Mittwoch, 27. Mai 2015

Exodus: Götter und Könige


Dass Exodus: Götter und Könige am 25. Dezember, also am 1. Weihnachtstag, in den deutschen Kinos startete, war keine willkürliche Entscheidung. Schließlich handelt es sich bei der 140-Millionen-Dollar-Produktion um eine Bibelverfilmung, die in ihrem Prunk an solche Werke erinnert, wie sie einst in gewisser Regelmäßigkeit die große Leinwand erfüllten. Entgegneten Kinogänger in den 50ern Filmen wie Die zehn Gebote aber noch mit einer gewissen Selbstverständlichkeit, wurde Ridley Scotts Neuerzählung der Moses-Geschichte von vielen Seiten aus bereits rein prinzipiell als antiquiert bezeichnet. So urteilte mehrere Kritiker, dass es reaktionär oder gar albern sei, heutzutage noch einen Film zu drehen, der sich der Bibel annimmt.

Es sollte angebracht sein, sich zu fragen, ob eben jene Kritiker in wenigen Monaten auch Star Wars – Das Erwachen der Macht allein schon aufgrund ihrer Prinzipien niederschreiben werden. Und ob sie die Der Herr der Ringe-Trilogie verabscheuen (die ja bevrzugt zur Adventszeit auf Zuschauerjagd ging). Auch in diesen Filmen agieren Wesen, die mit ihren Fähigkeiten und ihrem Wissen weit über anderen Figuren stehen. Das gesamte Fantasygenre platzt vor Prophezeiungen und vor Auserwählten. Und immer wieder werden in diesen Geschichten komplexe Mythen ausgebreitet, die von den sie betreffenden Figuren oftmals als heilig aufgefasst werden. Doch bei solchen Werken halten sich die Klagen, Geschichten über Ehrfurcht gebietende Überwesen seien rückwärtsgewandt, in Grenzen. Sie werden zumeist als Eskapismus gesehen, als visuell prächtige Fantastereien. Exodus: Götter und Könige versteht sich ebenfalls als solch ein Geschichtentypus. Scott transportiert sein Publikum in eine andere Zeit und an einen anderen Ort. Und er geht davon aus, dass der Zuschauer für die Dauer des Films bereit ist, zu glauben, dass sich innerhalb dieser Geschichte übernatürliche Ereignisse abspielen können.

Einen missionarischen Gedanken hat Exodus: Götter und Könige indes genauso wenig wie die Mittelerde-Saga oder vergleichbare Werke. Es gibt nicht einen Filmmoment, der überdeutlich darauf abzielt, das Publikum zum Christentum zu konvertieren – oder es in seinem christlichen Glauben zu bestärken. Die emotionalen Intentionen dieser Mammutproduktion beschränken sich stattdessen auf jene Mechanismen, wie sie im Epochalkino alltäglich sind: Es geht darum, Rückschläge zu verkraften, Hindernisse zu überwinden und ein gemeinschaftliches Wohl anzustreben. Zahllose Blockbuster lassen grüßen. Nur, dass sich Scott halt nicht aus einem Fantasy-Bestseller der vergangenen Jahrzehnte bedient, sondern eine Bibel-Erzählung als Inspiration nimmt.

Und nichts daran sollte verwerflich sein. Denn vollkommen unabhängig davon, ob man gläubig ist oder nicht, ob man die Institution Kirche befürwortet oder nicht: In der Bibel stehen einige interessante Geschichten, die sich großartig für pompöse Adaptionen eignen. Geschichten über Verrat, Angst, Selbsterkenntnis und Zusammenhalt. Ob man nun davon ausgeht, dass diese Geschichten auch Geschichte sind, darf auch mal für die Dauer eines Films zweitrangig sein. Religiöse Debatten lassen sich viel eher über Filme wie das seichte Drama Den Himmel gibt’s echt führen, da diese eine klar ausformulierte, klerikale Perspektive haben. Über deren Sinn und Verstand können entsprechend geneigte Zeitgenossen gerne zanken. Exodus: Götter und Könige dagegen ist einfach nur ein Bombastwerk, das unterhalten will.

Die entscheidende Frage, die sich stellt, ist die danach, ob Exodus: Götter und Könige unterhält. Dass sich diese Frage trotz der beeindruckenden Schauwerte nicht mit einem kräftigen „Ja!“ beantworten lässt, liegt vornehmlich daran, dass dieses 150-minütige Abenteuer ein wenig zwischen die Stühle fällt. Was wiederum passiert, weil das von einem vierköpfigen Autorenteam geschriebene Skript keinen klaren Ansatz findet, wie es mit dem Material umgehen soll.

Die Geschichte bietet das Potential, mit einem emotionalen und dramatischen Kern sein Publikum zu bannen: 1.300 Jahre vor unserer Zeitrechnung wachsen Ramses (Joel Edgerton), Sohn des Pharao Seti (John Turturro), und Findelkind Moses (Christian Bale) wie Brüder auf. Sie stehen füreinander ein, beschützen sich gegenseitig und scherzen auch miteinander. Bloß in einem Punkt finden sie keine Übereinkunft: Während Ramses vor Prophezeiungen Respekt hat, hält Moses sie für Humbug. Ebenso wenig Glauben schenkt er der Erzählung des Sklavenältesten Nun (Ben Kingsley). Während Moses ihn verhört, um zu erfahren weshalb die Sklaven neuerdings vermehrt Aufstände anzetteln, erzählt Nun, von Moses wahrer Herkunft zu wissen. Er sei Israelit und dazu geboren, sein Volk aus der Sklaverei zu befreien. Zunächst ignoriert Moses diese Behauptungen, als er aber Opfer einer Intrige wird und das Reich des Pharao verlassen muss, ändert sich alles …

Die Dynamik zwischen Ramses und Moses wird von den Autoren Adam Cooper, Bill Collage, Jeffrey Caine und Steven Zaillian zwar in den ersten Filmminuten ausreichend etabliert, ist aber nicht so zentral, dass sie als Herz des Films taugt. Bale und Edgerton haben in ihrer ersten Handvoll an gemeinsamen Szenen eine freundschaftliche Rivalität miteinander, sobald sich aber erste ernstzunehmende Spannungen zwischen ihren Figuren abzeichnen, wirkt es so, als seien sich Ramses und Moses völlig fremd. Zu keinem Zeitpunkt thematisiert Exodus: Götter und Könige auf textueller Ebene ausreichend, dass sich die zusammen groß gewordenen Männer voneinander verletzt fühlen. Und auch die Darsteller lassen kaum Wehmut in ihren Rollen aufglühen. Dies ist dem DreamWorks-Zeichentrickfilm Der Prinz von Ägypten deutlich besser gelungen – was nicht weiter von Belang wäre, hätte Scotts Langerzählung einen anderen inhaltlichen Schwerpunkt, der das Geschehen antreibt.

Doch die anderen thematischen Elemente, aus denen sich die biblische Vorlage zusammensetzt, werden in dieser Adaption ebenfalls bloß bruchstückhaft aneinandergereiht. Sei es Moses Auseinandersetzung mit seiner leiblichen Herkunft, seine Entwicklung zum Anführer eines ganzen Menschenstammes oder der nicht unbedeutende Aspekt, dass ein gesamtes Volk generationenlang versklavt wurde und dann endlich Freiheit erlangt. All diese Facetten der biblischen Geschichte dienen in Exodus: Götter und Könige primär dazu, von einer Monumentalsequenz zur nächsten überzuleiten. Solch ein erzählerisches Vorgehen ist keineswegs zu verachten – es gibt zahlreiche gute Leinwandspektakel, bei denen die Handlung nur ein Alibi ist, um möglichst imposante Bilder zu zeigen. Für solch ein nährstoffarmes Prunkabenteuer weist Exodus: Götter und Könige obschon ein ernüchternd gemächliches Erzähltempo auf, weshalb der Oscar-nominierte Filmemacher Scott zwar mit all seinem Pomp zu überwältigen weiß, aber nur szenenweise auch wirklich mitzureißen vermag.

