrität sucht und gegen Selbstzweifel ankämpft. ZDF-Mediathek, abrufbar bis zum 17. Juli 2024

Jack Lemmon - Nobody's perfect (Doku-Porträt, 2020) Julia & Clara Kuperberg setzen in dieser fast einstündigen arte-Doku dem still-humorvollen, verletzlichen Jedermann-Star aus Manche mögen's heiß, Ein seltsames Paar, Glengarry Glen Ross und Co. ein sympathisches Denkmal. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 28. Juli 2024

Oh Zeiten, oh Schlösser (Poetische Reisedoku, 1957) Kurzfilm der Nouvelle-Vague-Größe Agnès Varda, der die Architektur der Schlösser an der Loire in all ihrer Pracht zeigt, aber mit der zeitgenössischen Mode der 1950er konterkariert. Malerische Eastmancolor-Fotografie trifft auf schnippische und nachdenkliche Kommentare, die Reiselust weckenden Schauplätze müssen mit Vardas abschweifender Aufmerksamkeit konkurrieren, die sich für die Arbeiterklasse und die Tierwelt erwärmt. Ein einfach schöner Film über (Un-)Endlichkeit. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 31. August 2024

Elvis: '68 Comeback Special (Musikalisches Fernsehspecial, 1968) Ein hervorragend strukturiertes, inszeniertes und performtes Stück TV- und Musikgeschichte, das dem "King" neuen Aufwind gegeben hat und die Messlatte für TV-Sondersendungen rund um ein einzelnes Talent gehörig nach oben verlegt hat. Formidabel! arte-Mediathek, abrufbar bis zum 22. Oktober 2024

Kleiner Schneider (Romanze, 2010) In dieser frühen Regiearbeit des Die Träumer-Darstellers Louis Garrel verliebt sich ein Schneiderlehrling (Arthur Igual) in die Freundin eines Freundes - die Theaterdarstellerin Marie-Julie (Léa Seydoux). Kurz, knapp, dennoch nuanciert und sinnlich. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 1. Juni 2025

Warum Mediatheken-Tipps? Die Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender sind ein unablässig sprudelnder Quell an sehenswerten Produktionen. Ob Spielfilm, Dokumentarfilm, Reportage, Konzertfilm, Serie, oder oder oder. Doch nicht nur, dass man da leicht den Überblick verlieren kann: Ich kenne einige Menschen, die den Mediatheken kaum oder gar keine Beachtung schenken. Mit dieser Artikelreihe möchte ich Orientierung bieten, ebenso wie Anreiz, sich vermehrt mit den Mediatheken zu befassen. Dazu gebe ich wöchentlich sechs Anschautipps.

Wieso sechs Tipps? Ich möchte, dass diese Artikelreihe händelbar bleibt. Für mich, damit ich sie neben meinen anderweitigen Verpflichtungen verfassen kann. Und für euch: Ich will euch nicht mit Anschautipps erschlagen. Sechs Tipps halte ich indes für umsetzbar: Selbst, wer alle Tipps ansprechend findet, kann sich täglich einen davon angucken, und hat dennoch bis zur nächsten Ausgabe der Reihe auch einen Tag "mediathekenfrei". 

Die Mediatheken-Tipps erheben selbstredend keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Es gibt viel mehr zu sehen, als ich hier Woche für Woche nennen könnte.

Freitag, 25. Juni 2021

Freitag der Karibik #74

Was bisher geschah: Ich bin wieder voll im Piratenfieber. Daher widme ich mich nun den weniger bekannten Deleted Scenes aus Gore Verbinskis Pirates of the Caribbean-Fortsetzungen. Also den komplett gekippten oder gestutzten Filmpassagen, die erst in späteren, internationalen Sammeleditionen al Bonusmaterial zu finden waren. Die entsprechenden Szenen zu Teil zwei behandelte ich bereits hier.


Und nun weitere Deleted Scenes, inszeniert von Gore Verbinski!

Die Postproduktion von Pirates of the Caribbean – Am Ende der Welt war legendär-stressig. Der Drehschluss des großen Finales von Gore Verbinskis Piratentrilogie verschob sich aufgrund zahlreicher Komplikationen (von einem Hurrikan zerstörte Sets! Szenen, die komplett neu gedreht werden mussten, um bessere Effekte zu ermöglichen!) wiederholt nach hinten. Die kreativen Verantwortlichen beknieten daher Disney, den Starttermin von Pirates of the Caribbean – Am Ende der Welt ebenfalls zu verschieben. Doch sie lehnten ab. Und so mussten die sich stapelnden Erledigungen in deutlich weniger Zeit abgearbeitet werden, als geplant. Der Legende nach erhielt Gore Verbinski vom Studio während der Postproduktion Fahrverbot, weil es Angst hatte, dass der unzählige Überstunden schiebende Mann am Steuer einschlafen und so einen schweren Unfall bauen könnte.

Und dennoch kam am Ende ein wahrhaftiges Meisterwerk heraus (wenn man mich fragt, und da ihr auf meinem Blog seid, tut ihr das ja offenbar!), wenngleich ein Meisterwerk, um das die hitzigsten Diskussionen entstanden. Hätte mehr Material auf dem Boden des Schneideraums landen müssen? Weniger? Warum bitte landeten manche Dinge auf dem Boden des Schneideraums? Es ist an der Zeit, sich die Tonnen an Deleted Scenes näher anzuschauen und Gore Verbinski höchstpersönlich zu lauschen, während er erklärt, was er sich dabei gedacht hat ... 

(Titellos)

In der einzigen Aufnahme, die für den verworfenen Anfang von Am Ende der Welt gemacht wurde, sehen wir Barbossa nachdenklich an einem Tisch sitzen, mit einer Acht-Realis-Münze in der Hand. 

Gores Kommentar: Ursprünglich sollte Am Ende der Welt damit beginnen, wie jeder der Piratenfürsten eine solche Münze erhält, was als Einladung Barbossas zum Rat der Bruderschaft gelten sollte.

Mein Urteil: Hau weg den Dreck, keine Alternative kommt an den Hoist the Colors-Prolog ran!

The Canaries

Nachdem Barbossa und Elizabeth in das Badehaus Sao Fengs eingetreten sind, sehen wir bereits Tia Dalma (die in der endgültigen Filmfassung erst etwas später wiedereingeführt wird). Sie und Jack, der Affe nutzen die Drehorgel, um die Feilgeräusche zu übertönen, die Gibbs und Co. verursachen. Als die Wachen der East India Trading Company sie verjagen wollen, verrät Tia Dalma einem der Wachmänner etwas aus seiner Kindheit (er warf stets Laken in den Brunnen) sowie eine ihn tiefer treffende Wahrheit (dass seine Mutter ihn durchschaute, aber ihm verzieh). 

Gores Kommentar: "Es ist eine Art Verweis auf Obi-Wan in Star Wars ... 'Das sind nicht die Droiden, die ihr sucht'. Ich glaube, die Autoren Ted & Terry waren als Kinder große Fans von diesem Film. Aber letztlich wollten wir zügiger zum Treffen mit Sao Feng kommen, also musste diese Szene weichen."

Mein Urteil: Keine Szene, bei der ich denke "Hach, wäre sie doch nur drin geblieben!", gestört hätte sie mich aber auch nicht. Doch ich will nicht wissen, wie ungeduldig das Publikum damals, im Mai 2007, während des Triple Features mit Mitternachtsvorpremiere geworden wäre, hätte es noch länger gedauert, bis wir zu Jack Sparrows Auftritt kommen. Also, ja, im Sinne des Publikums: Gut entschieden. Und auch ohne die Meute im Kino im Blick ist ja nichts wertvolles verschollen gegangen.

A Pox on Us All

Sao Feng kritisiert etwas länger den Gedanken einer Fürsten-Zusammenkunft, woraufhin Barbossa den Hohen Rat mit Nachdruck und romantisiertem Tonfall verteidigt.

Gores Kommentar: Er merkt an, dass das Treffen mit Sao Feng insgesamt viel ausführlicher war, doch letztlich beschloss er, es auf das Wesentliche zu reduzieren. Er vermisst jedoch die kurzen Zeilen, in denen Barbossa Sao Feng verdeutlicht, was der Hohe Rat der Bruderschaft den Piraten alles ermöglichte. Gore ist sich dessen bewusst, dass diese Informationen weiterhin im Film stecken, jedoch mag er es, wie Barbossa sie hier mittels seiner Gravitas als Verhandlungsmittel einsetzt.

Mein Urteil: Rush spielt wirklich klasse, aber die Szene wäre schon redundant ... 

You're a Pirate

Pintel begegnet während der Singapur-Kampfszene zwischen den Piraten und der East India Trading Company dem Verräter mit dem zerlaufenen Tattoo (der später auch als Leiche zu sehen ist, die die Wasserstelle vergiftet, die die Crew der Black Pearl nach der Up is Down-Szene nutzen möchte).

Gores Kommentar: Diese zweite von planmäßig eigentlich drei Szenen rund um die Verräterfigur sollte dafür sorgen, dass ihre dritte Szene (die als Leiche im Wasserloch) stärker nachhallt. Aber zu wenige Leute erkannten den Verräter in dieser zweiten Szene wieder, so dass sie auch direkt für etwas mehr Tempo fliegen konnte,

Mein Urteil: Kein Verlust, der Am Ende der Welt irgendwie mindern würde. Aber die kurze zusätzliche Action-, Humor- und Storyeinlage ist gut gefilmt und gespielt. Ich finde, sie hätte bleiben dürfen.

You Weren't Supposed to Get Caught

Während der Wegfahrt von Singapur auf dem von Sao Feng geliehenen Schiff: Barbossa ermahnt Will, dass er sich nicht hat erwischen lassen sollen. Wills kühle Antwort suggeriert, dass alles nach seinem Plan verlief, er sich also hat erwischen lassen, um bei der Unterredung mit Sao Feng dabei zu sein und verhandeln zu können.

Gores Kommentar: Er nennt keinen Grund, weshalb die Szene gekürzt wurde, merkt nur an, dass sie sehr früh aufgegeben wurde.

Mein Urteil: Der Szenenübergang von Singapur zu Davy Jones ist im fertigen Film so stark, ich glaube glatt, dass dieser zusätzliche Beat an Will-Ambivalenz (die ja dennoch in Am Ende der Welt spürbar ist) daher fliegen musste.

It's a Two-Part Plan

Murtogg und Mullroys Wiedereinführung fällt etwas länger aus, mit Gescherze über den Zustand der Flying Dutchman. Anschließend sehen wir, wie sich Gouverneur Swann in das Egomessen Lord Becketts und Davy Jones' einmischt und Jones anfährt, weil er den Piratenschiffen nicht ausreichend Möglichkeit gibt, sich zu ergeben. Jones behauptet daraufhin Swann gegenüber, dass Elizabeth tot sei und Beckett davon wüsste.

Gores Kommentar: Gore sagt, dass diese Szene für viele, eifrige Diskussionen sorgte und für Meinungsverschiedenheiten, ob sie Sinn ergeben würde. Daher habe sie weitere Handlungsfäden, vor allem die restlichen Szenen rund um Gouverneur Swann, in Mitleidenschaft gezogen. Daher hat er sie umgeschnitten.

Mein Urteil: Der zusätzliche Comedy-Beat mit Murtogg und Mullroy ist zurecht geschnitten worden: Ich mag die beiläufige Reintegration der Figuren, das Understatement passt zur Stimmung, die Am Ende der Welt im ersten Akt hat, und sie schürt die Vorfreude auf späteren Unfug mit den Beiden. Das Gespräch zwischen Jones, Beckett und Swann ist aber echt gut gespielt, und daher ist es schon schade, dass der fertige Film ohne die Szene auskommen musste. Aber ich verstehe Gores Bedenken und, hey, es gibt ja die Blu-ray mit der Sequenz in den Extras!

Swann Song

Emotional aufgrund der obigen Szene aufgelöst, rennt Gouverneur Swann zur Truhe des Todes und versucht, Davy Jones' Herz zu durchstechen. Norrington kann ihn davon abhalten. Ein in Tränen zerfließender Swann erzählt Norrington, dass Elizabeth tot sei, woraufhin Norrington mit brechender Stimme, aber strengem Auftreten den um ihn stehenden Soldaten befiehlt, den Raum zu verlassen. Jones betritt die Szene, wird sofort von Norrington mit einer gezückten Pistole bedroht, während er weiter Swann zu trösten versucht. Dieser erklärt Swann mit diabolischer Freude den Fluch, den er auf sein Herz gelegt hat. Mercer und Beckett stoßen dazu. Mercer klärt auf, dass Elizabeth noch lebt, und Beckett merkt schelmisch an, dass er dieses Wissen willentlich zu unterschlagen versucht hat. Swann verlässt entgeistert den Raum, Beckett schnaubt Jones an. Sobald Mercer und Beckett allein sind, spricht Mercer den Gedanken an, dass Swann und Norrington sterben müssen, weil sie zu viel wüssten. Beckett erklärt, dass er Norrington achtet und weiter gebrauchen kann, Swann dagegen ... 

