Achtung! Diese Rezension enthält zahlreiche, heftige SPOILER zu Quentin Tarantinos Inglourious Basterds! Wer den Film bislang noch nicht gesehen hat, sollte es tunlichst vermeiden diesen Artikel zu lesen.
Eine spoilerfreie Kurzkritik zum Film findet ihr hier.
Eine spoilerfreie Kurzkritik zum Film findet ihr hier.
Der Nazifilm existiert nicht mehr. Quentin Tarantino hat ihn mit ordentlich Zunder in die Luft gejagt, sowohl buchstäblich als auch bildlich gesprochen.
Alle möglichen Filme, die nach Inglourious Basterds mit der Nazithematik ankommen, sind dem Untergang geweiht. Wer sich einmal Inglourious Basterds angesehen hat, braucht keinen anderen Nazifilm mehr. Bis auf Spielbergs Schindlers Liste. Mit dem Tarantinos intelektuell-anarchischer Konventionenbruch vom zeitlichen Rahmen abgesehen nichts gemein hat. Oder mit irgendeinem anderen Film über den Zweiten Weltkrieg.
Als der erste Trailer zu Inglourious Basterds verkündete, dass man den Krieg noch nicht gesehen habe, bis man ihn durch die Augen Quentin Tarantinos sah, war dies keine vollmundige, arrogante und übertriebene Marketing-Verlautbarung (wie Watchmens "vom visionären Regisseur Zack Snyder"). Viel mehr ist es ein Versprechen, das den Kern des Films trifft und dem Zuschauer sogar den wertvollen Schlüssel zur korrekten Betrachtungsweise des Films überreicht.
Denn wer sich mit der Erwartungshaltung in Inglourious Basterds setzt, einen historisch akkuraten, der Schwere der Thematik ergebenen und betroffen-pathetischen Kriegsfilm zu sehen wird ebenso sehr vor den Kopf gestoßen, wie all die blutgeifernden Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die aus irgendeinem unerklärlichen Grund weiterhin davon ausgehen, dass Quentin Tarantino ein gewaltexzessiver Actionfilmregisseur ist, in dessen Streifen nonstop gemetzelt wird und gelegentlich vielleicht ein paar schnippische Einzeiler vom Stapel gelassen werden. So einer war Tarantino noch nie, und obwohl es schon immer Leute gab, die ihn so dermaßen fehlinterpretierten, liefert er ihnen auch mit Inglourious Basterds nicht den Stoff, den sie erwarten. Also nichts mit einem über zweistündigen, knallharten Edeltrash-Kriegsfilm in dem Brad Pitt und Gewalthorror-Regisseur Eli Roth dreckig grinsend nonstop eine skalpierte Schneise hinter den feindlichen Linien ziehen.
Selbstverständlich weist Inglourious Basterds wie auch Tarantinos vorherigen Filme zahlreiche Anleihen auf von Tarantino verherte B-, Exploitation-, und Schundfilme auf und manche Szenen sind gezielt Grindhouse-esque, wie etwa die Vorstellung von Til Schweigers wortkargem Charakter Hugo Stiglitz, komplett mit Namenseinblendung in einer übertrieben pornöser 70er-Jahre Schriftart und triefend cooler Erzählung von Samuel L. "Motherfucker" Jackson. Jedoch ist der Kinofanatiker Tarantino mehr als nur der erfolgreich in Hollywood angelangte Drecksfilmverehrer, sondern auch ein wandelndes cineastisches Lexikon, dessen Liebe zu dieser Kunstform auch das hierzulande in Vergessenheit geratene und teilweise gedrängte frühe europäische Kino abdeckt. Deutscher Eskapadismus zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs, Goebbels' Propagandamaschinerie und französische Nouvelle Vouge werden thematisiert und referenziert, ebenso wie die Crème de la Crème des italienischen Spaghettiwesterns, welche Tarantinos Kriegs-Fiebertraum besonders bei der Kameraführung als nie versiegender Quell der Inspiration Pate stand.
Erzählt wird das ganze schließlich im Rahmen einer der Epik entliehenen Erzählstruktur, mehr noch als bei Pulp Fiction und Kill Bill spürt man eine Trennung zwischen den einzelnen Kapiteln, Inglourious Basterds sieht sich, wie so manches Paradebeispiel jüngerer Epik liest. Und um die gattungsübergreifende Qualität von Inglourious Basterds abzurunden, lassen sich (zufällige?) starke Anleihen beim epischen Theater eines Bertold Brechts feststellen, der Fiktionsbrechungen und das Bilden einer Distanz zwischen dem Zuschauer und dem eigentlichen Stück forderte, der eine Montage -artige Aneinanderreihung von Szenen mit kurvenartiger Dramaturgie, anstatt einer linearen Erzählung mit durchgehendem Spannungsbogen durchsetzte und laut welchem historische Ereignisse und Personen verfremdet werden sollten, um eine größere Wirkung zu erzielen, als bei der sklavischen Reproduktion der geschichtlichen Fakten.
Bei all dieser Vielsichtigkeit und Mehrdeutigkeit bleibt Inglourious Basterds stets ein Film, der unterhalten möchte und sich zu einem Großteil, erneut typisch Tarantino, durch die Lässigkeit und Einzigartigkeit seiner Dialoge definiert. Es ist diese einmalige Mischung aus stetiger Forderung des Zuschauers und genüsslicher Anspruchslosigkeit, die für viele Menschen, darunter zähle ich mich, den Reiz von Inglourious Basterds ausmacht. Doch diese komplexe, fast schon sperrige Eigenartigkeit ist es auch, die zahlreiche Zuschauer mit Sicherheit von Inglourious Basterds abstoßen und unverständlich zurücklassen wird.
Dabei machte Inglourious Basterds nicht immer den Anschein, als würde er das herausragende Beispiel für Tarantinos Talent Schundversatzstücke salonfähig einzukleiden und ins Programmkino zu hieven. Seit rund einer Dekade schwärmte uns Quentin Tarantino von seinem schmutzigen Weltkriegsepos vor, in dem sich ein Dutzend dreckiger Hunde bis an die Zähne bewaffnet auf eine selbstmörderische Mission hinter den feindlichen Linien macht. Inglourious Basterds entwickelte sich zu etwas, das noch größer und ausführlicher werden sollte als Tarantinos Racheepos Kill Bill. Der Schreibe- und Ideenfindungsprozess fand kein Ende, alle möglichen Charaktere erhielten eine ausführliche Hintergrundgeschichte, Subplots kamen und gingen. Kompromisslose Härte versprach sich der Filmfanatiker von diesem verdorbenen Weltkriegsexploitationwestern. Grindhouse trifft Kill Bill und zieht im Dritten Reich das daraus entstandene Kind auf, das schien auf uns hinzu zu kommen. Und der erste Trailer suggerierte, dass dem auch so ist. Ein fast schon verboten cooler, selbstbewusster und kaltblütige Rache an den Nazis suchender Brad Pitt mit kaum übersehbarer Narbe am Hals und kurz vor der Übertreibung stehendem, dicken Tennessee-Akzent weist er seine eiskalte und teilweise verdorben grinsende Truppe an, grausam zu den Nazis zu sein und sie ohne jede Rücksicht zu zerstören.
Inglourious Basterds entwickelte in der Komplettierungsphase allerdings ein eigenes Leben und entwickelte sich zu Tarantinos bislang erwachsensten Film (eine Ansicht, die sicherlich diskutabel ist, dessen bin ich mir bewusst). Die Basterds räumten Platz für weitere Handlungsstränge ein, wüten nur in einem Subplot ihres eigenen Films durch das von Nazis besetzte Frankreich. Ja, manche der Subplots hatte Tarantino eigener Behauptung nach schon von Anfang an im Kopf. Doch stets war nur von den Basterds die Rede.
Im endgültigen Film aber misst er der Geschichte um die jüdische Französin Shosanna Dreyfus, ihre Liebe zum Kino und ihrem unbesungenen Einfluss auf den Verlauf des Zweiten Weltkrieges (in Tarantinos Weltsicht) gleich viel Bedeutung wie den Basterds zu, eher sogar noch mehr.
Shosannas Geschichte ist eng verknüpft mit dem Handlungsfaden des SS-Standartenführers Hans Landa (Spitzname: "Der Judenjäger"), der das Versteck ihrer Familie unter den Fußdielen eines französischen Milchbauerns entdeckte und alle (bis auf Shosanna, die fliehen konnte) töten ließ.