Als mit einiger Verzögerung auf die Leinwände dieser Welt gelangtes Prachtwerk in der Tradition von William Wylers Ben Hur, Stanley Kubricks Spartacus oder Mervyn LeRoys Quo vadis? ist Exodus: Götter und Könige auf handwerklicher Ebene trotzdem eine Wucht. Filmliebhaber, die seit längerem den Wunsch hegen, neu produzierte Sensationsunterhaltung in diesem Stil zu sehen, werden aufgrund der riesigen Prachtbauten, blendenden Kostüme und schwelgerischen Setdekorationen aus dem Staunen nicht mehr herauskommen. Gerade, weil Scott Erinnerungen an frühere cineastische Zeiten wecken will, empfiehlt es sich auch, Exodus: Götter und Könige nicht in 3D, sondern in 2D zu sehen, um ein möglichst „authentisches“ Retro-Filmerlebnis zu haben.

Die wertvollsten Beiträge zu Exodus: Götter und Könige steuern konsequenterweise nicht etwa Christian Bale (spürbar begeistert, holt trotzdem nur Solides aus dem Material heraus), Joel Edgerton (durchwachsen) oder die zahlreichen Nebendarsteller (durchweg nur schmückendes Beiwerk) bei. Es sind Kameramann Dariusz Wolski (Fluch der Karibik und seine Sequels), Produktionsdesigner Arhtur Max (Königreich der Himmel) sowie Kostümdesignerin Janty Yates (Gladiator), die das Wohl des Projekts auf ihren Schultern tragen. Die verschwenderische Ausstattung Max' und Yates' wird vom polnischen Kameramann hervorragend in Szene gesetzt und verleiht Exodus: Götter und Könige die Qualität eines sich bewegenden Schlachtengemäldes.

Apropos Schlachten: Scott, Wolski und Cutter Billy Rich verstehen es, durch lange Total- und prägnant eingesetzte Nahaufnahmen, sowohl die visuelle Gewalt der großteils praktisch umgesetzten Kämpfe zu unterstreichen, als auch an die faszinierenden Details heranzufahren. Die visuell eindringlichsten Momente von Exodus: Götter und Könige hätten es dann fast schon verdient, als Standbild eingerahmt und ausgestellt zu werden. Wer also eine klassische Materialschlacht im Kino erleben möchte, bekommt mit Scotts Version der zehn Plagen (von denen neun erstaunlich sind und eine grobschlächtig animierte Krokodile heraufbeschwört) und der Flucht durchs Rote Meer genau dies geliefert. Drumherum mangelt es Ridley Scotts Bombastfilm aber so sehr an Fokus, dass er sich als Gesamtwerk nicht gerade für respektable Platzierungen in Genrebestenlisten empfiehlt. Dank der Hingabe zum Dreh mit praktischen Bauten und Heerscharen an Statisten sowie einem Mangel an übereifrig-inkohärenter Exzentrik im Stile von Darren Aronofskys Noah ist Exodus: Götter und Könige jedoch auch weit davon entfernt, ein künstlerischer Totalausfall zu sein.


Fazit: Nach dem künstlerisch gescheiterten Experiment Noah folgt nun ein gewollt altmodischer Bibelfilm. Ridley Scott geht mit Exodus: Götter und Könige keinerlei Risiken ein, setzt dafür umso mehr auf ausschweifende Handwerkskunst. In Zeiten der digitalen Effektgewitter eine willkommene Abwechslung. Das unkonzentrierte Drehbuch und das angesichts der flachen Charakterzeichnung unnötig gelassene Erzähltempo hindern den Bombastfilm aber daran, sich als rundherum imponierender Genrevertreter zu empfehlen.


Dienstag, 26. Mai 2015

Die Tribute von Panem - Mockingjay: Teil I


Die zweifache Hungerspiel-Überlebende Katniss Everdeen (Jennifer Lawrence) verkriecht sich verzweifelt, verängstigt und verwirrt in einem nicht sonderlich einladend wirkenden Raum. Manisch spricht sie im Flüsterton mit sich selbst, erinnert sich an die wenigen Fakten, an denen sie noch festhalten kann: Sie stammt aus dem ärmlichen Distrikt 12 des diktatorisch geführten Staates Panem, zerstörte bei den letzten Hungerspielen die Arena und wurde daraufhin von den Rebellen gerettet. Doch Katniss' Versuche, sich zu beruhigen, scheitern: Obwohl ihr versprochen wurde, in Sicherheit zu sein, ist sie voll des Misstrauens – schließlich enthüllten die verbissenen Gegner des abscheulichen Präsidenten Snow (Donald Sutherland), sie als unwissende Figur in einem Schachspiel gegen die Regierung verwendet zu haben. Da es ihnen obendrein nicht gelang, Katniss' Leidensgenossen Peeta (Josh Hutcherson) aus der Gladiatorenarena zu befreien, macht sie den Rebellen und sich selbst schwere Vorwürfe.

Die Aufständischen jedoch wollen keine Zeit verlieren und warten daher gar nicht erst, bis Katniss das Geschehen verdaut und sich an ihr neues Zuhause im unterirdischen, lange zerstört geglaubten Distrikt 13 gewöhnt hat. Vor allem Medienstratege Plutarch Heavensbee (Philipp Seymour Hoffman) und Anführerin Alma Coin (Julianne Moore) möchten das Kapitol möglichst zeitnah am schockierenden Ausgang der kürzlich abgehaltenen Hungerspiele stürzen – mit Katniss als personifiziertes Symbol der Rebellion. Ob sie dazu bereit ist, diese schwere und gefährliche Bürde zu tragen, scheint niemanden zu interessieren …

Endlich wieder eine Saga, die mit ihren Aufgaben wächst
Die Tribute von Panem-Filmreihe ist weit mehr als einfach nur eine weitere von vielen Jugendbuchadaptionen. Dies drückt sich bereits darin aus, dass es den Produzenten Nina Jacobson und Jon Kilik gelang, drei Jahre in Folge einen neuen Teil der Saga in die Kinos zu bringen. Und sofern keine unvorhergesehenen Ereignisse die Veröffentlichung des vierten Teils hinauszögern, können sie 2015 von sich behaupten, ein jährliches Filmfranchise beendet zu haben. Trotz dieser beeindruckenden Geschäftigkeit sind die Die Tribute von Panem-Filme deutlich hochwertiger produziert (geschweige denn geschrieben) als die ebenfalls Jahr für Jahr ins Kino geeilten Twilight-Verfilmungen. Eine bedeutsame Gemeinsamkeit existiert trotzdem zwischen diesen beiden Reihen: Frei nach dem Vorbild der Harry Potter-Saga wird die Adaption des finalen Romans in zwei Teile gesplittet. Diese Methode, an der sich auch Die Bestimmung bedient, während Der Hobbit bekanntlich sogar gedrittelt in die Lichtspielhäuser gelangt, ist unter Filmfans, nicht ganz zu unrecht, umstritten.

Die kreativen Köpfe hinter den betroffenen Reihen begründen diesen Schritt stets damit, den Fans der Buchvorlage zum Abschied einen möglichst originalgetreuen und detaillierten Film bieten zu wollen. Jedoch zweifelt wohl niemand daran, dass es den Studiobossen allein um die zusätzliche Gelegenheit geht, das Publikum zur Kasse zu bitten. Hinzu kommt, dass sich einige Bücher schlicht nicht für eine ausführliche Verfilmung eignen, weshalb mehrteilige Romanadaptionen leicht zur Redundanz neigen. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel, und obwohl Francis Lawrences verklausuliert betitelter Die Tribute von Panem – Mockingjay: Teil I nach dem turbulenten Schluss des Vorgängers mehrere Gänge zurückschaltet, zählt der dritte Panem-Teil zu diesen löblichen Fällen.

