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Samstag, 29. März 2014

Die Quellen der Disneyfilme: Tom und Huck

 
Von Legenden zu historischen Ereignissen, von Märchen bis zu klassischer Literatur - die Zauberkünstler von Disney haben sich der vielfältigsten Quellen bedient, um Stoff für ihre Filme zu finden. Gemein haben sie jedoch alle, dass das Ursprungsmaterial nicht ohne Veränderung in den Disney-Kanon eingeflossen ist.

 

Diese Reihe von Im Schatten der Maus befasst sich mit dem Entstehungsprozess einiger dieser Meisterwerke:
Die Quellen der Disneyfilme

Die Abenteuer von Tom Sawyer von Samuel Langhorne Clemens - besser bekannt unter dem Namen Mark Twain - ist 1876 erschienen, und wenn es auch eines von Twains bekanntesten Werken darstellt, so ist es für die Verhältnisse des Autors doch eher simpel gehalten. Tom Sawyer ist eine einfache Lausbubengeschichte, inspiriert von Marks Twains eigener Jugend in Hannibal, Missouri; von realen Orten und Begebenheiten. Dass das Ergebnis nun kein simples Kinderbuch ist sondern ein Klassiker der Weltliteratur, das ist alleine dem Genie des Autors zu verdanken: Mark Twain verwandelt eine simple Kindergeschichte in eine unvergängliche, geradezu ikonische Darstellung einer Kindheit am Mississippi.
Während die Geschichte sehr persönlich gehalten ist und niemals allzu unrealistisch wird, so bietet Twains Erzählweise doch eine ironische Übersteigerung, die alles mit einem feinen Satire-Schleier überlegt - oder auch mit ganz offener Gesellschaftssatire, gerade wenn es um die erwachsenen Bewohner des Städtchens geht. Das Kapitel „Tom streicht einen Zaun“ ist alleine bei uns in unzähligen Lesebüchern zu finden, und das zurecht: Die Darstellung der vergnügungssüchtigen menschlichen Natur in all ihrer Absurdität, am Beispiel eines geschäftstüchtigen Jungen, bietet hohe Wahrheit aus Kindermund.
Aber trotz all dieser Nebenschauplätze handelt es sich bei Tom Sawyer doch zuallererst um eine recht geradlinige Lausbuben- und Abenteuergeschichte. Beschrieben wird das Leben und der Alltag Toms, seine diversen Abenteuer und Streiche, zusammen mit den Spielgefährten, unter denen vor allem der heimatlose Streuner Huckleberry Finn hervorsticht. Es gibt ein kindliches Liebesdrama, dem genug Platz eingeräumt wird, um herzerwärmend zu wirken, doch nicht so viel, dass es den Rest der Abenteuer überschattet. Und dann verdichtet sich die Geschichte immer mehr um einen fatalen Mordprozess, einen vergrabenen Schatz und den wahren Mörder Indianer-Joe.
Es ist keine „wahre“ Abenteuergeschichte, nicht im eigentlichen Sinne. Eigentlich geht es im ganzen Buch doch nur darum, das Gefühl eines typischen Jungenlebens zu beschreiben, so wie Twain es kannte. Und dieser Teil ist nun schlicht der, der sich mit den Schatzsuchen der Lausbuben beschäftigt, mit den Abenteuerspielen und Verschwörungstheorien. Es ist einfach spannender, von einem echten Mordfall zu lesen, als von einem nur gespielten - der Inhalt bleibt der gleiche.



Auch wenn man wohl mit gutem Recht sagen kann, dass Mark Twain bei Tom Sawyer den Höhepunkt seines Schreibens noch nicht erreicht hatte, so übt das Buch doch seit seiner Entstehung eine ungebrochene Faszination aus. War es zu seinem Ersterscheinen in Amerika noch gut verständliche Nostalgie, die die erwachsenen Leser in Scharen anzog, so hat das Werk doch in den letzten 140 Jahren bewiesen, dass seine Faszination nicht durch örtliche oder zeitliche Umstände begrenzt wird. Es war und es bleibt herrlich, von diesem turbulenten Jungenidyll zu lesen, und so hat Tom Sawyer es geschafft, sich gegen seinen übermächtigen Nachfolger Huckleberry Finn auch auf langen Sicht durchzusetzen. In der Tat wurden die beiden Romane trotz ihres unterschiedlichen Tons erstaunlich oft gemeinsam verfilmt, als zusammengehöriger Doppelpack, der idealerweise noch die gleichen Schauspieler aufweisen kann.
Die Bearbeitungen der beiden Werke, die 1993 und 1995 in umgekehrter Reihenfolge aus dem Hause Disney erschienen, bilden in gewisser Weise einen Mittelweg. Während Timing und gemeinsame kreative Quellen zweifelsohne einen gewissen Zusammenhang suggerieren, bemühen sich die Filme selbst in keiner Weise, als zusammengehörig zu erscheinen. Die Schauspieler sind andere, der Stil der Filme divergiert spürbar, die Vermarktung könnte unterschiedlicher nicht sein. Und selbst die wenigen Bande, die die Bücher thematisch direkt verbinden, wurden bewusst gekappt, so dass Tom und Huck und Die Abenteuer von Huck Finn inhaltlich ganz offensichtlich nicht zusammenpassen.

Alleine der Name des Filmes, Tom und Huck, stellt klar, dass Originaltreue nicht das vorderste Ziel dieser Verfilmung war. Doch auch wenn der ganze Film einen bewussten modernen Unterton erhalten hat, so bemüht er sich doch immer, nahe genug am Ausgangsmaterial zu bleiben. (Wobei erwähnenswert scheint, dass nicht der Stadtname des Buches, St. Petersburg, sondern der Name von Twains eigener Heimatstadt, Hannibal, verwendet wird.) Insgesamt stellt Tom und Huck den Versuch dar, die berühmte Geschichte einigermaßen originalgetreu zu erzählen - nur eben verkleidet als cooles Abenteuermärchen.

Diese Einstellung zeigt sich von der ersten Szene an. Der Film beginnt sehr charakteristisch nicht mit seiner Hauptfigur, sondern mit Indianer-Joe, der sich zu bedrohlicher Musik auf den Weg zu dem leichenschändenden Doktor Robinson macht. Es ist eine Szene, die im Buch nur aus zweiter Hand erzählt wird, doch in dieser Filmversion wird offenkundig keine Gelegenheit ausgelassen, das finstere Halbblut zu zeigen. Der gesamte Plot des Films dreht sich vor allem um ihn, um den Mord an Doktor Robinson, den Prozess und die geheime Schatzsuche - eben die Elemente einer typischen Abenteuergeschichte.
Diese Episode, so spannend sie auch ist, stellt beileibe nicht den einzigen Fokuspunkt des Buches dar. Vielmehr bietet sie, neben einzelnen Actionszenen, nur einen unterschwelligen Beiklang, eine Art Hintergrundstimmung. Im Grunde ist Tom Sawyer ja ein Episodenroman, und das Abenteuer mit Indianer-Joe ist dabei ein Erlebnis wie viele andere auch.
In Tom und Huck dagegen ist die ganze Handlung ganz klar auf dieses eine Abenteuer ausgerichtet. Es ist einzielgerichteter Plot mit wenig Nebenerzählung, und dadurch wird es leider auch zu einem recht schmalen Plot. Statt des bunten Panoramas eines wilden Jungenlebens im Buch bleibt hier nur eine einzelne Abenteuergeschichte. Natürlich ist Toms Gewissenskonflikt, was die drohende Verurteilung des unschuldigen Muff Potters angeht, gerade hier Hauptbestandteil - aber anders als in Huckleberry Finn ist ein einzelner Gewissenskonflikt hier nicht genug, einen ganzen Film zu tragen. Was herauskommt, ist eine simple Kindergeschichte, ohne die Satire oder den unterschwelligen größeren Rahmen des Originals.



