Sonntag, 30. April 2017

Assassin's Creed


Begeben wir uns kurz in den Nachdenkibus und spekulieren darüber, wie es wohl dazu gekommen ist, dass Arthouse-Regisseur Justin Kurzel seine üblicherweise für Anspruch stehenden Macbeth-Darsteller Michael Fassbender und Marion Cotillard überzeugen konnte, ihm bei seiner ersten Videospielverfilmung zur Seite zu stehen. Vielleicht haben sie alle einfach nur einen dicken Gehaltsscheck benötigt. Vielleicht mögen sie die Assassin's Creed-Spiele. Vielleicht waren sie von der komplexen moralischen Komponente des Plots fasziniert?

Zwischen den Templern und den Assassinen herrscht ein jahrhundertealter Konflikt, in dessen Mittelpunkt der Apfel steht, in den Adam und Eva einst gebissen haben. Denn dieses Relikt aus dem Paradies soll, der Sage zufolge, die Macht haben, den freien Willen der Menschheit zu kontrollieren – er hat ihn ihr gegeben, und er kann ihn ihr auch wieder nehmen. Die Templer haben es sich zur Aufgabe gemacht, diesen Apfel an sich zu reißen, um den freien Willen zu stoppen und so auch den menschlichen Wunsch nach Gewalt. Die Assassinen hingegen wollen den Apfel, und so auch den freien Willen, beschützen, selbst wenn dies bedeutet, dass Gewalt auf ewig Teil des menschlichen Wesens bleiben wird.

Eben dieser Konflikt wird in der Jetztzeit neu heraufbeschworen, als das experimentelle Technologieunternehmen Abstergo Industries den vermeintlich bereits exekutierten Kriminellen Callum Lynch (Michael Fassbender) dazu bringt, am Animus-Projekt teilzunehmen. Dabei wird eine hochmoderne Technologie genutzt, um die in der DNA verborgenen Erinnerungen seiner Ahnen wieder freizusetzen – und da Lynch der letzte Nachfahre des Assassinen ist, der angeblich zuletzt den Ursprung der menschlichen Sünde gesehen hat, soll er Abstergo dabei helfen, ihn ausfindig zu machen. Wird Callums Herkunft tatsächlich sein Schicksal lenken?

Verlassen wir den Nachdenkibus mit der vagen These, dass es dieser Aspekt hinter Assassin's Creed war, der die genannten Künstler dazu gebracht hat, für diesen Film zu unterschreiben. Und widmen wir uns der harschen Wirklichkeit: Von der intellektuellen Ebene dieses Grundkonzepts, welches ein anspruchsvolles Abwägen zwischen Freiheit und Sicherheit gestattet, ist in der eigentlichen Ausführung nichts mehr zu spüren. Die Big-Budget-Videospieladaption, die ihren Machern zufolge als Grundstein für eine Trilogie dient (und deren Misserfolg im Kino die Umsetzung dieser Idee wohl torpediert hat), öffnet keinen Diskurs darüber, ob Eigensinn automatisch ein Gewaltpotential mit sich bringt und ob die Fähigkeit zu eigenmächtigen Entscheidungen es wert ist, in einer Welt der steten Bedrohung durch Gewalt zu leben.

Und per se ist dieser aufgegebene Anspruch nicht weiter bedauernswert. Wir haben ja immerhin den Nachdenkibus verlassen – da dürfen wir auch mal einfach nur unterhalten werden. Die Indiana Jones-Filme gehen schließlich ebenfalls nie auf intellektuell stimulierende Weise auf die von ihnen aufgeworfenen religiösen Fragen ein. Und der Diskurs, den Jurassic Park über Ethik zulässt, passt wahrscheinlich in voller Gänze auf eine Papierserviette. Problematisch ist indes, dass alle Beteiligten trotz des verschwindend geringen intellektuellen Gehalts von Assassin's Creed so agieren, als handle es sich hierbei sehr wohl um eine gestrenge, tiefschürfende Analyse der obig erwähnten Themen.

Kurzels Regieführung gestattet nicht das kleinste Spurenelement von Humor – allein dem Vorantreiben des Plots dienliche oder zuweilen gar völlig überflüssige Sätze hallen bedeutungsschwer nach, ehe ein Schnitt erfolgt. Die wenig behände choreografierte Action wird von Wackelkameraaufnahmen, raschen Schnitten und hochdramatischer Musik niedergeschmettert.

Weder mimisch noch verbal ist dem von Fassbender mit erdrückender Ernsthaftigkeit gespieltem Protagonisten Esprit abzuringen. Marion Cotillard gibt mimisch währenddessen genau das, was ihre Figur zulässt: Als leitende Forscherin bei Abstergo ist sie dazu da, die Technologie ihrer Einrichtung und die Mythologie dieser Filmwelt zu erklären, gelegentlich erklärt sie auch explizit das Handeln ihrer Figur oder gar das ihres Gegenübers. All dies in einer magnetisch-monotonen Stimmlage, während ihre weit aufgerissenen Augen einem seelenlos ins Innere starren – sie ist der filmfigurgewordende Archetyp der Spielmechanismen erläuternden, gelegentlich nervigen Person aus Videospielzwischensequenzen.

