Montag, 17. Oktober 2011

Scream

In den vergangenen Jahren habe ich stets versucht, einen halbwegs Halloween-thematischen Post am 31. Oktober zu veröffentlichen. Irgendwie ist mir das aber rückblickend zu wenig, weshalb ich dieses Jahr die zweite Oktober-Hälfte mit mehreren Grusel-, Monster- und/oder Horror-Beiträgen schmücken möchte. Und das zentrale Motiv dieser inoffiziellen Themenwochen bietet sich mir praktisch von alleine an: Vor wenigen Monaten kam Scream 4 in die Kinos, den ich jedoch versäumte. Ich versprach, dafür eine Retrospektive zu machen. Und da der DVD-Start von Scream 4 so schön praktisch kurz vor Halloween liegt, werde ich die Tage bis dahin damit verbringen, mir nach längerer Zeit wieder die ersten Scream-Filme anzusehen! Und ihr dürft euch Stück für Stück die daraus resultierenden Filmkritiken ansehen. Zum Sterben schön, nicht wahr?


Im Städtchen Woodsboro werden eine Jugendliche und ihr Freund brutal ermordet. Unter den Bürgern herrscht Betroffenheit, sie haben Angst... und einige von ihnen machen sich über den Mord lustig. Gerade unter den sich profilierenden, pubertierenden Buben auf der High School gibt es so manches Exemplar, dass die Tat zum Anlass für morbide Witze und Horrorfilm-Marathonsitzungen nehmen. Die Schülerin Sidney (Neve Campbell... ja, wir kommen darauf noch zu sprechen...) kann über die Scherzchen gar nicht lachen, war ihre Mutter doch Opfer eines blutigen Verbrechens. Als sie kurz nach dem Tod ihrer Mitschülerin vom maskierten Killer attackiert wird, halten sie viele ihrer Altersgenossen für eine psychotische, aufmerksamkeitsgeile Spinnerin. Nur einige ihrer Freunde halten zu ihr. Doch während die Polizei im Dunkeln tappt, erreicht die Mordserie auch Sidneys Freundeskreis...

Die Geschichte von Scream ist es nicht, die den gleichzeitig als Genre-Wiederbelebung (das Scary Movie betitelte Original-Drehbuch enthielt einen Ausblick auf Teil 2 und 3) und Genre-Zerstückelung (es sollte der Paukenschlag sein, der das ideenlos gewordene Konzept Teen-Horrorfilme zum Einsturz bringt) gedachten Horror-Thriller zu einem Meilenstein der jüngeren Filmgeschichte machte. Eine Stadt, eine Reihe von Morden durch einen maskierten Killer, viele Teenager, fertig ist der Schrecken.

Was jedoch das Drehbuch des Horrorliebhabers Kevin Williamson zu etwas besonderem macht, und von Regisseur Wes Craven meisterlich in Szene gesetzt wurde, ist der seinerzeit unvergleichliche Spagat zwischen den beiden Gesichtern von Scream. Ich selbst bin ja ein kleiner Liebhaber von Filmen, denen es gelingt, die Tradition, in der sie stehen, sowohl zu parodieren, als auch zu glorifizieren. Die Coen-Brüder sind spitze darin (vor allem Fargo, No Country for Old Men als auch Burn After Reading scheinen eigentlich kaum einen anderen Zweck zu erfüllen), Crank und in noch größerer Intensität Crank 2: High Voltage verprügeln und liebkosen die Essenz des hirnlosen Actionfilms. Und Scream? Scream ist exakt zu gleichen Teilen Nerven aufreibender Horrorfilm, wie Lachmuskeln verkaternde Parodie. Tatsächlich verweigerte die US-Freigabebehörde MPAA Scream selbst nach mehreren Schnitten weiterhin ein R-Rating, woraufhin der ausführende Produzent Bob Weinstein den Verantwortlichen, sie verstünden den Film falsch. Es sei kein Horrorfilm, sondern eine Komödie - und Scream erhielt ohne weitere Eingriffe die begehrte Jugendfreigabe. Heutzutage würde die MPAA wohl kaum etwas an Scream zu beanstanden haben, ebenso wie die ungeschnittene Fassung in Deutschland ja mittlerweile auch vom Index genommen wurde. Im Fahrwasser dieses Films kamen halt sehr viel härtere Sachen raus, die die Sehgewohnheiten änderten.

