Freitag, 19. Oktober 2012

Kameragenie Wally Pfister findet "The Avengers" schlecht fotografiert


Bevor der Kinosommer 2012 losging, ahnte, ja, fürchtete man als leidenschaftlicher Filmfreund eine unschlichtbare Debatte, die unschöne, hitzige Argumente nach sich ziehen könnte. Der Kampf der Superhelden-Epen und ihrer Fans kündigte sich an, standen der Popcornspaß The Avengers und Christopher Nolans lang ersehnter Abschluss seiner The Dark Knight-Saga an. Sofern ich die vergangenen Wochen nicht ausschließlich die ruhigsten Ecken des Internets aufgesucht haben sollte, so blieb der erwartete Killerstreit aus. Selbstredend trollten manche The Avengers-Fans Batman-Liebhaber, weil The Dark Knight Rises nicht das Kritikerlob einheimste, welches dem Vorläufer zuteil kam, ebenso musste Marvels The Avengers einstecken, weil er weniger Risiken einging. Allgemeinhin schienen Comicfans und Blockbusterfreunde aber friedlich zum Entschluss gekommen zu sein, dass wir uns einfach über den Superhelden-Supersommer freuen sollten.

Nun gießt ausgerechnet Wally Pfister, der geniale Stammkameramann Christopher Nolans, Öl ins Feuer. In einem (mittlerweile um die entsprechende Stelle gekürzten) Interview mit der Harald Tribute, sagt der für Inception mit dem Oscar ausgezeichnete Kameramann:

"Was wirklich wichtig ist, ist das Storytelling. Es ist alles bedeutungslos, wenn es nicht die Geschichte unterstützt. Ich fand, dass The Avengers ein entsetzlicher Film war. Sie filmten aus irgendeinem seltsamen Winkel und ich fragte mich 'Wieso ist die Kamera dort? Oh, ich weiß, sie ist dort, weil sie eine halbe Million Dollar für das Set ausgegeben haben und das zeigen müssen.' Es hat mich völlig aus dem Film gerissen, diese unlogische Form des Geschichtenerzählens hat mich völlig wahnsinnig gemacht."

Was ist nun von Pfisters Urteil zu halten? Nun, zunächst einmal: Da das Zitat mittlerweile aus dem ursprünglichen Interview entfernt wurde, liegt die Vermutung nahe, dass der The Dark Knight-Filmer diese Stelle nicht für die Medienöffentlichkeit bestimmte und nicht öffentlich über erfolgreiche Kollegen des selben Metiers herziehen wollte. Dass Pfister im Rahmen einer Vortragsreihe allerdings auch Negativbeispiele aktueller Kameraarbeiten heranzieht, ist völlig legitim, und so sei es ihm generell gestattet, über Kollegen zu urteilen. Das hat meiner Ansicht nach nichts mit Neid oder Unprofessionalität zu tun, selbst wenn ihm das momentan viele vorwerfen.

Doch bietet sich The Avengers tatsächlich für solch harsche Kritik an? Ich zumindest kann Pfisters Argument schwer nachvollziehen, mir persönlich viel dieses Superheldenstelldichein sogar als besonders gut fotografierter Film auf, ein Urteil, dass ich selbst nach viermaligem Anschauen nicht revidieren möchte. Es lassen sich einige Beispiele für gutes Framing und tolle Kameraführung finden, wie etwa die Sequenz im großen Actionfinale, die jedem der Helden in Manhattan im Einsatz zeigt. Ohne Schnitt von Held zu Held, jeder bekommt seinen kleinen Glanzmoment, die Szene ist sowohl übersichtlich als auch dynamisch und stellt gleichermaßen dar, welch ein Team die Avengers mittlerweile sind, wie auch die kämpferischen Fähigkeiten des Einzelnen. Diese Szene war das cinematografische Pendant einer doppelseitigen Splashpage, die in einem einzelnen Bild mehrere Aktionen zusammen abbildet, also ein wahrhaftig künstlerisch wie technisch ausgefeilter Comicfilm-Höhepunkt.

Ebenfalls besonders gelungen ist die im Marketing ausgeschlachtete 360°-Kamerafahrt rund um das Heldenteam. Solche Aufnahmen sind in Actionfilmen keine Seltenheit, und mit etwas triumphaler Musik wirkt so eine Kreisfahrt fast automatisch epochal, doch Avengers-Kameramann Seamus McGarvey verzichtet darauf, Michael Bay zu kopieren und platziert die Kamera nicht etwa in einem Froschwinkel, sondern auf Augenhöhe mit den Helden, was subtil die Bildwirkung von "Woah, was geht hier nur vor?" zu "Diese Leute haben es drauf und ergänzen sich" verschiebt. Kein Meilenstein der cinetmatografischen Geschichtsschreibung, trotzdem überaus gelungen.

Was also könnten die dem Film schadenden, störend-seltsamen Einstellungen sein, von denen Pfister spricht? Mir fallen wirklich nur zwei Momente ein, in denen McGarvey etwas exzentrischeres versucht, und eine davon ist die Verhörsequenz zwischen Black Widow und Loki. Wenn der zunächst sehr stille Loki sein Gegenüber einschüchtert, seine mit Hass erfüllte Drohung ausspricht und sich in seiner Abscheulichkeit aalt, fängt McGarvey aus einem Dutch Angle die spiegelnde Gaswand ein, der sich Loki nähert und außerhalb derer sich Black Widow befindet. Auf der Glaswand reflektiert der schwadronierende Gott, sein Spiegelbild verzerrt zu einer monströsen Fratze. Diese Aufnahme riss mich kurz aus dem Film, nicht aber, weil sie selbstgefällig ist, sondern weil ich eine so gekonnt augeleuchtete und geframte Aufnahme nicht in diesem Popcornspaß erwartet habe. Und insbesondere in 3D, wo sich die Reflektion in einer anderen Tiefenebene abspielt, als Black Widows schockierte Mimik und das Innere von Lokis Glaskäfig, vermittelt diese Aufnahme mit voller Wucht, dass Loki gerade auch für seine Verhältnisse richtig hässlich handelt.

Bleibt somit nur ein Moment, in welchem ich Pfisters Kritik verstehen kann: Während sich das Team von Helden streitet, zoomt die Kamera zurück, zeigt Lokis machtvolles Szepter und dreht sich, bis das Bild Kopf steht. Es ist ein aufgesetzter visueller Kniff, um die entstehende Kluft im Team darzustellen und beim Publikum Unbehagen auszulösen, und immer, wenn diese Szene kommt, wundere ich mich, was diese kleine Kamerafahrt soll. Jedoch ist es ein sehr, sehr kurzer Moment in einem ansonsten wundervoll fotografierten Actionfilm, der das Tempo eines guten Michael-Bay-Films hat, aber wesentlich, wesentlich übersichtlicher gelang.

Dennoch: Niemand sollte Pfister wegen seiner Kritik an The Avengers schlecht machen. Er ist einer der besten aktiven Kameramänner Hollywoods und blickt auf seine Profession mit einem Hintergrundwissen, welches wir nicht haben. Zudem sind seine Kameraarbeiten hypnotischer, selbst Aufnahmen wie das querstehende Hotel in Inception oder das Leuchtfeld in Prestige erwecken bei mir keine "Wow, cool!"-Rufe, sondern stehen im laufenden Film ganz im Dienste der Story und Atmosphäre, erst wenn sie aus ihrem Kontext gelöst werden, erstaunen sie so, wie die 360°-Fahrt in Avengers. Pfister verfolgt also eine andere Schule als McGarvey. Da sind Differenzen nicht zu vermeiden ...

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