Donnerstag, 18. Dezember 2014

Gastkritik zu "Sleeping Beauty"

Seit nunmehr drei Jahren betreibt meine werte Kollegin Antje Wessels ihren Filmblog, der mittlerweile unter dem Namen Wessels-Filmkritik.com ein stolzes Dasein führt. Zur Feier dessen tauschen sie und ich Kritiken aus. Jeder von uns suchte dem jeweils anderen einen Streifen aus, den er zu besprechen hat. Sie wünschte sich von mir eine Kritik zu Free Birds, ich bat Antje um ihre Kritik über Sleeping Beauty. Hier könnt ihr die Meinung meiner geschätzten Kollegin zu Julia Leighs Erotik-Charakterdrama lesen. Viel Vergnügen!


Mit Dornröschen, unter welchem Namen das Märchen Sleeping Beauty hierzulande bekannt ist, hat die erste und bislang einzige Regiearbeit der Filmemacherin und Autorin Julia Leigh nichts gemein und doch steht im Mittelpunkt der lose neuinterpretierten Vorlage Das Haus der schlafenden Schönen eine krude Form der Prinzessin, die am Ende jedoch nicht etwa auf den lang ersehnten Traumprinzen trifft, sondern der einzig und allein ein böses Erwachen bleibt. Aurora heißt hier Lucy, gespielt von einer uneitlen Emily Browning, die durch das Fantasy-Actionspektakel Sucker Punch auch einem breiten Publikum bekannt wurde und zuvor vornehmlich in Genrefilmen der Marke Ghost Ship zu sehen war. Ähnlich ihrer vielen Kolleginnen, die sich nach dem schnellen Geld in wenig kritikerfreundlichen Durchschnittsstreifen mit dem Engagement in Kunstfilmprojekten endlich das notwendige Ansehen erhoffen, um ab sofort auch in namhafteren Filmen besetzt zu werden, erweist sich die Castingentscheidung von Emily Browning für beide Seiten als lohnenswert, wenngleich aus der Sicht der Darstellerin als umso berechnender. Doch sei es drum: Als ebenso schwer zugängliche wie wunderschöne Protagonistin funktioniert die bei den Dreharbeiten 21-jährige Blondine ganz hervorragend. Auch deshalb, weil ihr Gesicht dato noch nicht allzu oft auf der großen Leinwand zu sehen war. Browning gibt sich sichtlich Mühe, der Mischung aus voyeuristischer Softerotik und hartem Psychogramm das notwendige Leben einzuhauchen, um das Publikum an dieser ganz persönlichen Lebens- und Leidensgeschichte teilhaben zu lassen. Doch mehr als ein oberflächlicher Einblick in das Leben einer fehlgeleiteten, jungen Frau vermag Julia Leigh vor allem deshalb nicht zu gelingen, weil Sleeping Beauty weder dramaturgisch ausgereift, noch mit interessanten Figuren bestückt ist.

Aufgrund der bewusst karg-minimalistischen Inszenierung von Sleeping Beauty mag Leighs Regiearbeit vielleicht immer noch Kunst sein; trotzdem erzählt ihr Film weder eine Geschichte, noch gibt sie preis, was in den oberflächlichen Charakteren überhaupt vorgeht. Der Plot über eine nicht näher charakterisierte Frau, die zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel hat, sodass sie dazu übergeht, die absurdesten Nebenjobs anzunehmen, hat per se genug Substanz, um den anstehenden eineinhalb Stunden genug Unterbau zu bieten, um anhand diesem den psychischen Verfall, respektive vielleicht sogar ein Überdenken der Lebensumstände zu erzählen. Was der Zuschauer jedoch erfährt, ist nicht genug, um ein Interesse an den durchgehend blass bleibenden Figur aufzubauen. Schon in der ersten Szene sehen wir Lucy in einem Labor, wo sie sich eine medizinische Sonde zu Testzwecken einführen lässt. In den nächsten Szenen werden wir Zeuge ihres tristen Alltags, der aus allerhand Arbeit besteht und sie immer wieder in die Arme eines merkwürdigen Herren namens "Birdman" führt. Auch dessen Identität bleibt unklar und beschränkt sich auf zusammenhanglose Dialogfetzen, die dieser mehrmals mit seiner (platonischen oder festen) Freundin Lucy austauscht. Licht bringen diese in das Dunkel dieser merkwürdigen Beziehung jedoch nicht – und selbst für eigene Interpretationen benötigt der Zuschauer mehr Anhaltspunkte, als die Informationen, dass Birdman und Lucy sich hin und wieder zum gemeinsamen Fernsehschauen treffen. Die Tatsache, dass Lucy bei mehreren Treffen unvermittelt in Tränen ausbricht, verleiht dieser Szenerie zusätzlich etwas Lächerliches, da aufgrund seiner schier nicht vorhandenen Sinnigkeit so etwas wie eine spürbare Pseudointellektualität spürbar wird.

