Freitag, 19. September 2014

Schoßgebete


Obwohl sich Charlotte Roches Bücher Feuchtgebiete und Schoßgebete außerordentlich gut verkauft haben, kennen viele die beiden Romane nur vom Hörensagen. Und die breite Medienberichterstattung über Roches Stil als Schriftstellerin schlug vornehmlich in eine Kerbe: Ekel, Sex und Ekelsex! Jedoch bestehen Roches Romane aus weit mehr als das – wobei ihr zweites Werk als Verarbeitung vieler autobiografischer Erfahrungen das dramatischere Buch in ihrem bisherigen Schaffen ist. So groß bereits der Unterschied zwischen den beiden Romanen ist, auf der Leinwand ist die Diskrepanz zwischen Feuchtgebiete und Schoßgebete viel krasser.

Im Falle der beiden Roche-Verfilmungen ist die Art, wie sie der Öffentlichkeit präsentiert wurden, tatsächlich für die fertigen Kinoproduktionen repräsentativ. So war es Sönke Wortmann, der zuerst sein Projekt ankündigte, ehe plötzlich auch eine Feuchtgebiete-Adaption versprochen wurde. David Wnendts Film schoss dann als erster über die Ziellinie und wurde dabei von lauten Trailern sowie knalligen Postern begleitet. Der Schoßgebiete-Film ließ sich dagegen seine Zeit und kommt nun mit gediegenerem Werbematerial in die Lichtspielhäuser.

Die Promo verkaufte beide Filme ehrlich. Nach Wnendts schriller Schmuddelkomödie bringen Regisseur Sönke Wortmann und Drehbuchautor Oliver Berben mit Schoßgebiete eine emotional ehrliche und gleichzeitig durchaus intelligente Mischung aus reifer Beziehungskomödie und sexuell aufgeklärtem Charakterdrama.

Im Mittelpunkt dieses tragikomischen Psychogramms steht Elizabeth Kiehl (Lavinia Wilson), eine neurotische junge Frau, die mehr Spleens hat als sie zählen kann. Sie leidet unter Kontrollzwang, Verfolgungswahn, wird von Rachegedanken geplagt, versinkt in Schuldgefühlen und hat obendrein ein sehr kompliziertes Verhältnis zu ihrer Sexualität. Ihr Ehemann Georg (Jürgen Vogel) reagiert auf all dies mit einer beispiellosen Gelassenheit, nur eins treibt ihn auf die Palme: Elizabeths morbider Drang, alles für ihr etwaiges Ableben vorzubereiten. Dass Elizabeth trotz ihrer Neurosen noch immer halbwegs sicher im Leben steht, liegt an drei Dingen: An ihrer Liebe zu ihrer Tochter Liza (Pauletta Pollmann), die sie in einer früheren Beziehung gezeugt hat, am tabulosen Sex mit ihrem Mann und an den wohltuenden Therapiesitzungen bei der Psychologin Drescher (Juliane Köhler) …

Für Wortmann und Berben bestand die Aufgabe, Roches Bestseller fürs Kino umzuformen, vor allem aus der Aufgabe, den Erlebnissen Elizabeths eine etwas striktere narrative Struktur zu geben. Dennoch ist Schoßgebete auch auf der Leinwand primär eine „Slice of Life“-Erzählung, die davon lebt, dem Betrachter einen Einblick in das neurosengeplagte Leben ihrer Protagonistin zu verschaffen. Eine Spannungskurve hat der Film daher nicht, immerhin gibt ihm Berbens Adaption des Roche-Romans eine erzählerische Klammer – wir beginnen mit einer Fantasiesequenz, die Elizabeths inneren Tumult verdeutlicht, kurz darauf folgt ein Paradebeispiel dafür, wie ihre Neurosen ihren Alltag bestimmen: Sie setzt zum x-ten Mal ein neues Testament auf, dessen absurde Klauseln Georg und Elizabeths Notar kaum fassen können. Von da an hangelt sich die Erzählung von Anekdote zu Anekdote, wobei Elizabeths Therapiesitzungen nach und nach ihre Vergangenheit beleuchten, während parallel dazu ihr nicht ganz alltäglicher Alltag weiterläuft – die Frage ist, ob er es von der psychologischen Behandlung unabhängig tut oder ob Frau Drescher Elizabeth wirklich helfen kann.

