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Samstag, 11. März 2023

Oscars 2023: Meine Prognose für die 95. Academy Awards


Es ist wieder "Hinterher werden alle Gewinner:innen sowas von offensichtlich sein"-Zeit!

Bester Animationsfilm
  • Guillermo del Toro's Pinocchio
  • Das Seeungeheuer
  • Marcell the Shell with Shoes On
  • Der gestiefelte Kater: Der letzte Wunsch
  • Rot
Auch wenn Der gestiefelte Kater: Der letzte Wunsch seit Ende Dezember kontinuierlich neue Fans gewinnt und beispielsweise der Held des filmaffinen Internets ist (zweitbestbewerteter Film des Jahres 2022 bei Letterboxd): Ich denke, dass es hier keinen Weg gibt, der an Pinocchio vorbeiführt. Dafür ist sein Ansehen in der Filmbranche zu gut, sind seine Besprechungen in der Breite zu positiv, ist del Toros Anziehungskraft innerhalb der Academy zu groß.
Und auch wenn mein Herz etwas lauter für den Kater schlägt: Es wäre ein verdienter Sieger.

Bestes adaptiertes Drehbuch
  • Im Westen nichts Neues, Edward Berger, Lesley Paterson & Ian Stokell
  • Top Gun: Maverick, Peter Craig, Ehren Kruger, Justin Marks, Eric Warren Singer & Christopher McQuarrie
  • Living, Kazuo Ishiguro
  • Glass Onion, Rian Johnson
  • Die Aussprache, Sarah Polley
Ich glaube, das Rennen wird sich zwischen Im Westen nichts Neues, der seit Wochen im englischsprachigen Raum ordentlich an Zugkraft zulegt, und Sarah Polleys wenig gesehene, aber viel bewunderte Romanadaption Die Aussprache entscheiden. Knapp sehe ich Polley vorne: Es ist die Kategorie, um dem Film etwas Liebe zukommen zu lassen, und vereint die Votingfraktion "Starke Dialoge" mit diejenigen, die eine starke Erzählstruktur würdigen.

Bestes Original-Drehbuch
  • Triangle of Sadness, Ruben Östlund
  • The Banshees of Inisherin, Martin McDonagh
  • Everything Everywhere All at Once, Daniel Kwan & Daniel Scheinert
  • Die Fabelmans, Steven Spielberg & Tony Kushner
  • Tár, Todd Field
Selbst in einem Jahr, in dem sich das Klima innerhalb der Filmindustrie nicht für die schräge Art von Everything Everywhere All at Once geöffnet hätte, wäre der Film hier ein Topkandidat. Dieses Jahr und nach den zahlreichen Auszeichnungen erst recht.

Beste Kamera
  • Im Westen nichts Neues, James Friend
  • Elvis, Mandy Walker
  • Empire of Light, Roger Deakins
  • Tár, Florian Hoffmeister
  • Bardo, die erfundene Chronik einer Handvoll Wahrheiten, Darius Khondji
Ich denke, das machen Im Westen nichts Neues, Elvis und Tár unter sich aus. Und tippe mal auf die hypnotische Sogkraft von Elvis.

Beste Kostüme
  • Babylon, Mary Zophres
  • Black Panther: Wakanda Forever, Ruth E. Carter
  • Elvis, Catherine Martin
  • Mrs. Harris und ein Kleid von Dior, Jenny Beavan
  • Everything Everywhere All at Once, Shirley Kurata
Der "Wow, das und das und das ikonische Outfit haben die aber sehr gut getroffen"-Effekt könnte Elvis zum Sieg bringen.

Bester Schnitt
  • The Banshees of Inisherin, Mikkel E.G. Nielsen
  • Tár, Monika Willi
  • Elvis, Jonathan Redmond & Matt Villa
  • Everything Everywhere All at Once, Paul Rogers
  • Top Gun: Maverick, Chris Lebenzon & Eddie Hamilton
Noch bevor sich abgezeichnet hat, dass Everything Everywhere All at Once von den großen Filmpreisen akzeptiert wird, meinte ich: Dieser Film müsste den Oscar für den besten Schnitt gewinnen.
Ich werde diese Haltung jetzt nicht verraten, indem ich einen anderen als Sieger vorhersage.

Bestes Produktionsdesign
  • Avatar: The Way of Water, Dylan Cole, Ben Procter & Vanessa Cole
  • Babylon, Florencia Martin & Anthony Carlino
  • Elvis, Catherine Martin & Karen Murphy
  • Die Fabelmans, Rick Carter & Karen O'Hara
  • Im Westen nichts Neues, Christian M. Goldbreck, Ernestine Hipper
So viele detailreich ausstaffierte Sets in Babylon, kann das die generell spaltende Art des Films übertrumpfen?

Bester Dokumentarfilm
  • All that Breathes
  • All the Beauty and the Bloodshed
  • Fire of Love
  • A House Made of Splinters
  • Navalny
Die Doku-Sparte bringt mich regelmäßig zur Verzweiflung: Sage ich den vermeintlich sicheren Gewinnerfilm vorher, gewinnt eine Überraschung. Und umgekehrt. Für mich entscheidet es sich dieses Jahr zwischen Fire of Love (hervorragende Kritiken, wird für seine Bildgewalt und seine Emotionalität gefeiert, ist dank Disney+ leicht zugänglich und hatte somit viel Zeit, Buzz zu gewinnen) und All the Beauty and the Bloodshed (thematisch schwerer, aufwühlender und "wichtiger", spricht über die Relevanz von Medien). Ich gehe dieses Jahr auf "Relevanz" statt "Gefühl".

Bester Doku-Kurzfilm
  • Die Elefantenflüsterer
  • Haulout
  • How Do You Measure a Year?
  • The Martha Mitchell Effect
  • Stranger at the Gate
Meine Prognose: Die Horden an Walrössern ziehen die Aufmerksamkeit der Oscar-Stimmberechtigten auf sich.

Bester internationaler Film
  • Argentina, 1985, Argentinien
  • Im Westen nichts Neues, Deutschland
  • Close, Belgien
  • The Quiet Girl, Irland
  • EO, Polen
Pans Labyrinth verlor einst in dieser Kategorie gegen Das Leben der Anderen, obwohl del Toros Film auch in weiteren Sparten nominiert war. Es wäre also ausgleichende Gerechtigkeit, wenn dieses Mal ein vielfach nominierter deutscher Film den vermeintlich sicheren Oscar versäumt. Doch es wäre auch eine statistisch unweise Prognose. Müsste ich raten, wer in einer Wiederholung des 20 Jahre zurückliegenden Ereignisses dem Antikriegsfilm ein Schnippchen schlägt: Mein Gefühl sagt The Quiet Girl.

Bestes Makeup & Hairstyling
  • Im Westen nichts Neues
  • The Batman
  • Black Panther: Wakanda Forever
  • Elvis
  • The Whale
Die tollen Frisuren in Elvis (plus die zusätzlichen Pfunde an Austin Butler gen Ende) gegen die zusätzlichen Kilos on The Whale und Colin Farrell Verwandlung in The Batman. Oder zieht Im Westen nichts Neues mit seinem rundum großen Buzz davon? Nur das Marvel-Sequel erscheint mir hier trotz guter Arbeit eine unwahrscheinliche Wahl, und sage: Elvis hat einfach mehr Razzle Dazzle und gewinnt daher.

Beste Filmmusik
  • Babylon, Justin Hurwitz
  • The Banshees of Inisherin, Carter Burwell
  • Die Fabelmans, John Williams
  • Im Westen nichts Neues, Volker Bertelmann
  • Everything Everywhere All at Once, Son Lux
Eines Tages wird die Filmgeschichtsschreibung kollektiv den Kopf schütteln, weshalb Babylon bei den Oscars nicht mehr abgeräumt hat. Aber Justin Hurwitz' Ohrwürmer sind zu mitreißend, als dass sie ignoriert werden könnten.

Bester Song
  • Lift Me Up aus Black Panther: Wakanda Forever
  • This is a Life aus Everything Everywhere All at Once
  • Naatu Naatu aus RRR
  • Applause aus Tell It Like A Woman
  • Hold My Hand aus Top Gun: Maverick
Ich halte den Sieg von Naatu Naatu nicht für derart sicher, wie manche Kolleg:innen. Schließlich kommen zwar die Nominierungen aus der Musiksparte der Academy, während die gesamte Academy über den Sieg entscheidet. Und da rechne ich mit einigen, die RRR nicht gesehen haben und lieber diese Kategorie nutzen, um hier für einen favorisierten Film abzustimmen. Sollte sich hier also beispielsweise Top Gun: Maverick durchsetzen: Ich werde keine verwirrten Fragezeichen über dem Kopf haben. Dennoch: Mein Tipp geht gen Indien, weil sich die großen, ernst(er)en (Abspann-)Nummern gegenseitig auf den Füßen rumtreten.

Bester Animations-Kurzfilm
  • The Boy, the Mole, the Fox and the Horse
  • The Flying Sailor
  • My Year of Dicks
  • Ice Merchants
  • An Ostrich Told Me the World Is Fake and I Think I Believe It
Hoffentlich verleiht Riz Ahmed den Preis in dieser Kategorie, damit er diese Titel noch einmal vorlesen kann. Und obwohl die Trick-Kurzfilmkategorie seit vielen Jahren sehr mainstreamig ist und oft der niedlichste Nominierte gewinnt: Die stilistisch vielseitige, intim-ehrliche Coming-of-Sexual-Age-Geschichte My Year of Dicks wird gewinnen, so mein Gespür.

Bester Kurzfilm
  • An Irish Goodbye
  • Le Pupille
  • Nattrikken
  • The Red Suitcase
  • Ivalu
Indikatorpreise und "Es liegt Irland in der Luft" ergeben zusammen diese Prognose.

Bester Ton
  • Im Westen nichts Neues
  • Avatar: The Way of Water
  • The Batman
  • Elvis
  • Top Gun: Maverick
Top Gun: Maverick brachte die Kinos zum Beben und damit die Kassen zum Klingeln, nun ist es an der Zeit, dafür einen Oscar einzusacken.

Beste Effekte
  • Avatar: The Way of Water
  • Black Panther: Wakanda Forever
  • The Batman
  • Im Westen nichts Neues
  • Top Gun: Maverick
Es gewinnt nicht jedes Mal der teuerste Film, wie Ex_Machina bewiesen hat. Und nachdem monatelang fehlberichtet wurde, dass Top Gun: Maverick ja komplett praktisch gedreht wurde, könnte die Erkenntnis, wie viel hier top getrickst wurde, den Film an James Camerons Epos vorbeitragen.

Bester Nebendarsteller
  • Brendan Gleeson, The Banshees of Inisherin
  • Barry Keoghan, The Banshees of Inisherin
  • Ke Huy Quan, Everything Everywhere All at Once
  • Brian Tyree Henry, Causeway
  • Judd Hirsch, Die Fabelmans
Ke Huy Quan hat praktisch alles gewonnen, wofür er in den vergangenen Monaten nominiert wurde. Sehe diese Siegesserie nicht mehr abreißen.

Beste Nebendarstellerin
  • Kerry Condon, The Banshees of Inisherin
  • Jamie Lee Curtis, Everything Everywhere All at Once
  • Stephanie Hsu, Everything Everywhere All at Once
  • Hong Chau, The Whale
  • Angela Bassett, Black Panther: Wakanda Forever
Ich kann mir noch immer nicht vorstellen, dass Bassett für "Ein bisschen streng und traurig gucken in einem Marvel-Film" einen Oscar gewinnt, und tippe daher auf "Oh, eine Ikone in einem vielfach beachteten Film"-Gewinnerin Curtis.

Beste Hauptdarstellerin
  • Ana de Armas, Blonde
  • Michelle Yeoh, Everything Everywhere All at Once
  • Cate Blanchett, Tár
  • Michelle Williams, Die Fabelmans
  • Andrea Riseborough, To Leslie
Es entscheidet sich zwischen Yeoh und Blanchett, in beiden Fällen habe ich jetzt schon die Schnauze voll von den reißerischen Essays und Tweets am Folgetag, in beiden Fällen gewinnt eine starke Schauspielerin in einer großartigen Rolle. Aber ich sage hier Blanchett vorher, die einfach noch eine Spur magnetischer ist in ihrem Film (so jedenfalls meine Meinung) und weil dies die Kategorie ist, wo Academy-Mitglieder, die Tár mögen, am ehesten ihre Begeisterung kanalisieren werden.