Das Ergebnis ist folgerichtig, dass der gesamte Film scharf auf den Plot ausgerichtet ist. Offenkundig hat man sich bemüht, so viele bekannte Szenen wie möglich aus dem Buch zu retten - doch nur, indem die an sich unabhängigen Erlebnisse auf irgendeine Weise mit dem Hauptstrang verwoben wurden. Die Zaun-Szene hat hier den Zweck, Tom in den Besitz einer verräterischen Murmel zu bringen, die irrtümliche Beerdigung des Jungen führt Indianer-Joe auf seiner Suche kurzfristig in die Irre. Die Folge ist eine Reihe lose verbundener Ereignisse, nicht eigenständig genug, um auf eigenen Beinen zu stehen, doch zu nebensächlich, als dass sie wirklich zum Plot gehören würden.
Auf der anderen Seite wurden dafür so viele zusätzliche Szenen mit Joe eingefügt, wie es nur möglich schien. Die Szenen haben sicher eine gewisse Verankerung im Buch, wo Tom von Ängsten und schweren Träumen geplagt wird, doch hier nimmt der rachsüchtige Indianer schließlich den gesamten Fokus ein.


Die größte (wenn auch nicht unerwartete) Enttäuschung des Films stellt für mich persönlich das Finale dar. Das Ende des Buches, mit der langen Wanderung durch die Tropfsteinhöhle hat einen geradezu epischen Charakter. Gerade weil die bedrohliche Darstellung des Höhlenlabyrinths so realistisch beschrieben ist und eben kein Hollywood-typischer Endkampf folgt, sind die Gefühle der beiden verlorenen Kinder so nahegehend. Was fesselt, ist keine äußere Bedrohung, sondern der ganz persönliche Kampf gegen Hunger, Durst und die Verzweiflung - dargestellt in so einfachen Szenen wie Toms Verzicht auf seinen Rationsanteil und Beckys Begreifen.
Dass Indianer-Joe ohne letzte Konfrontation alleine verdurstet ist, ist am Ende eine in keiner Weise enttäuschende Erfahrung. Das stille Grauen dieser Entdeckung, verbunden mit der Erinnerung an Toms eigenen Kampf, ist die perfekte Auflösung dieses Handlungsstranges und fügt sich in den Ton des gesamten Buches ein.

Im Film sieht das nun anders aus: Tom und Huck ist eine simple Abenteuergeschichte, und so braucht der Film eine simple und direkte Endkonfrontation zur Auflösung. Die ganze Geschichte ist hier sowieso um einiges unrealistischer dargestellt, so wirkt ein solch abenteuerlicher Kampf am Ende auch nicht mehr als Fremdkörper. Dazu kommt, dass Huck - als aufgewertete zweite Hauptfigur - natürlich auf Teil an diesem Kampf haben muss. Das Ende ist schließlich so vorhersehbar wie möglich, inklusive eines klassischen Disney-Todes für Indianer-Joe. Stimmung und Atmosphäre der Buchvorlage fehlen, dafür gibt es ein kurzes Gerangel und einen plakativen Sieg - natürlich passend zum Film, aber nichtsdestotrotz schade.


Was die Charakterisierung der Figuren angeht, so kann der Film hier kaum etwas falsch machen. Man könnte urteilen, dass Tante Polly hier ein wenig zu nett erscheint, die Witwe Douglas dagegen zu streng - doch im Allgemeinen ist es kaum möglich, die realistisch-übersteigerten Nebenfiguren aus Mark Twains Städtchen nicht annehmbar umzusetzen.
Indianer-Joe ist finster und bedrohlich wie es sich gehört, und natürlich vermeidet der Film es soweit möglich, die ans Klischeehafte grenzende Indianer-Darstellung des Buches weiter zu unterstützen.

Becky Thatcher wird gegenüber ihrem Buch-Pendant etwas interessanter gezeichnet, mit einer Charakterisierung, die um einiges gewitzter und „moderner“ scheint als im Original. Das Ergebnis ist ein Mädchen, das Tom in gewisser Weise das Wasser reichen kann, ohne dabei zum Action-Girl zu verkommen - und das somit endlich einen guten Grund für Toms fortgesetzte Avancen bietet.
Was die beiden Hauptfiguren des Films angeht, so macht schon der Titel klar, dass Tom und Huck hier beinahe gleichwertige Rollen innehaben. Tom Sawyer ist, wie er sein sollte: gewitzt, straßenschlau, gleichzeitig stinkfaul und insgesamt mit einem Kopf voller Unfug. Man könnte vielleicht argumentieren, dass er ein wenig zu brav und folgsam erscheint, doch das rechne ich der Tatsache zu, dass der Film streng aus seiner Sicht erzählt wird - und auch im Buch ist Tom Sawyer selbst ja immer überzeugt, ein Musterbild von einem tadellosen Knaben abzugeben.

Interessanter ist allerdings die Frage nach der Darstellung Huckleberry Finns, dessen Rolle für den Film weit ausgebaut wurde, auf Kosten von Toms eigentlich liebsten Spielkameraden Ben Rogers. Das erste was auffällt ist, dass Huck in dieser Version vergleichsweise alt dargestellt wird, was ihm alleine körperlich einen großen Respektvorsprung vor Tom verschafft. Das Ergebnis ist ein interessantes Ungleichgewicht, wenn Huck, der Ältere und Erfahrenere, dann plötzlich beim Schreiben seiner Initialen hinter Tom zurückstehen muss.
Generell ist Huck hier nicht wirklich so wie im Buch, dafür hat sich seine Rolle für den Film zu stark geändert - und doch haben es die Macher geschafft, mit Huck auf andere Weise zu einem gleichwertigen Ergebnis zu kommen. Und wenn Hucks Charakterentwicklung auch unerwartet scheinen mag, so macht sie das am Ende vielleicht nur interessanter. Insgesamt gelingt es Huckleberry auf gewisse Weise, den Film aus seiner Banalität zu retten, und ihm zumindest einen besonderen Anstrich zu verleihen.
Für mich stellt sich nebenbei die Frage, wie eine Verfilmung der Abenteuer von Huckleberry Finn mit dieser Besetzung wohl ausgesehen hätte - es hätte mit Sicherheit eine sehr erwachsene Version des Buches werden können, ernsthafter als die meisten Verfilmungen es schaffen.



Mein Fazit zu Tom und Huck ist schließlich, dass der Film ziemlich genau das ist, was man von einer Disneyversion des Stoffes erwarten würde. Die Verfilmung bewegt sich nahe genug am Original, um keinen Anstoß zu erwecken, aber ansonsten setzt sie dem Buch ihren eigenen Stil auf und macht aus einer beinahe melancholischen Kindheitsschilderung ein einfaches Abenteuer. Das Ergebnis funktioniert, doch es funktioniert wirklich nur als Literaturverfilmung: Wäre es ein Originalwerk, so würde sicherlich niemand dem Film nähere Beachtung schenken.
Auf der anderen Seite füllt Tom und Huck diese Rolle der Literaturverfilmung gar nicht mal so schlecht aus; der Film reicht, um an die Idee des Buches heranzuführen und den Zuschauern die Figuren nahezubringen. Und wenn am Ende irgendjemand durch diesen Film angeregt wird, Twains Original zu lesen, so hat sich die Verfilmung doch sicherlich gelohnt.


