Sonntag, 22. September 2013

Die Ducks in Deutschland


Während das Lustige Taschenbuch nicht bloß blüht und gedeiht, sondern zudem eine Ablegerreihe nach der anderen sprießen lässt, kämpft das Micky Maus Magazin seit Jahren mit einer schwindenden Leserschaft. Im Spätsommer/Frühherbst 2012 verließ sich der Ehapa-Verlag im Kampf gegen die sinkenden Verkaufszahlen nicht bloß auf das übliche Plastikspielzeug, das dem Heft als Extra beiliegt, sondern setzte auf Comicinhalte: Eine Deutschland umspannende Schatzsuche ließ die Ducks ihre weiß befederten Schädel zermartern und sollte im Gegenzug erwachsene Leser neugierig machen. Der Plan ging, rein wirtschaftlich und kurzfristig gesehen, auf: Diverse lokale Medien berichteten davon, wenn die watschelnde Familie Station in der Heimat ihrer Kunden machte, und auch das abscheuliche Boulevardblatt BILD verfolgte die gesamte Reise. Obendrein wurde mehrfach davon berichtet, dass am Handlungsort des aktuellen Teils der acht Kapitel umfassenden Reihe das Micky Maus Magazin rasch ausverkauft war, weshalb Ehapa weitere Hefte nachschicken musste, um die Nachfrage zu befriedigen.

So ein Comicevent lässt Ehapa nicht einfach so an sich vorüberziehen, ohne noch mehr Kapital aus der Sache zu schlagen. Und so veröffentlichte der Verlag die Deutschlandodyssee der Ducks einige Monate später als Albennachdruck, der Konsumenten ansprechen soll, die das Event versäumten oder sich zu fein waren, Woche für Woche das Micky Maus Magazin zu kaufen. Bei allem Staub, den Die Ducks in Deutschland also aufwirbelte, ist es umso enttäuschender, dass diese Eventgeschichte einen denkbar miesen Repräsentanten der kultigen Abenteuer von Donald, Dagobert und Tick, Trick & Track darstellt.

Die Grundidee hinter der achtteilige Geschichte ist durchaus ein typisches Beispiel für die Erlebnisse der Ducks: Als sein Rivale Klaas Klever zum "Schatzsucher des Jahres" ernannt werden soll, platzt Dagobert Duck der Kragen. Der darauf folgende, unvermeidliche Tumult im "Club der Milliardäre" kann erst durch den Ehrenpräsident beendet werden, indem dieser den Titel "Schatzsucher des Jahrtausends" ausschreibt. Die Streithammel Klaas Klever und Dagobert müssen, um den Titel zu erhaschen, den als unauffindbar geltenden Schatz der Gräfin Tusnelda von Tarn und Tuxis heben, der irgendwo in Deutschland verborgen sein soll. Der einzige Hinweis ist ein blumiger Reim, der der Sage nach verraten soll, wo sich das wertvolle Gut versteckt. Die Schnitzeljagd beginnt ...

... und ist selbstredend ein ideales Format für eine Sehenswürdigkeiten-Tournee in Comicform. Wie gut dies funktioniert, bewies unter anderem die Europareise in Die Jagd auf Karte Nr. 1 aus der Feder des italienischen Disney-Veteranen Romano Scarpa (nachzulesen in Lustiges Taschenbuch Nr. 177 und Lustiges Taschenbuch Spezial Nr. 50). Von diesem Highlight ist Die Ducks in Deutschland allerdings meilenweit entfernt, inhaltlich wie optisch.

