Freitag, 8. September 2023

Freitag der Karibik #75

Das Warten auf Pirates of the Caribbean 6 nimmt und nimmt kein Ende. Margot Robbie umgarnt die Disney-Studios seit Jahren, ihre eigene kleine Insel im verfluchten Karibikuniversum besiedeln zu dürfen. Disney hat Robbies Begehren nicht in die Tonne gekloppt, vorangekommen ist man aber partout nicht. Weshalb selbst Robbie dachte, Disney sei einfach desinteressert, woraufhin Produzent Jerry Bruckheimer öffentlich deklarieren musste, dass die Margot-Karibik nicht aufgegeben wurde. Es benötige nur etwas Zeit, bis man sie bereist. Dumm von Disney, so lange zu warten. In einem alternativen Universum wäre der Film bereits im Kasten und wartet darauf, als erstes Margot-Robbie-Projekt nach dem globalen Kinophänomen Barbie auf der weltweiten Welle der Begeisterung für die talentierte Australierin zu reiten.

So ernüchtert Robbie zuletzt klang, als sie sich über Pirates of the Caribbean äußerte, so positiv überrascht meldete sich kürzlich Craig Mazin zu Wort: Der Hangover 2 & 3-Autor und Chernobyl-Serienschöpfer steht seit nunmehr vier Jahren (!) gemeinsam mit PotC-Veteran Ted Elliott hinter einem Pirates of the Caribbean-Projekt, das parallel (und angeblich nicht in Konkurrenz) zu Robbies Film entwickelt wird. Jetzt endlich wurde uns ein winziger Einblick gestattet, was uns mit Mazins und Elliotts Film erwarten könnte - und wie es um ihn bestellt ist.

Gegenüber Variety erklärte Mazin, dass er und Elliot eine im etablierten Kanon spielende Grundidee vorgeschlagen haben, und vollauf davon überzeugt waren, dass Disney sie ablehnen wird. "Zu seltsam", sei sie. Und dann... hat Disney zugeschlagen. Das Skript ist laut Mazin fertig und nun warte man das Ende der Streiks ab, die die US-amerikanischen Schauspiel- und Drehbuch-Gewerkschaften anberaumt haben, weil sich die Studios immer größere Teile des sprichwörtlichen Kuchens in die Tasche stecken und noch dazu Kunstschaffenden damit drohen, sie durch KI zu ersetzen. Hisst die Flaggen!

Mal ganz davon abgesehen, dass seit Salazars Rache mehrere Projekte semi-offiziell angekündigt und von der Gerüchteküche heraufbeschworen wurden, ohne dass irgendwas passiert ist, und ich daher nicht zu früh jubilierend in die Luft springen möchte: Mazins "zu seltsam"-Kommentar und die Behauptung, dass es direkt nach den Streiks losgehen könnte, sind für mich Anlass genug, zu fabulieren:

Welche Talente könnten Bruckheimer und Disney auf dem Regiestuhl platzieren, um meine Vorfreude in die Höhe schnellen zu lassen und mir Mut zu machen, dass sich "zu seltsam" nicht als leere Phrase herausstellen wird? (Stets vorausgesetzt, dass sie auch wirklich Lust haben. "Naja, irgendwie muss ich ja meine Hypothek abbezahlen"-Motivation für den Regiejob brauche ich nicht in meiner Lieblingsfilmreihe.)

David Prior

Womöglich mein heimlicher Lieblingskandidat für den Pirates of the Caribbean-Regieposten. Mit The Empty Man schuf er den goreverbinskihaftesten Film, den jemals eine Person gedreht hat, die nicht Gore Verbinski ist. Und was wäre angebrachter bei einem PotC-Teil als genau diese Energie, noch dazu bei einem Skript, das angeblich disney-untypisch seltsam sein soll?

David Fincher

Ja, eine absolut unrealistische Wahl. Fincher steckt die Alien 3-Erfahrung noch immer zu tief in den Knochen, als dass er bereitwillig in eine bestehende Filmreihe springen würde, und seine gescheiterten Anläufe, bei Disney eine 20.000 Meilen unter dem Meer-Neuinterpretation vom Stapel laufen zu lassen, dürften ihn auch nicht von der Idee schwärmen lassen, für's Maushaus nun die Segel gen Karibik zu setzen. Aber: Allein, dass in Fincher ein abenteuerversessener Knabe steckt, der für Disney einen Effektfilm drehen möchte (wäre das Studio halt was zuvorkommender), macht ihn zu einem guten PotC-Kandidaten. Zumal man disneyfilmhistorisch eine direkte Linie von Käpt'n Nemo zu den verfluchten Piraten ziehen kann.