Bester Hauptdarsteller
  • Paul Mescal, Aftersun
  • Colin Farrell, The Banshees of Inisherin
  • Austin Butler, Elvis
  • Bill Nighy, Living
  • Brendan Fraser, The Whale
Es ist fatal, auf die "Willkommen zurück"-Narrative reinzufallen, schließlich hat Mickey Rourke auch keinen Oscar für The Wrestler bekommen. Aber da alle Zeichen darauf deuten, dass beim Nebendarsteller sehr wohl diese Karte gespielt wird, tippe ich hier ebenfalls darauf, dass sich die Academy in einer sentimentalen Stimmung befindet.

Beste Regie
  • Ruben Östlund, Triangle of Sadness
  • Martin McDonagh, The Banshees of Inisherin
  • Daniel Kwan & Daniel Scheinert, Everything Everywhere All at Once
  • Steven Spielberg, Die Fabelmans
  • Todd Field, Tár
Wenn die Daniels diesen Oscar nicht gewinnen, wird "Bester Film" nochmal richtig spannend.

Bester Film
  • Im Westen nichts Neues
  • Avatar: The Way of Water
  • The Banshees of Inisherin
  • Elvis
  • Everything Everywhere All at Once
  • Die Fabelmans
  • Tár
  • Top Gun: Maverick
  • Die Aussprache
  • Triangle of Sadness
Wären die vielen Indikatorpreise nicht gewesen, ich würde denken, dass der Film "zu seltsam" für Branchenpreise ist, aber so langsam zieht das Argument nicht. Aber wenn ein Film Everything Everywhere All at Once ausstechen könnte, dann The Banshees of Inisherin.

Freitag, 20. Januar 2023

Oscars 2023: Meine Prognose für die Nominierungen bei den 95. Academy Awards


Die Academy Awards bleiben auch in der Saison 2022/2023 ein undurchsichtiger Mischmasch aus offensichtlichen Antworten und Unberechenbarkeiten. Nach zwei stark von der Pandemie beeinflussten Jahren ist dieses Mal vor allem ein Element für meine Verwirrung zuständig: Zwiegespaltener Diskurs!

Babylon etwa hat zwar viele negative Kritiken und ein desaströses US-Einspielergebnis, doch diejenigen, die ihn lieben, lieben ihn. Sind genug Leute von diesem Schlag in der Academy, um ihm Nominierungen zu sichern? Top Gun: Maverick ist ein sehr gut gemachter, aber inhaltlich total normaler Action-Blockbuster - reicht das dieses Jahr aus, um die Academy in einen ähnlichen Taumel der Begeisterung zu versetzen wie die US-Presse, große Teile der internationalen Presse und das zahlende Publikum?

Everything Everywhere All at Once würde in jedem anderen Jahr als "zu schräg für die Academy" abgetan, aber reichte das monatelange Dauerfeuer an Hype seitens Filmfans und der Presse aus, um im Zusammenspiel mit der Verjüngung der Academy doch mehrere Nominierungen herbeizuwillen? 

Egal, wie es kommt: Am Ende wird es heißen "war doch klar!" Babylon, Top Gun: Maverick und Everything Everywhere All at Once sind drin? "Klar, deren Fans sind doch so vehement!" Sie werden aus dem Rennen ausgeschlossen? "War doch klar: Zu kontrovers, zu tumb, zu schräg!" 

Und was ist mit Die Fabelmans, einem Film, den viele als sichere Bank sahen, der in seinen ersten Schüben der Veröffentlichung auch viel und positiv diskutiert wurde, dann an den US-Kinokassen unterging und in der Industrie wenig besprochen wurde, bevor er gegen Ende der Nominierungs-Votingphase wieder an Fahrt zulegte, etwa durch die auf einmal wieder beachteten Golden Globes?

Ich bin sehr gespannt, was uns am Dienstag erwartet. Meine Vermutungen besagen, dass es folgendes Feld sein wird:

Bester Animationsfilm
  • Guillermo del Toro's Pinocchio
  • Der kleine Nick
  • Marcell the Shell with Shoes On
  • Der gestiefelte Kater: Der letzte Wunsch
  • Rot
Bestes adaptiertes Drehbuch
  • Im Westen nichts Neues, Edward Berger, Lesley Paterson & Ian Stokell
  • Glass Onion, Rian Johnson
  • Living, Kazuo Ishiguro
  • The Whale, Samuel D. Hunter
  • Die Aussprache, Sarah Polley
Bestes Original-Drehbuch
  • Aftersun, Charlotte Wells
  • The Banshees of Inisherin, Martin McDonagh
  • Everything Everywhere All at Once, Daniel Kwan & Daniel Scheinert
  • Die Fabelmans, Steven Spielberg & Tony Kushner
  • Tár, Todd Field
Beste Kamera
  • Im Westen nichts Neues, James Friend
  • Elvis, Mandy Walker
  • Empire of Light, Roger Deakins
  • Nope, Hoyte Van Hoytema
  • Top Gun: Maverick, Claudio Miranda
Beste Kostüme
  • Babylon, Mary Zophres
  • Black Panther: Wakanda Forever, Ruth E. Carter
  • Elvis, Catherine Martin
  • Mrs. Harris und ein Kleid von Dior, Jenny Beavan
  • The Woman King, Gersha Phillips
Bester Schnitt
  • Avatar: The Way of Water, David Brenner, James Cameron, John Refoua & Stephen E. Rivkin
  • Babylon, Tom Cross
  • Elvis, Jonathan Redmond & Matt Villa
  • Everything Everywhere All at Once, Paul Rogers
  • Top Gun: Maverick, Chris Lebenzon & Eddie Hamilton
Bestes Produktionsdesign
  • Avatar: The Way of Water, Dylan Cole, Ben Procter & Vanessa Cole
  • Babylon, Florencia Martin & Anthony Carlino
  • Elvis, Catherine Martin & Karen Murphy
  • Die Fabelmans, Rick Carter & Karen O'Hara
  • Glass Onion, Rick Heinrichs
Bester Dokumentarfilm
  • All that Breathes
  • All the Beauty and the Bloodshed
  • Fire of Love
  • Moonage Daydream
  • Navalny
Bester Doku-Kurzfilm
  • The Elephant Whisperers
  • The Flagmakers
  • Holding Moses
  • How Do You Measure a Year?
  • 38 at the Garden
Bester internationaler Film
  • Argentina, 1985, Argentinien
  • Im Westen nichts Neues, Deutschland
  • Close, Belgien
  • Die Frau im Nebel, Südkorea
  • EO, Polen
Bestes Makeup & Hairstyling
  • Babylon
  • The Batman
  • Black Panther: Wakanda Forever
  • Elvis
  • The Whale
Beste Filmmusik
  • Babylon, Justin Hurwitz
  • The Banshees of Inisherin, Carter Burwell
  • Die Fabelmans, John Williams
  • Guillermo del Toro’s Pinocchio, Alexandre Desplat
  • Die Aussprache, Carter Burwell
Bester Song
  • Lift Me Up aus Black Panther: Wakanda Forever
  • Til You're Home aus Ein Mann namens Otto
  • Naatu Naatu aus RRR
  • Applause aus Tell It Like A Woman
  • Hold My Hand aus Top Gun: Maverick
Bester Animations-Kurzfilm
  • The Boy, the Mole, the Fox and the Horse
  • The Flying Sailor
  • My Year of Dicks
  • New Moon
  • An Ostrich Told Me the World Is Fake and I Think I Believe It
Bester Kurzfilm
  • An Irish Goodbye
  • Le Pupille
  • Nakam
  • The Red Suitcase
  • Warsha
Bester Ton
  • Im Westen nichts Neues
  • Avatar: The Way of Water
  • Babylon
  • Elvis
  • Top Gun: Maverick
Beste Effekte
  • Avatar: The Way of Water
  • The Batman
  • Doctor Strange in the Multiverse of Madness
  • Nope
  • Top Gun: Maverick
Bester Nebendarsteller
  • Brendan Gleeson, The Banshees of Inisherin
  • Barry Keoghan, The Banshees of Inisherin
  • Ke Huy Quan, Everything Everywhere All at Once
  • Paul Dano, Die Fabelmans
  • Eddie Redmayne, The Good Nurse
Beste Nebendarstellerin
  • Kerry Condon, The Banshees of Inisherin
  • Jamie Lee Curtis, Everything Everywhere All at Once
  • Stephanie Hsu, Everything Everywhere All at Once
  • Hong Chau, The Whale
  • Jessie Buckley, Die Aussprache
Spätestens durch ihren Globe-Gewinn und ihre Nominierung bei den SAG Awards nehmen immer mehr Oscar-Expert:innen Angela Bassett mit in ihre Prognose auf. Doch ich kann mir nicht helfen: Weder Black Panther noch Avengers || Endgame haben es geschafft, eine erste MCU-Schauspiel-Nominierung zu bewerkstelligen.
Also lässt sich sagen, dass die Academy in Sachen Schauspielwürdigung nicht an das MCU denkt, und ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Film, dessen Blockbusterbuzz von Avatar: The Way of Water weggewalzt wurde, da groß was ändern wird. Zumal die Academy-Mitglieder, die etwas außerhalb des Rahmens denken schon ihr Stimmgewicht hinter Everything Everywhere All at Once werfen müssen...

Beste Hauptdarstellerin
  • Ana de Armas, Blonde
  • Michelle Yeoh, Everything Everywhere All at Once
  • Cate Blanchett, Tár
  • Danielle Deadwyler, Till
  • Viola Davis, The Woman King
Die vernünftige Prognose wäre, Michelle Williams für Die Fabelmans anstelle von Ana de Armas vorherzusagen: Die Academy liebt gut zusprechende Mutterfiguren, Steven Spielberg und Michelle Williams! Aber: Williams wurde nicht für den SAG Award nominiert, also den Preis der Schauspielgilde! Und selbst wenn SAG und die Academy Awards in dieser Kategorie nicht immer deckungsgleich sind, gehe ich dieses Jahr einfach diesen Weg.

Die jüngere, internationalere Zusammensetzung der Academy lässt sich, so meine Vermutung, eher auf den umstrittenen Blonde ein. Wir werden es sehen...

Bester Hauptdarsteller
  • Paul Mescal, Aftersun
  • Colin Farrell, The Banshees of Inisherin
  • Austin Butler, Elvis
  • Bill Nighy, Living
  • Brendan Fraser, The Whale
Beste Regie
  • James Cameron, Avatar: The Way of Water
  • Martin McDonagh, The Banshees of Inisherin
  • Daniel Kwan & Daniel Scheinert, Everything Everywhere All at Once
  • Steven Spielberg, Die Fabelmans
  • Todd Field, Tár
Bester Film
  • Im Westen nichts Neues
  • Avatar: The Way of Water
  • Babylon
  • The Banshees of Inisherin
  • Elvis
  • Everything Everywhere All at Once
  • Die Fabelmans
  • Tár
  • Top Gun: Maverick
  • The Whale
Kürzlich sicherte sich Im Westen nichts Neues satte 14 Nominierungen bei den BAFTAs - und da beide Akademien einige Überschneidungen in der Zusammensetzung haben, halte ich es also für sehr wahrscheinlich, dass Deutschland einen Film im "Bester Film"-Oscar-Rennen stellen wird. Kurios, dass aus dem Land des ständig selbstgeißelnden "Wir können keine guten Filme!"-Aufrufs bislang so wenig Begeisterung über das Awards-Abschneiden, ach, über den Film generell zu vernehmen war.

The Whale hat zwar abseits Brandan Frasers Performance eher für zwiegespaltene Reaktionen gesorgt, aber ab und zu ist der Academy sowas egal. Und: Filme mit einer lautstark zelebrierten männlichen Performance rutschen üblicherweise auch ins Rennen um diese Kategorie.

Dass Top Gun: Maverick letztlich nicht nominiert wird, halte ich für wahrscheinlicher als wohl viele Oscar-Tippspielende. Doch dieses Oscar-Rennen ist so kurios, ich möchte keinen als sicher geltenden Tipp für ein törichtes Wagnis abgeben, also behalte ich den Mega-Blockbuster in meiner Vorhersage. Aber sollte er oder ein anderer Titel rausfliegen und dafür Glass Onion reinkommen, ich wäre nicht erstaunt.

Mittwoch, 4. Mai 2022

Doctor Strange in the Multiverse of Madness



Sinister- und Erlöse uns von dem Bösen-Regisseur Scott Derrickson erklärt im Audiokommentar zu Doctor Strange einen der Schlüsselkonflikte seines Marvel-Cinematic-Universe-Films: Wut ist seiner Ansicht nach eine Maske, hinter der sich zumeist Angst verbirgt. Und Angst generiere sich laut Derrickson zumeist aus Verlust.