Hinter den Kulissen einer Rebellion
Das größte Qualitätsmerkmal der neuen filmischen Erlebnisse der kämpferischen Jugendlichen Katniss Everdeen ist zugleich der Aspekt, der unvorbereitete Zuschauer eingangs etwas verwundern könnte. Nach dem leichte Mediensatire und dystopisches Abenteuerfeeling vereinenden ersten Part und dem in seiner Gesellschaftskritik deutlich bissigeren zweiten Teil, der neben seiner Abenteueraction auch eine stärkere Dosis Dramatik bietet, wandelt sich die Die Tribute von Panem-Saga nämlich ein weiteres Mal. Und dies radikaler denn je: Mockingjay: Teil I ist im Grunde genommen ein sehr karges, ernstes Drama über moderne Kriegsführung – bloß im dystopischen Gewand und gerade so jugendgerecht verpackt, dass es die bisherige Tribute von Panem-Zielgruppe weiterhin erreicht.

Mit diesem geänderten thematischen Schwerpunkt kommt auch – schon wieder – eine neue Ästhetik daher: Produktionsgestalter Philip Messina und das Kostümdesigner-Duo Kurt Swanson & Bart Mueller setzen nahezu ausnahmslos auf dunkle Erdtöne und schlichtes Grau. Bei aller Trübseligkeit ist die Ästhetik dieser Lionsgate- und Color-Force-Produktion die bisher eindrücklichste im Franchise, was der dichten Atmosphäre und Weltbildung zugutekommt. Ob der hoch funktionale, beengende Distrikt 13, dessen Gestaltung an das verwinkelte Innere von Atomkraftwerken der 1960er und 1970er erinnert, oder die verwüsteten Überreste anderer Distrikte, die Katniss besucht: Die gesamte Filmwelt wirkt authentisch, verlebt und lässt unentwegt das Gefühl aufkommen, sich als Zuschauer in einem vor dem Umbruch stehenden, zerrütteten Staat zu befinden.

Und vor exakt dieser bedrückenden Kulisse lassen die auf Suzanne Collins' Vorlage aufbauenden Drehbuchautoren Danny Strong und Peter Craig ihre Heldin Katniss Everdeen die unangenehmen Pflichten einer Aufstandsikone durchleiden. So besucht sie ein Feldlazarett, um den Anwesenden trotz ihrer hoffnungslosen Lage Mut zu machen, lässt sich in Strategiegesprächen von Heavensbee und Coin herumschubsen und wird widerwillig zur Protagonistin aufrührerischer, pathetischer Propagandaspots gegen das Kapitol. Auch wenn vereinzelt kurze, aber umso intensivere Sequenzen erste Guerillakämpfe zeigen, liegt das Hauptaugenmerk dieses Films nicht auf Feldeinsätzen, sondern auf den medial-strategischen Aspekten eines Krieges. Und somit trifft Die Tribute von Panem – Mockingjay: Teil I den Nerv der Zeit: Politische Kämpfe werden dank der Fortschritte in der Kommunikationstechnik mehr und mehr über die Medien ausgetragen (Stichwort: Arabischer Frühling), und wie wichtig inspirierende Aushängeschilder für solch eine moderne Revolution sind, stellt dieses Jugenddrama erstaunlich treffend dar.

Darüber hinaus setzen die Verantwortlichen den in Catching Fire begonnen Ansatz fort, die zentrale Auseinandersetzung der niederen Distrikte gegen ihre hedonistischen Herrscher differenziert zu betrachten: Da in Mockingjay kein Sieg der Rebellen ohne herbe Verluste geschieht, die Franchis Lawrence auch drastischer zeigt als noch Gary Ross die Hungerspiel-Opfer in Teil eins, und Katniss von den Rebellen allein ob ihrer Funktion respektiert wird, fehlt der Panem-Reihe die in Hollywood sonst so verbreitete Glorifizierung militärischer Gewalt. Zwar lässt der in anspannender Gemächlichkeit erzählte Film keinen Zweifel daran, dass Snows Regentschaft gestürzt werden muss, gleichwohl werden die unschuldigen Opfer des Bürgerkriegs und die steten Gefahren eines blutigen Umsturzes klar. Recht anspruchsvoller Stoff, erst recht für eine primär an Jugendliche gerichtete Filmreihe.

Neue und altbekannte Akteure, die das Geschehen im Kontext der Reihe verankern
Es ist Regisseur Lawrence sowie den Autoren Craig und Strong sehr hoch anzurechnen, dass sie die 123 Minuten Laufzeit dieses „Halbfinals“ nicht nutzten, um stylisch choreografierte Actionpassagen, all zu kitschige Liebesszenen oder gar übermäßig viele Comedysequenzen einzustreuen. Viel mehr verlassen sie sich darauf, dass die treuen Zuschauer den Anspruch des neuen Teils zu schätzen wissen – immerhin stützen sich die Motive auf dem aus den Vorläufern bekannten Material. Und während im ersten Teil das obligatorische Liebesdreieck noch etwas forciert daherkam, dient es in Mockingjay in überschaubaren Dosen vor allem der Charakterisierung unserer Heldin Katniss. Darüber hinaus lenkt es aber auch Aufmerksamkeit auf eine weitere Frage: Ist es allein Katniss Zuneigung zu Peeta, die sie dazu bringt, weiter an seine Integrität zu glauben, obwohl er in Propagandaspots fürs Kapitol auftaucht? Oder ist es auch ohne romantische Bindung in Ordnung, daran zu Zweifeln, dass alle Kollaborateure eines Regimes die Überzeugungen der Täter teilen?

In seinen wenigen Leinwandminuten zeigt Peeta-Darsteller Josh Hutcherson einen graduellen Wandel seiner Figur, was ihm ermöglicht, durch das gebotene Material über sein in den ersten Panem-Teilen geliefertes, bestenfalls annehmbares Niveau hinaus zu reichen. Ähnlich ist es um Sam Claflin bestellt. Der Pirates of the Caribbean – Fremde Gezeiten-Mime, der in Catching Fire als Finnick Odair noch schmückendes Beiwerk war, hat in diesem Part zwar erneut wenig zu tun, dafür gehört sein Monolog, in dem er sein ganzes Wissen über das Kapitol preisgibt, zu den Gänsehautmomenten dieser Großproduktion. Liam Hemsworth reicht angesichts seiner weniger dramatischen Szenen als Gale Hawthorne zwar nicht an seine männlichen Jungdarstellerkollegen heran, trotzdem verleiht auch er seiner weiterhin ausbaufähigen Figur mehr Profil als zuvor. Dies gilt auch für Willow Shields als Katniss' Schwester Primrose, die kurz vor dem letzten Akt dieses Teils leider Auslöser der einzigen bemüht wirkenden, das Material unnötig streckenden Spannungsszene ist. Woody Harrelson und Elizabeth Banks werden in ihren wiederkehrenden Rollen vom Geschehen dagegen nahezu völlig an den Rand gedrängt, wobei Banks den Vorteil hat, dass ihre affektierte Effie Trinket einen krassen, plotgestützten Wandel durchmacht und daher eine kleine, aber feine Darbietung geben darf.

Dies scheint das verbindende Element des Ensembles rund um Jennifer Lawrence zu sein: Waren vor allem im Erstling viele der Randfiguren bloße Staffage, können die Nebendarsteller in Mockingjay mit markantem Gestus ihren Figuren ein Eigenleben verleihen, selbst wenn der Zuschauer nur wenig über sie erfährt. Dies gilt etwa für Natalie Dormer als Cressida, die strenge, zynische Regisseurin der Propagandafilmchen mit Spotttölpel Katniss in der Hauptrolle, sowie Julianne Moore und Philip Seymour Hoffman als Strippenzieher der Rebellion. Moore ändert von Szene zu Szene subtil die innere Haltung der eigensinnigen (anfangs fast gelangweilt erscheinenden) Anführerin, Hoffman unterdessen dominiert seine wenigen Sequenzen mit einer prägnanten Mischung aus Abgebrühtheit und trockenem Humor. Es sind – zumindest in diesem Film – äußerst knapp gefasste Rollen, trotzdem spielen die preisgekrönten Akteure sie nicht lustlos herunter, sondern schröpfen das Beste aus dem gegebenen, knappen Stoff.

