Mittwoch, 15. Juli 2015
Waldbühne Berlin: Disney in Concert
Es gibt kein Filmstudio, das so magische Produktionen erschafft wie Disney. Und es gibt kein Studio, dessen Werke der Welt so unvergessliche Melodien bescheren, wie die aus der in Burbank beheimateten Traumfabrik. Ergo: Es gibt keine magischeren Klänge als Disney-Musik. Insofern ist es verwunderlich, dass Disney jahrzehntelang zwar Eiskunstlaufshows um den Globus touren ließ, während sich der 1923 gegründete Traditionskonzern in Sachen Konzertveranstaltungen eher zurückhielt. Mittlerweile werden aber verstärkt Disney-Konzertreihen angeboten, wobei diese im deutschsprachigen Raum bislang primär dem Schema einer Event-Kinovorführung folgten: Ein Film aus dem Disney-Archiv wird in einer Philharmonie auf einer Riesenlandwand gezeigt, während ein Orchester live die Musikspur rekreiert. Mit der Fluch der Karibik-Reihe und Fantasia ging dies bereits auf Tournee, in München wurde zudem Tim Burtons Alice im Wunderland auf diese Weise zelebriert.
Diesen Sommer ging Disney in Concert endlich den nächsten Schritt: Erst in Leipzig, am 11. Juli dann auch vor der traumhaften Kulisse der Waldbühne Berlin, gab es ein waschechtes Disney-Konzert zu bestaunen. Ein bunter, vielseitiger Mix aus beliebten Disney-Instrumentalstücken und -Songs, live dargeboten von einem Symphonieorchester und talentierten Sangeskünstlern. Die obligatorische Bewegtbildbegleitung auf einer Leinwand blieb auch diesem Event erhalten, von zwei Fantasia-Ausschnitten abgesehen waren diese aber nicht sklavisch an die Livemusik gebunden, sondern sollten nur zur visuellen Bereicherung und zur Verstärkung der Atmosphäre gedacht.
Und was soll ich sagen ..? Disney in Concert auf der Waldbühne Berlin stellte nicht nur vom Grundkonzept her den nächsten Schritt in Disneys hiesiger Konzerthistorie dar: Es war auch qualitativ ein gewaltiger Sprung nach vorne. Dabei bin ich ja schon inniger Fan der bisherigen Disney-Konzerte. Aber so wundervoll wie dieses Konzert war bislang keine Disney-Veranstaltung, die ich auf deutschem Boden erleben durfte!
Dies ist unter anderem dem Moderator zu verdanken: Steven Gätjen, der 2014 schon The Sound of Hollywood moderierte, führte mit einer idealen Balance aus seriöser Eleganz und verspielter Albernheit durch das Programm. Er streute genügend Informationen ein, um die Zuschauer, die keinen Abschluss in Disneyologie haben, kurzweilig weiterzubilden, und verzichtete zugleich auf Banalitäten, die mich als Disney-Narren gelangweilt hätten. Und so lustig seine Anekdoten von Disney Filmparade-Drehs oder kuriosen Hintergrundfakten über diverse Disney-Filme waren, raubte der Schlag den Raab-Moderator der Veranstaltung nie ihre märchenhaft-umwerfende Ausstrahlung. Im Gegenteil: Mit einer ehrfürchtigen Verneigung vor Walt Disney und authentischen Schwärmereien für seine Lieblingsstücke des Abends gab Gätjen mit seinen Moderationen dem Abend den letzten Schliff.