Im Januar 2020 wurde bekannt, dass der Doctor Strange-Macher entgegen anfänglicher Pläne das Sequel Doctor Strange in the Multiverse of Madness nicht inszenieren wird. Dennoch nimmt die Fortsetzung seine Schlussfolgerung "Wut ist maskierte Angst, Angst entsteht durch (erlittenen oder erwarteten) Verlust" und steigert sie massiv. Daher auch der zweideutige Filmtitel: Viel zu einfach ist man dazu verleitet, ihn einzig als "Doctor Strange im Multiversum der Merkwürdigkeit" zu verstehen. Schließlich gab bereits Stephen Stranges kurzer Multiversumtrip im ersten Doctor Strange einen bizarren Vorgeschmack auf die multiversalen Möglichkeiten.

Jedoch wird mit "Madness" nicht bloß "grotesk", "eigenartig" und "schrullig" konnotiert. "Madness" bedeutet abhängig vom Kontext auch "Tobsucht". Drehbuchautor Michael Waldron (Loki, Rick & Morty) und der Derricksons Platz einnehmende Tanz der Teufel-, Spider-Man- und Drag Me to Hell-Regisseur Sam Raimi leben eben diese diffuse Bedeutung des Filmtitels mit glühendem Eifer aus.

Denn der nunmehr 28. (!) Marvel-Cinematic-Universe-Film steckt nicht nur voller konfuser Anblicke und skurriler Späße. Seine Antriebsfeder ist nämlich Zorn, der Angst kaschieren soll, wodurch Doctor Strange in the Multiverse of Madness zu einem Big-Budget-Genrevertreter des "Spielkind-Horrors" wird: Sam Raimi haut wie ihm Wahn mit aus der Wut diverser Figuren motivierten, finsteren Designs, morbiden Ereignissen und schaurigen inszenatorischen Kniffen um sich, sowie mit deformierten Wesen, die das verkümmerte Innere ins Äußere verkehren.

Wie es seine markante Art ist, dient Raimi nicht etwa als Antrieb, sein Publikum zu verstören, selbst wenn er ein paar Schrecken und Augenblicke des Angewidertseins dankend in Kauf nimmt. Viel mehr strahlt seine Inszenierung eine diabolische Freude an Visualisierungen eines korrumpierenden Jähzorns aus. Der filmemacherische Aspekt von Doctor Strange in the Multiverse of Madness vibriert daher ständig zwischen "Schau mal, was solche Gefühle und Gedanken mit uns machen" und einem ansteckend-amüsiertem "Guck mal, was ich mir hab einfallen lassen!" 

Das ist längst nicht Raimis dreckigster Ansatz, jedoch ein sündig-boshaftes Vergnügen, das nicht nur überdeutlich seine Handschrift trägt, sondern auch den Handlungsmotiven und Charakterbögen des Films gerecht wird.

Mit dem Zornmotor durch das Multiversum gescheppert

Ähnlich wie der kürzlich in den deutschen Kinos gestartete Everything Everywhere All At Once wäre Doctor Strange in the Multiverse of Madness ohne das in der Filmhandlung unentwegt angesprochene Konzept eines Multiversums denkbar, wenngleich weniger lohnenswert. Denn beide Filme lassen die Idee mehrerer verbundener Paralleluniversen, durch die man mit ausreichend geleistetem Aufwand reisen kann wie durch ferne Länder, nicht zum Selbstzweck verkommen.

In Everything Everywhere All At Once dient das Verknüpfen zahlreicher (mitunter haarsträubend-durchgeknallter) Universen, um den Weltschmerz der von Michelle Yeoh gespielten Protagonistin ebenso kreativ wie nachdrücklich zu unterstreichen: "Hätte ich damals nur... Wäre mir einst bloß... Wieso habe ich nicht..."-Gedankenexperimente, die in Momenten der Langeweile, des Stresses und vor allem zutiefst empfundener Unzufriedenheit durchexerziert werden, werden in der schrill-bunten Dramödie des Regie-Duos Daniel Kwan & Daniel Scheinert schlagartig greifbare Wirklichkeit. 

Doctor Strange in the Multiverse of Madness derweil hätte auch als Doctor Strange and the Emotional State of Madness konzipiert werden können: Was in Everything Everywhere All At Once Überlegungen des Bedauerns sind, ist in diesem Film gärender Zorn über Ungerechtigkeit, Bigotterie, ungleichmäßig verteilte Glücksaussichten und die Starrsinnigkeit Anderer, sich einfach mal in fremde Positionen zu denken. Das wäre ohne Multiversum umsetzbar, und Doctor Strange in the Multiverse of Madness trägt diverse wiederkehrende Sam-Raimi-Motive vor sich her, mit denen er Frust, Korrumpierbarkeit und finstere Verführungen bereits in anderen Filmen angepackt hat. Durch den Multiversumsaspekt vergrößert sich allerdings die Spielwiese, auf der Raimi und Waldron sich austoben können, und für die Figuren intensivieren sich emotionale Fallhöhe sowie Verdruss.

Dem über allem stehenden Aspekt der Wut konsequent folgend, macht Doctor Strange in the Multiverse of Madness gewaltigen Druck: Gemeinsam mit Avengers | Infinity War und The Return of the First Avenger (alias Captain America: Winter Soldier) bildet Raimis Regiearbeit die Erzähltempo-Speerspitze im MCU. Das Publikum sowie die zentralen Figuren werden unmittelbar ins chaotische Geschehen gestürzt und daraufhin artet es nahezu unaufhörlich aus. Teils in Form von Science-Fantasy-Superhelden-Spektakel in glühender, überbordend detaillierter, farblich satter Sam-Raimi-Ästhetik, die zwischen Gothic, Stoner Rock und makabrem Camp oszilliert. Teils mittels Popcornspektakel-Grusel-Setpieces.

Lediglich eine nennenswerte Insel der Ruhe gönnt sich Doctor Strange in the Multiverse of Madness, eine Phase, in der die Heldenfiguren ihre Gedanken sortieren und sich mit Hintergründen, Lösungsansätzen und der Aufarbeitung brennender Fragen beschäftigen. Eine Atempause, die gewiss etwas kürzer hätte ausfallen können. Allerdings ist sie aus narrativer und tonaler Sicht notwendig, selbst wenn sie auf dem ersten Blick überflüssig, womöglich von Produzent Kevin Feige ferngesteuert erscheinen mag. Sie ist ein atypisch früh erfolgendes, jedoch pro­non­ciert eingesetztes retardierendes Moment, durch das der anschließende Akt erst seine zornig-dringliche Energie verliehen bekommt.

Es ist Raimi, der diesen Wahnwitz zusammenhält und in einen soghaften Vorwärtsdrang kanalisiert. Mit seinen schubartigen Kamerafahrten, im exakt richtigen Moment in eine Schräge kippenden Kamera (hier geführt von Gladiator-Filmer John Mathieson), gelegentlichen POV-Shots, sehr spärlich eingesetzten, wirkungsvollen Blicken des Casts exakt in die Linse und dem tolldreisten Wechseln von übernatürlichem Geprotze zu Albernheit zu Gravitas zu Gewaltspitzen. Gewaltspitzen, die glatt einer Herausforderung an Gore Verbinski gleichen. An den Regisseur, der vier Mal mit effektlastigen Big-Budget-Erlebnissen die Grenzen dessen auslotete, was in einem "Vier-Quadranten-Film" mit US-Freigabe PG-13 respektive einer deutschen FSK-Freigabe ab zwölf Jahren möglich ist. 

Ob Verbinski eines Tages Doctor Strange in the Multiverse of Madness sehen, "Herausforderung angenommen!" raunen und einen noch feisteren PG-13-Härterausch nachlegen wird, muss sich noch zeigen. Schon jetzt hat sich dagegen gezeigt, dass Elizabeth Olsen es versteht, ihre Figur der Wanda Maximoff von Projekt zu Projekt völlig neu zu erfinden und dennoch eine stringente Entwicklung zur Schau zu stellen, sowie eine konstante Intensivierung ihres Spiels.

Cumberbatch wechselt unterdessen mühelos von Facette zu Facette seiner Rolle, Quasi-Newcomerin Xochitl Gomez gibt dem Film eine unverbrauchte Energie zwischen Ängstlichkeit und "Ich lass mich nicht unterkriegen"-Kampfeswillen und der Rapport zwischen Benedict Wong und Cumberbatch ist einmal mehr höchst amüsant.

Komponist Danny Elfman untermalt den sinistren Zornestrubel, in denen die Figuren gestürzt werden, effektiv und mit zahlreichen klanglich heraussteckenden Kanten, selbst wenn noch mehr erzürnter Zunder und dämonischer Sog drin gewesen wäre. Aber vielleicht wäre das zwischen dem, was Raimi, Olsen und Cumberbatch allesamt an schweren Geschützen auffahren, damit Doctor Strange in the Multiverse of Madness ohne Rücksicht auf Verluste durch die multiplen abgefahrenen Dimensionen der Tobsucht brettern kann, sogar zu Ballast geworden?

Doctor Strange in the Multiverse of Madness ist ab sofort in vielen deutschen Kinos zu sehen.

Freitag, 25. Februar 2022

Meine Lieblingsfilme 2021 (Teil III)

Was bisher geschah...

Platz 30: Peter Hase 2 (Regie: Will Gluck)

Drei Jahre nach seinem überraschend erfolgreichen und überraschend gewitzt-charmanten Peter Hase setzt Regisseur Will Gluck die Geschichte des rotzbengeligen, dennoch herzlichen Langohrs fort. Und dieses Mal unterstreichen Gluck und der mit ihm für das Drehbuch verantwortliche Patrick Burleigh die Selbstironie des Vorgängers doppelt und dreifach! Peter Hase 2 handelt unter anderem davon, dass die liebenswürdigen, harmlosen Kindergeschichten der Autorin Beatrix Potter aufgrund des Drucks eines Geschäftsmanns (herrlich schmierig-grinsbackig: David Oyelowo) für eine massentauglichere, modernere Weiterverwertung frecher, lauter, größer und wilder werden sollen. Der Metahumor glänzt, der Slapstick hat tolles Timing, die flauschigen Figuren aus Teil eins werden schön weiterentwickelt und es gibt einen herrlich komischen Heist auf einen Bauernmarkt. Deadpool 2 trifft Paddington 2, was für ein Spaß! (Noch dazu einmal mehr kongenial synchronisiert mit Christoph Maria Herbst in Höchstform.)

Platz 29: Spider-Man: No Way Home (Regie: Jon Watts)

Ein großes Meta-Festival zu feierlichen, manchmal auch selbstkritischen Ehren des filmischen Spider-Man-Erbes und des Stands des Marvel Cinematic Universe, voller engagiert-amüsierter Superhelden-Performances, jeder Menge Witz und einer erstaunlich raffiniert eingefädelten Weiterentwicklung des Charakters Peter Parker. In der Mitte zieht er sich ein klein wenig, weshalb ich diese Popcornparty nicht noch höher in den Top 30 ansiedle. Trotzdem ein toller Abschluss der Home-Trilogie!

Platz 28: Yes, God, Yes (Regie: Karen Maine)

In schlanken, prägnanten 78 Minuten lässt Regisseurin und Autorin Karen Maine das Umfeld wieder aufleben, in dem sie einst ihre Sexualität entdeckt hat. Nämlich das unerotischste Umfeld, das sie sich als weiße US-Amerikanerin aus Iowa vorstellen kann: Katholische Jugendfreizeiten. Hauptdarstellerin Natalia Dyer spielt die neugierige, verschreckte, eine rebellische Ader und umso mehr Schuld entwickelnde Protagonistin brillant, die Dialoge sind (inklusive ihres christlichen Pathos) wie aus dem Leben gegriffen und wie Maine Empathie, Zorn und Witz vereint, um ihre Gedanken über Doppelmoral zu verarbeiten, ist einfach klasse.

Platz 27: Eternals (Regie: Chloé Zhao)

Vor atemberaubenden Schauplätzen lässt Chloé Zhao eine Gruppe praktisch gottähnlicher Superheld:innen über Pflichtbewusstsein, Ethik, Individualität und den Wert einzelner Leben sinnieren. Das Ganze hat Witz, schön ausdifferenzierte Figuren und einen starken Score von Ramin Djawadi. Klasse Film, zu Unrecht von der US-Kritik abgewatscht und aktuell völlig verdient in einer Art zweitem Aufwind, was seine allgemeine Rezeption angeht.

