Mittwoch, 4. Mai 2016

Mistress America


Rund 30 Jahre alt und noch immer nicht mit beiden Beinen fest im Leben stehend. Aber was braucht es Standfestigkeit, wenn man Quirligkeit hat. Und Energie. Und eine unbändige, sprudelnde Kreativität. Sowie ein einnehmendes, optimistisches Wesen? Brooke hat all das, und auch einen Traum: Sie will in New York City ein heimeliges, ausgefallenes Restaurant eröffnen. Davon spricht Brooke nur all zu gerne, und es fällt schwer, dieser jungen Frau mit enormer Strahlkraft währenddessen nicht gebannt zuzuhören. Selbst dann, wenn sie sich in ihrem Redeschwall mal wieder arg selbst beweihräuchert. Und, ohne es zu bemerken, ihrem Gegenüber eine Gemeinheit vor den Latz knallt. Oder sie in ihrer überschwänglichen „Alles wird schon, ist das Leben nicht schön, wir brauchen nur Liebe, um zu sein!“-Mentalität zur Witzfigur verkommt. Oder ihr ab und zu dann doch anzumerken ist, dass sie ihren Sermon selbst nicht glaubt.

Kurzum: Brooke ist eine widersprüchliche, eine facettenreiche, eine bizarre Person. Eine, die Gefahr liefe, den gesamten Film um sich herum aufgrund ihrer Ziellosigkeit zu demontieren. Doch das Gegenteil ist der Fall: Sie fasziniert, sie beflügelt, sie erfrischt – und all dies, obwohl sie unfair sein kann, nicht lebensfähig ist und daher ein unsagbar schlechtes Vorbild darstellt.

Gespielt wird diese anziehende, zum Kopfschütteln einladende Frau von einer der wenigen Darstellerinnen, denen solch eine Rolle zuzutrauen ist: Greta Gerwig, die sich Brooke gemeinsam mit ihrem Schreib- und Lebenspartner Noah Baumbach auf den Leib geschrieben hat. Baumbach, der hier, genau wie bei Gerwigs Durchbruch Frances Ha Regie führt, versteht es, die Ausstrahlung Gerwigs und des von ihr verkörperten „Pleite-Tausendsassas“ genau einzuschätzen. Daher macht er Brooke zwar zur wichtigsten Person, aber nicht zur eigentlichen Hauptfigur seiner bittersüßen Screwball-Farce. Brooke wird bewundert, kritisch beäugt, zum Rätsel auf zwei Beinen stilisiert –  und zwar durch unsere Protagonistin und Erzählerin Tracy (Lola Kirke). Die 18-jährige Studentin ist eingangs schwer davon enttäuscht, wie sich ihr College- und Großstadtleben in New York entwickelt, weshalb sie sich bei ihrer künftigen Stiefschwester Brooke meldet. Als echte New Yorkerin müsste sie ihr etwas Orientierung geben können, denkt Tracy, nicht ahnend, welches Wirrwarr die redselige Blondine verursacht …

Ein solches, angenehm zu verfolgendes Wirrwarr verursacht Brooke nicht nur in Tracys früher College-Zeit, sondern auch im Hinblick darauf, welche Tonart Baumbachs zweite filmische Zusammenarbeit mit Gerwig anschlägt. Was als raffiniert beobachtende, gewollt spröde College-Komödie beginnt, die davon handelt, dass die von Kirke mit bodenständigem Charisma gespielte Tracy nicht ins ersehnte Studentenleben findet, wird durch Brookes Auftauchen zunächst zu einer Zeitgeist-Komödie: Das wilde, unvorhersagbare, atmosphärische New York rückt ins Zentrum des Geschehens, Tracys Studium rutscht weit in den Hintergrund.

Baumbachs Kameramann Sam Levy fängt den Big Apple in kräftigen Retro-Farben ein, die Erinnerungen ans Kino der 70er wecken – und da Baumbach seine Figuren bevorzugt an urigen Orten quasseln lässt und stilecht, aber nicht modisch kleidet, könnten diese Szenen glatt aus jener Zeit stammen. Was nicht heißt, dass Mistress America völlig aus der Zeit gefallen ist: Ab und zu zückt dann doch jemand sein Handy, um Fotos zu machen oder Nachrichten zu versenden – und selbst wenn das Drehbuch auf hippen Slang verzichtet, so ist Brooke eine Vorzeigeverkörperung der medienaffinen, verträumten Endzwanziger bis Mitdreißiger der Jetztzeit. Baumbach und Gerwig verschmelzen in ihrem Skript das zeitlose Feeling, das sie anstreben, nahtlos mit exakten Beobachtungen über das Heute. Und auch wenn sie bei der Einführung Brookes für wenige Minuten zu sehr in eine nichts aussagende Imitation verfallen, führt schon der nächste Haken, den die Titelfigur schlägt, den Film in sehr ergiebige Gefilde.

Denn einerseits fängt Brooke an, auf ihre Stiefschwester in spe abzufärben, was für Tracy erbauliche sowie ernüchternde Folgen hat. Dieses charaktergesteuerte, dem Alltag entnommene dramatisch-komödiantische Schauspiel wird aber in eine intellektuell-neurotische Farce eingebettet, wie sie von Woody Allen oder Peter Bogdanovic stammen könnte: Um Geld für ihr Restaurant aufzutreiben, fährt Brooke zu ihrem wohlhabenden Ex und dessen ebenfalls gut situierte Gattin. Da Brooke nicht nur von Tracy, sondern auch zwei ihrer College-Bekanntschaften begleitet wird, und im noblen Anwesen der potentiellen Restaurant-Investoren Besuch zu gegen ist, sind alle Voraussetzungen für ein ulkiges Hickhack gegeben.

Und Baumbach schöpft dieses Potential voll aus: Er orchestriert mit seinen Figuren ein perfekt koordiniertes Hin und Her – Allianzen werden aufgebaut und aufgegeben, immer wieder werden Zwie- zu Gruppengesprächen und die exzentrischen Charaktere schaukeln sich gegenseitig immer weiter hoch. Die Grenze zur Karikatur wird alsbald überschritten, jedoch nutzt Baumbach dies, um feinsinnig-fesche Pointen und Aussagen über Brookes Menschenschlag von sich zu geben. Und dank makellosem Comedy-Timing des gesamten Ensembles sowie Jennifer Lames Schnitt, der in diesem Part viel präziser ist als noch im ersten Akt, wird bei Freunden waschechten New Yorker Filmhumors kaum ein Lachmuskel unberührt bleiben.

Sobald sich der überhöhte, gekonnt konstruierte Trubel in der Villa von Brookes Ex gelegt hat, nimmt wieder die Menschlichkeit Überhand: Mistress America reißt unaufdringlich, aber feinfühlig die Frage an, wie viel Brooke in uns stecken sollte. Eine klare Antwort gibt es nicht, nur eine völlig veränderte Tracy, einen launigen Abspann und ein nachdenkliches Grinsen auf dem Gesicht des geneigten Zuschauers. 

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