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Samstag, 21. Dezember 2013

Die Quellen der Disneyfilme: Die Muppets Weihnachtsgeschichte

 
Von Legenden zu historischen Ereignissen, von Märchen bis zu klassischer Literatur - die Zauberkünstler von Disney haben sich der vielfältigsten Quellen bedient, um Stoff für ihre Filme zu finden. Gemein haben sie jedoch alle, dass das Ursprungsmaterial nicht ohne Veränderung in den Disney-Kanon eingeflossen ist.

 

Diese Reihe von Im Schatten der Maus befasst sich mit dem Entstehungsprozess einiger dieser Meisterwerke:
Die Quellen der Disneyfilme

Charles Dickens hat mit seinen Romanen eine Menge von bis heute weltweit bekannten Klassikern geschrieben. Viele von ihnen wurden mehrfach verfilmt und für andere Medien umgesetzt, aber wohl keine nimmt eine solche Rolle in heutigem Bewusstsein ein wie Dickens Weihnachtsgeschichte (oder eigentlich „A Christmas Carol“, „Ein Weihnachtslied“).
Die Erzählung ist inspiriert von seinen eigenen Erfahrungen, von den harten Arbeitsverhältnissen, denen er als Kind ausgesetzt war, und von der Gestalt seines Vaters, einem strengen, doch beizeiten gütigen Mann, der als geistiges Vorbild für Scrooge gewirkt haben mag.
Es ist die Geschichte des alten Geizhalses Ebenezer Scrooge, der sein gesamtes Leben in den Dienst von Geldgier und Profit gestellt hat. Eines Heiligabends erscheint ihm der Geist seines verstorbenen Handelspartners Jacob Marley und warnt ihn vor den Folgen seiner Unbarmherzigkeit. In dieser Nacht besuchen Scrooge die drei Geister der vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Weihnacht, die ihm Szenen aus seinem Leben vorführen und ihm so die Fehler seines harten Lebenswandels bewusstmachen.
Dickens empfand, dass eine solche Erzählung die beste Möglichkeit sei, um die Menschen zu bewegen. Nicht mit theoretischen Schriften über die Armut, sondern über eine anrührende Weihnachtsgeschichte hoffte er, die Gefühle seiner Leser zu erreichen. Und das ist ihm ganz offensichtlich gelungen. Bei Dickens Weihnachtsgeschichte handelt es sich im heutigen Bewusstsein wirklich um die Weihnachtsgeschichte; eine Erzählung, die es in ihrer Bedeutung mit jeder säkularen und so mancher christlichen Tradition aufnehmen kann - so sehr, dass man sich unweigerlich fragen muss, warum gerade diese?
Ich denke, die Erklärung ist simpel: Die Geschichte stellt einfach ein perfektes weihnachtliches Märchen dar. Sie schafft einen „Geist der Weihnacht“, ohne dafür auf eine direkte Religiosität zurückzugreifen. Die helfenden Geister sind genau das, „Geister“, entsprungen aus einer Fantasy-Welt, die gerade festlich genug ist, um Weihnachtsstimmung zu verbreiten und mondän genug, um wirklich keinen Leser zu beleidigen. Und auch die Moral der Geschichte ist so offensichtlich, dass es kaum möglich scheint, daran Anstoß zu nehmen (auch wenn es durchaus Meinungen gibt, die Aussage sei zu unbarmherzig sozialistisch formuliert). Im Großen und Ganzen ist klar, Nächstenliebe ist der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich jede Leserschaft bereitwillig einigen kann. Und damit ist die Weihnachtsgeschichte perfekt geeignet, um ganz unabhängig von jeder persönlichen Einstellung als der Inbegriff heutiger „Weihnachtsstimmung“ zu fungieren. Dabei ist zu bemerken, dass das Buch selbst diese heutige Weihnachtsstimmung erst prägend eingeführt hat, zusammen mit dem heute ikonischen Ausdruck „Frohe Weihnachten“.

Es gibt zahllose Bearbeitungen dieses Werkes (eine große Menge davon hat Jim Hill hier aufgeführt), und da das Grundprinzip der Geschichte so wunderbar allgemein funktioniert, verfügen viele Serien und Franchises über ihre eigene Version. Dabei wird dann gewöhnlich eine der antagonistischeren Hauptfiguren zur Scrooge-Gestalt und darf für eine Folge die Fehler seines Handelns einsehen.

Im Speziellen fällt einem dabei sicher Mickys Weihnachtsgeschichte ein, wo Dagobert Duck, oder Scrooge McDuck im Original, passenderweise direkt nach dem alten Geizhals benannt ist. Und auch ein Sesamstraßen-Special existiert, in dem Oscar der Griesgram mit Hilfe dreier CGI-Geister und ein paar klassischer Sesamstraßen-Ausschnitte den Wert von Weihnachten erfährt.
Doch trotz dieser beiden Kurzadaptionen haben sich die Muppets und Disney 1992 nach dem Tode Jim Hensons für eine erneute Verfilmung zusammengetan, nicht nur um ein simples Weihnachtsspecial abzudrehen, sondern um mit Die Muppets Weihnachtsgeschichte eine vollwertige Neuverfilmung von Dickens Klassiker zu schaffen.



Natürlich hätte es die Möglichkeit gegeben, eine der etablierten Muppet-Figuren als Hauptdarsteller zu nehmen (vielleicht Miss Piggy?) und dieser Weg hätte sicherlich auch irgendwie funktioniert. Aber die Verantwortlichen haben wohl schnell erkannt, dass solch eine Lösung für einen wirklich tiefgreifenden Film nicht ideal wäre. Zum einen, weil sich keiner der Muppets für diese Rolle so richtig anbietet, aber vor allem, da eine so bekannte und vertraute Geschichte, um wirklich ernstgenommen zu werden, das Gewicht einer emotional stabilen Hauptfigur braucht. Auch wenn die Muppets die Geschichte alleine wohl irgendwie über die Bühne gebracht hätten, so funktioniert die - gegen Ende ja recht schmalzige - Geschichte nur, wenn wirklich alle Gefühlsebenen voll ausgenutzt werden. Nur wenn durchgehend Trauer und Tragik von Scrooges Leben durchdringen, ist die umfassende Freude am Ende wirklich „wahr“.
Also wird die Rolle von Scrooge im Film von einem realen Darsteller gespielt, und nicht von irgendeinem: Charakterdarsteller und Oscar-Preisträger Sir Michael Kain hat die Aufgabe übernommen, als Ebenezer Scrooge unter dem bunten Puppen-Gewimmel seine Positur zu halten. Und natürlich erweist sich Michael Kaine als der Profi, der er ist; er nimmt diese Aufgabe auf einmalige Weise wahr. Seine dunkle Gestalt, die harte Miene ist der perfekte Kontrapunkt zu den um ihn herumquirlenden Muppets.