Jeremy Irons wiederum kann als Abstergo-Chef zwar sein zum wonnigen Overacting neigendes Naturell nicht völlig ablegen, jedoch reißt er sich (anders als bei der Rollenspiel-Adaption Dungeons & Dragons) so sehr am Riemen, dass seine Darbietung nicht ansteckend amüsant gerät. Das restliche Ensemble geht völlig unter, auch, da Kurzel und Kameramann Adam Arkapaw (The Light Between Oceans) das Geschehen durchweg in eine verwaschen-schattige Ästhetik tauchen. Von gelegentlichen Totalen abgesehen, die häufig durch klar als solche erkennbare Digitaleffekte „aufgehübscht“ werden, ist daher oft nur das Gesicht der handelnden Figuren klar zu erkennen – Kulissen, Schauplätze, Kostüme und Requisiten lassen sich unter den blau-schwarzen oder matschig-braun-grauen Lichtflecken gar nicht würdigen.

Fast wirkt es so, als hätte wer das Kameraobjektiv mit Fettflecken beschmiert – so entgeht dem inhaltlich weder Anspruch noch Vergnügen kennenden Film letztlich die Chance, wenigstens als unbedeutender Augenschmaus irgendeine Daseinsberechtigung zu ergattern.

Fazit: Assassin's Creed greift weder den Verstand, noch das Spaßzentrum gekonnt an, sondern verharrt starr im unästhetischen Schatten der mürrischen Belanglosigkeit.

Diese Kritik erschien zuerst bei Quotenmeter.de

Freitag, 28. April 2017

Freitag der Karibik #40


Obwohl Pirates of the Caribbean - Fremde Gezeiten an den Kinokassen hervorragend ankam, spaltet der der vierte Part der Pirates of the Caribbean-Saga Fans und Gelegenheitskinogänger wohl mehr als jede andere Fluch der Karibik-Fortsetzung. Rückkehr zu den (vergleichsweise) schlichten Wurzeln des Erstlings nach Gore Verbinskis gigantomanischen, verrückten Sequels oder träge Fortführung einer zuvor so andersartigen Filmreihe? Unter vielen Gegnern der sehr, sehr losen Romanadaption wiederholte sich ein Kritikpunkt auffallend häufig: Zu viel von einem Käpt'n Jack Sparrow, der dasselbe macht wie in den drei ersten Teilen, nur stärker im Fokus und risikoscheuer.

Doch wie adressiert man dieses Problem bei einem fünften Film? Laut Ko-Regisseur Joachim Rønning scheint die Lösung zu sein, Jack zwar charakterlich unverändert zu lassen, aber seine Umstände zu verändern:

"Er hat sein Glück verloren. Und Glück war ein großer Teil seiner Lebenseinstellung", so der Norweger im 'SFX Magazine'. Er führt fort: "Er hat seinen Pfad verlassen, den Horizont nicht mehr im Blick. Er befindet sich nicht mehr auf der See, wenn wir ihm wieder begegnen. Er wurde zu einem Landpiraten und fühlt sich hundsmiserabel. Er ist einsam. Er ist nicht mehr Käpt'n Jack Sparrow. Sondern nur noch Jack."

Das klingt für mich als glühender Fan der Reihe unfassbar traurig - und daher auch sehr aufregend. Dass Käpt'n Jack Sparrow vor einem übernatürlichen Feind flieht, hatten wir bereits in Die Truhe des Todes, somit ist es eine (auf dem Papier) spannende Abwandlung, die Karten neu zu mischen. Hatte Käpt'n Jack damals noch großen Antrieb, die eigene Haut zu retten, ist er doch noch recht frischer Wieder-Kapitän der Black Pearl, könnte es den Ablauf des Katz-und-Maus-Spiels im neuen Film enorm verändern, wenn wir es mit einem deprimierten Jack zu tun haben. Das reizt mich, selbst wenn es mir natürlich weh tut, zu hören, dass der einzigartige Jack Sparrow irgendwann zwischen dem vergangenen und dem neuen Film versackt ist.

Konsequent ist es aber. Wie Davy Jones so schön festhielt: Jack Sparrow ist ein bedauernswerter Kapitän. Recht hat sie, die Tintenfischfresse. Jack hat sein geliebtes Schiff mehrmals verloren, er befindet sich stets mit einem halben Fuß (und oft sogar mit beiden Beinen) im Gefängnis und immer wieder droht ihm der Galgen. Und dennoch würde ich (genauso wie Rønning) dem "alten" Jack immenses Glück zusprechen - laviert er sich doch andauernd auf fantastische Weise aus seinem Schlamassel heraus. Was, wenn dieses Glück nun auch versiegt? Wir werden es Ende Mai sehen!

Samstag, 22. April 2017

Fast & Furious 8


Ganz, ganz langsam mausert sie sich, die Reihe. Aber dort, wo sie andere in ihrer filmischen Rangliste sehen, ist sie in meiner Gunst noch lange nicht angekommen: Fast & Furious ließ mich sechs Filme lang kalt und war mit Teil sieben für mich dann auf leicht frustrierende Weise annehmbar. Die Actioneinlagen sind kreativ, und in Fast & Furious 7 übertönten zahlreiche spaßige Figuren die drögen, langweiligen Figuren, die so lange im Herzen des Franchises standen. Jedoch plagt den siebten Fast & Furious-Film, dass er sich immer und immer wieder auf einen Trick verlässt: Wenn die Figuren in Not sind, gehen sie den denkbar dümmsten Weg mit den niedrigsten Überlebenschancen, um aus ihrer kniffligen Lage zu entkommen. Und stets ist ihnen Fortuna hold.