Eine Schatzsucher-Schnitzeljagd benötigt etwa unter anderem reizvolle Rätsel, und auch, wenn von einem neuen Comic aus dem Micky Maus Magazin keine komplexen Rätsel im Stil eines Dan Brown oder der wild mit Fakten und Übertreibungen um sich schmeißende Spaß eines Vermächtnis der Tempelritter zu erwarten stehen, so darf es gern pfiffiger sein als bei diesem Comic. Die von Misa und Jan Gulbransson erdachten Hinweise, die Team Klever und Team Duck quer durch die Bundesrepublik schicken, sind geografisch zu spezifisch, als dass Kinder (oder geografisch unbedarfte Erwachsene) miträtseln könnten, die Lösungen aber sind zu eintönig und flach (es endet immer bei "gehe zu Gebäude X und suche dort weiter"), als dass wirklich Spannung aufkommen könnte. Eine weitere Konsequenz dessen ist, dass die acht besuchten Gegenden (Berlin, Hamburg, das Ruhrgebiet, München, Frankfurt, Köln, Stuttgart, Dresden) bloß Kulissen bleiben und der Handlungsort nur selten einen tiefer gehenden Einfluss auf das zu lösende Rätsel hat. Stattdessen beschränkt sich das Lokalkolorit auf Dialekt-Kauderwelsch und die Schatzsuche behindernden, nicht sonderlich hellen Passanten. Die einzelnen Plots der jeweiligen Kapitel sind bunt zusammengewürfelt (im Ruhrgebiet begegnen die Ducks den aus Barks- & Rosa-Comics sowie den DuckTales bekannten Kullern, in München schneit Gundel Gaukeley vorbei, in Köln mischen die Panzerknacker mit, in Stuttgart kommt es zu einer Zeitreise!) und fügen sich weder zu einem Gesamtbild zusammen, noch scheinen sie zur Stadt passend gewählt.

Das alles ließe sich auf die leichte Schulter nehmen, säße der Humor dieser Deutschlandreise. Doch die haltlos chaotischen, episodenhaften und viel zu viel auf Zufälle bauenden Plots der acht Kapitel strapazieren schnell die Geduld. Besonders lästig ist, dass die Figuren sich nie wie sich selbst anfühlen, sondern eher wie Abziehbilder ihrer selbst handeln. Nebenplots wie Donalds Jagd nach Snacks in Berlin & Hamburg oder Dagoberts unerklärlicher Verlust seines Gold-Geruchssinns wirken wie verzweifelte Versuche, die dröge Spurensuche zu beleben, sind in Wahrheit aber nur witzlos. Größtes Problem der Odyssee ist aber, dass die Schatzsucher einfach überall übertriebene Unordnung hinterlassen, was angesichts der unkonventionellen Panelanordnung alsbald ermüdend wird.

Womit wir bei der grafischen Umsetzung angelangt wären. Der deutsche Duck-Künstler Gulbransson gestand kurz vor der Erstveröffentlichung, dass die Zeichnungen unter enormen Zeitdruck entstanden, und dies spürt man dem Comic Panel um Panel an. Die Figuren sind grobschlächtig mit schwacher Feder gezeichnet, mit stets schwankenden Proportionen und gerne auch mit schielenden Augen. Die "Gastauftritte" von disneyfizierten deutschen Prominenten sind selten zu identifizieren (von Dortmunds bärtigem Grinse-Trainer Jürgen Klopp und Angela "Dreiecksgeste" Merkel mal abgesehen) und Klaas Klever weicht deutlich von seinem gewohnten Look ab. Die Farbgestaltung ist trist, während die Hintergründe seelenlos und voller perspektivischer Fehler sind. Vereinzelte Sehenswürdigkeiten, gerne die, die im ersten Panel einer Geschichte zu sehen sind, traf Gulbransson perfekt, viele sind dafür schwer wieder zu erkennen, wie etwa das CentrO in Oberhausen, der Hamburger Hauptbahnhof oder die Dresdner Frauenkirche.

Vorm desaströsen Fazit sei dennoch ein kleiner Kapitelüberblick gestattet, mit den Höhe- und Tiefpunkten jeder einzelnen Station ...

  • Berlin Pro: Nettes Rätsel zu Beginn. Contra: Menschenleere Plätze, lieblos skizzierte Grünflächen, dummer Subplot mit Donald
  • Hamburg Pro: Großartiger Seitenhieb auf die Leistungen der Deutschen Bahn, halbwegs schlüssige Darstellung des Lokalkolorits Contra: Erneut eine dämliche Darstellung Donalds, Kernfigur der Beatles-Parodie sieht aus wie dahergelaufener Punker, mieser Schlussgag
  • Ruhrgebiet Pro: Donald verabscheut Mäuse, was ein hübscher Randgag ist Contra: Besonders chaotisches Design, forcierter Gastauftritt der Kuller, absurdes Finale ohne Sinn und Verstand, extrem lieblose Farbgestaltung
  • München Pro: Starkes Eröffnungspanel, nette Randgags darüber, welch Touristenhochburg München ist, treffende Parodie des Lokalpatriotismus Contra: Wirres Hin und Her auf dem Oktoberfest, witzloser Einsatz von Gundel Gaukeley, Handlung plätschert daher
  • Frankfurt Pro: Treffende Pointen über die Wirtschaftslage Contra: Grauenvolles Nebenfiguren-Design, extrem lächerliche Story 
  • Köln Pro: Relativ viele gelungene visuelle Gags, solider Dialogwitz Contra: Panzerknacker sind Off-Model
  • Stuttgart Pro: Nichts Contra: Alles
  • Dresden Pro: Amüsanter Abstecher in die Oper Contra: Stadt wird einfach so abgehakt und somit stiefmütterlich behandelt, hanebüchener Schlusstwist