Ich selbst habe ja die letzten paar Jahre mehrfach die Scary Movie-Reihe gesehen (ja, es ist eine Tradition, auf die ich nicht sonderlich stolz bin), während meine Erinnerung an Scream langsam erblasste. Ihn jetzt wieder zu sehen, war zwischenzeitlich ein äußerst bizarres Erlebnis, mehrmals war ich erstaunt, dass die gerade ablaufende Szene tatsächlich in Scream geschieht, und ich nicht plötzlich zum ersten Scary Movie gewechselt habe. Da wirft eine zarte, blonde Rose McGowan den Maskenmörder mit Bierflaschen, da brüllt jemand während eines Halloween-Videoabends den Fernseher an, die dumme Trulla im Film solle sich doch umdrehen (unterdessen schleicht der echte Killer am Geschehen vorbei), und, und, und...
Meine liebste Szene ist ein leicht übersehenes Detail in einer vor Meta-Humor berstenden Sequenz in der aufgrund der Nachfrage nach Horrorfilmen überlasteten Videothek: Der filmbesessene Videothekar streitet mit einem Bekannten über Sinn und Unsinn der Motivfrage bei Serienmorden. Seine lauthals und felsenfest überzeugt verkündete Ansicht: "Es gibt immer einen Grund, seine Freundin töten zu wollen!" Außerhalb des Fokus der Kamera starrt ihn daraufhin eine Statistin ungläubig an und verlässt kopfschüttelnd das Bild. Köstlich!

Ja, Scream spricht Klischees an, spielt mit ihnen, feiert sie, verballhornt sie. Scream ist ein Produkt der modernen, mediensüchtigeren Welt. Die Figuren in Scream agieren nicht so, als gäbe es in ihrer Welt keine Horrorfilme. Nein, sie haben sie angesprochen. Auf dem High School Gelände vergleichen schockierte sowie zynisch amüsierte Schüler die schrecklichen Morde mit ihren Lieblings-Horrorfilmen. Das ist auf einer Meta-Ebene sehr witzig - wenn man dieses Stilmittel (so wie ich) mag. Doch was Kevin Williamson und Wes Craven gelang, woran so viele ihrer Nachahmer scheiterten: Sie nutzen es auch, um Scream spannender und unbehaglicher zu machen. Sieht man sich heutzutage ältere Serienmörder-Filme an, lästert man schnell über das unlogische Verhalten der Opfer in ihnen. Die Figuren in Scream tun es uns gleich - dadurch siedeln Craven und Williamson ihren Horror-Thriller in unserer Welt an. Er rückt somit näher an den gebannten Betrachter. Schon paradox, ist der Bruch mit der Fiktion doch ein distanzierendes Stilmittel.


Aus exakt diesem Grund stört mich jedoch heute das High-School-Geschehen deutlich mehr, als noch anno dazumal. In den ersten Akten mutet Scream szenenweise nicht nur wie eine von echtem Horror unterbrochene, gute Horror-Persiflage an, sondern auch wie eine unterdurchschnittliche Karikatur von High-School-Komödien. Die zahllosen Komplimente, die das junge Ensemble von Scream in zeitgenössischen Kritiken erhielt, kann ich kaum nachvollziehen, da die meisten der Jungdarsteller entweder völlig übertreiben, oder hölzern in der Gegend rumstacksen. Allen voran Matthew Lillard schneidet als der dümmliche Teenager Stuart lächerliche Grimassen und hüpft herum, als müsse er mal ganz dringend auf's Örtchen. Ich kann die wenigsten seiner Szenen unkommentiert hinnehmen. Sein Kumpel Billy hingegen, Sidneys nicht zum Schuss kommender fester Freund, wird von Skeet Ulrich ganz rund gespielt. Er hat glaubwürdige Anflüge eines High-School-Schnösels, bringt aber auch menschlichere, weniger eingebildete Seiten problemlos rüber. Bei ihm ist es bloß der Zahn der Zeit, der an ihm nagt: Mit seiner gegelten Frisur und den eng geschnittenen T-Shirts sieht er so albern nach den 90er-Jahren aus... Gleiches gilt für Cortney Cox als taffe Reporterin. Rein vom Schauspiel her betrachtet, gibt sie eine quotengeile Boulevardjournalistin mit kurzen Phasen der Selbstreflexion und -zweifel. Sie ist eine witzige, dennoch ernstzunehmende Figur. Nur die Aufmachung erinnert viel zu sehr an reine Witzfiguren, die im Fahrwasser von Scream aufkamen.