Die Macht des Spotttölpels
Mimisch gehört Die Tribute von Panem – Mockingjay: Teil I eh nahezu allein Oscar-Preisträgerin Jennifer Lawrence. Und dies, obwohl die beliebte Schauspielerin in den ersten Filmminuten ein wenig enttäuscht. Katniss' Wut und Verzweiflung brachte die 24-Jährige gegen Ende von Catching Fire deutlich besser zur Geltung als in den anfänglichen Passagen dieses Teils, wo ihr Spiel mehr an die Monotonie erinnert, die sie in The Hunger Games partiell zu Tage legte. Dies ist wohlgemerkt nicht allein Lawrences Schuld, da der Einstieg in das dritte filmische Panem-Kapitel nicht pointiert genug gewählt ist. Nach rund zehn Minuten gewinnen Skript und Regieführung aber an Schärfe, wovon auch Lawrence profitiert, die Katniss je nach Situation als hilflosen Spielball der Mächte oder als zielstrebige Kämpferin skizziert und vor allem die Zwischentöne überzeugend spielt.

Wenn Lawrence die unbeholfene Seite ihrer Figur wieder hervorkehrt und die ersten Propagandaclips der Rebellen verhaut, sorgt sie zudem auch für einige der wenigen, sich natürlich aus der Situation entwickelnden Lacher des Films. Zudem trägt Lawrence mit einem sanft gesäuselten Lied den Höhepunkt von Die Tribute von Panem – Mockingjay: Teil I: Eine eindringlich geschnittene Gegenüberstellung der „oberen“ Rebellen und des sich gegen das Regime auflehnenden Volkes. Mit übersichtlicher Kameraarbeit und die Emotionen untermalendem Schnitt (statt des Gewaltspitzen vertuschenden Schnittgewitters aus Teil eins) wächst das Franchise in dieser Szene endgültig über sich hinaus – womit das Warten auf den Abschluss im November 2015 sehr, sehr schwer fällt.


Fazit: Weniger Action, mehr Anspruch: Die Tribute von Panem – Mockingjay: Teil I führt die filmische Gattung der Jugendbuchverfilmungen in ungewohnte, politisch motivierte Sphären. Bravo!

Mr. Turner - Meister des Lichts


Das Historiendrama Mr. Turner – Meister des Lichts ist nicht einfach nur eine weitere Künstlerbiografie. Für Regisseur Mike Leigh ist diese internationale Koproduktion ein Passionsprojekt. Mehr noch: Sie ist eine selbst auferlegte, immense Herausforderung. Ende 2013 erklärte der mehrfach prämierte Dramatiker im Gespräch mit dem britischen Magazin 'The Guardian', er beabsichtige mit seinem Film, bestmöglich die berückende Paradoxie der Gemälde J. M. W. Turners einzufangen. Diesen gelingt es, so Leigh, ihren Betrachter „die tiefe, vollendete, geistige und unendliche Schönheit und zugleich das entsetzliche Drama spüren zu lassen, was es bedeutet, auf dieser Welt zu sein“.

Hohe Ansprüche, die der Verantwortliche hinter Filmen wie Another Year oder Lügen und Geheimnisse erhebt. Aber selbst wenn Leigh auf dem Weg zu diesem Ziel kein leicht zugängliches Geschichtsstück gedreht hat, wird Mr. Turner – Meister des Lichts seinen Aspirationen gerecht. Dem geneigten Zuschauer entfaltet sich in den rund 150 Filmminuten ein faszinierendes Porträt in starken Bildern, das sich formal ebenso ungezwungen wie wirkungsvoll der künstlerischen Neigung seines Protagonisten anpasst.

Eine Handlung im klassischen Sinne gibt es daher nicht. Leigh reiht ohne stärkeren roten Faden diverse Anekdoten aneinander, die von den letzten 25 Jahren des einflussreichen Marine- und Landschaftsmalers Joseph Mallard William Turner (Timothy Spall) berichten. Es wird ersichtlich, dass er mit seinen lichtdurchfluteten, dezent abstrakten Bildern zu seiner Schaffenszeit von Kunsthistorikern gefeiert, von Kollegen trotz einiger Häme geachtet und vom Volk verlacht wurde. Sein grober Umgang mit seiner Haushälterin Hannah Danby (Dorothy Atkinson) zeigt auf, welch schroffer Rüpel er sein konnte. Seine Neugier gegenüber wissenschaftlichen Errungenschaften jeglicher Art zeichnet ihn aber auch als offenen, geistreichen Mann. Und das zärtliche Verhältnis zu seinem Vater William (Paul Jesson) macht seine empfindsame Seite bewusst …

Mr. Turner – Meister des Lichts ist nicht daran gelegen, seinem Publikum im Detail sämtliche überlieferten Fakten über seine Titelfigur nachzuerzählen. Die Handlung springt mehrmals nach vorne, so dass ganze Monate oder teils Jahre im Leben des hochproduktiven Künstlers ausgelassen werden. Da dieser obendrein ein wortkarger Zeitgenosse war, wird schon recht früh in diesem Prachtwerk Mike Leighs deutlich: Der Zuschauer hat es hier weniger mit einem dramatisierten Abriss eines beachtenswerten Lebens zu tun, viel mehr breiten sich auf der Leinwand Impressionen aus der Biografie dieses begnadeten Malers aus. Durchaus angemessen, immerhin dreht sich dieses unter 15 Millionen Dollar teure Prachtwerk über einen Pionier der romantischen Kunstperiode, der lange bevor der Impressionismus ein Begriff war, eben dessen Merkmale bravourös für sich beanspruchte.

Die gewiefte Vereinigung von Form und Inhalt in Mr. Turner – Meister des Lichts wird durch eine nahezu mustergültige Umsetzung dieses Konzepts abgerundet. Das Fehlen eines die über zwei Stunden Laufzeit durchziehenden Spannungsbogens wird von der narrativ geschickten Dramaturgie der einzelnen Sequenzen abgefedert: Egal, ob Leigh und der großartige Hauptdarsteller Spall in aller Ausführlichkeit zeigen, wie Turner nach dem Tod seines Vaters zusammenbricht, oder ob grandiose humorvolle Szenen wie eine Smalltalkrunde sich übertrieben gewählt ausdrückender Reicher für etwas Licht in diesem emotional sonst so tristem Drama sorgen. Wer sich auf die mit aller Gelassenheit voranschreitende Erzählweise einlässt, wird mit reichhaltigen Handlungsepisoden und einem völlig hinter seiner Rolle verschwindenden Timothy Spall belohnt.

Aber nicht nur der sich zeitweise nur durch Ächzen, Stöhnen und Grunzen verständigende Maler, dessen Gedankenwelt Spall mit vielschichtiger Mimik nachzeichnet, weiß zu überzeugen. Jeder Teil des großen Mr. Turner-Ensembles erweckt eine runde Figur zum Leben, die dieses vorzüglich ausgestattete Porträt des frühen bis mittleren 19. Jahrhunderts aufwertet. Den wertvollsten Beitrag liefert allerdings Kameramann Dick Pope, der mit seinen stillen, von seicht gelblichem Licht geprägten Bildern den Stil Turners würdevoll nachahmt – und mitunter die Grenzen verschwimmen lässt: Sieht man auf der Leinwand gerade ein Bewegtbild oder doch eines der Landschaftsgemälde Turners?

Allein die eintönigen Musikkompositionen Gary Yershons, die das wundervoll gefilmte Geschehen all zu trist begleiten, trüben ein wenig den Gesamteindruck dieses unvergleichlichen Kunstwerks eines Biopics. Stark gespielt, in malerischen Bildern eingefangen und von seiner spröden Eleganz geprägt – Mr. Turner – Meister des Lichts ist wahrhaftig bemerkenswert!

Donnerstag, 21. Mai 2015

#Zeitgeist


Jason Reitman startete seine Regiekarriere mit Thank You for Smoking als treffsicherer Satiriker. Nach dem Indie-Überaschungserfolg Juno entwickelte er ein beeindruckendes Talent dafür, am Puls der Zeit orientierte Dramatik mit hintersinnigem Humor zu vereinen. So entstanden der mehrfach Oscar-nominierte Up in the Air und Kritikerliebling Young Adult. Und dann hielten fragile Gefühlskonstrukte Einzug in Reitmans filmische Vita – mit schwerwiegenden Folgen. Bereits die Romanverfilmung Labor Day mit Kate Winslet und Josh Brolin spaltete aufgrund ihrer Sentimentalität die Gemüter. Somit schien die Geschichte eines Jugendlichen (Gattlin Griffith), der aufgrund des Aufeinandertreffens zwischen seiner Mutter und einem Gefängnisflüchtling seinen Platz im Leben überdenkt, der qualitative Ausrutscher Reitmans zu sein. Mitte 2014 sicherte sich allerdings #Zeitgeist mit katastrophalen US-Kritiken die rote Laterne in der Filmografie des 37-Jährigen. Und es ist ein Leichtes, sich zu erklären, wo die kargen Reaktionen herrühren.