Drei Jahre nach der Ermordung ihrer Familie treffen wir Shosanna wieder, die sich in der Zwischenzeit eine neue Identität als Kinobesitzerin in Paris aufbauen konnte und einem jungen deutschen Soldaten/Nationalhelden/Schauspieler ins Auge fiel und sich ihn nur schwer vom Hals halten kann. Wo die Basterds auf einen gezielten, agressiven Rachefeldzug gehen, ist Shosannas Handlungsstrang zurückhaltender. Shosannas persönliches Schicksal und ihre Leidenschaft für das Kino werden mit mehr Feingefühl präsentiert, als der Basterd-Handlungsstrang und ihr Racheplan ist kein blutdürstiges Nazis-Hinterherjagen. Als entschieden wird, dass in ihrem Kino der Nazi-Propagandasreifen Stolz der Nation uraufgeführt werden soll, schlägt ihr die ideale Chance ins Gesicht. Es ist kein perfider, blutrünstiger Plan, es ist das Ergreifen der perfekten Gelegenheit: Jagt sie das Kino, in dem sich die gesamte Führerelite des Dritten Reichs befindet, in die Luft, kann sie nicht nur Rache für alle ermordeten Juden nehmen, sondern dem Krieg auch ein sofortiges Ende bereiten. Sie übt eine berechtigte Rache zum idealen Zeitpunkt aus und sie gewinnt noch mehr Sympatiepunkte als die saucoole Truppe der Basterds.
Denn selbst wenn sie mit ihrem rüpelhaften Charme bestechen, so bleibt ihr Handeln nicht gänzlich frei von fragwürdigen Elementen. Ihr aggressives Verhalten wird die feingeistigen Zuschauer wohl kaum so sehr umschwärmen wie die zierliche Shosanna und ihr eigenständiger Racheplan, und Tarantino selbst sät Zweifel an den Basterd-Sequenzen, die Eli Roth, der Darsteller vom "Bärenjuden" Sgt. Donnie Donowitz so gerne als "koscheren Porno" bezeichnet. Im Gespräch mit Tom Tykwer (siehe diesen Link) nimmt Tarantino eine Szene heraus, in der er die Exploitationwurzeln von Inglourious Basterds heraushebelt. Als die dem Zuschauer sympatischen Basterds mit sadistischer Freude deutsche Soldaten massakrieren und ein gefangener Deutscher mit eiserner Tapferkeit die Exekution durch den sich immer mehr in einen Blutrausch hineinarbeitenden Donowitz hinnimmt, soll das Publikum ins Grübeln geraten. Die in Trailern versprochene und von vielen erwartete, blutgeifernde Schundfilmbrutalität bringt plötzlich nicht nur stupide Freude an der Gewalt, sondern hinterlässt auch einen schalen Geschmack.
Die Rolle Shosannas krempelt die Rolle der Juden in Kriegsfilmen wesentlich stringenter um. Ja, die jüdisch stämmigen Basterds brechen willkommener Weise aus der üblichen Opferrolle heraus und machen den Jäger zum Gejagten. Aber ihre sadistische Ader rückt sie einem anderen Stereotyp nahe, egal wie sehr man den Basterds den Spaß und Erfolg ihrer Nazihatz auch gönnt. Sie sind (liebenswürdige) Actionrüpel, die aus einem Schundfilm ausbrachen und sich ins Programmkino verirrten - sie umgibt die Aura einer komplexeren persönlichen Geschichte, aber ihr Handeln bleibt adrenalinsüchtiges Massakrieren. Sie tun sich selbst den größten Gefallen, sie sind Jungs, die auf der Suche nach dem blutigen Abenteuer ihres Lebens sind.
Shosanna wiederum verkörpert den betörenden jüdischen Racheengel, der mit berechtigten Mitteln zur Sache geht. Vor allem jedoch opfert sie mehr, als es die Basterds tun. Wäre Tarantinos Weltkriegs-Fiebertraum Realität, so würde Shosanna, die für den Untergang des Dritten Reiches alles opferte was sie liebte, ein unbesungener Held bleiben. Die Geschichtsbücher besprächen Lt. Aldo Raine und sein Kommando, die überlebenden Basterds würden mit Ehrenmedaillen behangen, während die Familien ihrer gefallenen Kumpanen posthume Ehren in Empfang nehmen dürften. Von Shosannas wertvollen Beitrag dagegen erführe wohl niemand etwas.
Mancher wirft Tarantino eine schiere Zitierwut ohne eigene Substanz vor. Doch wäre Tarantino wirklich bloß das, was seine Kritiker in ihm sehen, würde der Handlungsstrang rund um Shosanna bereits nach wenigen Sekunden zusammenstürzen, statt sich zum stärksten Element von Inglourious Basterds aufzuschwingen. Es gehört enormes inszenatorisches und drehbuch-schriftstellerisches Können dazu eine derartige Geschichte in einen Film über regellose, Nazis skalpierende US-Soldaten einzubetten, ohne sich der Lächerlichkeit oder gar Geschmacklosigkeit preis zu geben. Es ist eine Leichtigkeit, mit einem Kniefall vor der Zauberhaftigkeit und dem Einflussreichtum des Kinos, der Teil der tragischen Geschichte einer von den Nazis ihrer Familie beraubten Jüdin Schiffbruch zu erleiden. Dass Tarantino Shosannas Leidenschaft für die Kunst bewegter Bilder eine ähnliche Aufmerksamkeit schenkt, wie ihrem tragischen Schicksal müsste nahezu sämtlichen Erfahrungen aus der Filmgeschichte nach zu urteilen in eine kontroverse Schlappe münden. Ein Filmregisseur stellt seine Filmobesession mit Menschenopfern gleich. "Ist dieser Mann überhaupt noch zu retten?", würde alle Welt schreien, wäre Tarantino tatsächlich ein solcher Kopist und mieser Zusammenmanscher zahlreicher einflüsse, wie ihm seine Gegner gerne vorwerfen.
Tatsächlich jedoch geht Tarantinos Rechnung auf. Im Kontrast zu den groben Basterds funktioniert der besonnere Handlungsfaden Shosannas optimal, beide Subplots ergänzen sich perfekt, obwohl sie genauso gut aus zwei unterschiedlichen Filmen stammen könnten. Aber dank Tarantinos Wagemut zu ungewöhnlichen Vermischungen von Genres, Konventionen und Stilistiken wurde der comichaft konstruierten Geschichte Shosannas durch packende und berührende Momente eine schwerwiegende Ernsthaftigkeit verliehen (vor allem ihr unfreiwilliges, erneutes Aufeinandertreffen mit Landa wühlt die Gefühle der Zuschauer enorm auf), ohne aufgesetzt oder in diesem Film deplatziert zu wirken. Und wenn Tarantino Shosanna als Medium verwendet um seine Obsession mit Filmen und Kino auszudrücken, macht er dies auf eine überraschend reife Weise, ohne jegliche Anflüge von übertriebenem, für wichtigere Dinge blindem Enthusiasmus, sondern mit subtiler künstlerischer Leidenschaft. Die Gespräche zwischen ihr und dem ebenfalls der Filmkunst verfallenem deutschen Soldaten Zoller klingen nicht wie die begeisterten, zum Zitieren angelegten Popkultur-Diskussionen in Reservoir Dogs oder Pulp Fiction, sie sind ernstzunehmende Elmente dieser Charaktere.
Trotzdem bleibt sich Tarantino in Shosannas Handlungsfaden selber treu und vermeidet es erfolgreich, nicht in die elendige Richtung der kühl durchkonstruierten, nach einem Oscar wimmernden, pathetischen Betroffenheitsdramen zu verfallen, die es für sich beanspruchen die Schicksalhaftigkeit besonderer Lebensgänge abbilden zu können. Anders als die meisten in jüngerer Vergangenheit von Autoren erschaffenen Schicksalsschlägen mit besonders bedeutsamen Zufällen (etwa die berechend ausgearbeitete, mit Holzhammer zurechtgerückten Tabu-Plattitüden bespickte Geschichte in Bernhard Schlinks Der Vorleser: "ein im späteren Leben Juristik studierender Minderjähriger verliebt sich in eine alte, analphabetische Ex-KZ-Aufseherin") schielte Tarantino bei Inglourious Basterds nicht nach Anerkennung bei den Kritikern und verdarb sich so die Integrität seiner Geschichte. Man spürt in jeder Sekunde des Films, dass er diese Geschichte erzählt, weil er sie erzählen will, und nicht, weil er zu wissen meint, damit Anerkennung und Auszeichnungen zu erhalten. Tarantinos Parabel des die Welt verändernden Kinos und des cinatastisch bewanderten, französischen Racheengels der Juden ist unprätentiös, ehrlich und verträumt, doch dank seiner ersten beiden Qualitäten zugleich auch wesentlich bodenständiger und aus künstlerischer Sicht glaubwürdiger als Der Vorleser und Konsorten.
