Samstag, 14. Februar 2009

William Shakespeares Romeo + Julia

Achtung, dieser Artikel enthält etwas mehr als vierhundert Jahre alte Spoiler. Wer noch nie von Romeo & Julia gehört hat, soll nicht rummeckern, wenn ich ihm hier das Ende verrate.

So, jetzt hätten wir die obligatorische, aber hoffentlich völlig sinnlose, Spoilerwarnung hinter uns gebracht. Es soll ja Menschen geben, die niemals mit diesem Stoff in Berührung kamen, und denen wollen wir ja nicht verraten, dass sich Julia auf dem Kostümball als Engel verkleidete. Äh, neee, das ist natürlich nicht der Grund für die Spoilerwarnung. Wer das wirklich geglaubt hat, darf gerne aufhören, diese Rezension hier zu lesen.

Aber genug gescherzt. Die Spoilerwarnung ist natürlich völlig unsinnig, aber wenn auch nur einer meiner Leser wirklich als unbeschriebenes Blatt gegenüber Shakespeares Drama sitzt und vorhat, es demnächst zu lesen (oder eine der gefühlten 1703 Adaptionen sehen oder hören möchte), dann will ich nicht daran Schuld sein, wenn er es doch nicht tut, weil er nun von mir erfährt, dass es mit dem Tod der beiden Hauptfiguren endet.

Da Romeo & Julia ein weltberühmter Stoff ist, ist eine Inhaltsangabe wohl überflüssig, doch für die wenigen, die es nicht kennen (und die Spoilerwarnung ignorieren) und Leute mit löchrigem Gedächtnis sei der Inhalt hier dennoch zusammengefasst: Die zwei wohlhabenden Familien Montague und Capulet sind seit Jahren in eine Fehde verwickelt, immer wenn sich Mitglieder dieser zwei Familien begegnen entstehen erbitterte Gefechte.
Einer der Montagues, Romeo, denkt jedoch nicht ans Kämpfen mit den Capulets, sein Tag ist erfüllt mir der (sich selbst eingeredeten) Liebe zu einer gewissen Rosalinde, die er auf dem Kostümball der Capulets treffen möchte.
Stattdessen begegnet er dort aber der schönen Julia, in die er sich sogleich unsterblich verliebt. Sie wissen, dass sie ihre Liebe geheim halten müssen, hoffen aber durch eine heimlich durchgeführte Heirat den Zwist zwischen ihren Familien für immer begraben zu können.

Doch Julias Vetter Tybalt tötet während eines Streits mit dem sich um Frieden bemühenden Romeo dessen besten Freund Mercutio, woraufhin Romeo Blutrache erübt und Tybalt des nächtens ermordet.
Romeo flieht nach einer letzten Nacht mit Julia in die Verbannung, woraufhin Julia den Pater Laurence, der sie traute, um Mithilfe bittet. Sie möchte wieder mit Romeo vereint sein und der Zwangsheirat mit Paris entkommen. Der Pater schlägt vor, mit einem Gift den Tod Julias vorzutäuschen. Romeo soll eine Nachricht bekommen, der ihn über den Plan Julias informiert - doch diese Nachricht erreicht Romeo nicht. So erfährt er von seinem Diener Balthasar, dass Julia tot sei. Ungläubig kehrt er zurück in seine Heimatdstadt Verona, nicht ohne sich vorher ein schnellwirkendes Gift zu besorgen, welches er auch schluckt, als er seine geliebte Julia scheinbar tot daliegen sieht. Julia, die in dem Moment erwacht, in welchem sich Romeo selbst vergiftet, begeht daraufhin Selbstmord.

Luhrmanns Inszenierungsstil erregte seinerzeit viel Aufsehen und ist unbestreitbar der Grund dafür, dass seine Fassung von Romeo & Julia so populär wurde. Die Teeniemädels mögen wegen Leonardo DiCaprio reingerannt sein, doch dass auch andere Zielgruppen auf den Film aufmerksam wurden und er noch immer bekannt ist liegt ganz klar an der genussvoll übertriebenen Visualität. Schnelle Schnitte für die MTV-Generation, eine Bildgewalt, die wie eine Kreuzung aus Videoclipästhetik und rasantem Actionkracher scheint und über allem schwebt eine fein anzusehende, verkünstelte Theatralik. Wer bei der Versprechung einer authentischen Shakespeare-Adaption auf ruhige Bilder in einer unauffälligen Dekoration wartete, erlebt zu Beginn von Romeo + Julia einen brutalen Kulturschock, als in hyper-stylischen Kamerafahrten die fiktive amerikanische Strandmetropole Verona Beach eingefangen wird und die schmierige, in Angeberlimosinen herumkutschierenden, an Latinogangs angelehnten Capulets auf die chaotischen, lauten und knallbunten Jungspunde aus dem Montague-Clan treffen und mit gebrüllten, dramatischen Proklamationen einen Schusswechsel entfachen, der in hipper Musikvideo-Bildsprache präsentiert wird.