Eine Folge dieser Besetzungswahl ist natürlich, dass die dunkle Seite des Geizhalses nun viel direkter herausscheinen kann. Jetzt reicht ein Blick von Scrooge, um klarzumachen, dass er von Grund auf anders ist als seine Umwelt, und keine Anstrengung der „lustigen“ Puppen um ihn herum könnte ausreichen, ihn umzustimmen - dafür braucht es mehr. Dies ist ein Thema, das sich durch den ganzen Film zieht: Bis auf wenige Ausnahmen sind es stets die Nicht-Muppet-Momente, die etwas an Scrooges Haltung bewirken können. Nicht die Geister der beiden Marleys, nicht der Geist der vergangenen Weihnacht überzeugen ihn, sondern die Bilder von seinem alten Selbst, und vor allem von Belle. Auf dieser Ebene finde ich es auch eine sehr gute Entscheidung, den Geist der zukünftigen Weihnacht nicht eigentlich als Muppet-Figur zu gestalten, und in dieser Szene auch Gonzo und Rizzo, die allanwesenden Erzähler, kurzfristig aus dem Bild zu schieben.
Die eine Ausnahme zu dieser „Regel“ ist offensichtlich: Tiny Tim, mit Robin dem Frosch von einer klaren Muppet-Gestalt gespielt, rührt Scrooge bis ins Innerste und zeigt somit, dass auch die Muppet-Figuren echt genug sind, um auf emotionaler Ebene etwas zu bewirken. So ist auch Haupt-Sympathieträger Kermit als Scrooges Untergebener Bob Cratchit wunderbar eingesetzt, gerade bei seinem eigenen großen Auftritt, wenn er stellvertretend für die Zuschauer eine allgemeine Weihnachtsstimmung verbreitet. Wenn er mit Frau und Kindern in seiner engen Küche Weihnacht feiert, dann wird mehr als klar, worum es bei dem Fest laut Dickens wirklich gehen soll.
Auch auf anderer Ebene wird der Geist des Buches perfekt aufgegriffen: Gonzo und Rizzo machen ihre Sache als Dickens-Ersatz wunderbar und zeigen nur zu deutlich, dass der Film seiner Vorlage trotz allem Spektakel wirklich gerecht werden will. Die beiden befinden sich immerzu im Zwischenspiel zwischen Komik und Witzeleien für die Kinder und ihrer Rolle als angemessene Geschichtenerzähler. Gerade durch diese Zweigleisigkeit bilden sie auch einen wirkungsvollen Avatar für die Zuschauer: Wenn die beiden weinen, nachdem sie sehen, wie Scrooge seine Belle verlässt, hat die Szene alleine dadurch auch auf das Publikum eine ähnliche Wirkung. Das ist wohl auch der einzige Grund, warum diese Szene in ihrer geschnittenen Version überhaupt funktionieren kann.

Was an dieser Stelle eigentlich kommen sollte (und auf einigen englischsprachigen DVD-Ausgaben auch wieder eingesetzt ist) ist ein geschnittenes Lied zwischen Belle und dem alten Scrooge: „When Love is Gone“ („Wenn Liebe vergangen ist“). Es ist das Abschiedslied, das Belle an den jungen Scrooge singt, der ihr erst eine Weile zuhört und sich dann ohne ein weiteres Wort von dannen macht. Was das Lied jedoch wirklich ausmacht, ist die Reaktion des alten Scrooge, der diese Szenerie mit ansehen muss, ohne dass er irgendetwas dagegen tun könnte. Er ist es, der schließlich in die Melodie einstimmt, er ist es, dessen Herz bricht - und der das Herz der Zuschauer brechen lässt.
Es ist eine Szene, wie sie tragischer kaum sein könnte und ein wunderbar passendes, zartes Abschiedslied. Nur wer diese Sequenz gesehen hat, wie sie eigentlich sein sollte, kann die Tiefe des ganzen Filmes meiner Meinung nach erst abschätzen. Und die (eigentlich geplante) Wirkung des Liedes zieht sich wirklich bis zum Ende des Films, wenn in der finalen Nummer „When Love is Found“ eine Reprise das Lied in Melodie und Text wieder aufgreift, und so als emotionale Auflösung noch um so viel stärker wiegen sollte. „When Love is Gone“ ist ein wunderbares Lied, das um seiner zu Herzen gehenden, leisen Stimmung willen gestrichen und erst für die Heimkino-Auswertung wieder eingefügt wurde - allerdings wird uns eine deutsche Nachsynchronisation wohl weiterhin verwehrt bleiben. Das Einzige, was in der geschnittenen Szene bleibt, ist die Reaktion der beiden Muppets auf das Lied, ihre Tränen, die die des gesamten Publikums sein sollten.


Doch geschnittene Szene hin oder her, dieser Faktor kann für den Wert des Filmes doch nur einen (wenn auch bedeutenden) Teilaspekt ausmachen. Michael Kaine ist in seiner Rolle genial, die Muppets machen ihre Sache wunderbar, und gemeinsam treffen sie den Ton von Dickens Geschichte perfekt. Es ist wohl eine Verfilmung der Gegensätze; Lachen und Weinen, gefühlvolle Szenen und Weihnachtskitsch, sie werden allesamt in extenso dargestellt - eben weil für alle Bereiche jeweils eine ideale Figurenriege vorhanden ist.
Über diese harten Kontraste könnte man sich nun vielleicht ereifern - aber warum? Gerade wegen dieser Vielfarbigkeit, dieses perfekten Gegensatzes der Gefühle (einem Gegensatz, der so wohl nur in dem noch unkonventionelleren Die Geister, die ich rief zum Tragen kam) ist die Geschichte wirklich ausgefüllt erzählt. Die Muppets Weihnachtsgeschichte stellt eine große Leistung dar, sie ist Brian Hensons gelungener Versuch, das große Erbe seines Vaters erfolgreich weiterzutragen.


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Samstag, 9. November 2013

Die Quellen der Disneyfilme: Die Muppets Schatzinsel

 
Von Legenden zu historischen Ereignissen, von Märchen bis zu klassischer Literatur - die Zauberkünstler von Disney haben sich der vielfältigsten Quellen bedient, um Stoff für ihre Filme zu finden. Gemein haben sie jedoch alle, dass das Ursprungsmaterial nicht ohne Veränderung in den Disney-Kanon eingeflossen ist.

 

Diese Reihe von Im Schatten der Maus befasst sich mit dem Entstehungsprozess einiger dieser Meisterwerke:
Die Quellen der Disneyfilme

Dies ist nicht das erste Mal, dass Die Schatzinsel in dieser Reihe besprochen wird; schon in diesem Artikel über Disneys Schatzplanet habe ich einiges zu Robert Louis Stevensons Abenteuerklassiker geschrieben. Der Piratenroman, den Stevenson für seinen Stiefsohn geschrieben hat, stellt nach wie vor ein andauerndes Erbe an die Jugendliteratur jeder neuen Generation dar. Es ist eine klassische Seeräubergeschichte um eine verborgene Insel, einen vergrabenen Schatz, mordende Piraten, und über die beeindruckende Freundschaft zwischen der Hauptfigur Jim und dem einbeinigen Seeräuber Long John Silver - einem Antagonist, so ambivalent wie spannend geschrieben, der für Jim wie für den Leser des Buches bis zum Ende in seinen Absichten undurchschaubar bleibt.


Wie ich meinem anderen Artikel schon sagte, ist Der Schatzplanet nicht das erste Mal, dass Disney sich diesem Buch als Filmthema angenommen hat, im Gegenteil: Die Schatzinsel war 1950 der allererste Spielfilm aus dem Hause Disney; eine klassische Literaturverfilmung, die den Roman originalgetreu auf die Leinwand bringen wollte. Doch die verrückteste und meiner Meinung auch interessanteste Disney-Version der Geschichte ist eine andere: Es ist Die Muppets Schatzinsel, eine unkonventionelle Interpretation von Stevensons Klassiker mit einer Cast aus Muppet-Figuren.
Dies ist der fünfte Film der Muppets, und der zweite, der nach dem Tod von Muppet-Schöpfer Jim Henson entstand. Dazu ist es auch der zweite Muppet-Film, der ein Disney-Logo aufweist und der der eine klassische Literatur-Verfilmung darstellt.