Tarantinos einzigartiger Mischung aus (oft auch karikiertem) eindimensionalem Exploitationschund, Anspruch und schlichtweg eigensinniger Querköpfigkeit haben wir auch das Mensch gewordene Damoklesschwert zu verdanken, das den Film hindurch über Shosanna und den Basterds schwebt, den vom österreichischen Bühnen- und Fernsehdarsteller Christoph Waltz formidabel gespielten SS-Standartenführer Hans Landa. Er ist die Parodie einer Bösewicht-Karikatur und somit logischerweise wieder beängstigend ernstzunehmen und bereits jetzt ein Topanwärter für die Aufnahme in das Pantheon der Filmbösewichter, Christoph Waltz wird nach seiner Auszeichnung als bester Schauspieler auf den Filmfestspielen in Cannes in der kommenden Preisverleihungssaison noch mit vielen weiteren Ehrungen rechnen dürfen.
Bereits in den ersten Sekunden nach dem Abspann etabliert Tarantinos von Spaghettiwestern (und im Prolog des Films insbesondere von Zwei glorreiche Halunken) inspirierte Inszenierung Hans Landa als einen klischeehaften, platten "Larger than Life"-Oberschurken. Zu den Klängen von Ennio Morrricones The Verdict (aus The Big Gundown), einer wagemutigen und bedrohlichen Vereinigung von Beethovens Klavierstück Für Elise und dunkel gestimmter, spanischer Westerngitarre, fährt Landa in seinem schwarzen SS-Wagen mitten in eine malerische, französische Bauernidylle hinein und versetzt einen freundlichen, hart arbeitenden Milchbauern allein schon durch seine drohende Ankunft in kalten Angstschweiß. Tarantino kündigt das vollkommen übertrieben Böse an, ein übergroßes Abziehbild, dessen Wirkung sich nicht aus seinem eigenen Handeln und dem Spiel seines Darstellers nährt, sondern allein davon, dass der Regisseur ihn als das finstere Schrecken ins Bild setzt und alle Figuren vor ihm Angst haben lässt. Doch Tarantino und Christoph Waltz erlauben sich den Spaß, indem sie dem überzeichnet auftretenden Landa dreisterweise eine Persönlichkeit geben und in das für einen solchen B-Movie-Bösewicht geschaffene Bild einen komplexen, auf unheimliche Weise einvernehmenden und von einer komplexen Motivation angetriebenen Charakter zu setzen.
Hans Landa ist ein mit detektivischem, rasiermesserscharfem Verstand ausgestatteter, kultivierter Multilinguist, der sich jegliches menschliches Mitgefühl abtrainierte, ein schmierig grinsender, einschüchternd und entwaffnend freundlicher Opportunist mit sadistisch triefendem Zynismus. Obwohl er zu Beginn des Filmes noch mit breitem Lächeln und in einem kumpelhaften, aber gleichzeitig respektvollen und überaus stolzen Tonfall noch erklärt, dass er seinen Spitznamen "Judenjäger" liebt (und zwar weil er ihn sich mühevoll verdient hat), so erkennt man ihm an, dass er die Nazi-Ideologie nicht teilt.
In einer Tiermetapher beschreibt er die Juden als Ratten, philosophiert daraufhin mit dem Milchbauern allerdings darüber, dass er dies nicht abfällig meine und wie wunderlich es doch sei, dass Menschen ins Haus eindringende, krankheitsübertragende Ratten töten, während sie Eichhörnchen nicht töten würden, obwohl sie genauso gefährlich sein könnten. Spätestens bei dieser Diskussion zementiert sich Landa als widerlicher, aber interessanter und individueller Charakter in den Köpfen der Zuschauer ein.
Landa durchschaut die menschliche Psyche, analysiert und manipuliert sie, er verfügt über eine große Anpassungsfähigkeit und kombiniert seine Talente so, dass er für sich stets (ohne Rücksicht auf Verluste) das bestmögliche aus einer Lage herausholen kann. Wir erfahren in zahlreichen Andeutungen von seinen zahlreichen Frauengeschichten und das reine Ausnutzen des Krieges ist - so lässt es sich zumindest in sein Handeln und seine Aussagen hineininterpretieren - seine einzige Motivation für die SS zu arbeiten.
Dadurch wird Landa zwar keinesfalls zu einem besseren Menschen, als all die uns zu genüge bekannten charakterlosen Nazi-Obermotze aus zahllosen flachen Kriegsfilmen, doch so gewinnt er jedenfalls sehr viel Zuschauerinteresse. Und wenn man ihm erst einmal interessiert zuhört, schafft er es einen durch seine nach außen hin überbetonten Wesenszüge, wie seiner Zuvorkommenheit, immer wieder für einen kurzen Moment auf einer unheimlichen Geistesebene um den Finger zu wickeln. Die Intensität, mit der Christoph Waltz diesen außerordentlichen Charakter verkörpert ist wahrlich beeindruckend.
Mit seiner enormen Leinwandpräsenz und seiner entscheidenden Funktion sowohl im Subplot der Basterds als auch in Shosannas Schicksal etabliert sich Hans Landa als der große Bösewicht in Inglourious Basterds und wohl als die bislang am ehesten als ein echter Schurke zu bezeichnende Figur aus einer Tarantino-Regiearbeit.
Adolf Hitler dagegen kommt bloß eine geringe Aufmerksamkeit zu Teil, und während Christoph Waltz dem SS-Standartenführer Hans Landa eine runde Persönlichkeit verleiht (über deren Hintergründe wohl viele Zuschauer gerne noch mehr erfahren würden), reduziert Tarantino den Diktator zu einer laut schnaubenden, hitzköpfigen, das "R" rollenden Schießbudenfigur. Die verzerrte Darstellung Hitlers durch Martin Wuttke reicht schauspielerisch zweifelsfrei nicht an Bruno Ganz' komplexe Leistung in Der Untergang heran, aber die karikaturesque Zeichnung des herrschsüchtigen, abergläubischen und abscheulichen Demagogen, der wild gestikulierend im Majestätsumhang seine Untergebenen anschreit und im Kino dreckig lacht, wenn Feinde des Deutschen Reiches erschossen werden kommt durch die Augen eines Bertold Brechts betrachtet der geschichtlichen Wahrheit auf der relevanten Ebene wohl deutlich näher, als jede noch so psychologisch verzweigte, historisch bis auf's kleinste Detail abgestimmte Darstellung der jüngeren Zeit zusammengerechnet. Schließlich kann keine noch so tiefgreifende Erzählung der historischen Realität gerecht werden, während eine auf das Wesentliche beschränkte, die nach außen hin hervorstechenden Merkmale betonende Karikatur kann die Wirkung und den Ausdruck der Realität durchaus einfangen. Und exakt dies ist Tarantinos Absicht, wenn er die abscheuliche historische Figuren Hitler in seinen zwischen comichaftem Abenteuer und vielschichtiger Theaterinszenierung angesiedelten Weltkriegsmärchen Inglourious Basterds in Mitten erfundener Figuren einbettet. Hans Landa hat niemals existiert, weshalb keine Differenzen zur Realität zu befürchten sind. Hitler dagegen kann kein Guido Knopp und kein Bruno Ganz vollumfänglich einfangen - und exakt diese sklavische, aber aussichtslose Unterwerfung vor den geschichtlichen Fakten und alle unnützen, die Nazis unfreiwillig auf ein Podest stellenden, hypothetischen Spekulationen, wie Hitler privat wohl gewesen sein mag prangert Tarantino an. Wenn auch nur sekundär - denn primär ist Wuttkes mal rot, mal grün im Gesicht angelaufener Adolf Hitler einfach nur klug eingesetzter grobschlächtiger Humor.
Ein nur wenige Sekunden andauernder Augenblick mit der weniger überzeichneten Inglourious Basterds-Interpretation von Joseph Goebbels fasst die Darstellung der historischen Personen und Ereignisse in diesem Film furios zusammen: Als Shosanna (unter ihrer falschen Identität als nicht-jüdische, Pariser Kinobesitzerin) zu einem Gespräch mit Goebbels gefahren wird und man ihr dessen ansehnliche Dolmetscherin vorgestellt, schneidet der Film für einen kurzen Moment vom eigentlichen Handlungsort weg und zeigt Goebbels, wie ihr manisch lachend, mit schnellen Stößen seine gelangweilt dreinblickende Dolmetscherin von hinten knallt.