Aber ein Konzert ist nur dann ein gelungenes Konzert, wenn die musikalischen Aspekte stimmen. Also die Auswahl der dargebotenen Stücke und deren Umsetzung. Und auch in dieser Hinsicht bin ich voll des Lobes! So gelang den Verantwortlichen mit der Setlist das diffizile Kunststück, einerseits dem nach Hits hungernden Publikum einige der wichtigsten, größten Disney-Nummern zu kredenzen. Und andererseits die nicht ihr ganzes Leben nach Disney ausrichtenden Besucher auch mit unbekannten Melodien zu überraschen und so Unerwartetes, Neues zu bieten. Für mich als Disney-Freak derweil war es eine tolle Mixtur aus den obligatorischen Klassikern und immer wieder gern gehörten Stücken aus weniger offensichtlichen Kompositionen, bei denen ich mich stets freue, wenn sie Aufmerksamkeit erlangen. So mischten sich in die instrumentale Ouvertüre, die einige der größten Mary Poppins-Hits und auch Melodien aus Peter Pan und Cinderella umfasste, hierzulande kaum bekannte Stücke wie Zip-A-Dee-Doo-Dah und der Mickey Mouse March. Während die Disney-Renaissance mit einem Arielle-Medley, Das Farbenspiel des Winds aus Pocahontas, einer Suite zu Die Schöne und das Biest sowie einem Gänsehaut erzeugenden Der König der Löwen-Querschnitt auf ihre Kosten kam, sowie mit einem Mini-Aladdin-Medley plus einem Auftritt der Hauptdarsteller des kommenden Aladdin-Musicals in Hamburg, wurden auch Erfolge der jüngeren Jahre geehrt, Es gab einen fetzigen Durchmarsch durch die wichtigsten Stücke des ersten Fluch der Karibik-Teils, aus Rapunzel gab es Endlich sehe ich das Licht zu hören und zum krönenden Abschluss fegte Lass jetzt los aus der Eiskönigin alle davon. Außerdem gab es aus Fantasia 2000 die Karneval der Tiere-Sequenz zu sehen und zu hören. Die Walt-Disney-Ära bediente man mit dem Zauberlehrling, I Wanna Be Like You aus Das Dschungelbuch, einem gesungenen Mary Poppins-Medley und mit dem ultraspaßigen Ohrwurm aus der Hölle Diese Welt ist klein, so klein.
Wer nun denkt "also doch nur große Hits" ist erstens disneyaffiner als mancher Konzertbesucher und muss zweitens bedenken, dass die Medleys eben nicht nur die auffälligeren Lieder der jeweiligen Filme absteckten. Sondern auch kleinere Instrumentalstücke oder originell arrangierte Abwandlungen von Songs. Überhaupt war das Arrangement top: Mal ganz nah am Film, mal lehnte man sich leicht aus dem Fenster, ohne solche Katastrophen wie auf dem Tribute-Album I Love Disney zu verursachen. I Wanna Be Like You (gesungen von einem toll aufgelegten Michael Patrick Kelly) oder eine deutschsprachige, orchestrale, hochromantische Spielvariante der Radiopop-Singleauskopplung von Die Schöne und das Biest bleiben da besonders wohlig in Erinnerung. Dass Popsänger Chima die neue Textversion von Unten im Meer gesungen hat, mag ich derweil nicht als seine Schuld sehen (da hat sicher irgendwer von Disney seine Finger im Spiel gehabt), aber Text hin oder her, seine Interpretation konnte sich leider nicht ganz zwischen Charts, Reggae und Filmtreue entscheiden. Noch immer gut, aber an einem Abend voller Brillanz leider die klare Schwachstelle.
Die wahren Stars des Konzerts waren aber eh nicht die größeren Namen. Ja, Annett Louisan säuselte eine süße Variante der Rapunzel-Ballade (und das sage ich als jemand, der mit ihren Chartnummern sehr selten was anfangen kann), jedoch haben sich die Veranstalter einen Orden für die vier "Hauptinterpreten" verdient! Musicalstar Lars Redlich, Musical- und TV-Darstellerin Lucy Scherer vom Berliner Stadttheater, die belgische Disney-Synchronstimme Deborah de Ridder und Theater-Multitalent Veit Schäfermeier sorgten zwar nicht mit ihren Namen für Begeisterungsstürme, aber dafür umso mehr mit ihren Auftritten. Fantastische, wandlungsfähige Stimmen und beschwingte, aber nie aufgesetzte Performances, deren Energie bis in die hinteren Ränge zu spüren war. Einfach großartig! Stellenweise fühlte ich mich wieder direkt in die begnadeten deutschen Synchronfassungen der Disney-Klassiker versetzt - und wenn jemand wie Lucy Scherer (die Redselige des Quartetts) überzeugend sowohl Pocahontas als auch eine deutsche Celine Dion sowie Elsa zum Besten geben kann, dann muss ich mir einfach erst einmal einen Hut kaufen, damit ich ihn dann voller Staunen ziehen kann! Doch Scherers Kollegen zeigten ebenfalls eine formidable Bandbreite, verschmolzen einerseits mit der Vorlage, gaben ihr aber zugleich eine eigene, neue, persönliche Note mit.
Kurzum: Es gibt für mich nur einen ernstzunehmenden Kritikpunkt am Berliner Disney in Concert. Ausnahmsweise dachte Disney nicht geldgierig genug! Das muss man sich erst einmal vorstellen! Wieso kann man sich keine Live-CD von diesem Event kaufen, weshalb wurde es nicht im Disney Channel übertragen und wen muss ich erpressen, damit es eine mit Bonusmaterial vollgestopfte Konzert-Mitschnitt-Blu-ray zu kaufen gibt? Ich will mir diese Darbietungen immer und immer wieder anhören! Disney, du greifst doch immer nach meinem Geld, wieso nicht auch jetzt?!