Ähnlich wie das Drama Disconnect erzählt Reitmans Leinwandadaption des Romans Men, Women & Children in mehreren lose verknüpfen Handlungsfäden von diversen zwischenmenschlichen Problemen. So herrscht bei den Eheleuten Helen und Don (Rosemarie DeWitt und Adam Sandler) sexuelle Flaute, während ihr pubertierender Sohn Chris (Travis Tope) von seinen Trieben beherrscht wird. Dons Verehrerin Hannah (Olivia Crocicchia) sehnt sich nach einer Schauspielkarriere und lässt sich von ihrer Mutter Joan (Judy Greer) managen, verliert ihr gegenüber aber kaum Worte, sofern es nicht um ihre verblendeten Zukunftsträume geht. Allison (Elena Kampouris), eine Cheerleader-Kollegin Hannahs, hungert sich derweil auf ungesunde Maße herunter, um ihrem älteren Schwarm Brandon (Will Peltz) zu gefallen. Er und viele andere seiner Mitschüler hegen einen ungeheuerlichen Groll gegen Tim (Ansel Elgort), der lange Zeit als fähiger Football-Spieler gefeiert wurde, sich aber von einem Tag auf den anderen aus dem Schulteam zurückzog. Auch sein Vater Kent (Dean Norris) zeigt kein Verständnis dafür, dass Tim eine grüblerische Phase hat. Dass Tim sich mit der zurückhaltenden Brandy (Kaitlyn Dever) trifft, bekommt Kent unterdessen gar nicht mit. Brandys Mutter Patricia (Jennifer Garner) hingegen schon – und sie ist ausgesprochen dagegen, dass sich ihre Tochter mit Jungs einlässt.

All diese Plots blicken, ebenfalls nicht unähnlich Disconnect, nicht bloß auf familiäre und schulinterne Zwistigkeiten. Sie eruieren zudem, welche Gestalt solche Situationen des misslungenen Austauschs gerade heute, im Zeitalter digitaler Kommunikation, annehmen können. Ganz im Gegensatz zu Henry Alex Rubins Ensembledrama kommt #Zeitgeist aber mit einem unangemessen martialischen Arsenal aus narrativen Werkzeugen an. Mit dem Brecheisen zwängen die Autoren den einzelnen Episoden Wendungen auf, die in solcher Form vielleicht einer Seifenoper geziemen würden, nicht aber einem ausgewachsenen, sich ernst nehmenden Kinofilm. Mindestens alle 15 Minuten wird die Moralkeule geschwunden. Und selbstredend wird dann noch obendrein mit dem Holzhammer auf den Zuschauer eingedroschen.

Doppelt mag zwar besser halten, wie oft Reitman in #Zeitgeist dem Zuschauer „Leute, redet offen miteinander und hört auch genau zu, wenn sich euch jemand anvertraut!“ entgegen brüllt, lässt sich aber kaum noch zählen. Erschwerend kommt hinzu, dass diese als weltbewegende Erkenntnis verkaufte Botschaft in äußerst bemühten Dialogen übermittelt wird: Während sich die Textnachrichten in diesem Melodram zumeist wie unpräzise Parodien lesen, sind die von Angesicht zu Angesicht getätigten Dialoge fast ausnahmslos gestelzt und dick aufgetragen. Und dies ist nahezu fatal: Ein mit Satire gewürztes Drama, welches die gegenwärtigen Kommunikationsgepflogenheiten anklagt, verliert massiv an Wirkung, wenn es kein Auge und kein Ohr für reale Zwiegespräche hat.

Im Falle von #Zeitgeist ist dies besonders bedauerlich, da vereinzelte Sequenzen das Potential hervorheben, das in diesem Projekt steckt. So zeigt eine Szene, wie Cheerleader Hannah und ihre Mutter Joan durch ein Einkaufszentrum spazieren – beide schweigen sich an, nutzen aber ihre Smartphones, um über Distanz mit anderen Leuten zu chatten. Hannah zeigt dabei keinerlei Scheu, direkt neben ihrer Mutter hergehend explizite Sex-Botschaften an ihren Verehrer zu senden. Eine konzeptuell starke und plausible Sequenz, die bloß durch die Formulierungen der Textnachrichten ein Stück hinter ihren Möglichkeiten bleibt.

Ähnliches gilt für den Plot rund um Tim und Brandy, die aus verschiedenen Gründen Außenseiter sind (er, weil er sich der örtlichen Football-Obsession entsagt, sie, weil ihre Mutter ihr Onlineverhalten streng reguliert) und allmählich zueinander finden. Die Jungdarsteller Kaitlyn Dever und Ansel Elgort haben eine gute Chemie in ihren gemeinsamen Auftritten und geben ihren eher flach geschriebenen Figuren durch vieldeutige Mimik einen runden Charakter mit. Auf jede Szene dieser Klasse kommt jedoch rund ein Dutzend schwerfälliger Momente, die mittels Küchenpsychologie und Hobbyphilosophie das Geheimnis hinter dem heutigen Zeitgeist zu entschlüsseln versuchen. Dass #Zeitgeist ein unausgegorenes Potpourri an Problemthemen (und „Problemthemen“) angreift, verhindert, dass auch nur einer der Einzelaspekte eine ausdifferenzierte Betrachtung erfährt. Von Pornosucht über vulgäre Chats in MMORPGs bis hin zu Escortservices, immer wieder wird auf die Tränendrüse gedrückt und stark verallgemeinert.

Zwischendurch versucht Reitman, die gebotene Trübseligkeit mittels bewusst spritziger Satire aufzulockern, aber selbst dies verläuft schnell im Sande: Jennifer Garner etwa mag als manische Mutter mit irrationalem Hass gegenüber digitalen Medien für manches Schmunzeln gut sein, jedoch ist ihre Figur in ihrer Begriffsstutzigkeit derart unplausibel gezeichnet, dass sie spätestens nach der ersten Filmhälfte jegliche Wirkungskraft verliert.

Es grenzt daher fast schon an ein Wunder, dass dieser insgesamt sehr manipulative und vorhersagbare Streifen auf die übliche Tränenzieher-Musik verzichtet. Stattdessen vermischt Komponist Bibio subtil orchestrale und digitale Musik, die in teils kühlen, teils warmen Klangfarben erklingt. Die „reale“ und „vernetzte“ Welt wird vom Score erst getrennt, ehe die Hintergrundmusik Brücken schlägt. Schade, dass der Film selbst nicht so unaufdringlich und mehrschichtig arbeitet. Selbst Jason-Reitman-Fans dürfen daher überlegen, ob sie unbedingt in ihrer Sammlung stehen haben müssen – oder ob sie sich nicht lieber die DVD respektive Blu-ray von Disconnect gönnen sollten.


Fazit: Ungefähr so subtil wie eine Pop-Up-Reklame und genauso denkwürdig: Der eigentlich so talentierte Regisseur Jason Reitman macht in #Zeitgeist nahezu alles falsch, was er in früheren Projekten meisterte.  