Inglourious Basterds ist gegenüber historisch akkuraten Fakten derb, übermütig, frech und juvenil. Aber durch den Gesamtkontext gewinnen solche nichts zur Handlung beitragende, ultrakurze Szenen wie der hechelnd von hinten bummsende Goebbels eine erfreuliche, weitreichende Wirkung. Mit einem notgeilen Hüftstoß poppt Inglourious Basterds die selbstauferlegten Bleigewichte von der NS-Thematik und rammelt sämtlichen missverständlichen Respekt vor den "Menschen hinter den historischen Monstern" hinweg. Tarantino lässt sein Publikum unbeschwert auflachen und mit einer gesunden Freiheit seine Augen in neuartiger Weise auf diesen Zeitabschnitt richten. Und so stellt der geistreiche Autor rechtzeitig die Weichen für die bereits vor der ersten Szene angekündigte, Italowestern-Märchen-Vision seines fiebertraumhaften, historisch vollkommen inakkruaten Untergang des Dritten Reiches im fünften Akt/Kapitel von Inglourious Basterds.
Das wohl einzige nennenswerte Problem, das ich mit Inglourious Basterds habe, ist dass der Film mich nach mehr hungernd zurücklässt. Trotz seiner stattlichen Länge von 153 Minuten konnte mich Inglourious Basterds nicht sättigen, viel mehr regte er meinen Appettit an und lässt mich nach weiteren Stunden mit seinen Charakteren verzehren.
Nicht, dass ich die einzelnen Szenen von Inglourious Basterds gerne verlängert sehen würde. Nach der Aufführung bei den Filmfestsspielen in Cannes fügte Tarantino ja nicht nur eine Szene mit Michael Fassbenders britischem Soldaten/Agenten wieder in den Film ein, er verpasste den fünf Kapiteln von Inglourious Basterds nochmal einen Feinschnitt, straffte Szenenübergänge und kürzte "tote Luft" hinaus. Betrachtet man sich den enormen Wandel der durchschnittlichen Bewertung von Inglourious Basterds bei den Filmkritikern (der Film stieg bei Rottentomatoes von 55% direkt nach Cannes auf derzeit 86%), dann scheinen die Kapitel in der jetzigen Kinofassung genau die richtige Länge zu haben. Überhaupt hat Inglourious Basterds für die Geschichte, die er erzählen möchte exakt den richtigen Umfang. Die Pläne / Zufälle die zum spektakulären Untergang des Naziregimes führen werden ausführlich genug vorbereitet, und das zusätzliche, herrlich zu beobachtende und Erzählkonventionen ignorierende Geplänkel nimmt nicht so viel Raum ein, dass er die Wirkung von Tarantinos Traum eines besseren Verlaufs des Zweiten Weltkrieges abschwächt.
Aber trotzdem verführt uns Tarantino mit diesem bis ins kleinste Detail ausgetüftelte Paralleluniversum, das mit Charakteren bevölkert ist, denen man ihre weitreichende Hintergrundgeschichte, all die unerzählten Überlegungen ihres Schöpfers anmerkt. Selbst Figuren, die kaum etwas zu sagen haben, wie zum Beispiel Eli Roths Sgt. Donowitz, strahlen die Aura eines komplex durchdachten Charakters aus. Tarantinos Detailliebe und seine sämtliche Darsteller zu Höchstleistungen anspornende Regieführung (Roth und Til Schweiger haben sicherlich keine Oscar würdigen Rollen, aber sie rocken diese Randfiguren mit einer so intensiven, zwischen Selbstironie und strikt geradeaus funktionierender Coolness wankender Ausstrahlung, dass man von ihnen einfach nicht genug kriegen kann) machen aus Nebencharakteren, die in jedem anderen Film flach wären, mit Leidenschaft verkörperte, Neugier beim Publikum weckende Persönlichkeiten. Vor allem zu Roth passt seine Rolle ideal, und durch die Besetzung des Hostel-Regisseurs in der Rolle des gewalttätigsten Basterds (sowie als Gastregisseur beim Film-im-Film, dem Nazipropagandastreifen Stolz der Nation) wird dem Casting eine weitere Bedeutungsdimension und ein Spritzer Ironie hinzugefügt.
Man wünscht sich glatt, Eli Roths "Bärenjude" Sgt. Donowitz, Til Schweigers wortkarger, psychopatisch starrender Hugo Stiglitz, ihr Kommandant Lt. Aldo "Apache" Raine und Co. wären auf der Lost-Insel gestrandet, so dass wir jahrelang mit zahllosen Einblicken in ihre Vergangenheit und noch mehr in der Gegenwart spielende Interaktion mit ihren Zeitgenossen beschert werden.
Tatsächlich hatte Inglourious Basterds in seiner rund eine Dekade umspannenden Skriptphase kurzzeitig (neben dem von Kill Bill bekannten Plan, einen Film mit extremer Überlänge in zwei Filme mit Überlänge zu teilen) die Inkarnation einer zwölfteiligen Fernseh-Miniserie angenommen, in der uns zahlreiche Hintergrundgeschichten und weitere semi-selbstständige Sequenzen untergekommen wären. Ich bin unsicher, ob ich Tarantinos Traum vom Untergang des Dritten Reiches auf eine solche Länge gestreckt noch ähnlich kraftvoll sehen würde, doch ich bin mir sicher, dass ich mit den Figuren aus Inglourious Basterds liebend gerne zwölf Stunden verbringen würde. Ja, für die endgültig gewählte Form der Geschichte ist das Kinoformat ideal, die auf rund zweieinhalb Stunden komprimierte Mischung aus Programm- und Bahnhofskino, modernem und altmodischem Film mit Weltkriegsthematik entwickelt ihre eigene Dynamik, die in zwölf einstündigen TV-Episoden sicherlich anders ausgefallen wäre.
Und dennoch: Ich möchte zusätzlich zum fertigen Inglourious Basterds-Film den gedrehten, aber dann wieder geschnittenen Rückblick sehen, in dem Donowitz durch Boston zieht und sich mit alten, jüdischen Damen unterhält und sie bittet ihre Wünsche und Gedanken auf seinem Baseball-Schläger zu hinterlassen. Ich möchte sehen, wie Aldo Raine seine Narbe am Hals erhielt, ich wüsste unheimlich gerne, wie angepisst Hugo Stiglitz erst beim Pokern sein muss, wenn er schon beim Promi-Raten solch ein Gesicht zieht. Wer wüsste nicht gerne, ob Hans Landa am Ende des Films seinen Spitznamen "Der Judenjäger" wirklich verabscheut (und wenn ja, woher dieser Sinneswandel kommt), oder ob diese Behauptung nur ein strategischer Schachzug war.
Wie kam Shosanna an ihr Kino, was geschah in den drei Jahren, die die Erzählung ausließ (angeblich plante Tarantino einst ein Stummfilmkapitel, dass diese Frage aufgriff)?
Und der von einem bis zur Unerkenntlichkeit geschminkten Mike Myers verkörperte britische General ist sicherlich ebenfalls für einige tarantinoesque, unterhaltsame und in in sich selbst mit Spannung behaftete Kleinigkeiten gut. Tarantino schafft es aus dem altbekannten "Welcher Name steht auf meiner Stirn?"-Spiel eine der spannendsten Sequenzen des Kinojahres zu machen - da wird ihm sicherlich auch eine Möglichkeit einfallen, Myers' Charakter beim Tee einkaufen zu zeigen, die den Zuschauer an den Rand seines Kino- oder Fernsehsessels zerrt.
Ich bin wahrlich kein Freund von Prequels. In nahezu sämtlichen Fällen entbehren sie sich einer grundlegenden Spannung und die meisten Prequels loten Geschichten aus, von denen wir im Original bereits genug erfuhren. Sie entmystifizieren und sind fast ausnahmelos öde. Aber bei den Basterds spüre ich, dass weitere Geschichten mit ihnen (ob vor, während oder nach der Handlungszeit des Films) sie nur noch faszinierender dastehen ließen. Am besten wäre eine sämtliche konventionellen Erzählstrukturen über Bord werfende Seire im Lost-Stil, die liebend gerne jeglichen dramaturgischen Bogen für mehr zeit mit ihren Charakteren opfert und durch seine Andersartigkeit besticht.