Der mit massivem Erfolg gestartete, achte Part der Autoactionreihe beendet diesen Glücksreigen der "Familie": Dominic Toretto (Vin Diesel) bekommt während seiner Flitterwochen auf Kuba unerwarteten Besuch von einer mysteriösen Blondine (Charlize Theron). Sie hat etwas in der Hinterhand, das Dom die Sprache verschlägt. Beugt er sich ihrem Willen und verschweigt dies Aussenstehenden, sei alles in Ordnung. Anderweitig werde sie Unaussprechliches anstellen. Und so macht Dom mit ihr gemeinsame Sache. Er sabotiert einen Einsatz, zu dem ihn der befreundete Agent Hobbs (Dwayne Johnson) bittet, und stiehlt eine EMP-Waffe. Hobbs landet aufgrund dessen, dass sein unter der Hand übermittelter Einsatz schief lief, im Gefängnis. Doms Gattin Letty (Michelle Rodriguez) ist baff, aber sicher, dass Dom einen Grund für sein Handeln hatte. Und der Rest von Doms "Familie" genannter Crew halbverbrecherischer Technik- und Auto-Freaks? Der knirscht mit den Zähnen. Können sie dem Wunsch des gutherzigen, aber extrem geheimnisvollen Mr. Nobody (Kurt Russell) nachkommen und Dom aufhalten, dessen jüngstes Handeln die gesamte Welt bedroht?

Aus der (sich trotz dünner Charakterzeichnung sehr ernst nehmenden) Filmreihe über illegale Autorennen wurde sukzessive ein Franchise, das sich als Antwort auf die Frage versteht: "Was wäre, wenn im Mittelpunkt von Mission: Impossible keine sportlichen, gerissenen Agenten stünden, sondern autoversessene, muskulöse Spinner?" Und während Teil sechs sowie sieben mit geradlinigen Subplots über zwischenmenschliche Dynamiken innerhalb der "Familie" einen Hauch von Bodenhaltung aufgewiesen haben, wirft Fast & Furious 8 diesen Gedanken endgültig aus dem Fenster. Angesichts dessen, dass Drehbuchautor Chris Morgan bei diesen Filmen keinerlei Fingerspitzengefühl für kleine, ernste Charaktermomente beweist, ist dies eine sehr willkommene Entwicklung. Und noch eine schlechte Angewohnheit hat sich endlich erledigt. In eine Ecke gedrängt denken sich die Helden nicht mehr so wie in Teil sieben: "Okay, ich stürze mich einfach aus zig Metern gen Boden und hoffe, keinen tödlichen Aufprall zu erleiden."

Ja, die Action in Fast & Furious 8 ist verrückter, unrealistischer und durchgeknallter als in den sieben vorhergegangenen Filmen. Aber sie hat eine höhere innere Plausibilität, weil sich jede noch so hanebüchene Aktion der Protagonisten aus dem Können der Figuren nährt, das sie lachhaft hoch, aber korrekt einschätzen - und nicht aus der Hoffnung, dass die Gravitation gnädig sein wird. Wenn Muskelprotz Hobbs einen Torpedo mit bloßen Händen umlenkt, ist das nach Hollywood-Actionpomp-Wahnsinnslogik schlüssig. Wenn Ex-Fiesling Deckhard Shaw (Jaston Statham) als extrem agil sowie durchtrainiert gezeigt wird, dann kauft man ihm auch ab, bei einem Gefängnisausbruch Dutzende von Wärtern und Polizisten niederzuringen. Und wenn die "Familie" angeblich aus den besten Autofahrern der Welt besteht, dann können die halt mit den besten Autos, die ihnen die US-Geheimbehörden zur Verfügung stellen, auf dem Eis halt Raketen und Schneefahrzeugen ausweichen.

So sehr die Neufokussierung von "Ach, wird schon klappen" zu "Diese Figuren beherrschen X und Y, also machen sie das abartig gut" Fast & Furious 8 davor bewahrt, dass im ganzen Actionbombast zwischendurch die Monotonie aus Teil sieben entsteht: Der Bombastfilm bleibt weiter hinter Genrekollegen wie den besseren der Mission: Impossible-Filme oder dem Gros der 90er-Jahre-Jerry-Bruckheimer-Produktionen zurück. Der Hauptgrund dafür ist die fehlende erzählerische Fallhöhe. Wie diverse schlechte Superhelden- und Agentenfilme schon bewiesen haben: Nur weil die ganze Welt auf dem Spiel steht, ist nicht automatisch Spannung angesagt. In Fast & Furious 8 müssen zwar die Guten gelegentliche Rückschläge hinnehmen, was schon im Alleingang für eine reizvollere Erzähldynamik sorgt als in den meisten Filmen dieser Reihe, dennoch lässt Regisseur F. Gary Gray nie die Befürchtung aufkommen, dass Dom ein Mitglied seiner "Familie" ernsthaft verletzt. Zudem enthüllt Drehbuchautor Chris Morgan sehr zeitig den Grund für Doms Wechsel auf die Seite der Bösen - und eben dieser Grund fällt in die Kategorie "Ein Held wird erpresst, Böses zu tun, aber da alle Welt andauernd betont, wie gerissen und toll und talentiert der Held ist, können wir uns entspannt zurücklehnen und darauf warten, dass er einen Ausweg findet."


Was den zentralen Plotfaden um Dominic Toretto weiter belastet, ist der zähflüssige Ablauf der gemeinsamen Szenen von Vin Diesel und Charlize Theron. Nicht nur, dass Theron ungewöhnlich desinteressiert wirkt und Diesels "dramatisches Schauspiel" als in die Fieslingsecke gedrängter Dom noch weniger überzeugt als die physikalischen Gesetze in dieser Filmreihe: Die Dialogpassagen in Therons Schaltzentrale sind nahezu ausnahmslos zu lang, da sie bereits deutlich vermittelte Dinge mit Umformulierungen wiederholen. Fast jede der Theron/Diesel-Sequenzen hätte um die Hälfte gekürzt werden können, und selbst dann wäre die Story noch sehr leicht verständlich.