Gores Kommentar: Durch die Kürzung der obigen Szene, musste zwangsweise auch diese weichen. Gore erklärt, dass man sich während der stressigen Produktion von PotC 2 & 3 an dieser Stelle in eine Ecke manövriert habe. Der Handlungsstrang rund um Gouverneur Swann war verfahren: Diese so emotional aufgeladene Szene verpuffe für das Publikum, weil es mehr weiß als der wütend-traurige Swann und der ihn mit Geheimnissen über seine Vergangenheit triezende Davy Jones. Dass Jones an dieser Stelle die Regeln des Fluchs vertiefe, würde zudem dafür sorgen, dass die Enthüllung von Swanns Tod an emotionaler Kraft verliert:

Wenn er als Geist gezeigt wird und Elizabeth die Regeln über Jones' Herz erklärt, drohe es laut Gore aufgrund dieser Szene, dröge zu werden, weil Swann etwas wiederkaut, das ohne diese Szene neu für uns wäre. In Gores Augen ist Swanns Tod bedeutsamer, wenn mit ihm auch Erkenntnisgewinn für Publikum und die Figuren einhergeht. Also wurde diese Szene gestrichen und ein verkürzter Ersatz geschrieben, um Mercers und Becketts Absicht, Swann zu töten, dennoch im Film zu haben. Am meisten trauert Gore um Jones' triezenden Monolog über seinen Fluch, der letztlich sein eigenes Ende begründet. Doch die Szene, die zu diesem Moment führt, habe zu große Kosten, um den Genuss an ihm zu rechtfertigen.

Mein Urteil: Als ich die Szene erstmals sah, dachte ich: "Wow! Wieso wurde die geschnitten?!" Jonathan Pryce, Jack Davenport, Bill Nighy und Tom Hollander spielen großartig auf, vor allem Pryce und Davenport lassen einen an ihrem Sturm der Emotionen teilhaben. Und David Schofield ist als Mercer einmal mehr herrlich fies. Die Szene ist, für sich stehend, einfach klasse anzuschauen. Und dann habe ich Gores Kommentar gehört und ... Ja, ich verstehe ihn. Die Szene ist an sich grandios, aber wenn ich mir vorstelle, sie wäre im Film, dann würde im Mittelteil bei einem wichtigen Wendepunkt Emotion fehlen. Der Schock wegen Swanns Tod wäre kleiner, der unmittelbare Gefühlsbogen rüber zur Anspannung, was wir mit der Information über Jones' Fluch anfangen soll und was Jack damit anfangen wird, wäre nicht mehr da, somit fiele der emotionale Wellengang aus, der uns quasi auf den Schwung von Up is Down raubt ... Es ist ein Jammer, dass man keine Möglichkeit fand, eine Version dieser Szene zu entwerfen, die im Gesamtwerk funktioniert. Denn, liebe, innige PotC-Fans: Wenn ihr diese Sequenz noch nicht kennt, besorgt euch umgehend ein Blu-ray-Set, in dem sie enthalten ist. Es lohnt sich, wenn ihr mich fragt!

This Was Your Idea

Pintel und Ragetti necken sich länger, während sie kopfüber am Mast der Black Pearl hängen.

Gores Kommentar: Gore ist kurz davor, das Entfernen dieser Szene zu bereuen, nennt sie eine der größten Verluste. Aber letztlich war sie unnötig und musste daher raus, damit der Kern der Geschichte stärker rausgearbeitet ist.

Mein Urteil: Gore ist voller Überraschungen. Das hier ist für ihn eine der Szenen, die er am ehesten/meisten vermisst? Verrückt.

Kraken Slayers, Pt.1

Pintel und Ragetti blödeln länger neben, um und auf der Leiche des Kraken herum

Gores Kommentar: Gore liebt alles, was Pintel und Ragetti am Strand treiben, während wir den Krakenleichnam sehen. Es sei absurd und passe zur Thematik des Films, denn letztlich würden Pintel und Ragetti ja die Kommerzialisierung von Mythen ausdiskutieren, unwissentlich, dass sie somit ideologisch mit Lord Beckett verbrüdert sind, obwohl er ihren Untergang bedeutet. Er vergleicht Pintel und Ragetti mit den sprichwörtlichen Leichenfledderern aus The Wild Bunch, die nicht erkennen, dass sie sich dem Ende ihrer Ära nähern.

Mein Urteil: Wow ... Also, wenn ich einer anderen Person Gore Verbinskis visuellen Stil erklären muss, so ist mein Paradebeispiel bislang die Szene am Steg im Hafen von Tortuga in Pirates of the Caribbean - Die Truhe des Todes. (Ja, ich weigere mich mal wieder, den richtigen deutschen Titel zu nehmen, ja, das ist kindisch von mir. Ignoriert es einfach.) Ted & Terry haben es ja in ihrem Audiokommentar genauso getan. Gore nimmt eine lange Dialogszene, in der viel Information übermittelt wird, und macht aus ihr eine Passage, die sich zügig bewegt, in der ein Gag nach dem nächsten zündet, und die jede Menge kinetische Ebenen hat (Statisten, die keinerlei Ruhe finden, Figuren, die in Bewegung bleiben, schaukelnde Schiffe) ... und eine Ziege.

Aber müsste ich demnächst wieder erklären, wie Gore Verbinski als Regisseur tickt, wenn es darum geht, wie er geistig an seine Filme herantritt ... Ich glaube, ich würde künftig womöglich diese Deleted Scene zeigen, zweimal nacheinander. Einmal pur, danach mit Audiokommentar. Im fertigen Film ist Pintels und Ragettis Geblödel kurz, knackig, es entspricht ihren Persönlichkeiten, es schafft eine Fallhöhe für Jacks und Barbossas unerwartet ernstes und sentimentales Gespräch. Als ich diese Deleted Scene das erste Mal sah, dachte ich nur: "Ja. Okay. Mehr Comedy." Und dann habe ich Gores Kommentar gehört, der damit beginnt,  wie enorm er diesen geschnittenen Passagen hinterher trauert, und ich war bereit, zu denken: "Gore! Was?! Warum?!"

Und dann enthüllt er, wie sehr er es liebt, dass diese Szene völlige Absurdität mit thematischer, ernster Konsistenz mit dem restlichen Film vereint, als dass sie zwei sympathietragende Dummbeutel als Leute zeichnet, die lachend in ihren Untergang schippern und sich unwillentlich ideologisch an die Seite der imperialistischen Macht stellen, die sie leiden und verenden sehen will ... Wow. Und es ist kein hochtrabendes Gerede, Gore hat völlig recht, die Szene drückt genau das aus, und es ist verblüffend, wie nahtlos das ineinander übergeht. Im fertigen Film kommt dieser Gedanke weiterhin rüber, und seit ich Gores Kommentar gehört habe, liebe ich die Szene rund um den toten Kraken mehr denn je, und ... Ja, wie kann man Gore Verbinski besser erklären, als "Das ist der Mann, der zwei tölpelige Nebenfiguren liebend gern Unfug reden lässt, und somit die schwere Thematik seines Films unterstreicht"? Das ist fast schon die Essenz dieses Mannes!

Kraken Slayers, Pt.2

Pintel und Ragetti scherzen nach Jacks und Barbossas schwermütigem Gespräch im Angesichts des toten Kraken weiter. 

Gores Kommentar: Gore liebt auch diese Stelle. Pintel und Ragetti sind, anders als Jack und Barbossa, bereit, ahnungslos und glücklich unterzugehen.

Mein Urteil: Siehe oben.

It's Just Good Business

Die deutlich verlängerte Verhandlung zwischen Käpt'n Jack Sparrow und Lord Cutler Beckett, die mehr ihrer gemeinsamen Vorgeschichte enthüllt (inklusive der durch den Roman The Price of Freedom wieder kanonisierte "People aren't cargo, mate"-Zeile Jacks, die erklärt, dass er zum Pirat wurde, weil er sich weigerte, für Beckett Sklaven zu verschiffen). Anschließend bedrohen und verwirren sich Jack und Beckett, schüchtern ein, versuchen einander durch Wortgeflechte in die Ecke zu drängen. Beckett legt seine Ideologie klipp und klar offen: Die Gesellschaft verlangt Waren "und solange alles pünktlich und ausreichend geliefert wird, sind Menschen damit einverstanden, bloß Zahlen in einem Kontobuch zu sein". Jacks Erdnuss-Running-Gag wird stärker herausgestellt, Beide bemühen sich, den jeweils Anderen dazu zu bringen, unwillentlich die ihm entgegengesetzten Ziele zu verfolgen. 

Gores Kommentar: Gore erklärt, dass die Szene ursprünglich als Einzelstück gedacht war, das so im Film abläuft, wie hier gezeigt, also ohne Parallelschnitt zu den weiteren Verhandlungen zu diesem Handlungszeitpunkt (Will und Sao Feng, Sao Feng und Barbossa, Sao Feng und Mercer, Barbossas Verhandlung via Blicke mit Tia Dalma, etc.). Gore wünschte sich eingangs nämlich eine substanzielle, gehaltvolle und schwere Szene, weil hier erstmals die Kontrahenten Beckett und Jack aufeinander treffen, die sich in der Vorgeschichte der Trilogie einander schufen. Doch im Schnitt bemerkte er, dass dieses philosophisch gefühlte Wettrüsten der Egos, während dem impliziert wird, wie sehr Beckett Jack für seine Freiheit beneidet und dass es "viel Unausgesprochenes" zwischen ihnen gibt, zu behäbig geraten sei. Daher habe er es gestutzt und in die Parallelmontage gepackt. Der Erdnuss-Gag ist für Gore mehr als ein Gag, nämlich auch eine dramatische Erinnerung an das fatale Schicksal, das Jack droht, sollte er scheitern.

Dass Jack Becketts Drinks stiehlt (was auch im fertigen Film zu sehen ist), versteht Gore als pointierte Vordeutung, dass Jack letztlich Beckett alles nehmen wird. Die Sequenz sei bewusst so geplant, dass erst Beckett die Oberhand gewinnt, mit Einschüchterungstaktik und kapitalistischer Überzeugungskraft, ehe Jack gewieft und teuflisch-widerlich das Sagen zurückgewinnt und für Freiheit einsteht, selbst wenn bei ihm die Angst im Raum steht, dass er für seine Freiheit alle anderen verraten wird. Doch so gelingt es ihm immerhin, Beckett dazu zu bringen, ihn zur Dutchman zu führen, weil Beckett denkt, dass Jack dies vermeiden will. 

Mein Urteil: Ich verstehe Gores Gedanken, dass die Szene gestrafft werden muss. Aber dass "People aren't cargo, mate" und Becketts Zitat über die Gleichgültigkeit der Gesellschaft gegenüber den verheerenden Folgen des Turbokapitalismus, solange sie ihre gewünschten Güter zügig und reichlich geliefert bekommen, gewichen sind, ist einfach schade. Die hätten doch drin bleiben können? Und vor allem Becketts Äußerungen würden in den Zeiten eines immer mächtiger werdenden Onlinehändlers Am Ende der Welt rückwirkend noch prophetischer dastehen lassen. Wirklich ein Jammer.

Ted & Terry erklärten mal, dass sie bei Diskussionen über Teil zwei und drei zumeist geschlossen hinter der Position "weniger erklären, mehr visuell andeuten und ambivalent lassen" standen. Also kann ich mir vorstellen, dass sie für "weniger konkrete Bestätigung der Jack-Hintergrundgeschichte" einstanden. Gore ist in Interviews ja sehr offen, wenn es darum geht, über Studio-Einmischerei zu sprechen, und er sagte nie, dass Disney die Filme zu kommerzkritisch waren - daher würde ich der These "vielleicht ließ Disney die Beckett-Zitate streichen" erstmal Wind aus den Segeln nehmen. Vielleicht war es Gore zu unsubtil? Oder die Zeilen waren ein weiteres Opfer von "Die Szene drum herum war mir zu träge, und durch die nötigen Kürzungen schwebten die starken Zeilen zusammenhanglos im Raum"Kill-your-Darlings-Problemen ... So oder so: Sollte es je eine Jubiläums-Extended-Cut-Veröffentlichung von Am Ende der Welt geben, würde ich diese Passage reintegriert sehen wollen!

Legendary

Barbossas Trickserei, Sao Fengs These, Elizabeth sei Calypso, zu verstärken und sie an ihn zu verhandeln, wird ausführlicher dargestellt. Außerdem hält er eine Rede über den Einfluss Calypsos, die letztlich an anderer Stelle im Film wiederaufgenommen wird (nachdem diese Fassung gekürzt wurde).

Gores Kommentar: Gore nennt dies die unsubtile Fassung dessen, was letztlich im Film steckt.

Mein Urteil: Jepp.

The Thing You Want Most

Jack und Beckett verhandeln weiter, nun darüber, wer wen ausgehändigt bekommt. So deutet Jack an, er wolle Elizabeth für sich, um Beckett bezüglich seiner wahren Intentionen in die Irre zu führen. Das Element mit Beckett, der Jacks Kompass hält, der wiederum auf Jack zeigt, wird etwas länger ausgespielt.

