Sonntag, 13. Dezember 2015

Mad Max: Fury Road



Der Titel Mad Max: Fury Road ist Programm. Nicht bloß, weil es sich hierbei um den nunmehr vierten Teil der 1979 gestarteten, postapoklyptischen Mad Max-Actionreihe handelt und sich die Handlung nahezu ausschließlich auf den verbliebenen Wüstenstraßen abspielt. Der Titel ist allen Ernstes Wort für Wort Programm: Der 70-jährige Regisseur George Miller schuf mit dieser 150 Millionen Dollar teuren Produktion einen regelrechten Wahnsinnstrip. Mad Max: Fury Road besteht zu gefühlt 90 Prozent aus durchgeknallten, rasant-heftigen Verfolgungsjagden – und sowohl das gebotene Spektakel als auch die ausgestrahlte Verrücktheit sind bis zum Maximum aufgedreht. Subtilität ist für diesen Rausch der Zerstörung ein Fremdwort. Was für viele Filme ein harscher Kritikpunkt wäre, ist in diesem Fall ein gewaltiges Kompliment. Denn die Versessenheit, mit der Miller sein krawalliges Ziel verfolgt, macht diesen Wahnwitz zu einem einzigartigen Seherlebnis.


Die Geschichte – beziehungsweise der rudimentäre rote Faden, an dem sich die überwältigenden Actionszenen entlanghangeln – setzt nicht all zu lange nach Mad Max - Jenseits der Donnerkuppel an. Kenntnisse der früheren Mad Max-Filme werden jedoch nicht vorausgesetzt. Ein polternder Prolog erklärt das Nötigste: Wir befinden uns in einer fernen Zukunft nach einem nuklearen Desaster. Die Erde liegt brach und die verbliebenen Menschen wurden an den Rand des Wahnsinns gedrängt – oder eher darüber hinaus. Exzentrische Warlords herrschen drakonisch über die Schwächeren, und der verrückteste sowie mächtigste von ihnen ist Immortan Joe (Hugh Keays-Byrne), der über immense Wasserreserven verfügt und sich eine Armee an durchgeknallten Kämpfern herangezüchtet hat. Diese nehmen den einsam durchs Land streifenden, unter Halluzinationen leidenden Max in Gefangenschaft – wie sich zeigt, um ihn als Universalspender zu nutzen. Selbstredend versucht Max, aus Joes Klauen zu fliehen – genauso wie die verbissene Furiosa (Charlize Theron), die jahrelang für den Warlord arbeitete, nun aber eigene Ziel verfolgt …


Daran, wer gut und wer böse ist, lässt George Miller kaum Zweifel aufkommen: Die Motive der kahlgeschorenen, einarmigen Lastwagenfahrerin Furiosa mögen sich erst stückweise offenbaren, wer aber Immortan Joe und seine Heerschar an Freaks austricksen will, kann so übel nicht sein. Und Titelheld Max mag sich zwar zu lange ungeschützt der Sonne ausgesetzt haben, seinen moralischen Kompass macht er hinter seiner verschwitzt-verrückten Mimik trotzdem effektiv deutlich. Der erste Akt von George Millers explosiver Aneinanderreihung an Verfolgungsjagden steht daher unter der alles einenden Frage: „Wie bekommen wir unsere Guten ins selbe Boot, äh, in denselben Lastwagen?“ Denn sobald Immortan Joe erstmal die Jagd auf Furiosa eröffnet, schnappt sich dessen Untertan Nux (wie entfesselt: Nicholas Hoult) den Gefangenen, um ihn als lebenden Blutbeutel zu missbrauchen und an die Front seiner Karre zu binden.


Dadurch verleiht Miller der ersten großen Actionsequenz von Mad Max: Fury Road bewusst eine eigentümliche Dynamik – als Zuschauer vergönnt man Furiosa eine erfolgreiche Flucht, allerdings darf diese bei allen Karambolagen und Schusswechseln nicht auf Kosten von Max' Sicherheit erlangt werden. Somit wird jede Attacke, die in der orange-roten Sandwüste erfolgt, gleichwohl mit Anspannung und Staunen begrüßt. Angemessen, schließlich verzichtete Miller bei sämtlichen real umsetzbaren Kampf- und Crash-Sequenzen auf die Hilfe digitaler Effekte. Hier krachen noch echte, rostige Autos und LKWs ineinander, während todesmutige Stuntleute von A nach B hüpfen, sich eins auf die Nase hauen und an dünnen Stäben gebunden durch die Gegend wippen. Der Computer hilft vornehmlich dabei, die Schauplätze zu manipulieren und spektakulärer zu gestalten – und dies zu stylischen Ergebnissen! Die Auswirkungen der realen Stunts auf die Stimmung des Films werden eingangs dadurch verstärkt, dass auf beiden Seiten der Konfliktparteien eine mehr oder minder heroische Figur anzutreffen ist – ja, es soll krachen und knallen, aber bitte nicht zu sehr!