Noch dazu ist David Fincher bekennender Gore-Verbinski-Fan. Nicht, dass der Regisseur hinter Sieben, Zodiac, Panic Room, Fight Club, Gone Girl und Mank es nötig hätte, noch weiter in meiner Sympathie zu steigen. Aber eine Wertschätzung für Verbinskis Schaffen ist zweifelsohne ein großer Bonus, will man in meiner Fantasie den Pirates of the Caribbean-Regieposten ergattern.

Julia Ducournau

"Zu seltsam", Herr Mazin? Hm? Dann lasst uns das Skript doch der Regisseurin von Raw und Titane überreichen, es ihrem Geschmack anpassen und sie dann mit einem großen Budget in die Karibik verschwinden, wo sie fernab der sich einmischenden Disney-Studiobosse ihr Piratending zuzieht. Das würde mich vorfreudig zappeln lassen. Pirates of the Caribbean war eh schon das hormonell aufgeladenste Franchise unter der Disney-Flagge, mal gucken, was die schräge Bodyhorror-Indie-Französin mit einem Hang für sexuelle Unter-, Zwischen- und Übertöne draus macht!

Und Filmtwitter wieder einmal brennen sehen, weil sich irgendwer an ein Franchise "verkauft" hat, ist auch ein Spaß. (Zumal in einer idealen Welt Hollywood durch Barbie nicht die Lektion lernt "mehr Mattel braucht das Kino", sondern "lasst kreative Frauen mal mit massig Geld haushalten, wird schon".) 

Guillermo del Toro

Komm schon, Disney. Lass den Mann wenigstens eine Bahn verfilmen!

Aritz Moreno

Schräger Humor, ein Sinn für große Bilder und das Jonglieren vieler Figuren, gepaart mit einem Auge für's Sonderbare: Von Die obskuren Geschichten eines Zugreisenden hinein in Disneys Fluch-Karibik. Also, ich fänd's spannend.

Joseph Kosinski

Hat eine etablierte Arbeitsbeziehung mit Disney (Tron: Legacy) und Jerry Bruckheimer (Top Gun: Maverick), kann hervorragende Bilder und die Soundtracks seiner Filme sind im Normalfall absolut klasse. So gesehen trifft er einige der Grundvoraussetzungen für einen Pirates of the Caribbean-Film, auch wenn er aus dieser Liste der am wenigsten "sonderbare" Kandidat wäre. Aber selbst wenn ihm der "Was? Er?!"-Faktor fehlt: Er hat einst Tron: Legacy durchgerungen, was auch nicht gerade der archetypische Disney-Big-Budget-Film ist. Und da wir hier gerade eh träumen: Direkt nach PotC 6 kann er ja auch endlich Tron 3 drehen. (Sorry, Joachim Rønning. Aber wenn ich die Wahl habe zwischen einem Tron-Film von dir und von Kosinski, dann nehme ich Kosinski.)

Alfonso Cuarón

Damit er auch mal in einem Franchise herumwerkelt, für das ich mich erwärmen kann. Und weil ich gespannt wäre, über wie viele Schiffsdecks er einen Longtake gehen lassen würde.

Coralie Fargeat

Die Revenge-Filmemacherin zählt David Cronenberg, David Lynch und Michael Haneke zu ihren Vorbildern, was nun nicht gerade nach einem Abstecher in Disneys Karibik klingt (auch wenn Cronenberg immerhin mit Keira Knightley zusammengearbeitet hat, will man hier Six Degrees of Disney Pirates spielen). Doch nicht nur, dass sie mit ihrer Regiearbeit an der Netflix-Serie The Sandman bewiesen hat, sich nicht vor etablierten Popkulturmarken zu scheuen:

Sie erklärte auch, sich zum absurd-opernhaften Kino zugezogen zu fühlen, und je nach Regisseur war die PotC-Saga auch durchaus eine sehr absurde Rockoper. Noch dazu nennt sie als weiteres Vorbild John Carpenter, und da Pirates of the Caribbean 6 laut Mazin "zu seltsam" wird, hätte Fargeat ja hiermit die Gelegenheit, ihrer Filmografie ein Projekt zuzufügen, das bei ihr ähnlich hervorsticht wie Big Trouble in Little China aus Carpenters.