Mittwoch, 20. Mai 2015

Magic in the Moonlight


Woody Allen wird einfach nicht müde: Jahr für Jahr bringt der New Yorker einen neuen Film in die Kinos. Bei einer solchen Produktivität müsste es jedoch mit Hexerei zugehen, wäre jede einzelne Regiearbeit des intellektuellen Neurotikers ein Volltreffer. Und auch wenn Allens jüngstes Projekt von übernatürlichen Spielchen handelt, ist die Filmografie des Oscar-Preisträgers kein Hexenwerk. Denn auf jeden besonders gelungenen Film des 78-Jährigen folgt im Regelfall ein besonders schwaches Werk. So zuletzt in den Jahren 2011 / 2012: Während Midnight in Paris ein absolutes Glanzstück darstellt, kam im Folgejahr mit To Rome With Love eine regelrechte Gurke in die Lichtspielhäuser. Da 2013 der Kinowelt die brillante Tragikomödie Blue Jasmine einbrachte, ist es naheliegend, erneut eine dürftige Leistung Woody Allens zu erwarten. Diese Erwartungen trügen allerdings: Das unaufdringliche Lustspiel Magic in the Moonlight ist durch und durch … nett.

Die Geschichte ist im Sommer 1928 angesiedelt: Der Erste Weltkrieg liegt nunmehr zehn Jahre zurück und Westeuropa befindet sich in einem beachtlichen Wirtschaftsaufschwung. Generell herrscht eine neue Weltsicht vor, weite Teile der Gesellschaft sind offener und kulturell interessierter als noch in den Jahrzehnten zuvor. Vor lauter Lebensfreude sieht niemand, welch deprimierenden Umwälzungen sich in Bälde mit der Weltwirtschaftskrise 1929 und dem politischen Rechtsruck anbahnen sollten. Zynismus findet in den Goldenen Zwanzigern kaum statt. Selbst der Bilderbuchzyniker Stanley (Colin Firth) konzentriert seinen Missmut ganz und gar darauf, dass er übernatürliche Ereignisse als Schwindel offenbart. Der Brite entlarvte bereits zahlreiche Scharlatane und wird aufgrund dieser Erfolgsquote von seinem alten Kupferstecher Howard (Simon McBurney) an die französische Côte d'Azur zitiert. Dort hat sich die junge Sophie (Emma Stone) mitsamt ihrer Mutter (Marcia Gay Harden) bei einer reichen, amerikanischen Familie eingenistet und sorgt mit ihren hellseherischen Kräften für Staunen und Verwirrung. Da selbst Howard daran scheiterte, Sophie als Betrügerin zu enttarnen, soll nun der selbstbewusste Stanley ran. Aber sogar er beißt sich am außergewöhnlichen Medium die Zähne aus …

Gewiss lässt sich Magic in the Moonlight als illustrer Kommentar auf die gesellschaftliche Ignoranz gegenüber wahren Problemen betrachten. Sämtliche Figuren dieser nostalgischen Komödie nehmen ihre Lebenssituation als gegeben hin, niemand blickt kritisch auf das große Ganze oder erkennt die Zerbrechlichkeit des Roaring-Twenties-Lifestyles an. Die einzigen kritisch denkenden Persönlichkeiten, Colin Firths tapsig-schnöseliger Stanley und sein trockenhumoriger Kumpane Howard, nutzen derweil ihren Mut, Dinge zu hinterfragen, lediglich für die Hexenjagd. Und sind wir kulturell nunmehr knapp 85 Jahre später über Stanleys Verbissenheit, Medien als Blender zu deklarieren, hinausgewachsen? Man bedenke: Derzeit suchen viele von uns mit Eifer nach verräterischen Illusionsbrüchen in Medien anderer Art (nämlich in Filmen, Serien und Videospielen), stand uns schlicht verzaubern zu lassen und unser analytisches Denkvermögen für politische Baustellen aufzuheben.

Doch selbst wenn das zeitliche Setting und die thematischen Zwischentöne in Magic in the Moonlight in zu großem Einklang sind, um obigen Interpretationsansatz vollauf in den Wind schlagen zu können: Der meist so listige Woody Allen legt in sein Skript eine ungeahnt große Sympathie für die zwei Hauptfiguren Sophie und Stanley. Zudem stimmt Allen durch seine luftig-lockere Inszenierung einen derart unbeschwerten Ton an, dass dieser cineastische Ausflug in ein sommerliches Südfrankreich einer doppelbödigen Lesart nahezu allen Antrieb nimmt. In oberster Priorität erblüht diese Geschichte von Schein und Sein, Lug und Selbstbetrug, Romantik und Magie daher als schlichte, kleine Komödie ohne weitreichende Ambitionen. Woody Allen schwelgt hier in Nostalgie für altmodische Romanzen, die zwar mit Witz punkten, sich aber jeglicher Selbstironie verweigern. Damit dürfte es ihm schwer fallen, neue Fans zu gewinnen, und selbst unter seinen größten Anhängern sollten sich wohl nur sehr wenige finden, die Magic in the Moonlight zu den Höhepunkten seiner Vita zählen. Trotzdem hat diese rund 17 Millionen Dollar teure Produktion ihren Reiz und dürfte vor allem bei jenen Anklang finden, denen es nach sorgloser Kinounterhaltung mit Esprit dürstet.

Das liegt zum größten Teil darin begründet, wie toll die Hauptdarsteller aufgelegt sind: Als scheinbar naive, in Wahrheit aber trickreiche Seherin weiß The Amazing Spider-Man-Aktrice Emma Stone mehrmals, die Szene an sich zu reißen und für diverse Lacher zu sorgen. Colin Firth übt sich derweil mit ansteckender Freude in seiner Paraderolle als stocksteifer, leicht schusseliger Snob. Zudem stimmt die Chemie zwischen ihnen: Eine kleine Prise Slapstick und zahllose amüsante Wortgefechte machen die Begegnungen zwischen Sophie und Stanley zu einer warmherzig-vergnüglichen Angelegenheit. Die größte Schwäche dieser Komödie ist dagegen ihr etwas schluderig geschriebener Plot: So amüsant die Dialoge sind und so einleuchtend Stanleys wankenden Positionen gegenüber wahrer (?) Magie, die aufkeimende Romanze zwischen seinen Protagonisten hat Allen klar übers Knie gebrochen. Wodurch die Charakterentwicklung und der Schlussakt enorm an Wirkung verlieren.

Darüber hinaus tut sich Kameramann Darius Khondji schwer, die austauschbare Story auf wirkliches Kinoformat zu heben. Nur das schwärmerische Flair, das die Darsteller und ihre Kostüme seinen überbelichteten, uninspirierten Bilder verleihen, verhilft Magic in the Moonlight auf ästhetischer Ebene zum Sprung vom edlen Fernseh- zum Kinofilm. Dessen ungeachtet wecken Autorenfilmer Woody Allen, Colin Firth und Emma Stone vor träumerischer Kulisse Sehnsüchte nach vergangenen, simpleren Zeiten. Das mag angesichts der zuvor erläuterten, möglichen Lesart dieser Komödie paradox erscheinen und so vielleicht einen weiteren Kritikpunkt darstellen. Andererseits ist der Charme dieser einfachen, netten filmischen Urlaubsreise so bestechend, dass mit genügend Willen ihre inneren Widersprüchlichkeiten ebenso abgeschüttelt werden können wie ihre Seichtheit.

Fazit: Der nimmermüde Woody Allen ergänzt sein Œuvre durch Magic in the Moonlight um ein schlichtes Werk, das dank Emma Stone und Colin Firth sowie leichtfüßiger Dialogwechsel ein gewisses altmodisch-unbedarftes Charisma hat.

Montag, 18. Mai 2015

TinkerBell und die Legende vom Nimmerbiest


Es gibt zwar keine größere Disney-Ikone als Micky Maus höchstpersönlich, jedoch finden sich in der Trickfamilie des Traditionskonzerns zahlreiche weitere Figuren, die vom Unternehmen gewissermaßen in eine Botschafterposition gedrängt werden. Mickys vom Pech verfolgter Freund und Teilzeit-Konkurrent Donald etwa ist solch eine Figur, insbesondere dank seiner Popularität in Comicform. Und dann wäre da beispielsweise noch TinkerBell, respektive Naseweis, wie sie in der deutschen Synchronfassung des Zeichentrickmeisterwerks Peter Pan genannt wird. Seit 1954 leistet TinkerBell tüchtig ihren Dienst als fliegendes, Feenstaub hinterlassendes Maskottchen in Vorspannsequenzen zu Walt-Disney-Fernsehsendungen, in Themenpark-Werbespots oder in Werbetrennern auf Disney-Videokassetten sowie -DVDs. 2005 erhielt die flatterhafte Fee sogar ihr 'Disney Fairies' betiteltes eigenes Franchise, welches zahlreiche Bücher sowie Mengen an Merchandising umfasst.

