Sonntag, 12. März 2017

Genius – Die tausend Seiten einer Freundschaft


Hinter jedem großen Autor steht eine Person, die ihn in der Spur hält. Doch während berühmte Schriftsteller regelmäßig in Biografien behandelt werden, bleiben ihre Lektoren zumeist literarische Randnotizen. Ein Lektor, der es sehr wohl wenigstens zu einem respektablen Maß an Ruhm gebracht hat, ist Max Perkins, dem einer seiner zahlreichen hoch angesehenen Schützlinge sogar eines seiner Werke widmete. Dieser gegen den schriftstellerischen Usus verstoßene Autor war der wortgewandte, schreibwütige Thomas Wolfe, der einst als Shooting Star der US-Literaturszene gefeiert wurde. Der Weg von seinen Manuskripten bis hin zu den verlegten Editionen war jedoch ein langer und steiniger, wie nicht nur A. Scott Berg in seiner preisgekrönten Max-Perkins-Biografie beschreibt, sondern auch Theaterregisseur Michael Grandage in seiner weniger preisverdächtigen Filmadaption eben jenen Sachbuchs.

New York, 1929: Nachdem der extrovertierte Lebemann Thomas Wolfe (Jude Law) bei jedem anderen Verlag auf Granit gestoßen ist, findet sein überdimensionales Manuskript „O Lost“ beim renommierten Verlagshaus Charles Scribner’s Son endlich einen Befürworter. Der Lektor Max Perkins (Colin Firth), der bereits Ernest Hemingway und F. Scott Fitzgerald markttauglich gemacht hat, erkennt in dem verschwurbelten 1.000-Seiten-Manuskript ein literarisches Kleinod. Doch für eine Veröffentlichung sei es noch nicht bereit – also streichen Perkins und Wolfe den Debütroman in mühevoller Kleinarbeit zusammen. Die überarbeitete Fassung wird unter neuem Titel zum Bestseller, was jedoch Wolfes Geliebte Aline Bernstein (Nicole Kidman) aufbringt, schließlich genießt sie als Unterstützerin des ungezügelten Wolfe-Talents nicht weiter eine Alleinstellung. Alsbald stellt Wolfe seine Freundschaft sowie sein Arbeitsverhältnis zu Perkins auf eine beinharte Probe: Er platzt mit einem 5.000-Seiten-Manuskript in das Büro des geachteten Lektors – und kämpft daraufhin um den Erhalt jedes einzelnen Wortes …

Passend dazu, dass Thomas Wolfe als Autor nicht wusste, wann es langsam mal genug ist, agiert seine von Jude Law gespielte Leinwandversion durchweg übertrieben. Der Sherlock Holmes-Nebendarsteller gestikuliert wild um sich, gibt jegliche Selbstkontrolle über die Lautstärke seiner Stimme auf und wirbelt dauereuphorisch durch den Raum – es sei denn, er ist gerade von Perkins‘ Entscheidungen enttäuscht oder gar verletzt. Dann stapft er wütend oder schlurft betont niedergeschlagen durch die Gegend. In der Einführungsszene gleitet Laws entsprechend hyperaktive Performance arg ins Klischeehafte ab, hat keine eigenen Ecken und Kanten, sondern stellt allein ein grelles Abziehbild des archetypischen, manischen Künstlers dar.

Sobald Perkins und Wolfe eine Bindung zueinander gefunden haben, wandelt sich Laws Spiel im Detail jedoch ab – es bleibt laut, wild, ungezügelt, aber es ist in kleinen Macken dieser stets zwischen Selbstüberzeugung und übertönten Zweifeln schwankenden Rolle verankert. Somit stellt Wolfe mehr dar als einen schalen Stereotypen. Colin Firth wiederum gibt Perkins als das exakte Gegenteil Wolfes, spielt einmal mehr eine dieser perfekt auf ihn zugeschnittenen, galanten, intellektuellen und besonnen Figuren, die Ereignisse ruhig verfolgen und ihr starres Auftreten gelegentlich mit einem dezenten, kecken Lächeln aufbrechen. Dieser Rollentypus fordert Firths Schauspielkünste schon lange nicht mehr, dennoch ist Firth spürbar engagiert. Firth wandelt die minimalistischen Gesten Perkins‘ variantenreich ab, und so wird durch winzige Regungen in seinen Mundwinkeln deutlich, ob er gerade von Wolfe begeistert ist, er sich anstrengen muss, die Contenance zu bewahren oder ob ihm alles gleichgültig geworden ist.

Bedauerlicherweise sind es Law und Firth allein, die die Freundschaft zwischen dem übereifrigen Schriftsteller und dem rationalen Lektor spürbar werden lassen. Das Drehbuch von John Logan (Aviator) spurtet durch Wolfes geschäftigen Jahre, ohne ein Gefühl für den Lauf der Zeit zu gestatten, und reiht dabei schlicht Wendepunkte aneinander. Wie Wolfe und Perkins zueinander stehen, wenn sie nicht gerade eine seitenlange Szene auf einen Halbsatz runterbrechen oder Wolfe seinem Kumpel das „wahre Leben“ zeigt (in Form einer sehr diskutablen „Wow, die Schwarzen wissen, wie man Party macht!“-Jazzclub-Szene), bleibt zumeist offen. Wenn sich die zwei so gegensätzlichen Persönlichkeiten zerstreiten, ist die dramatische Fallhöhe dieses Zwists daher äußerst überschaubar.

Generell sind die Szenen, die sich mit den Privatpersonen beschäftigen, statt mit dem überraschend dynamisch eingefangenen Prozess des Lektorierens, fast durchweg entweder beliebig oder unfreiwillig komisch. Vor allem die theatralischen Auftritte Nicole Kidmans sind in ihrer inhaltlich nur rudimentär erläuterten Manie gewaltige tonale Ausrutscher in diesem Biopic, das von Kino-Regiedebütant Michael Grandage und Kameramann Ben Davis (Guardians of the Galaxy) in einem eintönig-künstlichen Braun-Grau-Braungrün-Matsch gehüllt wird und seinen Nebendarstellern kaum Material an die Hand gibt. Schade, dass kein Max Perkins die Hand an diesen Film legen konnte – denn auch aus diesem Werk hätte etwas Starkes rausgeschliffen werden können.

Fazit: Genius – Die tausend Seiten einer Freundschaft gibt Literaturbegeisterten einige sehenswerte Sequenzen darüber, wie große Literatur letzten Endes geschaffen wird. Doch abseits dieser Momente hat dieses spröde, lasch erzählte Biopic so wenig zu bieten, das selbst die beiden engagierten Hauptdarsteller nicht genügen, um es auf ein durchschnittliches Genremaß zu heben.

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