Freitag, 30. Juni 2017

Amerikanisches Idyll


Es ist ein Gefühl, das wir alle schon einmal durchgemacht haben: Wir denken, jemanden zu kennen, und erfahren dann über Ecken, dass dieser Mensch viele ungeahnte Facetten aufweist. Ewan McGregors Regiedebüt Amerikanisches Idyll nutzt dieses Gefühl als arbiträres Sprungbrett, um in den Sumpf einzutauchen, der oberflächlich als amerikanischer Traum betrachtet wird. Der Autor Nathan Zuckerman (David Strathairn) begegnet auf einem Klassentreffen seinem einstigen Freund Jerry Levov (Rupert Evans), dessen Bruder Seymour (Ewan McGregor) zu Schulzeiten jedermanns Idol war. Jerry erzählt Nathan, dass Seymours Leben in Wahrheit längst nicht das sorglose Zuckerschlecken war, das sich alle ausmalen:

Der jüdische Seymour gründete nach der Schulzeit mit der überzeugten Katholikin und Schönheitskönigin Dawn Dwyer (Jennifer Connelly) eine Familie und zog gegen den Willen seines Vaters aufs Land. Dort zeigten sich erste Risse im paradiesischen Leben des von allen nur „Schwede“ genannten sonnigen Gemüts, als seine Tochter Merry (vom Teenageralter an von Dakota Fanning gespielt) als Stotterin aufwächst und Probleme hat, Freunde zu finden. Daraufhin entwickelt sie zuerst eine beunruhigende Fixierung auf ihren Vater, ehe sie vor dem Hintergrund des Vietnamkriegs zur rebellischen Teenagerin aufwächst. So zieht sie die Kritik des gutbürgerlichen Umfelds ihrer Eltern auf sich und wird zur Hauptverdächtigen eines Terroranschlags, was wiederum Seymours Eheglück in Mitleidenschaft zieht …

Die in der Romanvorlage unerlässliche Rahmengeschichte ist in McGregors Film nur ungelenkes Beiwerk: Der Grundgedanke, dass kein Traum in Wirklichkeit so makellos ist wie es scheint, kommt zwar rüber, dies aber in denkbar holpriger Weise. Emotional besteht keinerlei Resonanz zwischen Binnen- und Rahmengeschichte, stattdessen sorgen die hölzernen Dialoge zwischen Nathan und Jerry sowie Nathans zuweilen schmerzlich naheliegenden Erzählerkommentare wiederholt für störenden Leerlauf.

Der Kern von Amerikanisches Idyll derweil mag zwar die ausufernde Romanhandlung aufs Wesentliche kondensieren, allerdings scheitern McGregor und Drehbuchautor John Romano dabei, die radikalen Stimmungswechsel wirkungsvoll umzusetzen. Situationen wie Merrys Elektrakomplex werden kurz und intensiv eingeführt, um prompt fallen gelassen zu werden, so dass das Familiendrama immer wieder tonale Ausreißer ins Derbere oder Groteske hat, die letztlich nur irritierend wirken – vom Bombenanschlag auf ein Postamt abgesehen: Dass diese drastische Szene hervorsticht, ist thematisch gerechtfertigt, wenngleich dieser Filmmoment in weniger symbolisch aufgeladener Form eine noch größere emotionale Schlagkraft mit sich brächte.

Während Ewan McGregor auch unter seiner mitunter schwerfälligen Regieführung eine solide, facettenreiche Darbietung abgibt, agieren seine Ensemblekollegen spröde – abgesehen von der überdramatischen Dakota Fanning, welche aus der hitzköpfigen Rolle der Rebellentochter eine völlige Furie macht. Dadurch geht dem Handlungsverlauf viel der von den Figuren immer wieder betonten Ambiguität verloren, so dass es diesem Drama an innerer Anspannung mangelt.

Bemerkenswert ist indes die Kameraarbeit von Martin Ruhe: Die frühen Momente im langen Rückblick auf das Leben des Schweden erstrahlen in kräftigen Farben und sind in einem weichen Licht gezeichnet. Je dramatischer und aussichtsloser seine Lage wird, desto kontrastreicher und schärfer, aber auch trüber wird die Bildästhetik. Dieser Wechsel erfolgt schrittweise und lässt Amerikanisches Idyll zu einer Art Stimmungsbild des US-Mittelstands werden: Glänzender Optimismus in den Nachkriegsjahren, rauere Aussichten in den desillusionierten Jahren des Vietnamkriegs und der nachfolgenden Ära des Regierungsmisstrauens. So bleibt von diesem ironisch betitelten Idyll wenigstens eine Hoffnung übrig: Mit einem besseren Skript und etwas mehr Zurückhaltung kann aus McGregor noch ein guter Regisseur werden – ein Auge für leinwandtragende Bilder hat er zumindest schonmal.

Fazit: Großer Roman, ganz klein: Ewan McGregors Regiedebüt sieht gut aus, ist inhaltlich und tonal jedoch ziemlicher Murks.

Diese Kritik erschien zuerst auf Quotenmeter.de

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