Samstag, 10. Juli 2010

Frühstück bei Tiffany

Immer wenn ich durch einen Elektronikmarkt stöbere und eine DVD von Frühstück bei Tiffany in einem Regal finde, dessen Inhalt in rosaroter Schrift als "Was Frauen schauen" oder "Damenglück" oder ähnliches gekennzeichnet wird, möchte ich aufschreien, den Verantwortlichen ausfindig machen und mit einer besonders schwafeligen Filmenzyklopädie verprügeln. Notfalls täte es auch eine ausgedruckte Kopie meines Blogs.
Welcher Dilettant ordnet Frühstück bei Tiffany irgendwo neben Dirty Dancing, Twilight, Sex and the City oder gar Rosamunde-Pilcher-Schund ein und kann daraufhin nachts gut schlafen?
Weshalb gilt Frühstück bei Tiffany als "Weiberfilm"? Liegt es daran, dass, Gott bewahre, eine Frau die Hauptrolle innehält? Dann sind Million Dollar Baby oder Alice im Wunderland wohl auch Frauenfilme. Oder liegt es daran, dass romantische Gefühle als die Triebfeder des Plots bezeichnet werden könnten? Tja, dann sind Avatar, Forrest Gump, Con Air, Ein Quantum Trost, Die Simpsons - Der Film und eigentlich nahezu jeder Film, in dem ein Paar vorkommt ebenfalls Frauenfilme. Und darüber, ob die Romanze in Frühstück bei Tiffany der Motor der Handlung ist, lässt sich obendrein noch langwierig diskutieren. Steht im Zentrum der Geschichte nicht viel mehr das zerrüttete Seelenleben einer nach außen hin sorglosen, jungen Persönlichkeit? Und wenn jetzt plötzlich ein Film als reines Frauenfutter gilt, weil er den Charakter einer seiner Hauptfiguren besonders achtet, dann ist eigentlich jedes Drama ein Frauenfilm, schließlich wird in solchen Filmen auf so etwas wie die psychologische Skizzierung des Protagonisten geachtet.

Eigentlich liegt die Antwort auf der Hand: Wer Frühstück bei Tiffany in rosa Regale legt und an das selbe Publikum verkaufen möchte, das sich auch oberflächliche Kitschschnulzen oder andere leichte, "feminine" Kost kauft, der hat den Film überhaupt nicht gesehen und lässt sich allein von einer galant gekleideten, kokett lächelnden Audrey Hepburn und einem schwungvollen (rosa oder glitzernd-güldenen) Schriftzug in die Irre führen. Dabei ist besagtes Foto eines der ikonischsten der Filmgeschichte und sollte als solches von jeglicher Vorverurteilung freigesprochen werden. Aber wie will man das der Allgemeinheit verdeutlichen? Ich würde schon gern sehen, wie der legendäre und auch berüchtigte, bissige Neurotiker Truman Capote solchen Einschätzungen der Verfilmung seiner berühmten Novelle entgegnet wäre.

Selbstverständlich kommt man nicht herum, anzumerken welche Änderungen Frühstück bei Tiffany beim Transfer auf die Kinoleinwand erfuhr, noch dazu auf die Kinoleinwand der frühen 60er-Jahre, die nicht zuletzt wegen des Hay's Code notorisch sauberer war, als Capotes ungeschöhnt ehrliche Literatur. Allerdings benötigte Komödien-Regiegott Blake Edwards keine expliziten Erwähnungen von Homo- und Bisexualität oder übermäßigen Drogenmissbrauch und etwaige Callgirl-Tätigkeiten der Protagonistin, um ein tiefschürfendes und mitunter schonungsloses Charakterbild eines schnellebigen Playgirls zu zeichnen. Und wer hier die weibliche Form des Playboy-Lebemanns mit dem "Playmate", dem Häschen des Monats verwechselt, geht bitte kurz auf die stille Treppe.

Danke sehr, weiter im Text.

Frühstück bei Tiffany beginnt damit, wie das leicht lebige Partygirl Holly Golightly (Audrey Hepburn) im Vorbeigehen am Schaufenster des noblen Juwelierladens Tiffany frühstückt. Für sie vollkommen normal. Zu ihrem exzessiven Lebensstil gehört es auch lange Partys zu feiern und bis nachmittags auszuschlafen. Sie arbeitet nicht, sondern lässt sich dafür bezahlen, wöchentlich einem Gangsterboss in Sing Sing Besuch abzustatten. Als zusätzliche Einnahmequelle lässt sich die bezaubernde, jedoch verschlossene Dame von ihren zahlreichen männlichen Begleitern und Verehrern fünfzig Dollar "für die Toilette" zustecken. Obwohl Holly schon lange in ihrem New Yorker Apartement lebt, ist es spärlich eingerichtet und ihrem treuen Kater verweigert sie die Namensgebung, weil sie darauf kein Anrecht habe.