Als Flaggschiff dieses Franchises wurde jedoch eine Reihe an Direct-to-DVD-Trickfilmen auserkoren. Der erste Teil dieser kinderorientierten Saga, ganz simpel TinkerBell genannt, erschien dank umfangreicher Probleme und Auseinandersetzungen hinter den Kulissen erst im September 2008 – und sorgte daraufhin für großes Staunen. Entgegen aller Befürchtungen erwachsener Disney-Liebhaber traf die Heimkino-Produktion nicht nur den Nerv des Kinderpublikums, sondern wusste auch ältere Zuschauer mit ihrem gewaltigem Charme zu verzaubern. Die Fortsetzungen schieden dagegen, zumindest unter Trickfilmfreunden abseits des Grundschulalters, die Geister. Einige kamen super an, andere dürftig. Offenbar hätte in den Augen Disneys der Erfolg beim jungen Publikum ebenfalls größer ausfallen dürfen: Im Oktober 2013 drang an die Öffentlichkeit, dass die Arbeiten an einem siebten und achten TinkerBell-Film eingestellt wurden. Mitarbeiter der verantwortlichen DisneyToon Studios gaben im Zuge dessen zu Protokoll, dass ihre Chefs mit den Einnahmen des Franchises unzufrieden sind.

Der sechste Film aber wurde noch vervollständigt und gelangt, wie schon der vierte und fünfte Part dieser Reihe, in die Kinos ausgewählter Disney-Märkte – darunter Deutschland. Und nach den qualitativen Aufs und Abs, die das grün gekleidete Feenmädchen seit 2008 durchgemacht hat, hätte es keinen besseren (vorläufigen?) Abschluss geben können: Denn TinkerBell und die Legende vom Nimmerbiest fliegt mühelos an die Spitze der Feenfilm-Charts!

Die abenteuerlustige und daueroptimistische Tierfee Emily liebt sämtliche Wesen bedingungslos, ganz gleich, wie bedrohlich sie aussehen mögen. Ihre Impulsivität bringt Emily aber auch regelmäßig in Schwierigkeiten – etwa, wenn sie die Regeln der Feengesellschaft missachtet, um selbst gefährlichen Tieren in der Not zur Seite zu stehen. Als Emily einmal mehr zu sehr ihrem Herzen folgt, ringen ihr TinkerBell und ihre weiteren Freundinnen ein Versprechen ab: In Zukunft soll sie ihr Handeln kritischer überdenken. Alsbald stößt Emily allerdings auf ein sagenumwobenes, pelziges und mit Fangzähnen ausgestattetes Ungetüm namens Nimmerbiest. Dieses bringt, so besagt die Legende, Unheil und Verderben über das Tal der Feen. Emily jedoch ist vom zotteligen Geschöpf fasziniert – erst recht, da es sich verletzt hat und Hilfe benötigt. Also wirft Emily ihren Vorsatz über den Haufen und kümmert sich um den von ihr 'Grummel' getauften Fellträger, der ein völlig undurchsichtiges Verhalten an den Tag legt …

Wie sich bereits aus obiger Plotzusammenfassung ableiten lässt, müsste der Titel dieses mit 76 Minuten Laufzeit erfrischend kompakten Märchens korrekterweise Emily und die Legende vom Nimmerbiest lauten. Und dies ist ein spätes Novum dieser Trickfilmsaga: Zwar gehört es zum Konzept der TinkerBell-Filmreihe, dass in jedem Teil ein anderer Bewohner der Disney-Feenwelt vermehrt Zeit im Rampenlicht verbringen darf, bislang war TinkerBell dennoch der unbestrittene Mittelpunkt des Geschehens. In dieser Geschichte dagegen wird TinkerBell zu einer untergeordneten Nebendarstellerin degradiert. Junge wie alte Fans der erfinderischen sowie aufbrausenden Blondine sollten daher aber nicht verzagen oder TinkerBell und die Legende vom Nimmerbiest gar mit der kalten Schulter strafen. Denn das kurzweilige Zusammenspiel des titelgebenden Nimmerbiests und der großherzigen Emily ist viel zu goldig, als dass sich aufgrund der verschobenen Feen-Rangordnung Unbehagen einstellen könnte.

Einerseits wäre da die Stärke der Animation: Mit flinker Gestik und einem unbeholfen-schiefen Lächeln wirkt Emily wie eine Mischung aus typisch amerikanischer Unschuld vom Lande (man denke an Judy Garland oder Dawn Wells) und einem zeitgemäß-frechen Charmebolzen wie Jennifer Lawrence. Der gleichermaßen tapsige wie eigentümliche Grummel dagegen ist eine faszinierende Kreuzung aus zahllosen realen wie fantastischen Tieren. Während ältere Zuschauer über die für diese Filmreihe ungewohnt komplexen Bewegungsmuster Grummels staunen dürfen, zieht das Biest junge Zuschauer aus ganz anderem Grund in seinen Bann: Mit einem flauschigen Pelz und niedlichen Macken erweckt es einen freundlichen Anschein, mit seinen giftgrünen Augen und einer unheimlichen Kraft sorgt es gleichwohl für Misstrauen – diese undurchschaubare Art Grummels macht ihn zu einem spannenden Leinwandwesen, dessen wahres Ich enthüllt werden will.


Andererseits trumpft TinkerBell und die Legende vom Nimmerbiest damit auf, wie das Autorenteam rund um Steve Loter, Tom Rogers (Das Geheminis der Feenflügel), Robert Schooley & Mark McCorkle (Kim Possible) und Kate Kondell (TinkerBell und die Piratenfee) von dem Verhältnis zwischen Fee und Biest erzählt: Die ungleiche Beziehung der beiden Figuren entfaltet sich völlig frei von Hektik und nimmt immer wieder bedeutsame Wenden. Die Autoren zeigen sowohl herzliche und lustige Höhen als auch traurige und Spannung schürende Tiefen. Somit wird das junge Publikum beiläufig dazu angeregt, zwischen Kopf- und Bauchentscheidungen abzuwägen und zudem selbst nachzudenken, ob Emily korrekt handelt. Eine so ausdifferenzierte, die ganz jungen Kinogänger fordernde (doch nicht überfordernde!) Erzählweise dürften Eltern von dieser Reihe nicht gewohnt sein – umso mehr lässt es sich verschmerzen, wenn die Erwachsenen im Finale ihre kleinen Begleiter etwas fester halten müssen. Der Schlussakt wagt sich nämlich über die Komfortzone bisheriger TinkerBell-Geschichten hinaus und lässt es mit Blitzen, Donner und einschüchternden Bildern äußerst atmosphärisch und dramatisch angehen.

All zu gruselige Formen nimmt diese feenhafte Erzählung aber niemals an: Regisseur Steve Loter hat dank des Disney-Serienklassikers Kim Possible und des DreamWorks-Fernsehspaßes Die Pinguine aus Madagascar massenhaft Erfahrung darin, sein Zielpublikum mit Action zu fesseln, ohne es durch zu harsche Entwicklungen zu verschrecken. Loters Handschrift lässt sich aber nicht bloß im turbulenten Finale erkennen, sondern genauso in den harmonischeren Momenten zuvor: Zwar versackt wie in sämtlichen TinkerBell-Filmen auch hier der eine oder andere Wortwitz, insgesamt sind die Dialoge aber deutlich pointierter, genauso wie die knuffige Situationskomik viel erquicklicher als zuvor daherkommt. Des Weiteren fällt auf, dass die gesungenen Lieder, in all ihrer übertrieben-kindlichen Fröhlichkeit bis dato ein Schwachpunkt dieser Filmreihe, unerwartet ansprechend geraten sind – und das in den Kinos optionale 3D ist geradezu magisch. Zusammen mit der wie eh und je fabelhaften Instrumentalmusik aus der Feder von Joel McNeely würde all das bereits reichen, um TinkerBell und die Legende vom Nimmerbiest zum absoluten Höhepunkt dieses DisneyToon-Studios-Franchises zu machen.

