Mittwoch, 18. November 2009

Quiz Show

Wie das Fernsehen seine Unschuld verlor

Die 50er Jahre. In den USA herrscht ein regelrechter Quizshow-Boom. Die erfolgreichste Sendung in diesem beliebten Genre ist Twenty One. Woche für Woche fesselt das Wissensduell zwischen zwei Kandidaten Millionen vor die Fernseher. Seit einiger Zeit geht der unbeholfene, leicht geltungsbedürftige Herb Stempel wieder und wieder als Sieger nach Hause. Aber Stempels Jedermannqualitäten ziehen nicht weiter beim Publikum. Die Quoten stagnieren, weil die Zuschauer genug von Stempel haben.
Um das Zuschauerinteresse neu zu entfachen beschließen die Produzenten der Sendung, der Sponsor und der Fernsehsender, dass Stempel gehen muss. Produzent Dan Enright drängt Stempel in einer Unterredung bei seinem nächsten Auftritt in der Sendung bei einer vorher abgemachten Frage absichtlich falsch zu antworten, wofür man ihn entlohnen würde. Außerdem lädt Enright den Intellektuellen Charles Van Doren, der sich ursprünglich für ein anderes Quiz bewerben wollte bewerben wollte, als Kandidaten in die Sendung ein. Im charismatischen und gutaussehenden Van Doren, der zudem der Sohn eines berühmten Autors und College-Professors ist, sieht Enright die Identifikationsfigur, die Twenty One dringend benötigt. Stempel fühlt sich ausgebotet und trägt den Betrug vergeblich vor Gericht.
Der junge und ehrgeizige Kongressanwalt Richard "Dick" Goodwin stößt daraufhin beim Zeitungslesen auf eine Kurzmeldung, laut der die Akte zu einem "Quiz-Show-Fall" versiegelt wurde. Goodwin wittert seine große Chance und rollt den Fall neu auf.

Preisfrage: Nennen Sie die 1995 in der Kategorie "Bester Film" für einen Oscar nominierten Kinoproduktionen.
Selbstverständlich kommt man sofort auf Forrest Gump, den zum unsterblichen Klassiker aufgestiegenen großen Gewinner des Abends. Auch der Kultfilm Pulp Fiction wird früh genannt. Die Verurteilten mag bei den Oscars damals kein Glück gehabt haben, dafür stieg er seither im Ansehen bei Filmfreunden ungemein an und gehört zur obersten Spitze der IMDb Top 250 Liste. Dass der komerziell erfolgreiche Vier Hochzeiten und ein Todesfall als bester Film für den Oscar nominiert war, mag rückblickend bereits den einen oder anderen erstaunen, bekannt ist die Komödie jedoch allemal.

Und der fünfte Nominierte? Quiz Show ist so etwas wie das vergessene Kind. Im Schatten seiner größeren, ruhmreicheren Mitnominierten geht dieser auf wahren Ereignissen basierende Film stets verloren. Völlig zu Unrecht, denn Robert Redfords vierte Regiearbeit gehört zu den besten filmischen Behandlungen des Fernsehgeschäfts, die je gedreht wurden.
Dies ist insbesondere dem herrausragenden, durchdachten und intelligenten Drehbuch vom ehemaligen Filmkritiker Paul Attanasio zu verdanken. Attanasio nahm die rund zehn Seiten aus Dick Goodwins Buch Remembering America, in denen er seine Ermittlungen im Quiz-Show-Skandal behandelt, und vollbrachte es daraus eine anspruchsvolle Medienparabel zu entwickeln, die mit lebensnahen Figuren und einer authentischen Darstellung der damaligen Zeit zu überzeugen weiß.
Vor allem die komplexe, dabei stets subtile, Charakterisierung lässtt Quiz Show zu einem Vorbild für vergleichbare Filme werden: Keiner der drei Hauptprotagonisten ist astrein. Drehbuchautor Attanasio und Regisseur Redford verzichten erfreulicherweise auf die ihre Arbeit erleichternde Abkürzung einen der Protagonisten zum idealisierten Strahlemann heraufzustilisieren und nehmen den schwierigeren, letztlich lohnenswerteren Weg sie als echte, dreidimensionale Charaktere zu zeichnen. Stempel, Van Doren und Goodwin haben allesamt menschliche Makel und treffen diskussionswürdige Entscheidungen. In Quiz Show gibt es keinen sauberen Helden oder ein ahnungsloses, unschuldiges Opfer dieses Fernsehskandals. Allerdings gibt es auf der Gegenseite ein stärkeres, eindeutigeres Feindbild, selbst wenn es der Film vermeidet seine wertvolle Lektion mit erhobenem Zeigefinger zu predigen.
Stempel und Van Doren mögen sich dazu hinreißen lassen einen Betrug mitzumachen, doch es sind die Fernsehmacher, die Millionen von Zuschauern hintergingen und ungeliebte Kandidaten mit Druck ins Aus beförderten, nur um die Einschaltquoten nach oben zu korrigieren und die Profite zu maximieren.
Quiz Show verurteilt nicht bloß die profitgeile Fernsehmaschinerie. Er wagt es auch wohlsam in seine Erzählung eingewobene, provokative Fragen über persönliche und öffentliche Moralansichten zu stellen und charaktergesteuerte Situationen zu zeichnen, die zum Nachdenken bewegen.
Zugleich hält Redford mit seiner stilsicheren, klassisch-zeitlosen Regieführung den Unterhaltungsfaktor seines Films durchweg aufrecht. Denn um die vielschichtige, kritische und gedankenvolle Medienparabel in Quiz Show spannt sich ein gelungenes Charakterdrama mit fehlerhaften Figuren, denen man liebend gern zusieht sowie ein spannender Betrugsthriller.