Fazit: Die Grundidee mag attraktiv sein, die Umsetzung ist dagegen abschreckend. Dümmlich erzählt und ohne Charme gezeichnet ist Die Ducks in Deutschland ein als Prestigeprojekt beworbener Schandfleck in der Duck-Historie.

Samstag, 21. September 2013

Die Quellen der Disneyfilme: Die Schöne und das Biest

 
Von Legenden zu historischen Ereignissen, von Märchen bis zu klassischer Literatur - die Zauberkünstler von Disney haben sich der vielfältigsten Quellen bedient, um Stoff für ihre Filme zu finden. Gemein haben sie jedoch alle, dass das Ursprungsmaterial nicht ohne Veränderung in den Disney-Kanon eingeflossen ist.

 

Diese Reihe von Im Schatten der Maus befasst sich mit dem Entstehungsprozess einiger dieser Meisterwerke:
Die Quellen der Disneyfilme

Das Motiv von Schöne und Biest hat eine lange, weitverzweigte Historie. Eine der ältesten Ausprägungen der Geschichte findet sich schon in der Legende von Amor und Psyche, und auch in der neuzeitlichen Märchenkultur taucht das Thema immer wieder auf, wie im Grimm‘schen Froschkönig oder dem norwegischen Östlich von der Sonne und westlich vom Mond. Doch trotz all dieser Vorgänger hat sich das französische Märchen Die Schöne und das Biest heute als quasi definitive Bearbeitung etabliert - zum einen wohl dank des sehr direkten, offensichtlichen Titels, aber wie ich denke auch, da die heute gängige Erzählweise alle wichtigen Motive in sich vereinigt. Der Kontrast zwischen inneren und äußeren Werten wird stärker aufgezeigt als beispielsweise bei Amor und Psyche, die Moral der Geschichte ist sehr viel eingängiger und stimmiger als im Froschkönig. Dabei existiert von dem Märchen nicht einmal eine definitive Fassung, sondern es gibt zwei Versionen, die dieselbe Geschichte auf erstaunlich unterschiedliche Art erzählen, nämlich das Buch von Gabrielle-Suzanne de Villeneuve und das kürzere Märchen von Jeanne-Marie Leprince de Beaumont.