Und auf die Gefahr hin, dass ich mich darüber im nächsten Jahr wieder ärgern werde, sollte es denn wieder eine solche Veranstaltung geben: Ich gehe nochmal hin. Denn abseits der Disney-Parks ist es unmöglich, so gebündelte Disney-Magie zu tanken. Und selbst auf Disneys Grund und Boden ist es nicht durchgehend so supercalifragilisticexpialigetisch!
Donnerstag, 9. Juli 2015
Problembewältigung à la Donald
Kann uns ausgerechnet der Wutnickel unter den Disney-Helden beibringen, wie wir mit den Tücken des Schicksals umgehen sollten? Ich behaupte: Ja, verquackt noch eins!
Pech, Pech, nichts als Pech. Wenn etwas schiefgehen kann, so ist bei Donald über kurz oder lang garantiert, dass das Unglück ihn ereilen wird. Jedoch ist es nicht bloß so, dass Donald bei Tombolas leer ausgeht, sich mit dem Hammer den Daumen zu Brei haut und seine geliebte Klapperkiste 313 genau dann den Geist aufgibt, wenn er dringend auf sie angewiesen ist. Dieser einzigartige Erpel befindet sich mit seiner gesamten Lebenssituation in einer (vertickten, vertrickten und) vertrackten Grauzone. Er wohnt in einem respektablen (wenngleich von Schulden erdrückten) Haus, eine große Familie, die im ärgsten Notfall zusammen hält und er hat keine tödliche, unheilbare Krankheit. Er hat also zu viel, um als absolut hoffnungsloser Fall zu gelten. Doch er hat sein Herz an Daisy Duck verloren. An seine Dauerverlobte, die sich nicht vor den Altar zerren lässt und keine Gelegenheit versäumt, Donald durch Flirtereien mit dem adretten Schnösel Gustav Gans eifersüchtig zu machen oder ihm direkt mit dem sofortigen Beziehungsaus zu drohen. Er hat einen Onkel, der ihn ausbeutet, dem er sich aber niemals widersetzen könnte, da er zu mächtig ist. Wodurch Donalds Arbeitssituation, von gelegentlichen Ausnahmen abgesehen, kaum auszuhalten ist. Seine Schwester Della ist verschollen oder gar tot, weshalb ihre Drillinge bei ihm eingezogen sind - Dankbarkeit dafür, dass er Ersatzvater spielt, erhält er aber nahezu niemals. Und seine Freunde? Also, er und Micky Maus haben sich schon vor Jahrzehnten auseinandergelebt, seither eint sie praktisch bloß noch das Konkurrenzdenken. Goofy ist eher ein Freund besagten Freundes, Vetter Dussel stellt nur Chaos an, mit Erfinder Daniel Düsentrieb ist er noch immer beim "Sie" und wo sie José Carioca und Panchito Pistoles so herum treiben, davon bekommt Donald kaum noch etwas mit. Angespanntes Liebesleben, komplizierte Familienverhältnisse, erschöpfende Arbeitssituation. Zu viel Negatives, um Donald beneiden zu können. Und alles zu knifflig, um mit dem Zeigefinger in eine bestimmte Richtung zu zeigen und ihm zu sagen "Ändere einfach DAS!"
Ente in Blau: Donald, ganz niedergeschlagen. Ein seltener Anblick.
Und dennoch. Nach über 150 Cartoons und mehr Comics, als ein Mensch wohl jemals lesen könnte, begegnen wir diesem Erpel noch immer nur in den seltensten Fällen, wenn er völlig am Boden angelangt ist. Mit dem Kopf gen Süd gerichtet, mit verregnetem Lebensmut und deprimiertem Gedankengut. Gewiss, wenn sich all seine Dauerprobleme zur gleichen Zeit vorübergehend intensivieren, erlaubt sich auch Donald einen Tag in tiefschwarzer Stimmung (siehe etwa Don Rosas Kein Tag wie jeder andere). Dies aber stellen extreme, rare und vor allem extrem rare Ausnahmesituationen dar. Wie aber geht unser zorniger, wutgeladener und aufbrausender Liebling unter den Ducks mit all dem um, was ihn von Tag zu Tag plagt, mit den Dingen, die sein Leben prägen und schwer zu verlassene Bahnen lenken?