Wie schon in der Muppets Weihnachtsgeschichte bilden die Muppets selbst größtenteils die Kulisse der Geschichte, während die Hauptrolle von einem menschlichen Darsteller übernommen wird - oder in diesem Fall die beiden Hauptrollen, nämlich Jim Hawkins und Long John Silver. Anfangs hatte der Plan zwar darin bestanden, die Figur von Jim durch Gonzo und Rizzo gemeinsam darzustellen, doch dann wurde schnell klar, dass das emotionale Zusammenspiel zwischen Silver und Jim zu bedeutend ist, um es den herumalbernden Puppen zu überlassen. Gerade diese äußerst menschliche Beziehung stellt schließlich das Hauptthema des Buches dar - Jim von den beiden Muppets verkörpern zu lassen wäre wohl vergleichbar damit, wenn man Belle in der Weihnachtsgeschichte durch Miss Piggy dargestellt hätte.
Eine sekundäre Erkenntnis, die aus jener ersten Besetzungsidee folgt, ist übrigens diese: Wenn man sich in der Schatzinsel für eine Kernfigur entscheiden müsste, die als einzige von einem Menschen verkörpert werden muss, so ist zweifelsfrei der einbeinige Pirat.



Während es in der Muppets Weihnachtsgeschichte der mehrfacher Oscar-Preisträger Sir Michael Caine auf bemerkenswerte Weise schafft, zwischen all den quirligen Puppen einen ruhigen Fixpunkt zu schaffen, wurde hier bei Silver gerade der entgegengesetzte Weg gewählt. Tim Curry ist laut, grell, spektakulär - er passt voll und ganz in die aufgewühlte Riege der Muppets, übertrumpft sie eher noch in seiner Farbigkeit. Der ganze Film könnte leicht zu einem reinen Schlachtfest ausarten, wäre da nicht das äußerst menschliche Zusammenspiel zwischen Silver und Jim. Erst hier kommt immer wieder Ruhe auf; hier bleibt Raum für Emotionen, und gerade die sind es, die aus dem Film am Ende wirklich etwas Besonderes machen.
Doch das soll nicht heißen, dass die Muppets selbst nicht perfekt zur Geltung kommen. Die gesamte Riege an Puppen ist wunderbar eingesetzt; unter der vielköpfigen Schiffscrew gibt es genug Platz, um jedem einzelnen Charakter jeweils seinen großen Moment zu ermöglichen. Miss Piggy hat einen grandiosen Auftritt als die glamouröse Eingeborenenkönigin Benjamina Gunn - mit pikanten Andeutungen, was ihre Vergangenheit mit Silver und sogar Käpt‘n Flinn betrifft. Und vor allem Kermit zeigt als Kapitän Smollet um einiges gesicherter und eindrucksvoller als sein Romanvorbild, speziell in der Endszene, als er Jim in seinem moralischen Hadern auf beeindruckende Weise unterstützt.
Auch Gonzo und Rizzo sind äußerst sinnvoll eingesetzt: Während sie in der Weihnachtsgeschichte „nur“ die Rolle der Erzählerstimme innehatten, dürfen sie nun direkt am Geschehen teilnehmen. Sie helfen reell, Jims Gefühle zu unterstreichen und seinen Gedanken auch nach außen hin Ausdruck zu verleihen.



Damit wären wir bei den menschlichen Darstellern selbst. Jim wird auffallend jung dargestellt, gerade wenn man seine moralische Souveränität im Verlauf des gesamten Films bedenkt. Im Roman wird sein Alter nie genau spezifiziert, und so ist diese Frage immer reine Interpretationssache. Und während Jims Alter zum einen sicherlich das Ziel hat, ein junges Publikum anzusprechen, könnte man meinen, es wirke sich auf die Geschichte vergleichsweise wenig aus. Jim ist umgeben von den grellen Muppet-Gestalten, und seine hauptsächlichen Ansprechpartner sind Gonzo und Rizzo - in dieser Umgebung ist kein besonders erwachsenes Verhalten nötig, um sich als vernünftiger Gegenpol hervorzutun.
Die Ebene, auf der Jims Alter eine Rolle spielt, ist natürlich das Zusammenspiel mit Silver, und damit das eigentliche Kernstück von Buch und Film. Gerade als kleiner Junge zeigt Jim sich hier um einiges verletzlicher und gibt Silver quasi mehr Möglichkeit, ihm gegenüber einen Beschützerinstinkt zu entwickeln, ohne sich dabei etwas zu vergeben. Und gerade durch den natürlichen Alters- und Stellungsunterschied wird die Tatsache unterstrichen, dass es alleine Jim ist, der sich im Verlauf des Films weiterzuentwickeln hat; auch wenn Silver den Jungen wirklich mag, so ist er doch nicht in der Position, sich durch das Bürschchen auf irgendeine Weise von seinem Weg ablocken zu lassen.
Gerade in die Beziehung greift der Film wieder Silvers eher harsche Interpretation aus dem Buch auf, wo Jim bis zum Schluss einigermaßen überzeugt ist, dass der Pirat alle Zuneigung doch nur blufft. Bei Tim Currys Silver ist die Zuneigung zwar sicherlich echt, was spätestens in der Szene klar wird, als er seine Vormachtstellung unter den Meuterern für den Jungen aufs Spiel setzt. Aber dennoch ist bei ihm in jedem Moment auch der harte Pirat am Zug; die Beziehung der beiden droht niemals, ins Sentimentale abzurutschen. Wenn Silver Jim am Anfang in einem nächtlichen Gespräch Hilfe bietet, so geschieht das vor allem, um dem Jungen Informationen zu entlocken. Er bedroht Jim und tut alles, um ihn auf seine Seite zu bringen, und auch am Ende zeigt er keine Probleme, gegen die anderen Hauptfiguren in Kampf anzutreten. Es besteht kein Zweifel, dass er trotz aller Unwägbarkeiten immer den unangefochtenen Seeräuberkapitän darstellt, der nur eben einen Narren an diesem Jungen gefressen hat. Gerade Silvers letzte Abschiedsworte an Jim können wohl zu Tränen rühren: „Du bist ehrlich, tapfer und treu. Das hast du nicht von mir gelernt!“


Die Geschichte bewegt sich durchweg nahe an Original, beeindruckend nahe, wenn man bedenkt, dass es immer noch ein Muppets-Film ist. Doch eine wichtige Veränderung betrifft das Ende, genauer gesagt die bedeutsame Endszene, die zwischen Jim und Silver zusätzlich eingefügt wurde. Wie später im Schatzplanet konnten die Filmemacher auch hier nicht widerstehen, die moralische Frage für Jim noch einmal zu verstärken - es ist ein Punkt für Charakterstärke und Eigenverantwortlichkeit, und gegen blinde Prinzipientreue.
Denn während es im Buch für alle Hauptfiguren ein Happy End gibt - die „Guten“ haben den Schatz errungen, während Long John Silver mit einem guten Teil davon fliehen kann - ist das Ende hier etwas melancholischer gezeichnet. Jim lässt Silver mit dem gesamten Schatz ziehen, der gibt Jim dafür den Kompass seines Vaters zurück. Aber wie um die nötige Moral doch noch zu gewährleisten, stellt sich heraus, dass Silver in einem kaputten Rettungsboot entkommen ist und seine Flucht zum Scheitern verurteilt ist - wie der Abspann zeigt, wird der Schatz gerettet, doch Silver bleibt alleine auf der Insel zurück. Ein vielleicht unnötig biederes Ende für einen sonst so moralisch aufgeschlossenen Film.


