Dienstag, 15. Juni 2021

Freaky

Ich habe großen Spaß an Christopher Landons Happy Deathday-Filmen. Sie haben ihre Makel, und doch schau ich sie mir immer wieder gern an. Weil Landon genau weiß, was er konzeptuell auf der Hand hat, und wie er es als "Babys erster Slasher / Slasher-Erfahrene bekommen eine launige Sause geboten"-Tonfallspagat ausspielen muss. Und weil Jessica Rothe eine wahre Wucht in ihnen ist. Als Landon und Blumhouse ankündigten, nach den Zeitschleife-Horrorkomödien als nächstes mit Freaky einen Körpertausch-Horrorspaß abzufeuern, war ich sofort Feuer und Flamme. Und dann noch mit Golferin/Meisterdetektiv Pikachu-Nebendarstellerin Kathryn Newton in der Hauptrolle? "Shut Up and Take My Money!", wie man in memedurchsetzter Internetkommunikation so schön sagt!

Die Trailer hatten mich dann auch vollends überzeugt, so dass ich den Kinostart kaum abwarten konnte. Und dann, einen Tag vor der Vorpremiere in einem Kino in meiner Nähe ... haben im Herbst 2020 die Lichtspielhäuser wieder ihre Pforten geschlossen. Und so musste ich warten, warten, bangen, dass dieser Film nicht ins Streaming geschüttet wird, warten, bangen, warten und bangen.

So baute sich in mir allmählich der Traum auf, mit Freaky meine Rückkehr ins Kino zu feiern. Das sollte letztlich nicht eintreffen, denn der leinwandfüllendere Godzilla vs. Kong hat sich mit der ersten Pressevorführung 2021 in meiner Nähe dazwischen gedrängelt. Nicht, dass ich klagen würde. Dennoch war der Riesenmonsterkampf für mich der Appetitanreger. Und Freaky, der eine Woche später als meine zweite PV 2021 herbeitänzeln sollte, der Kino-Comeback-Hauptgang. Zumindest in Sachen Vorfreude und Erwartung. 

Und, was für ein Glück: Meine Erwartungen wurden erfüllt! Weshalb auch ihr euch auf Freaky freuen solltet? Aaaaalso ... 

Mittwoch, der 11., und die folgenden Tage

Im sonnigen, unauffälligen Städtchen Blissfield geht seit Jahrzehnten die Legende vom Blissfield Butcher um, einem großen, starken, maskierten Killer, der bevorzugt auf Teenager Jagd macht. Und noch lieber auf sexuell aktive Teenager, die es für ihre unsittliche Art zu bestrafen gilt. Eine gut betuchte Freundesgruppe macht sich beim nächtlichen Rumhängen über diese Sage lustig, nur um kurz darauf am eigenen, alsbald toten Leib zu erfahren, dass der Blissfield Butcher (Vince Vaughn) sehr wohl existiert. Bei seiner Abschlachterei der vorlauten Jugendlichen entwendet der Maskenmörder zudem einen rituellen Dolch, genannt La Dola. Am nächsten Abend setzt er diesen Dolch ein, um die schüchterne Halbwaise Millie Kessler (Kathryn Newton) zu attackieren, die verzweifelt darauf wartet, dass ihre alkoholsüchtige Mutter (Katie Finneran) sie von einem Footballspiel abholt. Dem Butcher gelingt es nicht, Millie zu töten, dafür geschieht entgegen seiner Erwartung etwas völlig anderes:

Denn am Freitagmorgen wachen Millie und der Butcher im jeweils anderen Körper auf. Während der Butcher seine unschuldige Erscheinung als Millie nutzt, um seinen Blutdurst zu stillen, muss Millie im Körper des berüchtigten Killers versuchen, ihre besten Freunde (Misha Osherovich und Celeste O'Connor) über diesen Vorfall zu unterrichten, die ganze Schule vor der drohenden Gefahr zu warnen und einen Weg zu finden, diesen Körpertausch wieder rückgängig zu machen.

"Der blutigste Disney-Film, der je gedreht wurde"

Ich habe wenige Tage, bevor die Einladungen zu den Freaky-Pressevorführungen eintrudelten, einem geschätzten Kollegen, der etwas überrascht war, dass ich diesem "unscheinbaren Film" so sehr entgegenfiebere, erklärt: "Natürlich freue ich mich so enorm auf Freaky. Ich bin die Kernzielgruppe!" Denn wenn es im so stark verkürzten, deutschen Kinojahr einen Film mit einem Budget über 15 Millionen Dollar gibt, der wie auf mich zugeschnitten wirkt, dann wohl dieser. Der (aus Sorge vor Urheberrechtsklagen schnell fallen gelassene) Arbeitstitel war Freaky Friday the 13th, Menschenskinder, noch offensichtlicher kann man den Clash aus Filmgewalt und Familienkino kaum beschreiben, und ich liebe solche gewollten tonalen Aufprallsituationen.