Gina Prince-Bythewood

The Woman King vereint prunkvolle Action, Entertainment vor historischer Kulisse mit grandiosen Kostümen und nuancierte Charakterköpfe von Figuren, die locker von dramatisch zu schnippisch wechseln können. Der Film ist eigentlich ein starkes Bewerbungsvideo, von Hollywood eine Wagenladung voll Geld und den Auftrag "Hier, mach was Aufwändiges draus" zu erhalten, und mir kann niemand erzählen, dass Pirates of the Caribbean nach The Woman King ein Stilbruch für Prince-Bythewood wäre. Aber für Disney wäre sie eine interessantere Wahl als etwa einem Shawn Levy, Alan Taylor oder (sorry) Kenneth Branagh (der sich doch lieber seinen biografisch motivierten Passionsprojekten, Shakespeare und Agatha Christe widmen sollte, als dem Popcorn-Effektkino) die Zukunft der verfluchten Karibik zu überlassen.

Wen würdet ihr euch für Pirates of the Caribbean 6 wünschen? Und werden wir es jemals schaffen, wieder einen PotC-Film und einen neuen Gore-Verbinski-Film im selben Jahr spendiert zu bekommen? Beantwortet erste Frage gerne in den Kommentaren und drückt für ein "Ja" bezüglich der zweiten Frage die Daumen, me hearties, yo-ho!

Mittwoch, 26. Juli 2023

Geistervilla

Was wir hatten

Die Fangemeinde der Disney-Themenparks ist so bunt durcheinander gewürfelt, dass es wohl keine steile These ist, dass jede Disney-Attraktion für irgendwen die Lieblingsattraktion darstellt. Zugleich ist es ebenso risikofrei, zu behaupten, dass sich zwei Attraktionen einen besonderen Platz in den Herzen der Disney-Fans erkämpft haben: Pirates of the Caribbean und Haunted Mansion gelten ungebrochen als Paradebeispiele dafür, wie Themenparkfahrten ein immersives, atmosphärisches Erlebnis mit Witz, Persönlichkeit und fragmentiertem, in sich schlüssigem Storytelling bieten können. Und all das, ohne sich als Adaption bestehender Filme zu präsentieren.

Es war bloß eine Frage der Zeit, bis die Disney-Studios zu ihrem Themenpark-Geschwisterchen rüber blicken und an diesen ikonischen Attraktionen bedienen. 2003 erfolgte der Doppelschlag: Gore Verbinski brachte mittels Rückendeckung durch Produzent Jerry Bruckheimer die abenteuerlichen Piraten auf die große Leinwand und machte Fluch der Karibik zu einem Sensationserfolg, der ein eigenes Kino-Franchise begründete und den Disney-Konzern nachhaltig veränderte.

Der König der Löwen-Co-Regisseur Rob Minkoff unterdessen verwirklichte mit Disney-Trickfilm-Produzent Don Hahn sowie Freaky Friday-Produzent Andrew Gunn im Rücken die hierzulande Die Geistervilla betitelte Haunted Mansion-Adaption. Die hinterließ kaum Eindruck in der Popkultur, nicht einmal in der Disney-Fangemeinde. Und wenn sich wer an sie erinnert, so wird sie vornehmlich als verschenkte Chance geschunden, einer legendären Bahn gerecht zu werden.

Vor allem der piefige, überzogene Humor rund um Eddie Murphy und seine Film-Familie wird kritisiert, während das Produktionsdesign und die praktischen Effekte durchaus hier und da Lob erhalten. (Der Fairness halber: In den USA entwickelte sich der Film nicht zuletzt dank regelmäßiger TV-Wiederholung zu einem kleinen Nostalgie-Favoriten innerhalb der Jahrgänge, die 2003 noch zur jungen Kernzielgruppe gehörten. Dass er eines Tages zu einem Kult wie Hocus Pocus heranwächst, wage ich noch zu bezweifeln, und einen Meinungswandel innerhalb der Themenpark-Fangemeinde habe ich auch nicht beobachtet.)

Schon früh stand fest: Darauf kann man es nicht beruhen lassen. Die Geistervilla muss einen erneuten Anlauf erhalten!