Platz 26: Pieces of a Woman (Regie: Kornél Mundruczó)

Vanessa Kirby und Shia LaBeouf geben wahre Tour de Forces als Pärchen ab, das nach einer Fehlgeburt versucht, zurück in den Alltag zu finden. Rechtsstreitigkeiten, Familienstress, Schuldzuweisungen, in sich hineingefressene Schuld, Zorn und emotionale Abgestumpftheit ergeben einen explosiven Gefühlscocktail, den Kornél Mundruczó mit kühler Zielstrebigkeit einfängt. Auf Ellen Burstyns improvisierten, konfusen Wutmonolog mittendrin könnte ich verzichten, aber allein schon das die Kehle zuschnürende Intro sichert dem Film eine Position in diesem Ranking.

Platz 25: Die Erlösung der Fanny Lye (Regie: Thomas Clay)

1657 in England: Zwei unbekleidete Fremde (Freddie Fox & Tanya Reynolds) suchen Unterschlupf auf der Farm des Kriegsveteranen John Lye (Charles Dance), der ein straffes Regiment auf seinem Grund und Boden führt. Doch die religiös liberalen, eloquenten jungen Leute fangen an, Johns Gattin Fanny (Maxine Peake) von Selbstbestimmung und sexueller Freiheit zu überzeugen und seinen Sohn... haltet euch fest... mit Spielen zu bespaßen! Das ist reinster Schock und Horror in Johns Augen, und so kommt es, wie es kommen muss: Ein Machtspiel zwischen den Weltanschauungen beginnt. Thomas Clay inszeniert dies als packenden Slowburner voll Sinnlichkeit, hervorragenden Monolog-Wettbewerben und fesselnden Performances. Große Klasse.

Platz 24: inside (Regie: Bo Burnham)

Bo Burnhams absurdes Kammerspiel inside vereint Comedyspecial-Duktus, Pandemie-Echokammer, Depressionstalk und seufzendes Generationenselbstporträt zu einer unwiderstehlichen Mischung aus Galgenhumor, medialer Selbstkritik, Ohrwürmern, Eskapismus und entnervtem Lachen in den bunt schimmernden Abgrund. Und ein bisschen UMBERTO! ist es auch.

Platz 23: Seitenwechsel (Regie: Rebecca Hall)

Rebecca Hall empfiehlt sich mit ihrem Langfilm-Regiedebüt Seitenwechsel (oder, wie es im Original deutlich treffender betitelt ist: Passing) als Top-Regisseurin, die wir alle im Blick behalten sollten. Ihre Romanadaption über zwei einst befreundete Schwarze, die unterschiedliche Lebensentwürfe haben, abhängig davon, wie sehr sie als weiß durchgehen, ist sensible Charakterstudie, stichelnde Gesellschaftskritik und großartige Bühne für Ruth Negga und Tessa Thompson, um schauspielerisch aus den Vollen zu schöpfen.

Platz 22: Nobody (Regie: Ilja Naischuller)

Manchmal sind es die einfachen, unscheinbaren Dinge, die so richtig einschlagen. Wie Nobody von Hardcore Henry-Regisseur Ilja Naischuller, ein wunderbar geradliniger Actionfilm, der dank eines großartig aufgelegten Bob Odenkirk, launig-herber Actionchoreografie, eines spaßigen Schurken und seines knackigen Erzählflusses einfach mächtig Bock macht. Jeder Kinobesuch war eine Sause!

Platz 21: The Power of the Dog (Regie: Jane Campion)

Jane Campions Western-Drama The Power of the Dog ist ein atmosphärischer Blick auf Menschen, die sich abschotten, indem sie Rollen einnehmen, aus denen sie ihr wahres Ich nur selten durchbrechen lassen. Der gesamte Cast spielt bemerkenswert, allen voran Benedict Cumberbatch und Kirsten Dunst. Der Score von Johnny Greenwod ist intensiv, die Bildwelten rau und die Charaktere höchst sensibel, selbst wenn sie alles tun, außer sich dies einzugestehen. 

Fortsetzung folgt...

Sonntag, 6. Februar 2022

Meine Lieblingsfilme 2021 (Teil I)

Ich habe mir wieder einmal den Januar über Zeit genommen, um das filmische Vorjahr sacken zu lassen und über meine Favoriten nachzudenken. Wieder einmal habe ich noch längst nicht alle 2021er Filme gesehen, die ich gerne gesehen hätte, aber man darf nicht vergessen: Jedes Jahr kommen weltweit Hunderte und Aberhunderte neue Filme heraus. Es wäre bereits eine Lebensaufgabe, auch nur mit den Neuveröffentlichungen während der eigenen Lebenszeit Schritt zu halten. Irgendwann muss ich halt für das zurückliegende Filmjahr wenigstens als halboffizielles Fazit einen Schlussstrich ziehen. Und der erfolgt hiermit.

Diese 50 Produktionen, die 2021 entweder ihre offizielle deutsche Ersterscheinung feierten oder aber 2021 im Festivalrahmen aufgeführt wurden und beim berühmt-berüchtigten "Redaktionsschluss" noch keinen "normalen" Starttermin hatten, ließen mein Filmherzen am lautesten in die Luft springen. Mal, weil ich sie besonders stark umgesetzt finde, mal, weil sie bei mir die richtigen Knöpfe gedrückt haben, wieder andere Male, weil sie mir im richtigen Moment unter die Augen gekommen sind. Oder, da wollen wir ehrlich sein: Weil sie volles Rohr meinen Geschmack treffen. Denn das hier ist keine Nominierungsliste für einen allgemeingültigen Kanon. Sondern ungefiltert, voll und ganz meine Liste. Klar soweit?! Na dann... Los!

Platz 50: Ich bin dein Mensch (Regie: Maria Schrader)

Unorthodox-Regisseurin Maria Schrader kreiert zusammen mit Co-Autor Jan Schomburg frei nach einer Kurzgeschichte von Emma Braslavsky eine Welt, in der Dating-Algorithmen obsolet geworden sind: Wieso das Internet nach dem perfekten Menschen durchforsten, wenn man den für sich perfekten Menschen erschaffen kann? Humanoide, künstliche Intelligenzen, die haarklein nach den Wünschen für den perfekten Lieblingsmenschen gebildet wurden, haben in dieser fiktiven, nahen Zukunft die Liebeswelt revolutioniert und machen rechtliche sowie philosophische Fragen über das Menschsein auf. Wissenschaftlerin Alma (nuanciert: Maren Eggert) lässt sich im Rahmen einer Studie ihren idealen Partner (befremdlich und doch ansprechend: Dan Stevens) bauen. Was folgt, ist eine mit Loriot-Feinsinn-Skurrilität gewürzte Grübelei darüber, was echt ist und wie viel Zufall Liebe braucht, sowie eine distanziert-melancholische Romanze, oberflächlich zwischen Mensch und Menschmaschine, zwischen den Zeilen zwischen verkopfter Wissenschaftlerin und ihrer in Vergessenheit geratenen Zuneigung zu sanften Gefühlen. Persönliches Urteil: Ein lächelnd geseufztes Hach! mit Denkfalten in der Stirn.

Platz 49: Judas and the Black Messiah (Regie: Shaka King)

Mit etwas Abstand bin ich zunehmend unentschlossener, ob ich Shaka Kings aufwühlendes Historiendrama nicht doch eine etwas stärker fokussierte Erzählperspektive gewünscht hätte. Dessen ungeachtet ist es ein aufwühlendes Stück Kino, das sein Publikum mitten in eine explosive gesellschaftliche Stimmung versetzt, in der den US-Geheimdiensten jedes Mittel recht und billig war, um die Bewegung für gleiche Rechte zwischen Menschen jeglicher Hautfarbe zu diskreditieren. LaKeith Stanfield und Daniel Kaluuya spielen mit Wucht und Intensität und die Dialoge haben große Sogkraft, vor allem die Reden Kaluuyas als Frank Hampton.

Platz 48: Everybody's Talking About Jamie (Regie: Jonathan Butterell)

Das erste, aber längst nicht das letzte Musical in meiner filmischen Favoritenliste 2021: Basierend auf einem Bühnenmusical, das wiederum auf einer BBC-3-Dokumentation basiert, erzählt Everybody's Talking About Jamie mit Verve, Style, Schmiss und Emotion eine britische Coming-of-Age-and-Coming-Out-Geschichte. Die Songs mögen nicht die einprägsamsten sein, aber es gibt auch keinen Ausreißer nach unten, sondern sind allesamt gefällige Kompositionen, die dem Cast die Bühne geben, sich ordentlich auszutoben. Max Harwood gibt einen sympathischen Protagonisten mit Makeln, Richard E. Grant ist als wohlmeinender, aber vergrämter Mentor eine Wohltat und alles in allem hat mir der Film einfach richtig gute Laune gemacht.

Platz 47: Things Heard & Seen (Regie: Shari Springer Berman & Robert Pulcini)

Meine werte, mich wie ihre Westentasche kennende Kollegin Antje hatte mir Things Heard & Seen ans Herz gelegt, mit dem Kommentar, ich würde den Film sicher mögen, weil er wie ein Rücksturz auf die teils eher an Dramen erinnernden Gruselfilme wirkt, die der Disney-Konzern zwischenzeitlich unter diversen Labels rausbrachte. Und was soll ich sagen? Antje kennt mich. Things Heard & Seen ist ein Beziehungsdrama das gelegentlich ins Horrorgenre ragt, und diese betont unspektakuläre, freundlich-dramatisch-schaurige Grundtonalität des Films hat es mir irrational angetan. James Norton und Amanda Seyfried geben ein glaubwürdiges Paar mit Problemen ab, Seyfried meistert den tonalen Balanceakt, Natalia Dyer ist eine charismatisch-unheilvolle Präsenz und die an Gemälde der Hudson River School erinnernden, unheilvoll-schönen Bilder sind bei mir prägnanter in Erinnerung geblieben als das meiste, was das "echte" Horrorkino 2021 zu bieten hatte.

Der Film mag gemeinhin verrissen worden sein, aber ich habe das Gefühl, dass er mit mir als Teil seines Zielpublikums im Sinn gemacht wurde. Und, ja, was soll's: Ich entlohne diese gezielte Ansprache mit einer Platzierung in meinen Jahrescharts, denn diese Ambition, mir zu schmeicheln, schmeichelt mir.

Platz 46: Die Mitchells gegen die Maschinen (Regie: Mike Rianda)

Familienaussöhnung trifft Robo-Apokalypse in einem Energy-Drink-Animationsfilm voller schriller Situationen, rasantem Dialogwitz und liebenswerten Figuren, die ein bisschen panne sind, aber genau das ist es, was sie so liebenswert macht. Hinzu kommt eine verspielte Ästhetik und dass unsere Heldin Katie riesiger Filmfan mit großem Vorstellungsvermögen ist, sorgt ebenfalls für viel Spaß.

Platz 45: The Hand of God (Regie: Paolo Sorrentino)

Nach seinem 204 Minuten langen Berlusconi-Epos Loro reißt sich Paolo Sorrentino wieder am Riemen, ohne seine Vorliebe für ruhiges, Anekdoten allmählich zu einer runden Geschichte ergänzendes Erzählen zu verraten: In The Hand of God verarbeitet der Regisseur während 130 wunderschön fotografierter, autobiografischer Minuten die emotional diffizile Zeit, als ihm seine Fußballbegeisterung das Leben gerettet hat. Intensives Italienflair und Zeitkolorit treffen auf kauzige Figuren und eine schwermütige, perplexe Stimmung zwischen Freiheitsgefühl und Beklommenheit. 

Platz 44: Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings (Regie: Destin Daniel Cretton)

Der Finalakt könnte etwas Straffung und bessere Effekte vertragen. Doch davon abgesehen ist Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings ein Ritt durch neue Winkel des Marvel Cinematic Universe, der mir richtig Freude bereitet hat. Simu Liu ist als Shang-Chi ein charismatischer, zwischen sogleich mehreren Welten/Kulturen balancierender Held, der Halt sucht, Awkwafina hat als Katy Chen das Potential, einer der erfrischendsten MCU-Sidekicks zu werden, Tony Leung gibt (wenig überraschend) eine facettenreiche, verletzliche Performance als getriebener, gefährlicher Vater und Gangsterboss und Meng’er Zhang rockt in ihrer Debütrolle. Launiges Blockbusterkino mit Persönlichkeit.