Obwohl: Man kann den bei Freaky intendierten Clash sehr wohl noch besser erklären. Regisseur Christopher Landon, der zusammen mit Michael Kennedy auch das Drehbuch geschrieben hat, steckte seine Absicht hinter diesem Film im Gespräch mit Fandom wie folgt ab: Die zentrale Frage war für ihn stets "Wie kann ich den blutigsten Disney-Film aller Zeiten machen?"

Und genau so muss man Freaky sehen: Wenn nach dem gewaltreichen Prolog rund um den Blissfield Butcher Millie, ihre Familie und ihre Freunde eingeführt werden, verfolgen die Autoren Michael Kennedy und Christopher Landon dies nach der Disney-Teenie-Komödien-Formel. Millie ist ein schüchternes Mauerblümchen, das ohne zu murren mit seiner Mutter in eine Musicalvorführung, statt zum anstehenden Ball geht. Millies Schwester Char (Dana Drori) ist eine strenge Polizistin, die von Millies Schüchternheit und der klammernden Art ihrer Mutter genervt ist. Sowie davon, dass sie seit dem Tod von Millies und Chars Vater (natürlich gibt es ein totes Elternteil!) so übermäßig deprimiert ist.

Als "Nun, da wir aufgrund der Gewalt ein R-Rating haben, können wir auch an anderer Stelle stärker reinklotzen"-Boni gibt es ein paar vulgäre Worte und einen Subplot darüber, dass sich Millies Mutter mit Alkoholmissbrauch durch den Tag hilft. Aber der Disney-Duktus der Dialoge, die Disney-Schablone der Familienkonflikte bleibt deutlich, selbiges gilt für Millies Freunde Nyla und Josh: Josh ist das extrovertierte Naturell in dieser Clique und macht gegenüber Passanten flapsige Sprüche, wenn er Millie abholt (nur, dass diese flapsigen Sprüche in Freaky sehr eindeutig-zweideutiger Art sind), Nyla ist die Vernünftige. Millie wird in der Schule sehr Disney-Channel-Film-mäßig gemobbt, hat natürlich heimlich ein Auge auf einen Jungen geworfen. Alle reden so, als hätte man einem Disney-Teeniefilm die Euphemismen und Selbstzensuren gestohlen und aus "Heck" wieder "Hell", aus "Fudge" wieder "Fuck" gemacht, und so weiter ... 

Es ist eine Filmtemperatur, für die man gemacht oder in die man sich zumindest einfühlen muss. Schließlich ist es nicht wirklich eine Parodie, aber schon eine zwinkernde Überspitzung - einer meiner Lieblingsmomente passiert, wenn der Butcher als Millie zur Schule geht, und vorm Haupteingang die Cheerleading-Truppe das reinste Happening mit Flickflacks, Pyramide und viel Konfetti veranstaltet, während Butcher-Millie mit eisernem Blick durch das Getümmel spaziert. Das muss man schon amüsant finden können.

Aber ich finde, dass sich das enorm lohnt: Der gesamte Freaky-Cast ist gut aufgelegt und weiß genau, welche Art Film das ist. Ich habe die guten Figuren mit verschmitztem Lächeln geliebt und die Fieslinge liebend gern gehasst. Generell stehen sich die zwei Identitäten von Freaky nicht im Weg, sondern ergänzen sich bestens: Der Komödien/Freaky Friday-Teil sorgt mit Charme und Sympathie dafür, dass ich im Slasher-Teil umso mehr mit den Figuren mitfiebere (statt nur auf den nächsten Kill zu warten), die Spannung des Slasher/Freitag, der 13.-Teils sorgt dafür, dass der Witz im humorvollen Teil noch lustiger wird, weil er eine kathartische Wirkung hat.

Landons Regie und die Licht- sowie Bildführung von Kameramann Laurie Rose (Ben Wheatleys Rebecca) helfen dabei enorm, die zwei Tonfälle zu vereinen: Freaky sieht für sein schmales Budget sehr hochwertig aus, die Schule ploppt farblich enorm auf, die Nachtszenen sind sattschwarz, mit gezielt gesetzten Akzenten für Atmosphäre oder die nötige Übersicht, um die gut umgesetzten Kills auskosten zu können. Das ästhetische Highlight in Freaky ist jedoch die bereits zum Kult gewordene, rote Lederjacke vom Butcher-als-Millie, die aus dem Stand heraus eine geradezu ikonografische Ausstrahlung hat und Film sowie Charakter perfekt repräsentiert. Kostümchefin Whitney Anne Adams hat mit diesem Fund einen Volltreffer gelandet.

Hinzu kommt ein launiger Soundtrack, doch vor allem gilt: Vaughn und Newton sind formidabel in ihren Rollen, spielen (ähnlich wie Lindsay Lohan und Jamie Lee Curtis in Freaky Friday von 2003) hervorragend in dieser Grauzone zwischen überzeugend und komödiantisch überhöht. Ich hoffe, dass wir bald einen zweiten Teil (oder ein Crossover mit Happy Deathday) zu sehen bekommen!

Freaky startet am 24. Juni 2021 in den deutschen Kinos, und sobald es für euch sicher möglich ist, solltet ihr euch diesen Mordsspaß auf der Leinwand anschauen!

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