Was uns verwehrt blieb

Der womöglich weltgrößte Haunted Mansion-Fan ist zufälligerweise auch einer der prestigeträchtigsten Regisseure unserer Zeit: Guillermo del Toro, seines Zeichens Disney-Fan und Liebhaber des Grotesken, hat ganze Räume seines Hauses seiner Haunted Mansion-Passion gewidmet. Kein Wunder, dass er sich ins Gespräch für eine erneute Adaption gebracht hat. Jahrelang trat das Projekt auf der Stelle, bis ein berühmter Schauspieler für die Hauptrolle anvisiert wurde. Noch dazu einer, der bekennender, glühender Disney-Park-Fan ist, seine Karriere im Mickey Mouse Club begann und die Haunted Mansion liebt (aber das Nightmare before Christmas-Overlay hasst): Ryan Gosling!

Dieser Film ist aus nicht genauer bekannten Gründen geplatzt. Setzt hier einfach "kreative Differenzen" ein, rollt die Augen, wie feige Disney wohl war, und seid euch gewiss, dass del Toro stattdessen Referenzen auf die Haunted Mansion in einigen seiner Filme versteckte. Insbesondere Crimson Peak ist ein einziger "Ich mache dann halt meine total disneyunkompatible Version"-Traum von der Haunted Mansion.

Was wir stattdessen bekommen haben

Die alleinerziehende Mutter Gabbie (Rosario Dawson) zieht mit ihrem Sohn Travis (Chase W. Dillon) in ein großes, staubiges Anwesen in New Orleans. Kaum haben sie das Haus betreten, erleben sie sonderbare Dinge und fliehen. Doch sie konnten das Unheil nicht abschütteln: Ein Geist hat sich ihnen angeschlossen und nervt sie, egal wo sie sind. Also kehren sie in die verfluchte Villa zurück und versuchen, den Ereignissen auf den Grund zu gehen. Dazu heuern sie den ehemaligen Physiker Ben (LaKeith Stanfield) an, der sich nun als Tourguide verdingt. Auch der exzentrische Priester Kent (Owen Wilson), das Medium Harriet (Tiffany Haddish) und der ans Übernatürliche glaubende Geschichtsprofessor Bruce (Danny DeVito) schließen sich der Truppe an...

Ob Regisseur Justin Simien genauso von der Haunted Mansion besessen ist wie del Toro, darf bezweifelt werden. Aber auch er hat eine Passion für die Attraktion und war vor seiner Karriere als Filmemacher sogar Cast Member im kalifornischen Disneyland sowie zeitweise Teil eines Walt-Disney-World-Chors. Seine Disney-Vergangenheit macht sich in Geistervilla (ja, Disney macht den umgekehrten DC-Move, wo auf Suicide Squad ja The Suicide Squad folgte) auch zweifelsohne bemerkbar:

Geistervilla ist rappelvoll mit narrativen, akustischen und visuellen Rückgriffen auf die legendäre Bahn. Von der einprägsamen Tapete über Kerzenhalter und kunstvoll verzierte Absperrungen bis hin zu Dreh- und Angelpunkten der Attraktion wie dem "Stretching Room" oder Madame Leota (hier gespielt von Jamie Lee Curtis): Wer die Vorlage zum Film kennt, wird immer wieder Dinge erkennen. Selbstredend adaptiert Komponist Kris Bowers (Bridgerton) den aus der Attraktion bekannten Ohrwurm Grim Grinning Ghosts und mit narrativen Elementen wie "Es befinden sich 999 Geister im Haus" oder dem "Dir folgt ein Geist nach Hause"-Aspekt wird die potentiell generische Geisterhaus-Geschichte an die Disney-Vorlage angepasst.