Platz 43: Free Guy (Regie: Shawn Levy)

Wohl meine größte Filmüberraschung 2021: Die Kombination aus Shawn Levy, Gaming-Thematik und den recht anstrengenden Trailern sowie Ryan Reynolds' nunmehr patentiert-verkrampften Bemühungen, virales Marketing in Gang zu setzen, hat mir vorab absolute Minuslust auf diese Komödie gemacht. "Da passt doch nichts zusammen!", dachte ich. Selbst die hocherfreute Reaktion meiner geschätzten Filmgedacht-Partnerin Antje, deren Pressevorführung wieder einmal vor meiner stattfand, gab mir keinerlei Vertrauen in diesen Film. Und dann habe ich mich ins Kino gesetzt. Und habe fast zwei Stunden am Stück durchgegrinst.

Reynolds spielt nicht wieder sich selbst, sondern eher eine Will-Ferrell-Figur im Körper einer Ryan-Reynolds-Rolle: Ein ewig positiver, naiver Kindskopf, der dazulernen und die Welt nicht nur auskosten, sondern auch verbessern will. Jodie Comer ist charmant, taff, witzig und trägt die kuscheligsten Filmpullover, die ich seit langem im Kino gesehen habe. Ja, selbst Chris Evans' Pullis aus Knives Out sehen daneben kratzig und unbequem aus. Die Gags sitzen, Christophe Becks Score ist schön (und gipfelt in einen Wiederaufgriff des Paperman-Scores), die Cameos machen Laune und diese ungeheuerlich positive, freundliche, optimistische, überzeugend-lebensbejahende Grundattitüde des Films kommt nicht nur völlig unerwartet, sie hat mich durch und durch bezaubert.

Kurzum: Free Guy mag die Kosten und den Anschein eines Popcorn-Franchiseblockbusters aufweisen. Aber in Wirklichkeit ist er ein richtig schöner Vertreter des Genres "Sonntagnachmittagskuscheldeckenfilm". 💖

Platz 42: OSS 117 – Liebesgrüße aus Afrika (Regie: Nicolas Bedos)

12 Jahre nach OSS 117 - Er selbst ist sich genug kehrt der frivol-süffisant-arrogant-dämlich grinsende französische Spitzenagent OSS 117 zurück. Und er ist kein Stückchen besser geworden: Das ewige Relikt verkrusteter gesellschaftlicher Ansichten lächelt sich mit Dickschädel, unverschämtem Glück und geschmackvoller Mode durch die 1980er-Jahre, bleibt eine wandelnde Verballhornung von James Bond und beweist dieses Mal, wie denkbar wenig er von den Schäden der französischen Kolonialpolitik weiß. Jean Dujardin verleiht dem Ganzen nach zwei Filmen von Michel Hazanavicius nun unter der Regie von Nicolas Bedos ebenso sehr Schmielappigkeit wie Charme, die Situationskomik ist auch im dritten Teil der Reihe ebenso brillant wie herrlich-stumpf und es vergeht kaum eine Filmminute ohne gut sitzende Pointe, bissigen Seitenhieb oder detailgenauer Verehrung der guten Seiten früherer Genregenüsse. Und oft genug gibt's alles zusammen.

Platz 41: PG: Psycho Goreman (Regie: Steven Kostanski)

Ein machtgieriges Gör kann dank eines Artefakts einen außerirdischen, mörderischen Krieger nach ihrer Pfeife tanzen lassen, und nutzt das nicht nur, um ihren Bruder zu nerven: PG: Psycho Goreman ist eine Popcorn-Kostümparty für die Mitternachtsschiene, voller herrlicher, zitierwürdiger Einfälle, liebevoll gestalteter Kostüme und urkomischer Gewaltspitzen. Prost!

Fortsetzung folgt...

Mittwoch, 3. November 2021

Eternals

 


Regisseurin/Autorin Chloé Zhao ist bislang vornehmlich für ihre leisen Arbeiten bekannt, die sich im semi-dokumentarischen Stil zwischenmenschlichen Dynamiken nähern. Songs My Brothers Taught Me widmet sich einem Sioux-Geschwisterpaar. The Rider ist ein beeindruckendes Porträt eines Rodeo-Reiters, der bei einem schweren Unfall enorme Verletzungen davongetragen hat und sich dennoch wieder in den Sattel schwingen will - und Zhao fängt seinen Antrieb ebenso akribisch ein wie die Reaktionen seines überforderten, hin- und hergerissenen Umfelds. Und Nomadland widmet sich im selben Tonfall der bittersüßen Poesie darin, wie wacker sich von der rücksichtslosen Wirtschaft abgehängte "Jobnomaden" ein Leben in Würde erkämpfen, wo das System keine Würde mehr vorgesehen hat.

Es ist nur konsequent für eine Filmemacherin, die große Passion für die dornige Komplexität von Situationen und Gefühlslagen aufbringt, dass sich auch Chloé Zhao nicht einfach in eine einzelne Schublade stecken lässt. Denn selbst wenn ihre ersten drei Regiearbeiten zweifelsohne aus demselben Holz geschnitzt sind, so sind Zhaos Interessen breiter gefächert als "unmittelbar aus dem Leben gerissene, leise Schicksalsgeschichten". Die unter anderem von Spike Lee unterrichtete Verehrerin der Arbeiten von Werner Herzog, Ang Lee, Wong Kar-wai und Terence Malick ist auch comicvernarrt, inniger Sci-Fi-Fan, fieberte daher beispielsweise Denis Villeneuves Dune entgegen (und war letztlich überaus begeistert vom Endergebnis), schwärmt von James Camerons Terminator und hat einen weiterhin aktiven Fanfiction-Account (den sie jedoch nicht offenlegen will). Es war also nur eine Frage der Zeit, bis Zhao sich in die Genrewelten des Fantastischen bewegt.

Mit ihrem vierten Film ist es nun so weit: Bereits nach The Rider ging Zhao mit einer umfangreichen Präsentation bewaffnet auf die Marvel Studios zu - sowie mit der Bitte, ein Projekt zu übernehmen. Sie war daher sowohl für Black Widow als auch für Eternals im Gespräch. Sie erhielt für den Letztgenannten den Zuschlag und entwickelte ihn während ihrer Arbeit an Nomadland. Wir werden wohl nie erfahren, wie Zhaos Black Widow geworden wäre, aber ich kann mir schwer vorstellen, dass der Agentinnen-Actioner eine bessere Wahl für Zhao dargestellt hätte: Zwar ist einer der Schwerpunkte des Auftaktfilms der Phase IV im Marvel Cinematic Universe die diffizile Familiendynamik, in der sich Natasha Romanoff befindet, allerdings bietet Eternals Zhao eine viel breitere Spielwiese, um ihren Stil und ihre schreiberischen Sensibilitäten in fabulöse Welten zu übertragen.

Eternals handelt von einer zehnköpfigen Gruppe nahezu unsterblicher Personen, den Eternals. Ihnen wurde von den gottgleichen Wesen namens Celestials der Auftrag gegeben, sich auf der Erde unter die Menschen zu mischen und sie vor blutrünstigen Monstern namens Deviants zu beschützen. Aber auch nur vor ihnen. Vor Jahrhunderten schienen sie alle Deviants bezwungen zu haben, doch nach den Ereignissen aus Avengers || Endgame tauchen die drahtig-muskulösen Viecher wieder auf. Also müssen sich die über den ganzen Globus verteilten Heldinnen und Helden sammeln. Doch frühere Konflikte und jahrtausendelang verschleppte Gewissensbisse erschweren die Mission ... 

Zhao und die ebenfalls für das Drehbuch verantwortlichen Patrick Burleigh, Ryan Firpo & Kaz Firpo überfrachten ihr Publikum im Prolog mit mythologischen Begrifflichkeiten, Erklärungen und Andeutungen. Nach diesem etwas erzählerisch holprigen Einstieg breiten sie allerdings eine ruhig, doch konzentriert aufgezäumte Geschichte vor ihrem Publikum aus, in dem sich nahezu unsterbliche, menschenähnliche Wesen mit massiven Kräften von einer Zwickmühle in die nächste begeben. Diese sind interpersoneller Natur, kämpferischer Art oder betreffen ethische/philosophische Fragen.

Vor allem letzter Aspekt ist von Interesse: Zhao macht in Eternals nämlich das, was sich im Superheldenkino aufgrund der dort agierenden, mächtigen Figuren nahezu aufdrängt, abseits ihr jedoch nur Zack Snyder mit Man of Steel im Mainstream auf auffällige Weise tat. Sie widmet sich dem Dilemma, wie denn als gütig behauptete und überaus mächtig geschilderte Figuren Leid zulassen können - geht also einer vercomicten Version der Theodizeefrage nach. Bedenkt man, dass Snyders "Superman kann ja auch nicht andauernd alle retten"-Film mein klarer Favorit unter seinen DC-Filmen ist, damals jedoch auch viel Schelte abbekommen hat, kommt mit angesichts der bisherigen Eternals-Reaktionen prompt ein Déjà-vu ... 

Mit Man of Steel teilt sich Eternals auch die zwischen Zeitebenen springende Erzählweise, wobei Zhao in den Rückblenden durch die Menschheitsgeschichte düst und dies gleichermaßen für Kostüm- und Kulissenprunk nutzt wie für das sehr beiläufige Säen von Zwietracht, Misstrauen, Zuneigung und Vertrauen innerhalb der titelgebenden Truppe. Beispielsweise wird der von Kumail Nanjiani mit viel Witz verkörperte, jedoch auf's Kämpfen spezialisierte Kingo als jemand gezeigt, der im privaten Umfeld ein lockeres Mundwerk hat und neidisch auf die Gabe von Sprite (Lia McHugh) ist, die lebensechte Projektionen erzeugen kann und diese in ruhigen Momenten nutzt, um die Sterblichen zu unterhalten. Dass Kingo in der Gegenwart der Handlung als seit Jahrzehnten tätiger Bollywood-Star aufkreuzt, der nach all der Zeit im Showbiz noch vorlauter und schnippischer ist und mehr flotte Sprüche raushaut als zuvor, ist eine fast schon erschreckend schlüssige Begründung Zhaos, mit Kingos Wiedereingreifen in die Handlung ein Comic Relief einzuführen.

Nicht alle Eternals bekommen gleich viel erzählerische Aufmerksamkeit, der koreanische Filmstar Don Lee etwa fällt mit seiner Rolle nahezu unter den Tisch, wohingegen beispielsweise die taube Lauren Ridloff ihrer Heldin in ihren wenigen Szenen eine fesselnde Energie verleihen kann und McHugh als Sprite überzeugend zwischen ewig-jugendlicher Frische und jahrtausendealtem Frust balanciert. Gemma Chans Sersi dient mehr oder minder als Protagonistin, hält sich jedoch zurück, statt dem Film mit Nachdruck ihren Stempel aufzudrücken. Das reibt sich mit den MCU-Sehgewohnheiten, sind die Filme der Marvel Studios, klammert man Black Panther und Chadwick Bosemans sehr stark die Bälle zum Nebencast passende Performance aus, ja gemeinhin stark auf ihren zentralen Star ausgerichtet. Trotzdem (oder gerade deshalb) sollte man Chans Leistung in Eternals nicht unterschätzen - wenn ich schauspielerisch was zu mäkeln habe, trifft das viel mehr Kit Harrington als Sersis Love Interest und Richard Madden als ihr Ex und Eternal-Kollege zu. Beide ackern sich für meinen Begriff zu steif durch ihre Szenen, wobei Ramin Djawadis urig-epochaler Soundtrack durchaus die eine oder andere Szene ordentlich vorantreibt und dabei auch das Spiel der beiden Herren im besten Sinne zu übertönen versteht.

Visuell ist Eternals die Handschrift Zhaos noch stärker anzumerken als darin, in welchem Duktus sie die Dialogpassagen taktet. Kameramann Ben Davis schafft allerhand hübsche Panoramen, und die digitalen Trickeffekte sind nach den in ihren schwächeren Momenten etwas angestaubt wirkenden Black Widow und Shang-Chi eine echte Wonne. Wenn manche dieser digital getricksten Elemente mit mahnender Schwere im Bild stehen bleiben, darf sogar Gänsehaut aufkommen - vorausgesetzt, man ist zu diesem Zeitpunkt noch emotional und gedanklich in das Geschehen involviert.

Die durchwachsenen Vorabkritiken zu Eternals machen mir deutlich, dass das längst nicht auf alle zutreffen wird, ich aber würde nur den Einstieg des Films etwas begradigen und beim nahezu obligatorischen Actionfinale (das sich allerdings viel organischer entwickelt und zügiger abspielt als bei den vergangenen zwei Phase-IV-Filmen) ein paar Minuten stutzen. Sonst bin ich echt angetan vom Film und bin gespannt, ob (und wenn ja: wie) Zhaos nachdenklich-kurzweilige Sci-Fi-Vision weitergeht. Vielleicht werden wir bei ihrer achten Regiearbeit schlauer sein?