Von allen Tarantino-Filmen ist Inglourious Basterds das Werk, das am ehesten nach einer Weiterführung schreit. Hoffen wir, dass es auch das erste wird, bei dem es damit funktioniert. Roth und Pitt bettelten ihn ja ebenfalls bereits um ein Prequel an...
Und es ist wirklich kein Wunder, dass die beiden nach einem Prequel gieren, schließlich vergab Tarantino an sie die zwei spaßigsten Rollen, die Parts, bei denen der Zuschauer wenn alles richtig gemacht wird die massive Spielfreude durch die Leinwand strömen sehen kann. Würde man durch Schweigers versteinerte Miene oder Waltz' aufgesetztes Lächeln ein ehrliches Grinsen sehen, wäre ihr Spiel verschenkt, bei Roth und vor allem Pitt hingegen ist das Durchschimmern des Darstellers fast schon Grundvoraussetzung für eine gelungene Umsetzung dieser Figuren.
Sicherlich ist Lt. Aldo Raine alles andere als Pitts anspruchsvollster Filmcharakter, mitunter wirkt er gar wie eine reine Spaßnummer, vergleichbar mit seiner strunzdummen Figur in Burn After Reading (es wäre tatsächlich denkbar, dass beide Charaktere entfernte Verwandte sind - und Raines Stammbaum im Laufe der Verzweigungen ordentlich an Cleverness verlor). Jedoch ist genau dies der Punkt hinter dem aus Tennessee stammenden Lieutnant. Pitt gibt der übertriebenen Soldatenfigur, die in der Realität niemals drei Jahre lang verdeckt hinter feindlichen Linien überleben könnte, eine pulphafte Ausstrahlung, er lässt ihn wie eine ungeschliffene Erfindung eines Groschenromanautoren erscheinen, schafft es währenddessen allerdings durch kleine Gesten genügend Bodenhaftung zu bewahren, um nicht zu einer Karikatur zu verkommen. Eine Aufgabe, die Pitt sichtbar Freude bereitete.
Absolutes Highlight ist die Szene, in der Aldo Raine, Donowitz und Pfc. Omar Ulmer (gespielt von Omar Doom aus Death Proof) schlecht getarnt als italienische Filmcrew die Weltpremiere von Stolz der Nation besuchen und Pitts Charakter sich mit seinem (zuvor noch vollkommen selbstbewusst in den Himmel gelobten) grauenhaften Italienisch und perplexem Blick zur absoluten Lachnummer macht. Pitt bewies schon früher gelegentlich komödiantisches Talent (an dieser Stelle sei erneut Burn After Reading genannt), nichtsdestoweniger ist diese Szene Pitts humoristische Glanzstunde. Wer da noch immer jammert, dass Pitt in Inglourious Basterds schauspielerisch zu wenig leiste, hat Pitts Aufgabe missinterpretiert. Er muss Pointen treffen und dem Zuschauer den Spaß an seiner Figur vermitteln - und das gelingt ihm ohne jegliche Abstriche. Die größere schauspielerische Last liegt auf anderen.
Vor allem auf den deutschen Cast-Mitgliedern liegt eine enorme Last, sie müssen sich gegen Hollywood-Darstellern behaupten und tragen die Verantwortung Deutschland in der ganzen Welt zu repräsentieren. Sie tragen zu weiten Teilen in ihrer Muttersprache einen international heiß ersehnten Kinofilm von einem Kultregisseur.
Und sie bestehen die Feuerprobe, sie agieren statt von dieser Last erdrückt so, als habe man ihnen eine tonnenschwere Last von den Schultern genommen. Endlich dürfen sie aufspielen und auftrumpfen, sie sind befreit von den engen, bornierten deutschen Konventionen des Filmemachens, insbesondere von dem stocksteifen Umgang mit der Weltkriegsthematik. Tarantino übte einen Befreiungsschlag für deutsche Schauspieler aus. Statt in sämtlichen deutschsprachigen Rollen Hollywoodstars zu casten (bis auf eine besonders durchtriebene, flache Rolle), werden alle deutschsprachigen Charaktere von Deutschen und Österreichern gespielt. Zwei der Basterds sind deutschsprachig, neben Til Schweiger darf der Deutsch-Österreicher Gedeon Burkhard als Wilhelm Wicki in kernigem Tonfall den Dolmetscher zwischen Aldo Raine und einem deutschen Soldaten spielen und später auch in der großartigen Tavernenszene agieren.
Vor allem diese sollte in Zukunft als ein Aushängeschild für deutsche Schauspieler dienlich sein. Die wohl längste und auch eine der besten Szenen des ganzen Films findet nahezu komplett auf Deutsch statt: Die Basterds schicken ihre zwei deutschsprachigen Mitglieder und dem glatten, leicht snobistischen, aber Bond-esque charmantem britischen Lieutenant Archie Hicox (sehr gut gespielt vom deutschstämmigen Michael Fassbender aus 300) in eine Taverne, um sich dort mit der Doppelagentin Bridget von Donnersmarck (Diane Kruger) zu treffen und ihren Schlachtplan auszutüfteln. Allerdings befinden sich unterwarteterweise zahlreiche deutsche Soldaten in der Taverne: Einer von ihnen wurde vor kurzem ater, weshalb die Truppe zum Feiern frei bekam. Froh gelaunt und fern von allen Hollywoodklischees über Deutsche zu jener Zeit spielen sie "Promiraten" - und wie wir es von Tarantino gewohnt sind macht er aus dieser Nichtigkeit eine spannungsgeladene, mit großartigem Dialog und knisternder, coller Atmosphäre geladene Sequenz, die plötzlich eine Wendung nimmt, wenn August Diehl (23 - Nichts ist so wie es scheint) als Sturmbannführer Dieter Hellstrom das seltsame Verhalten der Basterds und der rätselhafte Akzent von Hicox auffallen. Sämtliche Nebendarsteller in dieser Szene liefern gute Arbeit ab, besonders der junge Vater schafft es (obwohl der den Protagonisten schwere Probleme bereitet) Mitgefühl zu erwecken, aber wer der Szene den richtigen Pfeffer gibt ist der in dieser Szene an einen jungen Christopher Walken erinnernde August Diehl, der mit harter Stimme und aufgesetzter Freundlichkeit die Basterds in die Ecke treibt.
Neben Diehls herausragendem Spiel überrascht vor allem Deutschlands blonder Hollywoodexport Diane Kruger, die im Vergleich mit Troja und den Vermächtnis-Filmen kaum noch wieder zu erkennen ist. Sie hat eine viel natürlichere Ausstrahlung, ein flüssiges Spiel und ihre deutsche Aussprache ist in Inglourious Basterds eine himmelweite Verbesserung gegenüber ihren stöckernden Selbstsynchronisationsversuchen. Kruger wuchs über sich selbst hinaus und gibt als leicht überforderte, aber bis im letzten Moment die Situation mit allen Bemühungen retten wollende Doppelagentin eine sehr gute Figur ab, auch wenn sie im Vergleich zur geballten Leistung einiger ihrer Kollegen doch recht schnell wieder vergessen wird.
Während Krugers Aufgabe im Film kleiner als erwartet ausfällt, überrascht der auf Filmpostern nicht sonderlich berücksichtigte und in internationalen Trailern nur am Rande erwähnte Daniel Brühl mit einer verhältnismäßig zentralen Rolle (was bei Tarantinos Erzählweise in Inglourious Basterds selbstverständlich schwer einzuschätzen ist, schließlich sprengt sie sämtliche Definitionen von zentralen Figuren, Protagonisten und Helden).
Brühls Frederick Zoller verguckt sich zu Beginn des Films in Shosanna. Der junge deutsche Soldat sieht in der leidenschaftlich arbeitenden Französin eine Gleichgesinnte und spricht eines Abends, während sie die Programmanzeige am Eingang des Kinos aktualisiert über die Magie des Kinos. Aber Shosanna zeigt ihm die kalte Schulter, bleibt kurz angebunden. Als Zoller sie in einem Café widertrifft, spricht er sie erneut an. Sie möchte weiterhin nichts von ihm wissen, zeigt keinerlei Interesse an ihm. Dennoch leiht sie ihm wenigstens ein Ohr, lässt ihn sich mit ihr unterhalten. Er, als connaisseur du cinéma kann kein so schlechter Mensch sein, Zollers Leidenschaft für das Kino allein lässt den Zuschauer Geduld für ihn aufbringen, sie hält das Interesse des Puppenspielers Tarantino an dieser Figur aufrecht. Als durch einen Zufall Zollers Status als Nationalheld offenbart wird (er schlug ganz allein von einem Kirchturm aus eine feindliche Armada von 300 Mann in die Flucht), wendet sich Shosanna schließlich endgültig, voll und ganz von ihm ab.