Auch beiläufige inhaltliche Referenzen, wie die Anmerkung, dass es viele sich widersprechende Hintergrundgeschichten gibt, runden den Fanservice-Charakter des Films ab. Dabei reißen diese Querverweise nicht per se aus der eigentlichen Geschichte heraus: Wenn etwas kurioses geschieht, inszeniert Simien es so, dass Disney-Fans sich im "Aha, das kenne ich doch!"-Genuss suhlen können, während für Ahnungslose halt einfach das titelgebende Geistergeschehen geliefert wird. Trotzdem scheitern die Verantwortlichen dabei, ein wirklich makelloses Gleichgewicht aus Fanservice und "Es darf nicht ablenken" zu erzielen:

Hier und da verweilt die Kamera dann doch zu lang auf einem Easter Egg oder lassen Simien und Filmeditor Phillip J. Bartell (Eating Out 2: Sloppy Seconds) nach einem verbalen Querverweis eine zu lange "Hier wird nun in Anaheim, Orlando oder Tokio sicher heftig applaudiert"-Dialogpause. Das stört den erzählerischen Fluss, könnte manchen Teilen des Publikums ein zu klares "Ich denke, ich habe da was nicht verstanden"-Gefühl geben und ist in einer 123 Minuten langen Familien-Geisterkomödie einfach nicht nötig.

Was mich derweil positiv überrascht hat: Simien, der zuvor auch Dear White People und Bad Hair gemacht hat, bekommt in Geistervilla den Raum, seine authentische Perspektive auf die Erfahrungen von BPoC zu präsentieren. Geistervilla ist zwar trotzdem mit Abstand sein am wenigsten über die Lebenswirklichkeit schwarzer Menschen in den USA erzählender Film. Aber während die Eddie-Murphy-Variante genauso von einer weißen Familie hätte handeln können, lebt und atmet dieser Film wenigstens eine Spur der Black Community in New Orleans. Und im Falle von Stanfields Figur unterstreicht tatsächlich das Hairstyling seiner Figur ein Stück weit die Charakterzeichnung.

Drehbuchautorin Katie Dippold derweil ließ mich schon bei Ghostbusters: Answer the Call mehrmals an Haunted Mansion denken, und ihr Gespür für familientaugliche Kalauer mit optionalem, makabrem Touch lebt sie auch dieses Mal aus. Vor allem Haddishs Harriet, die stets Fehlurteile darüber fällt, wie deutlich sie sich in Anwesenheit von Kindern über garstige Dinge äußern darf, liefert dahingehend ab. Wilson und DeVito wiederum agieren ungefähr genau so, wie man es in solch einem Film von ihnen erwarten würde - und das kommt in Dippolds erzählerischem Kontext und unter Simiens Inszenierung solide-kurzweilig rüber.

Als Einsteiger-Gruselkomödie, geschweige denn "normale" Gruselkomödie funktioniert Geistervilla derweil überhaupt nicht. Das ist, abhängig von der persönlichen Meinung diesbezüglich, wie gruselig denn die als Inspiration dienende Bahn denn nun ist, entweder vollkommen egal oder ein Problem. Ich zumindest sehe die Haunted Mansion als wundervoll-amüsante Annäherung ans Geisterthema an und nehme daher keinen Anstoß an einer Verfilmung ohne Gruselfaktor - was natürlich nicht heißt, dass ich del Toros schaurigere Variante abgelehnt hätte. (Und wenn jemals die Phantom Manor aus dem Disneyland Paris adaptiert wird, werde ich sowieso andere Maßstäbe ansetzen!)

Statt einen schaurigen Spaß zu kreieren, schufen Dippold und Simien daher einen rar gewordenen Rücksturz zu den Disney-Realfilmkomödien der 1950er bis 1970er: Wir sehen einer verschrobenen Figurengruppe dabei zu, wie sie durch eine Abfolge von kuriosen Ereignissen ihren Charakter formt - mit vielen Schmunzlern, etwas Slapstick und einem andersweltlichen Gimmick. Ich fühlte mich ganz konkret in Filme wie Der unheimliche Zotti, Charley und der Engel oder Käpt’n Blackbeards Spuk-Kaschemme versetzt, was ich charmant fand, euch allen da draußen aber auch klar mitteilen sollte, dass Geistervilla im Jahr 2023 eine extrem spitze Zielgruppe hat.

Zumal Simien das Geplänkel seiner Charakterköpfe immer wieder für Phasen pausiert, in denen Stanfields Ben an den frühen Tod seiner großen Liebe erinnert wird und ihn endlich zu verarbeiten versucht. Stanfield gelingt es hervorragend, diese Wechsel hin von Disney-Retrokomödie hin zu familientauglicher Trauerverarbeitungs-Dramödie darstellerisch zu tragen, und seine Figur durchweg stimmig zu halten, ganz gleich, wie zerrissen der Film ist.