Fazit: Eternals gut. Gerne mehr. Weitere große Worte überlasse ich den zehn Eternals.

Freitag, 5. März 2021

Meine unsortierten Gedanken zu "WandaVision"

Spoilerwarnung: Ich setze voraus, dass ihr die Serie bereits komplett gesehen habt! 

Der Schlussakkord wurde unnötig unterbrochen. Mit dieser Negativität wollen wir beginnen.

Denn der Entschluss von Disney+ und den Marvel Studios, WandaVision wöchentlich zu veröffentlichen, statt die komplette Serie in einem Rutsch online zu stellen, kam in meinen Augen der Serie sehr zugute. Bloß hätten es idealerweise acht Folgen sein sollen, statt neun. Die Serie nicht mit einer XXL-Folge abzuschließen, sondern mit zwei XL-Episoden, hemmte für mich die Emotionalität dessen, wie alles zu einem Ende findet.


Episode acht (Was bisher geschah ...) und Episode neun (Das Serienfinale) stellen zwei Seiten derselben Medaille dar: Folge acht lässt uns schmerzlich nah Wendepunkte in Wandas Leben mit ansehen, und ermöglicht somit eine ungefilterte Kostprobe dessen, was in der von Elizabeth Olsen so wandelbar und komplex verkörperten Protagonistin vorgeht. "Survivor's Guilt", Kummer, das Gefühl, alleingelassen zu werden, Wut, Weltschmerz, all dies rumort in dieser Frau, die obendrein Kräfte hat, die sie selber nicht begreift. Auf der Superheldenserien-Ebene der Serie, und somit wortwörtlich in der Welt von WandaVision, ist das in dem Sinne zu verstehen, dass Wanda eine Hexe mit außerordentlicher Macht ist. Im übertragenen Sinne, wenn man bedenkt, auf welcher Thematik diese Serie fußt, ist damit gemeint, dass Wanda fähig ist, ihren Schmerz zu verarbeiten ... Aber aufgrund eines Mangels an sie verstehenden Vertrauenspersonen, einer ihr auf Augenhöhe begegnenden Trauerbegleitung, und angesichts eines falschen Selbstverständnisses, vergräbt sie alles, was sie verletzt, zu tief in ihrem Inneren, und begibt sich in eine (weil dies eine Marvel-Serie ist: wortwörtliche) Weltflucht, die in dieser Intensität nur noch mehr Leid nach sich zieht. 


Während die achte Episode somit vorführt, wie wir dort angelangt sind, wo die Serie begonnen hat, dreht sich Folge neun darum, dass Nutznießer und Antreibende von Wandas Elend in Zaum gehalten werden. Sowie darum, dass Wanda dieses fatale Tief verlassen muss, Selbsterkenntnis betreibt und den Preis dafür bezahlt (oder wenigstens den Willen zeigt, ihn zu bezahlen), wie sie anderen Schmerz dadurch zugefügt hat, dass sie ihrem eigenen Kummer ungesund entgegnete. Und weil dies halt eine Marvel-Cinematic-Universe-Serie ist, äußert sich dieser Prozess in allerhand Supergekloppe und Superkräfte-Strahlenrumgeschleuder. 


Durch das Veröffentlichen dieses Schlussaktes von WandaVision in Form von zwei Episoden, die noch dazu mit einer Woche Abstand erschienen sind, lag zwangsweise der Schwerpunkt der Finalfolge auf physischer Auseinandersetzung. Genauer gesagt auf physischer Auseinandersetzung übernatürlich befähigter Individuen. Und dann wurden auch noch weite Strecke dieser Kämpfe in der matschigen "Strahlen treffen auf Strahlen, und das Bild ist völlig mit unförmigem Zaubernebel überfrachtet"-Ästhetik ausgetragen, die schon Filme wie Batman v Superman: Dawn of Justice, Wonder Woman oder Justice League plagte. Das ist nicht der Eindruck, den ich aus dem Finale einer Serie wie WandaVision nehmen möchte. Ist das doch einer Serie, die mit den Mitteln der Superheldenerzählung und Mysteryelementen, von Verdrängung sowie Trauerbewältigung erzählt!

Daher hätte ich es besser gefunden, wären die Episoden acht und neun als eine große Folge veröffentlicht worden. Gerne auch noch mit gestutzter Action in der zweiten Hälfte und einem kürzeren Agatha-Rückblick (der zwar inhaltlich berechtigt ist, aber in der gebotenen Länge zu viel erzählerisches Gewicht von Wanda wegnimmt) zu Beginn der ersten Hälfte. 


Aber: Das betrifft in dieser Intensität ja nur meine unmittelbare Rezeption des Finales. Die Serie als solche verliert durch dieses Ende nur minimal als Überzeugungskraft. Und mit Ausnahme von Episode vier (die als Perspektivwechsel nicht nur eine strukturell erquickliche Zäsur darstellt, sondern zudem eine wertvolle, empathisch-kritische Außenansicht auf Wandas Position bringt), hätte ich zudem die S.W.O.R.D.-Szenen halbiert, da sie sich zu sehr auf die Zahnräder innerhalb der MCU-Logik der Serie konzentrieren, statt Wandas Charakterbogen voranzubringen. Doch das waren dann auch schon all meine nennenswerten Kritikpunkte.


Insgesamt bin ich nämlich überaus angetan von WandaVision. Verdrängungsmechanismen in Form einer außer Kontrolle geratenen Superkraft darzustellen, ist eine ebenso ungewöhnliche wie entwaffnende Art, sich dem Thema zu nähern. Geradlinige Dramen darüber mögen zweifelsohne den Reiz haben, dass sie authentisch und lebensnah wirken, allerdings erlauben sie auch, sich emotional zu wappnen und vor den Inhalten zu sperren, weil man ja weiß, worauf es hinausläuft. Die Nähe auf einer Ebene des Erzählprozesses gestattet eine Distanznahme auf einer anderen.

Ähnlich, wie Animationsfilme es vermögen, durch ihre künstlerische sowie gekünstelte Präsentation die "Verteidigung" des Publikums zu lockern, gestattet es der mystische Überbau von WandaVision, derweil, unbedarfter an seine Thematik zu schreiten. Es ist weniger wirklichkeitsgetreu, aber es kann auf andere Weise an Echtheit zulegen. So haben halt alle Erzählkulturen ihre Vorzüge, die fabelhafte und die bodenständigere ... 

Ich mein: Mir war von Beginn an klar, dass eine anfangs Episode für Episode eine andere Sitcomära imitierende Serie über die übernatürliche Wanda, die bislang ein Trauma nach dem nächsten erlebt hat, auf das Thema Verdrängung und Kummer hinauslaufen wird. Dazu musste ich gar keine Puzzlesteine zusammenlegen, das ließ sich schon den einzelne Stücken entnehmen.

Doch es schien mir zunächst eher Plotmotor zu sein. Die Ausrede, die Produzent Kevin Feige und Co. nehmen, um eine Serie zu entwerfen, die sich über Stilimitation und Geheimnisse definiert (was absolut seinen Reiz gehabt hätte). Ich ließ mich von den extrem pointierten Sitcom-Hommagen amüsieren, und durch die wöchentliche Veröffentlichung von der Rätselmanie, was genau innerhalb der Serienrealität abläuft, mitreißen. Während für mich die vielen Referenzen auf Marvel-Comics und -Schaffende nette, kleine, der Zerstreuung dienende Easter Eggs darstellten, sorgten die unzähligen Parallelen auf die bisherigen Marvel-Studios-Filme, die innerhalb Wandas zerbrechlicher Sitcom-Welt bemerkt werden konnten, für eine trügerische Auseinandersetzung mit Wandas Kummer:

Ich dachte beispielsweise bei den Werbespots an Situationen innerhalb der MCU-Timeline zurück, wie an Wandas Verlust ihrer Eltern. Oder an ihren tödlichen Fehler in Lagos. Sie wurden mir prägnanter in Erinnerung gerufen, das allerdings auf (oberflächlich betrachtet) emotional distanzierte Weise: "Ha, ich weiß, was die rote Flüssigkeit bedeuten soll, die komplett weggewischt wird, als sei nichts passiert. Wanda verdrängt Lagos! ... Ohwei ... wie böse." Ich durfte mir so vorkommen, als stünde ich über diesen Dingen, so als würde ich nur ein Rätselheft lösen. Aber ich wurde dadurch stärker involviert, womit sich die Fallhöhe für später vergrößerte. Und die zahlreichen Sitcom-Hommagen sowie -Anspielungen ließen eigene Nostalgie für heimelige TV-Momente aufkommen, sie ließen mich in selbst konsumiertem Eskapismus schwelgen. Ganz so wie Wanda. 

So kam es, dass es mich mittendrin sehr wohl unvorbereitet traf, als ungeschönt und direkt Wandas Trauer behandelt wurde, und die Serie in ein und derselben Episode vorführte, wie wohltuend seichte Unterhaltung sein kann, als auch, wie trügerisch und schlussendlich schädlich es ist, wenn man sich allein an Eskapismus festklammert, statt den wahren Problemen ins Auge zu blicken.

Ich möchte sagen: Regisseur Matt Shakman und Chefautorin Jac Schaeffer gelang es dank der Struktur ihrer Serie, der in emotionaler Ablenkung wie ungetäuschter Auseinandersetzung spitzen Dialogen, sowie des grandiosen Casts, mich gewissermaßen in Wandas Schuhe zu versetzen. Trotz von Anfang an bestehender Zweifel daran, dass ich ein reines eskapistisches Erlebnis haben werde, war ich willens, mich vom unter der Oberfläche brodelnden Ernst ablenken zu lassen. Bis es unvermeidbar war. Und unvermeidbar einprasselnde, schwere Gefühle wiegen sogleich doppelt so schwer. Die finale Auseinandersetzung damit wäre auch im ersten Moment einnehmender gewesen, wäre sie direkt im Tandem erfolgt. Aber Zeit ist ein dehnbarer Begriff: Noch liegt eine Woche zwischen dem Aufwühlen Wandas und dem Anbeginn des Aufbereitungsprozess, an die ich mich Tag für Tag erinnern kann. Schon in wenigen Wochen wird die Zeit zwischen den beiden Folgen für mich verschwimmen, ich werde wissen, dass sieben Tage zwischen Folge acht und neun lagen, aber das ist dann nur noch eine mir rational bewusste Zahl. Kein wahres Gefühl mehr. Darum werde ich WandaVision nicht daran messen, wie ich während der letzten Folge reagierte, sondern an der Gesamtheit der Serie und welchen Eindruck sie bei mir hinterließ.


WandaVision kann insofern für sich stehen, als dass der Erkenntnisprozess Wandas und ihre internen wie externen Querelen einen stimmigen Bogen ergeben. Und dass zwar angedeutet wird, dass Wanda die Kurve kriegen könnte, aber ein Hauch des Zweifels übrig bleibt, wäre ein ehrliches Ende (denkt an nur bis zum Abspann und erachtet alles danach als Vorschau auf andere Geschichten im selben Serienuniversum). Es ist ein ununterbrochener Prozess, sein Päckchen mit sich zutragen, und selbst wer lernt, schonender zu tragen, wird nie sicher sein können, ob man es nicht doch (wieder?) fallen lässt.


Doch da es das MCU ist, bleibt es nicht beim offenen Ende. Nun heißt es "Abwarten und Mitfiebern", ob Wanda wirklich die richtigen Schlüsse gezogen hat, oder in eine zornige Position gedrängt wird. Die Antwort bekommen wir voraussichtlich 2022. Und bis dahin hält unter anderem The Falcon and the Winter Soldier das MCU am Laufen. Ich freu mich drauf.