Gores Kommentar: Gore erklärt, dass das Jack-Will-Elizabeth-Liebesdreieck-Thema in Teil zwei ausgeschöpft wurde, und er eine Rückkehr zu dem Thema vermeiden wollte. Auch die "Beckett will Jacks Tod, aber auch wie Jack sein"-Dualität habe nicht in den Film gepasst.

Mein Urteil: Sehe es wie Gore.

Grammatically Incorrect

Sao Feng unterhält sich länger mit Elizabeth, die er für Calypso hält, und sie versucht, sich mit ihm argumentativ zu messen, doch nach etwas Zeit, in der sie die Überhand, deutet sich an, dass Sao Feng ihr in diesem Spiel über ist

Gores Kommentar: Gore befand, dass die Mitte von Am Ende der Welt drohte, überfüllt zu sein. Daher musste etwas von der Wortklauberei zwischen Sao Feng und Elizabeth weichen

Mein Urteil: Weiß nicht, wie das den Film hätte bereichern sollen.

Choices

Jack und Will diskutieren darüber, welche Entscheidungen sie treffen müssen und/oder nicht treffen können, um zum Ziel zu gelangen. Es ist eine längere Version ihres Gesprächs, bevor Jack Will über Bord jagt, damit er Beckett eine Botschaft überbringt.

Gores Kommentar: Gore nennt diese Szene ein Echo des Moralgesprächs in Teil eins ("Was ein Mann kann, und was er nicht kann") und somit eine Verdeutlichung eines zentralen Elements der Trilogie: Jacks Wissen darum, wie sehr wir durch unsere Entscheidungen definiert werden. Er nennt die PotC-Trilogie eine Reihe über Figuren, die Entscheidungen treffen, die ihren Gefühlen widersprechen, um das zu erreichen, das sie logisch als korrekt erachten. 

Mein Urteil: Schönes, längeres Gespräch zwischen Jack und Will, die deutlicheren Rückverweise auf Fluch der Karibik gefallen mir. Hätte drin bleiben können.

The Coming Storm

Barbossa und Calypso diskutieren länger miteinander, bevor die Pearl zur Schiffbruch Bay fährt. 

Gores Kommentar: Die Szene wurde aus logistischen Gründen sehr früh während der Dreharbeiten zu Teil zwei gedreht. Bei der Fertigstellung von Am Ende der Welt wurde deutlich, dass Teile des Gesprächs aufgrund Drehbuchanpassungen des Drehbuchfinales redundant wurden und daher gekürzt werden konnten.

Mein Urteil: Ja, das hier ist letztlich unnötig.

The Devil's Throat

Die Pearl durchfährt eine enge Schlucht, um zum Ort Schiffbruch zu gelangen.

Gores Kommentar: Durch den engen Zugang zum Ort sollte die Gefährlichkeit von Jacks Plan unterstrichen werden, was sich aber als unnötiger Schnörkel erwies

Mein Urteil: Hätte drin bleiben können, ich vermisse es aber auch nicht.

Honest Streak

Gibbs merkt zum Abschluss des Hohen Rats der Bruderschaft (deutlicher als im fertigen Film) an, dass er Jack nicht mehr vollauf wiedererkennt. 

Gores Kommentar: Gore findet, dass das Publikum das innere Ringen Jacks auch ohne Gibbs' Anmerkung begreift: Er ist noch ehrlicher, noch bemühter um das Vermeiden von Opfern, als zuvor, nun, da er aus Davy Jones' Reich zurückkehrte. Er ist weniger Pirat als die anderen Piratenfürsten und wünscht sich, er könnte seine ehrliche Seite runterschlucken - aber es ist ihm nicht möglich

Mein Urteil: Ja, es ist zu überdeutlich.

"Her"

Beckett deutet während der Parlay-Szene an, dass er denkt, Jack handle aus seinem Interesse an Elizabeth und dem Versuch, Will los zu werden.

Gores Kommentar: Wie schon weiter oben erwähnt, wollte Gore das Liebesdreieck größtenteils aus Am Ende der Welt entfernen: Die Folgen sollen drin bleiben, es selbst aber nicht weiter aufrecht erhalten. Dass Jack Beckett gegenüber so tut, als sei er weiter an Elizabeth interessiert, um mit diesem Trick einen anderen Trick durchzuziehen, um sein Ziel zu erreichen, war ihm zu viel der Komplikationen

Mein Urteil: Ja, ist gut, dass es raus ist.

Poppycock

Jack, seine "regulären" Doppelgänger und der verkrustete Jack reden noch mehr Unsinn.

Gores Kommentar: Jacks Herleitung, wie er aus der Brig entkommt, sollte ausführlicher sein: Er sollte Kopfweh haben, Kopfschmerzen erinnern ihn an Will, Will erinnert ihn an die Gefängnisflucht in Teil eins ... Gore erklärt, dass die Szene zu umständlich war, als dass sie im Handlungsfluss hätte funktionieren können.

Mein Urteil: Ja, ein Comedy-Beat zu viel.

The World We Know Ends Today

Vor der Befreiung Calypsos aus dem engen Körper Tia Dalmas hält Barbossa noch eine Rede

Gores Kommentar: Gore liebt die Reden, die Ted & Terry für Barbossa geschrieben haben, und wie Rush sie spielt, aber "es wurde inflationär, also musste diese weichen"

Mein Urteil: Du sagst es, Gore.

I Miss Him Already

Noch mehr Jack-Doppelgänger-Unsinn, nun mit der Rückkehr des Hühner-Jacks

Gores Kommentar: Für sich stehend liebt er die Absurdität der Szene, und generell bereitet es ihm riesige Freude, einen Film in den tonalen Extremen bis an seine Grenzen zu bringen ... aber dieser Gag ist kurz vor dem großen Endkampf deplatziert, weil er die Gravitas des Moments zerstört. Also musste er weg. 

Mein Urteil: Ja, wieder ein Comedy-Beat zu viel.

Ring Around the Capstan

Jack wirbelt Davy Jones während des Kampfes auf der Flying Dutchman länger umher

Gores Kommentar: Ein schöner Moment, den er nicht überreizen wollte, also stutzte er ihn

Mein Urteil: Ja, schon wieder ein Comedy-Beat zu viel.


Und das waren sie. Die selten gesehenen Deleted Scenes aus Am Ende der Welt. Welche hättet ihr drin behalten?!

Freitag, 9. April 2021

Freitag der Karibik #73

Ich bin wieder voll im Piratenfieber, und daher habe ich beschlossen, mich hier im Blog mit den weniger bekannten Deleted Scenes aus Gore Verbinskis Pirates of the Caribbean-Fortsetzungen zu befassen. Denn zusätzlich zu den Szenen, die schon bei den DVD-Erstveröffentlichungen dabei waren, gibt es noch einen ganzen Haufen an komplett gekippten oder gestutzten Filmpassagen, die erst in späteren, internationalen Sammeleditionen zu finden waren.

Ich werde hier im Blog diese Szenen mit einer kurzen Inhaltsbeschreibung durchgehen, festhalten, was Gore Verbinskis Erklärung im Audiokommentar ist, weshalb die Szenen geschnitten wurden, und meine eigene Einschätzung abgeben, ob es diese Szenen in den Film hätten schaffen sollen oder nicht. In diesem Teil gehe ich auf die geschnittenen Szenen aus Teil zwei ein.


(Titellos)

Jack Sparrow flieht vor den Pelegosto (in zusätzlichen Kameraeinstellungen).

Gores Kommentar: Er sagt nichts spezifisch über diese Szene, sondern begrüßt uns zu seinem Audiokommentar der Deleted Scenes.

Mein Urteil: Es sind einfach nur ein paar alternative Perspektiven auf Jacks Flucht. Sie wieder reinzupacken würde nicht wirklich schaden, aber den Film auch nicht bereichern.


Steady As She Goes

Verlängerte Version davon, wie Jack Sparrow früh im Film aus der Kapitänskajüte torkelt, um sich Rum zu besorgen, was darin mündet, wie er Stiefelriemen Bill begegnet. Wir sehen mehr vom neuen Crewmitglied Leech (gespielt von San Shella), von der Pearl, Käpt'n Jack scherzt mit den Tieren an Bord (bezeichnet Schafe als "Ladys" und bedroht ein Huhn) und klopft gegen ein (vermeintlich?) leeres Rumfass, aus dem Klopfzeichen zurück kommen.

Gores Kommentar: Gore merkt an, wie aufwändig der reale Bau der Pearl war, und wie die verlängerte Szene mehr Gefühl für diesen Setbau gestattet. Darüber hinaus lobt er die von Johnny Depp improvisierten Sprüche in der Szene. Er kommt zum Entschluss, dass diese Passage aufs im fertigen Film gezeigte Maß eingedampft wurde, weil er dachte, dass das Kinopublikum bereit für das große Abenteuer ist, und wir daher schneller zu Stiefelriemen Bill kommen mussten, der Jacks Plot erst in Gang bringt.

Mein Urteil: Ich verstehe total, weshalb Gore Verbinski 2006 beschlossen hat, diese Szene durch das Auslassen einiger Kamerafahrten und allerhand Jack-Sparrow-Getorkel zu beschleunigen. Wir erinnern uns: Zwar generierte Die Truhe des Todes (ja, ich habe noch immer meine Probleme, den letztlich gewählten deutschen Untertitel zu verwenden) über eine Milliarde Dollar an den Kinokassen, gleichwohl gab es so manche Publikumsklage, er würde zu viel Drumherum ums Spektakel bieten. Ich glaube, damals hätte dieses Mehr die Euphorie der Leute nur gedrosselt.

Allerdings würde mich im Jahr 2021 durchaus ein Extended Cut reizen, der zum Beispiel diese Passage wieder in den Film packt. Denn wer sich von diesem Film die verlängerte Fassung anschaut, kennt den Plot schon, ist also gar nicht in der "Okay, wo bleibt Jacks Konflikt?!"-Verfassung. Und in dieser Verfassung wäre dieses kleine Extra an Black-Pearl-Flair durchaus reizvoll. Naja. Jedenfalls für mich.


East of India

Beckett erklärt Will ausführlicher die Absichten der East India Trading Company: "Wenn Güter keine Grenzen übertreten, tun es Armeen."

Gores Kommentar: Diese Szene sollte verdeutlichen, dass Beckett eine Manifestierung dessen ist, wie Fortschritt die Ära des Erkundens und der Piraterie beendete. Dass durch Profitgier alles gerechtfertigt werden kann und schlussendlich das Gesetzwidrige zum Gesetz wird. Damit sollte diese Szene die thematische Intention der Autoren Ted Elliott & Terry Rossio und von Gore selbst klarifizieren. Einen konkreten Grund, weshalb diese Szene gestutzt wurde, nennt Gore nicht.

Mein Urteil: Die Szene ist für sich betrachtet super: Die verbalen Seitenhiebe zwischen Will und Beckett, Becketts oben erwähntes Zitat ... Aber im Erzählfluss des Films ist sie eher Ballast, zumal die Grundaussage der Trilogie auch so deutlich wird. Naja. Jedenfalls meiner Ansicht nach. Die zeitgenössische Kritik sah es ja anders.


Don't Eat Me

Ein paar zusätzliche Takte auf der Insel der Pelegosto: Wenn Will Cottons Papagei begegnet, lässt er ihn nicht nach einem verdutzten "Ich werde dich nicht essen!" stehen, sondern beginnt ein längeres Gespräch mit ihm.

Gores Kommentar: Gore Verbinski betont, wie wichtig es ihm die gesamte Trilogie über gewesen sei, Will Turner eine Aura von D'Artagnan zu verleihen. Mit einer freundlichen Unbeholfenheit sollte er ein Gegengewicht zur piratigen Zynik anderer Figuren bieten. Dieser putzige Austausch zwischen Papagei und Welpe sollte einen weiteren Beitrag dazu leisten. Doch letztlich befand Gore, dass die Szene zu einem Zeitpunkt kommt, zu dem das Publikum gespannt wartet, was auf der Insel lauert. Und daher musste die Szene deutlich gekürzt werden, um den Flow des Films aufrecht zu erhalten.

Mein Urteil: Ähnlich wie bei "Steady As She Goes" muss ich sagen: Ich verstehe den "Mach vorwärts!"-Gedanken. Aber Orlando Bloom ist so gut in der längeren Fassung der Szene, dass ich mir glatt wünsche, die Szene hätte es in voller Länge in den Film geschafft. Sie hätte Will Turner etwas mehr Raum gegeben, dem Film auch seinen eigenen Stempel aufzudrücken, und als jemand, der Die Truhe des Todes schon 2006 nicht zu lang fand, denke ich mir: Es hätte im richtigen Moment etwas "Mit Will lachen" mitgegeben, bevor wir erst "Mit Jack lachen", dann mitfiebern und dann "Über Jack lachen", bevor es wieder spannend wird.