Villeneuve veröffentlichte 1740 in einem Sammelband Die Schöne und das Biest in einer sehr ausführlichen Romanversion, die der Geschichte den nötigen Raum lässt, sich aber gerade in der zweiten Hälfte leider stark in Expositionen und unnötigen Hintergrunderzählungen verzettelt.
Die Protagonistin, die ihrer Schönheit wegen allgemein nur Schöne genannt ist, ist die jüngste Tochter eines verarmten Kaufmanns, der außer ihr noch elf Kinder hat, darunter fünf neidische und missgünstige Schwestern. Als der Kaufmann auf Reisen geht, fragt er nach Aschenputtel-Manier seine Töchter nach ihren Wünschen, und während die anderen Mädchen Schmuck und Kleider bestellen, bittet Schöne den Vater nur um eine Rose. Die Reise bleibt erfolglos, der Kaufmann verirrt sich im Schnee und findet dort ein verzaubertes Schloss, in dem ihm Zuflucht geboten wird. Erst als er sich an einer der Rosen im Garten vergreifen will, erscheint der Schlossherr in Gestalt eines wütenden Biests. Es will die Dreistigkeit anfangs mit dem Tode bestrafen, doch dann bietet es an, dass sich eine der Töchter des Kaufmannes anstelle ihres Vaters freiwillig ausliefern kann. Gegen seinen Willen gehorcht der Mann und bringt Schöne zum Schloss, um sie in der Obhut des Biestes zurückzulassen.
Schöne bekommt in ihrem neuen Zuhause alles, was sie sich wünschen kann; auf dem Weg durch das Schloss findet sie unter anderem eine Bibliothek und ein Spiegelkabinett, das es ihr ermöglicht, weit entfernte Orte zu beobachten, außerdem leisten ihr eine Reihe wundersamer Tiere Gesellschaft und immer wieder betrachtet sie das Bild eines wunderschönen Jünglings, das in einem der entlegeneren Zimmer hängt. Ebendieser junge Mann erscheint ihr auch in ihren Träumen (wo sie ihn mit Amor vergleicht - siehe Amor und Psyche) und er bittet sie immer wieder, ihm zu helfen, und sich nicht von Äußerlichkeiten täuschen zu lassen. Natürlich erkennt Schöne keinen Zusammenhang zwischen dieser Traumgestalt und dem abscheulichen Biest, das ihr jeden Abend Gesellschaft leistet, einige Sätze mit ihr wechselt und sie regelmäßig vergeblich um ihre Hand bittet. Dabei ist für Schöne neben dem Äußeren des Biests vor allem auch seine offensichtliche Dummheit zu abstoßend, als dass sie seine Bitte näher überdenken könnte. Doch als der Jüngling aus ihren Träumen sie schließlich auffordert, das Biest zu töten, stellt sie eindeutig fest, dass sie ihrem Gastgeber gegenüber zu viel Respekt und Dankbarkeit empfindet, um zuzulassen, dass ihm etwas geschähe.
Nachdem viele Monate vergangen sind, bittet Schöne das Biest, für einige Zeit zu ihrem Vater zurückkehren zu dürfen und er erfüllt ihr die Bitte. Nachdem die gewährten zwei Monate zuhause verstrichen sind, sieht sie im Traum das Biest, das am Sterben ist, weil es nicht mehr an ihre Rückkehr glaubt. Sofort eilt Schöne zurück, und während sie das todkranke Biest gerade noch retten kann, werden ihr ihre eigentlichen Gefühle klar. An diesem Abend antwortet sie auf seinen Heiratsantrag mit Ja, sie legt sich schlafen und wacht am nächsten Morgen mit dem zurückverwandelten schönen und sprachgewandten Prinzen an ihrer Seite auf.

Bis hier nimmt die Villeneuve-Version des Märchens einen wunderschönen, wenn auch zeitweise ein wenig altmodischen Verlauf - doch nun (nach gerade einmal der Hälfte der Seiten) wird die ganze Sache erstaunlich absurd und überzogen.
Am nächsten Morgen kommen die Mutter des Prinzen und eine gute Fee zu Schöne, und nachdem die Königin sich wiederholt weigert, ihrem Sohn die Hochzeit mit einer Kaufmannstochter zu erlauben, eröffnet ihr die Fee, dass es sich bei Schöne in Wirklichkeit um eine Prinzessin und eine Feenabstämmige handle; um die Kusine des Prinzen väterlicher- und um die Nichte der Fee selbst mütterlicherseits. Es folgt eine langwierige Vorgeschichte des Prinzen, die etwas an Dornröschen erinnert: Er hat einst den Zorn einer alten Fee auf sich gezogen, als er sich weigerte, sie zu heiraten, und zur Strafe legte sie den Fluch von Hässlichkeit und scheinbarer Dummheit auf ihn. Die gute Fee tat alles, den Fluch zu erleichtern, indem sie das Hofvolk in Statuen verwandelte, das Schloss des Prinzen in einem Zaubernebel versteckte und ihm auch sonst jede Annehmlichkeit gewährte, bis Schöne ihn schließlich erlösen konnte.
Es wird noch seltsamer, als der eigentliche Vater von Schöne, der Onkel des Prinzen und selbst ein König, auftaucht und auch dessen Vorgeschichte aufgedeckt wird, inklusive der alten bösen Fee, einer verschwundenen Mutter und einer weiteren Reihe von konstruierten Zufällen, die endlich in einer glücklichen Familienzusammenführung münden.
Es handelt sich zweifellos um eine viel zu lange, konstruierte Exposition, die die Wirkung des Märchens beinahe zerstört, da am Ende die gesamte Entwicklung als vorgeplant entlarvt wird. Aber wie gesagt, liest man nur die erste Hälfte der Geschichte, so ist es eine wunderbare Erzählung.