Dass Hauptdarstellerin Lavinia Wilson in Schoßgebete wie eine jüngere und obendrein etwas unbedarfter auftretende Version von Charotte Roche wirkt, kommt dabei nicht von ungefähr. Denn die von Wilson brillant verkörperte Elizabeth teilt sich diverse biografische Aspekte: Vom tragischen Verlust geliebter Familienmitglieder durch einen Unfall bis hin zum tief verwurzelten Hass auf die taktlosen Aasgeier eines großen Boulevardblatts. Wilson legt ihre Figur dennoch nicht schlicht als Mimikry der früheren VIVA-Moderatorin an, sondern gibt ihr einen eigenständigen Charakter: Voller Selbstironie, belesen, dennoch ein wenig naiv – Elizabeth ist eine tolle Leinwandfigur, die ihre eigene Moral hat und die, ganz menschlich, auch voller Widersprüche steckt. Dank Wilsons unaufdringlichem, sympathischen Spiel erscheint Elizabeth nie wie ein von Roche fantasiertes Alter Ego, sondern wird zu einer interessanten, komplexen Persönlichkeit, die auf der Leinwand auch dann reizt, wenn man die Parallelen zur Buchautorin nicht weiter beachtet.

Schauspielerisch bekommt Wilson sämtliches herausfordernde Material von Schoßgebete zugeteilt, die Aktrice muss traurig, wütend, verängstigt, rationalisierend und erotisiert sowie trivial-rüpelnd agieren und all dies unter einen Hut bringen. Der restliche Cast wird schon weniger gefordert, trotzdem geht er nicht gelangweilt zur Sache: Jürgen Vogel verleiht dem geduldigen, liebenden Ehemann (der dennoch gerne ins Bordell geht) Glaubwürdigkeit, Juliane Köhler agiert effektiv und Jungschauspielerin Pauletta Pollmann ist die wandelnde Antithese zu Emma Schweiger.

Sönke Wortmann bestückt seinen Film nicht nur mit einer besseren Kinderdarstellerin als sein Kollege Til Schweiger, zumindest in Schoßgebete zeigt er auch ein überzeugenderes Händchen für die Bildästhetik. Waren Schweigers vergangene Beziehungsfilme durchgehend in ein Postkartenidyllen-/Aufbackbrötchenwerbespot-Licht getaucht, wählen Wortmann und sein Kameraexperte Maher Maleh einen differenzierteren Weg. So erinnern die Rückblicke auf Elizabeths früheres Familienleben mit ihrer Überbelichtung zunächst an besagte Schweiger-Regiearbeiten, nur um dann mit einem Schlag ihre beruhigenden, freundlichen Farbtöne zu verlieren. Somit werden die Rückblenden zu überkontrastierten Schreckensvisionen mit schmerzlich gleißenden Lichtern. Der normale Alltag Elizabeths ist derweil in ein stählernes Blaugrau getüncht, was ihre Distanziertheit verdeutlicht, ohne Schoßgebete zu sehr aus einer alltäglich-normalen Bildsprache rauszurücken. Die raren, aber stets geschmackvoll inszenierten Sexszenen lassen den Film dann wieder aufleuchten. Diese Spielereien sind zwar dick aufgetragen, jedoch geraten die visuellen Stilwechsel graduell und fügen sich somit gut ins Gesamtkonzept.

Narrativ bringen Wortmann und Berben die diversen Ansätze von Schoßgebete derweil nicht ganz so nahtlos unter einen Hut. Zwar sorgen die vereinzelten, dafür umso harscheren Tonwechsel für eine willkommene Unberechenbarkeit Elizabeths und unterstreichen eindrucksvoll, dass Schoßgebete trotz humoriger Überspitzung aus dem Leben gegriffen ist. Allerdings gibt es neben mehreren Knallerszenen (etwa, wenn die überzeugte Atheistin während einer Therapiestunde Gott anfleht, sich selber dabei erwischt und daraufhin in ein Gefühlschaos stürzt), dafür lenkt der unnütze Subplot über Darmwürmer stellenweise von der starken Haupthandlung ab.


Davon abgesehen ist Schoßgebete ein unerwartet gutes, mit Witz gewürztes Kinodrama über Sexualität, Liebe und Trauerüberwindung. Sehenswert.

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