Samstag, 9. Juni 2012

Bottle Rocket

Hierzulande auch bekannt als Durchgeknallt

Es war für lange Zeit der Film, der die negativste Testaufführung in der Geschichte von Columbia Pictures durchstand. Er war trotz niedrigem Budget eine finanzielle Enttäuschung. Er ist aber auch einer von Martin Scorseses zehn Lieblingsfilmen der Neunziger. Und es ist der Beginn der Karriere von Owen Wilson sowie, möglicherweise noch wichtiger, der noch ungeschliffene Einstand von Wes Anderson, nunmehr einer der am meisten geachteten Regisseure unserer Zeit. Bottle Rocket (aka Durchgeknallt) kam 1996 in ausgewählte US-Kinos und zeigte dort die in Farbe gedrehte, abendfüllende Ausschmückung eines auf Festivals geachteten Schwarzweißkurzfilms der Studienkumpel Wes Anderson und Owen Wilson sowie dessen Bruder Luke. Auf Videokasette wurde er zu einem Kult-Geheimtipp für junge Erwachsene und alsbald sollte sich Wes Anderson mit Rushmore einen Namen in intellektuellen Filmzirkeln machen.

Es heißt ja, dass Meister nicht vom Himmel fallen, und auch Wes Andersons distinktiver Stil wurde ihm nicht direkt in die Wiege gelegt. Bottle Rocket sieht nicht exakt so aus, klingt nicht so und wirkt auch nicht völlig so, wie Wes Andersons spätere Filme. Allerdings kann man innerhalb dieser ungewöhnlichen Gangsterkomödie bereits die Elemente entdecken, aus denen später der markante Stil Wes Andersons entwachsen sollte. Darüber hinaus erinnert Bottle Rocket auch an die kollektive Stimme der damals aufstrebenden, jungen Filmemacher, die weder kommerziell, noch völlig verkopft waren, sondern einfach ihrer Liebe zum Film nachkamen und die Attitüde ihrer Generation in ihre Werke einflochten. Schon allein deshalb ist Bottle Rocket durchaus ein interessant zu betrachtender Film, selbst wenn er sogar bei nur 88 Minuten Laufzeit noch immer etwas langgezogen wirkt.

Erzählt wird von einem Trio versagender Kleinkrimineller. Anthony (Luke Wilson) lieferte sich wegen Überanstrengung selbst in eine psychiatrische Klinik ein, aus der er sich auch jederzeit selbst entlassen dürfte, was sein Schulfreund Dignan (Owen Wilson) allerdings nicht weiß, weshalb er ihn in einer waghalsigen (soll heißen: stupiden) Rettungsaktion befreit. Der in Selbstreflexion versinkende Anthony wird daraufhin von einem ungestümen Dignan vor vollendete Pläne gestellt: Er solle dringend Mr. Henry kennenlernen, der schon Dignan mit seiner Lebensweisheit und Tatkraft beeindruckt habe und ihnen ins organisierte Verbrechen helfen könne. Unterdessen finden die zwei Schulfreunde bei ihrem Kumpel Bob (Robert Musgrave) eine Bleibe, selbst wenn dies nur die protzige Villa seiner Eltern ist, die sich derzeit auf Reisen befinden. Mit einem Überfall auf eine Buchhandlung wollen die drei ihre kriminelle Karriere voranbringen, auf ihrer Flucht gen Süden verliert Anthony aber das Interesse, da er sich Hals über Kopf in die Motel-Reinigungskraft Inez (Lumi Cavazos) verliebt ...

Eben diese kleine Liebesgeschichte ist mit ihrem stillen, leicht schrägen Humor und ungezwungenem Charme das Herzstück von Wes Andersons Debütfilm. Unter der hier noch sehr beiläufigen Inszenierung Andersons fangen Luke Wilson und Lumi Cavazos ohne großen Kitsch oder bemühte Verrücktheit auf kecke Art und Weise das Gefühl einer unerwarteten Romanze ein, die ohne große Dramen einfach plötzlich im Leben der Beteiligten angelangt ist. Sehr amüsant sind auch jegliche Raubzüge der Loser-Gangster, die sich selbst also ganz große Ganoven sehen, es aber dennoch so unspektakulär angehen und gegen die Normalität ihrer Ziele auflaufen. Der Überfall auf eine Buchhandlung glüht geradezu vor sprödem Charme und staubtrockenem Dialogwitz. Zwischendurch kommt es in Bottle Rocket wiederum zu sehr viel Leerlauf, der durch einen Mangel an Charakterentwicklung sowie das vom Film gewählte Minimum an Handlung einzig und allein durch die pointierte Sprache der Hauptfiguren noch zu unterhalten weiß. Die Dialoge, von denen einige Juwelen im akustischen Hintergrund versteckt sind, haben aber eine hohe Zitierfähigkeit und werden mit wiederholtem Ansehen immer kultiger.

Wes Andersons Identität als Bildästhet spürt man Bottle Rocket rückblickend nur in einigen Szenen an. Es gibt bereits die für ihn markante Zeitlupensequenz sowie manche Insertshots von Schriftstücken, manche Dialogszenen sind auch bereits sehr frontal zur Kamera gestaltet. Generell wirkt Bottle Rocket aber noch wie ein üblicher Generation-X-Indiefilm, inklusive kargen Hintergründen und ähnlich unaufgeregtem Musikeinsatz. Zusammen mit der Orientierungslosigkeit der Verlierer-Protagonisten und den scharf umrissenen Dialogen steckt in Bottle Rocket auch etwas von der DNA, die Kevin Smiths, Quentin Tarantinos, Robert Rodriguez' und Paul Thomas Andersons erste Werke ausmachte. Bottle Rocket ist ein gewaltloses Reservoir Dogs angesiedelt im View Asewniverse, versehen mit einer weniger prekären El Mariachi-Liebelei. Und das ist nicht abschätzig gemeint, es ist faszinierend, wie nah sich viele der aufstrebenden Filmemacher der 90er waren, obwohl sie alle ihre unverkennbaren Stimmen haben.

Bottle Rocket ist narrativ etwas zu langsam für sein eigenes Wohl, die Nebenfiguren sind etwas zu blutarm, jedoch machen die Highlightszenen und das komödiantische Timing der Wilson-Brüder diese Nachteile weitgehend wieder wett. Es ist wahrlich kein Film für Leute, die Gemächlichkeit in ihren Komödien als störend empfinden, doch die vielen kleinen Verschrobenheiten von Wes Anderson machen Bottle Rocket zu einem Geheimtipp für all jene, die eine leicht melancholische, unkonventionelle Diebstahl-Loser-Comedy sehen wollen. Und für Fans des großartigen Autorenfilmers ist dieses Frühwerk eh ein Muss.

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