Insgesamt handelt es sich um eine beeindruckende Verfilmung des Romans. Viele sagen, der Film sei mit zu vielen Intentionen vollgestopft - doch auf der anderen Seite ist es faszinierend, auf wie verschiedene Arten er dennoch funktioniert. Es ist echter Muppets-Film mit überschwänglichem Humor, aber auch richtiges Abenteuer-Drama - ohne die Puppen könnte das Zusammenspiel von Jim und Silver problemlos in eine „echte“ Schatzinsel-Verfilmung hineinpassen.
Und gleichzeitig werden diese verschiedenen Teile hier perfekt kombiniert; die Schnittstelle zwischen Schauspielern und Muppets funktioniert ohne jedes Problem. Die Puppen zeigen, dass sie auch in ernsthaften Szenen bestehen können - vielleicht am Eindrucksvollsten in dem überraschend ehrlichsten Liebeslied „Die Liebe siegt“ zwischen Kermit und Miss Piggy - und die Menschen, allen voran Tim Curry, schaffen es problemlos, in dieser Muppet-Welt zu bestehen.

Die Muppets Schatzinsel hat sicherlich ihre Schwächen und Ungereimtheiten, aber in diesem Fall hat man das Gefühl, sie gehören eigentlich durch und durch mit dazu. Insgesamt ist es ein beeindruckendes Werk, das es schafft, aus einem Klassiker etwas wirklich Eigenes zu machen, ohne das Original dafür in irgendeiner Weise zu verraten
.


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Samstag, 21. September 2013

Die Quellen der Disneyfilme: Die Schöne und das Biest

 
Von Legenden zu historischen Ereignissen, von Märchen bis zu klassischer Literatur - die Zauberkünstler von Disney haben sich der vielfältigsten Quellen bedient, um Stoff für ihre Filme zu finden. Gemein haben sie jedoch alle, dass das Ursprungsmaterial nicht ohne Veränderung in den Disney-Kanon eingeflossen ist.

 

Diese Reihe von Im Schatten der Maus befasst sich mit dem Entstehungsprozess einiger dieser Meisterwerke:
Die Quellen der Disneyfilme

Das Motiv von Schöne und Biest hat eine lange, weitverzweigte Historie. Eine der ältesten Ausprägungen der Geschichte findet sich schon in der Legende von Amor und Psyche, und auch in der neuzeitlichen Märchenkultur taucht das Thema immer wieder auf, wie im Grimm‘schen Froschkönig oder dem norwegischen Östlich von der Sonne und westlich vom Mond. Doch trotz all dieser Vorgänger hat sich das französische Märchen Die Schöne und das Biest heute als quasi definitive Bearbeitung etabliert - zum einen wohl dank des sehr direkten, offensichtlichen Titels, aber wie ich denke auch, da die heute gängige Erzählweise alle wichtigen Motive in sich vereinigt. Der Kontrast zwischen inneren und äußeren Werten wird stärker aufgezeigt als beispielsweise bei Amor und Psyche, die Moral der Geschichte ist sehr viel eingängiger und stimmiger als im Froschkönig. Dabei existiert von dem Märchen nicht einmal eine definitive Fassung, sondern es gibt zwei Versionen, die dieselbe Geschichte auf erstaunlich unterschiedliche Art erzählen, nämlich das Buch von Gabrielle-Suzanne de Villeneuve und das kürzere Märchen von Jeanne-Marie Leprince de Beaumont.

Villeneuve veröffentlichte 1740 in einem Sammelband Die Schöne und das Biest in einer sehr ausführlichen Romanversion, die der Geschichte den nötigen Raum lässt, sich aber gerade in der zweiten Hälfte leider stark in Expositionen und unnötigen Hintergrunderzählungen verzettelt.
Die Protagonistin, die ihrer Schönheit wegen allgemein nur Schöne genannt ist, ist die jüngste Tochter eines verarmten Kaufmanns, der außer ihr noch elf Kinder hat, darunter fünf neidische und missgünstige Schwestern. Als der Kaufmann auf Reisen geht, fragt er nach Aschenputtel-Manier seine Töchter nach ihren Wünschen, und während die anderen Mädchen Schmuck und Kleider bestellen, bittet Schöne den Vater nur um eine Rose. Die Reise bleibt erfolglos, der Kaufmann verirrt sich im Schnee und findet dort ein verzaubertes Schloss, in dem ihm Zuflucht geboten wird. Erst als er sich an einer der Rosen im Garten vergreifen will, erscheint der Schlossherr in Gestalt eines wütenden Biests. Es will die Dreistigkeit anfangs mit dem Tode bestrafen, doch dann bietet es an, dass sich eine der Töchter des Kaufmannes anstelle ihres Vaters freiwillig ausliefern kann. Gegen seinen Willen gehorcht der Mann und bringt Schöne zum Schloss, um sie in der Obhut des Biestes zurückzulassen.
Schöne bekommt in ihrem neuen Zuhause alles, was sie sich wünschen kann; auf dem Weg durch das Schloss findet sie unter anderem eine Bibliothek und ein Spiegelkabinett, das es ihr ermöglicht, weit entfernte Orte zu beobachten, außerdem leisten ihr eine Reihe wundersamer Tiere Gesellschaft und immer wieder betrachtet sie das Bild eines wunderschönen Jünglings, das in einem der entlegeneren Zimmer hängt. Ebendieser junge Mann erscheint ihr auch in ihren Träumen (wo sie ihn mit Amor vergleicht - siehe Amor und Psyche) und er bittet sie immer wieder, ihm zu helfen, und sich nicht von Äußerlichkeiten täuschen zu lassen. Natürlich erkennt Schöne keinen Zusammenhang zwischen dieser Traumgestalt und dem abscheulichen Biest, das ihr jeden Abend Gesellschaft leistet, einige Sätze mit ihr wechselt und sie regelmäßig vergeblich um ihre Hand bittet. Dabei ist für Schöne neben dem Äußeren des Biests vor allem auch seine offensichtliche Dummheit zu abstoßend, als dass sie seine Bitte näher überdenken könnte. Doch als der Jüngling aus ihren Träumen sie schließlich auffordert, das Biest zu töten, stellt sie eindeutig fest, dass sie ihrem Gastgeber gegenüber zu viel Respekt und Dankbarkeit empfindet, um zuzulassen, dass ihm etwas geschähe.
Nachdem viele Monate vergangen sind, bittet Schöne das Biest, für einige Zeit zu ihrem Vater zurückkehren zu dürfen und er erfüllt ihr die Bitte. Nachdem die gewährten zwei Monate zuhause verstrichen sind, sieht sie im Traum das Biest, das am Sterben ist, weil es nicht mehr an ihre Rückkehr glaubt. Sofort eilt Schöne zurück, und während sie das todkranke Biest gerade noch retten kann, werden ihr ihre eigentlichen Gefühle klar. An diesem Abend antwortet sie auf seinen Heiratsantrag mit Ja, sie legt sich schlafen und wacht am nächsten Morgen mit dem zurückverwandelten schönen und sprachgewandten Prinzen an ihrer Seite auf.