Gerade das dachte sich wohl auch Beaumont, als sie 1757 die Kurzversion von Die Schöne und das Biest aufschrieb, die heute wohl die bekannteste notierte Fassung sein dürfte. Diese Version ist durch und durch ein „normales“ Märchen; kurz, prägnant, und auf das Wichtigste konzentriert, wenn auch wohl nicht so reizvoll wie Villeneuves ausführlichere Geschichte.
Inhaltlich gibt es zwischen den beiden Fassungen nur geringfügige Änderungen, wie die, dass Beaumont die Menge von Kindern auf drei Söhne und drei Töchter reduziert hat. Sowohl Bibliothek als auch Zauberspiegel werden auch hier erwähnt, wobei eine noch stärkere Betonung auf Schönes Intelligenz und Bücherliebe gelegt wird. Beaumont beschreibt das Biest auch als sehr zuvorkommend und nicht dumm, sondern nur nicht besonders geistvoll.
Die Geschichte folgt dem gleichen Prinzip; Schöne erkennt schnell die gute Natur des Biestes, doch erst als sie für einige Zeit zu ihrem Vater geht und bei ihrer Rückkehr auf das sterbende Biest trifft, wird ihr das Ausmaß ihrer Gefühle wirklich bewusst. Sie gesteht ihre Liebe und mit einem großen Feuerwerk verwandelt sich das Biest zurück in den schönen, geistreichen Prinzen.
Was die Fee betrifft, so wird in dieser Fassung kein Grund für den ursprünglichen Fluch genannt und der Prinz redet nur von der „bösen Fee“. Doch da die Fee am Ende erscheint und Schönes Schwestern als Strafe für ihr missgünstiges Handeln in Statuen verwandelt, kann man zumindest annehmen, dass sie auch für ihre andere Verfluchung einen entsprechenden Grund hatte.



Der Disneyfilm basiert offiziell nicht auf einer speziellen Version des Märchens, und da beide Fassungen in den entscheidenden Punkten stark übereinstimmen, ist so eine Unterscheidung auch schwer zu treffen. Die Grundgeschichte ist von beiden Fassungen gleich frei übernommen, und gerade die spezielleren Motive, die aus dem Märchen herausgepickt wurden, um im Film eine besondere Betonung zu erhalten, finden sich großteils in beiden Aufschrieben: die Bibliothek, die Schöne im Schloss findet, der Zauberspiegel, der ihr Bilder von draußen zeigt, die in einem Feuerwerk aufgehende Entzauberung, und natürlich vor allem die Rose. Von all diesen Elementen, die im Film in einen größeren Bedeutungshintergrund eingebettet wurden, ist nur das Bildnis des Jünglings, das Schöne in einem versteckten Raum findet, auf Villeneuves Version beschränkt.
Zu erwähnen ist vielleicht noch, dass der Prinz in beiden Versionen keinen Namen hat, ebenso wenig wie irgendeine andere Figur. Da sich der Disneyfilm aber auch bei den anderen Figuren in keiner Weise um diese Namenlosigkeit schert, bleibt die Frage, weshalb gerade eine der beiden Hauptfiguren hier namenlos bleiben muss ...


Aber von Anfang an: Dass das heimische Umfeld von Belle für den Film geändert wurde, liegt im zu erwartenden Bereich einer Disney-Adaption. Aus dem namenlosen Kaufmann wurde der zerstreute Erfinder, doch abgesehen davon, dass Maurice etwas mehr Charakter abbekommt, hat sich nichts Prinzipielles geändert. Die Rolle von Schönes Schwestern wird im Film von ihrem gesamten Dorf übernommen, all den Dorfbewohnern, die neidisch auf Belle sind, ohne ihre Güte und Intelligenz verstehen zu können. Aber die größte Neuerung ist natürlich Gaston, der Dorfheld und aufdringliche Verehrer von Belle.
Die Disneyfassung hat einiges von Cocteaus berühmter Verfilmung übernommen - und der eine Punkt, der sich quasi von selbst anbietet, ist eben diese spezielle Verehrer-Gestalt. Ein äußerlich attraktiver, aber charakterschwacher Gegenpol zum Biest ist ideal geeignet, um Belles Wahl zwischen innerer und äußerer Schönheit zu verdeutlichen und den Kontrast der beiden Optionen aufzuzeigen.
Dieser Punkt kam an sich schon bei Villeneuve vor, wo es Schönes Träume waren, die ihr das Bild eines perfekten Geliebten zeigten. Natürlich handelte es sich dabei um das Biest (oder den Prinzen) selber, doch die Funktion war die gleiche. Außerdem verändert sich die Traumgestalt im Verlauf der Geschichte so sehr ins Antagonistische, dass am Ende wirklich die gleiche Wahl zwischen Innerem und Äußerem übrigzubleiben scheint.
In Cocteaus Film füllt Avenant diese Rolle direkt aus; er wird sogar von demselben Schauspieler gespielt wie das Biest und später der Prinz, auch wenn diese Ähnlichkeit hier wenig Sinn ergibt. Gaston hat bei Disney dagegen noch etwas mehr Charakter und Eigenleben. Er wirkt zu Beginn des Films beinahe wie ein typischer klassischer Held, und erst nach einer durchaus begründeten Entwicklung wird er zum vollwertigen Bösewicht. Andererseits ist seine Rolle aber von Anfang an so komisch und überzogen ausgelegt, dass er für Belle nie eine wirklich Alternative darstellt.