Aber Simien und Dippold straucheln gelegentlich dabei, diese zwei Ansätze zu vereinen. Für jede beseelte Szene, in der etwa ein berührendes Gespräch zwischen Ben und Travis durch einen aus dem Leben gegriffenen "Kinder im Grundschulalter rennen mitten in einem profunden Gespräch davon und wollen jetzt einfach spielen"-Gag unterbrochen wird, woraufhin eine albern-herzliche Montage folgt, oder Ben seine verstorbene Partnerin liebevoll anhand von Dingen beschreibt, die ihn einst nervten, gibt es eine bemühte Passage, in denen man im Kinosaal förmlich spürt, wie Simien und Dippold gerade so die Nähte ihres Flickenteppichs zusammenhalten.

Wäre Geistervilla optisch etwas wertiger und zudem flüssiger erzählt, ließe sich das leichter verzeihen. Aber da der Film ein paar Längen hat, und das gute Produktionsdesign mit einem etwas matschigen Color Grading und einem Übermaß an unbeseelten Effekten konkurriert (insbesondere im Finale), fehlt einfach dieser gewisse Funken an kunsthandwerklicher Passion, der über so etwas hinwegtäuschen könnte.

Dafür ist es erstaunlich, wie sehr Geistervilla im Dialog-Duktus an Magic in the Moonlight erinnert. Da Simien den Regisseur hinter besagter Schmunzelattacken-Séancendramödie zu seinen künstlerischen Einflüssen zählt, lag es womöglich auf der Hand, dass Simien den Cast seiner geisterhaften Komödie in einem ähnlichen Takt und einer vergleichbaren Sprechfarbe agieren lässt. Nicht, dass er direkt bei dem Film abgeguckt hätte, aber es ist offensichtlich, dass er sich einem ähnlichen Thema auf vergleichbare Weise nähert...

Dessen ungeachtet, seid mal ehrlich: Wer hatte auf seiner 2023-Bingokarte "Ein und derselbe Film wird sich bei Woody Allen und Disney-Realfilmkomödien der 1950er bis 1970er bedienen, und zudem sein Storytelling non-verbal durch die authentische Darstellung von BPoC-Frisuren stützen"?

Ein Fazit, das den Stretching Room nimmt: Wenn ein Film, über den riesig groß "Disney hat sich nichts getraut und daher del Toro ein Projekt weggenommen, um es stattdessen einem deutlich kleineren Namen zu geben"-Signale schweben, es trotzdem vermeidet, wie ein von Studiokomitees am Reißbrett entwickelter Film zu wirken, ist das erst einmal begrüßenswert. Dass Simien und Dippold eine eklektische Ansammlung an Einsätzen und Einflüssen zusammengeworfen haben, sorgt für tonale Farbe in einer Disney-Realfilmära, in der so etwas selten geworden ist.

Aber der Verzicht auf große Lacher und packende Geister-Setpieces sorgt im Zusammenspiel mit der eher ernüchternden Bildsprache des Films und zu viel narrativem Leerlauf für leichte Ernüchterung: Geistervilla ist auf dem Weg dorthin, denkwürdig und markant zu sein. Doch dem Film geht die dafür nötige Puste aus. Stattdessen ist es ein Film geworden, der für eine sehr spitze Zielgruppe charmante Unterhaltung bietet. Es ist ein Film für Leute mit meinem verschrobenen Geschmack, die sich an dem einen oder anderen Sonntagnachmittag aufs Sofa legen, in eine Decke murmeln und von dezent modernisiertem Disney-Retroflair umarmt fühlen wollen.

Ich kann Geistervilla nicht voller Überzeugung verreißen, aber auch nur sehr, sehr wenigen Menschen guten Gewissens empfehlen. Für Normalos ist es ein "Egal"-Film mit einem gefälligen Cast, ein paar Durststrecken und einigen Momenten, wo Humor oder Gefühligkeit genau ins Ziel treffen. Für mich ist er ein "Ich mag ihn mehr, als ich ihn respektiere"-Titel. Ich vergebe hier im Blog eigentlich keine Sterne-Bewertungen, aber um dieser langen Rede endlich einen kurzen Sinn zu verleihen: Das hier wäre so ein "2,5 von 5 Sternen - mit einem Herz"-Ding. Hurry back! 

Geistervilla ist ab dem 27. Juli 2023 in einigen deutschen Kinos zu sehen.