Lizzy Gets Her Gun

Ein kurzer Dialogschnipsel mehr zwischen Elizabeth Swann und ihrem Vater, während er sie aus dem Gefängnis zur Kutsche begleitet. Er betont, zu denken, er sei einflussreich und respektiert genug, um Beckett nicht führen zu müssen, und wir sehen, dass er es ist, der Elizabeth die Waffe gibt, die sie kurz danach auf Beckett richtet

Gores Kommentar: Sinngemäß: "War unnötig"
Mein Urteil: Ja, war es.


What of You and Jack?

Elizabeth und Beckett unterhalten sich etwas länger, als sie ihn nachts in seinem Büro bedroht. Er horcht expliziter aus, ob sie Interesse an Jack hat. Am Ende der Szene wird enthüllt, dass vor Becketts Büro ein Wachmann postiert ist, der jedoch schläft.

Gores Kommentar: Der Film sollte an Tempo gewinnen. Er wollte das Liebesdreieck Jack-Elizabeth-Will nicht überreizen. Und er wollte die East India Trading Company nicht geschwächt darstellen. Also musste das alles raus.

Mein Urteil: Sehe es exakt so wie Gore.


Never Mind

Käpt'n Jack fragt einen Pelegosto aus, weshalb er keine Kleinkinder auf der Insel sieht ("Sie schmecken am besten, oder?"), außerdem unterhalten sich Will und Gibbs noch etwas länger in den Knochenkäfigen. Unter anderem sehen wir explizit, wie Will Gibbs seinen Flachmann überreicht.

Gores Kommentar: Er liebt es, wenn in seinen Filmen zu sehen ist, wie Gegenstände weitergereicht werden und so ihre eigene Geschichte entwickeln, doch letztlich war all das zu unbedeutend, als dass er dafür den Film ausbremsen wollen würde.

Mein Urteil: Jupp, Gore weiß, was Sache ist.


Six Became Five

Eine langsamere Variante dessen, wie der Knochenkäfig der Black-Pearl-Crew zerstört wird, sich die Crew in einer Schlucht kurz sammelt und dann von den Pelegosto angegriffen wird. Wir sehen, wie ein Statist aus Wills und Gibbs' Knochenkäfig von einem Pfeil getötet wird.

Gores Kommentar: Es schmerzt ihn, den Filmtod des sechsten Piraten aus dem Knochenkäfig zu kürzen. Doch die Szene machte die Vefolgunggsjagd weniger mitreißend. Nun geht der Mann halt im Off verloren, was als Kontinuitätsfehler verstanden könnte. Doch der Erzählfluss war letztlich wichtiger.

Mein Urteil: Ich habe Die Truhe des Todes Dutzende Male gesehen, und nie bemerkt, dass zwischen Knochenkäfig und Ankunft an der Pearl ein Statist verloren geht. Und selbst wenn, so würde ich einfach denken, dass er zurückgelassen würde. Also: Kein Problem, aber durch den größeren Schwung der Sequenz ein Gewinn für den Film. Anders gesagt: Echt gut gestutzt, das Ganze!


Cutlery

Wir sehen, dass Käpt'n Jack versucht, mit einem Messer das Seil durchzuschneiden, mit dem er an einen Stock gefesselt ist, und wie Jack nach seinem Sturz durch eine Schlucht auf der Insel der Pelegosto nach dem Messer greift.

Gores Kommentar: Früh im Drehprozess war Jacks Flucht noch etwas anders geplant, doch Gore beschloss, die zwei Zusatzbeats rund um das Messer aufzugeben. 

Mein Urteil: Es wären keine besonders guten Gags gewesen, wieso also den Film für sie ausbremsen?


Where's My Profit?

Nach der Flucht von der Insel der Pelegosto unterrichtet Will Jack darüber, dass er einen Kaperbrief erhalten würde, sollte er mit Will kooperieren.

Gores Kommentar: Ursprünglich war geplant, dass Jack in zwei Etappen vom Kaperbrief erfährt. Erst durch Will, der ihm das Angebot überhaupt erst gibt, und dann durch Elizabeth, wer genau den Kaperbrief ausgestellt hat (nämlich Lord Cutler Beckett). Schlussendlich befand Gore, dass es das Publikum ermüde würde, so oft die Kaperbriefe erklärt zu bekommen, und dass es frustrierend wäre, derart explizit seinen eigenen Wissensvorsprung gegenüber Jack zu erfahren. Daher wurde diese Passage gekürzt, so dass die Kaperbriefe innerhalb Jacks Handlungsfaden erst dann zur Sprache kommen, wenn sie für ihn (und den ihn abhörenden Norrington) von Belang sind.

Mein Urteil: Ich bin regelrecht sprachlos, dass diese Szene überhaupt geschrieben und gedreht wurde. Sie ist völlig überflüssig und wurde aus guten Gründen geschnitten.


Tortuuuuga

Elizabeth fuchtelt noch etwas länger mit ihrem Kleid herum, um die Besatzung der Edinburgh Trader glauben zu lassen, ein Geist wolle ihnen den Hinweis geben, sie müssten auf Tortuga Halt machen. Die Crew macht einige dumme Sprüche, was sie denken, was gerade vorfallen würde, und Lizzie ruft letztlich in einer Geisterstimme: "Tortuuuuga!"

Gores Kommentar: Wir mussten vorwärts kommen.

Mein Urteil: Hält man im Hinterkopf, wie sehr die Autoren Ted Elliott und Terry Rossio im DVD-Audiokommentar betonen, ihnen hätte diese Szene gruseliger und ominöser vorgeschwebt, frage ich mich: Was zum Henker haben die erwartet? Die Dialoge sind sehr komödiantisch, und die Filmversion ist schon deutlich eher atmosphärisch als die Sequenz es wäre, wären diese Extrateile mit drin.


If You Believe Such Things

Gibbs' Monolog an Will, während die Black-Pearl-Besatzung unter Jacks Kommando zu Tia Dalma paddelt, ging ursprünglich noch etwas länger: Bevor Gibbs vom Kraken erzählt, berichtet er Will von der Sage von Davy Jones' Reich und was einen dort erwartet. (Oder ist dies eine alternative Szene, die statt Gibbs' Kraken-Monolog genutzt worden wäre? Das wird im Bonusmaterial nicht ganz klar.)

Gores Kommentar: Er hat letztlich beschlossen, Die Truhe des Todes und Am Ende der Welt ein Stück weit unabhängiger zu machen und diesen Jacks Schicksal in Am Ende der Welt vorausdeutenden und voraberklärenden Monolog zu tilgen, um sich an dieser Stelle stärker auf das zu konzentrieren, was in diesem Film von Belang ist.

Mein Urteil: Eine Änderung mit großer Auswirkung. Stellt euch vor, in der ersten Hälfte von Die Truhe des Todes wird in einem minutenlangen Monolog ausgebreitet, dass Jack Sparrow, sollte er vom Kraken verschluckt werden, eine Art Fegefeuer erwartet. Es würde die Wahrnehmung der Kraken-Actionsequenzen völlig verschieben und ebenso die Emotionalität des Filmendes. Es wäre nicht mehr folgende Abfolge von Gedanken: "Oh nein, eine nach aller weltlicher Logik ausweglose Situation, was, Tia Dalma glaubt, es gäbe einen Weg? Wie das? Huch, dramatische Wende, oh nein, Ende!" Es wäre: "Oh, Gibbs hatte Recht, joah, dann bekommen wir das in Teil drei sicher zu sehen." Die Filmfassung ist viel, viel besser, da sie Die Truhe des Todes gestattet, am Schluss stärker im Moment zu leben, und Am Ende der Welt den Platz lässt, trotz seines Status als Fortführung auf tonaler Ebene mehr eigene Identität zu entwickeln, weil sich dieses andersweltliche Element in dieser Deutlichkeit erst dort entfaltet.


Begins to Forget

Stiefelriemen Bills Vergesslichkeit, die in der Filmfassung nur sporadisch durchschimmert und sich erst in Am Ende der Welt drastisch ausbreitet, wird hier schon früher in den Fokus genommen. Im Gespräch mit Will wird klar, dass Stiefelriemen Bill nun schon den ersten Fluch vergaß, der auf ihm lag, sowie das ganze Kapitel in seinem Leben rund um Barbossa.

Gores Kommentar: Die Intention war, Stiefelriemen Bill mehr Aufmerksamkeit zu schenken und so seine Fallhöhe im ganzen Gewusel um die Truhe und Davy Jones' Herz zu vergrößern. Letztlich sei man aber zur Erkenntnis gekommen, dass mehr Stiefelriemen-Bill-Dramatik dem Film weniger Mehrwert gegeben hätte, als sich einfach während des Abschnitts auf Davy Jones' Schiff um Wills Dilemma zu kümmern und ihn konkreter zu fokussieren.

Mein Urteil: Bevor ich mir Gores Audiokommentar angehört habe, war mein Verdacht eher, dass man durch ein Verschieben, wann uns im Publikum Stiefelriemen Bills Erinnerungsverlust klar wird, die Wendepunkte in der Charakterzeichnung anders takten wollte. Zu Beginn von Die Truhe des Todes erinnert sich Stiefelriemen noch, dann muss er mitansehen wie (so weit er glaubt) Will durch den Kraken getötet wird, dann ist er in Am Ende der Welt nur noch ein Schatten seiner selbst. Wäre die geschnittene Szene noch im Film, wäre der Zerfall von Stiefelriemens Verfassung kontinuierlicher, und somit nicht derart aufwühlend (und implizit weniger davon abhängig, was er erlebt hat) - und das hätte in meinen Augen weniger Wirkung. Aber Gores Argumente sind auch überzeugend.


Manual Labor

Eine längere Diskussion über die Kaperbriefe an Bord der Black Pearl.

Gores Kommentar: Durch das Entfernen der Will-Kaperbrief-Szene wurde auch die verlängerte Version der Elizabeth-gibt-Jack-den-Kaperbrief-Szene unnötig. Beide Kürzungen bringen das Publikum näher an Jacks Erfahrungsstand, was den Film weniger umständlich macht.

Mein Urteil: Kann ich nicht besser ausdrücken.


Married to the Ship

Eine deutlich verlängerte Szene der Pirate's-Dice-Sequenz: Vor der Partie, die wir im fertigen Film sehen, spielt Will Turner im Duell gegen Davy Jones und setzt Stiefelriemen Bills Schuld als Wetteinsatz. Will gewinnt gegen Davy Jones und befreit somit seinen Vater (der diese Freiheit wieder in der uns bekannten Szene verliert). 

Gores Kommentar: Diese Szene zu kürzen gehört zu Gores liebsten Deleted Scenes, da sie atmosphärisch dicht ist: Das Schauspiel von Orlando Bloom und Bill Nighy, die herausragenden Trickeffekte von Industrial Light & Magic, die innere Dramaturgie der Sequenz, in der sich zwei Männer während eines Würfelspiels mit ihrem Wissen voneinander gegeneinander ausspielen. "Die Details sind hypnotisierend." Zudem befindet Gore, dass Wills Opfer in der Kinofassung (in der sich sein Vater einmischt) größer wird, wenn man zuvor sieht, wie er auf den eigenen Beinen stehend obsiegt. Letztlich entschied sich Gore jedoch, die Szene zu schneiden, weil sie mit ihrem Fokus auf Will und seinen Vater zu viel Laufzeit von Die Truhe des Todes einer Dynamik widmete, die erst im dritten Teil aufgelöst wird. Und er habe letztlich erkannt, dass es dem Film zugute käme, etwas mehr Anteil den Dingen zurückzugeben, die schon in Teil zwei aufgelöst werden.

Mein Urteil: Auch wenn wir ja beide zum Schluss kommen, dass die Szene weichen musste, so habe ich ganz andere Gründe dafür, weshalb ich die erste Runde des Piraten-Würfelspiels nicht in Die Truhe des Todes inkludiert hätte. Dadurch, dass Will erstmal in aller Seelenruhe, ungestört gegen Davy Jones spielt (und gewinnt!) wird die Charakterisierung von sogleich zwei Figuren verwässert: Einerseits Stiefelriemen Bill, der wenige Filmminuten zuvor noch einwilligte, seinen Sohn auszupeitschen, weil es ihm selbst zwar das Herz zerreißen würde, er so aber Will körperliche Schmerzen erspart, die ihm durch den kräftigeren Bootsmann zugefügt würden. Und jetzt, wo Will seine Freiheit aufs Spiel setzt, schaut er einfach nur zu? Das kaufe ich ihm nicht ab, die Filmfassung, in der er zügig mit einsteigt, um Will zu beschützen, finde ich schlüssiger.

Und dann ist da der Faktor Davy Jones: In einer Die Truhe des Todes-Version mit dem kompletten Würfelspiel verliert der alle einschüchternde, monströse, gerissene Teufel des Meeres in einem Spiel, das nicht nur Glück, sondern auch Taktik und Voraussicht erfordert. Das hemmt die Intensität, mit der wir ihn als unheimliche, nicht abwendbare Bedrohung wahrnehmen. In der Kinofassung bleibt derweil nur übrig, wie Jones kurz davor steht, zu verlieren, dann aber den aufopferungsvollen Stiefelriemen zum Verlierer machen kann. Das schadet seinem Status weniger als die ursprünglich geplante Version.


