Samstag, 17. November 2012

Das Geheimnis der Feenflügel


Die TinkerBell-Filmreihe befindet sich von Beginn an in einer bedauerlichen Abwärtsspirale. Der 2008 auf DVD veröffentlichte erste Teil erstaunte nach seinen schwerwiegenden Produktionsproblemen mit einer süßen, herzlichen Geschichte und solider bis guter Computeranimation. Dafür, dass es nur ein von John Lasseter feingeschliffenes Überbleibsel der vorherigen Studioleitung war, die nur auf den schnellen Dollar aus war, hatte TinkerBell wunderlich viel ehrliche Ambition zu bieten. Die Fortsetzung hingegen hatte bereits ein paar deutlichere Macken aufzuweisen und der dritte Film der TinkerBell-Saga stammte mit seinen steifen Animationen, haltlosen Klischees und einer unerträglichen Dosis Kitsch schlussendlich direkt aus der Direct-to-Video-Hölle.

Zwei Jahre sind seit der Seelenfolter namens TinkerBell - Ein Sommer voller Abenteuer vergangen, womit dieses Franchise sein ursprüngliches Ziel, jährlich einen neuen Teil zu veröffentlichen, versäumt hat. Es sei denn, man zählt das letztjährige TV-Special Die großen Feenspiele, welches aus Wunsch der Produzenten von einem abendfüllenden DVD-Film zu einerm TV-Dreißigminüter degradiert wurde, als gleichwertigen Film. In der Zwischenzeit erntete Joe McNeely, der Stammkomponist der TinkerBell-Filme, neue Anerkennung für seine Leistung als Komponist und Arrangeur der Musik vom Disneyland-Lichterspektakel Disney Dreams!, der fünfte Langfilm der Reihe wurde erst für 2014 angekündigt und Rapunzel scheiterte daran, eine Oscar-Nominierung für den besten Animationsfilm zu erhalten. Letzteres geschah in einem Jahr, in dem nur drei Filme nominiert wurden, weil das für eine Erweiterung dieser Kategorie nötige Minimum an Kinostarts nicht erreicht wurde. Disneys Schuld ist es derweil nicht: In der Hoffnung, dadurch den Pool an Oscar-qualifizierten Filmen zu vergrößern und so mehr Filmen eine Nominierung zu ermöglichen, hält Disney seit einigen Jahren in den USA Alibi-Kinostarts seiner DVD-Produktionen ab.

Im Gegensatz zu seinen Vorgängerfilmen findet Das Geheimnis der Feenflügel jedoch in zahlreichen Ländern den Weg in die Kinos, so auch in Deutschland. Außerdem unterscheidet sich dieses winterliche Abenteuer der kurzberockten Fee von seinen Vorläufern dadurch, dass interessierte Feenfreunde es auch in 3D bestaunen können. Doch in einem anderen Aspekt unterscheidet sich Das Geheimnis der Feenflügel kein bisschen von den anderen TinkerBell-Produktionen: Komponist Josh McNeely ist ein weiteres Mal über jeden Zweifel erhaben und ist mit seiner irisch-folkloristisch angehauchten, beschwingten Hintergrundmusik für das stärkste Element des Films verantwortlich. Neben belebtem Folklore-Gefidel und schwelgerischen Melodien im Stil der ersten drei Filme mischt McNeely in diesem Teil, dem Inhalt entsprechend, auch einige winterliche Klänge unter, die sich nahtlos ins bisherige akustische TinkerBell-Gesamtbild einfügen. Und ebenso wie bei den bislang veröffentlichten Filmen wird McNeelys traumhafter Score durch ätzend-kitschigen Zuckerpopsongs unterbrochen, die sich in einer eintönigen Tonlage in die Gehörgänge quietschen. Und leider auch auf CD: Selbstredend erhält auch Das Geheimnis der Feenflügel ein Soundtrackalbum, welches wie die altbekannten Alben dem kindlich-dauerglücklichen Gesang den Vorrang gegenüber McNeelys Musik gibt.

Eine gute Botschaft ist derweil, dass mit der dritten TinkerBell-Fortsetzung tatsächlich der konstante qualitative Abwärtstrend der Reihe gebrochen wird. Zwar ist Das Geheimnis der Feenflügel noch immer ein spürbarer Abstieg gegenüber dem liebenswerten Erstling der Reihe, jedoch ist diese Wintergeschichte immerhin solide Kinderunterhaltung, die das ältere Publikum wenigstens achtet und ihre eigene Mythologie kreativ weiterspinnt.

Der Wintereinbruch steht bevor, weshalb die Feen der warmen Jahreszeiten schwer mit Auftragsarbeiten für die Winterfeen beschäftigt sind. Sie helfen zum Beispiel Hasen dabei, Schneehasen zu werden und stellen Körbe für die Feen aus der verschneiten Winterwelt her. Als die neugierige Tinkerbell von einer ihrer Freundinnen belehrt wird, dass es den Feen aus der warmen Welt verboten ist, ins Winterreich zu schreiten, ist ihre Neugier geweckt. Kaum übertritt sie, von der Schönheit des kalten Lands magisch angezogen, die Grenze zwischen den Jahreszeiten, beginnen ihre Flügel zu leuchten und zu glitzern. Davon erstaunt macht sie sich auf, mehr über dieses Phänomen in Erfahrung zu bringen. Letztlich kann aber nur eine Expedition ins Winterreich ihren Wissensdurst stillen. Dort lernt sie die Fee Perriwinkle kennen, mit der sie sich sofort inniglich verbunden fühlt. Allerdings ist es nicht ohne Grund verboten, die Jahreszeitengrenze zu übertreten, denn Feen der warmen Welt sind nicht für die Kälte geschaffen und umgekehrt ...