Zoller stellt in meinen Augen die ambivalenteste, vieldeutigste Figur in Inglourious Basterds dar. Brühl kommt die herausfordernde Aufgabe zu, einen abstoßenden, charismatischendeutschen Nationalhelden zu spielen, einen schleimigen Welpen mit Knopfaugen in Naziuniform von dem wir nicht wissen sollen, wie wir ihn einschätzen können. Er muss unverständlich bleiben, ohne den Zuschauer zu frustrieren. Bereits in seinen ersten Szenen legt er ein arrogantes Auftreten zu Tage, unterhält sich allerdings sehr zuvorkommend mit Shosanna und lässt seine militärischen Leistungen bescheiden unter den Tisch fallen.
Über das Handeln von Brühls Charakter, sobald er die Premiere des Propagandastreifens Stolz der Nation (in dem er selbst seine "Heldentaten" nachstellt) letztlich werden Kinogänger stundenlange Diskussionen führen können. Sein Unwohlsein, während er das triefende Nazi-Heldenepos sieht, wie er zusammenzuckt, wenn sein Leinwand-Ich mit markigen Sprüchen die Alliierten beschimpft, um sie daraufhin abzuknallen oder wenn der Film-Zoller vieldeutig inszeniert ein makelloses Hakenkreuz in die Holzdielen des Kirchenturms schnitzt, das alles spricht dafür, dass sich Frederick Zoller einer Katharsis nahe befindet. Der Zuschauer beginnt sich zu Fragen, ob er möglicherweise einfach nur ein lieber Junge ist, der stets zur falschen Zeit am falschen Ort war. Als Zoller daraufhin jedoch Shosanna im Vorführraum des Kinos überrascht, wo sie so eben den letzten Rollenwechsel tätigte und ihrem Geliebten somit das Zeichen gab sich darauf vorzubereiten die hoch entflammbaren Nitritfilme anzuzünden, wandelt sich Zoller erneut. Von Shosannas Abweisung erzürnt bedrängt er sie, erbost sich, dass er kein Mann sei, zu dem man "Nein" sage. Ist Zoller nun ein guter Junge, der aufgrund seiner Herkunft auf der falschen Seite gelandet ist, oder ist er ein unsympatisches Kerlchen mit schlechtem Temperament?
Zollers letzte Minuten werfen zahlreiche Fragen auf, und Tarantino genießt es durch seine Inszenierung die Interpretation zur Aufgabe des einzelnen Zuschauers zu machen. Wenn Shosanna Zoller erschießt und daraufhin mit großen Augen in den Kinosaal blickt, wo der Leinwand-Zoller sich gerade mit müdem Blick von seinen Anstrengungen erholt, empfindet sie gerade Reue gerade ihn erschießen zu müssen? Als Shosanna ihn nochmal umdrehen möchte, will sie überprüfen, ob es ihr gelang ihn zu töten, oder ob er vielleicht doch noch lebt? Wenn Regisseur Tarantino Morricones sanften Klänge Un Amico (aus Die perfekte Erpressung) erklingen lässt, kurz bevor Shosanna von dem im Sterben befindlichen Zoller angeschossen wird, gibt uns Tarantino den akustischen Hinweis, dass beide ihr Handeln Bedauern und aus ihnen womöglich doch etwas geworden wäre, stünden einfach nur die Zeichen anders, oder führt uns Tarantino mit dieser Musik absichtlich in die Irre, nutzt sie mit ironischem Gespür? Und unabhängig davon, ob Zoller eine Katharsis erlebte oder nicht, so darf der Zuschauer moralisch abwägen, ob er ihm einen Sinneswandel gegönnt hätte.
Das die knifflige Herausforderung bestehende, gute Spiel von Daniel Brühl profitiert von der in Inglourious Basterds berückenden Actrice Mélanie Laurent, die vortreffliche Arbeit leistet und sich direkt hinter Christoph Waltz als die zweitbeste im beachtenswerten Ensemble behaupten darf. Laurents anmutiges und emotionales Schauspiel hebt alle Szenen mit ihr auf ein noch höheres Niveau. Tarantino hatte schon immer ein Händchen für starke Frauencharaktere (Titelheldin Jackie Brown in Jackie Brown, die Braut und O-Ren Ishii in Kill Bill, die zweite Gruppe Frauen - allen voran Zoe - in Death Proof und mit Abstrichen auch Mia in Pulp Fiction), aber nie zuvor verlieh er ihnen gleichzeitig eine so authentische Verletzlichkeit wie Shosanna. Aus dieser Vorlage schröpft die bezaubernde Laurent mit subtiler, unaufgesetzer Mimik das Bestmögliche und lässt den geneigten Zuschauer wie gebannt mit seinen Augen an der Leinwand kleben.
Die Leinwandpräsenz der graziösen Laurent ist so gewaltig, dass sie, wie während ihrer zweiten Begegnung mit Zoller, nur ein Glas wein trinkend, rauchend und mit blasiertem Blick auf der Bank eines pittoresk-rustikalen französischen Cafés sitzen braucht, um den Glanz der Grand Dames des früheren europäischen Kinos und die leidenschaftliche, unvorhersagbare Eleganz der Nouvelle Vogue wieder auferblühen zu lassen.
Glücklicherweise filmte Tarantino Laurent im dritten Kapitel von Inglourious Basterds in Farbe, statt die Parallele zu all den unvergesslichen, ebenfalls nur mit einem Augenaufschlag betörenden großen Darstellerinnen der 30er bis 40er Jahre zu vergrößern, indem er Shosanna in schwarz-weißen Bildern im Café einfängt. So lassen sich nämlich ihre hinreißend grünen Augen erkennen, die im späteren Verlauf während einer unvergleichlich zusammengestellten Szene sogar aus dem Off gesanglich kommentiert werden.
Shosanna ist auch der einzige Charakter, der sich in einem ernsten Moment die Szene nicht von Waltz' Hans Landa stehlen lässt (der brüllend komischen Ausschnitt mit den Basterds in dilettantischer Italo-Maskerade bleibt dabei natürlich vorweg). Zum einen ist dies natürlich eine bewusste Entscheidung des Regisseurs und Autors Tarantino, der Shosannas unfreiwilligen Restaurantbesuch mit Goebbels, Zoller und letzten Endes Landa komplett aus ihrer Sicht erzählt (daher auch der vorher erwähnte Goebbels involvierende, kurze Zwischenschnitt/Geistesblitz), in der Umsetzung wäre ein Aufrecht erhalten von Shosannas Prägnanz in dieser Szene allerdings undenkbar, bewiese Laurent in ihr nicht eine dermaßen außerordentliche Aussagekraft. Schließlich muss sie in dieser hochspannenden, informations- und dialoglastigen Sequenz mit ständig in Bewegung bleibender Figurenkonstellation nahezu komplett wortlos ihre inneren Emotionen und Gedanken ausdrücken, sie zurückhalten um Shosannas Tarnung aufrecht zu erhalten und ohne in übertriebenes Agieren zu verfallen gegen das Untergehen neben Waltz (bzw. seinem Charakter) ankämpfen.
Sobald Landa die Szenerie betritt, baut sich eine ungeheure Antizipation beim Publikum auf, die Tarantino genüsslich bis ins nahezu Unerträgliche weiterschürt, indem er Landa in einem Rückgriff auf seine erste Szene erneut ein Glas Milch trinken lässt. In dieser Sekunde schreckt man als Zuschauer innerlich bereits auf, sieht Shosanna bereits enttarnt und der Exekution nahe. Landa unterhält sich weiter mit seinem widerlichen, aufgesetztem Grinsen mit Shosanna, schwafelt ohne Unterlass über alles, was ihm so einfällt, lässt hie und da eine kritische Nachfrage über ihre vermeintliche Vergangenheit fallen (etwa wie eine so junge Frau an ein Kino gelange) und schwärmt ihr letztlich von dem vorzüglichen Strudel des Restaurants vor. Er bestellt für sich und Shosanna je einen dieser himmlischen Spezialitäten, und bestellt schließlich eine Portion Schlagsahne nach, die das Gericht erst vervollkommnen würde.