David Arquette als junger Polizist macht seine Sache gut, er ist ein toller Sympathieträger, aber das Drehbuch hat ihm ein paar sehr unfreiwillig komische Momente gegeben, die für Scary Movie natürlich ein gefundenes Fressen waren. Rose McGowan wiederum spielt hauptsächlich das Püppchen, wenn sie aber zwischendurch intensivere Emotionen spielen darf oder für Witz sorgt, überrascht sie mit guter Leistung. Hauptdarstellerin Neve Campbell dagegen finde ich völlig überbewertet. Sie zieht Scream nicht gerade herunter, trotzdem kann sie die in ihrer Figur brodelnden Gefühle, meiner Ansicht nach, nicht angemessen zum Ausdruck bringen. Bei ihr sieht mir irgendwie nahezu jede Regung gleich aus.


Am besten gealtert ist zweifelsohne die ausführliche erste Szene mit Drew Barrymore, die als erstes dem Ghostface-Killer begegnet. Für mich ist diese Sequenz eine Glanzleistung des spannenden, Nerven aufreibenden Horrors, der man aufgrund der genialen Regieführung Wes Cravens und des intensiven, und dennoch unaufdringlichen Spiels von Barrymore eine eigene, ausführliche Analyse widmen könnte. Die Sequenz ist sehr ruhig, baut konstant Spannung auf und eskaliert in ein rasantes Finale, das in Erinnerung bleibt. Faszinierend finde ich auch, wie durch subtilen Einsatz von Stilmitteln wie dem Dutch Angle (einer schiefen Kameraeinstellung) und abgekrümmten, fast schon an den Fischaugen-Effekt erinnernden Linsen eine Unbehaglichkeit erzeugt wird, ohne die Szene unwirklich zu gestalten.

Das Intro rechtfertigt fast schon im Alleingang den Rang, den sich Scream in der Filmgeschichte erarbeitet hat, doch auch das 42-minütige Finale während einer Landhaus-Party ist große Klasse. Es ist kaum zu glauben, wie lang die berüchtigte Szene 118 dauert, passiert doch so viel, und ist sie dennoch so kurzweilig. Thrill, Atmosphäre und Spaß gehen Hand in Hand, und von wenigen Momenten abgesehen, wo ich den Scream-Figuren gleich denke "als ob das niemand merken würde", gewinnen auch die jugendlichen Figuren hier an Dimension und Wirkungskraft. Vor allem ist es aber einfach ein packendes Stück Spannungskino mit gesunder Selbstironie.

Ich finde es auch lobenswert, wie sehr Wes Craven in Scream auf billige Jump Scares verzichtet. Ihr kennt solche Filmmomente: Alles ist still, urplötzlich ertönt kurz Ohren betäubend laute Filmmusik, ein schriller Soundeffekt und gegebenenfalls taucht irgendwas (es muss nichtmal was schreckliches sein) im Bild auf. Für mich ist das die schlechteste und ärgerlichste Angewohnheit, die Horrorfilme haben können. Diese Momente sind selten gruselig, schrecklich oder der Atmosphäre dienlich. Sie sind einfach nur ein Angriff auf die Ohren, bei dem ich aufgrund der schieren Lautstärke zusammenzucke. Insofern, ja, in solchen Momenten erschrecke ich, doch ich bin nicht vom Film gebannt, geschweige denn verspüre ich Angst. Meine armen Trommelfelle wollen bloß die Flucht ergreifen - und das ist ein schäbiger Kunstgriff. In Scream taucht der Killer (natürlich) ab und an überraschend auf, und die unwohle Filmmusik von Marco Beltrami reicht zwar nicht ganz an so ikonische Arbeiten wie Halloween heran, ist aber sehr effektiv und hat natürlich auch ihre lauteren Momente. Doch es kommt nie zu einem dieser faulen Jump Scares. So gehört sich das!