Ausgerechnet er, dieser in Augen seines Umfelds unbelastbare, rasch an die Decke gehende und nichtsnutzige Kerl, nimmt all sein Leid. Und lebt damit. Sein Lebensgrundgefühl ist nicht das große Wehklagen. Er schiebt die Schuld und die Verantwortung nicht unentwegt auf andere. Er lässt andere nicht im Stich, weil sie ihn zuletzt nicht genügend aufmunterten. Er keift nicht einmal rund um die Uhr, weil ihm nicht so geschieht, wie er es verdient hätte. Donald weiß, dass zum Erfolg Willen, Geschick, aber auch Glück gehören. Er versucht sein Bestes, und dass es dennoch nicht sein soll, bricht ihm nicht etwa metaphorisch das Genick. Nein. Er watschelt unbekümmert durch sein Leben. Donalds Grundstimmung ist, tatsächlich: Freudigkeit. Mit einem Lächeln auf dem Schnabel manövriert er sich durch seinen steinigen Lebensweg.
Die übermächtigen Konstellationen in seiner Biografie, die großen Ungerechtigkeiten stimmen ihn nicht missmutig. Er ist noch immer da, versucht weiter, sich seine wohlverdiente Lebensqualität zu sichern. Tag für Tag aufs Neue. Mit beschwingter, wonniger, Gemütseinstellung. Ungerechtigkeiten und Dinge, die nicht in meiner Macht stehen, ich verschwende keinen Gedanken an euch!
Ja, das hier ist Disneys wuterfüllteste, vom Pech am meisten verfolgte Figur. Dieser Erpel muss Nerven wie Drahtseile haben, dass er noch immer so fröhlich ist!
Aber wenn Donald all sein Leid, seinen Frust, die Dillemmata, die ihn zurückhalten, einfach so hinnimmt, müsste er dann nicht elendig krepieren? Welcher gestandene Enterich, geschweige denn Mensch, kann all sein Unglück einfach runterschlucken, ohne irgendwann einen emotionalen Tumor zu entwickeln, der eben diese Lebensfreude zerstört, die Donald aufweist? Die Antwort: Natürlich kann sich niemand zum Spielball zahlloser Gemeinheiten machen lassen, ohne je aufzumucken. Ewig alles in sich reinzufressen ist unfassbar schädlich. Sich gegen ein Axiom im eigenen Leben aufzulehnen aber vergebene Liebesmüh. Und somit auf Dauer noch frustrierender.
Genau hier kommt Donalds berühmt-berüchtigtes Temperament zum Zuge. Es hält Donald davon ab, apathisch zu werden. Und es bewahrt Donald davor, sich selbst so konsequent in eine Frustsituation zu manövrieren, bis es zu einer nachhaltig schadenden Kurzschlussentscheidung kommt. Wenn ihn kein chronisches Problem ereilt, sondern eine akute Nichtigkeit, dann lässt Donald endlich seinen angestauten Emotionen freien Lauf, tobt jene Bereiche seiner Synapsen frei, die er betäuben musste, um nicht an den Dornenspitzen seines Daseins zugrunde zu gehen. Unendliche Wut über Daisy, Dagobert oder den verkorksten Entenhausener Arbeitsmarkt? Nutzlos. Aber wenn sich Donald selber ausschließt oder ein kleines Vögelchen seinen frisch lackierten Wagen zusaut, dann quakt er sich all seinen Frust von der Seele. Mit unbändiger Energie und feuerrotem Kopf brüllt er dieses kleine Problem nieder. Manche würden sagen, er reagiert über. Doch man kann es auch so sehen: Er reagiert angemessen kurz und knapp auf eine kleine, unbedeutende Sache. Ja, er reagiert laut und bestimmt. Aber oft genug löst er dabei das Problem. Und jedes Mal schafft er sich damit Energie, größere Dinge durchzustehen. Ein kleiner Tobsuchtsanfall, und dann kann er ohne Weltschmerz weiterleben!
Lieber unlösbare Probleme durchstehen und kleine Probleme niedertrampeln, als wegen unlösbarer Probleme an die Decke zu gehen und sich kleine Störfaktoren so lange so nahe gehen zu lassen, dass auch sie unmöglich zu erdulden sind. Oder? Also ich finde, wir sollten öfter auf die Suche nach unserem inneren Donald gehen. Vielleicht wird die Welt so ein kleines bisschen besser. Man muss den watschelnden Wutbolzen ja nicht 1:1 nachahmen. Aber ein Quentchen Donald, das sollte drin sein!
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