Die vier wichtigsten Karten in diesem Auto-Quartettspiel sind unterdessen Dwayne Johnson, Jason Statham, Kurt Russell und Tyrese Gibson. Während Gibson mehrere lässig-alberne Sprüche vom Stapel lässt, punktet Russell als wandelnder Metakommentar. Fast & Furious 8 eröffnet mit einer nicht sonderlich aufregenden Rennsequenz auf Kuba (inklusive miesem CG-Effekt eines sich überschlagenden Autos) und einer visuell desaströsen Actionpassage in Berlin - dazwischen gibt es eine solide, aber etwas zu lange witzige Passage mit Dwayne Johnson als Fußballtrainer sowie träge Dominic-Toretto-Momente. Dann taucht plötzlich Kurt Russell auf und sagt (vermeintlich zu Scott Eastwood in seiner Rolle als strenger Jungagent, in Wahrheit aber zum Film), dass man ja immer sein Publikum kennen sollte. Und man habe es verloren. Also würden die Dinge nun vorerst nach seiner Masche laufen. Und, tada: Plötzlich gibt es ein Wiedersehen mit Jason Statham, der sich ein von Hassliebe erfülltes Wortgefecht mit Dwayne Johnson liefert, einen der wenigen pointierten Theron-Diesel-Momente und einen rasanten Gefängnisausbruch, in dem Johnson und Statham ihre Power als Actionmimen vorführen dürfen. Danach behält Fast & Furious 8 weitestgehend dieses Tempo und die Spritzigkeit in den augenzwinkernden Dialogen bei.

Kaum geht dieser Schwung verloren, schlägt Russell vor, dass wir doch mal viel Spaß im Big Apple haben. Es folgt: Eine irrwitzige Actionszene in New York City, in der ferngesteuerte Autos zombiegleich die Straßen terrorisieren, Vin Diesel zwischenzeitlich ein Outfit anzieht, das einem Horrorfilmschurken passen würde und unsere Helden mit launigen Kommentaren auf den Lippen von ihren Rennschlitten aus versuchen, ihren Kumpel aufzuhalten. Wenn nach der New-York-Szene wieder ein dramaturgischer Durchhänger folgt, ist klar, wer das XXL-Irrsinnsfinale des Films ankündigen darf: Kurt Russell, der seine Kollegen (sinngemäß) daran erinnert: "Ich sagte ja: Ich schau regelmäßig vorbei, um zu gucken, wie ihr euch so schlägt. Gerade läuft's ja so gar nicht, ich schlage Folgendes vor ..."

Für Teil neun schlage ich unterdessen vor: Wie wäre es, sich die Metakritik von Kurt Russells Figur noch in der Drehbuchphase zu Herzen zu nehmen und die Drehbuchmängel noch in der Skriptphase auszubügeln?

Freitag, 21. April 2017

Freitag der Karibik #39


Die Pirates of the Caribbean-Filme sind im Pantheon jener Filme, die von Walt Disney Pictures in die Kinos entlassen werden, eine Rarität. Nicht zuletzt aufgrund ihrer Intensität, die ihnen bislang durchweg hohe Jugendfreigaben einbrachten. In den USA ernteten sämtliche Langfilme rund um Käpt'n Jack Sparrow vom dortigen FSK-Pendant, der MPAA, ein PG-13, was jüngeren Kindern den Zutritt ohne elterliche Begleitung verweigert. Diese Freigabe ging 2003 mit dem ersten PotC-Film, Fluch der Karibik, erstmals an einen Disney-Film und seither sind nur wenige, wenige Filme gefolgt.

Die Freigabebegründungen waren bislang auch nicht ohne. Es ging mit actionhaltiger Abenteuergewalt los, wurde dann erschreckend und letztlich sogar sinnlich und doppeldeutig:
  • Pirates of the Caribbean: The Curse of the Black Pearl (2003): Rated PG-13 for action/adventure violence
  • Pirates of the Caribbean: Dead Man's Chest (2006): Rated PG-13 for intense sequences of adventure violence, including frightening images
  • Pirates of the Caribbean: At World's End (2007):  Rated PG-13 for intense sequences of action/adventure violence and some frightening images
  • Pirates of the Caribbean: On Stranger Tides (2011): Rated PG-13 for intense sequences of action/adventure violence, some frightening images, sensuality and innuendo
Zum Vergleich, hier die wenigen anderen Disney-Filme mit diesem Rating:
  • Prince of Persia: The Sands of Time (2010): Rated PG-13 for intense sequences of violence and action
  • John Carter (2012): Rated PG-13 for intense sequences of violence and action
  • The Lone Ranger (2013): Rated PG-13 for sequences of intense action and violence, and some suggestive material
  • Saving Mr. Banks (2013): Rated PG-13 for thematic elements including some unsettling images
  • The Finest Hours (2016): Rated PG-13 for intense sequences of peril
Mittlerweile steht auch das MPAA-Rating für Pirates of the Caribbean: Dead Men Tell No Tales alias Pirates of the Caribbean: Salazars Rache fest. Und neben den bisherigen Filmen der Reihe sowie Lone Ranger liest es sich ziemlich harmlos:
  • Rated PG-13 for sequences of adventure violence, and some suggestive content
Allerdings ist die MPAA auch (zumindest in Sachen Blockbustertrubel) über die Jahre milde geworden. Ende Mai können wir alle selber entscheiden: Ist es der Härteste der Disney-Piratenfilme, der Mildeste oder irgendwas dazwischen?

