Samstag, 25. Februar 2012

Tree of Life

In einer Rezension zu Terence Malicks fünfter Regiearbeit kann man sich dem die Geister scheidenden Film auf zahlreiche Weisen nähern. Man kann sich an eine Interpretation wagen, ihn vor Hintergrund seiner Produktionsgeschichte messen oder mit ähnlichen Filmen vergleichen. Es wäre auch denkbar, den diskutierbaren Inhalt bei Seite zu schieben, um sich allein der handwerklichen Qualität zu nähern. Langsam habe ich es allerdings satt, darüber nazudenken, wie ich Tree of Life behandeln soll, und folge nach zweiter Betrachtung einfach meinem Bauchgefühl – und haue ich meine Meinung um die Ohren. Wenn ihr was anderes erwartet habt, tja, angeschmiert!

Ich verabscheue Tree of Life. Terence Malick ist selbst beim besten Willen kein guter Geschichtenerzähler. Es besteht ein gravierender Unterschied zwischen kunstvollen, intellektuellen Filmen und Geschichten, die man in den eigenen, hochtrabenden Ideen ersäuft. Und Malick rutscht mit Tree of Life als Erzähler ohne jede Hoffnung in die zweite Sparte ab. Es ist ja lobenswert, dass er auf übliche Erzählstränge verzichtet, sich von alltäglicher Dramaturgie loslöst, doch wenn man die Regeln des Drehbuchschreibens verletzt, dann bitte, weil man es besser kann. Diese Geschichte einer Familie aus Texas in den 50er-Jahren, die nach dem Tod eines ihrer Mitglieder aus ihrer emotionalen Idylle gerissen wird, ist aber träge, mit religiösem Kitsch überfrachtet und hat noch dazu flache Pappkameraden von Figuren aufzuzweisen. Viele der angerissenen Gedankengänge lassen einer klaren Stellungnahme missen, so dass es stellenweise so wirkt, als würde Malick intelligente Fragen in den Raum werfen, einfach um sie gestellt zu haben.

Einige der konventionelleren Sequenzen dieses mit experimentelleren, abstrakteren Elementen versetzten Dramas sind denkbar schlecht geschnitten. Innerhalb einer Aufnahme fehlen mehre Sekunden, ohne jeden Wechsel der Kameraeinstellung. Wenn man nicht Terence Malick ist und es auch nicht so konsequent tut, dass es als Stilmittel aufgefasst werden kann, wird man dafür von Kritikern gesteinigt.

Eine der größten Dreistigkeiten ist, mit welchem Schneid die am Film beteiligten Personen behaupten, Terence Malick wolle in Tree of Life auf die offensichtlichen visuellen Metaphern verzichten. Ich muss zugestehen, dass Bäume nicht so in Szene gesetzt werden, wie schon in X-Tausend Kunstfilmen zuvor, dennoch gibt es, wie auch schon in Melancholia, allerhand ausgereizte, uninspirierte Bildmetaphern. Spätestens wenn Jessica Chastain zum wiederholten Einsatz ennervierender, dick aufgetragener, viel zu laut eingespielter, religiösen Chorälen wie eine Heilige aus christlichen Ikonographien die Hände gen Himmel öffnet, verliert dieser Film seinen Anspruch auf Subtilität. Und zumindest partiell seinen Anspruch auf Mehrschichtigkeit.

Zugleich schert sich Terence Malick hier noch weniger um sein Publikum, als Stanley Kubrick beim Finale von 2001. Obschon ich Kubricks Sci-Fi-Meisterwerk aufgrund seines Schlussaktes für leicht überbewertet halte und ihn nicht in mein filmliebendes Herz schließen kann, so halte ich es zweifelsfrei für einen sehr guten Film. Nicht zuletzt, weil Kubrick die großen Themen des Stücks, die Symbolik und den im Kern verborgenen Handlungsfaden gut miteinander verbindet. Im Falle von Tree of Life kommt es mir deutlich weniger organisch vor, zudem führt Malick zwischenzeitlich Bilder ein, die danach nicht weiter thematisiert werden. In einem Film, der sich auch mit der großen Verbundenheit allem rühmt absolut losgelöste Symbole einzustreuen, die weder thematisch noch inhaltlich mit etwas verbunden sind, ist entweder dreist oder inkonsequent.