Wessen Puls nicht schon bei Landas Wunsch nach einem Glas Milch in die Höhe schoss, wird späteestens bei seinem undurchschaubarem Enthusiasmus für das süße Milchprodukt der mitleidige Angstschweiß von der Stirn fließen. Landa ist erneut großartig in dieser Szene, doch sie wäre nur halb so wirkungsvoll, säße da nicht eine fast zur Salzsäule erstarrte Mélanie Laurent, die sich mit sämtlichem Rest innerer Stärke bemüht ein freundliches Gesicht zu machen und vorgibt sich über Landas Einladung zum Essen zu freuen. Wie sie Landa und ihre mögliche Henkersmahlzeit anstarrt und um Fassung ringt, wenn er mit beängstigendem Genuss seinen Strudel geradezu massakriert ist schlichtweg superbes Schauspiel.
Als der kulinarisch befriedigte Landa letztlich das Restaurant verlässt (nicht ohne zuvor nochmal anzumerken, dass er seinem Gegenüber ursprünglich noch eine Frage stellen wollte, diese ihm aber entfleucht sei), brechen die Gefühle aus der weiterhin um Contenance bemühte Shosanna aus. Landas Abtritt ist ein Befreiungsschlag für Publikum und Shosanna gleichermaßen, endlich können wir aufatmen, nachdem uns minutenlang der Atem stockte.
Wer trotz genügend Gegenbeweise bislang noch immer ungestört davon ausging, dass Tarantino nur dazu fähig sei, aufgesetzt coole, popkulturell beeinflusste Dialoge und intensive Gewaltspitzen zu verfassen sollte spätestens während dieses als Dialog aufgebauten Monologs eines besseren belehrt werden. Die in aller Bälde mit hoher Sicherheit legendäre Strudel-Szene ist ein Musterbeispiel an subtiler Dramaturgie, sie vollführt exzellent, wie auf hintergründiger Ebene Charaktere geformt und Spannung geschürt wird. Mit schwachen Darstellern und visuell weniger visierter Regie- und Kameraführung, bei einem ineffektivem Schnitt (in kurzen Zwischenaufnahmen zeigt Tarantino die von Landa angehimmelte Süßspeise und vollbringt es dadurch, das Publikum für eine Sekunde ebenso vom eigentlichen Gesichtspunkt des Gesprächs abzulenken, wie es den handelnden Charakteren ergeht, wenn Strudel und Sahne vorbeigebracht werden) verflöge die Wirkung dieser Szene ebenso, wie wenn der Dialog nicht mit so starker Feder und wirkungsreicher Wortwahl verfasst worden wäre.
Eine weitere, sich um Shosanna drehende, großartige Szene in dem vor großartigen Szenen nur so wimmelndem Inglourious Basterds ist die Montage, die Shosannas Vorbereitungen für die große Kinopremiere (und für die Ausführung ihres Racheplans) zeigt. Je länger ich über diese Montage nachdenke, desto mehr entwickelt sie sich zu meinem favorisierten Moment in Inglourious Basterds. In ihr beweist der für seine Dialoge berühmte und gefeierte Quentin Tarantino eine ungeahnt tiefsinnige Bildsprache und ein wahres Talent für ausgeklügelte Bild/Ton-Choreographie. Selbstverständlich überzeugten bereits zuvor auch dialogarme und-lose Szenen in Tarantinos Werkesammlung, wie etwa die Verfolgungsjagd in der zweiten Hälfte von Death Proof oder der Kampf gegen die Crazy 88, aber diese Momente sind Nichts, verglichen mit der mutigen und stellenweise lyrischen Bildsprache dieser Montage. Während sich Shosanna für die Premiere des Films schminkt erklingt David Bowies Cat People (Putting Out The Fire), in kurzen rückblickenden Vignetten sehen wir, wie sie und ihr Geliebter Marcel einen Film extra für die Nazis drehen und entwickeln lassen. Shosanna fügt die Todesbotschaft in Stolz der Nation ein, bereitet liebevoll den Projektionsraum vor, und parallel dazu zeigt Tarantino, wie sich die hübsche Kinobesitzer für den Galaabend schick macht. Sie kleidet sich nach außen hin für den größten Abend ihres Kinos ein, bereitet sich auf ein gesellschaftliches Ereignis vor, in Wahrheit dagegen zieht sie sich für ihre Feinde an. Das galante rote Kleid strahlt die Liebe zu ihrem Kino aus, fügt sich aber auch den im Foyer ausgehängten Hakenkreuzflaggen unter, bedeutet also Anpassung, aber zugleich Hass und das in ihr lodernde Feuer, das sie später wortwörtlich auf das Kino übertragen wird.
Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man glatt vermuten, Bowies Popnummer wäre dem 1982 veröffentlichten Fantasy-Drama-Horror Katzenmenschen entliehen, sondern wäre passgenau diesem Moment auf den Leib geschrieben worden, so perfekt gelang Tarantino diese anachronistische Symbiose. Das Lied passt perfekt zur Figur von Shosanna und beschreibt ihren Plan in einer treffenden Metapher, ebenso wie die Auswirkungen von Tarantinos Werk. Hier wird ein Feuer, ein Übel, gelöscht, indem Benzin hineingeschüttet wird. Es ist ein Kampf Feuer gegen Feuer, mit einer fulminanten Explosion tötet Shosanna die Nazischergen und Inglourious Basterds das elendige Weltkriegsgenre, von dem hiernach nur noch ein Haufen Schutt und Asche übrig bleibt.
Tarantinos unorthodoxen Metaphern greifen sogar weiter, enden nicht in dieser Montage. Spiegelt sich Shosanna, die Bezwingerin des Dritten reiches, vor der Premiere noch in einem bedrückend runterhängendem Hakenkreuz, begrüßt sie später in übermenschlicher Größe ldie dem Tode gewihte Nazibrut. Die Nitritfilme wurden angezündet, sämtliche Ausgänge verriegelt. Der Vorführsaal mutiert für den Naziabschaum zum höllischen Backofen, während von der Leinwand aus der jüdische Racheengel Shosanna ihre Abschiedbotschaft spricht. Als schließlich die Leinwand verbrannte und eine massive Rauchwolke den Saal hinaufsteigt, wird ihr dämonisch lachendes Gesicht verzerrt auf die Wolke projiziert. Das ist Tarantinos ultimative Rachefantasie. Nicht etwa, wie Sgt. Donowitz mit von der brütenden Hitze ausgelösten, dicken Schweißperlen Dutzende Maschinengewehrsalven auf den bereits leblosen Adolf Hitler feuert und zu einem Klumpen blutigem Muß verarbeitet. Es ist die bedrohliche Rauchwolke der Rache mit dem Gesicht einer verführerisch schönen Jüdin, die sich aufbäumt und mit berechtigt finsterem Lachen die komplette Naziführung in den verdienten, absolut unpathetischen Tod verbannt.
Ein Bild, das tausend Bände spricht und in seiner fast schon schaurigen Gewagtheit Tarantinos Inglourious Basterds als das zusammenfasst, was es ist. Die Rauchwolke mit Shosannas lachendem Gesicht ist ein so forsches Bild, dass es eigentlich nur aus einem Schundfilm stammen könnte, von einem Regisseur, der eh nichts zu verlieren hätte. Es ist eine Bildfantasie, die man im höhergestellten Kino eigentlich niemals erlauben würde, dabei ist es so aussagekräftig und mutig, wie die kulturelle Kinoelite gerne sein möchte. Das gehobene Kino würde sich ein solch waaghalsiges, düsteres expressives Bild bei dieser Thematik nie erlauben. Zum Thema Weltkrieg und Holocaust waren die Schundfilme schon immer einfallsreicher - jedoch platt in der Ausführung, selbstgefällig und ohne wahre Aussage. Inglourious Basterds macht es dagegen richtig, schließlich ist der Film selbstdas, wovon der Film spricht: Ein ruhmloser, unehelicher Mistkerl, das Unfallergebnis einer wilden Liason zwischen dem hochgestellten und dem niedersten Kino. Also genau das, was wir alle brauchten.