Freitag, 14. April 2017

Freitag der Karibik #38

Dieser Beitrag enthält Spoiler zu den ersten vier Pirates of the Caribbean-Filmen. Wer sie bislang nicht gesehen hat: Verflucht noch eins, nachholen!


Ein toter Mann erzählt keine Geschichten. Und, was mich anbelangt, erzählt man in der verfluchten Karibik bitte keine Geschichten mehr mit toten Männern.

Unter den Pirates of the Caribbean-Fans gibt es eine nicht gerade leise Splittergruppe, die sich wünscht, dass in kommenden Einträgen in das Franchise Tode aus den vergangenen Filmen "korrigiert" werden. Vornehmlich trifft dies James Norrington, der in Am Ende der Welt sein Leben ließ, um Elizabeth vor Davy Jones zu bewahren. Doch auch Theodore Groves und Lt. Gillette sind Inhalt von Fanträumen: Ihre stark implizierten Tode in Fremde Gezeiten haben einige Fans aufgebracht. Gefühlt vor allem weibliche Fans, die eine Neigung für nautische Uniformen haben.

Per se spielt es meinem Denken ja sehr in die Hände, wenn sich Leute in Begeisterung für Pirates of the Caribbean-Nebenfiguren üben. Schließlich predige ich seit Jahren, dass die Filmreihe mehr ist als die Käpt'n-Jack-Sparrow-Show. Dessen ungeachtet muss ich sagen: Bitte, bitte lasst die drei Marinejungs im Reich der Toten!

Denn Pirates of the Caribbean ist allem Prunk, Pomp, Protz und Piratenspektakel zum Trotz eine Filmreihe, die narrativ dramatischer ist und sich ernster nimmt als ein trotz einiger schwerfälliger Dialogpassagen vor allem auf Actionirrsinn setzendes Fast & Furious. Diese Autoactionreihe hat bereits einige seifenopernartige Twists gebracht, wird sicher noch allerhand folgen lassen und sie darf das auch. Denn letztlich geht es in ihr um Nichts. Sie will mit Getöse unterhalten. Ich finde derweil, dass Pirates of the Caribbean sehr wohl erzählerische Ambitionen hat. Und als eine so geartete Saga darf sie ihre dramatische Glaubwürdigkeit nicht überstrapazieren.

Im Laufe von vier Filmen haben wir bereits zwei zentrale Figuren über den Jordan geschickt, bloß um sie im nachfolgenden Part zurückzuholen. Da es sich hier um die ewigen Rivalen Käpt'n Jack Sparrow und Barbossa handelt, ist diese Dopplung als thematische Spiegelung (respektive als: "So unterschiedlich sind sie wirklich nicht, es widerfährt ihnen auch dauernd nahezu dasselbe") zu entschuldigen. Darüber hinaus haben wir mit Will Turner eine Figur, die im Sterben lag, um dann mittels eines doppelschneidigen Fluchs am Leben erhalten zu werden, sowie seinen Vater "Stiefelriemen" Bill Turner, dessen Hintergrundgeschichte sehr ähnlich ist.

Pirates of the Caribbean reizt die "Gestorben, aber doch nicht so ganz"-Idee in vier Filmen bereits so stark aus, wie es einer Fantasyreihe vergönnt ist. Nun weitere Figuren zu töten und dann wiederzubeleben, lässt die Saga Gefahr laufen, keine Fallhöhe mehr zu haben. Wenn jemandem etwas tödliches widerfährt, wie wollen wir da noch mitfiebern, wenn wir im Hinterkopf haben: "Höchstwahrscheinlich kehrt die Figur eh bald wieder!"?

Cameos in Geisterform ließe ich noch erdulden, aber eine vollwertige Wiederbelebung? Da habe ich kein gutes Gefühl bei der Sache.

Dienstag, 11. April 2017

Worum handelt es sich beim "Untitled Disney Fairy Tale"?


Disney gibt seinen Fans und Konkurrenten Rätsel auf: Seit Monaten befindet sich ein Untitled Disney Fairy Tale im Kinostartkalender des Medienkonzerns. Da es keinerlei offiziellen News zu diesem Film gab und auch die Gerüchteküche still blieb, lag die Vermutung nahe, dass es sich um eine Karteileiche handelt - um einen vorab abgesteckten Starttermin, der klammheimlich aufgegeben wird, weil die für diesen Termin angedachte Produktion nicht vorwärts kam.

Doch weit gefehlt: Auf der Cinema Con in Las Vegas betonte Disney vor wenigen Wochen nochmal, dass am 28. Juli 2017 in den USA ein Untitled Disney Fairy Tale-Realfilm anlaufen wird. Und auch die deutsche Startliste des Verleihs spricht von einem solchen Film. Hier startet die rätselhafte Produktion jedoch am 3. August 2017. Und so drängen sich zwei Fragen auf: Wieso macht Disney das und um welchen Film handelt es sich dabei?

Warum macht Disney das?

Die Wege des Studios sind einzigartig und unergründlich. Disney ist Vorreiter und Meister in der "Starttermine weit im Voraus abstecken". Dies hat mehrere Gründe: So kann der einen mengenmäßig eher kleinen filmischen Output aufweisende Disney-Konzern den Aktionären signalisieren, aktiv und vorausschauend zu sein. Den Mitbewerbern zeigt diese Taktik, welche Starttermine sie mit ihren Großproduktionen besser meiden sollten. Und bei den Fans sorgt es für Spekulationen und somit für Gratishypevorbereitung.