Bis hier nimmt die Villeneuve-Version des Märchens einen wunderschönen, wenn auch zeitweise ein wenig altmodischen Verlauf - doch nun (nach gerade einmal der Hälfte der Seiten) wird die ganze Sache erstaunlich absurd und überzogen.
Am nächsten Morgen kommen die Mutter des Prinzen und eine gute Fee zu Schöne, und nachdem die Königin sich wiederholt weigert, ihrem Sohn die Hochzeit mit einer Kaufmannstochter zu erlauben, eröffnet ihr die Fee, dass es sich bei Schöne in Wirklichkeit um eine Prinzessin und eine Feenabstämmige handle; um die Kusine des Prinzen väterlicher- und um die Nichte der Fee selbst mütterlicherseits. Es folgt eine langwierige Vorgeschichte des Prinzen, die etwas an Dornröschen erinnert: Er hat einst den Zorn einer alten Fee auf sich gezogen, als er sich weigerte, sie zu heiraten, und zur Strafe legte sie den Fluch von Hässlichkeit und scheinbarer Dummheit auf ihn. Die gute Fee tat alles, den Fluch zu erleichtern, indem sie das Hofvolk in Statuen verwandelte, das Schloss des Prinzen in einem Zaubernebel versteckte und ihm auch sonst jede Annehmlichkeit gewährte, bis Schöne ihn schließlich erlösen konnte.
Es wird noch seltsamer, als der eigentliche Vater von Schöne, der Onkel des Prinzen und selbst ein König, auftaucht und auch dessen Vorgeschichte aufgedeckt wird, inklusive der alten bösen Fee, einer verschwundenen Mutter und einer weiteren Reihe von konstruierten Zufällen, die endlich in einer glücklichen Familienzusammenführung münden.
Es handelt sich zweifellos um eine viel zu lange, konstruierte Exposition, die die Wirkung des Märchens beinahe zerstört, da am Ende die gesamte Entwicklung als vorgeplant entlarvt wird. Aber wie gesagt, liest man nur die erste Hälfte der Geschichte, so ist es eine wunderbare Erzählung.


Gerade das dachte sich wohl auch Beaumont, als sie 1757 die Kurzversion von Die Schöne und das Biest aufschrieb, die heute wohl die bekannteste notierte Fassung sein dürfte. Diese Version ist durch und durch ein „normales“ Märchen; kurz, prägnant, und auf das Wichtigste konzentriert, wenn auch wohl nicht so reizvoll wie Villeneuves ausführlichere Geschichte.
Inhaltlich gibt es zwischen den beiden Fassungen nur geringfügige Änderungen, wie die, dass Beaumont die Menge von Kindern auf drei Söhne und drei Töchter reduziert hat. Sowohl Bibliothek als auch Zauberspiegel werden auch hier erwähnt, wobei eine noch stärkere Betonung auf Schönes Intelligenz und Bücherliebe gelegt wird. Beaumont beschreibt das Biest auch als sehr zuvorkommend und nicht dumm, sondern nur nicht besonders geistvoll.
Die Geschichte folgt dem gleichen Prinzip; Schöne erkennt schnell die gute Natur des Biestes, doch erst als sie für einige Zeit zu ihrem Vater geht und bei ihrer Rückkehr auf das sterbende Biest trifft, wird ihr das Ausmaß ihrer Gefühle wirklich bewusst. Sie gesteht ihre Liebe und mit einem großen Feuerwerk verwandelt sich das Biest zurück in den schönen, geistreichen Prinzen.
Was die Fee betrifft, so wird in dieser Fassung kein Grund für den ursprünglichen Fluch genannt und der Prinz redet nur von der „bösen Fee“. Doch da die Fee am Ende erscheint und Schönes Schwestern als Strafe für ihr missgünstiges Handeln in Statuen verwandelt, kann man zumindest annehmen, dass sie auch für ihre andere Verfluchung einen entsprechenden Grund hatte.



Der Disneyfilm basiert offiziell nicht auf einer speziellen Version des Märchens, und da beide Fassungen in den entscheidenden Punkten stark übereinstimmen, ist so eine Unterscheidung auch schwer zu treffen. Die Grundgeschichte ist von beiden Fassungen gleich frei übernommen, und gerade die spezielleren Motive, die aus dem Märchen herausgepickt wurden, um im Film eine besondere Betonung zu erhalten, finden sich großteils in beiden Aufschrieben: die Bibliothek, die Schöne im Schloss findet, der Zauberspiegel, der ihr Bilder von draußen zeigt, die in einem Feuerwerk aufgehende Entzauberung, und natürlich vor allem die Rose. Von all diesen Elementen, die im Film in einen größeren Bedeutungshintergrund eingebettet wurden, ist nur das Bildnis des Jünglings, das Schöne in einem versteckten Raum findet, auf Villeneuves Version beschränkt.
Zu erwähnen ist vielleicht noch, dass der Prinz in beiden Versionen keinen Namen hat, ebenso wenig wie irgendeine andere Figur. Da sich der Disneyfilm aber auch bei den anderen Figuren in keiner Weise um diese Namenlosigkeit schert, bleibt die Frage, weshalb gerade eine der beiden Hauptfiguren hier namenlos bleiben muss ...


Aber von Anfang an: Dass das heimische Umfeld von Belle für den Film geändert wurde, liegt im zu erwartenden Bereich einer Disney-Adaption. Aus dem namenlosen Kaufmann wurde der zerstreute Erfinder, doch abgesehen davon, dass Maurice etwas mehr Charakter abbekommt, hat sich nichts Prinzipielles geändert. Die Rolle von Schönes Schwestern wird im Film von ihrem gesamten Dorf übernommen, all den Dorfbewohnern, die neidisch auf Belle sind, ohne ihre Güte und Intelligenz verstehen zu können. Aber die größte Neuerung ist natürlich Gaston, der Dorfheld und aufdringliche Verehrer von Belle.
Die Disneyfassung hat einiges von Cocteaus berühmter Verfilmung übernommen - und der eine Punkt, der sich quasi von selbst anbietet, ist eben diese spezielle Verehrer-Gestalt. Ein äußerlich attraktiver, aber charakterschwacher Gegenpol zum Biest ist ideal geeignet, um Belles Wahl zwischen innerer und äußerer Schönheit zu verdeutlichen und den Kontrast der beiden Optionen aufzuzeigen.
Dieser Punkt kam an sich schon bei Villeneuve vor, wo es Schönes Träume waren, die ihr das Bild eines perfekten Geliebten zeigten. Natürlich handelte es sich dabei um das Biest (oder den Prinzen) selber, doch die Funktion war die gleiche. Außerdem verändert sich die Traumgestalt im Verlauf der Geschichte so sehr ins Antagonistische, dass am Ende wirklich die gleiche Wahl zwischen Innerem und Äußerem übrigzubleiben scheint.
In Cocteaus Film füllt Avenant diese Rolle direkt aus; er wird sogar von demselben Schauspieler gespielt wie das Biest und später der Prinz, auch wenn diese Ähnlichkeit hier wenig Sinn ergibt. Gaston hat bei Disney dagegen noch etwas mehr Charakter und Eigenleben. Er wirkt zu Beginn des Films beinahe wie ein typischer klassischer Held, und erst nach einer durchaus begründeten Entwicklung wird er zum vollwertigen Bösewicht. Andererseits ist seine Rolle aber von Anfang an so komisch und überzogen ausgelegt, dass er für Belle nie eine wirklich Alternative darstellt.