Es ist nicht zu viel verraten, dass diese Dynamik irgendwann verloren geht. Es ist aber Millers Verdienst, dass sie aufgegeben wird, so lange sie noch Wirkung hat – ein schwächerer Film würde wohl bis zum großen Finale versuchen, dieses Spannungselement getrennter Helden zu melken. Miller aber ist sich dessen bewusst, dass mit jeder zusätzlichen Minute die Gefahr der Abstumpfung droht: „Dann ist Max halt ein Gefangener, wenn er sich partout nicht befreien kann, soll er halt verrecken.“ Um eben dieser Publikumsreaktion vorzubeugen, mischt Miller nach angemessener Laufzeit die Teamzusammenstellung neu. Damit nimmt er zwar der Spannung ein Stück weit ihre Brennkraft – immerhin gibt es für den Rest des Films nur noch eine Partei, deren Wohlergehen von Interesse ist – dafür dreht der Regisseur, der unter anderem auch die Happy Feet-Filme inszenierte, mehr und mehr das exzentrische Element auf.


Welche Spinner sich alles unter den Schurken tummeln, wie sie kämpfen – oder dem Getümmel um sie herum musikalisch ihren Stempel aufdrücken – und welche abgefahrenen Strategien sie sich im Duell mit Furiosa einfallen lassen, ist ein schieres Vergnügen. Die Actionsequenzen explodieren nahezu vor haarstäubenden Ideen, was sich nicht nur auf das Figurenpersonal und das unfassbare, verlebte sowie überdrehte Produktions- respektive Kostümdesign auswirkt, sondern auch auf die Stunts. Denn die Flucht Furiosas vor Joes Mannen und deren Gefangenen ist zwar opulent genug, um in jedem anderen Actionfilm das Finale darzustellen. Aber in Mad Max: Fury Road geht es daraufhin noch größer, noch schneller, noch wagemutiger weiter.


Dass dieser Angriff auf die Sehnerven nicht zu viel wird, liegt nicht nur an den kreativen Stuntchoreografien, sondern auch daran, dass Miller und sein Autorenteam punktuell Ruhepausen setzen, die vom Timing her nahezu perfekt sind – nie so lang, dass Mad Max: Fury Road seinen beispiellosen Schwung verliert, nie so kurz, dass sie überflüssig erscheinen. Zugegebenermaßen sind die Dialogzeilen längst nicht so ausgefeilt wie die Actionpassagen, und in der Originalfassung obendrein ein unangenehm auffälliger, durcheinandergewirbelter Mix aus Nachvertonung und am Schauplatz aufgenommenen Takes. Jedoch wissen selbst beim Alibiplot die Ideen zu überzeugen: Tom Hardy mag hier rein mimisch und gestisch deutlich stärker sein als jedes Mal, wenn er sich längere Sätze abringt, dafür ist die non-verbale Interaktion zwischen ihm und der facettenreichen Charlize Theron denkwürdig – ebenso wie das mit Gewalt und Nachdruck gezeichnete, aber extrem detailreich ausgearbeitete Gesellschaftszerrbild des Films.


Nicht falsch verstehen! So nihilistisch Mad Max: Fury Road zwischenzeitlich auch sein mag, und so löblich es ist, die in den 80ern noch patriarchale Welt des postapokalyptischen Actionkinos mit robusten Frauenfiguren neu zu bevölkern: All dies ist und bleibt der schmückende Rahmen für fetzige, monumentale, turbulente Action. Und diese wird von einem Score untermalt, der genauso irre und aggressiv ist, wie das von Prince of Persia: Der Sand der Zeit-Kameramann John Seale (extra für Mad Max: Fury Road aus dem Ruhestand zurückgekehrt!) in satten, kontrastreichen Bildern eingefangene Leinwandgetümmel. Der niederländische DJ Junkie XL schmiss für seine Filmmusik den Klang von nahezu 200 Instrumenten zu einem machtvollen Gesamtwerk zusammen, das irgendwo zwischen poetischem Chaos und rockig-destruktiver Oper zu verorten ist. Von E-Gitarren und treibenden Drums hin zu anschwillenden Streichern und jeder Menge Blech: Die Musik ist es letztlich, die Mad Max: Fury Road den Extra-Antrieb gibt, in die Geschichte des Actionfilms einzugehen. Und zwar als eine poetisch-aggressive Sinfonie der Verwüstung in rotem Sand.


Fazit: Krach! Rumms! Schepper! *staun* Rattatatzong! Brumm-brumm-brrrruuuumm! *headbang* Wumms!


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