Im Gegensatz zur üblichen Disney-Trickware fürs Kino ist Das Geheimnis der Feenflügel nicht an ein möglichst weites, sondern eindeutig an ein sehr junges (und vorwiegend weibliches) Publikum gerichtet. Dies merkt man insbesondere daran, wie sehr die Story der Autoren Bobs Gannaway, Peggy Holmes, Ryan Rowe und Tom Rogers bemüht ist, die Spannungsschraube nie zu fest zu drehen. Die Konflikte sind über weite Strecken des Films recht banal: Tinkerbell will ins Winterreich, darf dies nicht, tut es aber dennoch und wird dort sehr freundlich empfangen. Widerspruch gibt es nur von der Feenkönig und dem Lord des Winterreichs, wobei diese nicht despotisch gezeichnet werden, sondern bloß als übervorsorgliche Autoritätsfiguren, die es zu überzeugen gilt. Wenn es für Tinkerbell und Perriwinkle brenzlig wird, kommt die Rettung schnell daher, erst, nachdem der Zufall aus einer kleinen, genialen Erfindung einen Unglücksbringer macht, steht viel auf dem Spiel. Die Inszenierung dürfte es für die Zielgruppe für die wenigen Minuten dieses Klimax spannend gestalten, während für das erwachsene Publikum die Lösung offensichtlich auf der Hand liegt. Zuschauer im zweistelligen Alter werden deshalb wohl kaum von der Handlung eingenommen, jedoch sind die Einzelszenen charmant genug, dass man als großer Disney- oder Feenfan oder als interessiertes älteres Familienmitglied in Begleitung der Zielgruppe immerhin etwas Kurzweil verspürt, selbst wenn die Spannungskurve außerordentlich beschaulich geriet.

Regie führten Roberts Gannaway, zuvor unter anderem für Mickys Clubhaus verantwortlich, und Peggy Holmes (Arielle, die Meerjungfrau: Wie alles begann), denen es in diesem Feenabenteuer gelingt, die feine Linie zwischen unentwegtem Staunen einerseits und dennoch zielgerichtetem Erzählen gehen. Obwohl Tinkerbells Entdeckung der Winterwelt episodisch verläuft, fühlt sie sich nie orientierungslos oder auf Kinolänge gezerrt an. Sofern man sich als älterer Zuschauer darauf einlässt, dass es bloß darum geht, zusammen mit Tinkerbell das magische Feenreich weiter zu erkunden, nehmen einen Gannaway und Holmes durch ihre vielen kleinen, putzigen Ideen erfolgreich an der Hand. Dazu gehört etwa, wem Feen die Organisation ihrer Bibliothek anvertrauen, wie die Kommunikation zwischen beiden Reichen funktioniert oder auch die Erkenntnis, dass es auch in Pixie Hollow verpeilte Snowboarder gibt.

Die Charakterisierung ist unter dem Niveau, was man im Kino von Disney erwartet, doch besser als in den bisherigen TinkerBell-Fortsetzungen oder in zahllosen anderen Direct-to-Video-Filmen: Tinkerbell ist als Protagonistin die ausgereifteste Figur, voller kindlicher Neugier, aber auch erfinderisch und ungestüm. Die anderen Figuren sind dagegen einseitig, während aber die Sprecher gerade der oberen Feen ihren Rollen einen Hauch Gravitas verleihen, ist Perriwinkle als groß eingeführtes Wintergegenstück Tinkerbells sehr flach geraten, auch wenn sie liebevoll animiert und gestaltet ist.

Tricktechnisch ist Das Geheimnis der Feenflügel ansprechend gelungen: Die Hintergründe sind selbstredend nicht auf dem Niveau einer Vorreiterproduktion wie Pixars Merida, trotzdem sind sie sehr detailliert und gut beleuchtet (gerade dies haben DVD-Produktionen ja selten raus), Tinkerbell, Perriwinkle, die oberen Feen sind ausdrucksstark, Tinkerbells Freundinnen dagegen gucken doch öfters starr  aus der Wäsche. Trotzdem erhalten sie in ihrer Animation genügend Charakter, dass die figurenbasierten Momente das Zuschauerinteresse halten können.

Als Filmreihe ist TinkerBell in einer schwierigen Grauzone angekommen: Teil 1 und 4 sind gut genug, dass man sich nicht dringend ein Ende herbeisehnen muss, 2 und 3 wiederum erstickten jeglichen Enthusiasmus für die Feenfilme. Künstlerisch könnte Disney nach dem 2014 anstehenden fünften Teil gut und gerne Schluss machen. Auf dem Merchandisingmarkt spürt man auch nicht die volle Macht, die etwa Cars oder die Prinzessinnen ausmachen. Trotzdem bringen die Feen wohl noch immer sichere Kohle in die Kassen Burbanks. Insofern wird ein endgültiges Finale wohl noch in weiter Ferne liegen ...

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