Not So Fortunate

Etwas längere Variante des unmittelbaren Vorspiels der Kraken-Attacke auf die Edinburgh Trader: Davy Jones schüchtert Stiefelriemen Bill deutlicher ein und betont, dass das, was nun folgt, nicht als Strafe für Will Turner gedacht ist, sondern als Strafe für ihn.

Gores Kommentar: Einzelne Shots dieser Deleted Scene gehörten zum Test, ob Davy Jones bei Tageslicht gut aussieht. Gründe für's Schneiden nennt Gore nicht.

Mein Urteil: Ich find die Szene einfach überflüssig, die kürzere Kinofassung macht alles genauso gut klar.


Every Man for Himself

Nach der Krakenattacke treibt Will auf einem Stück Holz, als ein Rettungsboot vorbei kommt. Die Männer weigern sich, ihn mit ins Boot zu nehmen, direkt danach wird es von einem Krakententakel zerschmettert.

Gores Kommentar: Gore fand es reizvoll, Will erneut als einzigen Überlebenden auf einem Stück Holz treibend zu sehen, genauso wie in Teil eins und später in Teil drei. Aber letztlich entschied er, dass es das Publikum ermüdend wird, noch einen Kraken-Attacken-Beat zu sehen.

Mein Urteil: Kein weiterer Kommentar nötig.


Salvation (& For Whom the Bell Tolls)

Pintel und Ragetti plänkeln länger über die korrekte Aussprache von "Kraken". Elizabeth und Norrington unterhalten sich anschließend sich über die Sage von Isla Cruces: Ein Gerücht (das sich später durch einen kurzen Kameraschwenk bewahrheitet), laut dem einst ein Priester auf diese Insel zog und sie missionierte - und kurz darauf tödliche Krankheiten alles Leben auf ihr auslöschten, bevor sich der Priester selbst das Leben nahm. Norrington kommentiert dies mit "Lieber verrückt wie der Rest der Welt als bei Sinnen und allein", was als Vordeutung seines kommenden Handelns intendiert ist.

Gores Kommentar: Gore bezeichnet diese Anekdote als wahres Kleinod, das nicht nur dem Schauplatz Bedeutung verleiht, sondern auch das thematische Element der Trilogie untermauert. Einen Grund für's Kürzen nennt er nicht. 

Mein Urteil: Eindeutig der größte Verlust unter allen Deleted Scenes für Gore Verbinskis Pirates of the Caribbean-Filme! Keira Knightley und Jack Davenport sind herausragend in der Szene, und die Hintergrundgeschichte über Isla Cruces verleiht der furiosen Abfolge von Actionsequenzen, die im letzten Drittel des Films auf uns wartet, atmosphärische Textur. Darüber hinaus vertieft die Geschichte eines Geistlichen, der missionierend auf eine Insel kommt, die kurz danach von Kummer, Tragik und Tod heimgesucht wird, die zentrale Thematik der von Gore verantworteten Fluch der Karibik-Sequels. Und Ted & Terry schreiben einfach so schöne, sprachrhythmisch wohlklingende Monologe, die die Mythologie der Filme vergrößern, und gleichzeitig dadurch, wer wie was erzählt, die Figurenzeichnung bereichern. Ein echter Jammer, dass diese Passage fehlt, denn bei aller Bereicherung, die sie meiner Ansicht nach darstellt, hätte sie andererseits dem Film nicht geschadet: Sie kommt genau in einer Zäsur, kurz bevor die Action explodiert, und die paar Takte mehr hätten die Erzähldynamik meiner Ansicht nach nicht ausgebremst. (Und der kurze Kameraschwenk, der danach die Story als wahr enthüllt, sowieso nicht.)


Pot Kettle Black

Norrington, Jack und Will schüchtern einander weiter ein und verwirren gegenseitig, als der Schwertkampf zwischen ihnen ausbricht.

Gores Kommentar: Sinngemäß "Da war ein schönes Zitat drin, aber eigentlich wiederholt sich das alles nur, überflüssig, weg damit!"

Mein Urteil: Exakt!


Three Swords, One Key

Ein paar zusätzliche Beats für den Drei-Personen-Schwertkampf, unter anderem verheddert sich der Schlüssel zu Davy Jones' Truhe zwischen den Schwertern von Will, Norrington und Jack, woraufhin sich ein kurzer Anstarr-und-Antäusch-Wettbewerb ergibt, wer zuerst reagiert.

Gores Kommentar: Gore Verbinski bezeichnet die geschnittenen Passagen aus dem Drei-Leute-Schwertkampf als Folge dessen, was passiert, wenn man die Dreharbeiten beginnt, bevor sämtliche Drehbuchseiten finalisiert sind. Er und die Stuntcrew hätten sich bemüht, eine spannende, interessant choreografierte Actionszene zu gestalten, doch letztlich wurde im Schnitt klar, er hätte zu viel Material, als dass der Schwertkampf durchweg spannend bliebe. Daher kürzte er den Anfang, bevor das Trio das Wasserrad erreicht. In der langen Fassung sei zu offensichtlich, dass keine Gefahr besteht, weil keiner der Drei den Schneid hätte, die Gegner zu töten. Und generell habe Gore nach Fluch der Karibik die Nase bereits voll von konventionellen Schwertkämpfen und wolle daher so schnell wie möglich zum kreativen Teil.

Mein Urteil: Okay, Gore argumentiert überzeugend. Und dennoch trauere ich den Zusatzbeats etwas nach: Dariusz Wolskis Schwenks über Isla Cruces sind so bildhübsch, dass ich sie nicht missen möchte. Die drei "Ich will mein Ziel erreichen, aber nicht über Leichen gehen, doch auch keine Schwäche zeigen"-Choreografien für Will, Jack und Norrington sind sehenswert, und ich habe das Gefühl: Ein paar Takte länger als in der Kinofassung antäuschen, dass die große Steigerung gegenüber Teil eins lautet "Drei Männer kämpfen am Strand gegeneinander", um dann erst die absurden Geschütze aufzufahren, macht die Überraschung und anschließende Freude der kreativeren Momente auf Isla Cruces nur noch größer.


The Map is Finished

Ein alternatives/längeres Ende für die Norrington/Jones/Beckett-Handlungsfäden: Nachdem Norrington Beckett zeigt, dass er das Herz von Davy Jones ergatterte, schlägt er vor, es auf der Stelle zu durchstoßen, woraufhin Beckett ihn warnt, dass dies das leichtsinnigste ist, was er tun könnte. Beckett gibt Norrington stattdessen sein altes Schwert und seinen früheren Status wieder und empfängt einen (unausgesprochen, magisch) herbeigerufenen Davy Jones, als die Karte in Becketts vervollständigt wird.

Gores Kommentar: Gore befindet, dass diese Szene freier atmen kann und dadurch deutlicher macht, dass man verlorene Unschuld nicht mehr erhalten kann, als es letztlich die Norrington-Szenen in Teil drei zeigen, die geschrieben wurden, um das Entfernen dieser Passage auszugleichen. Er lobt Jack Davenports zerrissenes Schauspiel in dieser Deleted Scene, und er merkt an, wie sehr es ihm weh tat, die Kamerafahrt auf die vollendete Karte zu stutzen. Gore erklärt nicht, weshalb diese Szene entfernt wurde, macht aber klar, dass er die Entscheidung früh fällte: Die Szene wurde nicht einmal vollständig gedreht, sollte also noch länger gehen, als diese Deleted Scene denken lässt.

Mein Urteil: Wieder ein Fall von "Isoliert mag man kaum glauben, weshalb die Szene gekürzt wurde, aber im Gesamtkontext wird es überdeutlich": Stellt euch vor, wie diese Sequenz in den eigentlichen Film gequetscht wird. Auf einmal würde das ganze Finale von Die Truhe des Todes aus dem Takt geraten. Nach dem letzten Krakenangriff hat der Film so einen fantastischen Rhythmus, jede Dialogzeile, jeder Schnitt, alles greift ineinander. Jones bemerkt, dass er das Herz gar nicht zurückerobert hat, Norrington enthüllt, dass er das Herz hat, die Frage wird aufgeworfen, was Beckett damit vor hat, bevor wir uns in diese Frage verbeißen können, werden wir ins emotionale Tief von Will, Elizabeth, Gibbs, Pintel & Ragetti zurückgeworfen, vertiefen uns in Wills und Elizabeths Lage, sind völlig desolat und dann kommt der von Tia Dalma eingeworfene Hoffungsschimmer, gefolgt vom genialen Cliffhanger.

Ein längeres Verweilen bei Beckett und Norrington würde den Erzählfluss stören und die Melancholie und Verwirrung gegen ein deutlicheres "Dies ist das Ende des ersten Teils einer Back-to-Back-Filmproduktion, hier wird die Saat für den nächsten Part gesät, bereitet euch auf eine veränderte Bedrohung durch Jones vor, und nun zurück zu den Helden"-Plotten eintauschen. 


Das waren die weniger bekannten Deleted Scenes aus Teil zwei. Freut euch auf die aus Teil drei, die ich hier demnächst durchgehe.

Mittwoch, 26. Dezember 2018

Die schlechtesten Filme 2018 (Teil II)

Es tat weh, aber es wird noch mehr schmerzen: In diesem Ranking präsentiere ich euch die 15 Filme, die mich 2018 am meisten haben aufschnaufen lassen, bei denen ich mich am meisten angeödet im Kinosessel gewunden habe und bei denen ich mir besonders stark vor lauter Frust in Gedanken die Haare gerauft habe.

Aber zum Aufatmen gehen wir hier noch ganz rasch einige unehrenwerte Nennungen durch, Filme, bei denen ich zwar kopfschüttelnd dagesessen habe, mich jedoch nicht durchringen kann, sie in eine Flopliste zu packen. Da wäre der Netflix-Unsinnskitsch Prinzessinnentausch mit Vanessa Hudgens, eine steif gespielte und hölzern geschriebene Der Prinz und der Bettelknabe-Variante inklusive dreister Netflix-Eigenwerbung, die alles in allem jedoch recht harmlos daherkommt. Dann bin ich zwar völlig ratlos, wie der nach dem ersten Akt in seiner Dramaturgie, inneren Logik und der Verfolgung seines spannenden Konzepts auseinanderbröckelnde A Quiet Place so ein Kritiker- und Publikumsliebling werden konnte, allerdings halten der erste Akt und Emily Blunt dieses "Signs auf Steroiden" doch klar von den Flops fern. Ähnliches gilt für den mich fast schon aggressiv machenden Deadpool 2, bei dem ungefähr 80 Prozent der "Gags" aus wahllos daher gehäkelten Schimpfwörtern und stinkfaulen Versuchen der Selbstironie bestehen. Aber der Film haut so ein Dauerfeuer an Gags raus, dass ich selbst bei dieser niedrigen Trefferquote oft schmunzeln musste - und wie der Film Glückspilz Domino interpretiert oder mit der X-Force umgeht, macht schon Laune. Egal wie sehr mich diese Superheldenfarce in ihrer Stupidität oftmals zur Verzweiflung bringen mag.

Die Erscheinung derweil ist ein träges Glaubensdrama, das sich arg auf eine austauschbare Hauptfigur stützt und ein in meinen Augen dämliches Ende aufweist, aber zwischendurch ein paar gute Gedankenanstöße leistet und eine gute weibliche Hauptperformance umfasst. Die Netflix-Zeitreisekomödie The Day We Met hingegen hat, wenn man sie lang genug durchrüttelt, das Herz am rechten Fleck und ein paar nette Schmunzler, aber auch eine unausstehliche Hauptfigur und zudem enorme Probleme, ihre Moral in die richtigen Worte und Handlungsfäden zu bringen. Rampage auf der anderen Seite wechselt kopflos zwischen Schwachfug, der sich leider ernst nimmt, und gesund-hirnlosen Spaß - und leider, leider kommt diese zweite Seite des Films zu selten zum Zug. Seine Momente hat dieser Zerstörungsfilm dennoch.

Anders als die Netflix-Komödie Vater des Jahres mit David Spade, die lahm und unlustig, aber auch unnervig für sich hinplätschert. Die Tragikomödie Wunder unterdessen ist anbiedernd und schmierig, jedoch umschifft sie dann und wann sogar ein paar Klischees. Außerdem musste ich mehrmals schmunzeln und Owen Wilson sowie Julia Roberts bekommen ihre Szenen schon ganz süß hin. Die nachfolgenden Filme haben hingegen deutlich weniger Kriterien, die ihre schwachen Seite ausbügeln könnten ...