Hollys exzentrische Persönlichkeit fasziniert den frisch nebenan eingezogenen, ambitionierten Schriftsteller Paul Varjak (George Peppard), dessen letzter Erfolg bereits ein wenig zurückliegt und der sich von seiner finanziellen Gönnerin und Ex-Freundin in die Enge getrieben fühlt. Er sieht sich von Hollys schillerndem Verhalten inspiriert und erträgt es somit geduldig, wie sie ihn wegen seiner Ähnlichkeit zu ihrem Bruder unablässlich "Fred" nennt. Als sie eines Abends unangekündigt in seine Wohnung platzt und ihm einen vorsichtigen Einblick in ihre Seele gewährt, ist es um Paul geschehen - selbst nachdem sie urplötzlich schimpfend davonstürmt kann er sich ihrem Bann nicht entziehen.

Eine Liebesbeziehung zu Holly darf sich Paul der beidseitigen Zuneigung zum Trotz nicht erhoffen: Wie er auf einer von Hollys ausgelassenen Partys erfährt, ist es ihr großes Lebensziel, sich reich verheiraten zu lassen und dadurch wohlbehütet zu werden. Hollys auserkorenes Objekt der Begierde ist ein brasilianischer Großgrundbesitzer, der in seiner Heimat zudem hohen politischen Einfluss genießt. Somit entsteht zwischen Paul und Holly statt einer festen Liebesbeziehung eine innige, turbulente Freundschaft während derer Paul die verletzte und ängstliche Person hinter Hollys selbstbetrügerischen Glamourfassade entdeckt.

Es ist unmöglich, angemessen über Frühstück bei Tiffany zu schreiben, ohne in eine Liebeserklärung an die göttliche Audrey Hepburn zu verfallen. Die Actrice mit den unwiderstehlichen, leuchtend und zugleich tiefen Augen spielte in Blake Edwards bittersüßer Romantiktragikomödie die Rolle ihres Lebens, nicht ohne Grund verschmelzten Hepburn und die bezeichnend benannte Holly Golightly in der Filmgeschichte zu einer Einheit. Dabei glich sich die introvertierte Hepburn der exzentrischen Holly nahezu überhaupt nicht. Womöglich stammt aus eben dieser Differenz zwischen Darstellerin undLeinwandpersönlichkeit die unerklärliche, charakterliche Attraktivität Holly Golightlys. Ihr durchtriebenes Spiel mit ihren Verehrern, in denen sie zunächst unmissverständliche Hoffnungen aufflammen lässt, bevor sie sich einschließt und über die Feuertreppe flieht um so dem eigentlichen Akt zu entgehen, ihre nach außen hin unantastbare Selbstverliebtheit, die Selbstverständlichkeit, mit der sie ihren Nachbarn Mr. Yunioshi nachts rausklingelt, weil sie sich nicht darum kümmert, ihren Haustürschlüssel zu suchen, all diese und viele weitere schlechte Angewohnheiten müssten Holly zu einem unausstehlichen Miststück machen. Aber selbst lange, bevor sie ihre hochmütige Maske fallen lässt, versprüht sie einen verspielten, kindlichen Charme, dem man nicht böse sein kann. Obwohl ihr Handeln und ihr Reden anfangs keinen Anlass zu dieser Einschätzung zulassen, wirkt sie aufgeweckt und intelligent. Hollys charismatischer Witz und ihr liebreizendes Äußeres tun ihr übriges, und schon ist man dem anmutigen Playgirl völlig verfallen.
Obwohl man anhand der persönlichen Unterschiede zwischen Hepburn und Holly vielelicht erklären kann, weshalb sie derart anziehend ist, so tut man Hepburn Unrecht, wenn man dies als das einzige Erfolgsgeheimnis dieser ikonischen Leinwanddarbietung abtut, denn soviel auch dazu gehört, eine Figur wie Holly Golightly von Beginn des Films an sympathisch darzustellen, so verlangt es um einiges mehr an Talent, bei dieser Intensität des Spiels natürlich zu bleiben. Hepburn behält durchgehend eine vollkommen unverfälschte, schlichte Grazie bei und lässt Holly wie die einfachste Rolle ihrer Karriere aussehen. Selbst deren impulsiven Stimmungsschwankungen, während denen ihr illusorisches Kartenhaus einzubrechen droht, kommen unaffektiert rüber und ordnen sich nahtlos in die Gesamtcharakterisierung der Figur ein.