Sonntag, 9. Februar 2020

Meine Lieblingsfilme 2019 (Teil V)

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Ein letztes Mal durchatmen, und dann haben wir's schon wieder hinter uns! Und dieses Mal habe ich es tatsächlich geschafft, meine Jahrescharts noch vor den Oscars abzuschließen. Das ist ja auch eher selten. Man hat aber auch immer viel zu tun, ihr kennt es ... Was ihr auch kennt: Die Notwendigkeit, euch einmal kurz auf die Folter zu spannen und mit ein paar Ehrennennungen die Top Ten noch ein wenig hinauszuzögern. Und weil die Academy Awards vor der Tür stehen, habe ich mir vier Filme aufgehoben, die mal mehr, mal minder im Oscar-Diskurs mitgemischt haben. Da hätten wir einerseits das Drogensucht-Familiendrama Beautiful Boy, das herzzerreißend gut gespielt ist. Dann wäre da das Historiendrama Maria Stuart, Königin von Schottland, das mir mit seiner Ästhetik, seinem beiläufigen Zurechtrücken gemeinläufiger Irrtümer über die behandelte Epoche und seinen dramatischen Monologen doch ein gutes Stück mehr zugesagt hat als den meisten - der Film ging ja doch eher unter. Ebenso wie Bernadette, Richard Linklaters eloquente Komödie, die ein wenig anmutet wie der Schnelldurchlauf durch eine intellektuelle Sitcom. Und dann hat mich noch das Politdrama Der Spitzenkandidat sehr überzeugt, in dem Jason Reitman mit Hugh Jackman quasi die Wurzel des üblen US-Politjournalismus beleuchtet. 

Aber an diese zehn Filme reichen meine Ehrennennungen partout nicht heran. Das hier sind sie, die zehn Filme 2019, für dich ich mit größter Begeisterung in die Bresche springe, jene, die mein Filmherz am höchsten schlagen lassen!

Platz 10: Spider-Man: Far From Home (Regie: Jon Watts)

Monate, bevor Sony Pictures mit Jumanji: The Next Level eine Popcorn-Actionkomödie herausgebracht hat, die nicht nur temporeich, witzig und überaus gefällig ist, sondern sich unter ihrer äußerst vergnüglichen Oberfläche auch als erstaunlich clever entpuppt, meisterte ein anderer Film diesen Drahtseilakt: Spider-Man: Far From Home führt mit Energie und Drive vor, wie man Inhalt und Form miteinander verschmilzt und sich dabei dennoch das vergnügliche Gewand einer Teenie-Superheldenkomödie überstreift. Die Kollaboration zwischen den Marvel Studios und Sony handelt von einem Jugendlichen, der das Gewicht einer Welt auf seinen Schultern spürt, die sich im Umbruch befindet, der aber mit aller Macht viel lieber einfach nur Ruhe und Zerstreuung haben möchte. Und wie ist Jon Watts' Film gehalten? Wie eine Teenager-Roadtrip-Komödie inklusive greller Archetypen: Amerikanische Junggesellen-Touristen wollen in Europa neue Erfahrungen sammeln, es gibt peinlich-alberne Erwachen mit Fußball-Hooligans und die fehlinformierten, mit der Überwachung ihrer Klasse überforderten Lehrer dürfen auch nicht fehlen.

Spider-Man: Far From Home imitiert, was das filmische Pendant zu Peter Parkers Wünschen wäre, doch wer auch nur einen Hauch des filmischen Scharfblicks hat, muss erkennen, dass sich dahinter mehr verbirgt. Spider-Man: Far From Home zieht nämlich mit genialer Konsequenz seinen Themenkomplex Verdrängung, Verleugnung und Vortäuschung durch. Stilistisch und tonal werden die Konsequenzen der vergangenen paar Marvel-Filme zwecks Teenie-Späße verdrängt (bis die Masche in sich zusammenbricht). Peter selbst muss lernen, seine Verantwortungen nicht zu verleugnen, doch entgegen der Spaßigkeit des Films gibt es dahingehend keine einfachen Antworten. Und dann spiegelt sich der Themenkomplex auch noch in vermeintlich irrelevanten Gagszenen sowie in der Gestaltung der Gegenseite wider: So viele Szenen und Sätze in Spider-Man: Far From Home laufen letztlich auf Verdrängung, Verleugnung und Vortäuschung hinaus und bei aller Stringenz, mit der dieser Film das durchzieht, findet er trotzdem Nuancen. Statt einfach nur auf Fake News zu haken und das Ignorieren einer ernsten Lage anzuklagen, skizziert Spider-Man: Far From Home diverse Zwischentöne. Figuren sagen nicht nur schädliche Lügen und befreiende Wahrheiten, sondern auch schädliche Wahrheiten und notwendige Lügen. Wahre Informationsbröckchen können in diesem Film zuweilen schwereren Schaden anrichten als frei erfundene Schwindeleien, doch auch die sind ein elementarer Bestandteil. Auch die Musik ist eine Wucht, etwa, wenn Komponist Michael Giacchino einer Figur ein Stück auf den Leib schreibt, dass wie ein Riff auf das Avengers-Thema beginnt und dann letztlich in seine Retro-Billig-Synthie-Einzelteile zerfällt (und die sich an einer Stelle zu einem klassischen US-News-Intro aufschwingen).

Hinzu kommen ein den Punkt treffender Tom Holland, Jake Gyllenhaal in genüsslichster Laune und ein eklektischer Cast an Nebenfiguren. Natürlich hat Spider-Man: Far From Home nicht die komplexesten und weltveränderndsten Antworten parat, doch für seine Stringenz und Konsequenz sowie dafür, wie er seine durchdachte Verschränkung von Form und Inhalt trotzdem mit Leichtigkeit präsentiert, hat er vollsten Respekt verdient. Wobei es natürlich schade ist, dass der Film so leichtfüßig ist, dass seine smarten Elemente offenbar an manchen Miesepetern glatt vorbeigerauscht sind. Naja. Deren Verlust.

Platz 9: Porträt einer jungen Frau in Flammen (Regie: Céline Sciamma)

Wo wir gerade beim Thema "Form trifft Inhalt" sind: Mädchenbande-Regisseurin Céline Sciamma erzählt in ihrem bildschönen, berückend-ruhig erzählten Drama Porträt einer jungen Frau in Flammen von einer jungen Malerin, die den Auftrag erhält, heimlich das Porträt einer jungen Adeligen zu malen. Die wehrt sich nämlich gegen jeden Versuch, sie zu porträtieren. Doch ihrer Mutter ist das Porträt von Bedeutung, da es zur Ehevermittlung verwendet werden soll. So beginnt einerseits eine Geschichte über die Dichtomie über aufgezwungene Bildnisse und Selbstbildnisse, aber auch die Differenz zwischen Auftragsarbeiten und passionierter Kunst spielt in diesem zärtlichen, subtilen und sinnlichen Drama eine große Rolle.

Noémie Merlant und Adèle Haenel sind betörend gut als zwei Frauen, zwischen denen schon früh eine Faszination und Anziehung besteht, sich aber nur sehr vorsichtig annähern und einander öffnen. Von Claire Mathon (Mein ein, mein alles) in natürlich beleuchteten Bildern eingefangen, die oftmals selber wie Gemälde aussehen, und nahezu frei von Musik (wodurch die wenigen Einsätze umso berückender sind), ist Porträt einer jungen Frau in Flammen auch eine ästhetische Wucht, und Céline Sciamma eingeflochtene Elemente aus Literatur und Kunsthistorie sind von einer bittersüßen Poesie. Einfach ein wundervoller Film.

Platz 8: Hustlers (Regie: Lorene Scafaria)

Wenn man mich fragt, der mit Abstand beste Gangsterfilm des Jahres: Hustlers ist ein aussagekräftiger Kommentar auf die Folgen der Weltwirtschaftskrise der 2000er-Jahre, ein kerniger und dennoch von den üblichen, forcierten Kabbeleien befreiter Film über Frauenfreundschaften irgendwo zwischen Nutz-Freundschaft und emotionalem Auffangnetz sowie einer der sehr, sehr raren Filme abseits von Magic Mike XXL, der das Gewerbe des Erotiktanzes ernst nimmt, statt es entweder anzugeifern, lächerlich zu machen oder brutal zu dramatisieren. Inszeniert und geschrieben von Auf der Suche nach einem Freund fürs Ende der Welt-Regisseurin Lorene Scafaria, blickt Hustlers aus besonnenen weiblichen Perspektiven auf Stripperinnen in einem angesagten New Yorker Club, in dem es sich vor allem Wall-Street-Macker gut gehen lassen. Als die Betrügereien dieser Bonzen die ganze Weltwirtschaft aus der Bahn geraten lassen, planen die Ladys (aus Eigennutz, aber mit einer Robin-Hood-esken "Wir nehmen jenen, die nicht haben sollten"-Attitüde) einen Rache-Coup, um wieder an Geld zu kommen.

Scafarias minutiös durchdachte Regieführung lenkt unsere Wahrnehmung der Figuren (so wird Jennifer Lopez' Powerfrau von einer Nebenfigur aus den bewundernden Augen von Constance Wus Protagonistin betrachtet etabliert), distanziert uns durch akustische Spielereien von der Geschichte, sobald es nötig ist, lässt uns kritisch beäugend und dennoch fasziniert mitjubeln und gibt den Frauen Würde und Eigenständigkeit, die im Gangsterkino sonst nur das schmückende Beiwerk sind. Und dann macht Hustlers auch noch unverschämt viel Spaß, ist spannend und hat ein Herz für die Bindungen zwischen den zentralen Figuren. Starke Sache.

Platz 7: Rocketman (Regie: Dexter Fletcher)

Das Elton-John-Biopic-Jukebox-Musical Rocketman gehört zu den erlesenen Filmen, die bisher bei wirklich jedem Rewatch in meiner Gunst noch weiter gestiegen sind. Wer weiß also, wo Rocketman in ein paar Jahren in einer großen Retrospektive landen würde. Denn Dexter Fletcher hat hier einen wirklich äußerst dicht verwobenen, bis ins Detail durchdachten und emotionalen Film abgeliefert. Es ist die Geschichte eines Mannes, der nach Akzeptanz sucht und den Wirren des Musikgeschäfts verfällt. Es ist die Geschichte eines Künstlers, der sich selber nicht liebt und vor der Ignoranz seines Umfelds flüchtet, indem er eine immer und immer exzentrischere Kunstfigur aus sich selber macht, die allen Versuchungen verfällt, die Geld und Ruhm einem verschaffen können. Es geht so weit, dass der als parteiischer, nicht völlig glaubhafter Erzähler fungierende Elton John selbst sein kindliches Ich verfälscht und sich einbildet, schon als kleiner Knirps The Bitch gewesen zu sein und dass er in seinem Viertel als einziger Farbklecks heraus gestochen hat.

Taron Egerton verkörpert Elton John mit immenser Spielfreude und einer beeindruckenden Glaubwürdigkeit in abrupten Stimmungswechseln und die Kostümarbeit sowie das Produktionsdesign sind einfach herrlich. Besonders faszinierend ist aber, mit welch scheinbarer Leichtigkeit Hits aus Elton Johns Schaffen in die Nacherzählung seines Lebens gewoben werden: Wüsste ich's nicht besser, ich würde es sofort glauben, dass die Lieder in Rocketman allesamt für den Film geschrieben wurden, so sehr sprechen die Texte und Melodien den Figuren aus dem Herzen und nie zuvor habe ich ein Jukebox-Musical erlebt, in dem nicht mehrmals mit dem Brecheisen Elemente aus kommenden Liedern etabliert (und gegebenenfalls sofort wieder aufgegeben) werden. Die beruflichen wie privaten Höhen und Tiefen Elton Johns werden hier mit Verve und Symbolkraft nachgezeichnet. Die Sequenz rund um den Song Rocketman gehört für mich zu den unbestrittenen Höhepunkten des Jahres und diverse Kleinigkeiten lassen mich bei jedem Anschauen aufs Neue strahlen, weil sie von der Passion zeugen, mit der dieser Film entstanden ist und bis in die kleinste Dialogzeile hinein ausgeklügelt wurde. Jamie Bells unauffällig-unterstützende Leistung in der Rolle von Elton Johns Texter Bernie Taupin wird viel zu selten positiv hervorgehoben, die Songszenen sind kreativ inszeniert und lebhaft inszeniert und die Arrangements der Pophits sind griffig auf die Filmdramaturgie hingebogen.

Dexter Fletcher hat hier eine sehr rührende, ernste und dramatische Geschichte mit viel Dynamik und Showmanship gedreht - oder aber ein sehr glitzerndes, energievolles Musical mit viel Herz und Seele versehen. Eine Schande, dass Rocketman nicht noch viel mehr Aufmerksamkeit an den Kinokassen und bei den diversen Awards erhalten hat. Aber ich bin mir sicher: Er wird noch lange Zeit neue Fans für sich entdecken.