Platz 15: Feuer im Kopf (Regie: Gerard Barrett)

Ich halte Chloë Grace Moretz für eine sehr fähige Schauspielerin und auch in diesem auf wahren Begebenheiten beruhenden Drama gibt sie sich sichtbar Mühe. Aber Regisseur Gerard Barrett packt die Geschichte einer jungen Journalistin, die aufgrund einer nicht einzuordnenden Krankheit erst die Kontrolle über ihre Arbeitshaltung, dann über ihr ganzes Leben und letztlich über ihren Körper verliert, beschämend-grobschlächtig an. Da bekommt Moretz auch mal für ein paar Sekunden übergroße, am Computer animierte Augen verpasst, um zu verdeutlichen, dass sie gerade völlig neben der Spur ist. Was auf dem Papier die direkt vermittelte Beschreibung einer schweren Krankheit sein könnte, ist in dieser Umsetzung ein Grausen mit grobschlächtiger Narrative sowie melodramatischer Inszenierung.

Platz 14: Night School (Regie: Malcolm D. Lee)

In einer Hinsicht war ich von Night School positiv überrascht: 2017 landete Girls Trip unter anderem aufgrund der Performance von Tiffany Haddish auf einem der vorderen Ränge meiner Jahresflops. Und da ich Haddish Anfang 2018 auch bei der Verkündung der Oscar-Nominierungen anstrengend bis unausstehlich fand, war ich mir sicher, sie auch in Night School ätzend zu finden. Aber weit gefehlt: Sie ist sogar einer der wenigen Pluspunkte dieser mäandernden Komödie, in der ständig Gags plattgetreten werden und Dialoge ins Nichts laufen. Hölzern inszeniert und mit einem haarig zusammengeschusterten Skript versehen war Night Schol jedoch auch trotz dieser positiven Überraschung eher Geduldsprobe als Lachmuskeltraining.

Platz 13: Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot (Regie: Philip Gröning)

Aus der Kategorie "Feuilletonlieblinge, die sich mir nicht erschließen" präsentiere ich heute: Das fast dreistündige philosophische Jugenddrama Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot, in dem zweieiige Geschwister für eine Philosophieprüfung lernen wollen, letztlich aber nur Schabernack treiben, der immer weiter eskaliert, bis er erst ein, dann zwei, dann drei Tabugrenzen überschreitet. Die philosophischen Debatten in diesem grobkörnigen Streifen sind jedoch kopflos, die beiden Hauptfiguren sind (so weit es sich mir thematisch erschließt ,völlig grundlos) unausstehlich und die gezielten Provokationen, die einigen Kollegen die Schamesröte ins Gesicht getrieben haben, haben sich mir klar angekündigt und entlockten mir nur ein: "Na, endlich tut sich was!" Daher ist der raue, grobe Exploitation-Schlussakt in meinen Augen auch ganz solide - selbst wenn die (potentielle) Schlusspointe dem Ganzen wieder den Biss raubt.

Platz 12: Die Pariserin - Auftrag Baskenland (Regie: Ludovic Bernard)

Eine Pariser Karrierefrau (durchaus charmant: Élodie Fontan) wird von einem Supermarkt-Großkonzern ins Baskenland geschickt, um in einem kleinen Dörfchen einen gut laufenden Eisenwarenladen aufzukaufen. Was folgt, ist eine Klischeeparade aus "Stadtmentalität gegen Dorfmentalität", die durch einen Subplot über eine Separatistenarmee ins Absurde überzogen wird. Was ein feucht-fröhlich-bescheuerter Spaß werden könnte, wird aufgrund eines ebenso hanebüchenen wie inkonsistenten Drehbuchs und greller Regieführung ziemlich anstrengend, selbst wenn manche frivolere Pointen durchaus zu landen wissen.

Platz 11: Alpha (Regie: Albert Hughes)

Lange in Arbeit, mehrfach verschoben und letztlich mit einer mittelgroßen Kontroverse in die Kinos entlassen, ist dieses prähistorische Abenteuerdrama der Versuch dessen, nachzuerzählen, wie die Freundschaft zwischen Mensch und Hund entstanden sein könnte. Während sich vor allem die US-Kollegen durchaus zu Lobeshymnen über die Ästhetik dieses Films haben hinreißen lassen, fand ich den matschig-gräulich-bräunlichen Film überaus hässlich und Hughes' Stilmittel, wiederholt das Geschehen im Seitenprofil einzufangen, zwar reizvoll, aber enttäuschend-inkonsequent umgesetzt. Hinzu kommt eine kitschig-klischeehafte Zähmungsgeschichte, die wie ein schlechtes Prequel strukturiert ist, frei nach der Marke: "Hey, erinnert ihr euch an diese Sache, die Hunde immer machen? So kamen die darauf!" Das ist sehr oft unfreiwillig komisch, und dass für diesen Film Bisons getötet wurden, um den Look authentischer zu gestalten, man davon aber überhaupt nichts zu spüren bekommt, ist nun auch nicht unbedingt ein Pluspunkt. Langweilig und albern zugleich: Nein, danke.

Platz 10: LOMO - The Language of Many Others (Regie: Julia Langhof)

Der deutsche Jugendthriller LOMO - The Language of Many Others argumentiert so, wie jene, die Black Mirror nicht gucken, es der dystopischen Anthologieserie basierend auf groben Plotangaben unterstellen: "Igitt, Technologie!" In diesem mahnenden Zeigefinger von einem Film ist das Internet die Wurzel sämtlicher Leiden unseres begriffsstutzigen Protagonisten, der mit seinem schäbigen Blog (der dennoch Menschen aus aller Welt erreicht, die eine Passion mit sich bringen, wie sie selbst YouTuber-Fanatiker selten an den Tag legen) das Wohl seiner Familie und diverser Bekannter ins Wanken bringt. Die Darstellung dessen, was im Web abgeht, ist zu gleichen Teilen inakkurat und veraltet, und die Didaktik dieses Films gleicht preußischer Abschreckungspädagogik. Yikes. Fetter Dislike.

Platz 9: Hot Dog (Regie: Torsten Künstler)

Eines muss ich diesem mit grobschlächtigen Produktplatzierungen vollgepackten Action-Komödienthriller lassen: Matthias Schweighöfer bemüht sich verzweifelt, dem Skript eine Prise Selbstironie zu entlocken, was ihm allerdings nur in sehr geringer Taktung gelingt. Und zwischen all den lärmenden, in die Länge gezogenen Gags über Jungfrauen, geile Stecher (Til Schweiger, wer sonst?) und notgeile Schlampen (alle Frauen, wer sonst?), sowie der behäbigen Actionpassagen ist das einfach viel, viel, viel zu wenig.

Platz 8: Phantastische Tierwesen: Grindelwalds Verbrechen (Regie: David Yates)

Wäre dies eine Liste der Kinobesuche, bei denen ich mich am meisten gelangweilt habe, so befände sich das zweite Harry Potter-Prequel sogar auf dem Silberrang. Ich habe mich noch mehr durch die mehr als 130 Minuten Laufzeit gegähnt als durch Alles Geld der Welt, und nur das, was in diesem Ranking auf Platz vier folgt, hat mich noch mehr mit meiner Aufmerksamkeit ringen lassen. Und, gewiss: Womöglich liegt die gähnende, stechende Ödnis, die ich während Grindelwalds Verbrechen empfunden habe, auch ein Stück weit an meinem generellen Desinteresse an J. K. Rowlings Zauberwelt. Andererseits ist der erste Phantastische Tierwesen-Teil noch meiner Flopliste entgangen. Denn der hatte keine derart zerfasernde Erzählstruktur, keine dermaßen orientierungslos durch den Plot stolpernde Figuren, keine elendig langen "Lasst uns kurz innehalten und alle von früher erzählen"-Expositionsberge und war außerdem besser inszeniert. In Grindelwalds Verbrechen gibt zumindest mir Yates nämlich wiederholt keinerlei Gefühl für die Geografie des Geschehens. Da eilt gerne mal eine Figur nach links, von rechts kommt eine Attacke, Gegenschuss, andere Figuren stehen da und wehren die Attacke ab, Schnitt, die Figur, die ich vor dem inneren Auge schon hab niedergehen sehen, steht ganz woanders und schaut amüsiert zu. Na, wenigstens die Leute im Film haben also Spaß ...

Platz 7: The Cloverfield Paradox (Regie: Julius Onah)

Was einst als der spektakuläre dritte Kino-Eintrag ins Cloverfield-Franchise geplant war, wurde von Paramount Pictures nach mehreren Verschiebungen an Netflix veräußert und dort kurzfristig, von einer kurzen, doch intensiven Werbeaktion begleitet, in der Nacht nach dem Superbowl veröffentlicht. Und das ist auch mit Abstand das spannendste und aufregendste an diesem sterbenslangweiligen, zerhackstückelt erzählten Film voller talentierter Schauspielerinnen und Schauspieler, die allesamt wie gehemmt oder gar auf Baldrian wirken. Allein Chris O'Dowd, der als einziger mit Selbstironie gegen den Rest dieses Sci-Fi-Thrillers anspielt, bleibt positiv in Erinnerung, was angesichts der haarsträubenden Dialoge und der spröden Inszenierung jedoch nur ein kleiner Tropfen auf dem heißen Stein ist.

Platz 6: Das Zeiträtsel (Regie: Ava DuVernay)

Der zum Himmel schreiende Tiefpunkt des Disney-Jahres: Die Romanadaption Das Zeiträtsel alias A Wrinkle in Time ist zugegebenermaßen ambitioniert und hat ein paar reizvolle, da kreativ-überbordende Kostüme sowie ein, zwei herrlich-surreale Szenen. Allerdings wird dies ertränkt in einer Flut an Kalendersprüchen, Glückskeks-Merksätzen und Horoskop-Weisheiten, wie es sie in diesem Dauerfeuer zuletzt in Verborgene Schönheit zu erdulden gab. Für einen Film, der vom potentiellen Untergang der Welt, wie wir sie kennen, handelt und der gelegentlich in albtraumhaft-surreale Bilder abtaucht, packt Das Zeiträtsel seine Protagonistin und sein Publikum lachhaft intensiv in Zuckerwatte und Bläschen-Polsterfolie. Und als fände ich die stetige Oprah-Winfrey-Vergötterung nicht schon beschämend genug, haben wir hier mit CHARLES WALLACE (immer laut, immer mit vollem Namen auszusprechen) noch eines der nervigsten Filmkinder dieses Kinojahrzehnts zu erdulden. Ein Nervensägewerk von einem Film. Und dennoch nur Platz sechs ...

Platz 5: Slender Man (Regie: Sylvain White)

Ich wollte diesen Film mögen. Wirklich. Als der erste Trailer online gemeinhin mit Gähnen und Schulterzucken begrüßt wurde, habe ich darüber noch mit dem Kopf geschüttelt und war voller Hoffnung, dass aus dem Stoff vielleicht ein dreckig-fieser, surreal-disassoziativer Höllentrip werden könnte. Nachdem die Meinungsverschiedenheiten hinter den Kulissen publik wurden, gab ich den Film noch immer nicht auf, und selbst nach den vernichtenden US-Kritiken hatte ich die Hoffnung: "Naja, vielleicht irren die Amis einfach alle." Aber, nein. Weit gefehlt. Slender Man ist ein träges, ödes Etwas von einem Film mit einer milchig-unfokussierten Kameraarbeit (war kein Geld für Licht da?!) und weitestgehend desinteressierten Performances. Vor allem aber ist das Storytelling fahrig: Zu zusammenhängend, um als Mindfuck zu packen, aber viel zu löchrig, als dass die Erzählung irgendwie noch zum Mitfiebern taugen würde. Zudem wurden aufgrund der Vorabkontroverse (dem Film wurde angelastet, eine reale Tragödie auszuschlachten) mehrere Schocks aus dem Film geschnitten, so dass eine blut- und spannungsleere Hülle übrig geblieben ist, der nur sehr, sehr spärlich anzumerken ist, was bei einer fähigeren Umsetzung aus ihr hätte werden können. So erfolgt die intensivste, trippigste Heimsuchung unserer von digitaler Kommunikation besessenen Figuren in einer Bibliothek - ob sich Elle-Autor David Birke da was gedacht hat?

Platz 4: Trouble (Regie: Theresa Rebeck)

Wer dringend in Morpheus Schoß fallen möchte, aber keine Schlaftabletten übrig hat, sollte es mit Trouble versuchen, einer sterbenslangweiligen, träge inszenierten "Komödie" über einen Geschwisterstreit in einem Provinzstädtchen voller flacher Figuren. Anjelica Houston und Bill Paxton necken sich mit steifer Miene und praktisch jeder Gag geht völlig schief. Wäre da nicht Julia Stiles, die mehr noch als Josefine Preuß in Verpiss dich, Schneewittchen mit vollem Einsatz die Monotonie durchbricht, ich wäre mir nicht sicher, ob dieser Film nicht klinisch tot ist.