Aber nein, das stört mich nicht so enorm. Am meisten stört mich, dass Malick viel zu viel Zeit mit der depressiv-aggressiven Phase seines "Protagonisten", dem jungen Jack verschwendet. Nach einer Serie von Schicksalsschlägen rennt Jack mit einer angepissten "Fick mich nicht, du Spast, oder ich verpügel dir deine Scheißfresse!"-Laune durch die Weltgeschichte und stellt Unsinn an. Da die Figur zuvor nicht charakterlich ausgebaut wurde und der Kinderdarsteller Hunter McCracken eine derart unsympathische, verärgerte Ausstrahlung hat, ist diese Phase des Films nervig, nervig, nervig. Sie dauert viel zu lang (okay, Jack wurde böse ... ich hab's verstanden ... ich hab's geschnallt! JAAAAA!), fügt thematisch nach zwanzig Minuten auch nichts neues mehr hinzu und die Atmosphäre des Films verdüstert sie ab einem gewissen Punkt auch nicht mehr. Andere Leute stören sich an den Mindfuck-Elementen, aber mir geht dieser verzogene, übel gelaunte Junge auf den Sack, der sich wie der letzte Arsch benimmt und mit mir einfach nicht resonieren möchte. Hier hätte dringend die Schere angesetzt werden müssen, weil es sich einfach nur noch zieht. Es soll wohl traurig sein, da es auch vom Zerfall der Familie erzählt - da Malick aber keine Figuren, sondern thematische Verkörperungen schafft, muss man schon ein echter Familienmensch zu sein, um hier bewegt zu sein. Denn es ist ein rein prinzipielles "Joah, sowas ist ja schon doof"-Denken, das in diesem Segment wachgerüttelt wird.

Das Ergebnis ist ein schwerfällig aufgebauter, verkopft erzählter und wild mit bedeutungsschwangeren Versatzstücken um sich werfender Experimentalfilm, der sich wichtiger anfühlt, als er letztlich ist. Denn Malick übermittelt seine zweifelsohne klugen, nicht jedoch weltbewegenden Erkenntnisse in eine kaum aufzubrechende Aufmachung. Kein Wunder, dass nach der Uraufführung in Cannes laute Buhrufe den Saal erfüllten!


Ich wertschätze Tree of Life. Der mutige Visionär Terence Malick vermittelt in Form einer poetischen Bildsprache seine spürbar persönlichen Überlegungen zum Zwiespalt zwischen Unnachgiebigkeit und der Fähigkeit zu Verzeihen, Mensch und Natur, Wissenschaft und Religion. Die Erzählung einer auseinanderbrechenden Familie (eine liebevolle, ätherische Mutter, ein strenger, rationaler Vater und ihre Kinder) dient als weltlicher Bezugspunkt, je nach Sichtweise auch als angewendetes Exempel, dieses in filmischer Form umgesetzten philosophischen Essays. Malicks Abhandlung orientiert sich dabei nicht nur an den wissenschaftlichen Theorien zur Entstehung des Universums und den Befunden zur Entwicklung der Arten, sondern gleichermaßen an alttestamentarischen Geschichten und Lehren. Diese Widersprüchlichkeit vereint Malick zu einer reizvollen Text- und Bildschere und entwickelt daraus zudem einem emotionalen Konflikt. Seine Antwort, inwieweit Logik und Gefühl, Glaube und Wissen vereinbar sind, ist Tree of Life anzuspüren, allerdings gelingt es dem Auteur meisterlich, sein Magnum Opus dazu zu nutzen, den Betrachtern ein Sprungbrett für eigene Gedanken zu bieten, sogar Malicks Intention widerstrebende Auslegungen zu finden.