Zum Abschluss sollte ich wohl den Elefanten im Raum ansprechen (Hallo Jumbo jr.!)... Ich hasse Wes Craven und Kevin Williamson dafür, was sie mit meinem Vornamen angestellt haben! Ihr müsst wissen, dass ich meinen Vornamen sehr gern habe. Es gibt ja auch Leute mit selteneren Vornamen, die sich dafür schämen, doch ich mag es, nicht immer der vierte Tim oder der siebte Kevin in einer Gruppe zu sein - und so weit ungewöhnliche Vornamen reichen, hab ich es doch sehr gut getroffen. Ich find ihn ästhetisch, weshalb ich auch kein Problem damit habe, dass "Du hast einen schönen Namen" das häufigste Kompliment, das ich meinen bisherigen Lebtag zu hören bekam. Trotz aller negativen Implikationen, die das haben kann (schöner Name, sonst...). Dennoch... Kinder können widerlich sein, und so musste ich als kleiner Bub dauernd feststellen, dass asoziale Mitschüler nur drei internationale Metropolen kennen (die sie mir dann aber stolz gegen den Kopf schmetterten). Aber sowas hört ja glücklicherweise irgendwann auf. Was Scream angestellt hat, werde ich dagegen so schnell nicht los.

Nun, Sidney war eigentlich ein dominant männlicher Name. Über die Jahrzehnte hinweg gab es immer wieder vereinzelt Frauen mit diesem Vornamen, sie bildeten allerdings eine überdeutliche Minderheit. Doch mit Sidney Poitier, Sidney Sheldon, Sidney Nolan, Sidney Bechet und Sidney Lumet gab es einige (mehr oder minder) prominente männliche Träger dieses Namens. Und dann kommt da dieser dusselige Teenie-Horror an, und lässt einen Maskenkiller auf jemanden mit meinem Vornamen Jagd machen. Nur dass diese Person eine Frau ist!  Und deswegen kommt es alle paar Monate vor, dass ich bei schriftlichem Verkehr, Vorstellungen oder sonstwelchen Anlässen erklären muss, dass nicht alle Sidneys amerikanische Mädels mit hohlen Augen sein müssen, sondern es neben der Scream-Tante auch sehr, sehr viele Männer gibt, die Sidney heißen.
Ich mein, hey, J.J. Abrams hatte wenigstens den Anstand, seine Superagentin aus Alias Sydney Bristow zu nennen, aber Williamson und Craven müssen ja unbedingt unzähligen Männern das Leben schwer machen...

Öhm... ja...

Zum Film selbst: Scream ist hinsichtlich seiner Schulszenen mit seiner Überdosis 90er-Style nicht perfekt gealtert. Jedoch ist Wes Cravens moderner Klassiker dank seiner toll genutzten Meta-Kommentare über das Horror-Genre, einer intensiven Atmosphäre und gut abgestimmten, auflockernden Spaßmomenten noch immer höchst empfehlenswert. In den schlechtesten Momenten ist Scream halt etwas komischer, als er sein wollte, doch in seinen vielen und ausführlichen Glanzphasen ist er packend und voller einprägsamer Ideen. Scream ist also ein ganz verdientes, modernes Horror-Meisterwerk, das sich vor seinen keineswges Vorbildern zu verstecken braucht. Selbst wenn der jugendliche Cast längst nicht so toll ist, wie einem manche Kritiken weißmachen wollen. Scream ist kein Schauspieler-Horror, sondern ein von Regie und Skript getragener.
Dennoch: Ich überlege sogar so weit zu gehen, dass er für viele dem Horror-Abgeneigte Gemüter ein toller Einstieg ins Genre ist. Er nimmt anderen Filmen den Schrecken, macht Spaß und ist obendrein in seinen Suspense-Momenten längst nicht so ärgerlich schal, wie viele seiner Nachahmungen. Wenn da halt nur nicht diese Sache mit den Vornamen wäre... Oder diese dämlichen 90er-Klamotten...

Siehe auch:

1 Kommentare:

The Reader hat gesagt…

Ansprechende Kritik. Freut mich immer, wenn du dir die Zeit nimmst, weiter auszuholen. Bin schon besonders auf deine Meinung zum umstrittenen dritten Teil gespannt!

Kommentar veröffentlichen