Gastons Figur ist nicht das Einzige, was der Disneyfilm aus dem alten Film übernommen hat. Um die Geschichte zu verfilmen, musste man bei Disney das Problem lösen, wie die Zeit, die Belle im Schloss verbringt, interessant dargestellt werden kann. In der Geschichte gibt es verschiedene Tiere und Geister, die ihr Gesellschaft leisten, doch selbst so wird der Tagesablauf bald eintönig. Disney hat nun diese Gestalten genommen, sie mit den beseelten Möbelstücken aus Cocteaus Film gemischt und ihnen Charakter verliehen - und das Ergebnis ist eine ganze Riege an Nebenfiguren, die den Film maßgeblich tragen helfen.
Lumière, von Unruh, Madame Pottine und Tassilo bringen nicht nur mehr Spaß in die Geschichte, sie sorgen auch für eine emotionale Bindung, die den Zuschauer noch weit gespannter auf die Auflösung des Fluchs hoffen lässt. Doch der wichtigste Zweck der Figuren ist noch ein anderer: Sie dienen den beiden Hauptfiguren als neutrale Ansprechpartner. Belle hat so Gelegenheit, ihre Gefühle zu verbalisieren, und dem Biest können seine Diener dabei helfen, langsam aber sicher auf die richtige Spur zu finden. So wird auch von Anfang an klar, dass sich mehr hinter der harten Fassade des Biestes verbirgt, und dass er nur den richtigen Schubs braucht, um sich zu öffnen. Die Rolle der Schlossbewohner besteht kurz gesagt vor allem darin, die Charaktere der beiden Hauptpersonen besser herauszubringen - und diese Aufgabe meistern sie mit Bravour.


Man kann wohl sagen, dass Belle die so ziemlich am besten charakterisierte Disneyprinzessin überhaupt darstellt. Ein Punkt, der dabei geholfen haben mag, ist wohl, dass sie schon in Villeneuves Erzählung einiges an Charakter besaß; auch wenn sie ihren Namen ihrem Äußeren verdankt, so ist es doch Intelligenz und Güte, die immer wieder betont werden. Doch trotz allem ist sie keine reine Mary-Sue. Sie verliebt sich in das Biest, doch das so langsam und zögerlich, dass es ihr selbst erst bewusst wird, als es beinahe zu spät ist. Dabei hat Schöne es im Original wohl noch schwerer, wenn ihr ihre Träume eine durch und durch perfekte Alternative zu der unvollkommenen Realität bieten. Bei Disney gibt es für Belle nur Gaston, sie kann also ihren Charakter beweisen, ohne dass sie beziehungstechnisch eine wirkliche Alternative hätte.
Aber ein noch wichtigerer Unterschied liegt in der Frage, was es genau ist, in das sich Belle schließlich verliebt - schließlich sind „innere Werte“ ein recht weitläufiges Gebiet. Im Märchen muss sich das Biest durch den Fluch dumm, oder zumindest geistlos geben und es ist nur seine gute Natur, die ihm schließlich Schönes Zuneigung gewinnt. Im Film dagegen wäre eine solche Geistlosigkeit für Belle kaum akzeptabel, wie schon Gaston als Negativbeispiel zeigt. Aber auch hier beginnt das Biest nicht sofort, sie mit seinem Charme zu verzaubern, im Gegenteil. Gerade weil das Innere des Biests durch den Fluch unverändert bleibt, ist er anfangs launisch, unleidlich und ungebildet, und es ist erst Belle, die Stück für Stück hilft, das Beste aus ihm herauszuholen.
So ist die Figur, die in Märchen und Film am unterschiedlichsten dargestellt wird, das Biest selber. Er bekommt erst hier wirklich Charakter und Tiefe verliehen, eben gerade weil er sich selbst verändern muss, um der Erlösung wirklich würdig zu sein. Anders als das Märchen beginnt der ganze Film ja schon mit dem Fluch, wie um zu unterstreichen, dass hier eine andere Betonung vorliegt als bisher. In dieser Version ist der Fluch nämlich berechtigt, und es ist vor allem am Biest selbst, mit Belles Hilfe eine Lektion zu lernen. Das Biest zeigt anfangs den unausstehlichen Charakter eines verzogenen Jungen, zornig und impulsiv, und erst Stück für Stück wird sein Inneres durch Belle aufgedeckt und herausgebracht.
Im Märchen ist die Geistlosigkeit des Biests auch Teil der Strafe; er muss damit leben, innerlich wie äußerlich entstellt zu sein und wenn ihn Schöne schließlich verändert, dann nur durch den befreienden Akt der Fluchauflösung. Im Film dagegen ist es wirklich an Belle, im Biest Geist und Gefühl zu erwecken und es ist die Aufgabe des Biests, sie diese Eigenschaften herausbringen zu lassen. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass sich die beiden am Ende wirklich gegenseitig würdig sind.



Ein besonderer Punkt, der dem Märchen (in welcher Ausprägung auch immer) gerne vorgeworfen wird, bezieht sich auf die Frage des Stockholm-Syndroms, oder die Theorie, nach der ein Entführungsopfer als Kompensationsmechanismus dazu neigt, eine enge Bindung zu seinem Entführer aufzubauen. Doch wirft man nur einen zweiten Blick auf das Märchen, so wird klar, dass dieser Vorwurf keinerlei Sinn ergibt. Im Original wie auch in der Disneyversion werden Belle ihre Gefühle ja erst in den Moment klar, als sie längere Zeit vom Biest getrennt ist.
Generell ist zu bemerken, dass Die Schöne und das Biest eine für ein Märchen beeindruckend realistische und nachvollziehbare Liebesgeschichte erzählt. Die beiden Hauptfiguren nähern sich einander langsam an, und völlig ohne es zu bemerken beginnt Schöne mit der Zeit, wirkliche Gefühle für das Biest zu fassen. Diese Entwicklung ist im Märchen vielleicht noch etwas platter als im Film - wenn das Biest allabendlich um Schönes Hand anhält, kommt sie nicht darum herum, ihre Gefühle immer wieder aktiv zu hinterfragen - aber dennoch ist es erst die Trennung und die Angst vor dem Verlust, die sie ihre Liebe gewahr werden lässt.
Bei Disney wurde diese an sich schon vielschichtige Beziehungsentwicklung genommen und weiter perfektioniert. Es ist eine durchgehende, langsame Entwicklung auf beiden Seiten, die schließlich in der großen Ballsaal-Szene mündet. Doch selbst dieser romantische Höhepunkt reicht nicht aus, um den Fluch zu brechen; auch hier ist es erst die Entfernung und die Gefahr für das Biest, die Belle dazu bringt, ihre Gefühle endlich offen zu bekennen. Es ist gerade dieser Augenblick, in dem ihr klar wird, dass sie sich wahrhaftig verliebt hat, der ausreicht, das Leben des Biests zu retten und den Zauber zu heben.


Die Schöne und das Biest ist ein wunderschönes Märchen, und die Disneyversion ist als Liebesfilm wahrhaft beeindruckend. Sie verändert das Ursprungsmaterial, teilweise massiv, aber gleichzeitig so gekonnt, dass es sich um eine reine Verbesserung und Perfektionierung handelt.
Wenn der Film während vieler vergeblicher Versuche lange auf seine Realisierung warten musste, so hat sich dieses Warten auf jeden Fall gelohnt. Sicher wäre es auch früher auf irgendeine Art möglich gewesen, die Geschichte zu verfilmen, nach dem Stil der früheren Disney-Märchen, die eine kurze Geschichte mit bunten Extras auffüllen. Doch so wie Die Schöne und das Biest schließlich auf die Leinwand kam, war es wohl nur zu dieser Zeit möglich: frei interpretiert, genau dort verändert, wo es möglich und nötig war, das Ursprungsmaterial emotional und charakterlich zu vergrößern. Für mich wird dieser Film immer den großartigen Höhepunkt von Disneys Meisterwerken darstellen
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