Julia Leigh versucht merklich, ihrem Werk ein ambitioniertes Erscheinungsbild einzuverleiben. Stellenweise lässt das Spiel mit der Versuchung des unwissenden Zusehers auch Anleihen an Stanley Kubricks Meisterwerk Eyes Wide Shut erkennen. Doch während sich Kubrick in seinem erotischen Ehepsychogramm auch genug Zeit dafür nimmt, die Gesinnung seiner Hauptfiguren zu erläutern, um anhand dieser die notwendige Spannung aus der Unsicherheit des Publikums zu ziehen, weicht das Unwissen über die Einordnung des Plots bei Sleeping Beauty alsbald der Gleichgültigkeit. Gewiss: Leighs Werk verschließt sich ganz bewusst einer klassisch narrativen Form und versteht sich als Lebensabschnittsstudie ohne Prolog, erzählerischem Höhepunkt und Happy oder Sad End. Doch die Regisseurin traut ihrer Vorlage zu viel Substanz zu; die Zugkraft der Prämisse wird es schon richten. Allein dieser Gedanke genügt aber nicht. Was es braucht, sind fesselnde Charaktere und so etwas wie ein Ziel. Doch nicht nur an ersterem mangelt es. Allen voran das unkonzentrierte Dahinplätschern lässt den Zuschauer alsbald kalt. Auf spannende Szenerien, etwa dann, wenn Lucy erstmals auf die geheimnisvolle Leiterin eines exklusiven Clubs trifft, die ihr ein lukratives Angebot für erotische Dienste verspricht, folgen dröge Minuten, die einmal mehr die Tristesse in Lucys Alltag hervorheben sollen. Das bremst aus und verhindert immer wieder, dass das aufkeimende Interesse des Publikums mit einer Highlightszene belohnt wird.


Das visuelle Erscheinungsbild tut sein Übriges, um Sleeping Beauty unrühmlich zu unterstreichen. Kameramann Geoffrey Simpson (Sessions – Wenn Worte berühren) kleidet das Erotikdrama in ein unauffälliges, allenfalls fernsehtaugliches Grau-in-Grau und möchte damit offenkundig unterstreichen, wie nah Lucys vermeintlich eleganter Sexjob an der Perspektivlosigkeit ihres Alltags befindlich ist. Ausgerechnet dieser Ansatz gelingt dem Bilderkünstler auch ganz vortrefflich. Leider ergibt sich dem Zuschauer dadurch gleichsam ein wenig ästhetisches Bild. Ohne automatisch den Anspruch eines geleckten Lack-und-Leder-Looks zu erheben, untermauert Sleeping Beauty mit einem solchen Auftritt seinen Anspruch, weg von einem geschichtenliebenden Zuschauer, hin zum Genießer abgehobener Kunstprojekte. Julia Leigh hat sich hier ganz eigen dafür entschlossen, einen Film zu kreieren, der vermutlich nur einem Bruchteil seiner Zuschauer zusagt. Denn vermutlich braucht es eine gewisse Aufgeschlossenheit derartigem Stoff gegenüber, um die Faszination einer Figur zu begreifen, die dem Zuseher keinerlei Gründe an die Hand gibt, ihr Leben interessant zu finden. Wenn das Finale darüber hinaus mehr Fragen aufwirft, als sämtliche aufgekommene vorab zu beantworten, erweist sich Sleeping Beauty als kurioses Sammelsurium vieler Ideen, aus dem sich vermutlich jeder das herausziehen muss, was für ihn selbst interessant ist. Ob etwas Kunst ist, oder weg kann, liegt ohnehin zumeist im Auge des Betrachters. 

Mehr von Antje Wessels findet ihr auf Wessels-Filmkritik.com!

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