Dazu tragen selbstverständlich auch George Axelrod feinfühliges Drehbuch und Blake Edwards stimmige Regiearbeit bei. Die intelligenten Dialoge in Frühstück bei Tiffany überraschen mit für ihre Zeit gewagter Schärfe und einer im Romantikgenre beinahe konkurrenzlosen, tiefgründigen Beobachtungsgabe. Edwards, der später mit den Rosaroter Panther-Filmen noch größere Bekanntheit erlangen sollte, gelingt in der Umsetzung dieses Drehbuchs ein schwieriger Balanceakt, indem er mit gleichermaßen unschuldigen wie verruchten Mitteln eine bittersüße, melancholische sowie nachdenkliche und dennoch unterhaltsame Stimmung erzeugt. Mühelos wechselt Edwards zwischen überaus komödiantischen Szenen wie sämtlicher Slapstick mit "Kater" oder Hollys skurrile Party, auf der es allerlei absurde Details zu entdecken gibt, und Szenen, die zugleich süß und tiefsinnig sind (wie der berühmte Moment, in dem Holly Moon River singt, ein bewegendes, simples Stück von Komponist Henry Mancini und Texter Johnny Mercer). Dazwischen gesellen sich äußerst dramatische Szenen, etwa wenn Holly von ihrer Vergangenheit eingeholt wird, oder auch verrucht-verspielte Sequenzen, die das alltägliche Treiben Hollys perfekt charakterisieren.
Deswegen ist gegen die leichte Zähmung dieser Figur im Vergleich zur Buchversion kein Einwand zu erheben, denn dadurch konnte der Film sich zu so einer einvernehmenden Mischung aus brav und unerhört, leichtfüßig und schwerthematisch formen. Neben Edwards vorzüglichem Händchen für diese verklausulierte, doch durchgehend einheitlich scheinende Stimmung, ist auch George Peppard dafür verantwortlich, dass eben dies gelang. Als Hepburns Leinwandpartner lässt er sich mit seiner deutlich bodenständigeren Filmfigur nicht an die Wand spielen oder als reiner Langweiler abstempeln. Stattdessen repräsentiert er mit Feingeschick das Publikum, das sich von Holly verzaubern lässt, über ihre Lebensweise staunt und herauszufinden versucht, was ihr verborgenes Geheimnis ist, was die zerbrechliche Person hinter dem eleganten Auftreten ausmacht.

Mögen einige zu gestrenge, selbst ernannte Verteidiger der Buchvorlage an partiellen Entschärfungen Anstoß finden, obschon sie aus den angerissenen Gründen meiner Meinung nach keinesfalls störend auffallen, stellt für mich etwas anderes den einzigen Wermutstropfen an Frühstück bei Tiffany dar: Mickey Rooney als Mr. Yunioshi, der von Hollys Angewohnheit ständig bei ihm zu klingeln, statt selbst das Haus aufzuschließen, dauergenervt ist und sich deshalb lauthals bei ihr beschwert. In letzter Zeit formierte sich Rooneys Darstellung als runde Brille tragender, schiefzähniger asiatischer Stereotyp zu einem Anlass diverser Kontroversen, die dem Film Rassismus vorwerfen. Ob die Figur des Mr. Yunioshi abfällig gedacht ist, oder in sich so überzeichnet ist, dass sie wieder als ironisch gedeutet werden soll, möchte ich an dieser Stelle nicht bewerten. Rückblickend ist sie so oder so problematisch. Was mich an Mr. Yunioshi aber noch stärker stört, ist dass sie auch ohne die Darstellung durch Rooney wohl ein Stolpersten wäre. Diese Figur wird überdeutlich als wandelnder Schenkelklopfer eingeführt und vom Regisseur durchweg als eben solcher in Szene gesetzt, doch sie kann mir nichtmal einen Schmunzler entlocken. Sie ist verschwendete Filmlaufzeit, und das ist schon schlimm genug.
Schwer wiegenden Schaden nimmt Frühstück bei Tiffany dadurch allerdings nicht. Blake Edwards' Meisterwerk besticht mit einsichtsvollen Dialogen und einer der großartigsten schauspielerischen Leistungen der Hollywood-Geschichte und erzählt eine ausgeglichen überhöhte und aus dem Leben gegriffene Geschichte über eine anmutige, verletzliche junge Frau, die sich mit ihrem Erscheinungsbild ganz elegant selbst zu betrügen versucht. Die Romanze ist, wie der Film selbst, melancholisch ohne ins Sentimentale abzurutschen. Das intelligente Skript bereitet einen logischen Schluss vor, der zwar vom rigorosen Ende der Novelle abweicht, allerdings ehrlich und folgerichtig ist.

Wegen seiner Nachdenklichkeit und den pointiert gesetzten, humorvollen Akzente ist Frühstück bei Tiffany ein leicht zu konsumierendes Stück anspruchsvoller Kinokunst und ein Liebesfilm, der beide Geschlechter gleichermaßen anspricht. Und für jeden Filmliebhaber, der sich die bedeutungsvollsten Klassiker der Geschichte ansehen möchte, ist er sowieso ein absolutes Muss. Ein Muss, das man sich sehr gerne anschaut.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Den Film habe ich erst letztens zum ersten Mal gesehen! Der Film gehört von mir aus gesehen zu den besten Filmen die ich bisher gesehen habe. Wenn man dies als Mann sagt, heisst das was. Audrey Hepburn ist wirklich eine schöne Frau.
Im Film wird zur Abwechslung mal ein Mann an der Nase herumgeführt, statt eine Frau.
Der Film fesselte mich von der ersten bis zur letzten Sekunde. Der Asiate empfand ich nicht als störend, aber nicht wirklich als witzig.

Anonym hat gesagt…

mein absolute lieblingsfilm, dicht gefolgt von "ein süßer fratz" und "my fair lady" :)

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