Die Umsiedelung in die heutige Zeit (beziehungsweise die späten 90er) mitsamt ihren Folgen (aus Schwertern werden z.B. Pistolen) ist zugleich Modernisierung beziehungsweise Attraktivisierung für das jüngere Publikum, als auch Grundlage für die fast schon rauschartige Bildfolge. Ein schnell geschnittener, lauter, dick aufgetragener und bunter Romeo & Julia-Film könnte sicherlich auch zu Zeiten Shakespeares spielen, doch es würde ungleich unnatürlicher wirken. In der Moderne dagegen ist Luhrmanns Inszenierung zwar weiterhin auffällig, doch nach dem Paukenschlag zu Beginn gewöhnt sich das Auge an das Leinwandgeschehen.
Dadurch fällt nicht jedem Zuschauer auf, dass die Bildkompositionen stets durchdacht sind und die im Dialog ausgesprochenen Gefühle verstärken. Luhrmann ist jedoch kein Regisseur, bei dem man während des Zuschauens bereits interpretieren muss. Obwohl sozusagen hinter dem Bild viel Arbeit steckt, so kann sich das Publikum von ihm einfach berieseln lassen und die förmlich aus ihm heraustriefenden Emotionen aufsaugen.

Und trotz aller - wohl überlegten - Übertreibungen in der Inszenierung: In Romeo + Julia gestaltet Luhrmann durch sie, ohne dass er den Originaltext mehr als nötig anfasst und lediglich an manchen Stellen die Schere ansetzt, sorgsam und allein auf der visuellen Ebene seine eigene Interpretation der Tragödie.


Romeo + Julia begleitete eine ganze Generation in die Pubertät, der Film war allgegenwärtig. Zahllose aufblühende Mädchen, die sich in junge Damen verwandelten schwärmten von Leonardo DiCaprio, fanden plötzlich für ganz kurze Zeit altmodische Sprache "voll romantisch" und wollten auch eine "so süße", aufopferungsvolle Liebe erfahren. Und die Jungs heuchelten Interesse an dem Film, um im Ansehen der Mädchen zu steigen. Oder sie heuchelten Desinteresse für den Film, um von männlichen Mitschülern nicht ausgegrinst zu werden, obwohl sie tief im Inneren wussten, dass ihr Gegenüber die Videoclipästhetik des Films unheimlich stylisch fanden.

Und jetzt hört auf, es abzustreiten, auf die ganzen Anfang-bis-Mitt-Zwanziger da draußen trifft das doch zu... Ihr könnt es euch ruhig zugestehen.

Eigentlich ist es ja ein Wunder, dass es überhaupt noch so viele Leute in diesem Alter gibt. Es wäre durchaus nachvollziehbar, wenn der Welt eine halbe Generation abhanden gekommen wäre, schließlich war Romeo + Julia nicht der einzige Film, der während der Pubertät dieser Generation erschien, großen Erfolg feierte und tragisch endete.
Da wäre es schon plausibel, wenn der eine oder die andere mit dem Leben Schluss gemacht hätte. Ich mein, so mitten in der Pubertät sind doch viele eh schon manisch-depressiv. Da fehlt nicht mehr viel, und schon drehen sie völlig am Rad - und dann kommt da gleich ein ganzer Haufen von Filmen an, der einem eine enge Verknüpfung zwischen Liebe und Tod aufzeigt.
[Spoiler für Filme, die ihr höchst wahrscheinlich eh schon gesehen habt] Titanic, Moulin Rouge, Eiskalte Engel [/Spoiler Ende]

Gute Güte, Teenager drohen schon wegen weniger mit Selbstmord. Spätestens nach dem vierten Film dieser Art war es schon erstaunlich, dass nicht alle mit verheulten, nass-roten Augen vor dem Spiegel standen und klagend die von Hollywood gelernte Erkenntnis hinausbrüllten: "Waaas? Es gibt sie, die Wahre Liebe?! Die einzige, die richtige Person für mich? Und wenn wir trotz aller Widerstände zusammenkommen wird es auch ganz toll und wunderschön und so? Aber nur für kurze Zeit? Das Glück ist nur von kurzfristiger Dauer, weil bald darauf einer von uns beiden umkommt?!!! Buhuhuhuhuuuuuhaaawääääääääheheheeeääö!"