Die von vielen geäußerte Kritik, Tree of Life wäre ein Haufen hübscher Bilder ohne jegliche Kohärenz, kann ich keinesfalls nachvollziehen. Die Symbolik des Films ist zu großen Teilen entweder eine eigene, aber selbsterklärerische, oder biblischen Ursorungs. Vor allem die Hiobsgeschichte (die schon wieder) ist ein wiederkehrendes Element dieses non-linear gehaltenen Kunstwerks. Ich denke, jeder der nur ein bisschen Aufmerksamkeit aufbringen kann, mitdenkt und angemessene theologische Grundkenntnisse mitbringt, sollte deutlichen einen roten Faden erkennen und Malicks Überlegungen folgen können.

Selbst Zuschauer, die sich zwischenzeitlich in Malicks Gedankensplitter verloren fühlen, müssen anerkennen, welche visuelle Macht er und die lebende Kameralegende Emmanuel Lubezki (Sleepy Hollow, Y Tu Mamá También, Children of Men) entfesseln. Tree of Life dürfte der bildgewaltigste, prächtigste Realfilm seit der Jahrhundertwende sein, und durch Malicks emotional aufgeladene Nachahmung eines sich während Trauerarbeit ereignenden Stream-of-Consciousness erhebt sich dieses Machtwerk über die Wirkung einer prächtig fotografierten Naturdokumnetation. Es sind nicht nur hübsche Bilder, sie vermitteln auch eine komplexe Stimmung, welche sich wiederum um denkenswerte, thematische Überlegungen rankt. Malick schafft eine "intelektuelle Emotionalität", eine sich von surrealen Traumwelten unterscheidende, emotional verzerrte "Erinnerungswelt" wie es sie noch nie im Kino zu sehen gab. Gestützt wird diese von den so gegensätzlichen, dennoch einander harmonierenden Darbietungen Jessica Chastains als engelsgleicher Mutter und eines facettenreichen Brad Pitt, als die emotional distanziert wahrgenommene Vaterfigur, in der der seine Jugend reflektierende Protagonist Jack in jedem Lebensabschnitt etwas anderes zu erkennen scheint.

Andere Regisseure wären daran gescheitert, die Komplementarität des Makrokosmus dieses Universums und des Mikrokosmos einer Familie aufzuzeigen, die Entstehung des Universums gegen eine Familientragödie zu setzen. Aber Terence Malick vereint das Große und das Kleine, das Natürliche und das Gütige, das Sakrale wie das Profane zu einem allumfassenden Gesamtkonzept. Kein Wunder, dass Malick die Goldene Palme der Filmfestspiele in Cannes entgegennehmen durfte!

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5 Kommentare:

milan8888 hat gesagt…

häh?

Anonym hat gesagt…

Das ist mal eine großartige Rezension. Danke :)

Dr-Lucius hat gesagt…

Zunächst schien mir Dein Kunstgriff einer ambivalenten Kritik (quasi ausgewogenes ich hasse/ich liebe) sehr gleichgewichtig beide Reaktionen auf diesen Film zu zeigen, aber bei genauerem Hinsehen scheint mir m.E. der 2. Teil doch sehr bissig den 1. Teil zu unterstützen!
Angemessene theologische Grundkenntnisse..haha
Machtwerk... jadoch, genau
facettenreicher Brad Pitt... selten so gelacht...

Guter Veriss!

Horned_King hat gesagt…

Auch wenn ich oft deiner Meinung gewesen bin (und das weißt du), kann ich als Malick Jünger hierzu nur sagen: EPIC FAIL!

Sir Donnerbold hat gesagt…

Hm, sicher? ;-)

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