Doch normalerweise deckt Disney die Titel mit genügend Vorlauf auf. Drei, vier Monate vor Kinostart noch immer einerseits geheimnisvoll zu agieren und keinen Filmtitel zu nennen, andererseits aber explizit zu sein und einen Starttermin für sich zu reservieren (statt einfach still zu sein und plötzlich einen Film aus dem Hut zu zaubern), ist ein sonderbares Verleihgebaren. Eine vorläufige Universalantwort habe ich nicht parat. Aber bei manchen potentiellen Filmen habe ich etwaige Antworten - und bei wieder anderen Filmen, die sich hinter dieser Maske verbergen, bin ich ratlos, weshalb Disney so verfährt. Einen Film werden sie ja wohl haben, der dann startet ?!

Um welchen Film kann es sich beim Untitled Disney Fairy Tale handeln?

Magic Camp: Bei dieser Disney-Komödie handelt es sich um einen von Steve Martin erdachten Film über ein Sommerlager für anstrebende Illusionisten. Das Ensemble besteht unter anderem aus Pitch Perfect-Darsteller Adam DeVine, Arrested Development-Rabenvater Jeffrey Tambor und Community-Ensemblemitglied Gillian Jacobs. Regie führte Freaky Friday-Macher Mark Waters. Was dafür spricht, dass dies der titellose Disney-Film ist? Magic Camp ist eine eher kleine Produktion, weshalb es Disney vielleicht reichen würde, seine Marketingmacht kurzfristig anzusetzen. Zudem behauptet Magier und Entertainer Justin Willman, der als Berater am Film beteiligt war, dass Magic Camp in den USA am 27. Juli startet. Da der 27. Juli ein Donnerstag ist, in den USA aber Filme freitags starten, irrt er entweder völlig, hat sich in der Eile um einen Tag vertan oder er hat sich schlicht vertippt. Was dagegen spricht: Magic Camp ist allen bisherigen Informationen zufolge nur für eine 2D-Veröffentlichung vorgesehen, das Untitled Fairy Tale hingegen für 2D und 3D. Außerdem ist eine Sommerlagerkomödie schwerlich als Märchen zu bezeichnen. Zuletzt: Die Dreharbeiten haben im Januar dieses Jahres begonnen, was bei großer Eile für einen Kinostart diesen Sommer genügen könnte. Da nächstes Jahr aber noch ein Untitled Disney Live Action-Film ansteht, würde ich eher tippen, dass dieser Magic Camp ist.

Tinkerbell: Seit Jahren ist ein Realfilm über die selbstverliebte Fee im Gespräch. Vergangenes Jahr postete Hauptdarstellerin Reese Witherspoon bei Twitter einen mysteriös-verräterischen Beitrag. Ein Film über Tinkerbell, die in unsere Welt gerät, könnte klein genug sein, um bislang unterm Radar zu fliegen und als die wahre Identität des titellosen Films geheim zu bleiben. Aber: Es ist bislang nur bekannt, dass Findet Dorie-Autorin Victoria Strouse das Drehbuch verfasst hat. Kein Regisseur wurde bekannt, genauso wenig, wer sonst mitspielt. Ist der Film noch nicht so weit oder wurde er so hervorragend unter Verschluss gehalten? Wenn zweiteres zutrifft: Wieso? Was gewinnt Disney dadurch, ihn nicht früher anzukündigen? Angst vor Übersättigung, die Die Schöne und das Biest ein paar Milliönchen kosten könnte?

Disenchanted: Die humorige Märchen-Hommage Verwünscht wird zehn Jahre alt. Da wäre es ein hübsches Jubiläumsgeschenk, die bereits bestätigte Fortsetzung überraschend aus dem Hut zu zaubern. Anders als bei Tinkerbell steht mit Adam Shankman auch ein Regisseur fest. Und nicht sogleich zwei Romantikmusicals zu bewerben, die sich aus der Disney-Renaissance nähren, könnte als Marketingstrategie gar nicht mal so dumm sein. Aber: Irgendwer hätte doch was von Dreharbeiten zum Verwünscht-Sequel mitbekommen, oder? Tatsächlich jedoch hat bislang niemand dergleichen gemeldet ...

Dumbo, Der König der Löwen, The Jungle Book 2, Aladdin: All diese effektlastigen Neu- respektive Weitererzählungen bereits bekannter Disney-Stoffe sind zwar bereits semiregelmäßig Bestandteil der Branchenberichterstattung, jedoch sind sie alle offiziell noch in der Vorproduktion und wir müssten es mit meisterhafter Täuschung zu tun haben, sollten sie eigentlich viel weiter fortgeschritten sein.

Christopher Robin alias Winnie the Pooh: Disney arbeitet seit April 2015 an einem Realfilmdrama über den erwachsenen Christopher Robin, der an seine Kinderzeit und (imaginären) Abenteuer mit Winnie Puuh zurückdenkt. Marc Forster steht seit November 2016 als Regisseur fest, und ein solches Drama könnte klein genug sein, um nicht weiter aufzufallen sowie in den Augen der Brancheninvestigativjournalisten unwichtig genug, damit sie dem Projekt nicht hinterherzuschnüffeln. Sollten kurz nach Forsters Anheuerung die Dreharbeiten begonnen haben, könnte der Film im Sommer fertig sein. In Disney-Sprech sind die ganzen Reboots von bereits als Meisterwerk behandelten Stoffen Fairy Tales. Selbst Mulan war bis zur offiziellen Startterminenthüllung ein Untitled Fairy Tale. Das hier würde also passen. Die 3D-Sache? Naja, vielleicht trennt Forster durch 2D und 3D die reale und imaginäre Welt. Wieso Disney es noch nicht bewirbt? Keine Ahnung.