Gastons Figur ist nicht das Einzige, was der Disneyfilm aus dem alten Film übernommen hat. Um die Geschichte zu verfilmen, musste man bei Disney das Problem lösen, wie die Zeit, die Belle im Schloss verbringt, interessant dargestellt werden kann. In der Geschichte gibt es verschiedene Tiere und Geister, die ihr Gesellschaft leisten, doch selbst so wird der Tagesablauf bald eintönig. Disney hat nun diese Gestalten genommen, sie mit den beseelten Möbelstücken aus Cocteaus Film gemischt und ihnen Charakter verliehen - und das Ergebnis ist eine ganze Riege an Nebenfiguren, die den Film maßgeblich tragen helfen.
Lumière, von Unruh, Madame Pottine und Tassilo bringen nicht nur mehr Spaß in die Geschichte, sie sorgen auch für eine emotionale Bindung, die den Zuschauer noch weit gespannter auf die Auflösung des Fluchs hoffen lässt. Doch der wichtigste Zweck der Figuren ist noch ein anderer: Sie dienen den beiden Hauptfiguren als neutrale Ansprechpartner. Belle hat so Gelegenheit, ihre Gefühle zu verbalisieren, und dem Biest können seine Diener dabei helfen, langsam aber sicher auf die richtige Spur zu finden. So wird auch von Anfang an klar, dass sich mehr hinter der harten Fassade des Biestes verbirgt, und dass er nur den richtigen Schubs braucht, um sich zu öffnen. Die Rolle der Schlossbewohner besteht kurz gesagt vor allem darin, die Charaktere der beiden Hauptpersonen besser herauszubringen - und diese Aufgabe meistern sie mit Bravour.


Man kann wohl sagen, dass Belle die so ziemlich am besten charakterisierte Disneyprinzessin überhaupt darstellt. Ein Punkt, der dabei geholfen haben mag, ist wohl, dass sie schon in Villeneuves Erzählung einiges an Charakter besaß; auch wenn sie ihren Namen ihrem Äußeren verdankt, so ist es doch Intelligenz und Güte, die immer wieder betont werden. Doch trotz allem ist sie keine reine Mary-Sue. Sie verliebt sich in das Biest, doch das so langsam und zögerlich, dass es ihr selbst erst bewusst wird, als es beinahe zu spät ist. Dabei hat Schöne es im Original wohl noch schwerer, wenn ihr ihre Träume eine durch und durch perfekte Alternative zu der unvollkommenen Realität bieten. Bei Disney gibt es für Belle nur Gaston, sie kann also ihren Charakter beweisen, ohne dass sie beziehungstechnisch eine wirkliche Alternative hätte.
Aber ein noch wichtigerer Unterschied liegt in der Frage, was es genau ist, in das sich Belle schließlich verliebt - schließlich sind „innere Werte“ ein recht weitläufiges Gebiet. Im Märchen muss sich das Biest durch den Fluch dumm, oder zumindest geistlos geben und es ist nur seine gute Natur, die ihm schließlich Schönes Zuneigung gewinnt. Im Film dagegen wäre eine solche Geistlosigkeit für Belle kaum akzeptabel, wie schon Gaston als Negativbeispiel zeigt. Aber auch hier beginnt das Biest nicht sofort, sie mit seinem Charme zu verzaubern, im Gegenteil. Gerade weil das Innere des Biests durch den Fluch unverändert bleibt, ist er anfangs launisch, unleidlich und ungebildet, und es ist erst Belle, die Stück für Stück hilft, das Beste aus ihm herauszuholen.
So ist die Figur, die in Märchen und Film am unterschiedlichsten dargestellt wird, das Biest selber. Er bekommt erst hier wirklich Charakter und Tiefe verliehen, eben gerade weil er sich selbst verändern muss, um der Erlösung wirklich würdig zu sein. Anders als das Märchen beginnt der ganze Film ja schon mit dem Fluch, wie um zu unterstreichen, dass hier eine andere Betonung vorliegt als bisher. In dieser Version ist der Fluch nämlich berechtigt, und es ist vor allem am Biest selbst, mit Belles Hilfe eine Lektion zu lernen. Das Biest zeigt anfangs den unausstehlichen Charakter eines verzogenen Jungen, zornig und impulsiv, und erst Stück für Stück wird sein Inneres durch Belle aufgedeckt und herausgebracht.
Im Märchen ist die Geistlosigkeit des Biests auch Teil der Strafe; er muss damit leben, innerlich wie äußerlich entstellt zu sein und wenn ihn Schöne schließlich verändert, dann nur durch den befreienden Akt der Fluchauflösung. Im Film dagegen ist es wirklich an Belle, im Biest Geist und Gefühl zu erwecken und es ist die Aufgabe des Biests, sie diese Eigenschaften herausbringen zu lassen. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass sich die beiden am Ende wirklich gegenseitig würdig sind.