Platz 3: Downsizing (Regie: Alexander Payne)

Der nach deutschem Veröffentlichungskalender erste Kinostart 2018, den ich gesehen habe (einer frühen Pressevorführung sei es gedankt), war auch das gesamte Jahr über einer der Maßstäbe dafür, wie sehr ein Film Aggressionen in mir wecken kann. Alexander Paynes einst von manchen Experten als potentieller Oscar-Anwärter gehandelter Film über eine Zukunft, in der sich manche Menschen zur Rettung der irdischen Ressourcen (oder aus reinem Hedonismus) schrumpfen lassen, ist nämlich ungeheuerlich anstrengend. Die Prämisse, die Doppelmoral und weitere gesellschaftliche Probleme satirisch aufbereiten könnte, gerät schnell in den Hintergrund dieses schlecht strukturierten Dramas (das mindestens drei Anfänge und zwei Enden hat). Matt Damon spielt mit enervierender Austauschbarkeit die langweiligste Figur in diesem Film, die Alexander Payne jedoch ohne doppelten Boden in den Fokus stellt, die Dialoge sind grobschlächtig, die Witze verpuffen aufgrund des schleppenden komödiantischen Timings und Hong Chaus Nebenrolle einer keifenden Putze mit Prothese ... Nun ja. Es wurde viel darüber debattiert, ob sie eine rassistische Karikatur ist oder nicht, und ich tendiere zu Ersterem: So, wie Payne die Figur einsetzt, sollen wir darüber lachen, wie seltsam und anders sie sei. Und das macht die Rolle nochmal deutlich anstrengender, als sie aufgrund Chaus ständigem Gekreische eh schon ist. Alles in allem ist Downsizing ein Film, der weniger an einzelnen Problemen krankt, sondern daran, wie sie im Zusammenspiel räsonieren: Denke ich an Downsizing zurück, schaudere ich nur. Das ist nicht der analytischste oder eloquenteste Weg, einen Film zu kritisieren, aber es ist ein sehr bildlicher - und das gestattet ihr mir in dieser Liste hoffentlich.


Was passiert, wenn man eine altbackene, in übermäßig kontrastreichen Bildern gehaltene Komödie in ein Schnittprogramm lädt, sich die Augen verbindet und wild auf die Tastatur hämmert? Ich weiß es nicht, allerdings kann das Ergebnis kaum schlimmer sein als Til Schweigers neuste deutschsprachige Regiearbeit. Ich könnte mich nicht entsinnen, wann ich zuletzt einen so mies geschnittenen, professionellen Film dieser Größe gesehen habe. Wahllos hackt sich Schweiger irgendwas zusammen, selbst in ruhigen Gesprächen wechseln die Einstellungen in Sekundenbruchteilen. So zerreißt der Schnitt die Schauspielleistungen des Casts aus Leuten, die alle schon richtig gutes abgeliefert haben, und dabei bräuchten diese jammernden (alle, außer Schweiger) und selbstverliebten (Schweiger) Silberrücken dringend jedes Bisschen an via Schauspiel vermitteltes Charisma, das sie haben können. Denn die Figuren sind unausstehlich und gallig geschrieben, was in ähnlich ätzende Gags mündet. Schweiger gröhlte unter anderem bei Facebook, Kritiker hätten ja nur mal wieder keine Ahnung und das Publikum würde ja auf diesen Film wieder einmal abfahren. Aber, mal nachgehakt: Wieso erreicht Klassentreffen 1.0 nur einen Bruchteil der Menschen, die der besser inszenierte und geschnittene (sowie viel herzlicher geschriebene) Keinohrhasen erreicht hat? Ist es vielleicht denkbar, dass das breite Publikum vielleicht nicht aktiv auf solche handwerklichen Sachen achtet, sie aber sehr wohl spürt?!


Eine Sache hat dieses deutsche Indiekomödien-Experiment Til Schweigers Klassentreffen 1.0 voraus: Lola Randls grelle, schrille, wirre Verwechslungskomödie hat Anspruch und Ambition, wo Schweiger auf Kalauer und Kalkül setzt. Und dennoch fand ich es noch anstrengender, noch nerviger, durch Fühlen Sie sich manchmal ausgebrannt und leer? zu sitzen als durch das Schnittdesaster der Altherren: Irgendwo in dieser Ansammlung von atonalem Slapstick, stumpfer Farce und massigem Overacting vor grellen Kulissen steckt eine komödiantische Parabel darüber, wie wir in unserem (Liebes-)Leben stets nur Rollen spielen, statt uns selbst treu zu bleiben. Aus dieser Feststellung formt sich hier jedoch dank dünner, breit ausgewalzter Symbolik, stumpfsinniger Situationskomik und anstrengender Musik ein pures, aggressives Filmgrauen. Fühlen Sie sich manchmal ausgebrannt und leer? ist die missratene Bizarro-Version des ebenfalls hochstilisierten, allerdings smarteren Einsamkeit und Sex und Mitleid oder von Zwei im falschen Film, es ist schrill, einfach nur um schrill zu sein, es ist in meinen Augen längst nicht so helle, wie es wohl glaubt, es ist nervenzerfetzend, es ist der für mich schlechteste Film des Jahres.

Aber, hey. Demnächst geht es hier positiver zur Sache.

Donnerstag, 8. Februar 2018

Meine 35 Lieblingsfilme 2017 (Teil III)

Die Ränge 35 bis 11 haben wir bereits hinter uns, also fehlen selbstredend noch die Top Ten der Produktionen, die mich 2017 am meisten in Verzückung versetzt haben. Welche Filme haben mich am hibbeligsten zurückgelassen, wo glühte mein Cineastenherz am wärmsten? Ehe diese Fragen beantwortet werden, möchte ich noch ein paar, finale Ehrennennungen loswerden, um Filmen Tribut zu zollen, denen ich nicht genug Applaus zukommen lassen kann - und die mir Kopfweh bereitet haben, als ich an meiner Topliste saß und Kürzungen vornehmen musste. Doch nur, weil sie nicht den Sprung in das eigentliche Ranking geschafft haben, heißt das nicht, dass ihr diese Filme einfach so ignorieren solltet, wenn ihr sie noch nicht kennt!

Sehr großen Spaß hat mir etwa Spider-Man: Homecoming bereitet, der (episodenhaft) Sony-Komödie und Marvel-Action verschränkt und wegen des etwas langgezogenen Finales ganz knapp die Top 35 verpasst hat. Betörend schön und anders ist derweil Die rote Schildkröte, ein (praktisch) dialogfreier Trickfilm, der von Survivalgeschichte zu esoterischem Märchen wird, und der mich beim Gucken umgehauen hat. Allerdings blieb er weniger in meiner Erinnerung haften als die Top 35, die ich hier präsentiere. Ein visueller und akustischer Genuss, der hier Erwähnung finden muss, ist natürlich der Slow-Burner-Sci-Fi-Film Blade Runner 2049, der den Vorgänger fesselnd ausbaut, mir den Plot aber dezent zu gimmickhaft aufzieht, als dass ich mich den Lobeshymnen vollauf anschließen würde. Dennoch ein starkes Stück Kino, bei dem ich mich auf den Rewatch freue.

Ein weiterer Film, bei dem ich nicht so laut juble, wie einige aus dem Kollegium, und den ich trotzdem nur wärmstens empfehlen kann: Der goldige Paddington 2, der sehr hübsch aussieht, wundervoll-warmherzig ist ... aber in meinen (und offenbar auch nur meinen) Augen nicht ganz an die Brillanz und Cleverness des Vorgängers heranreicht. Komplettes Kontrastprogramm bietet Rammstein: Paris, der wahnwitzig inszeniert ist und so den Rausch eines Konzerts gut imitiert - bei dem aber leider die Songauswahl eine Länge zu viel hat (oder einen In-die-Fresse-Volltreffer zu wenig), um in diesem hart umkämpften Jahr die Charts zu entern. Dann wäre da noch der Coming-of-Age-Sommerferien-Horror Es, der die Stephen-King-Formel mit sehr guten Kinderdarstellern und einer dezenten Prise Humor lobenswert umsetzt. Und zu guter Letzt muss ich mich für Amelie rennt aussprechen, einen großartigen deutschen Familienfilm mit tollen Bildern, überzeugenden Performances und einer wunderbar komplexen Tonalität. Anschauen, Leute!

Aber Schluss mit der Vorrede. Ihr seid für die Top Ten hier, und die sollt ihr nun bekommen!

Platz 10: Mein Leben als Zucchini (Regie: Claude Barras)

Manchmal schreibt das Leben die besten Filmbesprechungen. So im Fall der Stop-Motion-Tragikomödie Mein Leben als Zucchini, die aus Sicht eines neunjährigen Vollwaisen (mit traumatischem Familienhintergrund) vom Leben in einem Kinderheim berichtet. Ich sah den Film in einer regulären Sonntagmittagvorstellung und saß neben einer jungen Mutter und ihrer Tochter im Grundschulalter. Als der Abspann begann, war die Mutter in Tränen aufgelöst, woraufhin die aufgrund des eben gesehenen Films strahlende Tochter irritiert fragt: "Mama ... Was ist denn?" Die Mutter antwortet, während sie versucht, die Tränen zu stoppen: "Ach ... nichts ... der Film ..." Die Tochter fragt ratlos, im knuffigsten nur denkbaren Ton: "Aber ... der war doch lustig?" Ich werfe der Mutter einen mitleidigen, wissenden Blick zu, sie lacht kurz auf, weint weiter. Die Mutter umarmt ihre Tochter, gibt ihr einen Kuss auf die Stirn und sagt: "Ach, Liebes, ich bin einfach nur froh, dass wir uns haben."

Platz 9: Battle of the Sexes - Gegen jede Regel (Regie: Jonathan Dayton und Valerie Faris)

Eine Dramödie, die ein wahres Sportereignis nimmt, um anhand dessen mit Nachdruck und dennoch auch mit viel Witz ein gesellschaftliches Problem anzusprechen: Dieses Subgenre kann, wenn es mit Verve, Passion und inszenatorischer Energie angepackt wird, bei mir sehr viel erreichen. Nach längerem Mangel in dieser Hinsicht trifft das Ruby Sparks-Regieduo Jonathan Dayton & Valerie Faris mit Battle of the Sexes - Gegen jede Regel bei mir genau ins Schwarze: Simon Beaufoys Skript setzt die wahre Geschichte eines medial enorm aufgeblasenen Showkampfes zwischen dem alten Tennishasen Bobby Riggs und der sehr fähigen Tennisspielerin Billie Jean King vor den Hintergrund des feministischen Kampfes der frühen 70er-Jahre und der damaligen Tabuisierung von Homosexualität.

Die drei Themen werden von Beaufoy mit beeindruckender Eleganz zu einem einzelnen Handlungsstrang verwoben und Dayton & Faris inszenieren den Stoff mit so großer Fallhöhe, dass mir als Sportmuffel bei den gezeigten Tennis-Matches der Atem stockt, sowie mit einer Empathie erzeugenden, spielerischen Leichtigkeit, die dafür sorgt, dass Battle of the Sexes nicht zum überkitschten Problemfilm wird. La La Land-Kameramann Linus Sandgren erzeugt mit seinen kontrastreichen, soft beleuchteten Super-35-Bildern nicht nur nostalgische Gefühle, sondern verleiht dem eh schon Funken sprühenden Zusammenspiel zwischen Emma Stone alias Billie Jean und ihrem Schwarm (Andrea Riseborough) eine intensive, verhuschte Sinnlichkeit. Stone ist hier eh über alle Zweifel erhaben, Carell ist als Großkotz Bobby Riggs, der sich vor der Kamera zwecks Promofaktor als Überchauvinist hochstilisiert, irrwitzig und wie Beaufoy den Unterschied zwischen einem Machomaul und strukturellem Sexisimus skizziert, ist nicht nur klug gemacht, sondern auch wichtiger Bestandteil dieser inspirierenden, effektiv zum Griff nach den (sprichwörtlichen) Waffen aufrufenden Dramödie. Ein Muss, wahrlich nicht nur für Sportfilmfreunde!

Platz 8: Hans Zimmer Live (Regie: Tim van Someren)

Dass es jemals ein Konzertfilm in meine Jahres-Top-Ten schafft, hätte ich wohl auch nie zu träumen gewagt. Und da sind wir nun: Hans Zimmer Live ist einer meiner zehn liebsten Filme des Jahres 2017. Konsequent, schließlich ist Hans Zimmer Live wohl auch der Konzertbesuch, der mir in meinem bisherigen Leben am imposantesten in Erinnerung geblieben ist. Ich bin halt großer Fan der Arbeit unseres Exportkomponisten, und ich wüsste nicht, wann es zuletzt einen Kinofilm gegeben gab, der eine dermaßen hohe Dichte an umwerfender Musik geboten hat wie Hans Zimmer Live. Dieser Konzertfilm ist allerdings mehr als nur eine Abfolge großartiger Suiten, in denen Zimmer Melodien aus Filmen wie der Pirates of the Caribbean-Saga, Inception und Crimson Tide zu fetzig-rockigen Stücken neuarrangiert. Regisseur Tim van Someren fing die farbintensive Lichtshow dieser Konzertreihe eindrucksvoll ein und schaffte es zudem, durch kleine, feine Randbeobachtungen dem Publikum ein Gefühl für Zimmers Musikertruppe zu geben. Solche Details wie die wechselnden Outfits von Nick Glennie-Smith oder die unterschiedliche Bühnenpräsenz der als Engelchen und Dämonin bezeichnenden Perkussionistinnen geben dem Treiben auf der Bühne zusätzlichen Flair. Dadurch, ulkige Bewegungen oder so manches, urplötzlich aufblitzendes, breites Lächeln mitzuerleben, entsteht eine Dichotomie: Es ist ein epochales, bombastisches Musikereignis, das hier festgehalten wird, und dennoch fühlen wir uns als Teil eines intimen Treffens befreundeter Musiker, die mit Blicken kommunizieren, während sie ihre Show abziehen. Ich kann mir diesen Konzertfilm immer wieder ansehen - und wäre die Regieführung noch einen kleinen Tacken losgelöster und Zimmer-mäßig unberechenbarer, wer weiß, vielleicht hätte sich Hans Zimmer Live sogar noch höher platziert?