Während Quiz Show erst mit der Zeit in Vergessenheit geriet, wurden die schauspielerischen Leistungen in dieser großartigen Medienparabel bereits im Erscheinungsjahr 1994 unterbewertet. Ralph Fiennes, der ein Jahr zuvor noch in Schindlers Liste als widerlicher Konzentrationslager-Kommandant zu sehen war, verkörpert hier scheinbar mühelos und mit erfrischender Schwerelosigkeit den einvernehmenden Charles Van Doren, der mit seinen rosigen Wangen, strahlenden blauen Augen und unschuldigem Lächeln zum Liebling einer ganzen Nation wurde, während in ihm eine nicht enden wollende ethische Unsicherheit flammte.
Am allerbesten ist Fiennes in seinen gemeinsamen Szenen mit dem für diesen Film Oscar nominierten Paul Scofield, der Charles' Vater Marc Van Doren spielt, einen mit dem Pulitzer Preis ausgezeichneten, moralisch aufrichtigen Poeten, der in sich ruht und stets für seinen Sohn da sein möchte. Trotz aller Harmonie besteht eine lakonische Ambivalenz in dieser Vater/Sohn-Beziehung, Charlie fühlt sich von seinem überaus bekannten und beliebten Vater überschattet und kann sich ihm nicht völlig öffnen, was den sehr ruhigen gemeinsamen Szenen von Fiennes und Scofield zusammen mit Scofields nuanciertem Spiel eine genussvolle, unafdringliche Vieldeutigkeit verleiht.

John Turtorro (Barton Fink, The Big Lebowski) brilliert mit komödiantischem Timing als der sich selbst völlig überschätzende Beinahe-Schmock Herb Stempel, ohne dabei die Integrität des Films durch Übertreibung zu untergraben. Als Zuschauer hat man seinen Spaß an den Szenen mit Stempel, man gönnt ihm eine gewisse Vergeltung für die Art, wie die Fernsehproduzenten mit ihm umsprangen, gleichermaßen ist man jedoch auch von seiner Sucht nach dem Scheinwerferlicht entnervt.
Mein persönlicher Favorit ist allerdings Rob Morrow (heute bestens bekannt aus Numb3rs), der dem hartknäckigen Anwalt Dick Goodwin eine angenehme Dosis großspuriger Lässigkeit verleiht und dem Publikum im Handlungsgeflecht von Quiz Show als etwas makelhafter moralischer Fixpunkt dient.

Über dies alles hinaus ist Quiz Show ein Dokument über ein kurzes Zeitfenster in der US-Gesellschaft (und generell in der westlichen Welt), in welchem das Massenmedium Fernsehen simple, schnelle Unterhaltungsformen in zuvor ungeahnter Quantität nach Hause brachte, dessen ungeachtet die geistige Elite blühte und die kulturelle Wahrnehmung weiterhin von klassischen Künsten geprägt war. Zwischendurch könnte man bei der Betrachtung von Quiz Show zum Kulturpessimisten werden, wenn Robert Redford die 50er Jahre als eine Ära skizziert, in der Poeten noch nationale Größen waren, Intellekt respektiert wurde und die Gemeinschaft mitfieberte, wenn Menschen ihr literarisches und naturwissenschaftliches Wissen zur Schau stellten und Quizshows nicht etwa aufgrund der Gewinnsumme einschalteten.
Der Film zeigt Amerika in einer Zeit des geistigen und moralischen Umbruchs, in einer komplexen Stimmung, bestimmt vom Raumfahrtwettrennen mit den Russen, schnittigen Cabriolets, Milk Shakes und einer intakten Bildungsschicht.

Quiz Show war der erste Produktion von Hollywood Pictures, der für einen Oscar in der Kategorie "Bester Film" nominiert wurde, und bislang gelang es nur einem weiteren Projekt dieses Studios, dies zu wiederholen (nämlich M. Night Shyamalans Mysterydrama The Sixth Sense). Darüber hinaus wurde Quiz Show in den Kategorien "Bester Nebendarsteller", "Beste Regie" und "Bestes adaptiertes Drehbuch". Er gehört zu meinen mir hoch geschätzten Lieblingsfilmen und vereint entspannte Unterhaltung mit unaufdringlich behandelter, relevanter Thematik wie es sonst nur wenige Filmen tun. Uneingeschränkter Filmtipp.

3 Kommentare:

milan8888 hat gesagt…

Ich hab ihn damals im Kino gesehen und war nicht gerade überwältigt weil er mir stelenweise zu langsam war. Vielleicht gefällt er mir ja jetzt besser - mal kucken wann der wieder läuft.

Lutz hat gesagt…

Hehe.. ich hätte in der tat noch alle Nominierten nennen können. Das war die erste Oscar Verleihung, die ich vollständig gesehen habe, noch dazu in den USA. Das vergisst man nicht sooo leicht.

Sir Donnerbold hat gesagt…

Gemein. Persönliche Verbindungen zu genau dieser Oscarverleihung grenzen an Schummelei! ;-)

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