Ein besonderer Punkt, der dem Märchen (in welcher Ausprägung auch immer) gerne vorgeworfen wird, bezieht sich auf die Frage des Stockholm-Syndroms, oder die Theorie, nach der ein Entführungsopfer als Kompensationsmechanismus dazu neigt, eine enge Bindung zu seinem Entführer aufzubauen. Doch wirft man nur einen zweiten Blick auf das Märchen, so wird klar, dass dieser Vorwurf keinerlei Sinn ergibt. Im Original wie auch in der Disneyversion werden Belle ihre Gefühle ja erst in den Moment klar, als sie längere Zeit vom Biest getrennt ist.
Generell ist zu bemerken, dass Die Schöne und das Biest eine für ein Märchen beeindruckend realistische und nachvollziehbare Liebesgeschichte erzählt. Die beiden Hauptfiguren nähern sich einander langsam an, und völlig ohne es zu bemerken beginnt Schöne mit der Zeit, wirkliche Gefühle für das Biest zu fassen. Diese Entwicklung ist im Märchen vielleicht noch etwas platter als im Film - wenn das Biest allabendlich um Schönes Hand anhält, kommt sie nicht darum herum, ihre Gefühle immer wieder aktiv zu hinterfragen - aber dennoch ist es erst die Trennung und die Angst vor dem Verlust, die sie ihre Liebe gewahr werden lässt.
Bei Disney wurde diese an sich schon vielschichtige Beziehungsentwicklung genommen und weiter perfektioniert. Es ist eine durchgehende, langsame Entwicklung auf beiden Seiten, die schließlich in der großen Ballsaal-Szene mündet. Doch selbst dieser romantische Höhepunkt reicht nicht aus, um den Fluch zu brechen; auch hier ist es erst die Entfernung und die Gefahr für das Biest, die Belle dazu bringt, ihre Gefühle endlich offen zu bekennen. Es ist gerade dieser Augenblick, in dem ihr klar wird, dass sie sich wahrhaftig verliebt hat, der ausreicht, das Leben des Biests zu retten und den Zauber zu heben.


Die Schöne und das Biest ist ein wunderschönes Märchen, und die Disneyversion ist als Liebesfilm wahrhaft beeindruckend. Sie verändert das Ursprungsmaterial, teilweise massiv, aber gleichzeitig so gekonnt, dass es sich um eine reine Verbesserung und Perfektionierung handelt.
Wenn der Film während vieler vergeblicher Versuche lange auf seine Realisierung warten musste, so hat sich dieses Warten auf jeden Fall gelohnt. Sicher wäre es auch früher auf irgendeine Art möglich gewesen, die Geschichte zu verfilmen, nach dem Stil der früheren Disney-Märchen, die eine kurze Geschichte mit bunten Extras auffüllen. Doch so wie Die Schöne und das Biest schließlich auf die Leinwand kam, war es wohl nur zu dieser Zeit möglich: frei interpretiert, genau dort verändert, wo es möglich und nötig war, das Ursprungsmaterial emotional und charakterlich zu vergrößern. Für mich wird dieser Film immer den großartigen Höhepunkt von Disneys Meisterwerken darstellen
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