Platz 7: mother! (Regie: Darren Aronofsky)

Darren Aronofskys mother! steht über den Genredefinitionen: Die Geschichte einer jungen Frau, die mit einem älteren Mann verheiratet ist und sich von dessen aus dem Nichts auftauchenden Freunden genervt fühlt, ist Horrorfilm, Psychothriller, pechschwarze Streitkomödie, religiöse Allegorie, thematische Fortsetzung des über Umweltschutz sinnierenden Noah und Parabel auf das Zusammenleben mit einem Künstler zugleich. Lawrence gibt die Darbietung ihres Lebens und wie Aronofsky hier schrittweise das Geschehen zur Eskalation treibt, ist meisterlich. Auch Javier Bardem, Ed Harris und Michelle Pfeiffer überzeugen in ihren Rollen, die Kameraführung ist auf beeindruckende Weise desorientierend und das Finale muss man einfach erlebt haben!

Platz 6: Einsamkeit und Sex und Mitleid (Regie: Lars Montag)

Was, wenn sich ein komplexer Blick auf die heutigen Macken des Beziehungssuchens und Liebeslebens mit einer verqueren, süffisant-frechen Persiflage auf deutsche Arthouse-Hochnäsigkeit verkuppeln? Ganz einfach: Dabei entsteht Einsamkeit und Sex und Mitleid, eine farbintensive Dramödie mit markanten Figuren, die allesamt eine faszinierende Gratwanderung vollziehen - sind sie in einer Sequenz dieses Ensemblefilms die Helden, sind sie in einer anderen Passage die Schurken. Somit ist Einsamkeit und Sex und Mitleid in seiner Weltsicht ausgereifter und abgerundeter als viele der hier durch den Kakao gezogenen Indie-Zeitgeistanalysen, die das deutsche Kunstkino so fabriziert - und gleichzeitig ist diese Romanadaption unfassbar komisch. Obendrein schafft es Regisseur Lars Montag, einige rührende und auch schlicht poetisch-skurrile Momente in den Film zu streuen. Einfach klasse!

Platz 5: Planet der Affen - Survival (Regie: Matt Reeves)

Das Triple-Feature der neuen Planet der Affen-Trilogie gehörte für mich zu den beeindruckendsten Kinobesuchen 2017 - selten war im Kinosaal während einer Blockbustervorführung so eine emotionale Angespanntheit zu spüren. Und das Highlight kam zum Schluss: Während Survival hätte man eine Stecknadel im Saal fallen hören können, so sehr stockte dem Publikum der Atem. Und das aus gutem Grund: Im Gewand eines Big-Budget-Spektakels erzählt Survival eine Mischung aus Kriegsgefangenendrama, Dystopie und Bibelepos. Andy Serkis war nie besser als hier in der Rolle des an seinen eigenen Idealen zweifelnden Affenanführers Caesar, Michael Giacchinos Instrumentalmusik ist ungeheuerlich bewegend und rührend und der Handlungsbogen, der hier geschlagen wird, ist in seiner emotionalen Bandbreite, seinem nachdrücklichen politischen Kommentar und seiner dramatischen Konsequenz einfach erstaunlich.

Platz 4: Pirates of the Caribbean - Salazars Rache (Regie: Espen Sandberg und Joachim Rønning)

Yo-Ho, Yo-Ho, Piraten haben's gut ... Aber nicht all zu gut: Käpt'n Jack Sparrow durchläuft eine Pechsträhne, verliert an Glanz und Ausstrahlung und braucht daher dringend ein Abenteuer, das ihm zu seiner alten Gloria verhilft. Was für ein Glück, dass sich gerade eine junge Astronomin und Horologin sowie der Sohn von Will Turner und Elizabeth Swann auf der Suche nach einem sagenumwobenen Artefakt befinden - doch sie werden vom piratenhassenden Geist Käpt'n Salazar verfolgt. Jack muss sich also umso mehr anstrengen, um zu sich zurückzufinden ...

Unter der Regie von Espen Sandberg und Joachim Rønning tauscht der fünfte Pirates of the Caribbean-Teil den Wahnsinn von Gore Verbinski sowie die malerische Seemannsgarnromantik von Rob Marshall gegen Dreckigkeit aus: Nie waren die Dialoge räudiger, nie sahen die Nebenfiguren (und Käpt'n Jack) verkommener aus. Als Finale der Reihe (was das Marketing in Salazars Rache hineininterpretiert hat) ist Teil fünf ein solider Abgesang, als möglicher inhaltlicher Wendepunkt, der die Segel für einen völlig anders gearteten sechsten Part setzt, wäre dieses Abenteuer schon deutlich stärker. Was nun Sache sein wird, tja, das wird uns nur die Zukunft verraten. Bis dahin freue ich mich über den fiesen Dialogwitz, Geoff Zanellis vergnügliche Musik und Kaya Scodelarios Carina Smyth sowie über die Wiedervereinigung, Golshifteh Farahani als Seehexe Shansa (zeigt im potentiellen nächsten Film bitte mehr von ihr!), den Bankraub und die Galgen-Actionsequenz. Für die Zukunft hätte ich aber gern die inhaltlichen Ambitionen von Ted'n'Terry und Gore Verbinski zurück - und einen Depp, der nicht in manchen Szenen wie der Verrückte Hutmacher klingt (sofern die Filmreihe überhaupt Sparrow-zentrisch bleibt). Na dann: Trinkt aus, Piraten!

Platz 3: La La Land (Regie: Damien Chazelle)

Einfach ein Träumchen von einem Film: Dieses mit cleveren, liebevollen Hommagen an frühere Filme gespickte Musical verneigt sich tief vor der munteren, lebensfrohen MGM-Ära des Musicalkinos sowie vor der lebensnahen Bittersüße der französischen Nouvelle Vague, und formt daraus ein ebenso nostalgisches wie zeitgemäßes Gesamtkunstwerk. Die Farben glühen geradezu von der Leinwand, gleichwohl wähnt sich Damien Chazelle in einem visuellen Beinaherealismus, Emma Stone und Ryan Gosling geben ein bezauberndes Paar ab - und haben dennoch sehr echte Probleme. Die angejazzte Musik geht prompt ins Ohr und alles in allem ist La La Land schlicht bezirzendes, emotionales Kino, das mir ein riesiges Lächeln ins Gesicht zaubert, ohne je übermäßig in Kitsch abzudriften.

Platz 2: Einmal bitte alles (Regie: Helena Hufnagel)

Wow. Wow! Einfach nur wow! Basierend auf einem Drehbuch von Sina Flammang und Madeleine Fricke ist Einmal bitte alles eine zu gleichen Teilen höchst authentische Lebensgefühlkapsel wie auch ein wunderschöner, kunstvoll abstrahierender Kommentar auf die Sorgen, Hoffnungen und Widersprüche einer Personengruppe, zu der ich mich selber auch zähle. Nämlich: "Mit-bis-Endzwanziger in den 2010er-Jahren, die in einer Industrienation leben, nicht aus einer gut betuchten, hilfsbereiten Familie stammen, sich nicht dazu entschlossen haben, in einen der sehr wenigen, noch verbleibenden Berufszweige zu gehen, in denen eine gesunde Bezahlung garantiert ist, und die allein schon deshalb, weil sie Respekt, Zukunftsperspektive, vernünftige Löhne sowie ein offenes Ohr für Sorgen fordern, als kindische, egomanische Träumer abgestempelt werden." Und all das ohne Berlin-Hipstertum, lautem Rumgewimmer oder forcierte Coolness!

Im Mittelpunkt dieses ebenso humorvollen wie auch deprimierend-wahren Films steht die 27-jährige, ein Diplom aufweisende Grafikerin Isi (wundervoll gespielt von einer wandelbaren Luise Heyer). Sie ist auf nicht unbeachtliche Weise Opfer der allgemein grassierenden Umstände: In Berufen, die auch nur ansatzweise Kreativität fordern, kommt man nur noch mit Vitamin B weiter, sonst wird man von Praktikum zu Praktikum gereicht. Die Mieten sind der reinste Wucher. Und wenn man sich anhand seiner zahllosen gesellschaftlichen sowie beruflichen Pflichten ausgebrannt hat, so dass man mal seine Batterien auftanken muss, wird man direkt als verantwortungslos und faul beschimpft.

Gleichwohl haben Flammang, Fricke und Regisseurin Helena Hufnagel, die diesen Stoff mit einer Garden State-esquen, süffisant-verspielten Melancholie anfasst, keinen "Generation Y, du darfst nun die Ungerechtigkeit der Welt um dich herum beklagen"-Jammerfilm kreiert. Denn Isi muss sich den Vorwurf gefallen lassen, mit den denkbar schlecht gemischten, ungerecht verteilten Karten, die sie erhalten hat, zu allem Übel auch noch richtig mies zu pokern: Sie lässt sich vom Sozialneid auf ihre mehr Glück habende Mitbewohnerin und (on-and-off-)beste Freundin Lotte (liebenswert-ignorant gegenüber Isis Klagen: Jytte-Merle Böhrnsen) zerfressen. Sie lässt Chancen verstreichen. Sie hält zu sehr an ihren Idealen fest, statt nach vernünftigen Kompromissen zu suchen. Und so weiter ...

Das klug konstruierte, ausgewogen über die behandelten Generationssorgen reflektierende Drehbuch, die träumerisch-farbverwaschenen, doch ebenso sehr die unschönen realen Details einfangenden Bilder von Kamerafrau Aline Laszlo und ein warmkalter, emotional komplexer Strom an Hintergrundsongs heben diese Dramödie für mich zu einem der eindrucksvollsten deutschen Filme des bisherigen Jahrzehnts empor. Zweifelsohne spielt Einmal bitte alles auch sehr in die Karten, wie sehr ich mich mit Isi identifizieren kann und wie sehr mir die komplexe Atmosphäre dieser kleinen, wundervollen Produktion aus der Seele spricht. Nicht umsonst ist das hier meine rein mit dem Herzen erschaffene Favoritenliste! Dennoch kann ich nicht genug betonen, wie sehr ich Einmal bitte alles allen empfehlen kann, die auch nur einen winzigen Bruchteil von Offenheit gegenüber diesem Filmstoff übrig haben. Es ist ein Glanzstück des deutschen Kinos!

Platz 1: A Cure for Wellness (Regie: Gore Verbinski)

Berückend schöne Bilder, eine bedrückend hintersinnige Weltsicht: Gore Verbinski kehrt nach über zehn Jahren Wartezeit ins Horrorfach zurück und erschafft mit A Cure for Wellness einen atemberaubend gut aussehenden Psychofilm, der mit süffisantem Zynismus ein Experiment an seinem Publikum abhält. Was, wenn uns unsere Arbeitswut krank macht - wir aber in der Abgeschiedenheit ebenso sehr von Wahnsinn heimgesucht werden? Dank Bojan Bazellis hypnotischer Kameraarbeit und der betörenden Instrumentalmusik aus der Feder von Benjamin Wallfisch, die Sirenengesang, sanft-verstörendes Geklimper und majestätische, dunkelromantische Orchestermelodien vermischt, wird aus diesem inhaltlichen Rücksturz auf gotisch inspirierte Horrorklassiker und den kessen, dezent amüsierten Hammer-Horrorthrillern vergangener Tage ein Genrebeitrag, der gleichermaßen mit Prunk, Schauer und dunkel-humoriger Selbsterkenntnis zu verlocken weiß. Eine bis ins Mark gehende Klangabmischung, surreale Traumsequenzen und die intensive, gleichwohl schwer einer klaren Kategorie zuzuordnende Dynamik zwischen den Hauptdarstellern Mia Goth und Dane DeHaan ergänzen diesen Geniestreich weiter. A Cure for Wellness mag zum Kinostart so manche ratlos zurückgelassen haben, aber ich bin von dieser "Der Zauberberg, Verbinski-Art"-Erzählung schwer beeindruckt und sage (wie so oft, wenn Verbinskis Filme floppen) vorher, dass der Film in den kommenden Jahren als verkanntes Kunstwerk wiederentdeckt wird. Ich gönne es A Cure for Wellness vom ganzen Cineastenherzen - 2017 hat mich kein Film stärker in Euphorie versetzt und ebenso wenig hat mir das ganze Jahr über eine Filmproduktion nachhaltiger den Atem geraubt.

Und damit können wir das Filmjahr 2017 zu den Akten legen!