Maleficent 2Ein veralteter, entfernter IMDb-Eintrag behauptete, dass das Untitled Fairy Tale eine Joe-Roth-Produktion ist. Joe Roth verantwortete unter anderem Maleficent, von dem nach dem Kassenerfolg eine Fortsetzung angekündigt wurde. Angesichts der giftigen Rezeption von Alice im Wunderland: Hinter den Spiegeln wäre es glaubwürdig, dass Disney einer weiteren Fortsetzung einer düsteren Neuadaption eines bereits verdisneyfizierten Materials nicht zu viel Vorabaufmerksamkeit zukommen lassen will. Aber: Die Klatschpresse hätte von Dreharbeiten mit Angelina Jolie gewiss Wind bekommen!

Cruella: Ein Realfilm über die 101 Dalmatiner-Schurkin in jungen Jahren. Mozart in the Jungle-Schöpfer Alex Timbers führt Regie, Emma Stone spielt die Hauptrolle. Könnte einerseits genug Wow-Faktor haben, dass Disney ihn als Überraschungsfilm wirksam empfindet, und zugleich kostengünstig genug, um diesen unbewährten Weg zu riskieren. Das mittelgroße Budget würde auch erklären, weshalb der Film, sollte er bereits nahezu fertig sein, noch niemandem auffiel. Da die Deals erst Ende 2016 geschlossen wurden, ist dieser Kandidat aber nur mäßig glaubwürdig. Zudem wüsste ich nicht, ob Disney bei einem Cruella-Film tatsächlich auf 3D bestehen würde.

The Nutcracker and the Four Realms: Lasse Hallströms Neuadaption des bekannten Stoffs von E.T.A. Hoffmann mit Helen Mirren, Mackenzie Foy, Keira Knightley und Morgan Freeman in tragenden Rollen und mit Musik von James Newton Howard. Klingt schonmal klasse. Die Dreharbeiten sollen im Januar 2017 beendet worden sein, was je nach Effektlast eine sehr knappe Postproduktion bedeutet. Aber vielleicht geht Hallström die Route von Joe Wrights Anna Karenina und lässt alles sehr bühnenhaft wirken? Das wäre großartig - und ist bei Disney sehr unwahrscheinlich. Aber vielleicht gerade daher auch die atypische Kommunikation? Man bewerbe einen Film, der auch Stoff für ein Big-Budget-Fantasywerk sein könnte, aber letztlich ein kunstvolles, mittelgroßes Projekt wurde, halt lieber kurz und intensiv. Was diese Theorie zerstört: Warum zum Henker sollte Disney ein so winterlich assoziiertes Projekt im Sommer starten?

Das Biest und die Schöne, Gaston & LeFou, LeFous verrücktes Abenteuer oder sonstein Die Schöne und das Biest-Ableger: Hier die verrückte Fantheorie des Tages: Disney und Regisseur Bill Condon haben den massiven Erfolg von Die Schöne und das Biest erahnt und während dessen langer Postproduktion heimlich einen zweiten Film zusammengeschustert, der im selben Universum spielt oder die Geschichte aus einer anderen Perspektive erzählt. Das wurde noch nicht kommuniziert, um die Kundschaft beim Kartenkauf nicht auszubremsen (es soll ja keiner sagen "Ach, ich warte lieber darauf!"). Nach dem massiven Startwochenende wurde dann seitens Disney gegenüber den Branchenblättern vage über weitere Filme in der Welt dieses Kassenschlagers spekuliert, um die Saat der Neugier in unseren Köpfen zu säen.

So weit meine Gedanken zu dem Thema. Nun bin ich auf eure gespannt!

Montag, 10. April 2017

Collide


Collide eröffnet mit den Folgen eines gewaltigen Unfalls auf einer deutschen Autobahn, begleitet von einem in Pathos schwimmenden Erzählerkommentar. Protagonist Casey (Nicholas Hoult) erklärt in einem Autowrack, welch enormen Antrieb die Liebe einem verleihen kann. Daraufhin dreht Regisseur Erin Creevy die Zeit zurück, um am eigentlichen Startpunkt seiner Actionfilmstory neu anzusetzen. In diesen wenigen Augenblicken hat der vornehmlich für Musikvideos bekannte Regisseur bereits die Karten offen auf den Tisch gelegt. Er ist kein Stück weit an Ruhe, Feinheiten oder Untertreibungen interessiert. Er lässt seine komplett in Deutschland spielende, vornehmlich in Köln und Umgebung gedrehte, internationale Gemeinschaftsproduktion nahezu durchweg so flott wie möglich voran preschen.

Die von Creevy und F. Scott Frazier verfasste Handlung, die sich nach diesem Prolog entfaltet, ist so dünn und geradlinig, dass jeder beliebige Fast & Furious-Film daneben wie ein komplexes und verworrenes Gesellschaftsdrama wirkt. Der Autodieb Casey verließ die ihm heimischen USA, als ihm der Boden unter den Füßen zu heiß wurde. In seiner Wahlheimat Köln übernimmt er kleine Ganovenaufgaben für den filmvernarrten, zugedröhnten türkischen Gangster Geran (Ben Kingsley). Zumindest, bis ihm die bildhübsche Barkeeperin Juliette (Felicity Jones) begegnet und er ihr verspricht, ein besserer Mensch zu werden. Das naive Liebesglück wird jedoch jäh gestört, als bei Juliette ein Nierenversagen festgestellt wird. Um an das unverzichtbare Kleingeld für die rettende OP zu gelangen, willigt Casey ein, für Geran einen letzten, riskanten Job zu übernehmen: Er soll Drogenbaron Hagen Kahl (Anthony Hopkins) berauben …