Aber dann ist da noch der herausragende Prolog, der behutsam und herzergreifend von der Bedeutsamkeit wahrer Freundschaften und dem Vorgang des Abschiednehmens handelt. Eben dieser hebt TinkerBell und die Legende vom Nimmerbiest sogar auf Augenhöhe mit einigen Evergreens der 'großen' Walt Disney Animation Studios – selbst ohne Berücksichtigung der Metaebene. Schon für sich genommen sind die letzten Augenblicke dieser liebenswerten Trickproduktion Grund genug, den lieben Kleinen vor Rührung die Taschentücher zu reichen (und sich vielleicht auch selbst eins zu nehmen). Darüber hinaus lässt sich der Schluss von TinkerBell und die Legende vom Nimmerbiest jedoch als womöglich letzte Verbeugung der Macher vor ihren Zuschauern verstehen: Vielen lieben Dank fürs Zuschauen. Vielleicht geht es eines Tages weiter – ansonsten: Es war schön mit euch!


Fazit: Goldige Animationen, schöne Melodien und eine ungleiche Leinwand-Freundschaft, die zu Herzen geht: TinkerBell und die Legende vom Nimmerbiest ist ein unvergleichlich beflügelndes Feenmärchen für Junge und Junggebliebende.

Freitag, 8. Mai 2015

TinkerBell und die Piratenfee


Und plötzlich kommt alles Schlag auf Schlag: Ursprünglich sollte rund ein Jahr nach Kinostart von Das Geheimnis der Feenflügel ein fünftes abendfüllendes TinkerBell-Abenteuer auf die große Leinwand fliegen. Doch dann verkündet der Disney-Konzern, dass Planes den US-Starttermin des nächsten Feenfilms erhält. Kurz darauf die nächste Nachricht, die den Anhängern der Nimmerland-Reihe den Tag verregnet: TinkerBell und die Piratenfee soll entgegen früherer Ankündigungen der vorletzte Film über das Reich der geflügelten Grazien werden. Mitarbeiter der DisneyToon Studios geben zu Protokoll, dass die geplanten siebten und achten TinkerBell-Filme eingestellt wurden, weil die Studioleitung mit den Verkaufszahlen an Feen-Merchandising sowie mit den Einnahmen der TinkerBell-Filme unzufrieden ist.

Das Marketing für den neuen Film bekommt einen veränderten Anstrich. Es wird ein deutlich größerer Fokus darauf gelegt, dass Piraten die Handlung mittragen und dass es sich um ein Prequel von Peter Pan handelt, während der ganze "TinkerBell und ihre Feenfreunde"-Ansatz in den Hintergrund tritt. Der zwiegespaltene Lohn dessen? Während an den Kinokassen ein hauchdünnes Minus gegenüber Teil 4 der Reihe verbucht wird, geht es beim Verkauf des 'Disney Fairies'-Merchandisings wieder aufwärts.

Es ist eine Zwiespältigkeit, die dem Film angemessen ist. Denn nach dem grauenvollen dritten Teil und dem soliden vierten Part der Feensaga lässt sich TinkerBell und die Piratenfee qualitativ irgendwo zwischen seinen beiden direkten Vorgängern verorten. Die Grundidee ist dabei das Stärkste an diesem Nimmerland-Abenteuer: Feenglanzverwalterin Zarina rebelliert, ähnlich wie ihre Freundin TinkerBell, gegen die ihr auferlegten Regeln und experimentiert damit, wie sich die Kraft des magischen Stabs ausbauen lässt. Dies führt jedoch zu einer kleinen Katastrophe, weshalb Zarina aus dem Tal der Feen verbannt wird. Einige Zeit später schleicht sich Zarina während eines großen Fests zurück ins Tal, um eine große Dosis Feenglanz zu stehlen. TinkerBell und ihre Freunde erwischen Zarina dabei, woraufhin sie die Gruppe wohlmeinender Feen verzaubert: Ihre Kräfte werden vertauscht, weswegen sie bei der Hatz nach Zarina gehörig ins Hintertreffen geraten. Umso dramatischer, dass Zarina mit einer Bande Piraten, angeführt von Käpt'n Hook, gemeinsame Sache macht ...

So bahnt sich eine zweifache Geschichte über Wiedergutmachung an: Zarina muss die Folgen ihres Diebstahls bereinigen, TinkerBell und Konsorten müssen ihren Fehler korrigieren, Zarina wegen eines Unfalls sogleich ins Exil ziehen zu lassen. Aus dieser Dopplung macht das Autorenteam rund um Jeffrey M. Howard, Kate Kondell, John Lasseter, Peggy Holmes, Bobs Gannaway, Jeffrey M. Howard, Lorna Cook und Craig Gerber jedoch herzlich wenig: Ehrliche Emotionen und glaubwürdige Reue bleiben in TinkerBell und die Piratenfee völlig aus, genauso wie der Kräfte-Vertausch-Kniff bestenfalls in eine kleine Handvoll Schmunzler mündet, die Figuren aber weder nennenswerte Lektionen lernen, noch das Fähigkeitenkuddelmuddel für kesse oder spannende Aktionen nutzen.

Tiefpunkt von TinkerBell und die Piratenfee ist aber die Darstellung des Peter-Pan-Erzschurken Käpt'n Hook: Das Design ist völlig charakterlos und die Mimik beschämend unnuanciert. Im englischsprachigen Original kann Loki-Darsteller Tom Hiddleston wenigstens einen Hauch Kompensationsarbeit leisten und Hook eine spaßig-einschüchternde Note beigeben, die deutsche Synchronfassung indes versagt beim fiesen Kapitän völlig. Der von ihm und seiner Mannschaft angestimmte Song ist wiederum in jeglichen Sprachfassungen jenseits von Gut und Böse: Eine seelenlose Melodie, grausig-dumme Texte und schräger, keinen Seeräubercharme aufzeigender Gesang. Die gesungenen Lieder im TinkerBell-Franchise sind oftmals schwach, aber selten so mies wie hier.

Auch visuell reicht der Piratenfilm nicht an das vorhergegangene Wintermärchen heran. Zumindest partiell: Die Szenen auf hoher See und/oder im güldenen Abendlicht erhalten durch Überbeleuchtung und ein Übermaß an weichen Konturen einen sehr billigen, undetaillierten Charakter. Dafür wissen die Nachtszenen zu begeistern: Stimmiger Licht- und Schattenwurf und ein Gespür für aussagekräftige Kompositionen sorgen dafür, dass zwischen den Tag- und Nachtszenen ein Unterschied herrscht wie ... naja, Tag und Nacht halt. Ein weiterer großer Pluspunkt ist die Figur der Zarina, die für eine Fee aus dieser DisneyToon-Studios-Reihe relativ facettenreich in ihrer Persönlichkeit, und das fesche Design sowohl ihrer Frisur als auch ihrer Kleidung hebt sie deutlich von ihren Feen-Kolleginnen ab.

Zusammen mit dem Knuffigkeitsbonus sämtlicher Szenen, in denen das Baby-Krokodil vorkommt, das eines Tages zu Hooks wandelndem Albtraum werden soll, sowie der für das junge Zielpublikum angemessen-aufregenden Kampfchoreographie im Finale rettet sich TinkerBell und die Piratenfee noch davor, hier eine klare See-Warnung, äh, Sehwarnung zu erhalten. Die anvisierten Zuschauer werden für etwas mehr als 70 Minuten auf solidem Niveau bespaßt, wenngleich nie sonderlich gefordert. Ältere Animations- und/oder Disney-Fans derweil müssen sich durch einen lahmen Mittelteil kämpfen, bekommen sonst aber akzeptablen Feenzauber geliefert. Faustregel: Wer die ersten TinkerBell-Filme nicht mochte, kann auch dieses Abenteuer ignorieren. Wer wenigstens mit ein paar Teilen dieser Reihe etwas anfangen kann, wird sich nicht langweilen und dann und wann auch schmunzeln.

Der nächste Teil der Reihe schlägt dann wieder qualitativ ganz andere Töne an ...