Und zack, schon klebt die Pistole an der Schläfe.

Noch erstaunlicher als der (glückliche) Umstand, dass sich nicht eine von vermeintlichen "Teenagerstreifen" geschädigte Generation die Hirnmasse aus dem Kopf pustete ist wohl nur, dass es trotz allem noch immer Leute gibt, die bei der bloßen Erwähung von Romeo + Julia schreiend Amok laufen und von einem Zuckerschock sprechen. Natürlich ist es völlig in Ordnung Baz Luhrmanns Adaption des Stoffes nicht zu mögen, und es gibt genügend handfeste Argumente, die man anbringen könnte, wenn man sich gegen den Film aussprechen möchte. Sei es das für manche Gemüter vielleicht all zu überreizte, wiederkehrende visuelle Element von Heiligenbildern und Kreuzen (ein Motiv, dass sich sogar bis in den Filmtitel erstreckt), seien es für Puristen ärgerliche Veränderungen (man könnte ja sagen, dass ein authentischer Film bitte auch ganz authentisch sein soll) oder die eine oder andere Darstellerleistung (ich gehöre z.B. zu den wenigen, die Claire Danes Leistung als Julia nur suboptimal finden, in den tragischen Szenen wird sie, wie ich finde, allein vom Text gerettet). Oder sei es der Vorwurf, Luhrmann würde sich auf Kosten traditionellerer Shakespeare-Adaptionen beim jugendlichen Publikum anbiedern. Ich teile diese Meinung nicht, könnte sie aber verstehen.
Doch was ich nicht nachvollziehen kann ist die "Kitsch! Oberflächliche Romanze, die so gerne komplex wäre! Überschnulziges Teeniemädel-Umgarne! Pappsüßes Heiteiteigedudel!"-Tirade, die immer wieder im Zusammenhang mit Romeo + Julia zu hören ist.

Baz Luhrmanns Version der wohl bekanntesten Liebedgeschichte aller Zeiten fühlt sich an wie eine ultrahochkonzentrierte, in einer Überdosis verabreichte Essenz der vom Originaltext beabsichtigten Gefühlsachterbahn, und da gehört es auch dazu, dass die unschuldigen, überglücklichen und einfach nur völlig in die Liebe und die Liebste / den Liebsten vernarrten Momente noch mehr von einer verliebten Freudseligkeit und Romantik geprägt sind, als in anderen Verfilmungen. Doch dadurch verstärkt sich auch die Fallhöhe - der tragische Schlag am Ende (so sehr man auch schon im Vorraus von ihm Wissen mag) wird bei Luhrmann nicht weichgespült. So verliebt und glücklich das Paar in seinen kurzen frohen Momenten gewesen sein mag - gut geht es immer noch nicht aus. Und bei Luhrmann tut es, wenn man den Film denn wirklich guckt, ja wohl mehr weh als bei einer "entschnulzten", modernisierten, "es ist keine große Liebe, ich find mein Gegenüber einfach nur steil"-Fassung.

Wobei dieses "Im Tode vereint" natürlich schon was tragisch-romantisches an sich hat. Ja, definitiv. Eine schmalzige Liebesschnulze ohne Sinn und Verstand wird es dadurch aber noch lange nicht - eher ganz im Gegenteil, weil es hier (natürlich auch Dank des Originaltextes) komplex und anspruchsvoll zur Sache geht. Und Luhrmanns Inszenierung fügt eine ungewöhnliche, zugleich verzerrende und vertiefende, Dimension hinzu.
Wer anderes behauptet und hier nur eine klebrige, knallbunt gedrehte Romantic-Comedy ohne Comedy und mit gestalztem Sprachverhalten sieht, muss wohl erst noch lernen, es den Figuren gleichzufühlen.

Man muss sich dafür ja nicht gleich umbringen...

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