Inglourious Basterds ist zusätzlich zu alledem auch Tarantinos bislang bestaussehendste Regiearbeit. Dank der bedachtvollen, den Geist von Tarantinos Vorbilder einfangender Cinematografie von Robert Richardson (JFK, Der Pferdeflüsterer, Kill Bill) wirkt dieser filmische Fiebertraum wie ein in den 60er Jahren gefilmter Leone-Spaghettiwestern, der im Zweiten Weltkrieg spielt, nur mit etwas weniger betagter Farbfrische. Auf absichtliche Ent- oder Übersättigung des Bildes und Spielereien mit der Körnigkeit des Bildmaterials wie bei Kill Bill und Death Proof verzichtete Tarantino dieses Mal, der Reiz der optisch fehlbaren Fiktion äußert sich in Inglourious Basterds dafür auf einer subtileren Ebene.
Die für authentische Rekreationen der Vierzigerjahre bekannte, zweifach für den Oscar nominierte Kostümdesignerin Anna B. Sheppard (Der Pianist, Schindlers Liste sowie die TV-Reihe Band of Brothers) vervollständigte Tarantinos Vision der anders verlaufenen 40er, indem sie sich nicht weiter von der Authentizität Bürden hat auferlegen lassen und die Naziuniformen im Detail veränderte und für Frederick Zoller eine frei erfundene Uniform wählte. Produktionsdesigner David Wasco und Setdesignerin Sandy Reynolds-Wasco, Stammmitglieder von Tarantinos Filmmannschaft, ließen sich für ihre Vision des von Nazis besetzten Paris' von den vor kurzem veröffentlichten Propagandafotos Andre Zuccas inspirieren, der im Auftrage des Naziregimes Farbfotografien eines glamourösen Paris mit von öffentlichen Gebäuden herunterhängenden, überdimensionalen Hakenkreuzbannern schoss. Propagandistische Geschichtsverfälschung beeinflusst so letzten Endes die träumerische Geschichtsverfälschung eines innovativen Meisterregisseurs. Der Hintergrund der Tarantino und den Wascos vorliegenden Fotografien ist zweifelsohne ein falscher, aber diese Fotografien bilden die ideale Kulisse für Tarantinos Symbiose aus Eleganz und Schrecken.
Gut möglich, dass es für das detaillierte und einfallsreiche semi-authentische Szenenbild sowie das vielseitige Kostümdesign Oscar-Nominierungen geben könnte, sollte die Academy dieses Jahr aufgeschlossen genug sein. Und die selbstbewusste, novellistische Struktur von Inglourious Basterds könnte Tarantino zusammen mit den meisterhaften Dialogen seine zweite Drehbuch-Nominierung bei den Oscars einbringen.
Tarantino schuf mit Inglourious Basterds ein leichtfüßiges, komplexes Drehbuch, das nahezu sämtliche dramaturgischen Kinokonventionen ad absurdum führt und sich bei Erzähltraditionen aus Romanen und dem Theater bedient, nur um dann wieder sein komplett eigenes Ding durchzuziehen, ohne dabei den Anschein von Aufgesetztheit zu erwecken.
Sieht sich der Film in seiner Gesamtheit noch ähnlich, wie ein modernes, non-triviales Werk der Epik, fühlen sich die fünf einzelnen als Kapitel titulierten Sequenzen wie Ein-Akt-Theaterstücke an, selbst wenn sie sehr filmisch umgesetzt wurden.
Tarantinos virtuoses Spiel mit den Konventionen und Tabus der Erzählkunst kann vom gewöhnlichen Kinogänger ohne größere Umgewöhnungsschwierigkeiten in vollen Zügen genpssen werden, während der geneigtere Filmkenner oder auch Literat nicht umhinkommt, aufgrund dieser Glanzleistung ins Staunen zu geraten. Insbesondere wenn man bedenkt, dass Tarantino parallel zum unkonventionellem Spiel mit der Struktur und Form seines Films meisterhaft vier Sprachen jongliert, zwei eigentlich vollkommen inkompatible Handlungsstränge zu einer undurchdringlichen Einheit formt und wie ein kunstfertiger DJ aus zahllosen Genreversatzstücken etwas erfrischendes, neues zaubert.
Je länger man sich mit Inglourious Basterds beschäftigt, umso unwiderstehlicher und besser findet man diesen Film.
Der abschließende Satz von Inglourious Basterds kommt zuletzt einem transzendentalem Ereignis gleich. Schimmerte zuvor den gesamten Film über stets der Schauspieler Brad Pitt durch die Rolle durch, der während des Drehs einen beinahe unverschämten Heidenspaß verlebt, wird die Figur urplötzlich zu Quentin Tarantinos persönlichem Sprachrohr.
"I think this just might be my masterpiece" sagt er mit selbstzufriedenem Grinsen und strahlenden Augen in die zu ihm aufblickende Kamera. In ihrer Impertinenz und Arroganz ist diese Schlussformel schwerlich zu übertreffen. Doch der Zuschauer lächelt dem durch Pitts Charakter sprechenden Tarantino zurück. Zu cool, diese selbstbewusste Haltung, zu passend der Gesamtkontext, als dass man ihm diese Selbsteinschätzung übel nehmen könnte. Nach ihr entlässt einen der erheiternde Morricone-Marsch Rabbia E Tarantella (aus Allonsanfan) in den Abspann, man fühlt sich von den historischen Altlasten und selbstgerechten Hollywood-Dramen befreit, verlebte so eben rund zweieinhalb höchst vergnügliche und anregende Stunden und ist einfach hochzufrieden.
Da mag ich Quentin Tarantino beipflichten: Ja, ich denke es ist dein Meisterwerk!
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4 Kommentare:
Hhmm, so, die Hälfte habe ich schon gelesen, aber jetzt muss ich mal eine Pause machen und später werde ich dann weiter lesen.^^
Komme gerade aus dem Kino. Kein Schlechter Film. Auch wenn Tarantino nicht wirklich mein fall ist. Natürlich wieder kaum handlung und (vielleicht bin ich auch einfach nicht empfänglich dafür) keinerlei Bedeutung oder Aussage. Aber so is hald Tarantino.
Schauspielerisch war der Film auf höchstem Nievau. Wirklich viele gute Schauspieler. Im Besonderen Christoph Waltz der hier wirklich eine Oscar-reife Leistung abgeliefert hat; aber auch Mélanie Laurent die als Shosanna Dreyfus auch sehr überzeugend war.
Goebbels und Hitler fand ich etwas übertrieben dargestellt. Interessant war allerdings wieder einmal ein bekanntes Filmset zu sehen. Die Halle in der die Engländer über die deutsche Filmindustrie sprechen und der dunkle, holzvertäfelte Raum davor sind in einer alten Kaserne in Berlin in der ich schon auf zwei Videodrehs dabei war. Hätte eigentlich nicht erwartet, dass der Film überhaupt hier in Europa gedreht wurde.
Alles in allem ein sehenswerter Film, auch wenn er auf mich diesen "alle soldaten waren Nazis" Eindruck macht.
Nicht mein Fall, einfach nicht mein Fall.
Ich kann eh Filme nicht ausstehen, die dadurch als besonders gelten, dass 62 Superstars mitmachen ôo
Aber dieser komische Mix aus Action, Geschichte und Humor...
Im Nachhinein habe ich gedacht "WIESO bist du nicht zuhause geblieben und hast Silent Hill geguckt, wieso?!"
Meine Schwester und mein Freund waren begeistert, vor allem die Sache mit den Fingern und der Party.
Naja, mein Fall ist es nicht.
Ach ja, kam es nur mir so vor oder hatte Pitt so eine "Ich bin ein Star und spiele in nem Terentino-Film mit, muss mich also nicht anstrengen"-Einstellung hatte ôo
Wo in dem Film sind denn bitte 62 Superstars? Pitt ist ja wohl der einzige Superstar im ganzen Film. Über Krüger lässt sich vlt. auch noch streiten. Aber sonst? Waltz kennt selbst in Deutschland nur jeder zigte, Laurent kennt außerhalb Frankreich kaum jemand, Diehl hat zwar Ansehen bei denjenigen, die ihn kennen, aber sonderlichen Starrummel um ihn gibt es auch nicht.
Und Schweiger und Brühl sind vlt. Stars (in Deutschland), aber keine Superstars, IMO.
Das ist also ein seltsames Kriteritum, den Film nicht zu mögen.
Dass du den Mix aus Action und Humor vor geschichtlichem Hintergrund dagegen nicht magst, kann ich eher nachvollziehen. Manche Leute mögen halt lieber reine Genrekost, und das kann man ihnen auch nicht verübeln. Manche mögen ja auch süß-sauer, ich dagegen hasse das. Dafür bin ich bei Filmen gegenüber obskuren Mixturen aufgeschlossen.
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