Das Pedal immer voll durchdrücken. Das ist in Collide die Antwort auf alles. Creevy zeichnet die Beziehung von Juliette und Casey nicht als kleine Turtelei, sondern direkt als große, jeglichen Atem stocken lassende Liebe, die Schicksale überwindet. Inhaltlich untermauert werden die ausschweifenden, inszenatorischen Gesten Creevys nicht – es ist nahezu unmöglich, ein Persönlichkeitsprofil von Juliette zu erstellen oder zu erklären, was die beiden Liebenden charakterlich aneinander finden. Was Creevy und Frazier auf Skriptseite an Substanz auslassen, wird doppelt und dreifach auf bild- und klangästhetischer Ebene wett gemacht. Das Kennenlernen Caseys und Juliettes verschmilzt mit Ausblicken auf ihre nachfolgende Beziehung, bis diese das Geschehen komplett übernehmen und Creevy somit einen Zeitsprung vollzogen hat. Untermalt von gleichermaßen kraftvoller wie schmachtender Popmusik und dargestellt durch Ed Wilds markante fotografische Impressionen wird einem die Funktion dieser Szenenfolge eingehämmert: Liebe ist intensiv. Liebe lässt das Zeitgefühl verschwinden. Wer frisch verliebt ist, der rast unbesorgt durchs Leben, denkt, alles sei möglich.

Es ist eine sehr stylische, die „Der Schein ist Sein!“-Stimmung dieses Actioners schürende Passage. Denn die Figuren in Collide handeln allesamt gemäß der Genredoktrin und manövrieren sich somit durchweg in „Ich regle das schon alleine!“-Risikosituationen, die sich nur durch lockere Sprüche, aberwitzige Tricks und vor allem jede Menge Action lösen lassen. Durch den Einstieg ist all dies aber auch überdeutlich in einem vergnügten, sich nie zu ernst nehmenden Filmuniversum verortet. Nein, Collide ist keineswegs eine Actionfarce. Und die Beziehung zwischen Casey und Juliette wird zwecks narrativer Effizienz mit Pathos aufgeladen. Doch niemals versucht sich Collide am figurenbasierten, redseligen Drama der in Fast & Furious dauerpräsenten „Alles für die Familie“-Manier. Collide fährt seine ganze Strecke in nur zwei Gängen: Strikte Action und das überdrehte, nicht aber parodistische Dazwischen.

Und wer handgemachte Autoaction sehen will, bekommt sie hier auch wiederholt um die Ohren gepfeffert: Von einer lachhaft-offensichtlichen, aus dem Computer stammenden LKW-Frontaufnahme abgesehen setzt Collide auf spektakuläre Autostunts. Nicht im Sinne „Welche aberwitzigen Dinge kann man mit Autos anstellen? Wollen wir ein paar aus einem Flugzeug schmeißen?“ Sondern im Sinne: „Wie haben die das nur gedreht?“ Immer und immer wieder krachen Autos in hohem Tempo ineinander, überschlagen sich, werden beschossen, düsen knapp aneinander vorbei und explodieren. Stuntgewitter pur, so, als hätte man es in den Actionstrecken dieses Films mit einer stunttechnisch einfallsreicheren, besonders kostspieligen Alarm für Cobra 11-Episode zu tun. Was gar kein so absurder Vergleich ist: Creevy bediente sich tatsächlich an der Stuntcrew des RTL-Dauerbrenners.

Collide als Gesamtwerk mit Alarm für Cobra 11 gleichzusetzen, wäre indes ungerecht, geht Creevy doch viel verspielter mit der Alibistory um. Allein schon Ben Kingsley als inkohärent daherschwafelnder, sich selber überschätzender Verbrecherboss kitzelt mit seinen Abschweifungen wiederholt die Lachmuskeln, und auch Nicholas Hoults Kombination aus verwundertem Blick und todernster Miene wird pointiert eingesetzt. Anthony Hopkins dagegen hat sichtbare Spielfreude daran, das Abziehbild eines belesenen Oberschurken zu geben: Hagen Kahl lamentiert theatralisch vor sich hin und ist somit auch ohne Wortwitz eine amüsante Figur. Sinn ergibt sein Vorgehen nur gelegentlich, und manchmal wissen Creevy und Cutter Chris Gill wohl nicht, die Schere anzusetzen, bevor es zu viel des Überbetonten wird. Dafür sind die Actionszenen umso besser geschnitten: Rasant, aber nie so wild, dass die haptischen Stunts bis zur Unkenntlichkeit kleingehackt würden.

Die Strecken, die Casey und seine verbitterten Verfolger hier blitzschnell geografisch zurücklegen, sind zwar ebenso fraglich, wie der von glücklichen Zufällen lebende Plan des überschaubar skizzierten Helden. Und die Frage „Wie kann man das alles überleben?“ hat während Collide-Kinovorführungen besser Saalverbot. Aber Creevy packt seine hohle, vorwärtsgetriebene Action in ein so mitreißend-zügiges, tonal in sich schlüssiges, klanglich kraftvolles Paket, dass es wenigstens ehrlich und unverfälscht ist. Leider geil!

Fazit: Temporeich, humorvoll und dennoch geradlinig: Mit saustarken Stunts, energiereicher Musik und ansehnlicher Optik bietet Collide sehr vergnügliche, hohle Autoaction-Unterhaltung.

Freitag, 7. April 2017

Freitag der Karibik #37

Hisao Sudo und sein Orchester versuchten sich einst daran, He's a Pirate so zu verformen, dass sich die ikonische Pirates of the Caribbean-Melodie für Tango und den Paso Doble eignet ...



Ich würde sagen: Mission erfüllt, klar soweit?!