Platz 6: Booksmart (Regie: Olivia Wilde)

Wo wir gerade bei Filmen sind, die deutlich mehr Erfolg verdient gehabt hätten: Olivia Wildes Regiedebüt Booksmart hinterließ trotz hervorragender Kritiken an den US-Kassen kaum Eindruck und ging im Rest der Welt völlig unter. Welch ein Jammer, denn diese Teenie-Partykomödie ist ein riesiges Vergnügen. Die beiden Hauptfiguren, aufgeweckte, aber auch etwas von sich selbst eingenommene Spitzenschülerinnen und Partymuffel, sind überaus amüsant und liebenswert. Die Chemie zwischen den Darstellerinnen Kaitlyn Dever und Beanie Feldstein ist großartig, das Skript voller eloquenter, beiläufig präsentierter Bonmots und die Nebenfiguren sind dezent bis stark überspitzte, schlussendlich aber sehr wohl mehrdimensionale Vertreter heutiger Jugendgruppen. Die Jugendsprache in Booksmart ist authentisch, aber überhaupt nicht aufgesetzt, Billie Lourd ist genial als rauere Cousine im Geiste der High School Musical-Diva Sharpay und obendrauf ist Booksmart ein wundervolles Beispiel dafür, wie inklusivere Geschichten plattgetretene Genres aufmöbeln können.

Platz 5: The Favourite – Intrigen und Irrsinn (Regie: Giorgos Lanthimos)

Girls Club trifft Historienkino trifft Giorgos Lanthimos, Meister der staubtrocken vermittelten Süffisanz: Fertig ist The Favourite, ein Kostümdrama, in dem die Oneliner fliegen wie die Schießübungstauben, und Emma Stone, Rachel Weisz, Olivia Colman und Nicholas Hoult einfach bombig spielen, die Kostüme prunkvoll und die Kamerawinkel seltsam sind. Hummer werden gejagt, Enten phallisch gestreichelt und Kaninchen müssen als tragisches Symbol herhalten. Ein ebenso gut aussehender wie kluger und witziger Film, der Lanthimos gleichermaßen aus seiner stilistischen Komfortzone rausholt und sein Wesen als Regisseur zur Schau stellt.

Platz 4: Dave Made a Maze (Regie: Bill Watterson)

Der Community-Film ist uns allen bisher verwehrt geblieben, doch Bill Watterson hat mit Dave Made a Maze immerhin schon einen Film abgeliefert, der sich anfühlt wie eine abendfüllende Episode der genialen, höchst einfallsreichen Comedyserie: In Dave Made a Maze baut ein Kreativkopf namens Dave ein gigantisches Pappkarton-Labyrinth. Doch von innen ist es größer als von außen und er hat sich verlaufen ... Mit extrem charmanten, kunstvollen Produktionsdesign im Bastellook (Michel Gondry würde hier ins Schwärmen geraten) und mit herrlich-albernen Nebenfiguren ausgestattet, ist diese Fantasy-Komödie einerseits einfach ein genial-verschrobener, spaßiger Film der ganz anderen Art. Doch obendrein entführt uns Dave Made a Maze auf metaphorische Weise in den Verstand eines Kreativen, der sich in Ideen verrennt, die er nie zu Ende bringt, und dem es an Selbstvertrauen mangelt.

Platz 3: Once Upon a Time in Hollywood (Regie: Quentin Tarantino)

Wenn man mich fragt: Quentin Tarantinos womöglich vorletzte Regiearbeit ist zugleich auch eine seiner besten. Once Upon a Time in Hollywood verkauft sich an der Oberfläche als lockerer, stimmungsvoller Hangout-Movie. Ein abgehalfterter Fernsehstar und sein unterbeschäftigter Stuntman laden uns ein, mit ihnen Zeit zu verbringen. Wir hören ihnen bei ihren gewitzten Gesprächen zu, wir schauen ihnen bei ihrer Arbeit über die Schulter und verfolgen ihre Nachbarin Sharon Tate, wenn sie auf Partys oder ins Kino geht. All das in einem mit nostalgischer Liebe zum Detail rekreierten Los Angeles des Jahres 1969 und bereichert mit urkomischen, sketchhaften (aber narrativ sehr wohl versiert in das Gesamtwerk verwobenen) Momenten wie einem Ausraster im Wohnwagen oder einer tagträumerischen Erinnerung.

Doch Once Upon a Time in Hollywood ist mehr als nur ein Abhängfilm. Es ist eine liebevolle Verneigung vor dem Wendepunkt-Jahr, das Tarantino zum Filmliebhaber gemacht hat, die sich trotzdem mehrmals kritisch mit Verklärung auseinandersetzt. Und es ist die Mär, wie "Das Schöne von früher" und Progression in Amerika Hand in Hand hätten gehen können. Begnadet gespielt von Leonardo DiCaprio, Margot Robbie und Brad Pitt und mit einem frivol-launigen Finale sowie einem schmissigen Soundtrack versehen, ist Once Upon a Time in Hollywood Stimmung und Dialoggenuss in wundervoll-hoher Dosis.

Platz 2: Vivarium (Regie: Lorcan Finnegan)

Ab und zu taucht ein Film auf, den man sich aus Neugier, mit wenig Vorwissen und soliden Erwartungen anschaut und der einen dann damit vollkommen umhaut, dass er sich so anfühlt, als wäre er speziell für einen selber geschaffen worden. Vivarium ist für mich einer dieser Filme. Lorcan Finnegans surreal durchsetzter Mystery-Thriller handelt vom jungen Pärchen Tom und Gemma (spitze: Jesse Eisenberg und Imogen Poots), das sich ein Reihenhaus anschaut. Plötzlich ist der Makler verschwunden, und das ist noch das harmloseste und am wenigsten rätselhafte, das ihnen daraufhin passiert ... Ich habe Vivarium auf dem Fantasy Filmfest 2019 gesehen und ich will für den Fall, dass er doch noch eine weitere Auswertung in Deutschland erhält, noch nicht zu viel verraten. Aber es ist so, als hätte Vivarium tief in meinen Filmgeschmack geblickt und gesagt: "Ah, okay, du willst und brauchst also diesen Film." Ich liebe das reduzierte, bewusst-künstliche Design des Films, ich feiere es, wie Lorcan Finnegan seine thematischen und inhaltlichen Elemente vorbereitet (so viel sei gesagt: Poots beginnt den Film mit dem gesellschaftlich angeseheneren Beruf, doch dann ...) und mehrere Szenen und Bilder haben sich tief, tief, tief in mein Gedächtnis gebrannt.

Mit seiner verqueren Art, Metaphorik auszudrücken und dabei eine stringent-rätselhafte Story zu entwerfen, erinnert mich Vivarium sehr an einen anderen kunstvollen Jesse-Eisenberg-Thriller, nämlich an die andersweltliche angehauchte Neid-Geschichte The Double. Doch zugleich trieft Vivarium vor dem staubtrockenen Sarkasmus und die Verachtung für Smalltalk sowie gesellschaftliche Beziehungsanforderungen, womit sich die meisten von Giorgos Lanthimos' Filmen auszeichnen. Es ist quasi so, als hätte Giorgos Lanthimos The Double gesehen, sich dazu entschieden, dessen Stil und Erzählweise zu adaptieren, jedoch zugleich seiner eigenen Handschrift treu bleiben zu wollen und dann einen Film darüber gedreht, wie verstörend-banal das Leben als Vorstadtfamilie sein kann.

Platz 1: Avengers || Endgame (Regie: Joe & Anthony Russo)

Ich muss es noch einmal betonen: 2019 war für mich einfach ein bombenstarkes Filmjahr. Das zeigte sich mir daran, wie sehr es mir in den Fingern gejuckt hat, meine Jahrescharts sogar auf über 50 Filme zu strecken. Und Vivarium hätte sich in vielen meiner vergangenen Jahresbestenlisten mühelos die Spitzenposition geholt. Aber ich muss einfach den Marvel Studios erstmals in der Geschichte des Marvel Cinematic Universe die Spitzenposition in meinem Jahresranking bescheren: Avengers || Endgame ist eine monumentale filmschöpferische Leistung, die mich in der Pressevorführung völlig aus den Socken gehauen hat - und das ist allein schon deshalb eine herausragende Leistung, da der vierte Avengers-Film nüchtern betrachtet auf dem Papier so einige Dinge tut, die sich mit meinen erzählerischen Vorlieben beißen. Doch in der Umsetzung haben mich die Entscheidungen der Autoren Christopher Markus & Stephen McFeely und der Regisseure Joe & Anthony Russo überzeugt. Avengers || Endgame ackert und ackert, um sich seine narrativen Beschlüsse zu verdienen, und das muss ich einfach entlohnen - zumal es jedenfalls in meinen Augen bei aller kreativer und handwerklicher Anstrengung mit vermeintlicher Selbstverständlichkeit, Unvermeidlichkeit und Leichtigkeit präsentiert wird. Das bestätigte sich bei meinen diversen wiederholten Sichtungen des Films, bei denen Avengers || Endgame die beim ersten Anschauen erzielte Wirkung problemlos wiederholen konnte: Ich spüre nicht, wie dauernd die erzählerischen und inszenatorischen Rädchen rattern und ineinander greifen, stattdessen fühlt sich der Film so an, als müsste er exakt so sein, wie er ist.

Es beginnt schon beim gestaffelten Anfang der Erzählung mit einem Cold Open, einem dramatischen Wiedersehen und letztlich einem sanften und ernüchternd verlöschendem Hoffnungsschimmer, ehe der Hauptstrang aufgenommen und die Zukunftperspektive unserer Helden schrittweise wieder aufgebaut wird. Und es endet mit dem mit Charaktermomenten bespickten, mit einer perfekt sitzenden inneren Dramaturgie versehenen Actionfinale (dem ich somit das etwas matschige Farbdesign sofort verzeihe), auf das konsequente, figurenbasierte und rührende Epiloge folgen. Sollen die Stänkerer doch stänkern, welcher monumentale Teil einer hauptsächlich mit seiner Komik und seinem Spektakel werbenden Filmreihe würde so ein intimes, romantisches und bodenständiges Schlussbild wählen wie Avengers || Endgame? Das gigantische Ensemble ist in Topform, sei es etwa Robert Downey Junior als emotionales Rückgrat, Chris Evans als optimistisches Gewissen, Scarlett Johansson in ihrer besten Popcornkino-Darbietung, Chris Hemsworth als "Ich bin deprimiert und will es nicht wahrhaben"-Thor oder Karen Gillan als zynische, aber neue Seiten an sich entdeckende Nebula. Avengers || Endgame verschaffte mir Dutzende an Kinomomente, die ich nie vergessen werde, von gerührt (das Wiedersehen zwischen Scott und Cassie ist bei mir dank Inszenierung, Struktur und Schauspiel ein Kehlenzuschnürer) hin zu "über die Kreativität und das Kunsthandwerk staunen" (beispielsweise darüber, wie zum zweiten Akt hingeleitet und er eröffnet wird) bis zu nerdig (Startwochenende, voller Saal, Hammer - genug gesagt).

Avengers || Endgame ist, kurz gesagt, eine spektakuläre Feier all dessen, was ich an Kino liebe. Es ist ein gezielt-widersprüchlicher Film (ein rund 350 Millionen Dollar teures Trauerverarbeitungsdrama, das kontinuierlich zum bombastischen Trauerüberwältigungseskapismus wird), der Millionen und Abermillionen von Popcornkino-Fans dazu einlädt, ihren Helden dabei zuzugucken, wie sie erst einmal ganz lange nichts machen. Es ist ein Film, der Alan Silvestri zu seiner besten, größten, flexibelsten Leistung mindestens seit der Jahrhundertwende antreibt. Es ist einerseits figurenzentrisches Kino, als dass eine tragende Säule des Films die Figureninteraktionen und beiläufig skizzierten Figurenentwicklungen darstellt. Andererseits ist es aber auch unverlogen-megalomanisches Spektakel. Der Film ist urkomisch, und dennoch mit einem eher gesitteten Grundtonfall versehen. Avengers || Endgame ist einer dieser Rundumschläge wie Pirates of the Caribbean - Am Ende der Welt, Gone Girl oder Anna und die Apokalypse, als dass dieser Film in sich völlig stimmig einfach mal eben ein halbes Dutzend meiner Filmgeschmackfacetten abdeckt, ohne auch nur ein winzig kleines Bisschen fahrig zu wirken oder zu zerfasern. Ich kann den ganzen Tag so weiter machen ...

Tja, das sind sie also. Meine Lieblingsfilme 2019. Wird 2020 ein ähnlich gutes Jahr? Bisher sieht es absolut danach aus, als dass die ersten Wochen 2020 einen meiner Ansicht nach absurd hohen Qualitätsdurchschnitt mit sich gebracht haben. Hoffen wir, dass das so weiter geht. Und dann sehen wir uns Anfang 2021 bei der nächsten Hitliste wieder!